51

Sich den Schweiß aus der Stirn wischend, ging Nicci an der Wäscheleine entlang und prüfte, ob ihre Sachen trocken waren; der Sommer stand vor der Tür, und es war bereits sehr warm. Die anderen Frauen standen schwatzend in der warmen Sonne, ab und zu kicherten sie über irgendeine Verschrobenheit, die eine von ihnen auf das nette Drängen der anderen hin über ihren Ehemann ausgeplaudert hatte. Sämtliche Hausbewohner, so schien es, waren mit dem Werden des jungen Frühlings zu neuem Leben erwacht.

Nicci wusste, der Frühling hatte nichts damit zu tun.

Und dieses Wissen ließ im abgeschiedensten Winkel ihres Wesens ein Gefühl der Enttäuschung aufkommen. Sie begriff einfach nicht, wie Richard es anstellte. So sehr sie sich auch mühte, es gelang ihr nicht, jenen Knoten zu entwirren, mit dem er alles zu fesseln schien. Allmählich begann sie zu glauben, selbst wenn sie ihn in die tiefste Höhle verschleppte, die sie finden konnte, würde sich die Sonne einen Weg bis in den finstersten Winkel bahnen, um auf ihn herabzuscheinen. Normalerweise hätte sie dies für eine Art magischen Glücks gehalten, nur wusste sie jenseits allen Zweifels, dass er gar keine Magie angewendet hatte.

Der Hof hinter dem Haus, früher ein schmutziger, von Gestrüpp überwucherter, chaotischer Flecken voller Schrott und Bergen von Müll, hatte sich in einen Garten verwandelt, denn die im Haus wohnenden Männer hatten eines Tages den Hinterhof nach der Arbeit vom Abfall gesäubert. Selbst einige von denen, die keiner Arbeit nachgingen, waren aus ihren Zimmern hervorgekommen, um den einen oder anderen Gegenstand fortzukarren. Nachdem man den Hof freigeräumt hatte, hatten die Frauen aus dem Wohnhaus die Erde umgegraben und einen Garten angelegt. Sie würden Gemüse essen können. Gemüse! Es war sogar die Rede davon, ein paar Hühner anzuschaffen.

Aus der einen überbeanspruchten und übel riechenden Latrine hinten in einer Ecke waren jetzt zwei Aborte geworden, die gut in Schuss und sauber waren. Jetzt brauchte man kaum noch zu warten, wenn man den Abort benutzen wollte, und auch mit den flehentlichen Bitten und gereizten Stimmungen hatte es ein Ende. Kamil und Nabbi hatten Richard beim Bauen geholfen – teils aus Holzresten, die man aus den Abfallhaufen im Hinterhof gerettet hatte, bevor diese abtransportiert wurden, teils aus ein paar anderen Resten, die sie von anderen Müllhaufen zusammengetragen hatten.

Nicci hatte geglaubt, ihren Augen nicht zu trauen, als sie Kamil und Nabbi – mit Hemden bekleidet – die Gruben für die neuen Aborte ausheben sah. Alle bedankten sich überschwänglich bei ihnen, und die beiden Rabauken strahlten vor Stolz.

Die unter freiem Himmel liegende Kochstelle war repariert worden, sodass die Frauen dort eine größere Zahl von Töpfen einstellen und gleichzeitig kochen konnten, und man weniger Feuerholz herbeischleppen musste. Gemeinsam mit einigen anderen Männern aus dem Wohnhaus hatte Richard Gestelle für die Waschzuber gebaut, damit die Frauen sich nicht mehr so tief bücken oder sich die Knie wundscheuern mussten. Aus einem Stück Zeltleinwand, das man aus dem Müll gerettet hatte, errichteten die Männer ein einfaches Dach, damit die Frauen auch bei Regen kochen und waschen konnten, ohne nass zu werden.

Die Bewohner der angrenzenden Häuser zu beiden Seiten, die diese Emsigkeit anfangs verdrießlich und voller Argwohn verfolgt hatten, begannen erste knappe Fragen zu stellen, woraufhin Richard, Kamil und Nabbi hinübergingen und ihnen erklärten, was sie gemacht hatten, und wie auch sie ihr Wohnhaus auf Vordermann bringen konnten; sie halfen ihnen sogar bei den ersten Schritten.

Nicci hatte Richard lautstarke Vorhaltungen gemacht, er vergeude seine freie Zeit bei anderen Leuten, woraufhin er erwiderte, sie selbst habe ihm doch erklärt, es sei seine Pflicht, anderen zu helfen. Darauf wusste Nicci keine Antwort – zumindest keine, die so vernünftig geklungen hätte, dass sie sie aussprechen konnte, ohne sich wie eine Närrin vorzukommen.

Wenn Richard den Leuten zeigte, wie sie ihr Zuhause verschönern konnten, hielt er ihnen nicht etwa Vorträge oder versuchte sie zu belehren, sondern irgendwie gelang es ihm – wie, blieb Nicci völlig rätselhaft –, sie mit seiner Begeisterung anzustecken. Statt ihnen zu erklären, was sie tun mussten, weckte er in ihnen den Wunsch, sich selbstständig zu überlegen, wie sich die Dinge verbessern ließen. Ein jeder fasste Zuneigung zu Richard, was sie zu stillem Groll veranlasste.

Nicci sammelte ihre Wäsche in einem geflochtenen Korb, den aus dünnen Holzstreifen herzustellen Richard den Frauen aus dem Haus beigebracht hatte. Nicci musste zugeben, dass diese Körbe wirklich nicht schwer herzustellen waren und sich die Wäsche in ihnen leichter transportieren ließ.

Sie stieg die stabilen Stufen hinauf – jene Stufen, von denen sie einst geglaubt hatte, sie würden sie noch ins Grab bringen. Der Flur drinnen war makellos sauber, der Fußboden war geschrubbt worden. Irgendwo hatte Richard die Zutaten für die Herstellung von Anstrichfarbe auftreiben können, und die Männer hatten grandiosen Spaß dabei gehabt, sie zusammenzumischen und die fleckigen Wände damit zu überstreichen. Einer der Bewohner kannte sich mit Dächern aus, also reparierte er das Hausdach, damit es nicht leckte und die Wände nicht gleich wieder stockig wurden.

Als Nicci den Flur entlangging, sah sie den hemdlosen Gadi ein paar Stufen weiter oben im Dunkeln auf der Treppe sitzen. Er schnitzte mit seinem großen Messer an einem Stück Holz herum, wohl um auf diese Weise seine Gefährlichkeit unter Beweis zu stellen. Gewöhnlich räumten die im Haus wohnenden Frauen seinen Abfall später unter empörtem Zungenschnalzen fort. Gadi, alles andere als erfreut, dass die Leute in letzter Zeit an ihm herumnörgelten, warf ihr von oben einen lüsternen Blick zu. Jetzt, da sie wieder zugenommen hatte, hatte sie seinen lüsternen Blicken etwas zu bieten.

Richards zweite Arbeitsstelle am Abend versetzte ihn in die Lage, sich mehr Lebensmittel leisten zu können. Er brachte Dinge mit nach Hause, auf die sie monatelang hatte verzichten müssen – Hühner, Öl, Gewürze, Speck, Käse und Eier, Dinge, die sie in den Geschäften in der Stadt niemals zu Gesicht bekam. Nicci hatte immer geglaubt, in allen Geschäften der Stadt würden die gleichen Lebensmittel verkauft, Richards Fahrten beim Ausliefern seiner Fuhren, erzählte er, führten ihn jedoch an Orte, wo eine breitere Vielfalt von Lebensmitteln feilgeboten wurde.

Kamil und Nabbi, die auf der Vordertreppe hockten, sahen sie durch die offene Tür. Sie standen auf und verbeugten sich höflich, als sie ihnen im Flur entgegenkam.

»Guten Abend, Mrs. Cypher«, begrüßte Kamil sie.

»Können wir Euch das vielleicht abnehmen?«, fragte Nabbi.

Sie fand dies alles umso ärgerlicher, als sie ganz genau wusste, dass es ihnen Ernst damit war; sie mochten sie, weil sie Richards Frau war.

»Danke nein, ich bin ja schon zu Hause.«

Sie hielten ihr die Tür auf und schlossen sie wieder hinter ihr, nachdem sie ins Zimmer gegangen war.

In ihren Augen waren sie Richards Soldaten. Er schien über eine ganze Privatarmee von Menschen zu verfügen, die sofort über das ganze Gesicht zu strahlen begannen, sobald sie ihn erblickten. Die meisten schienen geradezu erfreut zu tun, was immer Richard in ihren Augen erledigt haben wollte. Kamil und Nabbi hätten Windeln ausgewaschen, wenn er sie darum gebeten hätte, nur um nachts vielleicht auf seinem Wagen mitfahren zu können, wenn er seine Fuhren rings um Altur’Rang abholte und auslieferte. Mit der Begründung, er könne Ärger mit dem Arbeiterkollektiv bekommen, nahm er sie jedoch nur selten mit. Die jungen Burschen wollten nicht, dass Richard Ärger bekam und seine Stelle verlor, also harrten sie geduldig einer jener seltenen Augenblicke, wenn er ihnen mit schräg gelegtem Kopf bedeutete, sie dürften ihn begleiten.

Ihr Zimmer hatte ebenfalls eine Verwandlung durchgemacht. Die Decke war gereinigt und frisch getüncht worden, die mit Fliegendreck übersäten Wände waren abgeschrubbt worden und hatten einen lachsfarbenen Anstrich bekommen – eine Farbe, die sie in der festen Annahme ausgesucht hatte, Richard würde die dafür erforderlichen Zutaten niemals beschaffen können. Wie zum Hohn erstrahlten die Wände jetzt lachsfarben.

Eines Tages erschien ein Mann mit einem Arm voller Werkzeuge. Kamil behauptete, Richard habe ihn vorbeigeschickt, um ihr Zimmer in Ordnung zu bringen. Der Mann sprach eine Sprache, die Nicci nicht verstand. Ausgiebig mit den Armen fuchtelnd, plapperte er drauflos und lachte nett und freundlich, so als müsste sie doch wenigstens ein bisschen von dem verstehen, was er ihr erzählte. Er deutete auf die Wände ringsum und stellte Fragen. Sie hatte nicht die verschwommenste Vorstellung, in welcher Absicht er gekommen war.

Vermutlich war er gekommen, um den wackeligen Tisch zu reparieren. Sie klopfte zweimal mit der flachen Hand auf dessen Platte, dann demonstrierte sie ihm, wie er wackelte. Er grinste, nickte, plapperte munter weiter. Schließlich überließ sie ihn seiner Arbeit, während sie zum Geschäft in der Stadt ging, um sich für Brot anzustellen. Sie verbrachte den ganzen Vormittag dort; nachmittags stand sie für Hirse Schlange.

Als Nicci schließlich nach Hause zurückkehrte, war der Mann bereits gegangen. Das alte, kaputte und nicht nur überstrichene, sondern vollkommen zugemalte Fenster hatte eine neue Scheibe und war vergrößert worden. Außerdem hatten sie jetzt ein neues Fenster in der Wand gegenüber. Die beiden Fenster standen einen Spalt weit offen, und ein kühler Durchzug sorgte in dem sonst muffigen Zimmer für frische Luft.

Nicci stand mitten im Zimmer und blickte staunend durch das Fenster auf das Haus nebenan, dann schaute sie durch das Fenster in der Wand, in der zuvor kein Fenster gewesen war; sie konnte bis auf die Straße gucken. Gerade eben hatte ihr Mrs. Sha’Rim von nebenan im Vorübergehen zugelächelt und gewinkt.

Nicci setzte den Wäschekorb ab, öffnete das Seitenfenster ein wenig weiter, um noch mehr Luft ins Zimmer hereinzulassen, und zog die Vorhänge zurück. Wenn man Fenster hatte, durch die man sehen konnte, so hatte sie entschieden, waren Vorhänge durchaus angemessen. Irgendwo hatte Richard ihr Stoff besorgt. Als sie fertig war, lobte er ihr Werk in den höchsten Tönen. Nicci musste feststellen, dass sie wie alle anderen strahlte, wenn Richard ihr sagte, sie habe gute Arbeit geleistet.

Sie hatte Richard an den schlimmsten Ort in der Alten Welt gebracht, in das heruntergekommenste Haus, das sie hatte finden können, und am Ende hatte er irgendwie alles schöner gemacht – genau wie sie es immer wieder als seine Pflicht bezeichnet hatte.

Aber dass die Dinge sich so entwickelten, hatte sie niemals gewollt.

Sie wusste mittlerweile nicht mehr, was sie gewollt hatte. Sie wusste nur, dass sie für die Augenblicke lebte, in denen Richard bei ihr war. Obwohl sie sich darüber im Klaren war, dass er sie hasste und nichts lieber tun würde, als sie zu verlassen und zu seiner Kahlan zurückzukehren, konnte Nicci nichts dagegen tun, dass ihr Herz jedesmal bis zum Hals hinauf schlug, sobald er nach Hause kam. Über ihre Verbindung zu Kahlan glaubte sie gelegentlich die Sehnsucht dieser Frau nach ihm zu spüren. Sie konnte Kahlans Sehnsucht mit jedem Zoll ihres Körpers nachvollziehen.

Während sie wartete, wurde es im Zimmer dunkler. Das Leben begann erst, wenn Richard nach Hause kam. Schließlich wurde das Tageslicht immer schwächer, und der Schein der Lampe trat an seine Stelle. Sie besaßen jetzt eine richtige Lampe, und nicht mehr nur einen durch einen hölzernen Knopf gezogenen, auf Leinsamenöl schwimmenden Docht.

Die Tür ging auf. Richard setzte einen Fuß ins Zimmer und sagte noch etwas zu Kamil, als der junge Mann sich bereits verabschiedete, um zu seiner Familie nach oben zu gehen. Es war schon spät. Schließlich kam Richard, noch immer lächelnd, ganz herein und schloss die Tür. Wie immer erlosch sein Lächeln.

Er zeigte ihr einen groben Leinensack. »Ich konnte zufällig ein paar Zwiebeln, Möhren und etwas Schweinefleisch auftreiben. Vielleicht hast du Lust, uns einen Eintopf zu kochen.«

Mit matter Hand deutete Nicci auf die Hirse, für die sie den ganzen Nachmittag angestanden hatte; sie war voller Motten und verschimmelt.

»Ich habe Hirse eingekauft. Ich dachte, ich mache uns daraus eine Suppe.«

Richard zuckte mit den Achseln. »Wenn dir das lieber ist. Deine Hirsesuppe hat uns über reichlich magere Zeiten hinweggeholfen.«

Nicci verspürte jenes kurze Aufflackern von Stolz, wie immer, wenn er zugab, dass sie etwas Nützliches getan hatte.

Sie schloss die Fenster, denn draußen war es inzwischen dunkel. Mit dem Rücken zum Fenster stehend, zog sie die Vorhänge zu, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

Richard stand mitten im Zimmer und betrachtete sie, ein verwundertes Stirnrunzeln im Gesicht. Nicci ging zu ihm, sich der entblößten Haut ihres Busens bewusst, der sich im Ausschnitt ihres schwarzen Kleides hob und senkte. Eben noch hatte Gadi ihren Busen angestarrt, jetzt wollte sie, dass Richard sie ebenso ansah, doch Richard schaute ihr nur in die Augen.

Ihre Finger schlossen sich um seine muskulösen Arme.

»Liebe mich«, hauchte sie.

Seine Stirn legte sich in Falten. »Was?«

»Ich will, dass du mich liebst, Richard. Jetzt, auf der Stelle.«

Eine Ewigkeit lang betrachtete er abschätzend ihre Augen. Ihr Herz schlug ihr bis in die Ohren, mit jeder Faser ihres Seins sehnte sie sich danach, dass er sie nahm. Schwankend stand sie da und wartete, ihr ganzes Leben angesichts der köstlich quälenden Erwartung in der Schwebe.

Dann war seine Stimme zu vernehmen, und sie klang alles andere als schroff. Vielmehr klang sie zärtlich, dabei aber fest und entschlossen. »Nein.«

Es war, als ob ihr ein Kribbeln wie von tausend eiskalten Nadeln die Arme hinaufkroch. Seine Weigerung war ein Schock. Noch nie war sie von einem Mann zurückgewiesen worden!

Es tat ihr in der Seele weh – es war schlimmer als alles, was Jagang oder irgendein anderer Mann ihr jemals angetan hatte. Sie hatte fest geglaubt…

Das Blut schoss ihr ins Gesicht und ließ das Eis in einem Hitzeblitz zerschmelzen. Nicci riss die Tür auf. »Geh nach draußen auf den Flur und warte da«, befahl sie mit bebender Stimme.

Er stand mitten in ihrem Zimmer und sah ihr in die Augen, die Lampe auf dem Tisch warf harte Schatten über sein Gesicht. Seine Schultern wirkten so breit und verjüngten sich zu den Hüften hin, Hüften, die zu umschlingen sie sich sehnte. Am liebsten hätte sie aus vollem Hals geschrien. Stattdessen sprach sie mit sanfter Stimme, allerdings mit einer Autorität, die er nicht missverstehen konnte.

»Du wirst jetzt nach draußen in den Flur gehen und dort warten, sonst…«

Nicci schnippte mit den Fingern.

Der Blick in ihren Augen sagte ihm, dass sie nicht bluffte. Kahlans Leben hing an einem seidenen Faden, und wenn er nicht tat, was sie von ihm verlangte, würde sie nicht zögern, diesen Faden zu durchtrennen.

Ohne seine grauen Augen auch nur einen Moment von ihr abzuwenden, trat Richard hinaus auf den Flur. Sie bohrte ihm einen Finger in die Brust und drängte ihn zurück, bis er mit dem Rücken an der Wand neben der Tür stand.

»Du wirst jetzt hier an dieser Stelle warten, bis ich dir sage, dass du dich entfernen darfst.« Sie biss die Zähne aufeinander. »Wenn nicht, stirbt Kahlan. Hast du verstanden?«

»Erniedrige dich nicht so, Nicci. Denk daran, was du…«

»Sonst stirbt Kahlan. Hast du das verstanden?«

Er atmete hörbar aus. »Ja.«

Entschlossen ging Nicci zum Treppenschacht. Gadi stand auf halber Treppe, die dunklen Augen wachsam. Hochmütig stieg er herunter zu ihr, bis er am Fuß der Treppe neben ihr stand. Er hatte zweifellos einen prachtvollen Körper, so wie er sich ganz ohne Hemd zur Schau stellte. Er stand so dicht bei ihr, dass sie seine Wärme spüren konnte.

Nicci sah ihm in die Augen. Er war genauso groß wie sie.

»Ich will, dass du mit mir ins Bett gehst.«

»Was?«

»Mein Mann ist nicht im Stande, meine Bedürfnisse angemessen zu befriedigen. Ich möchte, dass du das übernimmst.«

Ein Feixen ging über sein Gesicht, als sein Blick zu Richard hinüberglitt. Dann starrte er wieder auf ihren Busen, dessen Besitz so greifbar nahe war.

Gadi war jung, dreist und dumm genug, sich für unwiderstehlich zu halten, zu glauben, sein kindisch gockelhaftes Gehabe hätte all ihre Zurückhaltung soweit fortgewischt, dass nur noch ihre Lust auf das, was er zu bieten hatte, zählte.

Er zog sie mit einem Arm an sich. Mit seiner anderen Hand strich er ihr das Haar aus dem Gesicht und küsste mit schmalen Lippen ihren Nacken. Als seine Zähne über ihre Haut kratzten, ermutigte sie ihn mit leisem Stöhnen, grob zu sein. Zärtlichkeit war das Letzte, was sie wollte; das wäre keine Strafe gewesen. Zärtlichkeit vermochte Richards Seele nicht in quälendem Kummer zu zerreißen und würde ihn nicht genug verletzen.

Gadi knetete ihr Hinterteil und zog sie hart gegen seine Lenden, rieb sich lüstern an ihr. Ihm ins Ohr keuchend ermunterte sie ihn, sich seiner Herrschaft über ihren Körper sicher zu fühlen.

»Sag mir, warum.«

»Ich bin seine Sanftmütigkeit leid, seine Zärtlichkeit, seine fürsorgliche Art. Eine richtige Frau braucht etwas anderes. Ich will, dass er erfährt, zu was ein richtiger Mann im Stande ist – ich will, was er mir nicht geben kann.«

Fast hätte sie vor Schmerzen aufgeschrien, als er ihr die Brustwarzen verdrehte.

»Tatsächlich?«

»Ja. Ich will das, was ein richtiger Kerl wie du einer Frau geben kann.«

Mit seinen derben Händen knetete er ihre Brüste. Abermals spielte sie ihm ein lustvolles Stöhnen vor. Er grinste.

»Soll mir ein Vergnügen sein.«

Sein Feixen verursachte ihr Übelkeit. »Nein, mir«, hauchte sie in gespielter Unterwerfung.

Er blickte noch einmal hasserfüllt zu Richard hinüber, dann beugte er sich vor und schob ihr seine Hand unter das Vorderteil ihres Kleides, um festzustellen, ob es ihr tatsächlich ernst war, ob sie sich ihm tatsächlich hingeben würde. Seine Hand glitt, Hingabe fordernd, an der Innenseite ihres Oberschenkels hoch. Gehorsam machte sie die Beine für ihn breit.

Nicci klammerte sich an seine Schultern, während er sie befingerte. Seine Oberlippe verzog sich zu einem hochmütig arroganten Grinsen. Seine Finger kannten kein Erbarmen. Tränen traten ihr in die Augen, und zitternd biss sie sich auf die Innenseite ihrer Wange, um einen Schrei zu unterdrücken. Qual mit Sinneslust verwechselnd, geriet er über ihr Wimmern immer mehr in Wallung.

Jagang und sein Kumpan Kadar Kardeef, nur um ein paar wenige zu nennen, hatten sie gegen ihren Willen genommen, doch bei keinem hatte sie sich nur annähernd so misshandelt gefühlt wie in diesem Augenblick, da sie im Flur stand und diesen feixenden, lächerlichen Rohling mit ihr tun ließ, was immer ihm beliebte.

Sie schob ihre Hand zwischen ihre Körper und packte ihn.

»Hast du etwa Angst vor Richard, Gadi? Oder bist du Manns genug, mich zu nehmen, während er draußen vor dem Zimmer steht und zuhört, und dabei ganz genau weiß, dass du ihm überlegen bist?«

»Angst? Vor dem da?« Seine Stimme war ein heiseres Knurren. »Sag mir einfach, wann.«

»Jetzt auf der Stelle. Ich will es jetzt sofort, und zwar von dir, Gadi.«

»Dachte ich mir.«

Innerlich musste Nicci über seinen ernsten lüsternen Blick schmunzeln.

»Sag erst ›bitte‹, du kleine Hure.«

»Bitte.« Dabei brannte sie einzig darauf, ihm seinen nichtsnutzigen Schädel einzuschlagen. »Ich flehe dich an, Gadi.«

Den Arm um ihre Hüfte geschlungen, bedachte Gadi Richard im Vorüberwanken mit einem höhnischen Grinsen. Mit der Hand auf seinem Rücken drängte Nicci ihn weiterzugehen, in ihr Zimmer hinein, und dort zu warten. Über seine Schulter grinsend, tat er, was sie von ihm verlangte. Nicci blieb kurz stehen, um Richard hasserfüllt in die Augen zu sehen.

»Wir sind miteinander verbunden. Was mir widerfährt, widerfährt auch ihr. Ich hoffe, du bist nicht so töricht anzunehmen, ich würde nicht dafür sorgen, dass du es für den Rest deiner Tage bedauerst, wenn du nicht genau auf dieser Stelle stehen bleibst. Ich schwöre dir, wenn du dich von der Stelle rührst, stirbt sie noch heute Nacht.«

»Nicci, bitte, tu es nicht. Du quälst dich doch bloß selbst.«

Seine Stimme war so zärtlich, so voller Leidenschaft. Um ein Haar hätte sie ihm die Arme um den Hals geschlungen und ihn gebeten, sie zurückzuhalten … aber die Flamme seiner Verweigerung brannte noch immer schmachvoll in ihrem Herzen.

In der Tür drehte Nicci sich noch einmal um und bedachte Richard mit einem boshaften Grinsen. »Ich kann nur hoffen, Kahlan hat ebenso viel Spaß dabei wie ich. Nach der heutigen Nacht wird sie dir nie wieder vertrauen.«


Kahlan stockte der Atem. Sie schlug die Augen auf. Außer den dunklen Schatten in der sich um sie drehenden Dunkelheit vermochte sich nichts zu erkennen; wieder blieb ihr die Luft weg.

Ein Gefühl, das sie weder beschreiben noch deuten noch irgendetwas zuordnen konnte, stieg in ihr empor. Es war ihr völlig fremd und gleichzeitig berückend vertraut; etwas Ungehöriges, nach dem sie sich dennoch sehnte. Es erfüllte sie mit einer Art leidenschaftlichem Entsetzen, das sich, ein Gefühl unbestimmter Angst vor sich hertreibend, in stetem Auf und Ab verführerisch zu einem unzüchtigen Vergnügen steigerte.

Sie spürte eine schattenhafte Schwere auf ihrem Körper.

Gefühle und Empfindungen, die sie weder begriff noch steuern konnte, überwältigten sie, als sie sich gegen sie zu wehren versuchte. Nichts schien wirklich. Das derbe Gefühl verschlug ihr abermals den Atem. Es war verwirrend. Es tat weh, trotzdem spürte sie gleichzeitig das Erwachen eines zügellosen Verlangens. Es war, als läge Richard neben ihr im Bett. Welch herrliches Gefühl das endlich wieder war. Ihr Atem wurde schneller. Ihr Mund war staubtrocken.

Die Gewissheit, dass ihre schamlose Lust niemals vollständig gestillt werden konnte, hatte bei ihr in Richards inniger Umarmung stets einen Zustand freudiger Erwartung hervorgerufen – immer blieb eine Spur von etwas übrig, das es noch zu erkunden, zu erreichen, zu erklären galt. Die Vorstellung, dass diese Suche nach dem Unerreichbaren endlos war, hatte sie stets in eine leidenschaftliche Erregung versetzt.

Sie sog scharf den Atem ein, fühlte sich dem Gefühl ausgeliefert, kopfüber in die Tiefe zu stürzen.

Aber was sie jetzt empfand, hatte nichts mit ihrer Vorstellung gemein. Mit den Händen krallte sie sich ins Laken, ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei gegen dieses schmerzhafte Stoßen, das sie zu zerreißen drohte.

Das war unmenschlich, ergab keinen Sinn. Wieder keuchte sie von Panik erfüllt, als ein überaus Grauen erregendes Gefühl in ihr aufkeimte. Sie stöhnte, als ihr das Entsetzen darüber und der damit verbundene leise Anflug von Vergnügen bewusst wurde, die Verwirrung, dieses Gefühl beinahe zu genießen.

Dann traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag. Sie wusste, was dies zu bedeuten hatte.

Tränen brannten ihr in den Augen. Sie wälzte sich auf die Seite, hin und hergerissen zwischen der Freude, Richard in sich zu spüren, und dem quälenden Schmerz zu wissen, dass Nicci ihn in diesem Augenblick genauso spürte. Sie wurde auf den Rücken geworfen.

Erneut blieb ihr die Luft weg; sie riss die Augen auf und erstarrte am ganzen Körper.

Der Schmerz ließ sie aufschreien. Sie wand und wehrte sich, bedeckte ihre Brüste mit den Armen. Vor Schmerzen, die sie weder beschreiben noch erklären konnte, schossen ihr die Tränen in die Augen.

Sie vermisste Richard so sehr, sie sehnte sich so sehr nach ihm, dass es schmerzte.

Dann gab sie nach, selbst in diesem Augenblick gab sie sich ihm hin. Ein leiser Klagelaut entwich ihrer Kehle.

Ihre Muskeln verknoteten sich so fest wie Eichenwurzeln. Woge auf Woge erschreckender Schmerzen schüttelten ihren Körper, durchmengt mit einem unbefriedigten Verlangen, das längst in Ekel umgeschlagen war. Sie bekam keine Luft.

Als es vorüber war, brach sie in Tränen aus; endlich konnte sie ihren Körper wieder frei bewegen, auch wenn sie viel zu erschöpft dafür war. Jede einzelne grausame, widerwärtige, brutale Sekunde war ihr verhasst gewesen, gleichzeitig grämte sie sich, dass es zu Ende war, weil sie ihn endlich wieder gespürt hatte.

Freude empfand sie, weil sie ihn so unerwartet gespürt hatte, doch blinde Wut darüber, was es bedeutete. Sie krallte sich in ihre Laken und überließ sich untröstlich ihren Tränen.

»Mutter Konfessor?« Eine dunkle Gestalt schlüpfte in ihr Zelt. »Mutter Konfessor?«

Es war Cara, die da flüsterte und eine Kerze auf den Tisch stellte. Das Licht erschien ihr gleißend hell, als Cara zu ihr herunterblickte. »Geht es Euch gut, Mutter Konfessor?«

Kahlan holte stockend Luft. Sie lag auf dem Rücken in ihrem Bett, in ihr Laken verheddert, das sich um und zwischen ihre Beine geschlungen hatte.

Vielleicht war es nur ein Traum? Sie wünschte sich, es wäre so; und doch wusste sie, dass es nicht so war.

Kahlan fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und richtete sich auf. »Cara…« Es kam als unterdrücktes Schluchzen heraus.

Cara kniete sich neben sie auf den Boden und fasste Kahlan bei den Schultern. »Was ist denn nur?«

Kahlan hatte Mühe, wieder zu Atem zu kommen.

»Was stimmt nicht? Was kann ich tun? Seid Ihr verletzt? Oder vielleicht krank?«

»Ach, Cara … er war mit Nicci zusammen.«

Cara hielt sie auf Armeslänge von sich, ihr Gesicht ein Bild der Besorgnis.

»Was redet Ihr da? Wer war mit…«

Sie unterbrach sich selbst, als ihr bewusst wurde, was Kahlan meinte.

Kahlan versuchte sich aus Caras Griff zu winden. »Wie konnte er nur…«

»Sie hat ihn ganz bestimmt dazu gezwungen«, beharrte Cara. »Bestimmt hat er es nur getan, um Euch das Leben zu retten. Sie muss ihm gedroht haben.«

Kahlan schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Dafür hat er es viel zu sehr genossen. Er hat sich wie ein Tier gebärdet. So hat er mich noch nie genommen. Ach, Cara, er ist auf sie hereingefallen. Er konnte ihr nicht länger widerstehen. Er hat…«

Cara rüttelte sie, bis Kahlan glaubte, ihre Zähne würden sich lockern.

»So wacht doch auf! Macht endlich die Augen auf! Wacht auf, Mutter Konfessor. Ihr schlaft ja noch halb, träumt ja beinahe noch.«

Cara hatte Recht. Es war passiert, daran hatte Kahlan nicht den geringsten Zweifel, aber es war passiert, während sie geschlafen hatte, und es hatte sie im Schlaf überrascht, als sie es gar nicht richtig mitbekommen hatte. Ihre Reaktion war unvernünftig gewesen.

»Ihr habt Recht«, sagte Kahlan mit vom Weinen heiserer Stimme. Ihre Nase war verstopft, sodass sie nur durch den Mund atmen konnte.

»So«, forderte Cara sie mit ruhiger Stimme auf, »und jetzt erzählt mir, was geschehen ist.«

Als sie spürte, wie ihr Gesicht errötete, wünschte sich Kahlan nach der Dunkelheit zurück. Wie konnte sie jemandem erzählen, was geschehen war? Sie wünschte, Cara hätte sie nicht gehört.

»Na ja, ich konnte über« – Kahlan musste schlucken – »über die Verbindung spüren, dass, na ja, dass Richard mit Nicci geschlafen hat.«

Cara machte ein skeptisches Gesicht. »Hat es sich genauso angefühlt wie, na ja, ich meine, seid Ihr wirklich sicher? Konntet Ihr genau spüren, dass er es war?«

Kahlan fühlte, wie ihr Gesicht noch eine Schattierung dunkler errötete. »Ganz genau wohl nicht. Ich weiß nicht recht.« Sie bedeckte ihre Brüste. »Ich habe seine … seine Zähne auf mir gespürt. Er hat mich gebissen…«

Cara kratzte sich am Kopf und wandte, unsicher, wie sie ihre Frage formulieren sollte, den Blick ab. Kahlan beantwortete sie ihr trotzdem.

»Richard hat mir noch nie so weh getan.«

»Oh. Also, dann war er es auch nicht.«

»Was soll das heißen, dann war er es nicht? Es muss Richard gewesen sein.«

»Tatsächlich? Würde Richard mit Nicci ins Bett gehen wollen?«

»Sie könnte ihn dazu zwingen, Cara. Ihm drohen.«

»Haltet Ihr Nicci für eine ehrenhafte Person?«

Kahlan runzelte die Stirn. »Nicci? Habt Ihr den Verstand verloren?«

»Na also, da habt Ihr es. Warum muss es Richard sein? Möglicherweise ist Nicci einfach irgendeinem Kerl begegnet, den sie unbedingt haben musste – irgendeinen gut aussehenden Farmerburschen. Gut möglich, dass es nichts anderes war als das.«

»Meint Ihr wirklich?«

»Ihr habt doch selbst gesagt, Ihr wärt nicht sicher gewesen, ob es tatsächlich Richard war. Schließlich wart Ihr noch halb im Schlaf … und hattet einen Schock erlitten. Ihr habt selbst gesagt, er hätte noch nie…«

Kahlan wandte den Blick ab. »Tut mir Leid, Cara. Danke, dass Ihr mir Gesellschaft leistet. Wäre Zedd oder irgendein anderer gekommen, wäre mir das gar nicht Recht gewesen. Danke.«

Cara lächelte. »Ich denke, das behalten wir am besten für uns.«

Kahlan nickte dankbar. »Sollte Zedd jemals auf die Idee kommen, mich hierzu ausführlich zu befragen, ich glaube, ich würde vor Verlegenheit sterben.«

Erst jetzt bemerkte Kahlan, dass die Decke, in die Cara gehüllt war, vorne so weit offen war, dass man darunter ihre Nacktheit sehen konnte. Auf der oberen Hälfte ihrer Brust befand sich eine dunkle Stelle. Es gab noch ein paar andere, doch die waren kaum zu erkennen. Kahlan hatte Cara ja bereits nackt gesehen, konnte sich an eine solche Stelle aber nicht erinnern. Tatsächlich war ihr Körper, wenn man von ihren Narben absah, von geradezu aufreizender Vollkommenheit.

Stirnrunzelnd machte Kahlan sie darauf aufmerksam. »Was ist das dort, Cara?«

Cara schaute an sich herab und schloss rasch die Decke.

»Das ist, also, na ja, es ist einfach nur ein blauer Fleck.«

Ein Knutschfleck – vom Mund eines Mannes.

»Ist Benjamin drüben im Zelt bei Euch?«

Cara erhob sich, barfüßig, wie sie war. »Mutter Konfessor, Ihr schlaft noch halb und träumt ganz sicher noch. Legt Euch wieder hin und schlaft weiter.«

Lächelnd sah Kahlan ihr nach, als sie ging. Das Lächeln erlosch jedoch, als sie sich wieder auf ihr Bett zurücksinken ließ. In der Einsamkeit der Stille kamen ihr erneut Zweifel.

Sie legte ihre Hände auf ihre Brüste. Ihre Brustwarzen pochten schmerzhaft. Erst als sie daraufhin leicht ihre Lage im Bett veränderte und zusammenzuckte, wurde ihr so recht bewusst, wie stark ihre Schmerzen waren und woher sie stammten.

Sie konnte kaum glauben, dass ein Teil davon sogar im Schlaf … sie spürte, wie ihr abermals das Blut ins Gesicht schoss. Was sie getan hatte, erfüllte sie mit einem überwältigenden Gefühl der Scham.

Nein, sie hatte überhaupt nichts getan. Sie hatte lediglich etwas über ihre Verbindung zu Nicci gespürt. Nicht sie selbst hatte es erlebt – sondern Nicci. Und doch hatte Kahlan dieselben Verletzungen erlitten.

Wie auch früher schon gelegentlich, verspürte Kahlan über die Verbindung auch jetzt noch eine gewisse Verbundenheit mit Nicci, sowie eine beinahe schmerzliche Anteilnahme für diese Frau. Deutlich spürte sie, dass die Frau verzweifelt etwas … gewollt hatte.

Kahlan ließ ihre Hand zwischen ihre Beine gleiten. Sie zuckte vor Schmerz zusammen, als sie sich berührte. Dann hielt sie ihre Finger in den Schein der Kerze – sie glänzten vor Blut.

Trotz der brennenden Schmerzen, innerlich zerrissen zu werden, bei aller Verwirrung und Verlegenheit und einem unbestimmten Gefühl der Scham, empfand sie vor allem eins: Erleichterung.

Eins wusste sie jetzt ohne jeden Zweifel: Es war nicht Richard gewesen.

Загрузка...