Die Vorbereitungen für die Hochzeit von Verna und Warren nahmen mehr als zwei Wochen in Anspruch. Nicht, dass man es nicht hätte schneller bewerkstelligen können, vielmehr wollte Zedd, wie er Kahlan erklärt hatte, »die ganze Geschichte ein wenig in die Länge ziehen«. Er wollte jedem ausgiebig Zeit lassen, sich seine Gedanken zu machen und einen prunkvollen Rahmen zu überlegen; Zeit, die Dinge zu organisieren, Dekorationen herzustellen und besondere Speisen zuzubereiten, einen Zeitraum, in dem alle in der freudig angespannten Erwartung des großen Festes sich die Muße nehmen konnten, ausgiebig darüber zu tratschen.
Die Soldaten, anfangs bestenfalls erfreut, ließen sich schon bald vom Schwung des Ereignisses mitreißen, das sich zu einem gigantischen, unterhaltsamen Zeitvertreib entwickelte.
Warren war allseits beliebt, die Sorte Mann, der jedem ein wenig Leid tat, und der Beschützerinstinkte weckte – der etwas linkische, schüchterne Typ. Die meisten hatten nicht die geringste Ahnung von den meisten Dingen, über die er sich unablässig ausließ. Man hielt ihn einfach nicht für den Typ Mann, dem es je gelingen würde, eine Frau zu finden. Dass er es, in ihren Augen ganz offenkundig gegen jede Wahrscheinlichkeit, dennoch geschafft hatte, machte die Männer insgeheim stolz darauf, dass er zu ihnen gehörte – und geschafft hatte er es zweifellos: er hatte das Herz einer Frau gewonnen. Das gab den Soldaten die Hoffnung, eines Tages selbst zu heiraten, also eine Frau zu finden und eine Familie zu gründen; auch wenn sie befürchteten, oft selber linkisch und schüchtern zu sein.
Nicht einmal aus ihrer Freude für Verna machten die Männer ein Hehl. Sie respektierten sie zwar, hatten sich aber nie recht für sie erwärmen können. Ihre unverhohlenen Glückwünsche brachten sie ganz aus der Fassung.
Das gesamte Feldlager ließ sich von der vorfestlichen Stimmung mitreißen, sogar noch mehr, als Kahlan gehofft hatte. Nach anfänglichem kurzem Zögern, während es ihnen zu Bewusstsein kam, ließen sich die Männer, die nicht nur der Kampf gegen diese große Übermacht, der Verlust ihrer Freunde, der endlos lange Aufenthalt im Feld fernab ihres Heims und ihrer Lieben erschöpft hatte, sondern auch die rauen, schwierigen und trostlosen Witterungsbedingungen, voller Begeisterung auf diese Ablenkung ein.
Man räumte einen großen zentralen Platz frei – Zelte wurden umgesetzt und die Fläche bis auf den nackten Erdboden vom Schnee befreit. An der Stirnseite der freigeräumten Fläche wurde eine über im Boden fest verankerte Vorratskarren gelegte Plattform errichtet, auf der die eigentliche Vermählung stattfinden sollte. Die Plattform war nötig, damit die Männer die Zeremonie besser verfolgen konnten. Seitlich richtete man eine Tanzfläche ein, und wer von den Männern ein Musikinstrument besaß und keinen Dienst hatte, verbrachte Tag und Nacht mit Üben. Ein Chor wurde gebildet, der sich in eine abgelegene Schlucht zurückzog, um zu proben. Wohin Kahlan auch kam, vernahm sie Pfeifen und Trommeln, die durchdringenden Klänge einer Schalmei oder die melodischen Akkorde von Saiteninstrumenten. Das ging so weit, dass Soldaten einen falsch gespielten Ton mehr fürchteten als die Truppen der Imperialen Ordnung.
Da mehr als einhundert Schwestern zur Verfügung standen, kam der Vorschlag auf, man könnte nach der Trauungszeremonie doch einen Tanz abhalten. Die Schwestern waren von der Idee ganz angetan, bis sie anfingen nachzurechnen und ihnen klar wurde, wie viele Männer auf eine Frau kamen und wie oft sie würden tanzen müssen. Dennoch versetzte die Aussicht, bei einer Tanzveranstaltung mit Aufmerksamkeit überhäuft zu werden, sie in eine überaus wohlige Erregung, und sie erklärten sich einverstanden. Frauen im Alter von mehreren hundert Jahren erröteten wieder wie junge Mädchen, als sie von knapp oder gut zwanzigjährigen Männern um das Versprechen gebeten wurden, mit ihnen beim Hochzeitstanz eine Runde zu drehen.
Als die Hochzeit näher rückte, legten die Männer eine Art Straßennetz an, das auf gewundenem Kurs durch das Lager führte, damit die Hochzeitsgesellschaft nach der Trauung durch das gesamte Feldlager defilieren konnte. Jeder wollte Gelegenheit erhalten, das frischvermählte Paar zu begrüßen und ihm Glück zu wünschen.
Kahlan hatte die Idee, dass Warren und Verna nach ihrer Trauung die Hütte bekommen sollten. Es sollte ihr Hochzeitsgeschenk an sie sein, daher behielt sie es so gut es ging für sich. Kahlan wies Cara an, zur allgemeinen Täuschung ein wenig abseits ein Zelt für das frischvermählte Paar errichten zu lassen. Cara räumte Vernas Sachen in das Zelt, das sie mit Kräutern und gefrorenen Zweigen voller wilder Beeren ein wenig ausschmückte. Das Täuschungsmanöver gelang; Verna glaubte, das Zelt sei für Warren und sie bestimmt, und weigerte sich, ihn hineinzulassen, bevor sie getraut waren.
Der Tag der Hochzeit dämmerte unter einem strahlend blauen Himmel herauf und war nicht so kalt, dass man befürchtete musste, sich Frostbeulen zu holen. Der frisch gefallene Schnee des Vortags war rasch vom zentralen Platz fortgeräumt, sodass die Festlichkeiten stattfinden konnten, ohne dass die Schwestern beim Tanzen Schnee in ihre Stiefel bekamen. Einige der Schwestern kamen aus ihren Zelten hervor, um die Tanzfläche in Augenschein zu nehmen, und schlenderten umher, um den Männern Gelegenheit zu geben, sich anzusehen, mit wem sie – mit ein bisschen Glück – vielleicht das Tanzbein würden schwingen können. Dies alles geschah mit viel Humor und bei bester Stimmung.
Während Verna den frühen Nachmittag in ihrem Zelt damit verbrachte, sich artig unter großem Getue das Haar frisieren und ihr Hochzeitskleid von einer ganzen Schar von Schwestern richten zu lassen, konnte Kahlan endlich mit der gebotenen Heimlichkeit die Hütte schmücken. Drinnen befestigte sie federleichte, duftende Balsamzweige an einer Schnur, die sie in Girlanden am oberen Rand sämtlicher Wände befestigte. Sie flocht rote Beeren – da sonst nichts zu bekommen war – in die Zweige, um ihnen ein wenig Farbe zu verleihen.
Eine der Schwestern hatte Kahlan ein Stück einfarbigen, gewebten Stoffes geschenkt, aus dem Kahlan einen Vorhang für das Fenster genäht hatte. Sie hatte daran gearbeitet, wenn sie sich abends auf ihre Hütte zurückzog, und es mit Mustern bestickt, um dem schlichten Stoff einen Hauch von Spitze zu verleihen. Unter ihrem Bett bewahrte sie ihn auf, damit Warren und Verna, wenn sie in die Hütte kamen, um Schlachtfeldstrategien durchzugehen, nichts davon bemerkten. Endlich konnte Kahlan die Duftkerzen, die ihr verschiedene Schwestern zum Geschenk gemacht hatten, im ganzen Raum verteilen und schließlich auch den Vorhang auf einem geraden, von seiner Rinde befreiten Ast aufhängen.
Einen Gegenstand war Kahlan jedoch nicht bereit, als Schmuck für das frischvermählte Paar in der Hütte zurückzulassen: Seele . Sie würde sie hinübertragen in ihr neues Zelt.
Kahlan war gerade dabei, das Bett mit frischen Laken zu beziehen, als Cara, ein blaues Knäuel in den Armen, zur Tür hereinkam.
Kahlan steckte das Laken am Fußende unter der strohgefüllten Matratze fest, während sie zusah, wie Cara die Tür hinter sich schloss.
»Was habt Ihr da?«
»Ihr werdet es nicht glauben«, erwiderte Cara grinsend. »Breite, blaue Seidenborte. Die Schwestern haben Verna an einen Stuhl gebunden, während sie sich über sie hermachen, und Zedd hat Warren irgendwohin fortgeschickt, deshalb dachte ich, wir beide könnten die Borte doch dazu benutzen, die Hütte ein wenig auszuschmücken und alles damit zu drapieren, damit es hübsch aussieht.« Sie deutete nach oben. »Dort zum Beispiel – wir könnten sie um die Balsamzweige winden, die Ihr aufgehängt habt, damit es ein bisschen nach was aussieht.«
Kahlan traute ihren Ohren kaum. »Was für eine bezaubernde Idee.«
Sie wusste nicht, was sie mehr erstaunte, Cara tatsächlich mit Seidenborte in den Händen zu sehen, oder sie die Worte ›ausschmücken‹ und ›hübsch‹ in ein und demselben Atemzug aussprechen zu hören. Sie lächelte bei sich, froh darüber, etwas derart Unerhörtes zu erleben. Zedd war ein größerer Zauberer, als er ahnte.
Kahlan und Cara arbeiteten sich, beide auf einem Stück Baumstamm stehend, an der Wand entlang, und schlangen die Borte um die girlandenartig aufgehängten Balsamzweige. Der Anblick, als die erste Wand fertig war, war so wunderhübsch, dass Kahlan gar nicht mehr aufhören mochte hinzusehen und zu strahlen. Dann nahmen sie die zweite Wand gegenüber der Tür in Angriff, wo sie, der besseren Wirkung wegen, wenn Verna und Warren ihr neues Zuhause zum ersten Mal betraten, besonders verschwenderisch mit der Borte umgingen.
»Wo habt Ihr all die Borte eigentlich her?«, fragte Kahlan, den Mund voller Stecknadeln.
»Benjamin hat sie für mich besorgt.« Cara lachte amüsiert in sich hinein, während sie die Borte um die Schnur fädelte. »Habt Ihr so was schon gehört? Ich musste ihm versprechen, nicht zu fragen, woher er sie hat.«
Kahlan nahm die Nadeln aus dem Mund. »Wer?«
»Wer was?«, murmelte Cara, bevor sie ihre Zunge, immer noch damit beschäftigt, eine Nadel in eine etwas widerspenstige Stelle hineinzubohren, in den Mundwinkel wandern ließ.
»Wer, sagtet Ihr, hat Euch die Borte besorgt?«
Cara hielt einen weiteren Streifen blauer Seide unter die Decke. »General Meiffert. Ich habe keinen blassen Schimmer, wo er…«
»Ihr erwähntet eben einen gewissen Benjamin.«
Cara ließ die Borte sinken und starrte Kahlan an. »Nein, hab ich nicht.«
»Doch, habt Ihr.«
»Ich sagte General Meiffert. Ihr dachtet bloß, ich hätte…«
»Ich wusste gar nicht, dass General Meifferts Vorname Benjamin lautet.«
»Na ja…«
»Ist ›Benjamin‹ nun General Meifferts Vorname oder nicht?«
Hätte Cara ihren roten Lederanzug angehabt, ihr Gesicht wäre farblich nicht davon zu unterscheiden gewesen. Wie die Dinge lagen, entsprach ihr finsterer Gesichtsausdruck durchaus dem braunen Lederanzug, den sie trug.
»Das wisst Ihr doch.«
Das Lächeln auf Kahlans Lippen wurde breiter. »Ja, jetzt weiß ich es.«
Kahlan trug ihr weißes Mutter-Konfessor-Kleid. Ein wenig überrascht stellte sie fest, dass es etwas locker saß, alles in allem war das vermutlich jedoch zu erwarten gewesen. Wegen der Kälte legte sie zusätzlich ihren Wolfspelzüberwurf an, den Richard ihr gemacht hatte, drapierte ihn aber eher wie eine Stola über die Schultern. Den Rücken durchgedrückt, das Kinn leicht angehoben, verfolgte sie aufmerksam die Zeremonie und blickte hinaus über die zehntausende angespannter Gesichter. In ihrem Rücken befand sich eine üppig grüne Wand aus ineinander verflochtenen Zweigen, die es den weiter entfernt stehenden Zuschauern erleichterte, die sechs Personen oben auf der Plattform zu erkennen. Zarter Atemdunst erhob sich lautlos in die stille, goldene, spätnachmittägliche Luft.
Während der Trauungszeremonie stand Zedd mit dem Rücken zu ihr. Fasziniert stellte Kahlan fest, dass er sein welliges weißes Haar, sonst im Zustand steten Durcheinanders, jetzt gebürstet und geglättet hatte. Er trug sein elegantes kastanienbraunes Gewand mit den schwarzen Ärmeln und dem kuttenartigen Schulterbesatz. Silberbrokat säumte die Manschetten, während ein Streifen Goldbrokat um den Hals herum und an der Vorderseite herablief. Ein roter, mit einer goldenen Schnalle versehener Samtgürtel raffte den Aufzug an der Hüfte. Neben ihm stand Adie in ihrem schlichten Hexenmeisterinnengewand mit den gelben und roten Perlen rings um den Ausschnitt; im Kontrast wirkte es irgendwie genauso eindrucksvoll.
Verna trug ein reich verziertes violettes Kleid, dessen rechteckiger Ausschnitt mit goldenen Stickereien besetzt war. Die feine, ganz in Gold gehaltene Nadelarbeit zog sich an den engen Ärmeln entlang, die unter geschlitzten, am Ellbogen mit goldenen Bändern befestigten Überärmeln hervorschienen. Die feine Smokarbeit über dem Mittelteil weitete sich trichterförmig zu einem bis dicht über den Boden reichenden Bahnenrock. Vernas welliges braunes Haar war mit Girlanden aus blauen, goldenen und karminroten Blüten durchflochten, die die Schwestern aus kleinen seidenen Stoffschnipseln gefertigt hatten. Mit ihrem heiteren Lächeln gab sie neben ihrem gut aussehenden blonden Bräutigam in seinem violetten Zauberergewand eine wunderschöne Hexenmeisterinnenbraut ab.
Alles schien sich gespannt vorzubeugen, als die Zeremonie ihren Höhepunkt erreichte.
»Willst du, Verna, diesen Zauberer für den Rest deines Lebens zum Gemahl nehmen«, fuhr Zedd mit klarer Stimme fort, die über die gesamte Menge trug, »eingedenk seiner Gabe und seiner Pflicht ihr gegenüber, und schwörst du, ihn zu lieben und zu ehren ohne Unterlass, bis dass der Tod euch scheidet?«
»Ich will«, antwortete Verna mit seidenweicher Stimme.
»Willst du, Warren«, sprach Adie, ihre Stimme im Kontrast zu Vernas noch schnarrender, »diese Hexenmeisterin für den Rest deines Leben zur Gemahlin nehmen, eingedenk ihrer Gabe und ihrer Pflicht ihr gegenüber, und schwörst du, sie zu lieben und zu ehren ohne Unterlass, bis dass der Tod euch scheidet?«
»Ich will«, sagte Warren im Tonfall tiefster Überzeugung.
»Somit erkläre ich dich, Hexenmeisterin, so dies dein freier Wille ist, für geeignet, und erteile dieser Verbindung mit Freuden meinen Segen.« Zedd reckte seine ausgestreckten Arme gen Himmel. »Ich bitte die Gütigen Seelen, den Schwur dieser Frau mit einem Lächeln zu bedenken.«
»Somit erkläre ich dich, Zauberer, so dies dein freier Wille ist, für geeignet, und erteile dieser Verbindung mit Freuden meinen Segen.« Adie reckte ihre ausgestreckten Arme gen Himmel. »Ich bitte die Gütigen Seelen, den Schwur dieses Mannes mit einem Lächeln zu bedenken.«
Die vier kreuzten ihre Arme und gaben sich die Hände; als sie die Köpfe neigten, erstrahlte die Luft in der Mitte ihres Kreises in einem glühenden Licht, das auf die Verbindung herableuchtete. Aus dem gleißend hellen Lodern schoss ein Lichtstrahl gen Himmel, so als wollte er den Schwur zu den Gütigen Seelen hinauftragen.
Gemeinsam sprachen Zedd und Adie die Worte: »Von heute an bis in alle Ewigkeit seid ihr durch Euren Eid, durch eure Liebe und jetzt auch durch die Gabe vermählt als Mann und Frau.«
Das magische Licht löste sich, am unteren Ende beginnend, auf, bis es nur noch ein einzelner Stern am leeren spätnachmittäglichen Himmel über ihnen war.
Zehntausende verfolgten in der stillen Winterluft mit gebannten Augen, wie eine bebende Verna Warrens Kuss erwartete, mit dem eine Vermählung besiegelt wurde, wie sie sie wahrscheinlich nicht noch einmal zu sehen bekommen würden: die Vermählung einer Hexenmeisterin mit einem Zauberer, verbunden durch mehr als einen bloßen Eid – verbunden auch durch ein feierliches Bündnis der Magie.
Als Verna und Warren, beide über das ganze Gesicht strahlend, sich voneinander lösten, geriet die Menge vor Begeisterung außer sich. Jubelschreie wurden laut, Kopfbedeckungen in die Luft geschleudert.
Nachdem sie sich zu den Soldaten herumgedreht hatten, fassten sich Verna und Warren, noch immer strahlend, bei den Händen und winkten ihnen mit ihrem freien Arm zu. Die Soldaten jubelten, applaudierten und pfiffen, als wäre es ihre eigene Schwester oder ihr bester Freund, der soeben geheiratet hatte.
Dann schwollen die Stimmen des Chors zu einem lang anhaltenden Ton an, der im gesamten Wald ringsum widerhallte. Das Berückende seines Klangs jagte Kahlan einen Schauer über den Rücken der Ton ließ überdies das gesamte Tal in Ehrfurcht verstummen.
Cara beugte sich ganz nahe zu Kahlan hin und erzählte erstaunt flüsternd, der Chor singe ein uraltes d’Haranisches Lied zur Trauungszeremonie, dessen Ursprung tausende von Jahren zurückreiche. Da die Männer sich zurückgezogen hatten, um völlig ungestört zu proben, hatte Kahlan es vor der Hochzeit noch nie gehört. Es war von einer solchen Kraft, dass das Auf und Ab der vereinten Stimmen sie völlig überwältigte. Verna und Warren standen, gleichermaßen ergriffen von dem schmerzlich schönen Lied zu ihrer Verbindung, am Rand der Plattform.
Flöten fielen ein, und schließlich Trommeln. Die Soldaten, größtenteils D’Haraner, lauschten der ihnen allen vertrauten Musik mit einem Lächeln im Gesicht. In diesem Augenblick kam es Kahlan in den Sinn, dass sie, die D’Hara solange als Feindesland betrachtet hatte, sich niemals wirklich hatte vorstellen können, dass D’Haraner eine Tradition besaßen, die bedeutend, anrührend oder gar liebenswert sein konnte.
Kahlan sah zu der neben ihr stehenden Cara hinüber, die entrückt lächelnd der Musik lauschte. Es gab ein ganzes Land mit Namen D’Hara, das Kahlan in weiten Teilen ein Rätsel war; sie hatte nur seine Soldaten kennen gelernt. Von ihren Frauen wusste sie – bis auf die Mord-Sith, die kaum als typisch gelten konnten – nichts, ebensowenig wie von ihren Kindern, Häusern oder Sitten. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht zu glauben, sie seien endlich alle vereint, doch jetzt wurde ihr bewusst, dass dies ein ihr unbekanntes Volk war, ein Volk mit ganz eigener Vergangenheit und Tradition.
»Es ist wunderschön«, raunte Kahlan Cara zu.
Cara nickte verzückt, mitgerissen von den Klängen einer Musik, die für sie eine alte Bekannte war, für Kahlan dagegen ein Wunder an Exotik.
Als der Chor sich dem Ende seiner Huldigung des frisch vermählten Paares näherte, langte Verna hinter sich und drückte Kahlans Hand. Es sollte eine Art Entschuldigung bedeuten – ein Eingeständnis, wie schwierig diese Zeremonie für Kahlan sein musste.
Kahlan weigerte sich, dieses freudige Ereignis von ihrem Schmerz überschatten zu lassen, und erwiderte Vernas kurzen Blick mit einem strahlenden Lächeln. Sie trat vor und legte, hinter Verna und Warren stehend, um jeden von ihnen einen Arm. Das Getöse der Menge verklang, damit Kahlan das Wort ergreifen konnte.
»Diese beiden Menschen sind füreinander bestimmt und waren es vielleicht schon immer. Jetzt sollen sie es sein für alle Zeiten. Mögen die Gütigen Seelen stets mit ihnen sein.«
Wie aus einem Mund sprach die gesamte Menge das Gebet nach.
»Ich möchte Verna und Warren von ganzem Herzen dafür danken«, sagte Kahlan, den Blick auf die zehntausende von Gesichtern gerichtet, die ihr entgegenblickten, »dass sie uns daran erinnert haben, worum es im Leben wirklich geht. Es gibt keinen überzeugenderen Beweis für die einfache und doch so tiefe Bedeutung unseres Anliegens als diese Hochzeit am heutigen Tag.«
Soweit ihre Augen reichten, sah sie ein Meer zustimmend nickender Köpfe.
»Und nun«, rief Kahlan in die Menge, »wer möchte sehen, wie die beiden den Tanz eröffnen?«
Unter dem Jubel und Gejohle der Männer teilte sich die Menge, um den zentralen Platz in der Mitte freizugeben.
Kahlan legte Zedd einen Arm um die Schultern und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Das war der beste Einfall, den du jemals hattest, Zauberer.«
Er schaute sie aus seinen haselbraunen Augen an, die bis auf den Grund der Seele zu blicken schienen.
»Geht es dir gut, Liebes? Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss.«
Kahlan nickte, ihr Lächeln entschlossen beibehaltend.
»Mir geht es gut, bloß für dich muss es doppelt schwer sein.«
Unerwartet übermannte ihn ein Lächeln. »Da hast du es wieder, Mutter Konfessor. Immer zerbrichst du dir den Kopf für andere.«
Kahlan schaute zu, wie Verna und Warren lachend und leichtfüßig Arm in Arm über die freigeräumte, von applaudierenden Soldaten umringte Fläche tanzten.
»Wenn die beiden fertig sind«, sagte Kahlan, »und du Adie deinen ersten Tanz geschenkt hast, würdest du dann mit mir tanzen und sozusagen für ihn einspringen? Ich bin sicher, er würde das wollen.«
Kahlan brachte es nicht über sich, in diesem Moment seinen Namen auszusprechen, sonst wäre der Bann des freudigen Ereignisses gebrochen worden.
Zedd zog in gespieltem Entzücken eine Braue hoch. »Wie kommst du darauf, ich könnte tanzen?«
Kahlan lachte. »Weil es nichts gibt, was du nicht kannst.«
»Ich könnte eine Menge Dinge nennen, die dieser knochendürre alte Mann nicht kann«, meinte Adie lächelnd, als sie sich ihm von hinten heranschlurfend näherte.
Als der Tanz vorüber war und andere sich hinzugesellten, während das frischvermählte Paar zum zweiten Tanz ansetzte, traten Zedd und Adie hinaus in das Rund, um selbst ein Tänzchen zu riskieren und es den jungen Leuten vorzumachen. Kahlan stand, Cara unmittelbar neben sich, am Rand des Kreises, während General Meiffert sich lachend einen Weg zu ihnen bahnte, Männern die Hände schüttelnd, anderen auf die Schultern klopfend.
»Mutter Konfessor!« Das Gedrängel der Menge schob ihn unmittelbar bis vor sie hin. »Mutter Konfessor, ist das nicht ein wundervoller Tag? Habt Ihr jemals so etwas erlebt?«
Kahlan konnte nicht anders, sie musste angesichts seiner überschäumenden Begeisterung lächeln. »Nein, General Meiffert, ich glaube nicht.«
Er sah kurz zu Cara hinüber. Einen Augenblick lang blieb er verlegen stehen, dann drehte er sich herum, um den Tanzenden zuzuschauen. So gut die Männer sie mittlerweile kannten, sie war immer noch eine Konfessor – eine Frau, deren Nähe – und erst recht Berührung – den Menschen Angst einflößte. Es war alles andere als wahrscheinlich, dass jemand sie zum Tanz aufforderte.
Sie oder eine Mord-Sith.
»General?«, fragte Kahlan, ihm von hinten auf die Schulter tippend. »General, würdet Ihr mir einen persönlichen Gefallen tun?«
»Aber ja, selbstverständlich, Mutter Konfessor«, stammelte er. »Was immer Ihr verlangt. Was kann ich für Euch tun?«
Kahlan deutete auf die Tanzfläche und auf die Soldaten und Schwestern, die sie umstanden. »Würdet Ihr bitte tanzen? Ich weiß, wir sollten auf der Hut sein, für den Fall, dass irgendein Unheil geschieht, aber ich glaube, den Männern würde es den wahrhaft heiteren Charakter dieses Festes vor Augen führen, wenn ihr General dort draußen einen Tanz riskierte.«
»Einen Tanz?«
»Ja, bitte.«
»Aber, ich – das heißt, ich weiß nicht recht, mit wem…«
»Ach, so hört doch auf, Euch herauszureden.« Kahlan drehte sich um, als hätte sie plötzlich eine Idee. »Cara. Möchtet Ihr nicht mit ihm dort draußen hingehen und tanzen, damit seine Männer sehen, dass es in Ordnung ist, sich anzuschließen?«
Caras blaue Augen wechselten zwischen Kahlan und dem General. »Na ja, ich wüsste nicht wieso…«
»Würdet Ihr es mir zuliebe tun? Bitte, Cara?« Kahlan drehte sich wieder zum General um. »Ich glaube, ich habe jemanden erwähnen hören, Euer Vorname sei Benjamin?«
Er kratzte sich verlegen an der Schläfe. »Das ist richtig, Mutter Konfessor.«
»Cara, Benjamin hier benötigt eine Tanzpartnerin. Wie wäre es mit Euch? Bitte. Mir zuliebe.«
Cara räusperte sich. »Also schön, von mir aus. Euch zuliebe, Mutter Konfessor.«
»Und brecht ihm nicht die Rippen. Wir brauchen ihn noch.«
Cara warf einen finsteren Blick über ihre Schulter, als ein strahlender Benjamin sie von dannen führte.
Kahlan verschränkte die Arme und sah schmunzelnd zu, wie der Mann Cara in die Arme schloss. Es war ein nahezu perfekter Tag. Nahezu.
Kahlan war noch damit beschäftigt, zuzusehen, wie Benjamin Cara elegant über die Tanzfläche wirbelte und andere Soldaten plötzlich schüchtern gewordene Schwestern aus den die Tanzfläche säumenden Zuschauerreihen zogen, als Captain Ryan sich zögernd näherte. Vor ihr angekommen, straffte er seinen Körper. »Mutter – Konfessor … äh, na ja, wir haben eine Menge zusammen durchgemacht, und wenn es Euch nicht zu dreist erscheint, dürfte ich Euch vielleicht zum … Ihr wisst schon, zum Tanz auffordern?«
Kahlan blinzelte den hochgewachsenen, jungen, breitschultrigen Galeaner überrascht an.
»Aber gern, Bradley, ich würde gerne mit Euch tanzen, sehr gerne sogar. Doch nur, wenn Ihr mir versprecht, mich nicht so anzufassen, als wäre ich aus Glas. Ich möchte mich dort draußen nicht blamieren.«
Er nickte grinsend. »Einverstanden.«
Sie legte eine Hand in seine und die andere auf seine Schulter. Er schob seine Hand unter ihren geöffneten Wolfspelzüberwurf, legte sie auf ihre Hüfte und tanzte mit ihr schwungvoll mitten unter die sich Amüsierenden. Kahlan ließ es, mal lächelnd und mal lachend, über sich ergehen. Erst als sie an Seele dachte und sich kraft ihres Willens auf deren Stärke besann, konnte sie das Fest als das nehmen, was es war, ohne ständig daran denken zu müssen, was ihr fehlte, während ein anderer sie, wenn auch schüchtern, in seinen Armen hielt.
»Ihr seid ein wunderbarer Tänzer, Bradley« Seine Augen leuchteten vor Stolz. Sie spürte, wie er lockerer wurde und die Musik immer geschmeidiger in seine Bewegungen einfließen ließ. Nicht weit entfernt erblickte Kahlan Cara und Benjamin, die es nach Kräften vermieden, sich beim Tanzen in die Augen zu sehen. Als er sie, den Arm fest um ihre Hüfte gelegt, um sich herumwirbelte, segelte Caras langer, blonder Zopf hinter ihr durch die Luft, und Kahlan sah Cara tatsächlich in Benjamins blaue Augen schauen und lächeln.
Kahlan war erleichtert, als das Lied endete und Zedd beim nächsten Tanz Captain Ryans Platz einnahm. Sie zog ihn eng an sich, als sie mit ihm zu einer langsameren Melodie tanzte.
»Ich bin stolz auf dich, Mutter Konfessor. Du hast diesen Männern ein wunderbares Geschenk gemacht.«
»Und das wäre?«
»Mut.« Er legte seinen Kopf schräg. »Du hast ihnen einen Grund gegeben, an das zu glauben, was sie hier tun.«
Kahlan zog eine Braue hoch. »Du Gauner, du. Andere magst du vielleicht täuschen können, aber nicht mich. Du warst es doch, der mir Mut gemacht hat.«
Zedd lächelte bloß. »Weißt du, seit der allerersten Mutter Konfessor hat kein Marin es mehr verstanden, eine solche Frau zu lieben, ohne von ihrer Kraft zerstört zu werden. Ich bin froh, dass es mein Enkelsohn war, der dieses überaus schwierige Unterfangen gemeistert hat, und dass er es aus Liebe zu dir getan hat. Ich liebe dich wie meine Enkeltochter, Kahlan, und freue mich schon auf den Tag, wenn du endlich wieder mit ihm zusammen sein kannst.«
Kahlan zog Zedd ganz nahe an sich heran und legte den Kopf auf seine Schulter, solange die beiden ihren Erinnerungen nachhängend weitertanzten.
Während das Tanzvergnügen seinen Lauf nahm, traten nach und nach Fackeln und wärmende Feuer an die Stelle der goldenen Strahlen der untergehenden Sonne. Obwohl die Schwestern nach jedem Tanz den Partner wechselten, verlor sich die Schlange gut gelaunter, auf ein Tänzchen – und keineswegs nur mit den jüngeren, attraktiveren Schwestern – wartender Soldaten noch immer jenseits des Blickfeldes. Kochgehilfen stellten einfache Speisen auf Tafeln bereit, kosteten mal hier, mal dort und scherzten, während sie ihrer Arbeit nachgingen, mit den Soldaten. In den Tanzpausen probierten Warren und Verna von der Vielfalt der Speisen auf den verschiedenen Tischen.
Kahlan tanzte noch einmal mit Captain Ryan und riskierte auch mit Zedd einen weiteren Tanz, dann aber ging sie dazu über, sich sowohl mit Offizieren als auch mit Mannschaften zu unterhalten, um mit niemand tanzen zu müssen, falls jemand seinen Mut zusammennahm und sie verlegen darum bat. Ohne die Verpflichtung, tanzen zu müssen, fiel es ihr erheblich leichter, das Fest zu genießen.
Sie begrüßte gerade eine Gruppe junger Offiziere, die ihr erklärten, wie sehr ihnen das Fest gefiel, als jemand Kahlan auf die Schulter tippte. Sie drehte sich um und sah den grinsenden Warren vor sich.
»Es wäre mir eine große Ehre, wenn Ihr mit mir tanzen würdet, Mutter Konfessor.«
Kahlan bemerkte, dass Verna mit Zedd tanzte, und sie antwortete: »Mit dem gutaussehenden Bräutigam würde ich sehr gerne tanzen, Warren.«
Seine Bewegungen waren überaus geschmeidig und ganz und gar nicht unsicher, wie sie erwartet hatte. Er schien selig und im Frieden mit sich selbst zu sein, und weder das Geschiebe der Menschen noch die Soldaten, die ihm ständig auf die Schulter klopften oder die scherzhaften Bemerkungen von einigen der Schwestern schienen ihn nervös zu machen.
»Ich wollte Euch einfach dafür danken, dass Ihr mir den schönsten Tag meines Lebens beschert habt, Mutter Konfessor.«
Lächelnd blickte Kahlan hoch in sein junges Gesicht, seine alterslosen Augen. »Danke, dass du diesem Fest zugestimmt hast, Warren. Ich weiß, normalerweise entspricht das nicht ganz deiner…«
»Aber ja doch, das tut es. Es ist genau das Richtige. Früher nannten mich die Menschen Maulwurf.«
»Tatsächlich? Warum das?«
»Weil ich normalerweise niemals aus den Gewölbekellern hervorkam, in denen ich die Prophezeiungen studierte. Nicht nur, dass ich gerne in den Büchern las – ich hatte geradezu Angst davor, die Gewölbe zu verlassen.«
»Aber schließlich hast du es doch getan.«
Er drehte sie schwungvoll im Rhythmus der Musik. »Richard hat mich da herausgeholt.«
»Tatsächlich? Das wusste ich noch gar nicht.«
»In gewisser Weise habt Ihr zu dem, was er ins Rollen gebracht hat, ebenfalls beigetragen.« Warren lächelte gedankenverloren. »Ich wollte Euch einfach danken. Ich weiß, wie sehr er mir fehlt, und wie sehr er Verna fehlt. Ich weiß, dass die Männer ihren Lord Rahl sehr vermissen.«
Kahlan vermochte bloß zu nicken.
»Und ich weiß auch, wie sehr Ihr Euren Gemahl vermisst. Aus diesem Grund wollte ich mich bei Euch bedanken – dafür, dass Ihr uns, trotz Eures Kummers, Euer Wohlwollen geschenkt habt. Jeder hier empfindet mit Euch. Ihr sollt wissen, dass Ihr mit diesem Gefühl nicht allein steht, und dass Ihr unter Menschen seid, die für ihn ganz ähnlich empfinden.«
Lächelnd brachte Kahlan ein »Danke« hervor.
Während sie über die freigeräumte Fläche tanzten, über die fröhliche Melodie lachten und sich über die unbeholfenen Bewegungen einiger der Soldaten amüsierten, verebbte schlagartig die Musik.
In diesem Augenblick vernahm sie die Hornklänge.
Ein Gefühl der Bestürzung bemächtigte sich der versammelten Soldaten, als Männer zu ihren Waffen liefen, bis einer der Posten seinen Arm schwenkend herbeigerannt kam und allen zurief, sie sollten Platz machen, es handele sich um befreundete Truppen.
Verwirrt reckte Kahlan, wie alle anderen auch, ihren Hals und versuchte etwas zu erkennen. Es waren keine Streitkräfte ausgesandt worden; sie hatte allen gestattet, an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilzunehmen.
Die Menge teilte sich, als Pferde durch das Gedränge trabten. Kahlan zog erstaunt die Brauen hoch, und ihr Mund klappte auf. In der vordersten Reihe ritt, auf einem kastanienbraunen Wallach sitzend, der vornehme General Baldwin, Befehlshaber der gesamten keltonischen Streitkräfte. Schneidig brachte er sein Pferd zum Stehen und musterte, mit dem Zeigefinger über seinen grau durchsetzten, dunklen Schnauzer streichend, die Menge, die sich inzwischen um ihn gebildet hatte. Sein ergrauendes Haar wucherte bis über beide Ohren, und auf dem Scheitel schimmerte sein Schädel durch. Er bot einen eindrucksvollen Anblick in seinem mit zwei Knöpfen über einer Schulter befestigten Cape aus feiner Wolle, unter dem man das kostbare grüne Seidenfutter erkennen konnte. Seinen dunkelbraunen Übermantel zierte ein heraldisches Emblem, durchtrennt von einer schwarzen Diagonalen, die einen gelbblauen Schild teilte. Die hohen Stiefel des Mannes waren bis unter die Knie heruntergekrempelt. Hinter dem breiten, mit einer verzierten Schnalle abgesetzten Gürtel steckten lange schwarze Handschuhe, deren ausgestellte Manschetten nach vorne umgeschlagen waren.
Die dicht gedrängte Menge der Soldaten machte Platz für Kahlan. »General.«
Er hob auf die ihm eigene noble Art die Hand, und ein breites Lächeln ging über sein Gesicht. »Wie gut, Euch zu sehen, Mutter Konfessor.«
Kahlan wollte soeben etwas erwidern, als eine weitere Gruppe von Reitern durch die vor ihnen zurückweichende Menge preschte. Einem vom Wind gepeitschten Feuer gleich stürmten sie auf die Tanzfläche – ein Dutzend Mord-Sith in rotem Leder. Eine der Frauen sprang von ihrem Pferd.
»Rikka!«, entfuhr es Cara.
Der unerschrockene Blick der Frau glitt über die versammelten Menschen; schließlich bemerkte sie Cara und musterte sie eingehend. Cara löste sich aus General Meifferts Armen. »Cara«, sagte sie anstelle einer Begrüßung. Sie blickte sich flüchtig um und fragte: »Wo ist Hania?«
Cara trat näher. »Hania? Sie ist nicht hier.«
Die Frau presste enttäuscht die Lippen aufeinander.
»Das dachte ich mir fast. Als ich keine Antwort erhielt, fürchtete ich, wir hätten sie verloren. Trotzdem, ich hatte gehofft…«
Kahlan trat vor, ein wenig pikiert, weil die Frau es offenbar für angebracht hielt, sich vor General Baldwin zu drängen. »Rikka war der Name, richtig?«
»Sieh an«, sagte Rikka, während ein wissendes Lächeln über ihre Züge kam, »Ihr könnt niemand anderes sein als die Gemahlin des Lord Rahl – die Mutter Konfessor. Man hat mir Euch beschrieben.« Die Frau salutierte mit einem lässigen Faustschlag auf ihr Herz. »Ganz recht, ich bin Rikka.«
»Freut mich, Euch hier bei uns begrüßen zu können – und Eure Schwestern des Strafers.«
»Gleich nachdem Berdine Euren Brief erhalten hatte, bin ich von Aydindril aus aufgebrochen; er hat eine Menge erklärt. Sie und ich haben darüber diskutiert und beschlossen, dass ich mit einigen meiner Schwestern herreiten sollte, um bei unseren gemeinsamen Bemühungen zu helfen. Sechs Schwestern habe ich bei Berdine zurückgelassen; sie sollen über Aydindril und die Burg der Zauberer wachen. Des Weiteren habe ich zwanzigtausend Soldaten mitgebracht.« Sie deutete mit dem Daumen hinter sich. »Auf den General hier sind wir vor einer Woche ganz zufällig gestoßen.«
»Wir können Eure Hilfe sehr gut gebrauchen. Das war klug von Berdine – ich weiß, wie gern sie selber hergekommen wäre, andererseits sind ihr Stadt und Burg vertraut. Freut mich, dass sie sich an meine Anweisungen gehalten hat.« Kahlan ließ ihren höchst beunruhigenden Mutter-Konfessor-Blick auf Rikka zur Ruhe kommen. »Und nun, wenn es Euch nichts ausmacht, Ihr habt General Baldwin unterbrochen.«
Cara schob Rikka beiseite und drängte sie zurück und aus dem Weg. »Wir haben etwas zu besprechen, Rikka, bevor du so weit bist, dass du Lord Rahl und seiner Gemahlin dienen kannst, die übrigens zufällig eine Schwester des Strafers ist.«
Rikka zog überrascht eine Braue hoch. »Tatsächlich? Wie konnte…«
»Später«, schnitt Cara ihr lächelnd das Wort ab, bevor Rikka alles noch schlimmer machen konnte, und drängte die Frau mitsamt ihren Mord-Sith-Schwestern zurück. Zedd, Adie und Verna rückten unauffällig näher an Kahlan heran.
General Baldwin, mittlerweile abgestiegen, trat schließlich vor, ließ sich auf ein Knie hinunter und verbeugte sich. »Meine Königin, Mutter Konfessor.«
»Erhebe dich, mein Kind«, antwortete Kahlan, sich der förmlichen Antwort bedienend, unter den Augen des gesamten Feldlagers, das die Szene mit derselben gespannten Aufmerksamkeit verfolgte wie bereits zuvor die Hochzeit. Dies war für alle von einiger Tragweite.
Der General erhob sich wieder. »Ich bin unmittelbar nach Erhalt Eures Briefes aufgebrochen, Mutter Konfessor.«
»Wie viele Männer habt Ihr mitgebracht?«
Ihre Frage schien ihn zu überraschen. »Nun ja … alle selbstverständlich. Einhundertsiebzigtausend Mann. Wenn meine Königin mich bittet, eine Armee aufzustellen, dann soll sie auch eine bekommen.«
Ein Raunen ging durch die Reihen der Männer, als sie die Kunde nach hinten durchgaben.
Kahlan war überwältigt. Sogar die Kälte spürte sie kaum noch. »Das ist großartig, General. Sie werden dringend gebraucht. Wie ich in meinem Brief dargelegt habe, haben wir es mit einem ausgewachsenen Krieg zu tun. Die Imperiale Ordnung erhält unablässig Verstärkungen. Diese Versorgungsrouten müssen wir abschneiden.«
»Verstehe. Zusammen mit den D’Haranern, die sich uns aus Aydindril kommend angeschlossen haben, werden wir Eure hier versammelten Streitkräfte fast verdreifachen.«
»Zusätzlich können wir noch weitere Truppen aus D’Hara herschaffen«, meinte General Meiffert.
Kahlan spürte, wie der Glaube an ihre Möglichkeiten zu einem glühenden Funken der Hoffnung in ihrer Brust anschwoll.
»Zum Frühlingsanfang werden wir sie ohne Zweifel brauchen.« Sie sah General Baldwin herausfordernd an. »Was ist mit Lieutenant Leiden?«
»Mit wem? Ach, Ihr meint sicher Sergeant Leiden. Zurzeit leitet er nur einen Spähtrupp. Wer Verrat an seiner Königin begeht, kann von Glück reden, wenn er seinen Kopf behält, andererseits tat er so, als wollte er ihr Volk beschützen, deshalb habe ich ihn zur Sicherung eines entlegenen Passes abkommandiert. Ich hoffe, der Mann hat sich warm angezogen.«
Am liebsten hätte Kahlan dem feschen General Baldwin die Arme um den Hals geschlungen; stattdessen legte sie ihm zum Zeichen ihrer Dankbarkeit die Finger auf den Arm. »Ich danke Euch, General. Wir brauchen diese Männer wirklich dringend.«
»Nun, sie stehen ein Stück weiter im Landesinnern, einen halben Tagesmarsch von hier. Ich konnte sie ja schlecht hier bei Eurer Armee unterbringen.«
»Ausgezeichnet.« Kahlan winkte die Mord-Sith zu sich. »Ich freue mich wirklich sehr, Euch ebenfalls hier zu sehen, Rikka. Die Mord-Sith werden es uns ermöglichen, die Feinde mit der Gabe besser in den Griff zu bekommen; vielleicht gelingt es uns sogar, das Blatt zu wenden. Cara hier hat bereits eine ganze Reihe von ihnen ausgeschaltet, aber ich fürchte, Lord Rahl hat ihr befohlen, für meine Sicherheit zu sorgen, und das wird sie auch weiterhin tun. Ihr dagegen habt, was die Verfolgung derer mit der Gabe anbetrifft, völlig freie Hand.«
Rikka verneigte sich. »Es wird mir ein Vergnügen sein.« Lächelnd trat sie näher. »Berdine hat mich vor ihr gewarnt«, raunte sie Cara zu.
»Dann solltest du auch auf Berdine hören«, erwiderte Cara und gab ihr einen Klaps auf den Rücken. »Komm, ich helfe dir, ein Quartier zu finden…«
»Kommt nicht in Frage«, meinte Kahlan, sodass sie auf der Stelle stehen blieben. »Heute wird ein Fest gefeiert. Der General, Rikka und ihre Schwestern sind herzlich eingeladen. Um genau zu sein, ich bestehe darauf.«
»Gut«, hellte sich Rikkas Miene auf, »solange wir die Gemahlin des Lord Rahl damit beschützen, wird es uns eine Freude sein, zu bleiben.«
Kahlan ergriff Rikkas Arm und zog sie zu sich. »Es gibt hier jede Menge Männer und nur sehr wenige Frauen. Dies ist eine Tanzveranstaltung; also geht hin und tanzt.«
»Was! Habt Ihr den Verst…«
Kahlan schob sie auf die Tanzfläche und gab den Musikern fingerschnippend ein Zeichen. »Sollen wir fortfahren?« Sie wandte sich General Baldwin zu. »General, Ihr seid in einem wunderbaren Augenblick gekommen, einem Augenblick, in dem wir ein Fest begehen. Würdet Ihr mit mir tanzen, bitte?«
»Mutter Konfessor?«
»Ich bin auch Eure Königin. Generäle tanzen doch mit Königinnen, nicht?«
Er bot ihr lächelnd seinen Arm. »Selbstverständlich tun sie das, meine Königin.«
Lange nachdem es dunkel geworden war, begab sich die Hochzeitsprozession, sämtliche Männer begrüßend, auf ihren Rundgang über die behelfsmäßigen Straßen. Tausende von Soldaten gratulierten Warren und Verna zu ihrer Vermählung, erteilten ihnen scherzhafte Ratschläge, klopften ihnen behutsam auf die Schulter oder winkten ihnen einfach gut gelaunt zu.
Kahlan konnte sich an eine Zeit erinnern, als die Midlands diese Männer fürchteten. Unter der Herrschaft Darken Rahls waren sie gefürchtete Eroberer gewesen, die Angst und Entsetzen verbreitet hatten. Sie war erstaunt, wie höflich und zuvorkommend diese Männer sein konnten, und wie menschlich, wenn man ihnen nur Gelegenheit dazu gab. Im Grunde war es Richard, der ihnen diese Chance ermöglicht hatte. Sie wusste, dass viele von ihnen sich dessen bewusst waren und es zu schätzen wussten.
Gegen Ende des langen und mäandernden Spaziergangs durch das ausgedehnte Feldlager näherten sie sich endlich jenem Zelt, von dem Warren und Verna glaubten, es solle ihres werden. Wer sie begleitet hatte, wünschte dem Paar eine gute Nacht, schlenderte zurück zum Fest und ließ die drei allein zurück.
Kahlan erlaubte Verna und Warren gar nicht erst, ihre Schritte zu verlangsamen, sondern trat zwischen sie, hakte sich bei beiden unter und geleitete sie zu dem Pfad, der zwischen den hoch aufragenden Bäumen hindurchführte. Das durch die Zweige fallende Mondlicht warf flackernde Muster in den Schnee. Da sie nicht wussten, was sie vorhatte, protestierten weder Verna noch Warren, als Kahlan sie nötigte, weiterzugehen.
Schließlich konnte Kahlan ein Stück weiter vorn zwischen den Bäumen die Hütte erkennen. Sie blieb in einiger Entfernung stehen, damit die beiden den Kerzenschein sahen, der hinter den spitzenartigen Gardinen hervorschimmerte.
»Dies ist ein langer und beschwerlicher Kampf«, wandte Kahlan sich an sie. »Unter diesen Bedingungen eine Ehe einzugehen ist eine grausame Belastung. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, dass Ihr Euch in einer Zeit wie dieser entschlossen habt, diesen mutigen Schritt zu wagen. Er bedeutet uns allen sehr viel; wir sind alle sehr glücklich über Euch. Vor allem möchte ich Euch beiden dafür danken, dass Ihr Euch für das Leben in all seiner Herrlichkeit entschieden habt.
Eines Tages werden wir weiterziehen müssen, da die Imperiale Ordnung sich zweifellos mit Frühlingsbeginn, wenn nicht schon früher, wieder in Bewegung setzen wird. Im Augenblick jedoch möchte ich, dass diese Hütte Euch gehört; wenigstens das kann ich Euch schenken, dieses kleine bisschen ganz normalen Beisammenseins.«
Verna brach unvermittelt in Tränen aus und vergrub ihr Gesicht an Kahlans Schulter. Kahlan strich der schluchzenden Prälatin über den Rücken und war insgeheim amüsiert, weil es so untypisch für Verna war, derart viel Gefühl zu zeigen.
»Es ist keine gute Idee, Verna, Euren frisch gebackenen Ehemann Eure Tränen sehen zu lassen, wo er Euch doch jeden Augenblick zu seinem Bett führen wird.«
Das gab den Ausschlag, und auch Verna musste lachen. Sie fasste Kahlan bei den Schultern und sah ihr suchend in die Augen.
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
Kahlan gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Liebt einander, seid gut zueinander und haltet Euer Zusammensein in Ehren – ich würde das jetzt lieber als alles andere tun.«
Warren umarmte sie und flüsterte ihr seinen Dank ins Ohr. Kahlan sah zu, wie er Verna das letzte Stück des Weges bis zur Hütte führte. An der Tür drehten sich beide um und winkten. Im allerletzten Augenblick hob er sie von den Füßen; ihr fröhliches Lachen hallte durch den Wald, als er sie über die Schwelle trug.
Endlich allein, machte Kahlan kehrt und ging zurück ins Lager.