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Der Aufstand währte genau einen Tag. Richard blieb zu Hause und bat auch Nicci, das Haus nicht zu verlassen. Er erklärte ihr, ihm seien Gerüchte zu Ohren gekommen, dass es Ärger geben könnte, und fügte hinzu, er wolle nicht, dass ihr etwas zustieß.

Die Säuberungen des Ordens unter den Aufständischen dagegen nahmen eine ganze Woche in Anspruch. Wer an den Umzügen teilgenommen hatte, wurde entweder gleich auf offener Straße erschlagen oder von den Gardisten der Stadtwache gefangen genommen. Die Gefangenen wurden verhört, bis sie schließlich die Namen anderer preisgaben. Wer vom Orden verhört wurde, gab stets etwas preis.

Die Wellen von Verhaftungen, Geständnissen und weiteren Verhaftungen zogen ihre Kreise durch die ganze Stadt und erstreckten sich über etliche Tage. Hunderte von Männern wurden im Himmel begraben. Nach und nach wurden die Unruheherde einer nach dem anderen ausgetreten. Die Asche von Trauer und Reue legte sich auf jede Zunge, während die Menschen versuchten, das Ganze zu vergessen. Die Umzüge fanden kaum noch Erwähnung, ganz so, als hätten sie niemals stattgefunden.

Am Ende kehrte Richard wieder auf seine Arbeitsstelle in dem Fuhrunternehmen zurück, statt zu riskieren, des Nachts mit seinem Wagen herumzufahren. Jori war überaus wortkarg, während sie durch die Straßen rollten, vorbei an den Pfählen, an denen die im Himmel beerdigten Leichen vor sich hin faulten.

Jori und Richard machten Fahrten hinaus zu den Minen, um Erz für die Gießereien abzuholen. Sie unternahmen eine Tour zu einem etwas östlich der Stadt gelegenen Sandsteinbruch. Hin- und Rückweg nahmen einen vollen Tag in Anspruch. Am darauf folgenden Tag lieferten sie die Steine zur Westseite des Ruhesitzes, wo sie für ein Strebewerk benötigt wurden. Auf der anderen Seite der Mauer, drüben in der Nähe jenes Bereiches, wo die Steine behauen wurden, stand eine Reihe von Pfählen, vielleicht fünfzig oder sechzig an der Zahl. Offenbar hatte es auch unter den Arbeitern Säuberungen gegeben.

Auf dem Weg von der Baustelle nahmen sie die Straße, die weiter oben an der Schmiedewerkstatt vorüberführte. Richard sprang vom Wagen ab und rief Jori zu, er wolle den Hang zu Fuß hinauf laufen und werde wieder zu ihm stoßen, sobald der Wagen sich seinen Weg über die kurvenreiche Straße gebahnt hatte. Er sagte, er müsse den Schmied über ihre nächste Lieferung unterrichten.

Victor stand in seiner düsteren Werkstatt und hämmerte auf ein längliches Stück Stahl ein, dessen rot glühendes Endstück er über das Horn seines Ambosses bog. Er sah auf und tauchte das heiße Metall, als er sah, dass es Richard war, in die neben seinem Amboss stehende Flüssigkeit, in der es brodelte und zischte.

»Richard! Was bin ich froh, dich zu sehen.«

Richard fiel auf, dass mehrere von Victors Leuten fehlten. »Sind sie krank?«

Victor schüttelte verbittert den Kopf.

Richard nahm die traurige Kunde mit einem knappen Nicken zur Kenntnis. »Es freut mich, zu sehen, dass du wohlauf bist, Victor. Ich wollte nur kurz vorbeischauen und mich überzeugen, dass dir nichts zugestoßen ist.«

»Mir geht es gut, Richard.« Er ließ den Kopf hängen. »Vielen Dank für deinen Rat. Ich könnte jetzt im Himmel begraben sein.« Er deutete hinüber zum Ruhesitz. »Hast du gesehen? Viele der Steinmetze … sie hängen alle an den Pfählen dort unten.«

Richard hatte die Toten gesehen, aber nicht bemerkt, dass viele von ihnen Steinmetze waren. Er wusste, wie einige von ihnen über die Dinge dachten, die sie in Stein meißelten – und wie sehr sie es verabscheuten, Abbilder des Todes zu schaffen.

»Priska?«

Victor bedachte ihn mit einem verzweifelten Kopfschütteln, zu ergriffen, um sich in Worten auszudrücken.

»Und Faval?«

»Den hab ich gestern noch gesehen.« Victor atmete befreit durch. »Er meinte, du hättest ihm gesagt, er soll zu Hause bleiben und Holzkohle herstellen. Ich glaube, er wird eines seiner Kinder nach dir umbenennen.«

»Falls Priska … was ist mit deinem Spezialstahl?«

Victor gestikulierte mit der Stange, die er mit einer Zange hielt. »Sein Vorarbeiter wird den Betrieb weiterführen. Könntest du vielleicht eine Fuhre Eisen holen fahren? Seit Beginn des Schlamassels habe ich keine Lieferung mehr bekommen. Bruder Narev ist denkbar schlecht gelaunt; er will unbedingt ein paar eiserne Aufleger für die Landungsbrücke. Er ließ durchblicken, dass ein dem Orden der Imperialen Ordnung und dem Schöpfer treu ergebener Schmied es schaffen würde, sie herzustellen.«

Richard nickte. »Ich denke, die Lage hat sich wieder genug beruhigt. Wann?«

»Gebrauchen könnte ich sie jetzt sofort, aber bis übermorgen komme ich noch hin. Ich muss einige dieser Meißel für die Feinarbeiten machen, die so umständlich herzustellen sind, außerdem fehlen mir Leute; allzu lange kann es also nicht warten.«

»Also dann übermorgen. Bis dahin müsste es wieder ausreichend sicher sein.«

Es war bereits nach Sonnenuntergang, als Richard die Straße entlang zu seinem Zimmer ging, das er mit Nicci teilte, im Zwielicht konnte er seinen Weg jedoch noch gut genug erkennen. Er war mit seinen Gedanken gerade bei Victor, als ein halbes Dutzend Männer hinter einem Gebäude hervortrat.

»Richard Cypher?«

Sie waren nicht wie reguläre Truppen der Stadtwache gekleidet, aber das hatte in letzter Zeit nicht übermäßig viel zu bedeuten. Es gab eine Reihe von Spezialagenten in Zivil, die, so erzählte man sich, Jagd auf Unruhestifter machten.

»Das ist richtig. Was wünscht Ihr?«

Er sah, dass jeder der Männer ein Schwert unter seiner leichten Pelerine trug. Alle hatten eine Hand an dem langen Messer, das sie im Gürtel trugen.

»Als vereidigte Beamte des Ordens der Imperialen Ordnung ist es unsere Pflicht, dich wegen des Verdachts auf aufrührerische Umtriebe festzunehmen.«


Als Nicci aufwachte, war Richard noch immer nicht nach Hause gekommen. Missmutig brummend wälzte sie sich auf den Rücken und sah, dass durch die Vorhänge Licht ins Zimmer fiel. Nach dem Winkel der Sonnenstrahlen zu urteilen, musste es kurz nach Sonnenaufgang sein.

Sie gähnte und räkelte sich im Bett, ließ die Arme wieder fallen und starrte gegen die Decke, die saubere, frisch getünchte Decke. Sie spürte, wie ihr Zorn hochkochte. Es brachte sie ganz durcheinander, wenn er über Nacht nicht nach Hause kam, andererseits kam sie sich wie eine Betrügerin vor, wenn sie ihm Vorwürfe machte, weil er so schwer arbeitete. Sie hatte ihm vor Augen führen wollen, wie schwer gewöhnliche Menschen schuften mussten, um sich durchzuschlagen, ihm zeigen wollen, dass der Orden die einzige Hoffnung war, die den ganz normalen Menschen ein besseres Leben zu bescheren vermochte.

Sie hatte ihn gewarnt, sich nicht in die jüngsten Aufstände verwickeln zu lassen, und war froh, als er gar nicht erst versuchte, ihr in diesem Punkt zu widersprechen; überhaupt schien er eher gegen sie eingestellt zu sein. Überrascht war sie, dass er, solange die Menschen durch die Straßen zogen, sogar seine Arbeit schwänzte. Er hatte Kamil und Nabbi schärfstens davon abgeraten, sich an dem Aufstand zu beteiligen.

Jetzt, da die Rebellion niedergeschlagen war und die Behörden viele der Unruhestifter verhaftet hatten, war die Lage wieder sicher, und Richard hatte an seinen Arbeitsplatz zurückkehren können. Der Orden musste größere Anstrengungen unternehmen, um den Menschen ihre Pflicht begreiflich zu machen, den weniger vom Glück Gesegneten das Leben erträglicher zu gestalten, dann würde es auch nicht zu diesen Störungen und heiklen Situationen in den Straßen kommen. Somit hatte auch dies noch sein Gutes.

Nicci spritzte sich Wasser aus der Schüssel ins Gesicht, die Richard eines Tages mit nach Hause gebracht hatte. Das Blumenmuster an ihrem Rand passte zu den lachsfarbenen Wänden und der Brücke, die er von ihrem Ersparten gekauft hatte. Er war zweifellos fleißig, wenn es ihm sogar gelang, von seinem mageren Lohn noch etwas zurückzulegen.

Sie zog ihr verschwitztes Nachthemd aus und wusch sich, so gut es ging, mit einem feuchten Waschlappen. Das war erfrischend. Sie konnte es nicht ausstehen, in Richards Gegenwart verschwitzt und schmutzig zu sein.

Dann sah sie, dass die Schale mit Eintopf, die sie für das Nachtmahl am Abend zuvor gekocht hatte, noch immer auf dem Tisch stand. Er hatte ihr gegenüber nichts davon erwähnt, dass er über Nacht arbeiten musste, manchmal jedoch hatte er keine Zeit, vorher noch zum Essen nach Hause zu kommen. Wenn er nachts arbeitete, kam er gewöhnlich kurz nach Sonnenaufgang heim, sie erwartete ihn also jeden Augenblick zu sehen.

Vermutlich würde er hungrig sein. Vielleicht sollte sie ihm Eier braten; Richard aß gern Eier. Sie merkte, dass sie schmunzelte. Unmittelbar nach dem Aufwachen war sie noch wütend gewesen, und jetzt, da sie darüber nachdachte, was Richard gerne mochte, lächelte sie. Sie fuhr sich mit dem Fingerkamm durchs Haar und konnte es schon jetzt kaum noch erwarten, ihn hereinspazieren zu sehen und zu fragen, ob sie ihm Eier braten solle. Natürlich würde er bejahen, und sie hätte das Vergnügen, etwas zu tun, von dem sie wusste, dass er es gerne mochte.

Sie verabscheute es, Dinge zu tun, von denen sie wusste, dass er sie nicht guthieß.

Mittlerweile lag die schreckliche Nacht mit Gadi mehrere Monate zurück. Es war ein Fehler gewesen, das war ihr im Nachhinein klar geworden. Anfangs hatte sie ihre Freude daran gehabt, nicht etwa, weil sie Sex mit diesem widerwärtigen Rohling wollte, sondern weil Richards Weigerung, sie zu lieben, so demütigend für sie gewesen war, dass sie sich an ihm hatte rächen wollen. Anfangs hatte sie sich ergötzt an dem, was Gadi ihr antat, und sich an den Schmerzen geweidet, die er ihr zufügte, weil Kahlan sie ebenfalls empfand. Nicci hatte es ausschließlich in dem Sinn genossen, dass es eine Strafe dafür war, was er ihr angetan hatte. Nichts schmerzte Richard mehr, als Kahlan wehzutun.

Gadi hasste Richard. Dadurch, dass er Nicci nahm, glaubte er sich an Richard zu rächen und selbst wieder der Größte zu werden. So sehr es ihn nach ihr verlangte, sein Bedürfnis, es Richard heimzuzahlen, war stärker. Richard hatte Gadis Reich erobert und zu seinem eigenen gemacht.

Nicci war nur zu froh, dem kleinen Drangsalierer wieder zu seiner alten Macht zu verhelfen. Sie wusste, jeder aufrichtige Schrei, den Richard hörte, würde ihn daran erinnern, dass Kahlan denselben Schmerz erlitt.

Als Gadi dann aber in wilder Hemmungslosigkeit über sie herfiel, versuchte sie sich einzureden, es sei Richard, versuchte sie, Richard zu bekommen, und sei es mittels eines Stellvertreters. Aber sie konnte sich nicht überwinden, daran zu glauben, nicht einmal um der Wonnen willen, die ihr eine solche Fantasie bereitete. Nicht eine einzige Sekunde konnte sie so tun, als sei es Richard.

Schlimmer noch, Nicci dämmerte, dass Richard mit seinen Worten nicht etwa Kahlan diese Schmerzen hatte ersparen wollen, sondern ihr, Nicci. So sehr er sie auch hassen musste, Richard hatte sich um sie besorgt gezeigt. So sehr er sie hassen musste, er hatte nicht mitansehen wollen, wie sie litt.

Keine andere Bemerkung Richards hätte ihr mehr zu Herzen gehen können. Eine größere Grausamkeit als diese Freundlichkeit hätte er ihr nicht antun können.

Ihre Strafe folgte mit den Schmerzen danach. Nicci schämte sich so sehr über ihre Tat, dass sie Richard gegenüber vortäuschte, sie habe bei diesem Zwischenfall nicht gelitten. Sie wollte ihm die quälende Gewissheit ersparen, dass Kahlan mit ihr litt. Am nächsten Morgen gestand sie Richard, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie erwartete nicht, dass er ihr verzieh; er sollte nur wissen, dass sie sich über ihren Fehltritt im Klaren war und er ihr Leid tat.

Richard erwiderte nichts; er betrachtete sie nur aus seinen grauen Augen, während er ihr, kurz bevor er zur Arbeit ging, zuhörte.

Sie blutete drei Tage lang.

Gadi hatte vor seinen Freunden damit geprahlt, dass er sie gehabt hatte. Um ihre Demütigung noch zu verschlimmern, hatte er sämtliche Einzelheiten ausgeplaudert. Zu Gadis Überraschung waren Kamil und Nabbi außer sich vor Wut über ihn gewesen. Sie waren fest entschlossen, ihm heißes Wachs in die Augen zu träufeln und ihm noch so manch anderes anzutun – was, wusste Nicci nicht genau, aber sie konnte es sich vorstellen. Die Drohung war so todernst gewesen, dass Gadi noch am selben Tag die Flucht ergriffen hatte und in die Armee der Imperialen Ordnung eingetreten war. Er war gerade noch rechtzeitig Soldat geworden, um mit einem frischen Trupp nach Norden in den Krieg zu ziehen. An jenem Tag hatte Gadi sich über Kamil und Nabbi mit der Bemerkung lustig gemacht, er ziehe jetzt in den Krieg, um ein Held zu werden.

Nicci hörte Schritte den Flur entlangkommen. Lächelnd nahm sie drei Eier aus dem Küchenschrank. Statt, wie erwartet, Richard die Tür öffnen zu sehen, hörte sie jemanden anklopfen.

Nicci trat in die Zimmermitte. »Wer ist da?«

»Ich bin es, Nicci, Kamil.«

Der eindringliche Tonfall seiner Stimme bewirkte, dass sich ihre feinen Härchen auf den Armen sträubten.

»Ich bin angezogen. Komm herein.«

Völlig außer Atem platzte der junge Mann zur Tür herein.

Sein Gesicht war genauso kreidebleich wie seine Knöchel auf dem Türgriff; seine Wangen waren tränenverschmiert.

»Richard ist verhaftet worden. Gestern Abend. Sie haben ihn eingesperrt.«

Nicci gewahrte nur am Rande, wie die Eier zu Boden fielen.

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