42

Kahlan schaute flüchtig über ihre Schulter auf die über den Kartenkorb in der Ecke gebeugte Prälatin. Fast eine volle Mondphase war es jetzt her, dass Warren mit den Captains Ryan und Zimmer zu diesem Einsatz aufgebrochen war. Obwohl die Dauer eines solchen Einsatzes nur schwer präzise abzuschätzen war, hätten sie mittlerweile längst zurück sein müssen. Kahlan wusste nur zu gut, welche Sorgen sich zweifellos hinter dem keinen Unfug duldenden Äußeren der Frau verbargen.

»Verna«, fragte Kahlan, sich die Arme reibend, »könntet Ihr im Vorübergehen noch etwas Holz ins Feuer nachlegen, bitte?«

Cara sprang auf von ihrem Hocker, auf dem sie gesessen und Kahlan über die Schulter geschaut hatte. »Ich werde das machen.«

Verna zog eine Karte heraus und bedankte sich auf dem Weg zurück zu ihrem Tisch bei Cara. »Hier, bitte, Zedd. Ich glaube, auf dieser Karte ist das Gebiet, von dem Ihr gesprochen habt, deutlicher zu erkennen.«

Zedd entrollte die neue Karte über der, die bereits ausgebreitet auf dem Tisch vor Kahlan lag. Sie wies einen größeren Maßstab auf und gestattete einen detaillierteren Blick auf die südlichen Regionen der Midlands.

»Hmmm« meinte Zedd gedehnt, während er die neue Karte in Augenschein nahm. »Seht Ihr, hier?« Er tippte auf den Fluss Drun. »Seht Ihr, wie sehr sich das Tiefland hier unten im Süden bis zu dieser Stelle verjüngt? Genau das meinte ich. Unwegsames Gelände und steile Felswände, die an verschiedenen Stellen den Fluss einfassen. Aus diesem Grund glaube ich nicht, dass sie versuchen werden, das Druntal hinaufzumarschieren.«

»Vermutlich habt Ihr Recht«, sagte Verna.

»Außerdem« – Kahlan deutete mit einer fahrigen Geste auf ein Gebiet im Norden der ersten Karte – »befindet sich in dieser Richtung eigentlich nur Nicobarese. Die Menschen dort oben leben ziemlich abgeschieden und bieten demzufolge ein verlockendes Ziel, andererseits ist das Land alles andere als reich; Kriegsbeute und Wirtschaftsgüter dürften mager ausfallen. Die Chancen für eine Eroberung stehen für die Imperiale Ordnung weitaus besser, wenn sie hier drüben bleiben. Seht Ihr übrigens, wie viel Mühe es sie kosten würde, ihre Armee ein weiteres Mal über das Rang’Shada-Gebirge zu setzen, wenn sie den Drun hinaufmarschieren? In strategischer Hinsicht wäre der Weg hier hinauf weniger sinnvoll.«

Verna nestelte untätig an einem Knopf ihres blauen Kleides, während sie die Karte eingehend betrachtete. »Ja …. ich sehe, was Ihr meint.«

»Aber Euer Einwand ist nicht unberechtigt«, meinte Kahlan. »Es wäre keine schlechte Idee, wenn Ihr ein oder zwei Schwestern losschicken würdet, um das Gebiet im Auge zu behalten; dass es strategisch nicht so sinnvoll ist, bedeutet noch lange nicht, dass Jagang es nicht versuchen wird. Zweifellos wird er uns bei Frühlingsanfang angreifen. Schließlich möchten wir nicht davon überrascht werden, dass die Imperiale Ordnung durch die Hintertür nach Aydindril einfällt.«

Auf ein Klopfen hin ging Cara zur Tür; es war ein Oberkundschafter namens Hayes. Kahlan erhob sich, als sie durch die geöffnete Tür zwischen den nahen Bäumen Captain Ryan erblickte, der ebenfalls auf die Hütte zugestapft kam.

Hayes salutierte mit einem Faustschlag auf sein Herz.

»Freut mich zu sehen, dass Ihr zurück seid, Corporal Hayes«, begrüßte Kahlan ihn.

»Danke, Mutter Konfessor. Es tut gut, wieder hier zu sein.«

Er sah aus, als könnte er eine Mahlzeit vertragen. Nachdem Captain Ryan hastig durch die Tür getreten war, drückte Cara sie gegen den hereinwehenden Schnee zu. Hayes trat zur Seite, um dem Captain Platz zu machen.

Kahlan war erleichtert, den jungen galeanischen Offizier zu sehen. »Wie ist es gelaufen, Captain? Wie geht es den anderen?«

»Gut«, antwortete der Captain. »Wir haben uns sehr gut geschlagen. Die Schwestern konnten einige unserer Verwundeten heilen. Einige mussten ein Stück weit transportiert werden, bevor die Schwestern sie versorgen konnten, was uns ein wenig aufgehalten hat. Wir haben einige Verluste erlitten, aber längst nicht so viele wie befürchtet. Warren war eine große Hilfe.«

»Wo ist Warren?«, fragt Zedd.

Als hätte er seinen Namen vernommen, platzte Warren von einer wirbelnden Schneebö begleitet zur Tür herein. Kahlan blinzelte mit halb zusammengekniffenen Augen in den schmalen, grellen Lichtspalt, bis die Tür wieder zugedrückt wurde. Der Ausdruck auf Vernas Gesicht war ihr nicht entgangen, und sie musste daran denken, wie froh sie stets gewesen war, wenn sie Richard nach einer Trennung sicher hatte zurückkehren sehen. Warren drückte Verna einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Kahlan sah den Blick, den beide dabei wechselten, auch wenn ihn sonst niemand bemerkte. Sie freute sich für die beiden, trotzdem versetzte ihr die Erinnerung an ihre hilflose Sorge und ihren Kummer über Richard einen schmerzhaften Stich.

»Habt Ihr es ihnen schon erzählt?«, fragte Warren, seinen Umhang aufknöpfend.

»Nein«, antwortete Captain Ryan. »Dazu sind wir noch nicht gekommen.«

Zedd runzelte die Stirn. »Was denn erzählt?«

Warren seufzte schwer. »Nun ja, Vernas Spezialglas hat besser funktioniert, als wir dachten. Wir haben mehrere Männer gefangen genommen und sie ausgiebig verhört. Die Toten, die wir im Tal gesehen haben, waren nur die, die gleich zu Anfang umgekommen sind.«

Verna half Warren aus seinem schweren, schneeverkrusteten Umhang und legte ihn neben dem Feuer auf den Boden, wo bereits Captain Ryan seine braune Jacke zum Trocknen ausgebreitet hatte.

»Allem Anschein nach«, fuhr Warren fort, »sind sehr viele – möglicherweise weitere sechzig- bis siebzigtausend Mann – nicht vollständig erblindet, sondern haben nur ein Auge, beziehungsweise einen Teil ihrer Sehkraft verloren. Die Imperiale Ordnung konnte sie schlecht zurücklassen, da sie noch gut genug sehen, um bei den Übrigen zu bleiben, aber was wichtiger ist, man hofft, dass diese Männer möglicherweise wieder genesen und ihr Augenlicht vollständig zurückerlangen – und damit ihre Kampftauglichkeit.«

»Das ist nicht sehr wahrscheinlich«, warf Verna ein.

»Ich glaube das auch nicht«, sagte Warren, »aber das denken sie jedenfalls. Eine weitere beträchtliche Zahl, vielleicht fünfundzwanzig bis dreißigtausend Mann, sind erkrankt – ihre Augen und Nasen sind gerötet und stark entzündet.«

Verna nickte. »Eine typische Auswirkung des Glases.«

»Einige andere, vielleicht ungefähr die Hälfte dieser Zahl, klagt über Atembeschwerden.«

»Das ergibt dann«, meinte Kahlan, »zusammen mit den Getöteten und den so schwer Verletzten, die nicht mehr wirkungsvoll als Kämpfer eingesetzt werden können, nahezu einhundertfünfzigtausend Mann, die durch den Glasstaub aus dem Weg geräumt wurden. Eine ganz ordentliche Leistung, Verna.«

Verna schien ebenso zufrieden wie Kahlan. »Dann hat sich der Ritt, der mich beinahe vor Angst um den Verstand gebracht hat, ja gelohnt. Wärt Ihr nicht auf die Idee gekommen, es auf diese Weise zu versuchen, es hätte niemals funktioniert.«

»Und wobei wart Ihr erfolgreich, Captain?«, fragte Cara, während sie vortrat und sich hinter Kahlan stellte.

»Captain Zimmer und ich hatten genau den Erfolg, den wir uns erhofft hatten. Ich schätze, in der Zeit, die wir dort unten waren, haben wir annähernd zehntausend Mann ausgeschaltet.«

Zedd ließ ein leises Pfeifen vernehmen. »Das müssen aber ziemlich heftige Kämpfe gewesen sein.«

»Eigentlich nicht. Nicht, wie die Mutter Konfessor es uns beigebracht hat, und auch nicht, wie Captain Zimmer arbeitet. Meist schalten wir den Feind so wirkungsvoll wie möglich aus und versuchen gar nicht erst in die Verlegenheit zu kommen, kämpfen zu müssen. Wenn Ihr einem Mann im Schlaf die Kehle aufschlitzt, erreicht Ihr sehr viel mehr, und die Wahrscheinlichkeit, dabei verletzt zu werden, ist geringer.«

Kahlan lächelte. »Es freut mich, dass Ihr ein so gelehriger Schüler wart.«

Captain Ryan deutete mit dem Daumen auf Warren. »Der Zauberer und die Schwestern haben uns sehr geholfen, die erforderlichen Stellungen unbemerkt zu erreichen. Gibt es schon Neuigkeiten von den wollenen Umhängen? Die könnten wir wirklich gebrauchen. Eins kann ich Euch mit Bestimmtheit sagen, mit ihrer Hilfe hätten wir weit mehr ausrichten können.«

»Gerade vorgestern haben wir unsere erste Lieferung erhalten«, erklärte Kahlan ihm. »Mehr als genug für Eure und Captain Zimmers Männer; in ein paar Tagen werden wir noch mehr bekommen.«

Captain Ryan rieb sich die Hände, um sie zu wärmen. »Captain Zimmer wird sich freuen.«

Zedd deutete nach Süden. »Konntet Ihr in Erfahrung bringen, warum sie sich so weit aus dem bereits eroberten Gebiet zurückgezogen haben?«

Warren nickte. »Von den Männern, die wir verhört haben, erfuhren wir, dass in ihrem Feldlager ein Fieber ausgebrochen ist. Das hat nichts mit uns zu tun; es handelt sich einfach um das übliche Fieber, zu dem es unter den beengten Verhältnissen in einem Feldlager häufiger kommt. Sie haben sich zurückgezogen, um ein wenig auf Distanz zu gehen und etwas Raum zum Atmen zu bekommen. Und sie sind keineswegs besorgt, uns nicht vertreiben zu können, wann immer sie dies wollen.«

Das klang logisch. Angesichts ihrer gewaltigen Zahl war es nur natürlich, dass sie bis hin zur Arroganz überzeugt waren, jedweden Widerstand brechen zu können. Kahlan konnte nicht verstehen, warum Warren und Captain Ryan so entmutigt wirkten, spürte aber, dass trotz all der guten Nachrichten etwas nicht in Ordnung war.

»Gütige Seelen«, versuchte Kahlan sie ein wenig aufzumuntern. »Ihre gewaltige Zahl schmilzt wie Schnee rings um ein Lagerfeuer. Das klingt besser als…«

Warren hob eine Hand. »Ich bat Hayes hier, mitzukommen und Euch aus erster Hand Bericht zu erstatten. Ich denke, Ihr lasst ihn besser ausreden.«

Kahlan bedeutete dem Mann, vorzutreten. Forsch trat er an ihren Tisch und nahm zackig Haltung an.

»Lasst hören, was Ihr zu berichten habt, Corporal Hayes.«

Sein Gesicht war kreidebleich, und trotz der Kälte schwitzte er.

»Mutter Konfessor, mein Kundschaftertrupp stand unten im Südwesten, beobachtete die aus der Wildnis herführenden Straßen für den Fall, dass die Imperiale Ordnung versuchen sollte, uns in weitem Bogen zu umgehen. Um es kurz zu machen, wir haben eine Kolonne erspäht, die sich auf dem Weg nach Westen befand, um die Ordenstruppen zu verstärken und mit Vorräten zu versorgen.«

»Ihre Armee ist riesig«, erwiderte Kahlan. »Es ist ganz natürlich, dass sie Nachschub aus ihrer Heimat kommen lassen, um ihre Kriegsbeute zu ergänzen. Und eine Nachschubkolonne würde gewiss auch von einem Geleittrupp gesichert werden.«

»Ich blieb ihnen eine Woche lang auf den Fersen, um ihre korrekte Zahl zu ermitteln.«

»Wie viele waren es?«, fragte Kahlan.

»Weit über eine Viertelmillion Mann, Mutter Konfessor.«

Kahlans Haut prickelte, als ob eisige Nadeln darüber tanzten.

»Wie viele?«, fragte Verna.

»Wenigstens Zweihundertfünfzigtausend Mann unter Waffen, dazu Fahrer, sowie Zivilisten mit Vorräten.«

Alles, worauf sie hingearbeitet hatten, all die Opfer, all die Mühen, um die Imperiale Ordnung zu dezimieren, waren mit einem Schlag zunichte gemacht worden. Mehr als zunichte gemacht worden, denn die feindlichen Truppen waren nahezu noch einmal um dieselbe Zahl an Männern angewachsen.

»Gütige Seelen«, sagte Kahlan leise, »Wie viele Männer kann die Imperiale Ordnung denn noch gegen uns ins Feld führen?«

Als sie Warrens Blick begegnete, wusste sie, dass selbst diese Zahl für ihn alles andere als eine Überraschung war.

Warren deutete auf den Kundschafter. »Hayes hat nur die erste Gruppe zu Gesicht bekommen. Die Männer, die wir gefangen nehmen konnten, haben uns von den Verstärkungen berichtet. Erst waren wir nicht sicher, ob sie uns die Wahrheit erzählen – wir dachten, sie wollten uns vielleicht Angst einjagen –, aber dann stießen wir auf Corporal Hayes, der sich gerade auf dem Rückweg befand, und führten noch ein paar Verhöre und Erkundungsgänge durch – weshalb sich unsere Rückkehr auch verspätet hat.«

»Eine weitere Viertelmillion…« Kahlan ließ den Satz unbeendet. Alles erschien ihr so hoffnungslos.

Warren räusperte sich. »Das ist nur die erste Kolonne frischer Truppen; weitere sind bereits unterwegs.«

Kahlan ging zum Kamin, wärmte sich die Hände und starrte in die Flammen. Sie stand genau unter der kleinen Figur, die Richard zu ihrer Aufmunterung geschnitzt hatte. Wie gerne hätte sich Kahlan in diesem Augenblick an das Gefühl trotzigen Widerstands erinnert, für das Seele stand. Ihr war, als bliebe ihr als einziger Ausweg nur der Tod.


Die Nachricht von den Verstärkungen für die Imperiale Ordnung und vom Abzug der Galeaner und Keltonier breitete sich in Windeseile im gesamten Lager aus. Kahlan, Zedd, Warren, Verna, Adie, General Meiffert sowie all die anderen Offiziere verschwiegen den Männern nichts. Diese Männer riskierten Tag für Tag ihr Leben und hatten ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Wenn Kahlan durch das Lager ging und ein Soldat mutig genug war, sie darauf anzusprechen, erklärte sie ihm alles, was sie wusste. Obwohl sie zugleich versuchte, ihnen Selbstvertrauen einzuflößen, log sie sie niemals an.

Die Männer kämpften schon so lange, dass Angst für sie ein Fremdwort war. Die gedrückte Stimmung wurde zu einem fast mit den Händen greifbaren Leichentuch, unter dem jede Spur von Leben zu ersticken drohte. Wie benommen gingen sie ihrer Arbeit nach, nahmen ihr Schicksal hin, das jetzt besiegelt schien, und fügten sich ins Unvermeidliche. Die Neue Welt bot ihnen keinen Schutz, keinen sicheren Ort, nichts, wo sie sich vor der uneingeschränkten Bedrohung der Imperialen Ordnung noch hätten verstecken können.

Kahlan zeigte den Soldaten ein entschlossenes Gesicht, sie hatte keine andere Wahl. Captain Ryan und seine Männer hatten eine ähnlich verzweifelte Lage schon einmal durchgestanden und waren über die Neuigkeiten weniger beunruhigt. Sterben konnten sie nicht mehr, denn sie waren schon lange tot. Die jungen Galeaner hatten, gemeinsam mit Kahlan, einen Todesschwur geleistet, und konnten erst wieder zum Leben erweckt werden, wenn die Imperiale Ordnung endgültig vernichtet war.

Nichts von alldem war für Captain Zimmer und seine Männer von übermäßiger Bedeutung. Sie wussten, was zu tun war, und ließen sich durch nichts davon abbringen. Mittlerweile war jeder von ihnen im Besitz mehrerer Ohrenketten; bei jeweils einhundert fingen sie eine neue an. Es war für sie eine Frage der Ehre, nur das jeweils rechte Ohr zu behalten, sodass keine zwei Ohren vom selben Opfer stammten.

Der Abgesandte Theriault aus Herjborgue hielt Wort. Die benötigten Wollumhänge, Mützen und Handschuhe trafen in wöchentlichen Abständen ein und halfen den Männern, sich zu tarnen, die sich regelmäßig auf einen Einsatz begaben, um die Imperiale Ordnung zu attackieren, solange das Wetter für sie günstig war. Da viele im Lager des Ordens von der Krankheit geschwächt und zahlreiche Feinde sehbehindert waren, erwiesen sich diese Einsätze als außerordentlich erfolgreich. Darüber hinaus wurden in Tarnumhänge gehüllte Truppen ausgesandt, um sich auf die Lauer zu legen und jedweden Nachschubzug abzufangen, in der Hoffnung, die Verstärkungen auf diese Weise niederzukämpfen, bevor sie zur Hauptstreitmacht des Feindes stoßen konnten.

Nichtsdestoweniger waren diese Attacken für die Imperiale Ordnung kaum mehr als eine lästige Störung.

Nach einer Zusammenkunft mit einem soeben zurückgekehrten Trupp traf Kahlan Zedd allein in der Hütte an, als er gerade die letzten in die Karten eingetragenen Informationen durchging.

»Wir hatten Glück«, meinte sie, als er den Kopf hob und ihr beim Ablegen ihres Pelzüberwurfs zusah. »Die Männer, die gerade zurückgekommen sind, haben nur geringe Verluste erlitten, außerdem ist es ihnen gelungen, einen größeren Trupp zu stellen, der gerade auf Patrouille war. Sie konnten ihnen den Weg abschneiden und sie allesamt erledigen, darunter auch eine von Jagangs Schwestern.«

»Warum dann das lange Gesicht?«

Kahlan konnte bloß in einer hilflosen Geste der Sinnlosigkeit die Hände heben.

»Du solltest dich nicht so entmutigen lassen«, riet Zedd ihr. »Verzweiflung ist oft die Dienerin des Krieges. Ich kann dir gar nicht sagen, wie lange das jetzt her ist, als ich noch ein kleiner Junge war, und jeder, der in diesem Krieg damals ums nackte Überleben kämpfte, überzeugt war, es sei nur eine Frage der Zeit, bis man uns vernichtend schlagen würde. Wir hielten durch und siegten.«

»Das weiß ich doch, Zedd, ich weiß.« Kahlan rieb sich die Kälte aus den Händen. Fast war es ihr zuwider, es auszusprechen, schließlich tat sie es aber doch. »Richard ist nicht gekommen, um die Führung der Armee zu übernehmen, weil er meinte, dass wir nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge unmöglich gewinnen könnten. Ob wir gegen die Imperiale Ordnung kämpfen oder nicht, ihr Schatten wird sich über die Welt legen, und wenn wir kämpfen, hätte das nur noch mehr Tote zur Folge – unsere Seite würde vernichtend geschlagen werden, die Imperiale Ordnung würde trotzdem die Welt beherrschen, und jede Chance, in Zukunft zu obsiegen, wäre verspielt.«

Zedd betrachtete sie aus einem Auge. »Was tust du dann hier?«

»Richard war überzeugt, dass wir nicht gewinnen können, nur kann ich mich nicht recht überwinden, das zu glauben. Lieber würde ich im Kampf um die Freiheit, die Freiheit meines Volkes, sterben, als das Dasein eines Sklaven zu fristen. Andererseits bin ich mir darüber im Klaren, dass ich mich damit Richards Wünschen, seinem Rat und seinen Befehlen widersetze. Ich habe ihm mein Wort gegeben … mir ist, als ob ich mich durch den Treibsand des Verrats kämpfe und jeden mitreiße.«

Sie suchte in seinem Gesicht nach einem Zeichen, dass Richard sich getäuscht haben könnte. »Du hast gesagt, er sei ganz von allein auf das Sechste Gebot des Zauberers gekommen – demzufolge wir unseren Verstand gebrauchen müssen, um die Wahrheit zu erkennen. Ich hatte mir Hoffnungen gemacht und dachte, er müsse sich über die Aussichtslosigkeit dieses Krieges täuschen, aber jetzt…«

Zedd lächelte bei sich, so als fände er Gefallen an etwas, das für sie ein einziges Grauen bedeutete.

»Dieser Krieg wird lange dauern; er ist alles andere als hoffnungslos und erst recht noch nicht entschieden. Das ist das Quälende an der Führerschaft in einem solchen Kampf – die Zweifel, die Ängste, die Gefühle der Hoffnungslosigkeit. Aber all das sind Gefühle – die nicht notwendigerweise den Tatsachen entsprechen. Jedenfalls noch nicht, denn wir haben noch viele Möglichkeiten der Einflussnahme.

Richards Äußerungen fußen auf dem Stand der Dinge zu dem Zeitpunkt, als er sie machte. Wer will behaupten, das Volk sei mittlerweile nicht bereit, sich ihm zu beweisen? Bereit zu beweisen, dass es gewillt ist, sich der Imperialen Ordnung zu widersetzen? Vielleicht ist das, was Richard brauchte, um sich auf diesen Kampf einlassen zu können, längst eingetroffen.«

»Aber ich weiß doch, wie sehr er mir davon abriet, diesen Kampf aufzunehmen. Er meinte, was er sagte. Trotzdem … ich besitze nicht Richards Kraft, die Kraft, mich einfach abzuwenden und den Dingen ihren Lauf zu lassen.« Kahlan deutete auf das Tintenfass auf dem Tisch. »Ich habe Briefe geschrieben, in denen ich darum bitte, uns zusätzliche Truppen zu schicken.«

Wieder lächelte er, so als wollte er sagen, dies sei ein weiterer Beweis dafür, dass man es schaffen könne.

»Es wird ununterbrochener Anstrengungen bedürfen, die Zahl der Feinde zu dezimieren. Ich glaube, wir haben der Imperialen Ordnung noch immer keinen wirklich ernsthaften Schlag versetzt, aber das werden wir noch tun. Die Schwestern und ich werden uns etwas einfallen lassen. In Angelegenheiten dieser Art weiß man nie; gut möglich, dass wir ganz plötzlich etwas tun, das sie bis in die Grundfesten erschüttert.«

Lächelnd strich Kahlan ihm über die Schulter. »Danke, Zedd. Ich bin so froh, dich bei uns zu haben.« Ihr Blick wanderte hinüber zu der kleinen Statue, die stolz über der Feuerstelle stand. Sie trat vor den Kaminsims wie vor einen Altar mit einer heiligen Schnitzfigur. »Gütige Seelen, wie vermisse ich ihn.«

Ihre Worte enthielten eine unausgesprochene Frage sowie die Hoffnung, er werde sie mit einem Einfall überraschen, wie man Richard zurückbekommen konnte.

»Ich weiß, Liebes. Ich vermisse ihn auch. Aber er lebt – das ist das Wichtigste.«

Kahlan vermochte nur zu nicken.

Zedd klatschte in die Hände, als sei er geradezu entzückt über einen fröhlichen Einfall. »Was wir im Augenblick mehr als alles andere brauchen, ist etwas, das uns alle eine Weile von den schwierigen Aufgaben ablenkt, die uns in nächster Zukunft erwarten. Etwas, das den Männern einen Anlass bietet, sich gemeinsam über etwas zu freuen; das würde ihnen besser tun als alles andere.«

Kahlan sah stirnrunzelnd über ihre Schulter. »Was denn, zum Beispiel? Meinst du eine Art Spiel oder etwas Ähnliches?«

Seine Züge waren vor lauter Nachdenken ganz verzerrt. »Ich weiß nicht, irgendetwas Fröhliches. Etwas, das ihnen vor Augen führt, dass uns die Imperiale Ordnung nicht daran hindern kann, unser Leben zu leben und uns unseres Lebens – und all dessen, um was es im Leben eigentlich geht – zu erfreuen.« Er fuhr mit dem Daumen über den ausgeprägten Schwung seines Kinns. »Irgendwelche Vorschläge?«

»Na ja, ich wüsste wirklich nicht…«

Genau in diesem Augenblick platzte Warren herein und vermeldete: »Soeben ist ein Bericht aus dem Druntal eingetroffen. Heute ist unser Glückstag – keinerlei Truppenbewegungen, wie wir erwartet hatten.«

Er blieb wie angewurzelt stehen, die Hand noch immer an der Türklinke, während sein Blick zwischen Zedd und Kahlan hin und her wanderte.

»Was ist denn los? Was geht hier vor? Wieso schaut Ihr mich so an?«

Verna schloss zu Warren auf und schob ihn ins Innere der Hütte. »Geh schon, so geh doch endlich hinein. Was ist bloß los mit dir? Es ist eiskalt hier draußen.«

Verärgert schnaubend schloss Verna selbst die Tür. Als sie sich umdrehte und Zedd und Kahlan erblickte, wich sie einen Schritt zurück.

»Verna, Warren«, meinte Zedd mit Honig in der Stimme, »tretet doch bitte ein.«

Verna runzelte argwöhnisch die Stirn. »Was heckt ihr zwei gerade aus, das Euch so amüsiert?«

»Nun«, sagte Zedd gedehnt mit einem Augenzwinkern zu Kahlan, »die Mutter Konfessor und ich sprachen gerade über das große Ereignis.«

Vernas Stirnrunzeln verfinsterte sich noch, als sie sich vorbeugte. »Welches große Ereignis? Mir ist nichts von einem großen Ereignis bekannt.«

Selbst Warren, dem dies eher fremd war, runzelte jetzt die Stirn. »Genau. Welches große Ereignis?«

»Eure Hochzeit«, erklärte Zedd.

Die finsteren Mienen von Verna und Warren waren im Nu verflogen, und ein überraschtes, albernes, strahlendes Grinsen kam über sie. »Wirklich?«, fragte Warren. »Wirklich«, entfuhr es Verna. »Ja, wirklich«, bestätigte Kahlan.

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