20

Als sie zwei Tage später wieder zur Hütte kamen, waren die kleinen Fische in den Glasbehältern alle tot.

Sie hatten dieselbe, einfachere Route über den Pass genommen, auf der sie ursprünglich, Monate zuvor, mit ihren Pferden in das Tal gelangt waren. Natürlich hatte Kahlan keine Erinnerung an diese Reise, da sie ohne Bewusstsein gewesen war. Es schien eine Ewigkeit her zu sein.

Mittlerweile existierte ein kürzerer Pfad zur Hütte, den sie eigenhändig vom Pass herunter gebahnt hatten. Diese Ausweichroute hätten sie nehmen können, doch die war schmal und schwierig und hätte ihnen bestenfalls zehn oder fünfzehn Minuten eingespart. Sie hatten sich tagelang unter freiem Himmel aufgehalten, und als sie erschöpft an der windgepeitschten Engstelle am höchsten Punkt des Passes standen und auf ihr gemütliches Zuhause tief unten am Rand der Wiese hinunterblickten, hatten sie sich für den einfacheren Abstieg entschieden, obwohl der ein wenig länger dauerte. Es war eine Wohltat gewesen, endlich aus dem Wind herauskommen, die Hütte betreten und all das Gepäck und Gerät ablegen zu können.

Während Richard Feuerholz heranschaffte und Cara Wasser holen ging, zog Kahlan ein kleines Stück Stoff mit einigen winzigen Insekten hervor, die sie zuvor am selben Tag in der Absicht gefangen hatte, ihren Fischen, die gewiss hungrig sein würden, einen Leckerbissen mitzubringen. Als sie bemerkte, dass sie tot waren, entfuhr ihr ein leises Stöhnen.

»Was ist denn?«, erkundigte sich Cara, die soeben einen vollen Eimer schleppend zur Tür hereinkam. Sie trat näher, um sich die Fische anzusehen.

»Sieht aus, als seien sie verhungert«, meinte Kahlan zu ihr.

»So kleine Fische überleben in einem Glas selten lange«, meinte Richard, als er niederkniete und Birkenzweige auf das Anmachholz im Kamin schichtete.

»Aber sie haben doch ganz lange gelebt«, widersprach Kahlan, so als wollte sie beweisen, dass er Unrecht hatte, und ihn irgendwie eines Besseren belehren.

»Du hast ihnen doch nicht etwa Namen gegeben, oder? Ich hab dich doch gebeten, das nicht zu tun, da sie ohnehin nach einer Weile sterben würden. Ich habe dich gewarnt, eine gefühlsmäßige Bindung einzugehen, wenn es kein gutes Ende nehmen kann.«

»Cara hat einem von ihnen einen Namen gegeben.«

»Hab ich nicht«, protestierte Cara. »Ich wollte Euch nur verdeutlichen, welchen ich meinte, weiter nichts.«

Als die Flammen von seinem Feuerstein übergesprungen waren, sah Richard lächelnd auf. »Sei’s drum, ich gehe dir neue holen.«

Kahlan gähnte. »Aber das waren die Allerbesten. Sie haben mich gebraucht.«

Richard lachte spöttisch auf. »Du hast vielleicht eine Fantasie. Sie waren nur deshalb auf uns angewiesen, weil wir künstlich in ihr Leben eingegriffen haben. Die kleinen Streifenhörnchen würden die Körnersuche für ihren Wintervorrat ebenfalls einstellen, wenn wir ihnen ständig zu fressen gäben. Die Fische hatten natürlich keine Wahl, schließlich haben wir sie in Gläsern aufbewahrt. Sich selbst überlassen, wären die Fische nicht auf unsere Unterstützung angewiesen; ich musste sie ja erst mit einem Netz einfangen. Ich werde dir andere fangen, und irgendwann werden sie dich ebenso brauchen wie diese.«

Zwei Tage darauf, der Himmel war leicht bedeckt, zog Richard nach einem ausgiebigen gemeinsamen Mittagsmahl aus deftigem Kanincheneintopf mit Pastinaken und Zwiebeln sowie von Cara gebackenem Brot los, um nach den Angelschnüren zu sehen und noch einige Tanzelritzen zu fangen.

Nachdem er gegangen war, sammelte Cara ihre Löffel ein und legte sie in den Spülwassereimer auf dem Wandtisch.

»Wisst Ihr«, sagte sie mit einem Blick über ihre Schulter, »mir gefällt es hier, es gefällt mir wirklich, aber allmählich werde ich doch nervös.«

Kahlan kratzte die Essensreste von den Tellern in eine hölzerne Schüssel mit den Küchenabfällen für den Misthaufen. »Nervös?« Sie trug die Teller zum Wandtisch herüber. »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Es ist wirklich nett hier, Mutter Konfessor, trotzdem verliere ich ganz langsam den Verstand. Ich bin eine Mord-Sith. Bei den gütigen Seelen, jetzt gebe ich schon in Gläsern schwimmenden Fischen Namen!« Cara wandte sich zum Eimer herum und begann, die Löffel mit einem Spültuch abzuwischen. »Meint Ihr nicht auch, es ist an der Zeit, Lord Rahl zu überzeugen, dass wir zurückgehen müssen?«

Kahlan seufzte. Ihr Zuhause in den Bergen gefiel ihr sehr, ebenso wie die Stille und Abgeschiedenheit. Das Kostbarste war für sie die Zeit, die sie und Richard miteinander verbringen konnten, ohne dass andere irgendwelche Forderungen an sie stellten. Gleichzeitig vermisste sie aber auch das bunte Treiben in Aydindril, die Gesellschaft von Menschen und den Anblick von Städten und wimmelnden Menschenmassen. Man konnte vieles an solchen Orten nicht mögen, aber sie hatten auch etwas Aufregendes.

Kahlan hatte zeit ihres Lebens Gelegenheit gehabt, sich damit abzufinden, dass die Menschen ihre Hilfe oft weder wollten noch verstanden; trotzdem hatte sie ihre Arbeit unverdrossen fortgesetzt, weil sie wusste, dass es zu ihrem Besten war. Richard dagegen hatte niemals lernen müssen, dieser kalten Gleichgültigkeit ins Auge zu blicken und trotzdem seine Pflicht zu tun.

»Aber natürlich tue ich das, Cara.« Kahlan stellte die Schüssel mit den Essensresten in ein Regal und nahm sich vor, sie später auszuleeren. Sie fragte sich, ob sie dazu verurteilt sei, eine Mutter Konfessor zu sein, die für immer in den Wäldern lebte, getrennt von ihrem Volk, einem Volk, das für seine Freiheit kämpfte. »Aber Ihr wisst doch selbst, wie Richard in diesem Punkt empfindet. Er glaubt, es sei falsch – nein, geradezu unverantwortlich, einem solchen Wunsch nachzugeben, wenn der Verstand ihm das strikt verbietet.«

In Caras Augen blitzte Entschlossenheit auf. »Ihr seid die Mutter Konfessor, brecht den Bann dieses Ortes. Macht ihm klar, dass man Euch dort braucht und Ihr zurückkehren werdet. Was will er denn tun? Euch an einem Baum fesseln? Wenn Ihr geht, wird er Euch begleiten. Dann muss er zurückkehren.«

Kahlan schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, das kann ich unmöglich tun. Nicht nach dem, was er uns erklärt hat. So etwas tut man keinem Menschen an, für den man Respekt empfindet. Ich bin vielleicht mit ihm nicht einer Meinung, aber ich verstehe seine Beweggründe und kenne ihn gut genug, um zu befürchten, dass er Recht hat.«

»Aber seine Rückkehr bedeutet doch nicht, dass er uns unbedingt anführen muss. Ihr würdet ihn lediglich zwingen, mit Euch zurückzukehren, nicht aber, seine Führungsrolle wieder einzunehmen.« Cara schmunzelte. »Aber wenn er sieht, wie dringend er gebraucht wird, kommt er vielleicht wieder zur Besinnung.«

»Zum Teil ist das der Grund, weshalb er uns so weit fort von allem in die Berge gebracht hat: Er befürchtet, wieder vereinnahmt zu werden, sobald er mit der Auseinandersetzung in Berührung kommt oder er bei seiner Rückkehr sieht, was alles vor sich geht. Ich darf seine Gefühle für mich nicht dazu benutzen, ihn in diese Ecke zu drängen. Selbst wenn wir tatsächlich zurückkehren, er der Versuchung widersteht, den Menschen in ihrem Überlebenskampf beizustehen, und er nicht in den Kampf gegen das brutale Vorgehen der Imperialen Ordnung hineingezogen wird, würde ein derart offenkundiger Druck meinerseits eine bleibende Kluft zwischen uns erzeugen.«

Kahlan schüttelte abermals den Kopf. »Seine Überzeugung in diesem Punkt ist unerschütterlich. Ich kann ihn nicht zur Rückkehr zwingen.«

Cara gestikulierte mit dem tropfnassen Spültuch. »Vielleicht ist das gar nicht seine Überzeugung, nicht tief in seinem Innern. Vielleicht will er nur deshalb nicht zurückkehren, weil ihn wegen der Geschichte in Anderith Selbstzweifel plagen und er glaubt, es wäre für ihn einfacher, sich rauszuhalten.«

»Ich glaube nicht, dass Richard in diesem Punkt an sich selber zweifelt. Nicht in diesem Punkt. Keine Sekunde. Ausgeschlossen. Wenn ihn tatsächlich irgendwelche Zweifel plagten, würde er vermutlich schon allein deshalb zurückkehren, weil das der einfachere Weg wäre. Sich rauszuhalten ist weitaus schwieriger – wie Ihr und ich bestätigen können. Aber wenn Euch die Rückkehr so sehr am Herzen liegt, könnt Ihr jederzeit gehen, Cara. Er hat Euer Leben nicht gepachtet. Ihr braucht nicht hierzubleiben, wenn Ihr nicht wollt.«

»Ich habe geschworen, ihm überallhin zu folgen, ganz gleich, was er für Torheiten macht.«

»Torheiten? Ihr folgt ihm, weil Ihr an ihn glaubt, genau wie ich. Deshalb könnte ich auch niemals fortgehen und ihn zwingen, mir zu folgen.«

Cara presste die Lippen aufeinander. Das Feuer wich aus ihren blauen Augen, als sie sich abwandte und den Lappen in den Wassereimer schleuderte. »Dann sitzen wir hier fest, dazu verdammt, unser Leben im Paradies zu verbringen.«

Kahlan lächelte, sie verstand Caras Enttäuschung. Zwar würde sie Richard niemals zu etwas zwingen wollen, das er zutiefst ablehnte, aber das hinderte sie nicht daran, zu versuchen ihn umzustimmen. Sie leerte ihren Becher Tee und knallte ihn auf den Wandtisch. Das wäre etwas völlig anderes.

»Vielleicht auch nicht. Wisst Ihr, mir geht dasselbe durch den Kopf – dass wir zurückkehren müssen, meine ich.«

Cara warf ihr einen argwöhnischen Seitenblick zu. »Was können wir also Eurer Meinung nach tun, um ihn zu überzeugen?«

»Richard wird eine Weile fort sein. Was haltet Ihr davon, wenn wir, solange er nicht hier ist und uns stört, ein Bad nehmen?«

»Ein Bad?«

»Ganz recht, ein Bad. Ich denke schon seit einer ganzen Weile daran, wie gerne ich mich endlich einmal richtig waschen würde. Ich bin es leid, wie eine Reisende in tiefster Provinz herumzulaufen. Ich würde mir gern die Haare waschen und mein weißes Konfessorkleid anziehen…«

»Euer weißes Konfessorkleid…« Cara schmunzelte verschwörerisch. »Verstehe. Das ist genau die Art von Schlacht, für die wir Frauen besser gerüstet sind.«

Aus dem Augenwinkel sah Kahlan Seele im Schlafzimmerfenster stehen, den Blick nach draußen in die Welt gerichtet, das Gewand sanft im Wind wehend, den Kopf zurückgeworfen, den Rücken durchgedrückt, die Fäuste neben ihrem Körper leicht geballt gegen alles, was auf die Idee verfallen mochte, ihr Beschränkungen aufzuerlegen.

»Nun, nicht gerade ein Kampf, wie Ihr ihn Euch vorstellt, aber ich glaube, in angemessener Kleidung kann ich mein Anliegen besser vorbringen. Unfair wäre das nicht, schließlich werde ich ihm das Problem in meiner Funktion als Mutter Konfessor vortragen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass sein Urteilsvermögen in gewisser Hinsicht getrübt war, schließlich ist es nicht ganz leicht, an etwas anderes zu denken, wenn man sich um einen geliebten Menschen sorgt.«

Der Gedanke an die Gefahr, die über den Midlands schwebte, ließ Kahlan die Fäuste ballen. »Er muss einsehen, dass das alles der Vergangenheit angehört, dass ich wieder gesund bin und die Zeit gekommen ist, den Pflichten gegenüber unserem Volk nachzukommen.«

Schmunzelnd wischte Cara sich eine Strähne ihres Blondhaars aus der Stirn. »Eins steht fest: Wenn Ihr Euer weißes Kleid tragt, wird er das einsehen und sogar noch einiges mehr.«

»Ich will, dass er die Frau sieht, die stark genug war, ihn im Schwertkampf zu besiegen. Und ich will, dass er in diesem Kleid auch die Mutter Konfessor sieht.«

Cara blies sich aus dem Mundwinkel eine weitere Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wenn ich ehrlich sein soll, ich selber hätte auch nichts gegen ein Bad einzuwenden. Ihr wisst schon, wenn ich in einem richtigen Mord-Sith-Anzug neben Euch stehe, die Haare frisch gewaschen, den Zopf geflochten, wie es sich für eine richtige Mord-Sith gehört, und ihm zu verstehen gebe, dass ich derselben Meinung bin wie Ihr, wird sich Lord Rahl gewiss noch leichter überzeugen lassen, dass wir Recht haben, und einsehen, dass es an der Zeit ist, zurückzukehren.«

Kahlan legte die Teller in den Wassereimer. »Dann ist es also abgemacht. Bis zu seiner Rückkehr bleibt uns noch genügend Zeit.«

Richard hatte ihnen eine kleine hölzerne Wanne gemacht, groß genug, um sich hineinzusetzen und ein wohliges Bad zu nehmen. Sich zurücklehnen und darin schwelgen konnte man nicht, aber für ihr Zuhause in den Bergen war es dennoch ein unerhörter Luxus.

Cara zog die Wanne aus der Ecke hervor, dass Schleifspuren auf dem Lehmboden zurückblieben. »Ich werde sie in mein Zimmer stellen. Ihr geht zuerst, dann könnt Ihr mir Euren neugierigen Ehemann vom Leib halten, während ich mir die Haare wasche.«

Kahlan und Cara schleppten eimerweise Wasser von der nahen Quelle herbei und erhitzten einen Teil davon in einem Kessel über einem prasselnden Feuer. Als Kahlan endlich in das dampfende Wasser tauchte, entfuhr ihr ein lang gezogener Seufzer. Die Luft war frisch, und umso angenehmer war das heiße Bad. Gerne hätte sie länger darin verweilt, entschied sich aber dagegen.

Lächelnd musste sie daran denken, welche Schwierigkeiten Richard stets mit Frauen gehabt hatte, die ein Bad nahmen; gut, dass er nicht da war. Später, überlegte sie, wenn sie miteinander gesprochen hatten, würde sie ihn bitten, vor dem Zubettgehen noch zu baden. Sie mochte seinen Schweißgeruch, vorausgesetzt der Schweiß war frisch.

Jetzt, da sie wusste, sie würde Richard mit gewaschenem und glänzendem Haar und in ihrem weißen Kleid gegenübertreten, war Kahlan zuversichtlich wie schon lange nicht mehr, dass eine echte Möglichkeit für ihre Rückkehr bestand. Sie trocknete und bürstete ihr Haar vor dem warmen Feuer, während Cara noch etwas Wasser aufsetzte. Als Cara in die Wanne stieg, ging Kahlan in ihr Zimmer, um ihr Kleid überzustreifen. Die meisten Menschen erfüllte dieses Kleid mit Angst, denn sie fürchteten sich vor der Frau, die es trug; Richard hatte sie darin stets gefallen.

Als sie das Handtuch aufs Bett warf, erregte die kleine Statue im Fenster ihre Aufmerksamkeit. Kahlan ballte die Hände neben ihrem Körper zu Fäusten und drückte, nackt wie sie war, den Rücken durch, warf den Kopf in den Nacken, gab sich, Seele nachahmend, ganz dem Gefühl hin, diese starke Figur zu sein, und ließ sich von dem Gefühl durchströmen.

Für diesen Augenblick verwandelte sie sich in die Seele dieser Statue.

An diesem Tag würde sich etwas verändern, das spürte sie.

Nachdem sie so lange eine Frau des Waldes gewesen war, erschien es ihr ein wenig seltsam, wieder in ihr Mutter-Konfessor-Kleid zu schlüpfen und den samtig weichen Stoff auf ihrer Haut zu spüren, im Wesentlichen jedoch bedeutete das Gefühl die Behaglichkeit des Vertrauten.

Als Mutter Konfessor fühlte sich Kahlan ihrer Sache sicher, im Grunde war das Kleid eine Art Rüstung. Wann immer sie dieses Kleid trug, verspürte Kahlan ein Gefühl von Bedeutsamkeit, denn sie lud die Bedeutung der Geschichte – von außergewöhnlichen Frauen, die vor ihr diesen Weg beschritten hatten – auf ihre Schultern. Die Mutter Konfessor trug eine immense Verantwortung, gleichzeitig erfuhr sie aber die Erfüllung, im Leben der Menschen wirklich etwas zum Besseren zu verändern.

Diese Menschen waren auf sie angewiesen. Kahlan hatte eine Aufgabe zu erfüllen und musste Richard überzeugen, dass sie sich dem nicht entziehen konnte. Er wurde ebenfalls gebraucht, doch selbst wenn er sich weigerte, Befehle zu erteilen, so musste er wenigstens freiwillig mit ihr zurückkehren. Die Menschen, die für ihre Sache kämpften, hatten es verdient zu wissen, dass die Mutter Konfessor auf ihrer Seite stand und dass sie weder den Glauben an sie noch an ihre Sache verloren hatte. Sie musste Richard wenigstens so weit bringen, dass er das einsah.

Sie ging zurück ins mittlere Zimmer und konnte Cara in der Wanne plantschen hören. »Braucht Ihr etwas, Cara?«, rief sie.

»Nein, ich bin wunschlos glücklich«, antwortete Cara aus ihrem Zimmer. »Was für ein herrliches Gefühl! Ich glaube, im Wasser schwimmt so viel Schmutz, dass man darin Kartoffeln anbauen könnte!«

Kahlan lachte verständnisvoll. Plötzlich erblickte sie ein Streifenhörnchen, das suchend vor dem Haus herumsprang. »Ich werde Chippy ein paar Apfelgriebse zu fressen geben. Ruft einfach, wenn Ihr etwas braucht.«

Alle Streifenhörnchen hießen bei ihnen Chippy, und alle reagierten auf diesen Namen, sie wussten, der Name verhieß etwas zu fressen.

»In Ordnung«, rief Cara aus ihrem Wannenbad. »Aber wenn Lord Rahl zurückkommt, gebt ihm einfach einen Kuss oder beschäftigt ihn anderweitig, bis ich fertig bin, bevor Ihr mit ihm sprecht. Ich möchte dabei sein, wenn Ihr ihn überredet. Ich will ganz sicher gehen, dass ihm auch wirklich ein Licht aufgeht.«

Kahlan schmunzelte: »Versprochen.«

Sie fischte einen Apfelgriebs aus dem Holzeimer mit den Essensresten für die Tiere, den sie an einem Stück Kordel gehängt hatten, damit die Streifenhörnchen sich nicht allein bedienen konnten. Auch Eichhörnchen waren ganz versessen auf Apfelgriebse, die Pferde dagegen mochten ihre Äpfel lieber ganz.

»Hier, Chippy«, rief Kahlan durch die Tür, mit der Stimme, die sie stets bei ihnen benutzte. Sie hievte den Eimer wieder unter die Decke und befestigte die Kordel an dem in der Wand befestigten Holzzapfen. »Chip, Chip, magst du einen Apfel?«

Kahlan sah, wie das Streifenhörnchen ein Stück abseits im Gras auf Nahrungssuche ging; der kalte Wind wehte ihr die Falten ihres Kleides beim Gehen schmeichelnd um die Beine. Fast war es so kalt, dass man den Fellüberwurf brauchte. Die kahlen Äste der hinter der Hütte stehenden Eichen knarrten und stöhnten, wenn sie aneinander rieben. Die bis in den Himmel, wo der Wind noch stärker wehte, hinaufreichenden Fichten neigten sich unter den gelegentlichen Böen tief nach unten. Die Sonne hatte sich hinter einem stahlgrau bedeckten Himmel verkrochen, der das Weiß ihres Kleides im trüben Licht noch deutlicher hervorhob.

In der Nähe des Fensters, aus dem Seele nach draußen schaute, rief Kahlan das Streifenhörnchen erneut. Gewöhnlich ließ die sanfte Stimme, mit der Kahlan zu ihnen sprach, die Streifenhörnchen wie gebannt verharren. Als es sie hörte, stellte sich das kleine, pelzige, gestreifte Wesen kurz auf die Hinterpfoten, prüfte regungslos verharrend, ob die Luft rein war, und flitzte, nachdem es sich dessen vergewissert hatte, zu ihr. Kahlan war in die Hocke gegangen und ließ den Apfelgriebs aus ihrer Hand auf die Erde rollen.

»Hier, lass es dir schmecken, Kleiner«, gurrte sie.

Chippy vergeudete keine Zeit und fiel über seinen Leckerbissen her. Kahlan taten die Wangen weh, so musste sie über das Streifenhörnchen schmunzeln, als es seinen über die Erde rollenden Apfelgriebs rundherum abknabberte. Sich die Hände abwischend, erhob sie sich, noch immer gefesselt von dem kleinen Geschöpf und seinen fieberhaften Bemühungen.

Plötzlich fuhr es mit einem quiekenden Laut zusammen und erstarrte.

Kahlan sah auf und blickte in die blauen Augen einer Frau.

Die Frau stand keine zehn Fuß entfernt und musterte sie mit einem kalt abschätzenden Blick, so dass Kahlan das erschrockene Keuchen in der Kehle stecken blieb. Die Frau schien mitten aus dem Nichts aufgetaucht zu sein; eine eiskalte Gänsehaut kroch kribbelnd Kahlans Arme hoch.

Das lange, blonde Haar der Frau fiel bis über die Schultern eines überaus eleganten schwarzen Kleids. Sie war von so ebenmäßiger Schönheit, ihr Gesicht von so perfekter Reinheit, vor allem aber ihre Augen erfassten ihre Umgebung mit solcher Intelligenz und Klarheit, dass sie nur ein Geschöpf von äußerster Unbescholtenheit … oder unaussprechlicher Verderblichkeit sein konnte.

Kahlan wusste ohne jeden Zweifel, was zutraf.

Die Frau gab Kahlan augenblicklich das Gefühl, hässlich wie ein Klumpen Dreck zu sein und hilflos wie ein Kind. Am liebsten wäre sie im Boden versunken. Stattdessen blickte sie unverwandt für die Dauer von einer, höchstens zwei Sekunden in die blauen Augen dieser Frau, und in dieser Zeitspanne schien eine ganze Ewigkeit zu verstreichen. Ein beängstigend intensiver Zug von Nachdenklichkeit durchzog diese intelligentdurchtriebenen blauen Augen.

Kahlan musste an Captain Meifferts Beschreibung dieser Frau denken, aber nicht um alles in der Welt konnte sie sich in diesem Augenblick an ihren Namen erinnern. Er schien nebensächlich; es zählte allein, dass diese Frau eine Schwester der Finsternis war.

Wortlos breitete die Frau ihre Hände, die Innenflächen nach oben drehend, ganz leicht auseinander, so als wollte sie ihr in aller Bescheidenheit etwas anbieten. Ihre Hände waren leer.

Kahlan beschloss, sich mit einem Satz auf sie zu werfen, vertraute dabei ganz auf ihre Kraft. In gewisser Weise war ihr Entschluss bereits der Beginn des Handelns, trotzdem musste sie unbedingt näher heran, wenn dieses Handeln Sinn oder Wirkung haben sollte.

Sie machte Anstalten, zu diesem verwegenen Sprung anzusetzen, als die Welt um sie herum zu einem weißen Nichts explodierte.

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