Die vollkommen regungslose Luft war drückend heiß und stank nach abgestandener Kloake. Richard wischte sich den Schweiß von der Stirn; wenigstens konnte er sich, solange sein robuster Wagen durch die Straßen rollte, eines bescheidenen Luftzugs erfreuen.
Aus seinen sorgenvollen Gedanken über die Gewissheit gerissen, dass Kahlan und Cara längst die Sicherheit ihrer Hütte in den Bergen verlassen haben mussten, fiel Richard auf, dass für mitten in der Nacht ein ungewöhnliches Maß an Betriebsamkeit herrschte. Schattenhafte Gestalten huschten durch die düsteren Straßen, um hastig in abgedunkelten Gebäuden zu verschwinden. Für kurze Augenblicke fielen Lichtstreifen quer über die Straße, bis die Türen wieder zugezogen waren. Der Mond war aufgegangen, und in den dunkleren Gassen glaubte er Leute zu erkennen, die, ihn beobachtend, warteten, bis er vorüber war, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Das Rattern seiner Wagenräder machte es ihm unmöglich, zu verstehen, was sie womöglich untereinander tuschelten.
Als er in die Straße einbog, die ihn hinaus zum Köhler bringen würde, musste er sein Gespann jäh anhalten, als einige Männer mit Langwaffen auf die Straße traten und ihm den Weg verstellten. Ein Gardist ergriff die Trensen seiner Pferde. Aus der Seitenstraße stürzten weitere Soldaten der Stadtwache hervor und richteten ihre Lanzen auf ihn.
»Was hast du hier draußen zu schaffen?«, fragte ihn eine Stimme seitlich neben seinem Wagen.
Seelenruhig zog Richard den Hebel an, um die Bremse festzuziehen.
»Ich bin im Besitz einer Sondererlaubnis, die es mir gestattet, nachts Güter zu befördern. Sie sind für den Palast des Kaisers bestimmt.«
Gewöhnlich genügten die Worte ›Palast des Kaisers‹, um ihn passieren zu lassen.
Der Gardist machte eine fordernde Handbewegung. »Wenn du eine Sondererlaubnis hast, dann lass mal sehen.«
In dieser Nacht wollten die Gardisten mehr, also nahm Richard des gefaltete Stück Papier aus einer ledernen Schutzhülle unter seinem Hemd und reichte es dem Gardisten hinunter. Man hörte das leise Kreischen von Metall, als der Gardist an seiner Blendlaterne eine winzige Klappe aufschob, sodass ein schmaler Lichtstrahl auf das Dokument fiel. Mehrere Köpfe beugten sich vor, um den Text zu entziffern und die offiziellen Siegel zu prüfen. Sie waren alle echt. Das sollten sie auch – sie hatten Richard schließlich ein kleines Vermögen gekostet.
»Hier, bitte.« Der Gardist gab Richard das Dokument zurück. »Hast du auf deiner Fahrt durch die Stadt irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt?«
»Etwas Ungewöhnliches? Was meint Ihr damit?«
Der Gardist stöhnte genervt. »Hättest du etwas gesehen, müsstest du nicht fragen.« Er wedelte ungeduldig mit der Hand. »Fahr jetzt weiter.«
Richard machte keine Anstalten loszufahren. »Muss ich mir Sorgen machen?« Er tat, als sehe er sich um. »Sind etwa Straßenräuber unterwegs? Bin ich in Gefahr? Ist es für einen Bürger auch sicher, unterwegs zu sein? Ich fahre den Wagen zurück, wenn es gefährlich ist.«
Der Mann lachte spöttisch in sich hinein. »Du hast nichts zu befürchten. Es sind bloß ein paar Narren, die Ärger machen, weil sie nichts Besseres zu tun haben.«
»Das ist wirklich alles? Seid Ihr sicher?«
»Du hast Arbeiten für den Palast zu erledigen. Also mach schon.«
»Jawohl, Sir.« Richard schnalzte mit der Zunge und ließ die Zügel schnellen. Der schwere Wagen ruckte an.
Er hatte keine Ahnung, was im Gange war, vermutete aber, die Gardisten waren unterwegs, um weitere Rebellen aufzugreifen und diese anschließend zu verhören. Wahrscheinlich wünschten sie sich nichts sehnlicher, als auf ihren Posten zurückzukehren, daher würde vermutlich jeder, der ihnen in die Hände fiel, als Rebell enden. Einige Tage zuvor war ein Mann aus Ishaqs Betrieb festgenommen worden; er hatte sich mit selbst gebranntem Schnaps betrunken und eine Versammlung vorzeitig verlassen. Er kam nicht einmal mehr bis nach Hause. Wenige Tage darauf erhielt Ishaq Nachricht, der Mann habe sich der Verbrechen gegen den Orden für schuldig bekannt. Frau und Tochter des Mannes wurden ebenfalls verhaftet. Die Frau war wieder auf freien Fuß gesetzt worden, nachdem man ihr wegen Verleumdung des Ordens sowie hasserfüllter Gedanken über ihre Nachbarn eine festgelegte Anzahl von Peitschenhieben verabreicht hatte. Die Tochter hatte man noch nicht wieder freigelassen. Niemand wusste, wo man sie gefangen hielt.
Nach einer Weile erreichte er den Rand der Stadt, dort, wo sie in offene Felder überging. Richard sog den angenehmen Duft frisch umgepflügter Erde tief in seine Lungen. Die Lichter vereinzelter Farmen funkelten wie einsame Sterne. Schließlich sah Richard im Mondschein den unregelmäßigen Schattenriss des Waldes vor sich. Als er auf den Hof des Holzkohlenhändlers rollte, näherte sich der Köhler, ein nervöser Mann mit Namen Faval, dem Wagen hastig von der Seite her.
»Richard Cypher! Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du kämst überhaupt nicht mehr.«
»Wieso?«
Der Mann verfiel in ein schrilles Gekicher. Faval kicherte oft über Dinge, die alles andere als komisch waren. Mittlerweile hatte Richard eingesehen, dass es einfach seine Art war. Er war ein fahriger, nervöser Kerl, und sein Gekichere hatte nichts mit Respektlosigkeit zu tun, eher war es etwas, gegen das er einfach machtlos war. Eine Menge Leute mieden Faval jedoch wegen seiner eigenartigen Lache, denn sie befürchteten, er könnte vielleicht nicht ganz richtig im Kopf sein – eine Strafe, die der Schöpfer, so glaubten sie, Sündern auferlegte. Andere wurden wütend auf ihn, weil sie glaubten, er mache sich über sie lustig. Dadurch wurde Faval noch nervöser, was ihn wiederum dazu bewog, noch mehr zu kichern. Faval hatte keine Schneidezähne mehr, und seine Nase war nach mehreren Brüchen krumm und schief. Richard wusste, dass der Mann wirklich nichts dafür konnte, und machte ihm deswegen niemals Schwierigkeiten. Faval hatte Vertrauen zu ihm gefasst.
»Ich weiß nicht, ich dachte bloß, du kämst vielleicht nicht.«
Faval blinzelte aus seinen großen Augen ins Mondlicht. Richards Gesicht legte sich verwirrt in Falten.
»Ich habe dir versprochen zu kommen, Faval. Was bringt dich auf die Idee, ich würde es vielleicht doch nicht tun?«
Faval zupfte nervös an seinem Ohrläppchen. »Gar nichts.«
Richard kletterte herunter. »Die Stadtwache hat mich angehalten…«
»Nein!« Favals Gekicher hallte durch die dunkle Nacht. »Was wollten sie denn? Haben sie dich ausgefragt?«
»Sie wollten wissen, ob ich etwas Ungewöhnliches bemerkt hätte.«
»Aber das hast du nicht.« Er kicherte. »Sie haben dich fahren lassen. Du hast nichts gesehen.«
»Na ja«, meinte Richard gedehnt, »diesen Burschen mit den zwei Köpfen habe ich schon gesehen.«
Das Zirpen der Grillen füllte die Stille. Faval kniff erstaunt die Augen halb zusammen. Im Mondschein konnte Richard erkennen, dass sein Mund weit offen stand.
»Du hast einen Mann mit zwei Köpfen gesehen?«
Diesmal war es Richard, der lachen musste. »Nein, hab ich nicht, Faval. Es war bloß ein Scherz.«
»Wirklich? Aber der war nicht komisch.«
Richard seufzte. »Nein, vermutlich nicht. Hast du die Fuhre Holzkohle fertig? Ich habe eine lange Nacht vor mir. Victor braucht dringend eine Ladung Stahl, und Priska benötigt Holzkohle, sonst muss er den Laden dichtmachen, behauptet er. Er sagt, du hättest ihm die letzte Lieferung nicht geschickt.«
Faval kicherte. »Konnte ich doch nicht! Ich wollte ja, Richard Cypher, ich brauche das Geld dringend. Ich schulde den Holzfällern das Geld für die Stämme, aus denen ich die Kohle hier hergestellt habe. Sie meinten, wenn ich sie nicht bezahle, würden sie mir kein Holz mehr liefern. So sieht das aus.«
Faval lebte am Rand eines Waldgebietes und verfügte daher über eine greifbar nahe Holzquelle, allerdings war es ihm nicht gestattet, das Holz eigenhändig zu schlagen. Sämtliche Rohstoffe waren im Besitz des Ordens, deshalb wurden Bäume nur dann geschlagen, wenn die Holzarbeiter, die im Besitz von Lizenzen waren, Arbeit brauchten, nicht wenn jemand Holz benötigte. Größtenteils verfaulte das Holz ungenutzt auf dem Boden; wer aber beim Holzsammeln erwischt wurde, machte sich des Diebstahls an Ordensbesitz schuldig und wurde festgenommen.
Faval hob seine Hände, so als wollte er Richard um Verständnis anflehen. »Ich hab ja versucht, die Holzkohle zu Priska transportieren zu lassen, aber das Komitee hat mir die Fuhrerlaubnis verweigert. Sie meinten, ich brauche das Geld nicht. Ich brauche das Geld nicht! Kannst du dir das vorstellen?« Er lachte gequält. »Sie erklärten mir, ich sei ein reicher Mann, weil ich ein Unternehmen habe, und dass ich warten müsse, bis sie sich um die Bedürfnisse der einfachen Leute gekümmert hätten. Dabei versuche ich doch bloß zu überleben.«
»Das weiß ich doch, Faval. Ich habe Priska erklärt, dass du nichts dafür kannst. Er versteht das – er hat selbst ganz ähnliche Schwierigkeiten. Nur ist er verzweifelt, weil er die Holzkohle unbedingt braucht. Du kennst doch Priska: Er lässt seine Wut an Leuten aus, die überhaupt nichts mit dem Problem zu tun haben. Ich habe ihm für heute Abend eine Fuhre Holzkohle zugesagt, und zwei weitere für morgen Abend. Kann ich für zwei weitere Ladungen morgen auf dich zählen?«
Richard reichte ihm die Silbermünzen für die eine Fuhre.
Faval legte die Hände aneinander wie zum Gebet. »Ich danke dir, Richard Cypher. Du bist ein Erretter. Diese Holzarbeiter sind eine üble Bande. Ja, ja, und zwei weitere morgen. Ich lasse sie gerade abkühlen. Du bist wie ein Sohn für mich, Richard Cypher.« Kichernd deutete er mit einer Handbewegung irgendwo in die Dunkelheit. »Sie steht dort drüben und glimmt vor sich hin. Du wirst sie bekommen.«
Richard konnte Dutzende und Aberdutzende ein wenig an Heuschober erinnernde Erdhügel erkennen, die Meiler. Kleine Scheite gespaltenen Holzes wurden rings um einen mit leicht brennbarem Material gefüllten Feuerschacht in der Mitte geschichtet, sodass ein runder Hügel entstand, der anschließend mit einer Lage aus grünen Zweigen und Farnblättern abgedeckt und mit einer festen Erdschicht überkleidet wurde. Angezündet wurde er am unteren Ende des Feuerschachtes, anschließend wurde diese Öffnung geschlossen. Über einen Zeitraum von sechs bis acht Tagen entwichen Feuchtigkeit und Rauch durch kleine Löcher im oberen Teil. Ließ der Rauch nach, wurden die Belüftungsöffnungen luftdicht verschlossen, um das Feuer zu ersticken. Nach dem Abkühlen konnten die Meiler dann geöffnet und die Holzkohle entnommen werden – ein aufwendiges Verfahren, aber die Arbeit selbst war verhältnismäßig einfach.
»Lass mich dir helfen, den Wagen zu beladen«, bot Faval an.
Richard bekam ihn an den Schultern seines Hemdes zu fassen, als er sich entfernen wollte. »Was wird hier eigentlich gespielt, Faval?«
Faval legte einen Finger an die Lippen und musste lachen. Fast klang es so, als täte ihm das Lachen weh. Er zögerte erst, dann antwortete er flüsternd: »Die Rebellion. Sie hat begonnen.«
Richard hatte etwas Ähnliches schon vermutet. »Was weißt du darüber, Faval?«
»Nichts! Ich weiß überhaupt nichts!«
»Faval, ich bin es doch, Richard. Ich werde dich nicht verraten.«
Faval kicherte; diesmal klang es eher erleichtert.
»Natürlich nicht, natürlich nicht. Verzeih mir, Richard Cypher. Manchmal bin ich so nervös, dass ich nicht nachdenke.«
»Was ist nun mit dieser Rebellion?«
Faval breitete in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände aus. »Der Orden, er unterdrückt die Menschen. So können wir nicht weiterleben. Wärst du nicht gewesen, Richard Cypher, ich wäre längst … na ja, ich will gar nicht daran denken. Aber andere haben nicht so viel Glück, sie müssen hungern, denn der Orden nimmt ihnen die Lebensmittel fort, die sie anbauen. Fast jeder hat irgendwelche Verwandte oder Freunde, die verhaftet worden sind. Sie gestehen Dinge, die sie überhaupt nicht getan haben.
Wusstest du das, Richard Cypher? Dass sie Verbrechen gestehen, die sie gar nicht begangen haben? Ich habe es selbst nie glauben wollen, dachte immer, wer gesteht, der ist auch schuldig. Warum sollte man gestehen, wenn man unschuldig ist?« Er kicherte. »Warum? Ich dachte, das wären alles schlechte Menschen, die dem Orden schaden wollten. Ich fand, dass ihnen recht geschieht, und war froh, dass sie verhaftet und bestraft wurden.«
»Und wodurch hat deine Meinung sich geändert?«
»Durch meinen Bruder.« Favals glucksendes Gekicher war unvermittelt in Schluchzen umgeschlagen. »Er hat mir geholfen, Holzkohle zu machen. Wir haben sie zusammen hergestellt und unsere Familien davon ernährt. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang haben wir geschuftet. Wir schliefen sogar im selben Haus, in dem dort drüben. Es hat nur ein Zimmer; wir waren Tag und Nacht zusammen.
Letztes Jahr dann, auf einer Versammlung, auf der wir alle aufstehen und erklären mussten, wie der Orden unser aller Leben verbessert, wurde er, als wir gerade gehen wollten, verhaftet. Jemand hatte seinen Namen angegeben, weil er angeblich ein Rebell sein sollte, doch ich war völlig unbesorgt. Mein Bruder hatte sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. Er war ja Köhler.«
Der Schweiß lief Richard in den Nacken, als er in der Dunkelheit wartete, während Faval starren Blicks die düsteren Bilder aus der Vergangenheit an sich vorüberziehen ließ.
»Eine ganze Woche lang bin ich jeden Tag zur Kaserne gelaufen und habe den Leuten dort erklärt, dass er niemals etwas gegen den Orden unternehmen würde. Irgendwann sagten die Gardisten, mein Bruder hätte endlich gestanden. Hochverrat, so nannten sie es – er soll eine Verschwörung zum Sturz des Ordens angezettelt haben. Sie behaupteten, er hätte gestanden.
Am nächsten Tag wollte ich irgendwelche anderen Leute aufsuchen, so wütend war ich; ich wollte den Beamten in der Kaserne erklären, was für brutale Unmenschen sie sind. Meine Frau hat geweint und mich angefleht, nicht noch einmal zur Kaserne zu gehen, aus Angst, ich könnte ebenfalls verhaftet werden. Ihr zuliebe, und wegen der Kinder, bin ich dann nicht hingegangen. Es hätte sowieso nichts genützt. Kein Mensch, der gesteht, ist unschuldig. Das weiß doch jeder.
Sie haben meinen Bruder hingerichtet. Seine Frau und seine Kinder wohnen immer noch bei uns. Wir können kaum genug…« Faval fing an zu kichern und biss sich auf die Knöchel seiner Hand.
Richard legte dem Mann eine Hand auf die Schulter. »Ich verstehe, Faval. Du hättest nichts dagegen machen können.«
Faval wischte sich über die Augen. »Und jetzt bin ich schuldig, weil ich hasserfüllte Gedanken denke. Das ist ein Verbrechen, musst du wissen, und ich bin dessen schuldig. Manchmal stelle ich mir vor, wie das Leben ohne den Orden aussähe. Ich träume davon, selbst einen Karren zu besitzen – bloß einen einfachen Karren –, damit meine Söhne und Neffen die Holzkohle ausfahren können, die wir herstellen. Wäre das nicht wundervoll, Richard Cypher? Ich könnte mir Sachen kaufen…« Er ließ den Satz unbeendet.
Verwirrt hob er den Kopf. »Aber der Orden sagt, diese Gedanken sind ein Verbrechen, weil ich meine Wünsche über die Bedürfnisse anderer stelle. Wieso sind deren Bedürfnisse wichtiger als meine? Wieso?
Ich bat um Erlaubnis, einen Karren anzuschaffen. Man sagte mir, ich dürfe keinen besitzen, weil ich den Karrenfahrern die Arbeit wegnehmen würde. Es hieß, ich sei habgierig, weil ich anderen die Arbeit wegnehmen wolle. Sie nannten mich eigensüchtig, weil ich auf solche Gedanken käme.«
»Das stimmt nicht«, versicherte ihm Richard ruhig. »Deine Gedanken sind weder ein Verbrechen, noch sind sie schlecht. Es ist dein Leben, Faval – und das solltest du so leben können, wie du es für richtig hältst. Du solltest die Möglichkeit haben, dir deinen Karren anzuschaffen, hart zu arbeiten und für dich und deine Familie das Beste aus deinem Leben zu machen.«
Faval kicherte frohlockend. »Jetzt hörst du dich an wie ein Revolutionär, Richard Cypher.«
Richard seufzte, als er darüber nachdachte, wie sinnlos das Ganze war. »Nein, Faval.«
Faval musterte ihn eine Weile abschätzend im Licht des Mondes. »Sie hat bereits angefangen, Richard Cypher. Die Rebellion, sie hat angefangen.«
»Ich muss Holzkohle ausliefern.« Richard ging um den hinteren Teil des Wagens herum und hievte einen Korb auf die Ladefläche.
Beim nächsten Korb ging ihm Faval zur Hand. »Du solltest dich ihnen anschließen, Richard Cypher. Du bist ein kluger Mann. Sie könnten deine Hilfe gut gebrauchen.«
»Warum?« Richard fragte sich, ob er es wagen durfte, sich Hoffnungen zu machen. »Was haben sie geplant? Was werden sie mit dieser Rebellion anfangen?«
Faval kicherte. »Nun, sie werden morgen durch die Straßen marschieren und Veränderungen fordern.«
»Was für Veränderungen denn?«
»Ich nehme an, sie wollen die Möglichkeit bekommen zu arbeiten.
Sie werden fordern, das tun zu können, was sie wollen.« Er kicherte. »Vielleicht komme ich dadurch sogar zu einem Karren. Was meinst du, Richard Cypher? Glaubst du, wenn es zu dieser Rebellion kommt, kann ich mir einen Karren anschaffen und meine Holzkohle selbst ausliefern? Ich könnte dann mehr Holzkohle herstellen.«
»Aber was wollen sie tun? Wie wollen sie irgendetwas verändern, wenn der Orden sich weigert – was er ganz sicher tun wird.«
»Tun? Na ja, ich denke, sie werden ziemlich wütend sein, wenn der Orden sich weigert. Vielleicht gehen sie nicht wieder zurück an ihre Arbeit. Einige haben gesagt, sie wollen in die Geschäfte einbrechen und das Brot stehlen.«
Richards Hoffnungen versanken wieder in den Schatten des Zweifels.
Der Mann packte Richards Ärmel und hielt ihn fest. »Was soll ich tun, Richard Cypher? Soll ich mich der Rebellion anschließen? Sag du es mir.«
»Du solltest keinen anderen fragen, wie du dich in einer solchen Angelegenheit verhalten sollst, Faval. Wie kannst du dein Leben und das deiner Familie aufgrund dessen, was ein Mann mit einem Wagen sagt, in Gefahr bringen?«
»Aber du bist ein kluger Mann, Richard Cypher. Ich bin nicht so klug wie du.«
Richard tippte mit dem Finger gegen die Stirn des Mannes. »Da drinnen, Faval, in deinem Kopf, bist du klug genug zu wissen, was du tun musst. Du hast mir doch eben selbst erklärt, warum der Orden, indem er ihnen vorschreibt, wie sie zu leben haben, den Menschen niemals zu einem besseren Leben verhelfen kann. Darauf bist du ganz allein gekommen. Du, Faval der Köhler, bist klüger als der Orden.«
Faval strahlte. »Glaubst du wirklich, Richard Cypher? Mir hat noch nie jemand gesagt, ich wäre klug.«
»Du bist klug genug, selbst zu entscheiden, wie viel es dir bedeutet und wie du dich dabei verhalten willst.«
»Ich habe Angst um meine Frau, um die Frau meines Bruders und um unsere Kinder. Ich bin gegen den Orden, aber ich habe Angst um sie, falls ich verhaftet werde. Wovon sollen sie dann leben?«
Richard wuchtete einen weiteren Korb auf den Wagen. »Hör zu, Faval. Eine Rebellion ist eine Sache, der man sich vollkommen sicher sein muss. Sie ist ein gefährliches Geschäft. Wenn du dich einer Rebellion anschließen willst, musst du dir ganz sicher sein, was du zu tun bereit bist, um dein Leben für die Freiheit zu opfern.«
»Tatsächlich? Glaubst du das wirklich, Richard Cypher?«
Der Funken Hoffnung war erloschen.
»Bleib hier und stelle weiter deine Holzkohle her, Faval. Priska braucht sie dringend. Der Orden wird diese Leute verhaften, und damit wird die Geschichte ein Ende haben. Du bist ein rechtschaffener Mann, ich möchte nicht mit ansehen müssen, dass man dich verhaftet.«
Faval grinste. »In Ordnung, Richard Cypher. Wenn du es sagst, werde ich hier bleiben und Holzkohle machen.«
»Gut. Morgen Abend bin ich wieder zurück. Aber falls die Unruhen sich bis dahin nicht gelegt haben, Faval, schaffe ich es vielleicht nicht bis morgen Abend. Wenn die Menschen dann immer noch umherziehen und Straßen und Wege blockiert sind, gelingt es mir vielleicht nicht, bis hierher durchzukommen.«
»Verstehe. Du kommst zurück, so schnell du kannst. Ich vertraue dir, Richard Cypher. Du hast mich noch nie im Stich gelassen.«
Richard lächelte. »Hör zu, hier ist das Geld für die nächste Fuhre, falls es morgen tatsächlich zu dieser Rebellion kommt und ich nicht sofort hierher zurückkehren kann.« Er gab dem Mann einen weiteren Silbertaler. »Ich möchte nicht, dass diese Holzarbeiter kein Holz mehr für dich schlagen. Die Gießereien sind auf die Holzkohle angewiesen.«
Faval kicherte aufrichtig erfreut. Er küsste den Silbertaler und ließ ihn in seinen Stiefel gleiten. »Die Holzkohle wird fertig sein. Und jetzt lass mich dir helfen, deinen Wagen zu beladen.«
Faval war nur einer der Köhler, mit denen Richard zu tun hatte. Er beschäftigte eine ganze Reihe von ihnen, damit die Gießereien die dringend benötigte Holzkohle erhielten. Es waren durch die Bank bescheidene Menschen, die sich lediglich durchzuschlagen versuchten. Sie alle gaben unter dem Joch des Ordens ihr Möglichstes.
Mit dem Verkauf der Holzkohle an die Gießereien verdiente sich Richard ein wenig nebenbei, wesentlich mehr Gewinn machte er allerdings mit dem Verkauf des Eisens und des Stahls, die er ihnen abkaufte. Holzkohle war nur ein kleiner Nebenerwerb, der ihm half, seine Nächte auszufüllen, wenn er ohnehin mit dem Wagen unterwegs war. Die Einnahmen aus dem Holzkohleverkauf deckten immerhin den größten Teil der Bestechungsgelder. Eine ganze Menge mehr brachten ihm die gelegentlichen Fuhren mit Eisenerz, Lehm, Blei, Quecksilber, Spießglanz, Salz, Presspulver und einer Vielzahl anderer Dinge ein, die in den Gießereien benötigt wurden, für die diese jedoch entweder keine Lizenzen erhielten oder die sie nicht ihrem Bedarf entsprechend angeliefert bekommen konnten. Von dieser Art von Geschäften gab es so viele, wie Richard sich nur wünschen konnte. Es reichte für die Unterbringung und Versorgung seines Gespanns, und es blieb sogar ein kleiner Gewinn übrig. Eisen und Stahl waren reine Gewinngeschäfte.
Als er endlich mit der Fuhre Holzkohle bei der Gießerei anlangte, lief Priska, der ungeschlachte Gießereimeister, bereits unruhig auf und ab. Mit seinen kräftigen Händen packte er die Seitenwand des Wagens und spähte hinein.
»Wird auch langsam Zeit.«
»Nachdem ich bei Faval losgefahren war, musste ich eine Stunde warten, bis die Stadtwache die Ladung überprüft hatte.«
Priska fuchtelte mit seinen muskulösen Armen. »Diese Bastarde!«
»Es ist schon in Ordnung – beruhige dich. Sie haben nichts einbehalten. Ich habe alles mitgebracht.«
Der Mann seufzte. »Eins sag ich dir, Richard, es ist geradezu ein Wunder, dass ich meine Schmelzöfen in Betrieb halten kann.«
Richard riskierte eine gefährliche Frage. »Du hast mit diesem … Ärger in der Stadt doch nichts zu tun, oder?«
Im Licht, das aus dem Fenster seines Büros fiel – das eigentlich nicht mehr als ein Schuppen war –, betrachtete Priska ihn eine Weile abschätzend. »Es stehen Veränderungen bevor, Richard. Veränderungen zum Besseren.«
»Was soll sich denn ändern?«
»Eine Rebellion hat begonnen.«
Abermals fühlte Richard seine Hoffnung aufkeimen, allerdings stärker diesmal – nicht so sehr für sich selbst, dafür war er viel zu sehr in seinen Ketten gefangen, eher für die Menschen, die sich nach Freiheit sehnten. Faval war ein netter Kerl, aber er war kein so gerissener und findiger Fuchs wie Priska, denn Priska war besser informiert, als es für einen Mann seines Schlages möglich schien. Priska hatte Richard die Namen sämtlicher Beamten gegeben, die man wegen offizieller Papiere bestechen konnte, und hatte ihm obendrein geraten, wie viel er ihnen anbieten sollte.
»Eine Rebellion?«, fragte Richard. »Eine Rebellion für was?«
»Für uns – für die Menschen, die ihr Leben so leben wollen, wie sie es für richtig halten. Der Neuanfang steht unmittelbar bevor. Noch heute Abend. Tatsächlich hat er schon begonnen.« Er drehte sich um, ging zu seinem Gebäude und riss die Türen auf. »Wenn du zu Victors Werkstatt kommst, musst du auf ihn warten. Er muss unbedingt mit dir reden.«
»Worüber?«
Priska winkte ab. »Los, mach schon, gib mir deine Holzkohle, und dann lade deinen Stahl auf. Victor reißt mir den Kopf ab, wenn ich dich aufhalte.«
Richard zog den ersten Korb vom Wagen und schleppte ihn zur Seite, wo Priska gleich daneben einen weiteren abstellte.
»Was haben diese Leute getan, um die Rebellion auszulösen? Wie lauten ihre Pläne?«
Als Richard den nächsten Korb zur hinteren Ladekante schleppte, beugte Priska sich ganz nah zu ihm. »Sie haben mehrere Beamte des Ordens gefangen genommen. Hohe Beamte.«
»Haben sie sie umgebracht?«
»Sie umgebracht! Hast du den Verstand verloren? Sie werden ihnen kein Härchen krümmen. Man wird sie festhalten, bis sie sich bereit erklären, die Bestimmungen zu lockern und die Forderungen der Bevölkerung zu erfüllen.«
Richard starrte den Mann offenen Mundes an. »Die Bestimmungen lockern? Was fordern sie denn überhaupt?«
»Alles muss anders werden. Die Menschen wollen, dass man ihnen bei ihren Geschäften, im alltäglichen Leben und bei ihrer Arbeit mehr Mitspracherecht einräumt.« Er nahm einen Korb mit Holzkohle auf. »Weniger Versammlungen. Die Menschen fordern, dass man ihren Bedürfnissen mehr Bedeutung beimisst.«
Diesmal verblasste Richards Hoffnungsfunke nicht, sondern er erlosch, als hätte man ihn in eiskaltes Wasser getaucht.
Er hörte Priska kaum noch zu, während sie erst den Wagen ab- und anschließend den Stahl aufluden. Im Grunde verspürte er nicht die geringste Lust, sich die Pläne für diese Rebellion anzuhören, konnte aber nicht verhindern, trotzdem die wesentlichen Punkte aufzuschnappen.
Die Revolutionäre hatten sich alles ganz genau zurechtgelegt. Sie verlangten öffentliche Verhandlungen für die vom Orden verhafteten Personen sowie die Möglichkeit, Gefangene zu besuchen. Sie wollten den Orden dazu bewegen, ihnen eine Liste auszuhändigen, auf der stand, was mit einer Reihe von verhafteten Personen geschehen war, von denen man nie wieder etwas gehört hatte. Es folgten noch weitere Details und Forderungen, doch Richard war in Gedanken längst woanders.
Als Richard auf seinen Wagen kletterte und losfahren wollte, packte Priska seinen Arm mit eisenhartem Griff. »Der Augenblick ist gekommen, Richard, dass alle Interessierten sich der Rebellion anschließen.«
Die beiden sahen sich lange in die Augen. »Victor wartet.« Priska ließ Richards Arm los und grinste. »Das tut er allerdings. Ich sehe dich nachher, Richard. Vielleicht hat der Orden vor deiner nächsten Fahrt hierher die Forderungen schon erfüllt, und du kannst am hellichten Tag herkommen, ohne Papiere.«
»Das wäre großartig, Priska.«
Als Richard schließlich bei Victors Werkstatt anlangte, plagten ihn Kopfschmerzen. Ihm war schlecht von dem, was er bereits gehört hatte und was er fürchtete, sich noch anhören zu müssen.
Victor erwartete ihn bereits. Es war ein wenig früh für ihn; gewöhnlich traf er knapp vor dem Hellwerden ein. Der Schmied stieß das Tor zu seinem vorderen Lagerraum auf und stellte eine Laterne in ein Regal, damit Richard etwas sah, während er den Wagen bis dicht davor zurücksetzte.
Victor hatte ein wölfisches Grinsen im Gesicht, als Richard vom Wagen hinunterkletterte.
»Komm, Richard, lade deinen Wagen ab, dann essen wir eine Scheibe Lardo und reden miteinander.«
Richard, der sich eigentlich nicht unterhalten wollte, machte sich methodisch an die Arbeit. Er hatte eine ziemlich klare Vorstellung, worüber Victor mit ihm sprechen wollte.
Wie es seine Art war, ließ Victor Richard allein abladen. Er war der Käufer des Stahls und genoss den Service, diesen dorthin geliefert zu bekommen, wo er ihn haben wollte. Es war ein Service, den ihm ein Fuhrunternehmen trotz des höheren Preises in den seltensten Fällen bieten konnte.
Richard hatte nichts dagegen, allein gelassen zu werden. So weit unten im Süden war der Sommer eine erbärmliche Jahreszeit. Die Luftfeuchtigkeit war erdrückend, und die Nächte waren kaum besser als die Tage.
Während er vor sich hin arbeitete, musste er an die strahlend sonnigen Tage denken, die er mit Kahlan am Ufer des Baches in der Nähe ihrer Hütte in den Bergen verbracht hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihr am Leben zu erhalten war nicht einfach, seine Sorge um sie dagegen, jetzt, da es Sommer war, ließ niemals nach. Manchmal war es so schmerzlich, an sie zu denken, sie zu vermissen und sich um sie zu sorgen, dass er sie aus seinen Gedanken verbannen musste. Dann wieder war der Gedanke an sie alles, was ihn noch aufrecht hielt.
Als er fertig war, hellte der Himmel bereits auf. Er traf Victor im Raum am anderen Ende, dessen Türen offen standen, damit das Licht der Morgendämmerung auf Victors Marmormonolithen scheinen konnte. Der Schmied betrachtete die in seinem Stein verborgene Schönheit, jene Statue in seinem Innern, die nur er zu sehen vermochte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er den nicht weit entfernt stehenden Richard bemerkte.
»Komm, Richard, iss etwas Lardo mit mir.«
Sie hockten auf der Schwelle, von wo aus man einen Ausblick auf die Baustelle des Ruhesitzes hatte, und schauten zu, wie die meilenlangen steinernen Mauern sich im Dunst der morgendlichen Dämmerung rosig verfärbten. Selbst aus der Entfernung konnte Richard die abstoßenden, die Schlechtigkeit der Menschheit darstellenden Figuren erkennen, die sich auf dem Oberrand einer der Mauern aufreihten.
Victor reichte Richard eine makellos weiße Scheibe Lardo. »Die Rebellion, von der ich dir erzählt habe, hat begonnen, Richard. Aber das weißt du wahrscheinlich schon.«
»Nein, das hat sie nicht«, erwiderte Richard.
Victor starrte ihn verblüfft an. »Aber ja doch.«
»Eine Menge Ärger hat begonnen, aber das ist nicht die Rebellion, von der du und ich gesprochen haben.«
»Aber sie wird es werden, du wirst sehen. Viele Menschen werden heute auf die Straße gehen.« Victor gestikulierte überschwänglich. »Wir wollen, dass du uns anführst, Richard.«
Richard hatte diese Bitte erwartet. »Kommt nicht in Frage.«
»Ich weiß, ich weiß, du glaubst, die Männer kennen dich nicht und werden dir nicht folgen, aber da täuschst du dich, Richard. Sehr viele kennen dich, viel mehr, als du denkst. Ich habe vielen Leuten von dir erzählt. Priska und andere haben über dich gesprochen. Du kannst das, Richard.«
Richard starrte zu den Mauern hinüber, zu den Reliefschnitzereien geduckter, gebeugter Menschen.
»Nein.«
Diesmal reagierte Victor fassungslos. »Aber warum denn nicht?«
»Weil dann eine Menge Menschen sterben werden.«
Victor lachte amüsiert in sich hinein. »Nein, nein, Richard. Du verstehst nicht. Diese Art von Rebellion wird das nicht. Dies wird eine Rebellion zum besseren Wohl der Menschheit. Das ist doch genau das, was der Orden immerzu predigt. Wir sind das Volk. Sie behaupten, zum Wohl des Volkes zu handeln, und jetzt, da wir ihnen die Forderungen des Volkes vorlegen, werden sie uns ganz einfach anhören und nachgeben müssen.«
Richard schüttelte traurig versunken den Kopf.
»Du willst, dass ich euch anführe?«
»Aber ja.«
»Dann möchte ich, dass du etwas für mich tust, Victor.«
»Aber ja doch, Richard. Raus mit der Sprache.«
»Halte dich aus allem raus, was mit diesem Aufstand zu tun hat. So lautet mein Befehl an dich als dein Anführer. Du bleibst heute hier und gehst ganz normal deiner Arbeit nach. Halte dich aus allem raus.«
Victor sah ihn an, als ob er glaubte, Richard wolle einen Scherz machen. Kurz darauf wurde ihm klar, dass Richard keinesfalls scherzte.
»Aber warum? Willst du nicht, das alles besser wird? Möchtest du dein ganzes Leben so verbringen? Möchtest du nicht, dass sich alles zum Besseren wendet?«
»Bist du bereit, die Männer des Ordens zu töten, die man gefangen genommen hat?«
»Sie zu töten? Wieso willst du ständig übers Töten reden, Richard? Hier geht es um das Leben. Darum, dass die Dinge besser werden.«
»Hör zu, Victor. Diese Männer, gegen die ihr euch erhebt, werden sich nicht an eure Spielregeln halten.«
»Aber sie wollen doch sicher auch, dass…«
»Bleib hier und mach deine Arbeit, sonst wirst du zusammen mit vielen anderen Männern ums Leben kommen. Der Orden wird diesen Aufstand in ein oder zwei Tagen niedergeschlagen haben, und anschließend werden sie jeden verfolgen, der auch nur in den Verdacht gerät, er könnte seine Hände dabei im Spiel gehabt haben. Eine Menge Menschen werden sterben.«
»Aber wenn du uns anführst, könntest du doch unsere Forderungen vortragen. Gerade deswegen wollen wir doch, dass du uns anführst – um eine solch heikle Situation zu vermeiden. Du weißt, wie man Menschen überzeugt, und du weißt, wie man Dinge tut – du brauchst dir doch nur anzusehen, wie du all den Menschen in Altur’Rang geholfen hast: Faval, Priska, mir und all den anderen. Wir sind auf dich angewiesen, Richard. Wir brauchen dich, damit die Menschen einen Grund haben, sich der Rebellion anzuschließen.«
»Wenn sie nicht von allein wissen, wofür sie eintreten und was sie wollen, dann kann ihnen auch niemand einen Grund geben. Sie werden nur dann Erfolg haben, wenn sie vor Freiheitswillen brennen und nicht nur bereit sind, für diesen Willen zu töten, sondern auch zu sterben.« Richard erhob sich und klopfte sich den Staub von der Hose. »Halte dich raus, Victor, oder du wirst mit ihnen sterben.«
Victor folgte ihm zu seinem Wagen. In der Ferne trafen die ersten Männer ein, um am Palast des Kaisers zu arbeiten.
Der Schmied nestelte am Holz der Seitenverkleidung, offenbar lag ihm noch etwas auf der Seele.
»Ich weiß, wie du dich fühlst, Richard, ich weiß es wirklich. Ich glaube auch, dass diese Männer keinen so unbändigen Freiheitswillen verspüren wie ich, aber sie stammen auch nicht wie ich aus Cavatura und wissen vielleicht gar nicht, was wahre Freiheit bedeutet, doch im Augenblick ist das alles, was wir tun können. Willst du es nicht wenigstens versuchen, Richard? Dein Namensvetter Richard Rahl aus dem D’Haranischen Reich hoch oben im Norden hätte Verständnis für unseren leidenschaftlichen Freiheitswillen, er würde es versuchen.«
Richard kletterte auf seinen Wagenbock. Er fragte sich, wo die Menschen solche Dinge aufschnappten, und staunte, dass diese Ideen so weite Kreise zogen. Nachdem er Zügel und Peitsche aufgenommen hatte, wechselte er einen langen Blick mit dem ernsten Schmied, einem Mann, der völlig berauscht war vom Hauch der Freiheit in der Luft.
»Würdest du versuchen, kalten Stahl zu einem Werkzeug zu schmieden, Victor?«
»Natürlich nicht. Der Stahl muss weiß glühend sein, bevor aus ihm etwas werden kann.«
»Dasselbe gilt für Menschen, Victor. Diese Männer sind wie kalter Stahl. Schone deinen Hammer. Ich bin sicher, dieser Richard Rahl würde dir genau dasselbe sagen.«