Nicci lief nervös auf und ab, während Ishaq sich an der Falltür in der Zimmerecke zu schaffen machte; er war schon seit einer ganzen Weile mit ihr beschäftigt. Um an das im Fußboden eingelassene Geheimfach heranzukommen, hatte er den Kleiderschrank beiseite geschoben. Gelegentlich Unverständliches vor sich hin murmelnd, verwünschte er sich selbst, weil er es so schwer zugänglich gemacht hatte.
»Endlich!« Ishaq rappelte sich mühsam auf.
Nicci hoffte, dass der bescheidene Geldbetrag, den Richard bestenfalls angespart haben konnte, reichen würde, um Protektor Muksin zufrieden zu stellen. In Gedanken ging sie eine Liste mit Personen durch, die ihr als Hilfe für Richard Geld angeboten hatten.
»Hier ist es.«
Hektisch drückte Ishaq ihr den Lederbeutel in die Hand. Das Gewicht ließ sie erschrecken, denn der Geldbeutel nahm ihre gesamte Handfläche ein; es war einfach nicht nachvollziehbar.
Sie überlegte, dass Richard seinen Ersparnissen einige Metallgegenstände beigefügt haben musste – nur so ließe sich das Gewicht erklären. Sie zog den Beutel an der Oberseite auseinander und schüttete den Inhalt in ihre Hand.
Nicci stockte der Atem. Dort lagen nahezu zwei Dutzend Goldmünzen. Silber war gar nicht dabei, nur Gold.
»Gütiger Schöpfer…«, entfuhr es ihr leise, mit aufgerissenen Augen. »Wo mag Richard dieses viele Geld herhaben?«
Es war mehr, als die meisten Reichen in ihrem Leben zu Gesicht bekamen. Sie hob den Blick und sah Ishaq in die Augen.
»Wo kann Richard dieses viele Geld herhaben?«
Er riss sich seine rote Mütze vom Kopf und deutete ungeduldig fuchtelnd auf das viele Gold in ihrer Hand. »Richard hat es verdient.«
Sie merkte, wie ihre Miene sich verfinsterte. »Es verdient? Womit? Kein Mensch kann diese Menge Geld verdienen – jedenfalls nicht auf ehrliche Weise.« Sie spürte, wie ihr Zorn hochkochte. »Richard hat dieses Gold gestohlen, nicht wahr?«
»Redet keinen Unsinn.« Ishaq gestikulierte gereizt. »Richard hat es sich verdient. Er hat Waren gekauft und wieder verkauft.«
Sie biss die Zähne aufeinander. »Wie ist er an dieses Geld gekommen?«
Der Mann warf die Arme in die Luft. »Das erkläre ich Euch doch gerade. Eigenhändig verdient hat er es – ganz allein. Er hat Dinge gekauft und an Leute verkauft, die einen Bedarf dafür hatten.«
»Dinge? Was für Dinge? Schmuggelware?«
»Ach was! Dinge wie Eisen und Stahl…«
»Unfug. Wie hätte er es denn transportieren sollen? Etwa auf seinem Rücken?«
»Anfangs ja. Aber dann hat er sich einen Wagen gekauft, um…«
»Einen Wagen!«
»Ganz recht. Und dazu Pferde. Er hat Holzkohle und Erz eingekauft und es an die Gießereien wieder verkauft. Meistens hat er den Gießereien Metall abgekauft, das er dann an den Schmied weiterverkaufte. Der Schmied hat einen außergewöhnlich großen Bedarf an Metall, und den hat er sich über Richard beschafft. Auf diese Weise hat er sich das Geld verdient.«
Nicci packte Ishaq am Kragen. »Bringt mich zu diesem Schmied.«
Nicci war außer sich. Die ganze Zeit über hatte sie Richard für einen ehrlichen, hart arbeitenden Menschen gehalten, und nun musste sie feststellen, dass man ihn zu Recht ins Gefängnis gesteckt hatte. Er war schuldig, von ehrlichen Arbeitern Geld erschwindelt zu haben. Er war ein Wucherer!
In diesem Augenblick tat ihr nicht im Geringsten Leid, was man ihm im Gefängnis antat. Er hatte das alles verdient, und noch weit mehr. Er war ein Verbrecher, der arme, hart arbeitende Menschen um ihr Gold betrogen hatte. Die Demütigung, das Wissen, dass er sie getäuscht hatte, brannte heiß in ihrem Körper.
Nicci hatte die Baustelle des Palastes bereits gesehen, allerdings nur aus der Ferne, als sie in der Stadt zu tun gehabt hatte, doch so nah wie jetzt war sie noch nie gewesen. Der Palast würde genau so werden, wie Jagang ihn ihr geschildert hatte. Er erfüllte sie mit ehrfurchtsvollem Staunen. Die anspornenden Worte Bruder Narevs aus ihrer Jugendzeit erklangen aus den Tiefen ihrer Erinnerung wie ein heiliger Chor, als sie die imposante Kulisse betrachtete.
Die Mauern reichten bereits bis über die Fensteröffnungen im ersten Stock. In einigen Abschnitten wurden gerade Deckenbalken zwischen den Innenwänden eingezogen, die das nächste Stockwerk stützen sollten.
Aber es war das Äußere, das ihr den Atem raubte. Die steinernen Mauern waren mit einem Fries aus Schnitzereien versehen, in einem Maßstab, wie sie ihn sich niemals vorzustellen vermocht hätte. Genau wie Bruder Narev es angeordnet hatte, besaßen die Schnitzereien eine anspornende und überzeugende Wirkung. Nicci sah, wie Menschen diese Kunstwerke betrachteten und in Tränen ausbrachen ob der in Stein nacherzählten Geschehnisse, ob jenes jammervollen Geschöpfes, das der Mensch darstellte, und der unerreichbaren Herrlichkeit, die der Vollkommenheit des Schöpfers innewohnte. Angesichts dieser bewegenden Einblicke konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Orden die einzige Chance der Menschheit auf Erlösung war. Genau wie Jagang es verheißen hatte, würde dieser Palast die Menschen zu überwältigenden Gefühlen rühren.
»Warum stehen diese Pfähle dort?«, fragte sie Ishaq, während sie schnellen Schritts über den gepflasterten Fußweg gingen, auf dem die Menschen verweilten, um bei der Entstehung des Baus zuzusehen, während andere niederknieten, um vor verschiedenen grauenhaften an den Wänden dargestellten Szenen zu beten.
»Das sind Bildhauer.« Ishaq nahm seine rote Mütze ab, während er den Anblick auf sich wirken ließ. »Sie waren angeblich an der Rebellion beteiligt.«
Niccis Blick wanderte von einem verwesenden Leichnam an der Spitze der Pfähle zum nächsten. »Warum hätten sich ausgerechnet Bildhauer an der Rebellion beteiligen sollen? Sie haben doch Arbeit.« Mehr noch, sie durften an den Darstellungen zum Ruhme des Ordens arbeiten. Gerade sie hätten doch wissen müssen, dass allein das Leiden in diesem Leben ihnen Hoffnung auf eine Belohnung im nächsten bot.
»Ich habe nicht gesagt, sie haben sich beteiligt. Ich sagte, sie hätten sich angeblich beteiligt.«
Nicci unterließ es, den Mann zurechtzuweisen. Die Menschen waren korrupt. Es gab niemanden, den man nicht hätte hinrichten können, ohne dass dies gerechtfertigt gewesen wäre. Richard eingeschlossen.
Viele der Steine unter den Schutzdächern, wo die Männer gearbeitet hatten, lagen jetzt unnütz herum. Rampen und Arbeitsgerüste wurden errichtet, damit die Steinmetze ihre Arbeit an den Palastmauern wieder aufnehmen konnten. Während diese ihre Steine einfügten, waren andere Männer – ausnahmslos Sklavenarbeiter – damit beschäftigt, gewaltige Quader über die Rampen zu ihnen hinaufzuhieven, körbeweise Mörtel oder Erde und Gestein herbeizuschleppen oder in Gräben an der Errichtung jener unterirdischen Zellen zu arbeiten, in denen der Orden die Welt von den übelsten Sündern säubern würde und wo Verbrecher auch in Zukunft ihre Vergehen gestehen sollten.
Es war eine entsetzliche Angelegenheit, andererseits war es unmöglich, einen Garten anzulegen, ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen.
Die Werkstatt des Schmieds oben am Hang eines Hügels, der einen Ausblick über das gewaltige Bauvorhaben gewährte, war die größte, die sie je zu Gesicht bekommen hatte. Bei einem Vorhaben dieses Ausmaßes war das allerdings durchaus nachvollziehbar. Sie wartete draußen, während Ishaq flugs hineinging, um den Schmied für sie zu holen.
Das Geräusch der auf Stahl erklingenden Hämmer, die Gerüche der Esse, des Rauches, der Öle und Säuren sowie der Salzlake, all das rief eine Flut von Erinnerungen an die Werkstatt ihres Vaters hervor. Einen winzigen Augenblick lang schlug Niccis Herz schneller – und sie war wieder ein kleines Mädchen. Fast erwartete sie, ihren Vater herauskommen und sie mit jener wundersamen Energie anlächeln zu sehen, die sich in seinen blauen Augen zeigte.
Stattdessen trat ein stämmiger Mann aus den Schatten ins Tageslicht. Und er hatte kein Lächeln, sondern ein bedrohliches Funkeln im Gesicht. Zuerst dachte sie, er sei kahl, doch dann sah sie, dass sein voller Haarschopf einfach bis dicht über die Kopfhaut geschoren worden war. Einige Arbeiter ihres Vaters, die glühendes Eisen bearbeiteten, hatten es ebenso gemacht. Jede andere Frau wäre beim Anblick seiner finsteren Miene drei Schritte zurückgewichen.
Er wischte sich die Hände an einem Lappen ab und kam ihr, ihre Augen sorgfältiger abschätzend als die meisten Männer, und ganz anders als Richard, im fahlen Sonnenschein entgegen. Seine dicke Lederschürze war mit hunderten winziger Brandflecken übersät.
»Mrs. Cypher?«
Ishaq trat ein kleines Stück zurück und begnügte sich mit seiner Rolle als Begleiter.
»Ganz recht. Ich bin Richards Frau.«
»Komisch, Richard hat eigentlich nie von Euch gesprochen. Vermutlich bin ich einfach davon ausgegangen, dass er eine Frau hat, aber erwähnt hat er nie etwas…«
»Man hat Richard in Gewahrsam genommen.«
Der finstere Gesichtsausdruck schlug sofort in entgeisterte Besorgnis um. »Richard wurde verhaftet? Weswegen?«
»Offenbar wegen des abscheulichsten Verbrechens, das es gibt: Betrug.«
»Betrug? Richard? Die müssen den Verstand verloren haben.«
»Ich fürchte, nein. Er ist schuldig. Ich habe Beweise.«
»Was denn für Beweise?«
Ishaq, außer Stande, sich länger zurückzuhalten, war mit einem Schritt bei ihnen. »Richards Geld, das Geld, das er verdient hat.«
»Verdient!« Niccis empörter Aufschrei ließ Ishaq einen Schritt zurückweichen. »Ihr meint das Geld, das er gestohlen hat!«
Der finstere Ausdruck des Schmieds kehrte zurück. »Gestohlen? Wem soll er denn Eurer Meinung nach dieses Geld gestohlen haben? Wer wirft ihm etwas vor? Wo sind seine Opfer?«
»Nun, eines davon seid Ihr.«
»Ich?«
»Ja, ich fürchte, Ihr seid eines seiner Opfer. Ich bin hier, um Euch Euer Geld zurückzugeben. Ich kann kein gestohlenes Geld dafür verwenden, einen Verbrecher vor seiner gerechten Strafe zu bewahren. Richard wird für sein Verbrechen bezahlen müssen; dafür wird der Orden schon sorgen.«
Der Schmied schleuderte sein Handtuch fort und stemmte seine Fäuste in die Hüften. »Richard hat niemandem jemals auch nur einen Silberpfennig gestohlen – und schon gar nicht mir! Er hat sich sein Geld verdient.«
»Er hat Euch betrogen.«
»Er hat mir Eisen und Stahl verkauft. Beides brauche ich, um Dinge für den Ruhesitz des Kaisers herzustellen. Ständig taucht Bruder Narev hier auf und fährt mich an, ich soll zusehen, dass irgendwelche Dinge fertig werden, allerdings ohne mir das Eisen zu liefern, das ich für ihre Herstellung dringend benötige. Das tut Richard. Bevor er hier hereinschneite, wurde ich um ein Haar selbst im Himmel begraben, weil Ishaq hier mir nicht genug Eisen und Stahl liefern konnte.«
»Wie hätte ich das tun sollen! Das Komitee hat mir lediglich die Menge bewilligt, die ich geliefert habe. Hätte ich mehr geliefert, als man mir genehmigt, wäre ich im Himmel begraben worden. Jeder im Betrieb hält ein Auge auf mich. Die melden mich ja schon beim Arbeiterkollektiv, wenn ich auf die falsche Stelle spucke.«
»Verstehe«, meinte Nicci, ihre Arme verschränkend. »Richard hatte Euch also völlig in der Hand. Er beliefert Euch des Nachts mit Eisen, und Ihr habt keine andere Wahl, als ihm seinen Preis zu zahlen, und das weiß er auch. Er scheffelt all dieses Gold, indem er Euch betrügt; auf diese Weise ist er reich geworden – indem er von Euch einen überhöhten Preis verlangt. Das ist die schlimmste Form des Diebstahls.«
Der Schmied sah sie stirnrunzelnd an, als wäre sie nicht ganz bei Verstand.
»Richard verkauft mir Eisen und Stahl zu einem viel niedrigeren Preis, als wenn ich es über die normalen Fuhrunternehmen – wie zum Beispiel von Ishaq – beziehen würde.«
»Ich berechne genau das, was mir das Preisfestsetzungskomitee vorschreibt! Darauf habe ich keinen Einfluss!«
»Das ist doch einfach verrückt«, meinte Nicci, Ishaq ignorierend, an den Schmied gewandt.
»Nein, es ist geschickt. Seht Ihr, die Gießereien produzieren mehr, als sie verkaufen können, weil sie es nicht abtransportiert bekommen. Ihre Schmelzöfen müssen befeuert werden, ob sie nun eine Tonne herstellen oder zehn. Sie müssen Eisen in ausreichend großen Mengen herstellen, damit sich die Befeuerung lohnt, damit sie ihre Arbeiter bezahlen und ihre Schmelzöfen unterhalten können. Kaufen sie nicht genügend Erz ein, müssen die Minen schließen, und die Gießerei erhält überhaupt kein Erz mehr. Ohne Rohmaterial können sie nicht existieren. Der Orden erlaubt aber weder Ishaq noch den anderen wie ihm, so viel zu befördern, wie die Gießereien benötigen. Es dauert Wochen, bis der Orden auch nur über die einfachste Anfrage entschieden hat. Jede erdenkliche Person wird in Betracht gezogen, die sich in ihrer Einbildung möglicherweise gekränkt fühlen könnte, sollte Ishaq die Fuhre übernehmen. Die Gießereien waren in einer verzweifelten Lage und boten Richard an, ihm ihre Überschüsse zu einem günstigeren Preis zu überlassen…«
»Dann haben sie also auch bei Richards Betrug mitgespielt!«
»Nein, denn da Richard ihnen das Eisen abnimmt, können sie mehr davon verkaufen, was wiederum die Herstellungskosten senkt. Auf diese Weise verdienen sie mehr Geld, als sie es sonst getan hätten. Richard verkauft es wiederum mir zu einem geringeren Preis, als ich den normalen Fuhrunternehmen zahlen müsste, da er es günstiger einkaufen kann.«
Angewidert warf Nicci ihre Hände in die Luft. »Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, nimmt er arbeitenden Menschen auch noch ihre Arbeit weg. Das ist die übelste Sorte von Verbrechern – die ihren Profit auf Kosten der Armen, der Bedürftigen und der Werktätigen machen!«
»Was?«, protestierte Ishaq. »Ich bekomme weder genügend Leute für die Arbeit noch genügend Bewilligungen, um die Güter zu befördern, die die Menschen dringend benötigen. Richard nimmt niemandem seinen Arbeitsplatz weg – im Gegenteil, er trägt dazu bei, dass alle mehr zu tun haben. Die Gießereien, für die er fährt, haben durch die Bank mehr Leute eingestellt, seit sie über Richard verkaufen können.«
»Das stimmt«, bestätigte der Schmied.
»Ihr begreift es einfach nicht«, beharrte Nicci, sich die Haare raufend. »Er hat Euch hinters Licht geführt. Er betrügt Euch – und nimmt Euch aus bis auf die Knochen. Ihr werdet immer ärmer, nur weil Richard…«
»Aber versteht Ihr denn nicht, Mrs. Cypher? Richard hat einem halben Dutzend Gießereien Verdienstmöglichkeiten geschaffen. Zurzeit sind sie überhaupt nur wegen Richard in Betrieb. Er transportiert ihre Erzeugnisse dann, wenn es für sie sinnvoll ist, nicht wenn sie irgendeine blödsinnige, mit lauter Siegeln überklebte Bewilligung erhalten. Ganz auf sich allein gestellt, hat Richard es einer ganzen Reihe von Köhlern sowie einer Reihe von Bergleuten und jeder Menge anderer Leute ermöglicht, sich durch die Belieferung dieser Gießereien ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und ich? Durch Richard habe ich mehr Geld verdient, als ich je für möglich gehalten hätte.
Richard hat uns alle reich gemacht, indem er etwas dringend Erforderliches getan hat und indem er es besser gemacht hat, als andere dies konnten. Er hat uns allen Arbeit verschafft. Nicht der Orden mit all seinen Komitees, Ausschüssen oder Kollektiven – sondern Richard.
Wegen Richard brauchte ich niemanden zu entlassen. Nie hört man von ihm, etwas sei unmöglich; stattdessen überlegt er, wie es zu schaffen wäre. Damit hat er sich das Vertrauen jedes Einzelnen, mit dem er zu tun hatte, erworben. Sein Wort ist Gold wert.
Ja, selbst Bruder Narev trug Richard auf, alles Erforderliche in die Wege zu leiten, damit ich mein dringend benötigtes Eisen bekomme. Richard hat es ihm versprochen. Der Palast wäre längst nicht so weit fortgeschritten, hätte Richard uns nicht alle über Wasser gehalten, indem er lieferte, was wir brauchen und wann wir es brauchen.
Der Orden schuldet Richard Dank, nicht Folter und Bestrafung. Er hat den Orden unterstützt, indem er getan hat, was getan werden musste. Diese Landungsbrücken dort draußen wären längst noch nicht gebaut, hätte Richard nicht das Eisen für die Befestigungsklammern für mich aufgetrieben. Die Bildhauerarbeiten an den Palastmauern dort unten wären noch nicht fertig, hätte er mir nicht den Stahl geliefert, den ich brauchte, um die Werkzeuge herzustellen, mit denen sie gemeißelt wurden. Alle Güter dort unten rollen ausnahmslos auf Rädern herbei, die ich mit Eisenreifen repariert habe, weil Richard mir den Stahl besorgen konnte. Richard hat mehr dafür getan, dass dieser Palast aus dem Boden gestampft wurde, als jeder andere einzelne Mann. Und dabei hat er sich auch noch Freunde gemacht.«
Nicci konnte es einfach nicht fassen. Dabei musste es stimmen; sie erinnerte sich, dass Richard Bruder Narev begegnet war. Wie konnte jemand so viel Geld verdienen, den Orden unterstützen und gleichzeitig das Vertrauen der Menschen gewinnen, mit denen er Geschäfte machte?
»Aber trotzdem hatte er doch all diesen Profit erzielt…«
Der Schmied schüttelte den Kopf, so, als wäre sie eine heimtückische Person, die sich mitten unter sie geschlichen hatte. »Profit! Das ist nur für die Blutsauger dieser Welt ein schmutziges Wort. Sie wollen, dass man darin etwas Böses sieht, damit sie sich das unverdiente Geld noch leichter unter den Nagel reißen können.«
Das Stirnrunzeln kehrte zurück, als er sich zu ihr beugte. Seine Stimme wurde so glutvoll wie das Eisen, das er bearbeitete.
»Was mich interessieren würde, Mrs. Cypher, ist, wieso Richard in einem stinkenden Gefängnis hockt, wo man versucht, ein Geständnis aus ihm herauszufoltern, während seine Frau sich hier wie eine Närrin aufführt, weil er Geld verdient und uns alle dabei auch noch reich und glücklich gemacht hat.«
Nicci spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. »Ich kann die Strafe nicht vor morgen Abend bezahlen.«
»Bevor ich Euch kennen lernte, dachte ich immer, Richard könnte niemals einen Fehler machen.« Der Mann zog seine Lederschürze über den Kopf und hängte sie in der Werkstatt an die Wand. »Mit einer solchen Summe können wir ihn bestimmt eher freikaufen. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Begleitest du mich, Ishaq?«
»Natürlich. Dort kennt man mich und vertraut mir. Ich komme mit.«
»Gebt mir das Geld«, befahl der Schmied.
Nicci ließ es in seine geöffnete Hand fallen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. In Wirklichkeit war Richard also gar kein Dieb; es grenzte an ein Wunder. Sie wusste nicht warum, aber diese Menschen waren alle glücklich wegen ihm, er hatte sie alle wohlhabend gemacht. Für sie ergab das alles keinen Sinn.
»Bitte, wenn Ihr mir helfen könntet, stünde ich tief in Eurer Schuld.«
»Ich tue das nicht für Euch, Mrs. Cypher. Ich helfe einem Freund, den ich schätze und der es wert ist, dass man ihm hilft.«
»Nicci. Ich heiße Nicci.«
»Und mein Name ist Mr. Cascella«, brummte er und stapfte davon.
Mr. Cascella schmiss vier Goldmünzen vor Volksprotektor Muksin auf den Tisch. Nicci und Ishaq hatte er erklärt, er wolle etwas als Reserve zurückbehalten, damit sie ›die Esse treten‹ konnten, falls diese ›mehr Hitze benötigte‹.
Der Schmied baute sich vor dem am Tisch sitzenden Mann auf. Verschiedene Beamte vergruben ihre Nase in ihrer Arbeit, nur die Gardisten im Raum verfolgten das Geschehen.
»Richard Cypher. Ihr haltet ihn hier gefangen. Wir sind gekommen, um die Strafe zu bezahlen.«
Einem fetten Karpfen gleich – zu voll gefressen, um einen Wurm zu verspeisen – betrachtete Protektor Muksin die Münzen aus halb zugekniffenen Augen.
»Vor morgen Abend werden keine Strafen festgesetzt. Kommt dann noch einmal her. Sollte sich dieser Cypher bis dahin zu keiner Beteiligung an einem ernsthafteren Vergehen bekannt haben, könnt Ihr dann bezahlen.«
»Ich arbeite draußen an dem neuen Palast«, entgegnete Mr. Cascella. »Bruder Narev hält mich ganz schön auf Trab; könnten wir diese Angelegenheit nicht jetzt gleich zum Abschluss bringen, wo wir gerade alle hier sind? Bruder Narev würde es sicherlich zu schätzen wissen, wenn sein Schmied morgen nicht noch einmal den weiten Weg bis hierher machen muss, wo ich doch einmal hier bin.«
Protektor Muksin ließ seine dunklen Augen, von einer Seite zur anderen schwenkend, durch den mit klagenden und weinenden Menschen voll gepferchten Saal wandern. Sein Stuhl quietschte, als er ihn näher an den Tisch heranrollte. Er faltete seine fetten, kurzen Finger über einem Stapel zerfledderter Papiere.
»Ich möchte Bruder Narev keinesfalls Unannehmlichkeiten bereiten.«
Der Schmied feixte. »Das dachte ich mir.«
»Andererseits würde Bruder Narev auch nicht wollen, dass ich meine Pflicht gegenüber dem Volk vernachlässige.«
»Selbstverständlich nicht!«, warf Ishaq ein. Er riss sich seine rote Mütze vom Kopf, als die dunklen Augen in seine Richtung schwenkten. »Das wollten wir damit auch gar nicht andeuten. Wir vertrauen darauf, dass Ihr Eure Pflicht verseht.«
»Wer seid Ihr?«, fragte der Protektor an Nicci gewandt.
»Ich bin Richard Cyphers Frau, Protektor Muksin. Ich war schon einmal hier und habe eine Gebühr entrichtet, um ihn besuchen zu können. Ihr habt mir die Strafe erläutert.«
Er nickte. »Ich empfange so viele.«
»Seht doch«, sagte Mr. Cascella. »Wir haben eine Menge Geld für die Strafe. Das heißt, nur wenn wir sie heute bezahlen und Richard Cypher auslösen können. Ein Teil des Geldes gehört Leuten, die zu der Spende morgen vielleicht schon nicht mehr bereit sind.«
Der Schmied schob ihm vier weitere Goldmünzen über den Tisch. Die dunklen Augen des Protektors schienen nicht beeindruckt.
»Das Geld gehört dem Volk. Es gibt viel Bedürftigkeit.«
Nicci nahm an, dass sich diese Bedürftigkeit im Wesentlichen auf seine eigene Tasche bezog und dass er sich nur deshalb zierte, weil er ein noch besseres Angebot rausschinden wollte. Als wollte er den unausgesprochenen Vorwurf entkräften, schob Volksprotektor Muksin die acht Goldmünzen – ein Vermögen nach jedem normalen Maßstab – zurück über den Tisch.
»Der Betrag wird nicht hier entrichtet; wir haben dafür keine Verwendung. Wir sind bescheidene Diener des Ordens. Für gewöhnlich wird die Höhe der Strafe im Hauptbuch vermerkt, doch dafür müsstet Ihr es einem Bürgerkomitee für die Verteilung an die Bedürftigen aushändigen.«
Nicci war überrascht, dass sie sich in dem Mann getäuscht hatte.
Er war tatsächlich ein ehrlicher Beamter. Das verlieh dem Handel einen völlig anderen Charakter. Sie schöpfte neue Hoffnung. Vielleicht würde es doch gar nicht so schwierig werden, Richard freizubekommen.
Hinter ihr, auf der anderen Seite der niedrigen Trennwand, drängten sich wehklagende Frauen, weinende Kinder und betende Bürger. Nicci bekam in dem von Gestank erfüllten, stickig heißen Saal kaum Luft. Sie hoffte, der Beamte ließe sich dazu bewegen, den Fall schnell abzuwickeln, damit er sich der kleinen Gruppe aus Gardisten annehmen konnte, die in den Nebenräumen auf Papiere und Anweisungen warteten.
»Ihr macht jedoch einen Fehler«, fügte der Protektor hinzu, »wenn Ihr glaubt, Ihr könntet die Freilassung dieses Mannes mit Geld erkaufen. Das Leben eines Einzelnen interessiert den Orden nicht, denn kein einziges Menschenleben ist wirklich von Bedeutung. Ich bin geneigt, Euch zu raten: Behaltet das Geld – bis wir Gelegenheit hatten, zu prüfen, wie es möglich ist, dass jemand über einen derart hohen Geldbetrag verfügt. Meiner Ansicht nach muss dieser Mann eine zerstörerische Wirkung auf die bürgerliche Ordnung haben, wenn er so viel Unterstützung weckt. Kein einzelner Mann ist besser als die anderen. Dass er so viel Geld beschaffen kann, um sich durch Bestechung von seiner gerechten Strafe freizukaufen, bestätigt meinen Verdacht, dass er etwas zu gestehen hat.«
Sein Stuhl knarrte, als er sich zurücklehnte, um sie genau in Augenschein zu nehmen. »Wie es scheint, seid Ihr drei nicht dieser Meinung – und haltet ihn für besser als andere.«
»Ach was«, meinte der Schmied ganz beiläufig, »er ist bloß unser Freund.«
»Der Orden ist Euer Freund. Eure Sorge sind die Bedürftigen. Es steht Euch nicht an, einen Menschen anderen vorzuziehen. Ein derart unziemliches Verhalten kommt einer Gotteslästerung gleich.«
Die drei vor dem Schreibtisch verstummten. Das Wehklagen in ihrem Rücken, das Jammern und das von Panik erfüllte Beten um diejenigen, die tief unten in der Dunkelheit einsaßen, hielt unvermindert an. Was immer sie vorbrachten, es schien den Mann nur noch mehr gegen sie aufzubringen.
»Wenn er etwas gelernt hätte, lägen die Dinge vielleicht anders. Es besteht ein großer Bedarf an gelernten Arbeitskräften, die den Orden unterstützen. Viele zögern, statt alles daranzusetzen, ihren Beitrag zu leisten. Wer etwas kann, hat auch die Pflicht –«
Dann wurde es Nicci in einem einzigen gleißenden Augenblick schlagartig klar.
Sie trat näher an den Tisch heran. »Er ist der größte…«
»Größe ist eine Selbsttäuschung der Sündhaften. Alle Menschen sind gleich, sie sind von Natur aus böse und müssen daher alles daransetzen, ihre minderwertige Natur zu überwinden, indem sie ihr Leben selbstlos in den Dienst der guten Sache stellen und ihren Mitmenschen helfen. Allein völlige Selbstlosigkeit befähigt den Menschen, sich den Lohn im Leben nach dem Tode zu verdienen.«
Mr. Cascella ballte die Fäuste und war bereits im Begriff, sich vorzubeugen. Wenn er jetzt, in diesem Augenblick, widersprach, wäre ihre Sache unrettbar verloren. Nicci verpasste ihm einen kräftigen Tritt mit der Seite ihres Fußes, in der Hoffnung, ihn zu überzeugen, den Mund zu halten und das Reden ihr zu überlassen, bevor alles zu spät war. Gesenkten Hauptes trat Nicci einen Schritt zurück, womit sie den Schmied zwang, beiseite zu treten, ohne dass es allzu offensichtlich aussah.
»Ihr seid weise, Protektor Muksin. Wir können Wertvolles von Euch lernen. Bitte verzeiht die unziemlichen Worte einer bedauernswerten Gemahlin. Ich bin eine einfache Frau, erfüllt von Demut und verwirrt in Gegenwart eines Vertreters der Bruderschaft des Ordens.«
Verdutzt enthielt sich der Protektor einer Antwort. Mehr als ein Jahrhundert lang hatte Nicci sich derartiger Formulierungen bedient und war sich ihrer Nützlichkeit bewusst. Sie hatte diesem Mann, der nicht mehr war als ein kleiner Beamter, einen Rang im Zentrum des Ordens – in der eigentlichen Bruderschaft – zugestanden, den er niemals würde erlangen können. Er war genau jene Sorte Mann, die danach strebte, sich mit gesellschaftlichen Verdiensten zu schmücken. Ihm einen solchen intellektuellen Rang zuzuschreiben, das war für einen Mann wie ihn dasselbe, wie ihn tatsächlich zu erlangen; der äußere Schein war für diese Männer Wirklichkeit. Der äußere Schein war es, der zählte, nicht die tatsächliche Leistung. »Und worin besteht nun das Können dieses Mannes?«
Nicci neigte abermals ihr Haupt. »Richard Cypher ist ein noch unbekannter Bildhauer, Protektor Muksin.«
Die beiden Männer rechts und links von ihr machten ein ungläubiges Gesicht.
»Ein Bildhauer?«, wiederholte der Protektor, in Gedanken bei dem Wort verweilend.
»Ein namenloser Künstler, der nur eine einzige Hoffnung im Leben hegt: Er möchte eines Tages mit Stein arbeiten können, um die Schlechtigkeit der Menschen aufzuzeigen und ihnen auf diese Weise vielleicht zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass sie anderen und dem Orden Opfer bringen müssen; dadurch hofft er, sich seinen Lohn im Leben nach dem Tode zu verdienen.«
Der Schmied hatte sich rasch erholt und setzte noch eins drauf: »Wie Ihr vielleicht wisst, waren viele der Bildhauer am Ruhesitz Verräter – dem Schöpfer sei Dank hat man sie entdeckt –, daher ist noch viel zum Ruhme des Ordens in Stein zu meißeln. Das kann Euch Bruder Narev bestätigen, Protektor Muksin.«
Der Protektor betrachtete die drei nacheinander aus seinen dunklen Augen. »Wie viel Geld habt Ihr dabei?«
»Zweiundzwanzig Goldtaler«, antwortete Nicci.
Er runzelte tadelnd die Stirn, während er das Hauptbuch heranzog und seine Feder in ein aus Stein geschliffenes Tintenfass tauchte. Der Protektor beugte sich vor und trug die Strafe in sein Buch ein. Als Nächstes notierte er eine Anweisung auf ein Stück Papier, das er dem Schmied reichte.
»Bringt dies zum Versammlungssaal der Arbeiter bei den Docks« – er deutete mit seiner Tintenfeder hinter sie –, »diese Straße hinunter. Ich werde den Gefangenen freilassen, sobald Ihr mir ein Siegel des Arbeiterkollektivs vorlegt, welches beweist, dass die Strafe an jene Personen ausbezahlt wurde, denen das Geld am ehesten zusteht – den Bedürftigen. Richard Cypher muss seines gesamten unrechtmäßig erworbenen Besitzes entledigt werden.«
Richard war es, dem es am ehesten zustand, fand Nicci voller Bitterkeit. Er hatte es verdient, nicht diese anderen Kerle. Nicci musste an all die Nächte denken, die er ohne Schlaf und ohne etwas zu essen durchgearbeitet hatte. Sie erinnerte sich, wie er stöhnend zu Bett gegangen war, weil ihm der Rücken von der Plackerei schmerzte. Richard hatte dieses Geld verdient – das war ihr jetzt klar geworden. Die Männer, die es jetzt bekommen würden, hatten nichts dafür getan, außer es zu begehren und daraus ihr Recht abzuleiten.
»Sehr wohl, Protektor Muksin«, erwiderte Nicci und verbeugte sich. »Ich danke Euch für Euren weisen Entschluss.«
Mr. Cascella stieß einen leisen Seufzer aus, derweil Nicci sich noch einmal vertraulich an den Protektor wandte.
»Wir werden Eure gerechten Anweisungen umgehend ausführen.« Sie setzte ein unterwürfiges Lächeln auf. »Dürfte ich Euch, da Ihr uns in dieser Angelegenheit so wohlwollend behandelt habt, um eine weitere unbedeutende Gefälligkeit bitten?« Es war eine Menge Gold, die man ihm für seine Bemühungen zugunsten des Ordens gutschreiben würde; sie wusste, dass er in diesem Augenblick großzügiger Laune sein würde. »Im Grunde frage ich mehr aus Neugier.«
Ihm entfuhr ein genervtes Stöhnen. »Was wollt Ihr wissen?«
Nicci beugte sich noch näher zu ihm, so nahe, dass sie seinen schalen Schweiß riechen konnte. »Den Namen der Person, die meinen Ehemann angezeigt hat; den Namen dessen, der Richard vor den Richter gebracht hat.«
Nicci wusste, im Augenblick ging ihm nur ein Gedanke durch den Kopf: dass Männer eher in die Bruderschaft aufgenommen wurden, wenn sie halfen, große Summen für die Bedürftigen einzutreiben. Die Frage des Namens wäre nicht mehr als eine lästige Mücke, die ihn in seinen wohligen Gedanken störte. Er zog einige Papiere heran, die er überflog und nach der Durchsicht hektisch beiseite legte.
»Hier steht es«, verkündete Protektor Muksin schließlich. »Richard Cypher wurde von einem jungen Soldaten angezeigt, der sich freiwillig zur Armee der Imperialen Ordnung gemeldet hat. Sein Name lautet Gadi. Der Bericht ist einige Monate alt; es hat eine Weile gedauert, dafür zu sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird, doch am Ende ist der Orden darin stets erfolgreich. Aus diesem Grunde nennen wir unseren Großen Kaiser auch ›Jagang den Gerechten‹.«
Nicci richtete sich auf. »Ich danke Euch, Protektor Muksin.«
Ihr ruhiges Gesicht ließ ihre innere Aufgewühltheit darüber, dass dieser kleine Schurke für sie unerreichbar war, nicht erahnen. Gadi hatte es verdient, zu leiden.
Während der Protektor seine Strafe für einen Verstoß gegen das Zivilrecht notierte, erklärte er: »Bringt den Strafbefehl, den ich Euch gegeben habe, zum Arbeiterkollektiv bei den Docks, und kehrt hierher zurück, sobald Ihr im Besitz der Siegel seid, die nachweisen, dass seine Strafe von zweiundzwanzig Goldtalern voll entrichtet wurde.
Des Weiteren erhält Richard Cypher die Auflage, sich beim Kollektiv der Bildhauer zu melden, wo man ihm eine Aufgabe zuteilen wird.« Er überreichte ihr das Schreiben mit den Anweisungen. »Ab sofort ist Richard Cypher Bildhauer des Ordens.«
Die Sonne war bereits im Begriff unterzugehen, als sie mit sämtlichen Dokumenten und Siegeln wiederkamen. Die Art, wie Nicci nach dem Scheitern des Bestechungsversuchs mit den Goldmünzen mit dem Beamten umgesprungen war, hatte den Schmied sichtlich beeindruckt. Ishaq wurde nicht müde, ihr zu danken. Für sie zählte nur, dass man Richard freilassen würde.
Sie war erleichtert, dass sie sich getäuscht hatte und Richard schließlich doch kein Betrüger und Dieb war.
Mr. Cascella, Ishaq und Nicci warteten vor dem Seiteneingang der Festung. Die Schatten wurden dunkler; schließlich öffnete sich die Tür. Zwei Gardisten traten, Richard zwischen sich, heraus auf den Treppenabsatz. Als die drei Richard erblickten, als sie sahen, in welchem Zustand er sich befand, entfuhr Mr. Cascella ein leiser Fluch; Ishaq sprach ein stilles Gebet.
Die Gardisten ließen Richard los und versetzten ihm einen Stoß, sodass er nach vorn stolperte. Ishaq und der Schmied eilten zur Treppe, um ihn zu stützen.
Richard fing sich und richtete sich auf, eine dunkle, aufrechte Gestalt im letzten Tageslicht, die den langen Schatten ringsum trotzte. Mit ausgestreckter Hand befahl er den beiden Männern, zu bleiben, wo sie waren. Die beiden verharrten, einen Fuß auf der untersten Stufe, trotz allem bereit, ihm zu Hilfe zu eilen, sollte er sie brauchen. Nicci vermochte sich nicht vorzustellen, welche Schmerzen es Richard bereiten musste, so sicher, aufrecht und elegant die Stufen hinunterzusteigen, ganz ohne Hilfe, so als wäre er ein freier Mann.
Noch wusste er nicht, was sie ihm angetan hatte.
Nicci war sich darüber im Klaren, dass sie Richard in keine schlimmere Lage hätte bringen können. Selbst die Foltern in den Tiefen der Festung waren nicht so furchtbar wie jene Strafe, zu der sie ihn soeben verurteilt hatte.
Sie war überzeugt, dadurch endlich jene Antwort erzwingen zu können, die sie suchte – sofern es tatsächlich eine Antwort zu finden gab.