16

»Ich hoffe doch, Ihr mögt Eier«, verkündete Schwester Philippa lauthals, als sie, einen dampfenden Teller in den Händen, ins Zelt hereingerauscht kam.

Zedd rieb sich die Hände. »Köstlich.«

Alle anderen standen immer noch wie erstarrt und betreten schweigend da. Schwester Philippa schien die offenen Münder überhaupt nicht zu bemerken.

»Ich bat den Koch, etwas Schinken und ein paar andere Kleinigkeiten hinzuzufügen, die er noch herumliegen hatte.« Mit einem prüfenden Blick auf Zedds Figur fügte sie hinzu: »Ich dachte mir, ein wenig Fleisch auf den Knochen könnte Euch nicht schaden.«

»Fantastisch!« Zedd grinste, als er ihr den mit Bergen von Rühreiern und Schinken überhäuften Teller aus den Händen nahm.

»Äh…«, setzte der General an, offenkundig etwas unschlüssig, wie er seine Frage in Worte kleiden sollte. »… würdet Ihr freundlicherweise erläutern … was Ihr damit sagen wollt, Zauberer Zorander?«

»Zedd genügt vollkommen.« Zedd, eben noch damit beschäftigt, den betörenden Duft der Mahlzeit einzuatmen, schaute hoch. »Tot.« Er fuhr sich mit der Gabel über die Kehle. »Ihr wisst schon, tot. Praktisch die gesamte Truppe. Tot.« Er wandte sich wieder Schwester Philippa zu. »Es riecht ausgezeichnet.« Abermals sog er den von seinem Teller mit Eiern aufsteigenden Dampf ein. »Einfach köstlich. Dass Ihr daran gedacht habt, den Koch zu bitten, diese vorzüglichen Zutaten beizugeben, weist Euch aus als eine Frau von Herzensbildung und Verstand. Einfach köstlich.«

Die Schwester strahlte.

Der General hob eine Hand. »Zauberer Zorander, wenn ich bitten dürfte…«

Adie fiel dem beleibten General ins Wort. »Gegen eine Mahlzeit seid Ihr eine erbärmliche Konkurrenz. Habt Geduld.«

Zedd nahm eine Gabel voll und verfiel in ein verzücktes Summen ob des Geschmacks, der sich ihm offenbarte. Während er eine zweite Gabel voll kostete, führte Adie ihn zu einer schlichten Bank an der Seitenwand des Zeltes. Dort, auf einem Tisch in der Mitte, standen ein paar Krüge sowie eine Lampe, der das gemütliche Zelt nicht nur seine Beleuchtung, sondern auch seinen öligen Geruch verdankte.

Trotz Adies Bitte, Geduld zu bewahren, begannen alle gleichzeitig durcheinander zu reden, Fragen zu stellen und Einwände vorzubringen. Zedd nahm keinerlei Notiz von ihnen, während er das Rührei in sich hineinschaufelte; die großen Schinkenstücke waren köstlich. Zum Zeichen seines Wohlbefindens fuchtelte er mit einem besonders saftigen Stück vor den Augen seines verdutzten Publikums herum. Die Gewürze, die Zwiebeln, Paprikaschoten und die warmen Käsestückchen waren wunderbar. Die Augen verdrehend, stöhnte er leise vor Entzücken.

Es war die beste Mahlzeit seit Tagen. Seine Verpflegung für unterwegs war schlicht und daher längst eintönig geworden. Oft hatte er sich murrend darüber beklagt, Spinne bekomme besseres Essen als er, zumal Spinne sich auch noch etwas darauf einzubilden schien, was er stets als Ärgernis empfunden hatte. Überheblichkeit seinem Reiter gegenüber tat einem Pferd nicht gut.

»Philippa«, knurrte Verna, »ist es unbedingt erforderlich, dass Ihr über einen Teller Rührei derart in Verzückung geratet?«

»Aber der arme Mann stand kurz vor dem Verhungern.« Verwirrt von Vernas finsterem Blick, deutete sie mit fahriger Hand auf Zedd. »Schaut Ihn doch an. Ich freue mich einfach, wenn ich sehe, wie es ihm schmeckt, außerdem macht es mich glücklich, wenn ich einem mit der Gabe gesegneten Mann des Schöpfers helfen kann.«

Als das viel zu schnelle Ende seiner Mahlzeit nahte, mäßigte sich Zedd und zögerte die letzten Bissen hinaus. Ohne weiteres hätte er noch einen zweiten Teller von denselben Ausmaßen verdrücken können. General Reibisch, auf einer Bank auf der gegenüberliegenden Seite des Zeltes sitzend, hatte die ganze Zeit über wütend eine Strähne seines Bartes um den Finger gezwirbelt. Jetzt beugte er sich vor, den angespannten Blick auf Zedd geheftet.

»Zauberer Zorander, ich benötige…«

»Zedd. Schon vergessen?«

»Also gut, Zedd. Zedd, ich bin für das Leben dieser Soldaten verantwortlich. Würdet Ihr mir bitte verraten, wieso Ihr glaubt, sie seien in Gefahr?«

Zedd antwortete mit vollem Mund: »Das habe ich bereits getan.«

»Aber … welcher Art ist diese Gefahr?«

»Die mit der Gabe. Ihr wisst schon, die Magie.«

Der General richtete sich auf. Sein Gesicht war ernst, und seine Finger krallten sich in seine muskulösen Oberschenkel. »Die mit der Gabe?«

»Ganz recht. Der Feind hat Personen mit der Gabe in seinen Reihen. Ich dachte, das sei Euch bekannt.«

Ein paar Mal mit den Augen zwinkernd, ließ er sich die Bemerkung offensichtlich noch einmal durch den Kopf gehen und versuchte das Körnchen jener unsichtbaren Gefahr zu entdecken, das sich hinter Zedds schlichter Bemerkung verbarg.

»Selbstverständlich ist uns das bekannt.«

»Aha. Und wieso habt Ihr dann keine Massengräber ausgehoben?«

Verna sprang auf. »Im Namen der Schöpfung, für wen haltet Ihr uns eigentlich, für irgendwelche Dienstmädchen, die dazu da sind, Euch das Essen vorzusetzen? Wir sind Schwestern mit der Gabe, deren Aufgabe es ist, die Armee gegen die von Jagang gefangenen Schwestern zu verteidigen!«

Adie bedeutete Verna mit einem heimlichen Wink, sich hinzusetzen und den Mund zu halten. Ihre Stimme klang wie in Honig eingelegter Kies. »Warum erzählst du uns nicht, was du herausgefunden hast, Zedd? Ich bin sicher, der General und die Prälatin würden gerne hören, wie sie unsere Verteidigung verbessern können.«

Zedd schob die winzigen gelblichen Krümel auf dem Teller zu einem letzten erbärmlichen kleinen Happen zusammen. »Ich wollte damit keinesfalls andeuten, Ihr hättet Euch einer bewussten Unzulänglichkeit schuldig gemacht, Prälatin.«

»Nun, jedenfalls habt Ihr…«

»Ihr seid alle viel zu gut, das ist alles.«

»Ich bitte um Verzeihung?«

»Zu gut. Ihr und Eure Schwestern habt Euer ganzes Leben lang versucht, den Menschen zu helfen.«

»Nun … äh, ich … wir … selbstverständlich helfen wir den Menschen. Das ist unsere Berufung.«

»Aber nicht das Töten. Jagang wird fest entschlossen sein, Euch alle umzubringen.«

»Das ist uns bekannt, Zedd.« Der General kratzte sich am Bart, während sein Blick zwischen Verna und Zedd hin und her wanderte. »Dadurch, dass sie eine Reihe feindlicher Kundschafter und dergleichen mehr aufgespürt haben, haben uns die Prälatin und ihre Schwestern sehr geholfen. Ganz so wie Schwester Philippa hier Euch bei der Annäherung an unser Lager entdeckt hat, haben sie andere aufgespürt, die uns übel mitspielen wollten. Sie haben ihre Schuldigkeit getan, Zedd, und zwar ohne ein einziges Wort der Klage. Jeder einzelne Soldat im Lager ist froh, sie hier zu haben.«

»Alles gut und schön, aber wenn die Armee der Imperialen Ordnung angreift, wird es anders aussehen. Sie werden die mit der Gabe dazu benutzen, Eure Streitkräfte völlig zu vernichten.«

»Das werden sie versuchen«, beharrte Verna, die überzeugend zu sein versuchte ohne loszubrüllen, wonach es sie zweifellos gelüstete, »aber wir sind darauf vorbereitet, genau das zu verhindern.«

»Das stimmt«, bestätigte Warren mit einem Nicken, das Zuversicht verbreiten sollte. »Es stehen jederzeit Personen mit der Gabe bereit.«

»Gut so, das ist gut«, meinte Zedd gedehnt, so als sei er eventuell gewillt, seine Einschätzung noch einmal zu überdenken. »Dann habt Ihr Euch mit den einfachen Gefahren also schon befasst, mit den Albino-Moskitos und Ähnlichem.«

General Reibischs buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. »Den was?«

Zedd fuchtelte mit seiner Gabel. »Verratet mir eins – nur um meine Neugier zu stillen –, was beabsichtigen die mit der Gabe zu tun, wenn der Feind unsere Streitkräfte attackiert? Sagen wir, mit einer Kavallerieformation?«

»Sie werden vor seiner Kavallerie eine Feuerfront legen«, antwortete Warren ohne Zögern. »Wenn die Reiter herangestürmt kommen, werden wir sie zu Asche verbrennen, bevor sie auch nur einen einzigen Speer schleudern können.«

»Aha«, machte Zedd. »Mit Feuer also.« Er schob zum letzten Mal die Gabel in seinen Mund. Alles sah schweigend zu, wie er kaute. Er hielt plötzlich inne. »Mit einem großen Feuer, nehme ich an? Mit gewaltigen, lodernden Flammen und allem, was dazugehört?«

»Von welchen Mücken redet er überhaupt?«, wandte sich General Reibisch tuschelnd an Verna und Warren, die neben ihm, gegenüber Zedd und Adie, auf der Bank saßen.

»So ist es«, erwiderte Verna, ohne auf den General einzugehen, der daraufhin seufzend die Arme vor seiner mächtigen Brust verschränkte. »Mit einer regelrechten Feuerfront.« Verna wartete, bis Zedd geschluckt hatte. »Erscheint Euch das in irgendeiner Weise unzureichend, Oberster Zauberer?«

Zedd zuckte mit den Achseln. »Nun ja…« Er hielt inne, runzelte die Stirn, beugte sich zum General hinüber und sah genauer hin. Mit einem knochendürren Finger fuchtelnd, deutete er auf die verschränkten Arme des Mannes.

»Da ist schon eine. Soeben ist eine Mücke dabei, Euer Blut auszusaugen, General.«

»Was? Oh.« Er zerquetschte sie. »In diesem Sommer wimmelt es nur so von diesen Biestern, aber ich denke, ihre Saison geht allmählich zu Ende. Wir werden verdammt froh sein, diese winzigen Quälgeister los zu sein, das kann ich Euch sagen.«

Zedd fuchtelte erneut mit seinem Finger. »Sahen sie alle so aus wie diese?«

General Reibisch hob seinen Unterarm und betrachtete das zerquetschte Insekt. »Ja. Diese blutrünstigen, kleinen…« Er verstummte und sah genauer hin. Mit Zeigefinger und Daumen packte er das Insekt an einem Flügel und hielt es in die Höhe, um es besser begutachten zu können.

»Ich will ver … dieses Biest ist« – sein Gesicht wurde einen Hauch blasser – »weiß.« Er blickte mit seinen graugrünen Augen auf und sah Zedd an. »Was sagtet Ihr gerade über…«

»Albinomücken«, bestätigte Zedd, während er seinen leeren Teller auf den Boden stellte. Mit einem zweigdürren Finger deutete er auf den plattgedrückten Angreifer des Generals. »Habt Ihr das Albinofieber jemals erlebt, General? Oder einer von Euch anderen? Eine entsetzliche Geschichte, das kann ich Euch verraten.«

»Was hat es mit diesem Albinofieber auf sich?«, wollte Warren wissen. »Ich habe noch nie davon gehört und übrigens auch nichts darüber gelesen, da bin ich sicher.«

»Wirklich? Dann tritt es offenbar nur in den Midlands auf.«

Es in die Höhe haltend, betrachtete der General das winzige weiße Insekt genauer. »Wie äußert sich dieses Albinofieber bei Menschen?«

»Oh, ihre Haut nimmt eine grässlich leichenblasse Färbung an.« Zedd fuchtelte mit seiner Gabel. »Wisst Ihr eigentlich«, sagte er und legte – den Blick nach oben gegen das Dach des Zeltes gerichtet, so als lenke ihn dort etwas ab – die Stirn in Falten, »dass ich einmal Zeuge wurde, wie ein Zauberer eine geradezu prachtvolle Feuerwand vor einer heranstürmenden Kavallerieformation errichtete?«

»Seht Ihr, da habt Ihr’s«, sagte Verna. »Dann ist Euch ihr Nutzen ja bekannt. Ihr habt mit eigenen Augen gesehen, wie sie eingesetzt wurde.«

»Nun ja…«, meinte Zedd gedehnt. »Das Problem war, der Feind hatte sich auf einen derart einfältigen Trick vorbereitet.«

»Einfältig!« Verna sprang auf. »Mir ist schleierhaft, wie Ihr auch nur in Betracht ziehen könnt…«

»Der Feind hatte für diese Möglichkeit gekrümmte Schilde herbeigezaubert.«

»Gekrümmte Schilde?« Warren wischte sich eine seiner blonden Locken aus dem Gesicht. »Davon habe ich noch nie gehört. Was sind denn gekrümmte…«

»Selbstverständlich hatte der Zauberer, der das Feuer legte, mit Schilden gerechnet, daher machte er sein Feuer gegen diese erwartete Verteidigung resistent. Die Schilde waren jedoch nicht darauf ausgerichtet, das Feuer aufzuhalten« – Zedds Blick wechselte von Warrens aufgerissenen Augen zu Vernas finsterer Miene – »sondern es herumzuwälzen.«

»Albinofieber?« Der General schwenkte sein Insekt. »Wenn Ihr die Güte hättet, mir vielleicht zu erklären…«

»Das Feuer herumzuwälzen?«, wiederholte Warren und beugte sich vor.

»Ganz recht«, sagte Zedd. »Das Feuer vor dem Kavallerieangriff herumzuwälzen – so dass die Verteidiger es statt mit einer simplen Kavallerieattacke nun mit einer todbringenden, sich ihnen entgegenwälzenden Feuerwand zu tun bekamen.«

»Gütiger Schöpfer…«, entfuhr es Warren leise. »Das ist genial – aber der Schild würde das Feuer doch gewiss ersticken.«

Zedd ließ seine Gabel rotieren, so als wollte er veranschaulichen, wie der Schild die Flammen umwälzte. »Von ihrem eigenen Zauberer gegen die erwartete Verteidigung erschaffen, war das Feuer gegen Schilde unempfindlich gemacht worden, so dass es, anstatt sich abzuschwächen, in seiner ganzen Kraft erhalten blieb, wodurch der gekrümmte Schild das Feuer natürlich herumwälzen konnte, ohne dass es erlosch. Und da es gegen Schilde unempfindlich gemacht worden war, vermochten die hastig errichteten Verteidigungsschilde des Zauberers sein zurückgeworfenes Feuer nicht aufzuhalten.«

»Aber er hätte es doch einfach abstellen können!« Panik ergriff Warren, so als sehe er bereits, wie ihm sein eigenes Zaubererfeuer entgegenschlug. »Zauberer, der es erschaffen hatte, hätte es doch herbeirufen und abstellen können.«

»Hätte er das?« Zedd lächelte. »Das dachte er auch, nur war er nicht auf die eigentümliche Beschaffenheit des feindlichen Schildes vorbereitet. Begreift Ihr nicht? Es wälzte das Feuer nicht nur herum, sondern legte sich auch um das Feuer und schützte es so vor jeder Veränderung mit den Mitteln der Magie.«

»Natürlich…«, meinte Warren leise bei sich.

»Darüber hinaus war der Schild mit einem Bann zur Ortung seiner Herkunft besprenkelt worden, der das Feuer zu eben jenem Zauberer zurückwälzte, der es erschaffen hatte. Er starb in seinen eigenen Flammen – nachdem sie sich auf ihrem Weg zu ihm durch Hunderte seiner eigenen Männer gefressen hatten.«

Stille senkte sich über das Zelt. Selbst der General, die Albinomücke noch immer in der Hand, saß da wie gelähmt.

»Ihr seht also«, fuhr Zedd, seine Gabel auf den Teller werfend, schließlich fort, »bei der Verwendung der Gabe zu Kriegszwecken geht es nicht allein um den Gebrauch der einem zur Verfügung stehenden Kraft, sondern man muss auch seinen Verstand nutzen.«

Zedd deutete auf das Insekt. »Betrachtet zum Beispiel die Albinomücke, die General Reibisch in der Hand hält. Im Schutz der Dunkelheit, so wie jetzt, könnten sie sich, vom Feind mit Hilfe von Magie erschaffen, zu Zehntausenden in dieses Feldlager hereinschleichen und Eure Soldaten mit Fieber anstecken, und niemand würde auch nur auf den Gedanken kommen, dass er angegriffen wird. Am nächsten Morgen dann fällt der Feind in ein Feldlager voller kranker und geschwächter Soldaten ein und schlachtet Euch alle miteinander ab.«

Schwester Philippa, auf der anderen Seite von Adie sitzend, schlug erschrocken mit der Hand nach einer summenden Mücke. »Aber die mit der Gabe auf unserer Seite könnten einem solchen Plan doch gewiss entgegenwirken?« Es war eher ein frommer Wunsch als ein ernst zu nehmender Einwand.

»Tatsächlich? Es ist überaus schwierig, einen so winzigen magischen Partikel zu entdecken. Oder hat etwa jemand von Euch diese überaus kleinen Eindringlinge bemerkt?«

»Das nicht gerade, aber…«

Zedd sah Schwester Philippa funkelnd an. »Es ist Nacht. Nachts scheinen es einfach ganz gewöhnliche Mücken zu sein, lästig, aber nicht anders als andere auch. Der General hier hat sie ebenso wenig bemerkt wie Ihr, die Ihr die Gabe besitzt. Auch das Fieber, das sie in sich tragen, könnt Ihr nicht entdecken, denn auch das ist ein so winziger magischer Partikel, dass Ihr überhaupt nicht darauf achtet – Ihr haltet Ausschau nach etwas Mächtigem und Furchterregendem.

Die meisten der mit der Gabe gesegneten Schwestern werden, ohne überhaupt etwas davon zu merken, im Schlaf gestochen werden, und schließlich, geschüttelt von einem entsetzlichen Fieber, fröstelnd und bei völliger Dunkelheit erwachen, nur um das erste wirklich an den Kräften zehrende Symptom dieses einzigartigen Fiebers zu bemerken: Blindheit. Ihr seht, es ist nicht die Dunkelheit der Nacht, in der sie aufwachen – es ist längst Tag –, sondern die ihrer eigenen Blindheit. Anschließend werden sie feststellen, dass ihre Beine ihnen den Dienst versagen. Ihre Ohren hallen wider von einem schrillen Geräusch, das sich wie ein endlos gellender Schrei anhört.«

Sein Augenlicht testend, wanderten die Augen des Generals unruhig umher, während Zedd fortfuhr und sich einen Finger ins Ohr bohrte, wie um es zu reinigen.

»Mittlerweile sind alle Gestochenen zu schwach, um sich noch auf den Beinen zu halten. Sie verlieren die Kontrolle über ihre Körperfunktionen und liegen hilflos in ihrem eigenen Kot. Bis zu ihrem Tod sind es nur wenige Stunden … doch diese Stunden werden ihnen wie ein ganzes Jahr erscheinen.«

»Aber was können wir dagegen tun?« Warren, auf der Kante seines Stuhls sitzend, benetzte sich die Lippen. »Welches Heilmittel gibt es dagegen?«

»Heilmittel? Dagegen gibt es kein Heilmittel! Mittlerweile kriecht ein Nebel auf das Lager zu. Diesmal spüren die wenigen mit der Gabe Gesegneten, dass diese gewaltige, wallende, undurchdringliche Masse verpestet ist von unergründlicher, alles erstickender Magie. Sie schlagen Alarm. Wer zu geschwächt ist, um sich zu erheben, wimmert vor Entsetzen. Sehen können sie nichts, aber sie können die fernen Schlachtrufe des anrückenden Feindes hören. Aus lauter Panik, vom tödlichen Nebel gestreift zu werden, erhebt sich jeder, der noch dazu im Stande ist, von seinem Nachtlager. Einige, zu fieberwirr, um sich auf den Beinen zu halten, können nur noch kriechen. Die Übrigen ergreifen vor dem anrückenden Nebel die Flucht und rennen um ihr Leben.« Zedd hielt inne.

»Es wird ihr letzter Fehler sein«, fuhr er dann mit leiser Stimme fort. Er machte vor ihren blassen Gesichtern eine ausladende Handbewegung. »Die rennen geradewegs in eine Grauen erregende tödliche Falle, die bereits auf sie wartet.«

Mittlerweile waren alle mit weit aufgerissenen Augen und offenen Mündern bis zur Kante ihrer Sitzbank vorgerutscht.

»Nun, General«, sagte Zedd in heiterem Tonfall und lehnte sich zurück, »wie steht es nun um besagte Massengräber? Oder sollen die Überlebenden etwa die Kranken für tot und die Toten zum Verfaulen liegen lassen? Vermutlich wäre das gar keine schlechte Idee. Auch ohne die lästige Pflicht, die Sterbenden versorgen und die Toten begraben zu müssen, werdet Ihr genug Probleme haben – zumal bereits die bloße Berührung ihres weißen Fleisches die Lebenden völlig unerwartet mit einer Krankheit infizieren wird, woraufhin…«

Verna sprang auf. »Aber was können wir denn tun?« Sie sah bereits alles um sich herum im Chaos versinken. »Wie können wir dieser widerwärtigen Magie entgegenwirken?« Sie breitete die Arme aus. »Was müssen wir tun?«

Zedd zuckte mit den Achseln. »Ich dachte, Ihr und die Schwestern hättet Euch das alles bereits zurechtgelegt. Ich dachte, Ihr wüsstet, was Ihr tut.« Mit einer fahrigen Bewegung über seine Schulter zeigend, deutete er nach Westen, Richtung Feind. »Sagtet Ihr nicht gerade eben noch, Ihr hättet die Situation im Griff?«

Verna ließ sich wortlos neben Warren auf die Bank sinken.

»Äh, Zedd…« General Reibisch schluckte gequält. Er zeigte ihm die Mücke. »Ich glaube, mir wird ein wenig schwindelig, Zedd. Könnt Ihr vielleicht etwas tun?«

»Wogegen?«

»Gegen das Fieber. Ich glaube, meine Sehkraft lässt bereits nach. Könnt Ihr denn gar nichts tun?«

»Nein, nichts.«

»Nichts.«

»Nichts, und zwar ganz einfach deswegen, weil Euch überhaupt nichts fehlt. Ich habe die paar Albinomücken nur herbeigezaubert, um meinen Standpunkt zu verdeutlichen. Der springende Punkt ist: Was ich beim Betreten dieses Lagers gesehen habe, hat mich in Angst und Schrecken versetzt. Falls die mit der Gabe Gesegneten unter unseren Feinden auch nur die geringsten teuflischen Neigungen haben – und bei Jagang haben wir allen Grund zu dieser Annahme –, dann ist diese Armee für die eigentliche Art der Bedrohung schlecht gerüstet.«

Schwester Philippa hob zögernd eine Hand, einem Schulmädchen gleich, das eine Frage stellen möchte. »Aber bei den vielen mit der Gabe Gesegneten in unseren Reihen können wir doch sicherlich … müssten wir doch wissen…«

»Genau das versuche ich Euch ja gerade zu erklären: nach der derzeitigen Lage der Dinge werdet Ihr überhaupt nichts wissen. Ihr werdet von Phänomenen überwältigt werden, von denen Ihr nie gehört habt, die Ihr noch nie zu Gesicht bekommen habt, die Ihr nicht erwartet und Euch nicht einmal vorstellen könnt. Zweifellos wird der Feind auch konventionelle Magie einsetzen, und die wird bereits genug Schwierigkeiten machen, wirklich fürchten müsst Ihr allerdings die Albinomücken.«

»Aber Ihr sagtet doch, Ihr hättet sie nur herbeigezaubert, um Euren Standpunkt zu verdeutlichen«, erwiderte Warren. »Vielleicht ist der Feind nicht so gerissen wie Ihr und kommt erst gar nicht auf solche Ideen.«

»Nicht mit Dummheit, sondern mit Unbarmherzigkeit hat die Imperiale Ordnung die gesamte Alte Welt erobert.« Zedds Gesicht verfinsterte sich zusehends. Zur Unterstreichung seiner Worte hob er einen Finger. »Außerdem sind die längst auf genau diese Ideen gekommen. Im Frühling dieses Jahres hat eine der Schwestern in den Händen des Feindes mit Hilfe von Magie eine tödliche Seuche ausgelöst, die von niemandem mit der Gabe aufgespürt werden konnte. Zehntausende von Menschen, angefangen bei den Neugeborenen bis hin zu den Alten, starben eines grausamen Todes.«

Die Schwestern in Feindeshand waren eine große und allgegenwärtige Gefahr. Ann hatte sich allein auf eine Mission begeben, um diese Schwestern entweder zu retten oder zu vernichten. Nach allem, was Zedd bei seinem Aufenthalt in Anderith hatte beobachten können, war Anns Mission gescheitert. Was aus ihr geworden war, wusste er nicht, er wusste nur, dass Jagang die Schwestern nach wie vor in seiner Gewalt hatte.

»Aber wir haben die Seuche eingedämmt«, meinte Warren.

»Richard hat sie eingedämmt, denn nur er war dazu im Stande.« Zedd hielt dem Blick des jungen Zauberers stand. »Wusstest du, dass er sich bis in den hinter dem Schleier des Lebens in der Unterwelt verborgenen Tempel der Vier Winde wagen musste, um uns dieses bittere Schicksal zu ersparen? Weder du noch ich können ermessen, wie sehr ihn dieses Erlebnis mitgenommen haben muss. Ich habe den Schatten des bösen Geistes in seinen Augen gesehen, als er davon erzählte.

Ich kann nicht einmal vermuten, wie geringfügig seine Erfolgsaussichten waren, als er diese so aussichtslose Reise antrat. Hätte er sich nicht gegen alle Wahrscheinlichkeit durchgesetzt, hätte uns alle längst ein unsichtbarer Tod dahingerafft, ausgelöst durch eine Magie, die wir weder wahrnehmen noch bekämpfen können. Ich möchte nicht noch einmal auf eine solch glückliche Rettung angewiesen sein.«

Niemand vermochte ihm zu widersprechen; ein jeder nickte entweder verhalten oder wandte den Blick ab. Das Zelt hatte sich in einen Ort der Hoffnungslosigkeit verwandelt.

Verna fuhr sich mit den Fingern über die Stirn. »Stolz nützt den Toten nichts. Zugegeben, wer von uns die Gabe besitzt, verfügt nur über geringe Erfahrung mit deren Einsatz zu kriegerischen Zwecken. Wir wissen einiges über das Kämpfen, vielleicht sogar eine ganze Menge, aber ich gebe zu, was die Tiefe der erforderlichen Kenntnisse anbelangt, besteht unsererseits eine beklagenswerte Unwissenheit.

Halte uns für töricht, wenn du willst, Zedd, aber denke niemals, dass wir mit dir nicht einer Meinung sind; wir alle hier stehen auf derselben Seite.« Ihre braunen Augen verrieten nichts als schlichte Aufrichtigkeit. »Wir können deine Hilfe nicht nur gut gebrauchen, wir nehmen sie auch gerne dankend an.«

»Selbstverständlich wird er uns helfen«, spottete Adie mit einem tadelnden Seitenblick auf Zedd.

»Nun, Eure Ausgangsposition ist nicht die schlechteste. Das Eingeständnis, nichts zu wissen, ist der erste Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis.« Zedd kratzte sich am Kinn. »Ich bin selber jeden Tag aufs Neue überrascht, was ich alles nicht weiß.«

»Das wäre großartig«, sagte Warren. »Wenn Ihr uns helfen würdet, meine ich.« Trotz seiner offenkundigen Unschlüssigkeit zwang er sich weiterzusprechen. »Über die Unterstützung eines echten Zauberers mit seiner Erfahrung würde ich mich wirklich freuen.«

Ob der bedrückenden Last seiner anderen Sorgen der Verzweiflung nahe, schüttelte Zedd den Kopf. »Das täte ich sehr gern, und ganz gewiss werde ich Euch bei der bevorstehenden Aufgabe mit dem einen oder anderen Rat zur Seite stehen, aber ich habe eine lange und frustrierende Reise hinter mir, die, so fürchte ich, noch nicht ganz beendet ist. Ich kann unmöglich bleiben und muss schon sehr bald wieder aufbrechen.«

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