Es war bereits spät an jenem drückend heißen Nachmittag, als sie auf der Baustelle des Ruhesitzes eintrafen, bei dessen Anblick Richard, der neben Jori auf dem Wagenbock saß, als sie die letzte Hügelkuppe überquerten, von einem Gefühl ehrfürchtiger Scheu ergriffen wurde. Sie war mehr als gewaltig. Aus tausenden von Männern bestehende Kolonnen, die tief unterhalb von ihnen wie Ameisenkolonien aussahen, waren – in Transportketten arbeitend – damit beschäftigt, mit Hilfe von Schaufeln und Körben die Konturen der Landschaft zu verändern.
Jori würdigte das Bauwerk keines Blickes, spuckte nur seitlich aus dem Wagen und brachte auf Richards Fragen bloß ein gelegentliches »Kann schon sein« über die Lippen.
Man war noch immer damit beschäftigt, das Fundament in tiefen Gräben zu verankern, was es Richard, der von der Straße aus hinunterblickte, ermöglichte, den Grundriss des zukünftigen Bauwerkes zu erkennen. Es fiel schwer, sich auszumalen, wie gewaltig das Gebäude letztendlich ausfallen würde. Angesichts der winzigen Punkte, die sich kaum merklich in seiner Nähe bewegten, war es nicht einfach, sich vorzustellen, dass es sich dabei um Menschen handelte.
Der schieren Größe nach konnte es das Gebäude mit allem aufnehmen, was Richard jemals zu Gesicht bekommen hatte. Das Gelände und die Gärten erstreckten sich über Meilen. Soeben war mit der Errichtung von Zierbrunnen und anderen hoch aufragenden Bauten entlang der Zufahrtsstraßen begonnen worden. Auf endlosen Flächen wurden aus Hecken bestehende Irrgärten angelegt, und ganze Hänge waren mit Bäumen übersät, die man nach einem groß angelegten Plan dort eingepflanzt hatte.
Die Vorderseite des Ruhesitzes blickte auf einen in einem Gelände liegenden See, aus dem künftig ein majestätischer Park entstehen sollte. Die schmale Seitenfront des Gebäudes würde sich eine Viertelmeile weit den Fluss entlang hinziehen. Steinernes Pfahlwerk, über dem soeben mit dem Bau einer Reihe von Verbindungsbögen begonnen wurde, reichte bis weit in den Fluss. Offenbar sollte ein Teil des Palastes, dort, wo sich die Anlegestellen für die Vergnügungsboote des Kaisers befanden, über dem Wasser errichtet werden.
Jenseits des Flusses setzte sich die Stadt fort; auch auf der Palastseite des Flusses erstreckte sich die Stadt in alle Richtungen, wenn auch in respektvoller Entfernung von dem Ruhesitz. Sich vorzustellen, wie viele Gebäude und Menschen wegen dieses Bauwerks umgesiedelt worden waren, überstieg Richards Phantasie. Was hier entstand, war keineswegs ein entrückter, abgeschiedener Kaiserpalast; das Bauwerk bildete den absoluten Mittelpunkt von Altur’Rang. Unter Verwendung von Millionen von Pflastersteinen wurden Straßen angelegt, die es den gewaltigen Massen der Bürger der Imperialen Ordnung ermöglichten, bis zu diesem gewaltigen Bauwerk zu gelangen und es zu besichtigen. Bereits jetzt bildeten sich hinter den aus Seilen errichteten Absperrungen Menschentrauben, die den Fortgang der Bauarbeiten verfolgten.
Aller Armut in der Alten Welt zum Trotz konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies ein Kronjuwel von unübertroffener Pracht werden sollte.
Steine verschiedenster Herkunft lagen zu hohen Stapeln aufgeschichtet bereit. In der Ferne konnte Richard sehen, wie Arbeiter sie zu den gewünschten Formen zurechtschnitten. Die drückende Nachmittagshitze war erfüllt vom fernen Klingen aberhunderter Hämmer und Meißel. Man sah Vorräte von Granit und Marmor in einem Sortiment unterschiedlichster Farben sowie gewaltige Mengen von Kalksteinquadern. Spezielle Wagen aus den Steinbrüchen warteten in langen, sich windenden Schlangen darauf, mehr davon anliefern zu können. Die länglichen Steinquader, Stützen genannt, wurden mit Hilfe von Schlaufen unter schwere Tragebalken gebunden, die bis weit über Vorder- und Hinterachse hinausreichten. Für die Steinarbeiter hatte man Hütten und geräumige, offene Schutzdächer aufgestellt, damit sie vom Wetter unabhängig arbeiten konnten. Bauholz lag, in Reihen zu gewaltigen Stapeln aufgeschichtet, unter eigens für diesen Zweck errichteten Bedachungen. Was dort nicht untergebracht werden konnte, war mit Zeltplanen abgedeckt worden. Kleine Berge der Grundbestandteile für die Herstellung von Mörtel türmten sich verstreut um das gesamte Fundament und sahen aus wie Ameisenhügel, eine Illusion, die durch die zahllosen dunklen Punkte der Arbeiter noch unterstrichen wurde.
Die Schmiedewerkstatt lag ein wenig abseits der eigentlichen Baustelle, an einer Straße, die sich ihren Weg an einem Hang entlang und mitten durch eine kleine Ansiedlung aus frisch errichteten, die gesamte Baustelle überblickenden Werkstätten bahnte. Verglichen mit ähnlichen Betrieben, die Richard bereits früher gesehen hatte, war sie ziemlich groß. Natürlich hatte Richard noch nie bei der Errichtung eines Gebäudes dieser Größenordnung zugeschaut. Er hatte prachtvolle, bereits fertig gestellte Bauwerke gesehen, das schon, doch der Anblick eines solchen Gebäudes in seinem Entstehungsstadium war zugleich überraschend und verwunderlich; allein die schieren Ausmaße konnten einem die Orientierung rauben.
Jori setzte sein Gespann gekonnt zurück und stellte den Wagen mit der Rückseite genau vor die offen stehende Doppeltür, hinter der sich ein schwarzes Loch auftat.
»Da wären wir«, lautete Joris Kommentar. Für den schlaksigen Fahrer kam das geradezu einer längeren Ansprache gleich. Er holte einen Laib Brot und einen mit Bier gefüllten Wasserschlauch hervor und kletterte vom Wagen, um sich ein Stück den Hang hinunter ein Plätzchen zu suchen, wo er sich hinsetzen und die Bauarbeiten verfolgen konnte, während Richard das Eisen ablud.
In der Schmiedewerkstatt war es dunkel und drückend heiß, selbst in dem vorderen, zugestellten Lagerraum. Wie in allen Schmieden, waren die Wände im eigentlichen Arbeitsraum schwarz von Ruß. Die Anzahl der Fenster hatte man auf ein Minimum beschränkt; meist waren sie über Kopf angebracht und mit Läden versehen, um den Raum abzudunkeln, damit man den Zustand des glühenden Metalls besser beurteilen konnte.
Obwohl erst vor kurzem für die Arbeit am Palast gebaut, wirkte die Schmiedewerkstatt bereits jetzt, als wäre sie einhundert Jahre alt. Auf fast jedem freien Platz waren Werkzeuge in Schwindel erregender Anordnung und Vielfalt angebracht; es gab reihenweise Werkzeuge, ganze Berge davon. Von den Dachsparren hingen Zangen und Feuerauffangschüsseln, Schmelztiegel, Winkelmaße und Stechzirkel, sowie an große Insekten erinnernde Apparate herab, die aussahen, als könne man damit Gegenstände aneinander klemmen. Niedrige, anscheinend in großer Eile zusammengeschusterte Werkbänke waren rundherum mit langgriffigen Gussformen jeglicher Art behängt. An einigen Bänken waren kleinere Mühlsteine befestigt. Einige Tische hatte man rundherum mit Schlitzen versehen, in denen hunderte von Feilen und Raspeln steckten. Einige dieser niedrigen Tische verschwanden fast unter einem Durcheinander von Hämmern in einer solchen Vielfalt, wie Richard sie noch nie gesehen hatte; ihre Griffe ragten alle nach oben, sodass die Tischplatten riesigen Nadelkissen ähnelten.
Der Fußboden war mit Gerümpel übersät: Kisten, aus denen alle möglichen Einzelteile hervorquollen, Stangen und Nieten, Keile, Roheisenstücke, Reste, Stemmeisen, Holzhaken, verbeulte Töpfe, hölzerne Spannvorrichtungen, Blechscheren, Kettenstücke, Rollen sowie ein Sortiment von Spezialaufsätzen für die Ambosse. Alles war mit einer Schicht aus Ruß, Staub oder Metallspänen überzogen.
Breite, niedrige Wannen standen rings um die Ambosse, an denen Männer auf glühendes, mit Zangen gehaltenes Eisen hämmerten, um es abzuflachen oder breit zu schlagen, einzukerben, vierkantig zu formen oder mit kurzen, heftigen Schlägen zu bearbeiten. Das glühende Metall protestierte zischend und qualmend, sobald es in die Flüssigkeit getaucht wurde. Andere Männer benutzten das Ambosshorn, um mit Zangen gehaltenes, kleinen Stücken eines Sonnenaufgangs ähnelndes Metall zu biegen. Sie hielten diese faszinierenden Werkstücke in die Höhe, verglichen sie mit einer Vorlage, behämmerten das Metall noch ein wenig länger und prüften es erneut.
In all dem Lärm konnte Richard kaum einen klaren Gedanken fassen.
Inmitten der Dunkelheit betätigte ein Mann einen riesigen Blasebalg, indem er sich beim Leerhub mit seinem ganzen Gewicht auf ihn stützte. Der Luftstoß brachte das Feuer zum Tosen. Holzkohle quoll aus Körben hervor, die überall dort standen, wo Platz für sie war. In den Ecken standen Rohre und einzelne Metallreste. Metallreifen lehnten an Bänken und Bohlen; manche dieser Reifen waren für Fässer vorgesehen, die größeren für Wagenräder. Da und dort lagen Zangen und Hämmer auf dem Fußboden herum.
Die gesamte Werkstatt bot das reizvollste Durcheinander, das Richard je gesehen hatte.
Nicht weit entfernt, in der Nähe einer in eine weitere Werkstatt führenden Tür, stand ein Mann in einer Lederschürze. Er hielt eine mit einem Gewirr aus Linien bedeckte Schiefertafel vor sich, während er einen großen, aus Metallstangen bestehenden Apparat in dem dahinterliegenden Raum betrachtete. Richard wartete, da er den Mann nicht in seiner Konzentration stören wollte. Die deutlich hervortretenden Muskeln seiner rußigen Arme glänzten vor Schweiß. Der Mann tippte mit dem Kreidestück gegen seine Lippen, während er sich über irgendetwas den Kopf zerbrach, dann wischte er eine Linie auf der Schiefertafel aus und zeichnete sie, ihre Verbindungspunkte versetzend, wieder ein.
Richard betrachtete die Zeichnung stirnrunzelnd. Irgendwie erschien sie ihm vertraut, obwohl der Gegenstand darauf nicht klar zu erkennen war.
»Seid Ihr möglicherweise der Schmiedemeister?«, erkundigte sich Richard, als der Mann kurz innehielt und über seine Schulter schaute.
Sein einschüchternder, finsterer Blick schien sich für immer in seine Stirn gegraben zu haben. Sein Haar trug er bis dicht über den Schädel gestutzt, eine in der Nähe von so viel offenem Feuer und weißglühendem Metall durchaus sinnvolle Angewohnheit, die sein bedrohliches Auftreten noch unterstrich. Er war von durchschnittlicher Größe und kräftig gebaut, aber sein Gesichtsausdruck besagte, dass er jedem Ärger, der seinen Weg kreuzen mochte, gewachsen war. Den Bewegungen und Blicken der anderen Männer nach zu urteilen, fürchteten sie diesen Mann.
Von einem unerklärlichen Zwang ergriffen, deutete Richard auf die Linie, die der Mann soeben eingezeichnet hatte. »Das ist nicht richtig. Was Ihr da gerade eingezeichnet habt, ist nicht korrekt. Das obere Ende stimmt, aber das untere gehört eigentlich dorthin, und nicht dahin, wo Ihr es eingetragen habt.«
Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Weißt du überhaupt, was das ist?«
»Na ja, nicht genau, aber ich…«
»Wie kannst du dich dann erdreisten, mir erklären zu wollen, wo diese Strebe hingehört?«
Der Mann machte ein Gesicht, als wollte er Richard in die Esse stopfen und einschmelzen.
»Das weiß ich auf Anhieb auch nicht so genau, aber irgendetwas sagt mir einfach…«
»Ich kann nur hoffen, dass du derjenige bist, der das Eisen bringt.«
»Bin ich«, erwiderte Richard, der froh war, das Thema wechseln zu können, und sich insgeheim wünschte, er hätte gar nicht erst den Mund aufgemacht. Er hatte doch nur helfen wollen. »Wo wollt Ihr, dass ich das…«
»Wo hast du eigentlich den ganzen Tag gesteckt? Man hat mir fest zugesagt, dass es gleich heute früh als erstes geliefert wird. Was hast du gemacht? Bis mittags geschlafen?«
»Äh, nein, Sir. Wir sind heute Morgen gleich als Erstes zur Gießerei gefahren. Ishaq hat mich sofort nach Tagesanbruch dorthin geschickt. Aber der Mann in der Gießerei hatte Schwierigkeiten, weil er…«
»Interessiert mich nicht. Du hast gesagt, du hast das Eisen dabei. Es ist ohnehin schon spät genug. Sieh zu, dass du es abgeladen kriegst.«
Richard sah sich um. Jedes Fleckchen schien besetzt.
»Wohin wollt Ihr es haben?«
Der Schmiedemeister sah sich wütend in dem drangvoll engen Raum um, so als erwartete er, einige der Stapel würden sich von ihren Plätzen erheben und sich ihm zuliebe entfernen. Den Gefallen taten sie ihm nicht.
»Wärst du zum vereinbarten Zeitpunkt hier gewesen, hättest du es dort drüben, unmittelbar hinter der Tür zum vorderen Vorratsraum, ablegen können. Aber inzwischen haben sie diese riesige Steinschleife gebracht, die geschweißt werden muss, also wirst du das Eisen draußen im Hinterhof abladen müssen. Das nächste Mal stehst du ein bisschen früher auf.«
Richard gab sich Mühe, höflich zu bleiben, aber langsam war er es Leid, heruntergeputzt zu werden, nur weil der Schmied einen schlechten Tag hatte.
»Ishaq gab mir in aller Deutlichkeit zu verstehen, dass Ihr das Eisen unbedingt heute braucht, und erteilte mir den Auftrag, mich darum zu kümmern. Ich habe Euer Eisen dabei, im Übrigen wüsste ich nicht, wer Euch sonst so kurzfristig hätte beliefern können.«
Die Hand mit der Schiefertafel senkte sich. Zum allerersten Mal widmete der Mann die ganze Aufmerksamkeit seines zornigen Funkelns Richard. Wer von den Arbeitern Richards Worte mitbekommen hatte, entfernte sich eilends, um sich mit anderen wichtigen und vor allem weiter entfernten Dingen zu befassen.
»Wie viel Eisen hast du mitgebracht?«
»Fünfzig Barren zu je acht Fuß.«
Der Mann atmete hörbar verärgert aus. »Bestellt habe ich einhundert. Ich weiß nicht, wieso man mir einen Idioten mit einem Wagen schickt, wenn…«
»Wollt Ihr hören, wie es war, oder wollt Ihr nur jemanden anbrüllen? Wenn Ihr einfach nur blindwütig und sinnlos herumtoben wollt, bitte, nur zu, es kränkt mich nicht besonders, angeschrien zu werden. Solltet Ihr irgendwann wissen wollen, wie sich die Dinge in Wahrheit verhalten, dann sagt mir Bescheid, und ich erkläre es Euch.«
Der Schmied musterte ihn einen Augenblick lang schweigend, ein Bulle, von einer Biene aus dem Konzept gebracht. »Wie heißt du?«
»Richard Cypher.«
»Und wie verhalten sich die Dinge nun in Wahrheit, Richard Cypher?«
»Die Gießerei wollte den Auftrag ausführen, ihr Vorrat an Eisenbarren reicht bis unters Dach, nur bekommen sie es nicht ausgeliefert. Sie wollten mir den Auftrag in vollem Umfang mitgeben, doch ein dort stationierter Transportaufseher weigerte sich, uns die vollen einhundert Barren zu bewilligen, weil dann die anderen Fuhrunternehmen, deren Wagen jedoch nicht einsatzfähig sind, dieselben Fuhren bekommen müssten.«
»Aha, deshalb dürfen Ishaqs Wagen nicht mehr als den ihm zustehenden Anteil befördern; und diese Zuteilung belief sich eben auf fünfzig Barren.«
»Ganz genau«, bestätigte Richard. »Zumindest, bis die übrigen Betriebe wieder im Stande sind, mehr Fracht zu transportieren.«
Der Schmied nickte. »In der Gießerei ist man ganz versessen darauf, mir alles Eisen zu verkaufen, das ich gebrauchen kann, nur bekomme ich es nicht hierhergeschafft. Selbst darf ich es nicht befördern – um Transportarbeiter wie dich nicht um ihre Arbeit zu bringen.«
»Hätte ich zu entscheiden«, erwiderte Richard, »ich würde noch heute eine weitere Fuhre abholen, aber man erklärte mir, man könne mir frühestens nächste Woche wieder etwas überlassen. Ich schlage vor, Ihr bringt jedes Fuhrunternehmen, das Ihr finden könnt dazu, Euch eine Wagenladung zu liefern. Auf diese Weise habt Ihr bessere Chancen, zu bekommen, was Ihr braucht.«
Zum ersten Mal ging ein Lächeln über das Gesicht des Schmieds; er machte sich über die Torheit von Richards Einfall lustig. »Glaubst du vielleicht, darauf wäre ich nicht längst selbst gekommen? Sie alle haben Bestellungen von mir vorliegen. Ishaq ist zurzeit der Einzige mit einem einsatzfähigen Fuhrpark. Alle anderen haben entweder Probleme mit ihren Wagen, mit den Zugtieren oder ihren Arbeitern.«
»Immerhin habe ich fünfzig Barren für Euch.«
»Damit lange ich gerade für den Rest des Tages und den nächsten Vormittag hin.« Der Schmied drehte sich um. »Hier entlang. Ich zeige dir, wo du sie stapeln kannst.«
Er führte Richard durch die völlig zugestellte Werkstatt, mitten durch das Durcheinander aus Arbeit und Material. Sie gingen, den Lärm hinter sich zurücklassend, durch eine Tür und einen kurzen Verbindungsgang und betraten ein ruhiges, an den rückwärtigen Teil angebautes, aber separates Gebäude. Der Schmied löste einen an einer Querleiste befestigten Strick und ließ eine Klappe herunter, mit der eines der Dachfenster abgedeckt war.
Licht flutete in die Mitte des großen Raumes, in dem ein riesiger Marmorblock stand. Richard starrte das überwältigende steinerne Herzstück eines Berges an.
In einer Schmiedewerkstatt wirkte es völlig fehl am Platz. Am fernen Ende gab es eine hohe Doppeltür, durch die man den Monolithen auf Rollen hereingeschoben hatte. Den übrigen Raum rund um den hoch aufragenden Stein hatte man freigelassen. Meißel aller Art und Holzschlägel in unterschiedlichen Größen ragten aus den Schlitzen in den pechschwarzen Wänden.
»Du kannst die Barren hier auf dieser Seite absetzen. Und nimm dich beim Hereintragen in Acht.«
Richard kniff die Augen halb zu, fast hätte er vergessen, dass der Mann dort neben ihm stand. Die glänzende Beschaffenheit des Steins vor ihm hielt ihn noch immer gefangen. »Ich werde aufpassen«, sagte er, ohne den Schmied anzusehen. »Ich werde nicht gegen den Stein stoßen.«
Der Mann wollte gerade gehen, als Richard fragte: »Meinen Namen habe ich Euch verraten. Wie lautet Eurer?«
»Cascella.«
»Weiter nichts?«
»Doch. Mister. Und sieh zu, dass du nichts davon vergisst.«
Lächelnd folgte Richard dem Mann nach draußen. »Geht in Ordnung, Sir. Mr. Cascella. Dürfte ich fragen, was das ist?«
Der Schmied wurde langsamer, blieb stehen und wandte sich um. Er starrte den in Licht gebadeten Marmorblock an, als wäre er eine geliebte Frau.
»Nichts, was dich etwas anginge, genügt dir das?«
Richard nickte. »Ich frage nur deshalb, weil es ein so wunderschöner Stein ist. Sonst habe ich Marmor immer erst gesehen, nachdem man eine Statue oder etwas anderes daraus gemacht hatte.«
Mr. Cascella betrachtete Richard, wie dieser den Stein bewunderte. »Hier auf der Baustelle liegt überall Marmor herum, tausende von Tonnen. Das hier ist nur ein kleines Stück. Und jetzt sieh zu, dass du meine zusammengestrichene Lieferung Eisen ablädst.«
Nach getaner Arbeit war Richard schweißgebadet und verdreckt, nicht nur von den Eisenbarren, sondern auch vom Ruß aus der Schmiedewerkstatt. Er erkundigte sich, ob er etwas Wasser aus der Regentonne benutzen dürfe, in der die Männer sich wuschen, wenn sie sich für den Feierabend fertig machten. Man erklärte ihm, er solle sich einfach bedienen.
Nachdem er sich gewaschen hatte, traf Richard Mr. Cascella allein in der plötzlich stillen Werkstatt an, wo er wieder an seiner Schiefertafel stand, Korrekturen an der Zeichnung vornahm und Zahlen am Rand notierte.
»Ich bin fertig, Mr. Cascella. Die Barren habe ich ein gutes Stück seitlich vom Marmorblock abgeladen.«
»Danke«, brummte dieser.
»Was dagegen, wenn ich frage, wie viel Ihr für diese fünfzig Eisenbarren bezahlen müsst?«
Das wütende Funkeln kehrte zurück. »Was geht dich das an?«
»Nach dem, was ich in der Gießerei gehört habe, hoffte der Mann dort, den Auftrag in vollem Umfang auszuführen, um dreieinhalb Goldtaler kassieren zu können, und da Ihr die halbe Lieferung erhalten habt, werdet Ihr vermutlich eindreiviertel Goldtaler für die fünfzig Eisenbarren bezahlen müssen. Ist meine Rechnung korrekt?«
Das Funkeln wurde finsterer. »Wie ich schon sagte, was geht dich das an?«
Richard stopfte seine Hände in die Gesäßtaschen. »Nun, ich habe mich gefragt, ob Ihr möglicherweise gewillt wärt, mir weitere fünfzig Barren für anderthalb Goldtaler abzukaufen.«
»Dann bist du also obendrein auch noch ein Dieb.«
»Nein, Mr. Cascella, ein Dieb bin ich nicht.«
»Wie willst du mir dann Eisen für einen um einen Vierteltaler geringeren Preis verkaufen als die Gießerei? Verhüttest du nebenbei nachts auf deinem Zimmer ein wenig Eisenerz, Richard Cypher?«
»Wollt Ihr mein Angebot nun hören oder nicht?«
Er verzog verdrießlich den Mund. »Also red schon.«
»Der Mann in der Gießerei war außer sich, weil man ihm nicht gestattete, Eure volle Lieferung zu befördern. Er besitzt mehr Eisen, als er losschlagen kann, weil man ihm nicht erlaubt, es selber auszuliefern, und die Fuhrunternehmen sitzen in der Klemme, weshalb sie sich gar nicht erst blicken lassen. Er meinte, er sei bereit, es mir für einen geringeren Preis zu überlassen.«
»Wieso das?«
»Weil er das Geld braucht. Er hat mir seine Kaltwindöfen gezeigt; mit den Lohnzahlungen ist er im Rückstand und benötigt unter anderem Holzkohle, Eisenerz und Quecksilber, hat aber nicht genug Geld, um alles einzukaufen. Das Einzige, was er im Überfluss besitzt, ist verhüttetes Metall. Sein Geschäft wird abgewürgt, weil er sein Erzeugnis nicht an den Mann bringen kann. Ich fragte ihn, für welchen Preis er bereit wäre, mir sein Eisen zu verkaufen, wenn er sich nicht um den Abtransport kümmern müsste und ich es selbst abholen würde. Daraufhin meinte er, wenn ich nach Einbruch der Dunkelheit käme, würde er mir fünfzig Barren für eineinviertel Goldtaler überlassen. Wenn Ihr bereit seid, es mir für anderthalb Goldtaler abzukaufen, besorge ich Euch bis morgen früh, wenn Ihr es, wie Ihr vorhin sagtet, braucht, weitere fünfzig Barren.«
Der Mann starrte Richard offenen Mundes an, so als wäre er ein vor seinen Augen zum Leben erwachter Eisenbarren, der zu sprechen angefangen hätte.
»Du weißt doch, dass ich bereit bin, eindreiviertel Goldtaler zu bezahlen, wieso bietest du es mir dann für eineinhalb an?«
»Weil«, erläuterte Richard, »ich den Preis des Fuhrunternehmens unterbieten möchte, damit Ihr stattdessen bei mir einkauft, und weil ich darauf angewiesen bin, dass Ihr mir zuvor eineinviertel Goldtaler leiht, damit ich die Barren überhaupt erst kaufen und zu Euch schaffen kann. Die Gießerei verkauft sie mir nur, wenn ich sofort bei Abholung bezahle.«
»Und was sollte dich daran hindern, dich mit meinen eineinviertel Goldtalern aus dem Staub zu machen?«
»Mein Wort.«
Der Mann lachte schallend. »Dein Wort? Ich kenne dich nicht mal.«
»Wie schon gesagt, mein Name ist Richard Cypher. Ishaq hat eine Heidenangst vor Euch, und er vertraut darauf, dass ich Euch das Eisen liefere, damit Ihr nicht bei ihm erscheint, um ihm den Kopf abzureißen.«
Mr. Cascella lächelte wieder. »Ich würde Ishaq niemals den Kopf abreißen, ich mag den Burschen. Er sitzt in der Klemme – aber erzähl ihm nicht, dass ich das gesagt habe. Ich will, dass er auch weiterhin ein wenig schwitzt.«
Richard zuckte mit den Achseln. »Wenn Ihr es wünscht, werde ich ihm nicht einmal erzählen, dass Ihr auch lächeln könnt. Ich weiß allerdings, dass Ihr in einer tieferen Klemme sitzt als Ishaq. Ihr müsst Waren an den Orden liefern, deshalb seid Ihr dessen Methoden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.«
Wieder ging ein Lächeln über sein Gesicht. »Wann also wirst du mit deinem Wagen hier sein, Richard Cypher?«
»Ich besitze keinen Wagen. Aber wenn Ihr einverstanden seid, werden Eure fünfzig Barren bis zum Morgengrauen dort drüben« – Richard zeigte auf eine Stelle draußen vor der Doppeltür, wo Jori den Wagen abgestellt hatte – »fein säuberlich gestapelt liegen.«
Mr. Cascella runzelte die Stirn. »Wie willst du die Barren herschaffen, wenn du keinen Wagen besitzt? Etwa zu Fuß?«
»Genau.«
»Hast du den Verstand verloren?«
»Ich besitze keinen Wagen, aber ich will mir das Geld verdienen. So weit ist es auch wieder nicht. Ich schätze, dass ich fünf auf einmal tragen kann. Das ergibt gerade mal zehn Gänge; das ist bis zum Morgengrauen zu schaffen. Ich bin es gewöhnt, zu Fuß zu gehen.«
»Jetzt erzähl mir die ganze Geschichte – warum du das machen willst. Und zwar die Wahrheit.«
»Meine Frau hat nicht genug zu essen. Weil ich arbeitstauglich bin, behält das Arbeiterkollektiv den größten Teil meines Lohns ein und gibt ihn an jene weiter, die nicht arbeiten. Meine Arbeitstauglichkeit macht mich zum Sklaven derer, die entweder nicht arbeiten können oder wollen. Diese Vorgehensweise ermutigt die Menschen, eine Rechtfertigung dafür zu suchen, dass andere für sie sorgen. Das Sklavendasein ist mir abgrundtief zuwider. Indem ich Euch einen günstigeren Preis biete, rechne ich mir aus, Euch dazu verleiten zu können, auf den Handel einzugehen. Davon profitieren wir beide. Eine Hand wäscht die andere.«
»Angenommen, ich lasse mich darauf ein, was hast du mit all dem Geld vor – willst du eine Weile davon leben? Es vertrinken?«
»Ich brauche das Geld, um einen Wagen und ein Pferdegespann zu kaufen.«
Seine Stirn zog sich noch mehr zusammen. »Wozu in aller Welt brauchst du einen Wagen?«
»Ich brauche einen Wagen, um Euch all das Eisen zu liefern, das Ihr mir abkaufen werdet, weil ich es Euch zu einem günstigeren Preis besorgen und Euch liefern kann, wann Ihr es braucht.«
»Willst du etwa im Himmel begraben werden?«
Richard schmunzelte. »Ganz und gar nicht. Ich bin nur zufällig der Meinung, dass der Kaiser es gerne sähe, wenn sein Palast möglichst schnell fertig würde. Nach allem, was ich gehört habe, arbeiten dort unten eine Menge Sklaven – alles Menschen, die gefangen genommen wurden. Aber Sklavenarbeit allein genügt nicht, um ihnen alle Arbeiten abzunehmen, sie brauchen Leute wie Euch und wie in den Gießereien.
Falls die Beamten des Ordens der Imperialen Ordnung tatsächlich daran interessiert sind, dass es mit der Arbeit vorangeht – und sie nicht gezwungen sein wollen, dem Kaiser erklären zu müssen, warum nicht – werden sie bereit sein, ein Auge zuzudrücken. Zwischen diesen beiden Bedürfnissen tut sich ein schmaler Spielraum voller Möglichkeiten auf. Vermutlich werde ich ein paar Beamte bestechen müssen, damit sie anderweitig beschäftigt sind, wenn ich komme, um meine Fuhren abzuholen, aber diese Kosten habe ich bereits einkalkuliert.
Ich werde auf eigene Rechnung arbeiten, nicht für ein Fuhrunternehmen, daher werden sie eher geneigt sein, darin eine Möglichkeit zu sehen, ihre Bedürfnisse erfüllt zu bekommen, ohne dass ihr riesiger Wust von Beschränkungen vorübergehend außer Kraft gesetzt werden müsste.
Ihr werdet Euer Eisen zu einem günstigeren Preis als jetzt bekommen, und ich bin in der Lage zu liefern. Zurzeit könnt Ihr Euren Bedarf nicht einmal für einen höheren Preis decken. Außerdem werdet Ihr mehr verdienen. Wir profitieren beide.«
Der Schmied starrte ihn einen Augenblick lang an, während er den Haken in Richards Plan zu finden versuchte.
»Entweder bist du der dümmste Schurke, der mir je untergekommen ist, oder der … ich weiß nicht einmal, was. Aber Bruder Narev sitzt mir im Nacken, und das ist nicht angenehm, ganz und gar nicht angenehm. Wahrscheinlich sollte ich dir das nicht erzählen, aber du weißt ja, wie sehr Ishaq wegen mir ins Schwitzen gerät. Ich würde zehnmal so viel schwitzen, wenn Bruder Narev hier auftaucht und nachfragt, wieso die Werkzeuge nicht fertig sind. Die Ordensbrüder haben kein Ohr für meine Schwierigkeiten, sie wollen bloß haben, was sie haben wollen.«
»Verstehe, Mr. Cascella.«
Er seufzte. »Also schön, Richard Cypher, eineinhalb Goldtaler für fünfzig Eisenbarren, geliefert bis Tagesanbruch morgen früh – aber jetzt gebe ich dir nur eineinviertel Goldtaler. Das andere Viertel bekommst du morgen früh, wenn mein Eisen hier ist.«
»Abgemacht. Übrigens, wer ist eigentlich dieser Bruder Narev?«
»Bruder Narev? Er ist der Hohepriester…«
»Habe ich jemand meinen Namen erwähnen hören?« Die Stimme war so tief, dass sie fast die Werkzeuge von der Wand der Schmiede gerüttelt hätte.
Richard und der Schmied fuhren herum und erblickten einen Mann, der, um die Ecke der Werkstatt biegend, näher kam. Sein schweres Gewand ließ seinen großen, knochigen Körperbau an mehreren Stellen erahnen. Die tiefen Falten seines Gesichts schienen die aufziehende Dunkelheit geradezu in sich hineinzusaugen. Dunkle Augen schimmerten unter der von einem Gewirr aus weißen und schwarzen Haaren verdeckten Stirn hervor. Die Locken seines drahtigen Haars kräuselten sich über den Ohren um den Rand einer dunklen, geknifften Kappe, die er tief in die Stirn gezogen trug. Er sah aus wie ein zum Leben erwachtes Gespenst.
Mr. Cascella verbeugte sich, Richard folgte seinem Beispiel.
»Wir sprachen gerade über die Schwierigkeiten, Eisen in ausreichender Menge zu beschaffen, Bruder Narev.«
»Wo sind all die neuen Meißel, die ich geordert habe, Schmied?«
»Ich muss erst noch…«
»Ich habe dort unten Steine liegen, aber keine Meißel, um sie zu behauen. Ich habe Steinmetze, die dringend neue Werkzeuge benötigen. Ihr verzögert die Erbauung des Palastes.«
Der Schmied deutete auf Richard. »Das ist Richard Cypher, Bruder Narev. Er war gerade dabei mir zu schildern, wie er mir das Eisen, das ich brauche, möglicherweise beschaffen kann und…«
Der Hohepriester hob eine Hand und bat sich Ruhe aus, dann sah er zu Richard.
»Du kannst dem Schmied besorgen, was er braucht?«, fuhr Bruder Narev Richard an.
»Es wäre zu schaffen.«
»Dann fang augenblicklich damit an.«
Richard verneigte den Kopf. »Zu Befehl, Bruder Narev.«
Die Schattengestalt drehte sich zur Werkstatt um. »Zeig es mir, Schmied.«
Der Schmied schien zu wissen, was der Hohepriester wollte, und folgte ihm, Richard ein Zeichen gebend, er solle mitkommen. Richard verstand; er konnte das Geld für den Ankauf des Eisens nicht bekommen, bevor sich der Schmied nicht um diesen wichtigen Mann gekümmert hatte, der soeben in der düsteren Werkstatt verschwunden war.
Als der Schmied mit den Fingern schnippte und im Vorübergehen auf eine Lampe deutete, schnappte Richard sie sich, entzündete einen langen Span an der Glut der Esse und zündete anschließend die Lampe an. Er hielt sie hinter den beiden Männern in die Höhe, die unmittelbar hinter der Tür des Raumes stehen geblieben waren, in dem der komplizierte Apparat aus Metallgestänge stand.
Mr. Cascella hielt die Schiefertafel ins Licht. Bruder Narev betrachtete erst die Zeichnung auf der Tafel, dann das Geflecht aus Eisendrähten auf dem Boden, und verglich beides miteinander.
Richard spürte ein eiskaltes Kribbeln an seinem Haaransatz, als ihm schlagartig klar wurde, was dieses Ding auf dem Boden war.
Bruder Narev zeigte auf die Zeichnung, auf eben jene Linie, von der Richard behauptet hatte, sie sei verkehrt.
»Die Linie hier stimmt nicht«, knurrte Bruder Narev.
Der Schmied fuchtelte mit seinem Finger über der Kreidezeichnung. »Aber ich muss doch die Masse hier drüben stabilisieren.«
»Ich habe dir gesagt, du sollst Streben anbringen, ich habe dich nicht gebeten, den Grundriss zu verpfuschen. Das obere Ende der Stützstrebe kannst du lassen, wo du sie eingezeichnet hast, das untere Ende sollte … hier befestigt werden.«
Bruder Narev zeigte auf die Stelle, die Richard ebenfalls vorgeschlagen hatte.
Seinen kurz geschorenen Schädel kratzend, warf Mr. Cascella einen verstohlenen Blick über die Schulter auf Richard, gerade lange genug, um ihm sein Missfallen zu bekunden.
»Das könnte funktionieren«, räumte der Schmied ein. »Es wird nicht ganz so einfach werden, aber es wird funktionieren.«
»Wie einfach es wird, ist für mich nicht von Interesse«, erwiderte Bruder Narev mit bedrohlichem Unterton. »Ich will nicht, dass in diesem Bereich etwas befestigt wird.«
»Nein, Sir.«
»Es darf keinerlei Nähte aufweisen, damit sich die Verbindungen und Fugen nicht abzeichnen, wenn es mit Gold überzogen wird. Aber erst einmal lasst meine Werkzeuge herstellen.«
»Jawohl, Bruder Narev.«
Der Hohepriester betrachtete Richard mit unangenehm forschendem Blick. »Irgendetwas an dir … Kenne ich dich?«
»Nein, Bruder Narev. Ich bin Euch noch nie begegnet, daran würde ich mich erinnern. Einem so bedeutenden Mann wie Euch zu begegnen, meine ich.«
Er funkelte Richard misstrauisch an. »Ja, das würdest du vermutlich. Sieh zu, dass du dem Schmied sein Eisen beschaffst.«
»Das sagte ich doch bereits.«
Der Ordensbruder brummte gereizt. »Das stimmt, richtig.«
Als der hochgewachsene, gespenstische Mann Richard unverwandt in die Augen starrte, griff Richard geistesabwesend nach seinem Schwert, um sich durch ein kurzes Anheben zu vergewissern, dass es ungehindert in der Scheide steckte. Das Schwert war nicht da.
Bruder Narev öffnete den Mund und wollte etwas sagen, doch seine Aufmerksamkeit wurde auf die beiden jungen Männer gelenkt, die soeben die Werkstatt betraten.
Sie trugen ebensolche Gewänder wie der Hohepriester, allerdings ohne Kappe; stattdessen hatten sie schlichte Kapuzen über ihren Kopf gezogen.
»Bruder Narev«, rief der eine.
»Was gibt’s, Neal?«
»Das Buch, nach dem Ihr geschickt habt, ist eingetroffen. Ihr hattet uns gebeten, Euch unverzüglich Bescheid zu geben.«
Bruder Narev nickte dem jungen Mann zu, dann bedachte er Mr. Cascella und Richard mit einem verdrießlichen Blick.
»Seht zu, dass es erledigt wird«, meinte er an beide gewandt.
Sowohl Richard als auch der Schmied verneigten das Haupt, als der Hohepriester zur Werkstatt hinausrauschte.
Es war, als wäre soeben eine Gewitterwolke hinter dem Horizont verschwunden.
»Komm mit«, sagte Mr. Cascella. »Ich gehe dein Gold holen.«
Richard folgte ihm in ein winziges Büro, wo der Schmiedemeister eine mit einer massiven Kette an einem im Boden eingelassenen Stift befestigte Geldkassette unter dem Brett hervorzog, das ihm als Schreibtisch diente. Er schloss die Geldkassette auf, griff hinein und drückte Richard dann einen Goldtaler in die Hand.
»Victor.«
Richard hob den Blick von der Goldmünze und runzelte die Stirn. »Was?«
»Victor. Du wolltest wissen, ob zu meinem Namen noch etwas hinzukommt.« Er legte noch einige Silbermünzen zu dem Goldtaler in Richards Hand, um den Betrag von einem Vierteltaler voll zu machen. »Victor.«