Richard hatte sich vollkommen in seinen Gedanken verloren, als er auf die Steinbrücke zusteuerte. Tagelang hatte er sich in sein Zimmer zurückgezogen und nachgedacht. Wenn die Schwestern kamen, um ihm seinen Unterricht zu geben, war er nur halbherzig bei der Sache. Mittlerweile hatte er Angst, er könnte tatsächlich sein Han berühren.
Warren war Tag und Nacht in den Gewölbekellern beschäftigt, überprüfte, was Richard ihm gesagt hatte, und suchte nach weiteren Hinweisen. Irgend etwas mußte dran sein, an dem, was die Prälatin ihm erzählt hatte — warum sonst hätte der Hüter das Tor nicht längst benutzen sollen, wenn er dazu in der Lage war.
Er mußte ein wenig raus. Der Kopf schien ihm zu platzen. Er wollte einfach eine Weile fort vom Palast.
Plötzlich tauchte Pasha an seiner Seite auf. »Ich habe schon nach dir gesucht.«
Er ging weiter und starrte geradeaus. »Warum?«
»Ich wollte einfach bei dir sein.«
»Also, ich habe jedenfalls vor, einen Spaziergang hinaus aufs Land zu machen.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Gegen einen Spaziergang hätte ich nichts einzuwenden. Darf ich mitkommen?«
Richard sah sie an. Sie trug ihr hauchdünnes, kastanienbraunes Kleid, das mit dem V-Ausschnitt. Der Tag war kühl. Wenigstens hatte sie einen ganz brauchbar aussehenden violetten Umhang an. In den Ohren trug sie große goldene Ringe. Ihr Gürtel paßte zur Halskette, er wies dieselbe Art goldener Medaillons auf. Sie sah verführerisch aus, so wie sie vor ihm stand, wenn es auch nicht gerade die richtige Bekleidung für eine ländliche Wanderung war.
»Hast du wieder diese Pantöffelchen an?«
Sie streckte einen Fuß vor, um ihm ihre handgearbeiteten Lederstiefel zu zeigen. »Habe ich mir extra anfertigen lassen, damit ich mit dir wandern kann.«
Extra anfertigen lassen, dachte er. Richard erinnerte sich, wie verletzt sie gewesen war, als er ihr erklärt hatte, das blaue Kleid stehe ihr nicht gut. Er wollte sie nicht verletzen, indem er sie fortschickte. Sie versuchte nur, ihm zu gefallen. Vielleicht täte ihm die Gesellschaft eines lächelnden Gesichtes ganz gut, überlegte er.
»Also gut, von mir aus. Du kannst mitkommen, solange du keine fröhlichen Plaudereien von mir erwartest.«
Schmunzelnd hakte sie sich bei ihm ein. »Ich bin schon glücklich, wenn ich dich nur begleiten darf.«
Zumindest hielt ihm Pasha an seinem Arm die meisten Frauen fern, als sie die Stadt durchquerten. Die, die sich trotzdem dreist an ihn ranmachten, handelten sich einen wütenden Blick von Pasha ein. Wer diesem wütenden Blick die Stirn bot, bekam etwas anderes zu spüren, eine Berührung durch ihr Han. Die Frauen schrien auf, sobald sie etwas Unsichtbares zwackte, und machten sich auf und davon.
Inzwischen begriff Richard, warum der Palast Zauberer heranzüchtete. Sie versuchten einen Zauberer mit additiver und Subtraktiver Magie hervorzubringen.
Und jetzt hatten sie einen.
Schweigend wanderten sie hinauf in die Hügel, die ins goldene Licht der späten Nachmittagssonne getaucht waren. Hier draußen, in den offenen, felsigen Hügeln, von denen man die Stadt überblicken konnte, fühlte Richard sich besser. Auch wenn es eine Selbsttäuschung war, er fühlte sich frei. Plötzlich wünschte er sich, Pasha wäre nicht mitgekommen. Seit Tagen war er nicht mehr hergekommen, um Gratch zu besuchen. Wahrscheinlich war Gratch schon ganz verzweifelt.
Er wußte nicht recht, was er als nächstes tun sollte. Er wußte nicht, ob alles stimmte, was die Prälatin gesagt hatte, er wußte auch nicht, wovor er sich mehr fürchtete — davor, daß es eine Lüge war oder die Wahrheit.
Pashas Hand auf seinem Arm verkrampfte sich. Das riß ihn aus seinen düsteren Grübeleien und ließ ihn stehenbleiben. Sie sah sich nervös um. An der Art, wie sie durch ihren Mund atmete, konnte er erkennen, daß sie sich fürchtete.
»Was ist?« fragte er.
Ihr Blick wanderte suchend über die umliegenden Felsen. »Richard, hier draußen ist irgendwas. Bitte, laß uns umkehren.«
Richard zog das Schwert. Das einzigartige Klirren erfüllte die stille Nachmittagsluft. Er spürte nichts, kein Gefühl von Gefahr, doch offenkundig hatte Pashas Han etwas gespürt, das ihr angst machte.
Pasha stieß einen leisen Schrei aus. Richard wirbelte herum. Gratchs Kopf schob sich hinter einem Felsen vor. Pasha wich zurück.
»Schon gut, er tut dir nichts.«
Gratch lächelte zögernd und zeigte seine Reißzähne, während er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete.
»Töte ihn!« kreischte sie. »Das ist eine wilde Bestie!«
»Beruhige dich, Pasha. Er tut dir nichts.«
Sie wich noch weiter zurück. Gratch stand da, blickte von Richard zu Pasha und wußte nicht, was er tun sollte. Richard wurde klar, daß sie möglicherweise ihr Han benutzen würde, um dem Gar weh zu tun, also stellte er sich zwischen die beiden.
»Richard! Geh dort weg! Man muß ihn töten! Das ist eine Bestie!«
»Er wird dir nichts tun. Ich kenne ihn. Pasha…«
Sie machte kehrt und lief davon, ihr violetter Umhang flatterte hinter ihr her. Stöhnend verfolgte Richard, wie sie von einem Fels zum anderen sprang und sich auf diese Weise den Hügel hinunterarbeitete. Er warf Gratch einen wütenden Blick zu.
»Was ist los mit dir! Mußtest du sie unbedingt erschrecken! Was fällt dir ein, dich vor anderen Menschen blicken zu lassen!«
Gratch ließ die Ohren hängen. Seine Schultern fielen herunter, und er fing an zu jammern. Als seine Flügel zu zittern begannen, ging Richard zu ihm.
»Zum Jammern ist es jetzt zu spät. Komm und nimm mich in die Arme.« Gratch senkte den Blick zu Boden. »Es wird schon alles wieder gut.«
Er schlang die Arme um das große, pelzige Geschöpf. Schließlich erwiderte Gratch die Umarmung. Er warf Arme und Flügel um Richard und gluckste glücklich. Im Handumdrehen hatte er Richard vom Felsen heruntergezogen und ihn zu Boden gerungen. Richard kitzelte ihn an den Rippen und wehrte sich, bis Gratch vor Wonne jauchzte.
Als sie sich wieder beruhigt hatten, hakte Gratch die Spitze einer Kralle in die Tasche, in der Richard die Locke von Kahlans Haar aufbewahrte. Er blickte Richard unter den Brauen hervor an, die so groß wie Axtgriffe waren. Endlich begriff Richard, was Gratch meinte.
»Nein, nein. Das ist nicht dieselbe Frau. Das ist jemand anderes.«
Gratch runzelte die Stirn. Er verstand nicht. Richard war nicht nach Erklärungen zumute, wieso die Haarlocke, die er immer betrachtete, nicht Pasha gehörte. Auf Gratchs Drängen ließ er sich auf einen zweiten Ringkampf ein.
Es dämmerte bereits, als Richard wieder im Palast eintraf. Er mußte Pasha finden und ihr erklären, daß Gratch sein Freund war und keine gefährliche Bestie. Er war noch nicht weit gekommen, als er statt dessen Schwester Verna traf.
»Hast du den kleinen Gar aus der Wildnis etwa gefüttert, obwohl ich dir befohlen habe, ihn zu töten? Hast du zugelassen, daß das Tier uns folgt?«
Richard starrte sie an. »Er war hilflos, Schwester. Ich konnte doch kein Tier töten, das mir nichts anhaben kann. Wir haben uns angefreundet.«
Brummend wischte sie sich mit der Hand übers Gesicht. »So absurd es klingt, aber ich denke, ich kann dich verstehen. Du hast Gesellschaft gesucht, und das ganz sicher nicht bei mir.«
»Schwester Verna…«
»Aber warum hast du ihn Pasha gezeigt?«
»Hab’ ich nicht. Ich wußte gar nicht, daß er da war. Pasha hat ihn gesehen, bevor ich etwas davon mitbekommen habe.«
Sie stieß einen verzweifelten Seufzer aus. »Die Menschen in dieser Gegend haben Angst vor wilden Tieren, sie töten sie. Pasha kam schreiend zu den Schwestern gelaufen, in den Hügeln sei ein wildes Tier.«
»Ich werde es ihnen erklären. Ich werde dafür sorgen, daß sie verstehen…«
»Richard! Hör mir zu!« Er wich einen Schritt zurück und wartete schweigend, daß sie weitersprach. »Der Palast ist der Ansicht, ›Haustiere‹ würden stören, wenn man lernen will, sein Han zu kontrollieren. Die Schwestern glauben, daß es die Gefühle von ihnen auf das Tier umlenkt. Ich halte das für Unsinn, aber darum geht es nicht.«
»Worum denn dann? Wollt Ihr damit sagen, sie werden versuchen, mich daran zu hindern, ihn zu sehen?«
Sie legte ihm ungeduldig die Hand auf den Arm. »Nein, Richard. Sie halten ihn für eine scheußliche Bestie, die dich anfallen könnte. Sie glauben, er wäre gefährlich für dich. Deshalb wollen sie ihn zu deinem Schutz töten.«
Richard starrte nur eine einzige Sekunde lang in ihr sorgenvolles Gesicht, dann rannte er bereits davon. Er hetzte über die Brücke und zurück in die Stadt. Leute starrten ihm offenen Mundes hinterher, als er vorüberflog. Er sprang über Karren hinweg, die nicht schnell genug ausweichen wollten. Er rannte einen Stand um, an dem Amulette verkauft wurden. Leute riefen ihm wütend etwas hinterher, doch er rannte weiter.
Das Herz klopfte ihm bis in die Ohren, als er die Hügel hinaufhastete. Mehrere Male stürzte er über Gräben oder Steine, rollte ab, kam wieder auf die Füße, japste nach Luft und rannte weiter. Wenn er Hohlwege überqueren mußte, sprang er im Dunkeln von Stein zu Stein.
Auf dem Kamm einer Hügelkuppe, in der Nähe der Stelle, wo er Gratch zuvor getroffen hatte, fing er an, nach ihm zu rufen, wobei er zwischendurch keuchend um Atem rang. Die Fäuste in die Hüften gestemmt, legte er den Kopf nach hinten und rief Gratchs Namen. Seine Stimme wurde von den umliegenden Hügeln zurückgeworfen. Das Echo verhallte, und die einzige Antwort war Stille.
Erschöpft ließ Richard sich auf die Knie fallen. Bestimmt waren sie bald hier. Die Schwestern benutzten mit Sicherheit ihr Han, um den Gar aufzuspüren. Gratch hätte keine Ahnung, was sie von ihm wollten. Selbst wenn er sich von ihnen fernhielt, konnten sie ihn mit ihrer Magie erreichen und töten. Sie konnten ihn aus der Luft holen oder einfach in Brand stecken.
»Graaaaatch! Graaaaaatch!«
Ein schwarzer Schatten verdunkelte ein Stück des Sternenhimmels. Der Gar landete mit dumpfem Aufprall auf dem Boden und faltete seine Flügel zusammen. Er legte den Kopf zur Seite und gab ein leises Gurgeln von sich.
Richard krallte Gratch die Fäuste in das Fell.
»Hör zu, Gratch. Du mußt fort von hier. Du kannst hier nicht länger bleiben. Sie wollen dich umbringen. Du mußt verschwinden.«
Gratch stieß ein fragendes Winseln aus, das gegen Ende höher wurde. Er stellte die Ohren auf und versuchte Richard in die Arme zu schließen.
Richard stieß ihn fort. »Verschwinde! Du hast mich verstanden, das weiß ich ganz genau! Geh! Ich will, daß du verschwindest! Sie werden versuchen, dich umzubringen! Geh fort und komm niemals zurück!«
Gratch ließ die Ohren hängen und legte den Kopf auf die andere Seite. Richard klopfte dem Gar mit der Faust vor die Brust. Er zeigte nach Norden.
»Geh fort!« Er streckte die Arme aus und zeigte es ihm noch einmal. »Ich will, daß du fortgehst und nie mehr wiederkommst!«
Gratch versuchte, die Arme um Richard zu legen. Richard stieß sie fort. Gratch legte die Ohren an den Kopf.
»Grrratch haaaag Raaaach aaaarrgh liiiig.«
Richard hätte nichts lieber getan, als seinen Freund in die Arme zu nehmen und ihm zu erklären, daß er ihn ebenfalls lieb hatte. Doch er konnte nicht. Er mußte ihn dazu bringen, daß er verschwand, wenn er ihm das Leben retten wollte.
»Aber ich liebe dich nicht! Geh fort und komm niemals wieder zurück!«
Gratch sah hinüber zu dem Hang, den Pasha hinuntergerannt war. Dann sah er Richard wieder an. Seine grünen Augen füllten sich mit Tränen. Er streckte die Arme nach Richard aus.
Richard stieß ihn fort. Gratch stand mit ausgestreckten Armen da. Richard mußte daran denken, wie er das pelzige Geschöpf zum ersten Mal in den Armen gehalten hatte. Damals war er noch so klein gewesen. Und jetzt war er so groß. Doch mit ihm war auch seine Freundschaft, seine Liebe gewachsen.
Er war Richards einziger Freund, und einzig Richard konnte ihn retten. Wenn Richard ihn wirklich liebte, mußte er es tun.
»Geh fort! Ich will dich nicht mehr bei mir haben! Ich will nicht, daß du jemals wiederkommst! Du bist nichts weiter als ein großes, dummes, pelziges Etwas! Verschwinde! Wenn du mich wirklich liebst, dann tu, was ich sage und verschwinde!«
Richard wollte ihn weiter anbrüllen, doch die Worte kamen an dem Kloß in seinem Hals nicht vorbei. Er wich zurück. Gratch schien in der kühlen Nachtluft in sich zusammenzusinken. Wieder reckte er die Arme vor, während er ein klagendes, verlorenes Jammern ausstieß. Er rief in jämmerlichem, schneidendem Ton nach ihm.
Richard ging einen weiteren Schritt zurück. Gratch kam einen Schritt auf ihn zu. Richard hob einen Stein auf und schleuderte ihn auf den Gar. Er prallte von seiner stattlichen Brust ab.
»Geh weg!« schrie Richard. Er warf noch einen Stein. »Ich will dich nicht mehr um mich haben! Verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen!«
Die Tränen strömten aus den leuchtenden grünen Augen über die Falten seiner Wangen. »Graaaaatch haaag Raaach aaarrrg liiiieg.«
»Wenn du mich wirklich lieb hast, dann wirst du es tun! Lauf!«
Der Gar blickte noch einmal zu dem Hang hinüber, den Pasha hinuntergerannt war, dann drehte er sich um und breitete die Flügel aus. Mit einem letzten Blick über die Schulter sprang er in die Luft und verschwand in die Nacht.
Als er den dunklen Schatten vor dem Hintergrund der Sterne nicht mehr sehen, den Schlag seiner Flügel nicht mehr hören konnte, brach Richard auf dem Boden zusammen. Sein einziger Freund war fort.
»Ich liebe dich auch, Gratch.«
Er schüttelte sich schluchzend. »Ihr guten Seelen, warum habt ihr mir das angetan? Er war alles, was ich hatte. Ich hasse euch. Jede einzelne von euch.«
Er hatte den Rückweg bereits halb hinter sich gebracht, als es ihn traf wie ein Schlag. Er blieb wie erstarrt auf der Stelle stehen, sein Mund stand offen. In der Stille der Nacht griff er mit zitternden Fingern nach seiner Tasche.
Nicht weit von ihm entfernt flackerten die Lichter der Stadt. Dächer schimmerten im Mondschein. Die fernen Geräusche der Stadt wehten zu ihm am Rand der Hügel hinauf.
Er nahm Kahlans Haarlocke heraus.
Wenn du mich wirklich liebst, hatte Kahlan gesagt, dann wirst du es tun. Genau dasselbe hatte er zu Gratch gesagt. Blitzartig wurde ihm alles klar. Die Wucht der Begreifens raubte ihm den Atem.
Kahlan hatte ihn nicht fortgeschickt, sie hatte ihm das Leben gerettet. Sie hatte für ihn dasselbe getan, was er gerade für Gratch getan hatte.
Der Schmerz darüber, daß er an ihr gezweifelt hatte, warf ihn auf die Knie. Es mußte ihr das Herz gebrochen haben. Wie hatte er nur an ihr zweifeln können?
Der Halsring. Er hatte solche Angst vor dem Halsring gehabt, daß er blind dafür gewesen war. Sie liebte ihn. Sie wollte nicht frei sein, sie wollte ihm nur das Leben retten.
Sie liebte ihn.
Er breitete die Arme aus und richtete sein Gesicht gen Himmel.
»Sie liebt mich!«
Er kniete nieder, starrte auf die Haarlocke, die sie ihm geschenkt hatte, um ihn an ihre Liebe zu erinnern. Sein ganzes Leben hatte er nie ein größeres Gefühl der Erleichterung verspürt. Die Welt erwachte für ihn zu neuem Leben.
Richard drehte sich der Kopf in einem Wirrwarr widersprüchlicher Gefühle. Er war zutiefst betrübt, daß er den Gar fortgeschickt hatte, daß Gratch denken mußte, Richard wollte ihn nicht mehr in seiner Nähe haben, gleichzeitig verspürte er jedoch eine überwältigende Freude darüber, daß Kahlan ihn liebte.
Am Ende überwog die Freude. Gratch würde vielleicht eines Tages ebenso verstehen wie er, daß es notwendig gewesen war. Eines Tages würde er den Halsring los sein, dann wollte er Gratch finden und alles wiedergutmachen. Und selbst wenn nicht, so war der Gar besser dran, wenn er lebte wie ein Gar, jagte und sich auf die Suche nach seinesgleichen machte. Irgendwann würde er sein Glück finden, genau wie Richard.
Mehr als alles andere wollte er jetzt die Arme um Kahlan schlingen, sie fest an sich drücken und ihr erklären, wie sehr er sie liebte. Doch das war ausgeschlossen. Er war noch immer ein Gefangener der Schwestern, aber er nahm sich vor, zu studieren, zu lernen und den Halsring loszuwerden. Er würde den Halsring loswerden und zu Kahlan zurückkehren. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, daß sie auf ihn wartete. Sie hatte gesagt, sie werde ihn immer lieben.
Als er am Stadtrand von Tanimura auf den Suchtrupp aus Schwestern stieß, erklärte er ihnen, sie sollten sich keine Mühe mehr machen. Sie würden feststellen, daß das Tier verschwunden sei. Doch glaubten sie ihm nicht und zogen weiter in die Hügel. Richard war es egal. Gratch war fort. Sein Freund war in Sicherheit.
Von einem Straßenhändler kaufte er eine goldene Halskette. Ob das Gold echt war, wußte er nicht, aber es war ihm auch egal, sie sah hübsch aus. Das letzte Stück zum Palast lief er im Trab.
Pasha lief im Flur vor seinem Zimmer auf und ab.
»Richard! Richard, ich habe mir solche Sorgen gemacht. Ich weiß, im Augenblick bist du wütend auf mich, aber mit der Zeit wirst du verstehen…«
Er grinste. »Ich bin nicht wütend, Pasha. Ich habe dir sogar ein Geschenk mitgebracht, um dir zu danken.«
Sie lächelte verlegen, überrascht, als er ihr die Halskette reichte. »Für mich? Warum?«
»Durch dich bin ich darauf gekommen, daß sie mich noch liebt, mich immer lieben wird. Ich war nichts weiter als ein blinder Narr. Du hast mir geholfen, das zu erkennen.«
Sie betrachtete ihn mit frostigem Blick. »Aber jetzt bist du hier, Richard. Du wirst sie mit der Zeit vergessen. Du wirst erkennen, daß ich die Richtige für dich bin.«
Er lächelte sie glücklich an. »Pasha, tut mir leid. Das ist nicht gegen dich gerichtet. Du bist eine wundervolle junge Frau. Irgendwann wirst du den Richtigen für dich finden. Du kannst praktisch unter allen Männern wählen. Jeder mag dich. Aber ich bin nicht der Richtige für dich. Vielleicht wenn ich hundert werde, aber vorher…«
Ihr verlegenes Lächeln kam zurück. »Dann warte ich.«
Er küßte sie auf den Kopf, bevor er durch die Tür ging. Wahrscheinlich konnte er nicht schlafen, solange er so aufgeregt war, aber all das viele Laufen hatte ihn erschöpft. Sein letzter Gedanke, bevor ihn der Schlaf übermannte, galt Kahlan. Er stellte sie sich vor, als wäre sie hier bei ihm: ihr besonderes Lächeln, ihre tiefen, grünen Augen, ihr leuchtendes, langes Haar. In dieser Nacht schlief er so gut wie schon seit Monaten nicht mehr.
In den darauffolgenden Tagen fühlte sich Richard, als berührten seine Füße kaum den Boden. Seine gute Laune verwirrte alle. Anfangs sah man ihn mißbilligend an, doch dann steckte seine gute Laune die anderen an. So manche der Schwestern kicherte vergnügt, wenn er ihnen erzählte, sie wären schön wie ein Tag, an dem die Sonne schien.
Er drängte die Schwestern, die zu ihm kamen, sich noch mehr Mühe zu geben, ihm die Beherrschung seines Han beizubringen. Er ließ sie länger bleiben als gewöhnlich. Die Schwestern Tovi und Cecilia waren über alle Maßen begeistert, Merissa und Nicci ließen ihm ein schwaches Lächeln der Freude zuteil werden, Armina war vorsichtig erfreut und Liliana entzückt. Er wollte seinen Halsring loswerden, aber er wußte, solange er noch nicht zu dem fähig war, was sie von ihm verlangten, würde er sich nicht entfernen lassen.
Er hatte Warren eine Weile nicht gesehen und ging schließlich hinunter in die Gewölbekeller, um zu sehen, wie seine Suche voranging.
Schwester Becky hatte sich mit Übelkeit entschuldigt, und die andere Schwester kicherte, als er ihr zuzwinkerte.
Warren war angenehm überrascht, ihn zu sehen, und gänzlich aufgeregt über einige der Dinge, die er herausgefunden hatte. Er konnte es kaum erwarten, Richard davon zu berichten. Als sich die Tür zu einer der hinteren Kammern mit einem Knirschen geschlossen hatte, legte er mehrere Bücher auf den Tisch und schlug sie auf.
»Was du mir erzählt hast, hat sehr geholfen. Sieh her.« Warren zeigte auf Wörter, die Richard nicht verstand. »Genau wie du gesagt hast. Hier heißt es, der Umstand, daß der Stein der Tränen sich in dieser Welt befindet, könne allein den Hüter noch nicht befreien.«
»Und was bedeutet er dann?«
»Nun, man muß es sich wie eine Reihe von Schlössern an einer Gefängnistür vorstellen, und dieser Stein ist der Schlüssel von einem, doch er allein befreit den Hüter nicht. Sicherlich ist er ihm auf die eine oder andere Art hilfreich, aber es gibt schließlich noch eine ganze Reihe von magischen Gegenständen, die dem Hüter helfen. Doch der Stein der Tränen selbst muß von jemandem aus dieser Welt benutzt werden, von einem, der sowohl die Gabe für additive wie für subtraktive Magie besitzt, wenn er den Hüter befreien soll. Wer nur die Gabe für additive Magie besitzt, könnte Unheil anrichten und den Schleier weiter einreißen, ihn jedoch nicht damit befreien.
Ich glaube«, meinte Warren augenzwinkernd, »daß wir uns mit diesem schwarzen Stein in dieser Welt sicher fühlen können, solange wir vorsichtig sind.«
»Er ist nicht schwarz. Ich habe nie gesagt, er sei schwarz. Ich habe dir nur seine Form und Größe beschrieben.«
Warren legte einen Finger an die Unterlippe. »Er ist nicht schwarz? Welche Farbe hat er dann?«
»Bernstein.«
Warren schlug sich erleichtert stöhnend die flache Hand vor die Brust. »Dem Schöpfer sei Dank.« Er stieß einen Jubelschrei aus, was gar nicht seine Art war. »Das ist die beste Neuigkeit seit einem Jahr! Bernstein bedeutet, daß er von den Tränen eines Zauberers berührt wurde. Das stößt den Hüter ab. Es wirkt auf ihn wie verwestes, fauliges Fleisch auf uns. Seine Agenten würden ihn nicht anfassen!«
Richards Grinsen wurde breiter. Das mußte Zedd gewesen sein. Deswegen hatte er Zedds Sog aus dem Stein verspürt. Dies und dazu die Entdekkung über Kahlan war einfach zuviel. Er konnte sein Glück nicht für sich behalten. »Warren, ich habe auch noch eine gute Neuigkeit. Ich bin verliebt. Ich werde heiraten.«
Warren jubelte erneut, doch dann erlosch sein Lächeln. »Es ist doch nicht Pasha, oder? Ich meine, ich würde das schon irgendwie verstehen. Ihr zwei gebt ein hübsches…«
Richard legt ihm die Hand leicht auf die Schulter. »Nein, es ist nicht Pasha. Ich erzähle dir ein anderes Mal von ihr. Es ist die Mutter Konfessor. Ich wollte dich nicht unterbrechen. Was ist mit den anderen Dingen?«
»Nun ja.« Er zog ein weiteres Buch heran. »Es gibt reichlich wenig Hinweise auf den runden Knochen, von dem du gesprochen hast, und auf diesen Skrin. Einer von ihnen findet sich in einer Gabelprophezeiung, in der es um die Wintersonnenwende geht, die uns in ein paar Wochen ins Haus steht. Es handelt sich um eine komplizierte Verbindung von Gabelungen und Kreuzungen. Erst vor kurzem sind wir dahintergekommen, daß die Prophezeiung über diese Frau und ihr Volk von einem echten Ast stammt…«
Jedesmal, wenn Warren mit seinem Gerede über Äste und Gabelungen abhob, kam Richard sich verloren vor. So ziemlich das einzige Wort, das er verstand, war ›Wintersonnenwende‹.
»Was hat die Wintersonnenwende damit zu tun?«
Warren hob den Kopf. »Die Wintersonnenwende. Der kürzeste Tag des Jahres. Der kürzeste Tag, die längste Nacht. Verstehst du, was ich meine?«
»Nein.Was hat das mit dem Skrin zu tun?«
»Die längste Nacht des Jahres. Die längste Nacht, die längste Dunkelheit. Du siehst, es gibt gewisse Zeiten, in denen der Hüter einen größeren, wieder andere, in denen er einen geringeren Einfluß in dieser Welt nehmen kann. Seine Welt ist die Welt der Finsternis, und wenn wir uns in der Zeit der längsten Dunkelheit befinden, ist der Schleier am schwächsten. Dann kann er am meisten Schaden anrichten.«
»Dann schweben wir in ein paar Wochen, zur Wintersonnenwende, in Gefahr.«
Warrens Brauen schossen entzückt in die Höhe. »Genau. Aber du hast mir mit dem, was du mir erzählt hast, geholfen, eine bevorstehende Prophezeiung zu entschlüsseln, zusammen mit dem, wie wir mittlerweile wissen, echten Ast, der wiederum mit ihr in Zusammenhang steht. Du siehst, mit dieser Wintersonnenwende hängt eine Prophezeiung zusammen, in der es um eine Gefahr für die Welt der Lebenden geht.
Damit es sich um einen echten Ast handeln kann, müssen für den Hüter eine Reihe von Elementen an Ort und Stelle sein — wie zum Beispiel ein offenes Tor –, doch dazu muß er einen Agenten in diese Welt berufen« — Warren beugte sich entzückt nach vorn — »und dieser wiederum benötigt den Skrin. Befindet er sich im Besitz des Skrinknochens, von dem du erzählt hast, kann er den Wächter herbeirufen und ihn vernichten. Wenn der Wächter zerstört ist, kann der Hüter durch das Tor gelangen.«
»Warren ich finde, das klingt ziemlich furchterregend.«
Warren machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein, nein. Manche Prophezeiungen klingen unheilvoll, so wie diese. Doch die Elemente befinden sich nur selten alle an Ort und Stelle, daher erweisen sich die Prophezeiungen als falsche Äste, wie meistens. Die Bücher sind voll von solchen falschen Ästen, denn –«
»Warren, komm zur Sache.«
»Ach ja. Nun, du hast erzählt, dein Freund hätte den Knochen, der den Skrin herbeirufen kann. Und der Hüter braucht einen Agenten, hat aber keinen. Ohne den Skrinknochen und mit der bevorstehenden Gabelung, die, wie wir wissen, korrekt passiert werden muß — was sie wohl auch wird –, handelt es sich hier bloß um eine weitere falsche Gabelung, also sind wir in Sicherheit!«
Richard verspürte ein fernes, besorgtes Kribbeln, doch Warrens überschäumende Zuversicht war stärker. Er ließ sich von Warrens Begeisterung mitreißen. Er gab dem jungen Mann einen Klaps auf den Rücken.
»Gute Arbeit, Warren. Jetzt kann ich mich darauf konzentrieren, mein Han zu gebrauchen.«
Warren strahlte. »Danke, Richard, ich bin so froh, daß du mir helfen konntest. Ich bin besser vorangekommen, als ich es, bevor ich dich kennengelernt habe, jemals für möglich gehalten hätte!«
Immer noch grinsend, schüttelte Richard verwundert den Kopf. »Warren, ich habe noch nie jemanden getroffen, der so klug und dabei noch so jung ist.«
Warren lachte, als sei dies das Komischste, was er je gehört hatte.
»Was ist denn so komisch?«
»Dein Scherz«, meinte Warren und wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Welcher Scherz?«
Warrens lautes Lachen ebbte ab und wurde zu einem stirnrunzelnden Glucksen. »Daß ich jung bin. Das war komisch.«
Richard blieb bei seinem höflichen Lächeln. »Warren, wieso ist das komisch?«
Warrens Glucksen schwand zu einem Grinsen. »Weil ich hundertsiebenundfünfzig Jahre alt bin.«
Richard bekam eine Gänsehaut. »Jetzt machst du einen Scherz. Das ist doch ein Scherz? Das ist doch ein Scherz, Warren, oder?«
Warrens gute Laune schwand dahin. Er zog ein verblüfftes Gesicht. »Richard … du weißt doch Bescheid, oder? Sie müssen es dir doch gesagt haben. Ich war sicher, sie hätten es dir mittlerweile gesagt…«
Richard fegte die Bücher mit dem Arm zur Seite. Er schob seinen Stuhl näher heran. »Mir was gesagt? Warren, hör auf mit diesen Andeutungen. Du bist mein Freund, also red schon.«
Warren räusperte sich, dann befeuchtete er sich die Lippen mit der Zunge. Er beugte sich ein Stückchen vor. »Tut mir leid, Richard, ich dachte, du wüßtest es, sonst hätte ich es dir selbst längst erzählt. Bestimmt.«
»Was erzählt?«
»Von der Magie. Von der Magie des Palastes der Propheten. Sie besitzt additive und subtraktive Elemente, die mit den anderen Welten verbunden sind. Dadurch vergeht die Zeit hier anders.«
»Warren«, meinte Richard mit belegter Stimme, »willst du damit sagen, daß das uns alle betrifft? Alle, die den Halsring tragen?«
»Nein … aber alle im Palast. Die Schwestern auch. Der Palast steht unter einem Bann. Solange die Schwestern im Palast leben, solange altern sie genau wie wir. Der Bann läßt uns langsamer altern, gibt uns ein anderes Zeitgefühl.«
»Was meinst du mit ›anders‹?«
»Der Bann verzögert unseren Alterungsprozeß. Für jedes Jahr, das wir altern, altern die Menschen draußen zwischen zehn und fünfzehn Jahren.«
Richard drehte sich der Kopf. »Warren, daß kann nicht stimmen. Das darf einfach nicht stimmen.« Er suchte verzweifelt nach einem Beweis. »Pasha. Pasha kann doch höchstens…«
»Richard, ich kenne Pasha seit über hundert Jahren.«
Richard schob den Stuhl zurück und stand auf. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Das ergibt doch keinen Sinn. Das muß doch irgend eine Art von … wie sollte das so funktionieren?«
Warren faßte Richard am Arm und drückte ihn auf seinen Stuhl zurück. Er zog seinen eigenen Stuhl dicht heran. Dann begann er, in sanftem, besorgtem Tonfall zu sprechen, wie jemand, der einem anderen etwas Entsetzliches mitzuteilen hat.
»Es dauert lange, einen Zauberer auszubilden. Draußen, in der übrigen Welt, waren bereits über zwanzig Jahre vergangen, als ich in der Lage war, mein Han überhaupt zu berühren. Weil ich aber hier lebte, war ich um weniger als zwei Jahre gealtert. Auch hier waren zwanzig Jahre vergangen, ich war aber nur um zwei gealtert. Würde der Palast unseren Alterungsprozeß nicht verlangsamen, dann würden wir alle an Altersschwäche sterben, bevor wir auch nur eine Lampe mit unserem Han entzünden könnten.
Ich habe noch nie gehört, daß es weniger als zweihundert Jahre gedauert hätte, einen Zauberer auszubilden. Normalerweise dauert es an die dreihundert, manchmal sogar vierhundert Jahre.
Die Zauberer, die diesen Ort geschaffen haben, wußten das und haben die Magie hier mit den jenseitigen Welten verknüpft, wo Zeit bedeutungslos ist. Wie es funktioniert weiß ich nicht, nur, daß es funktioniert.«
Richards Hände zitterten. »Aber ich … ich muß diesen Halsring unbedingt loswerden. Ich muß zu Kahlan. So lange kann ich nicht warten. Hilf mir, Warren. Ich kann nicht so lange warten.«
Warren blickte zu Boden. »Tut mir leid, Richard. Ich weiß nicht, wie wir unsere Halsringe loswerden können, und ich weiß auch nicht, wie man die Barriere überwindet, die uns hier gefangenhält. Aber ich kann es dir nachempfinden. Mich hat es für die letzten fünfzig Jahre in die Kellergewölbe getrieben. Einigen der anderen scheint es egal zu sein. Sie sagen, dadurch hätten sie nur mehr Zeit, die sie mit Frauen verbringen können.«
Richard erhob sich langsam. »Ich kann es einfach nicht glauben.«
Warren hob den Kopf. »Bitte, Richard, verzeih mir, daß ich dir davon erzählt habe. Es tut mir leid. Ich wollte dir bestimmt nicht weh tun. Du warst immer…«
Richard legte Warren eine Hand auf die Schulter. »Du kannst nichts dafür. Du hast ja nichts getan. Du hast mir bloß die Wahrheit erzählt.« Seine Stimme schien vom Grunde eines Brunnens heraufzukommen. »Ich danke dir für die Wahrheit, mein Freund.«
Er war nur zu einem einzigen Gedanken fähig, während ihn seine Füße schweren Schrittes nach oben trugen: Alle seine Träume waren zerstoben. Wenn er den Halsring nicht loswurde, war alles verloren.
Die Schwestern Ulicia und Finella standen mit drohender Miene vor der Tür, als er eintrat. Genau wie die Wachen wichen sie zurück, als sie seinen Gesichtsausdruck sahen. Ein funkelnder Schild erhob sich vor der Tür. Er ging hindurch, ohne seine Schritte zu verlangsamen. Die Tür dahinter sprang für ihn auf, ohne daß er sie berührt hätte. Ein Teil des Rahmens zersplitterte. Er kam gar nicht auf die Idee, den Türgriff zu benutzen.
Die Prälatin saß da, die Hände auf dem schweren Tisch aus Walnußholz gefaltet. Mit ernstem Blick beobachtete sie, wie er näher kam. Richard stemmte sich gegen den Tisch und ragte turmhoch über ihr auf.
»Ich muß gestehen, Richard«, meinte sie betrübt, »auf diesen Besuch habe ich mich nicht gefreut.«
Seine Stimme brach. »Warum hat Schwester Verna mir nichts davon gesagt?«
»Ich habe es ihr befohlen.«
»Und warum habt Ihr es mir nicht gesagt?«
»Weil ich wollte, daß du erst ein paar bedeutsame Dinge über dich erkennst, damit du die Wichtigkeit dessen besser begreifst. Die Bürde eines Zauberers — und auch die einer Prälatin.«
Richard sank vor ihrem Schreibtisch auf die Knie. »Ann«, sagte er leise, »helft mir, bitte. Ich muß den Rada’Han loswerden Ich liebe Kahlan. Ich brauche sie. Ich muß zurück zu ihr. Ich war schon lange fort. Bitte, Ann, helft mir. Nehmt mir den Halsring ab.«
Sie schloß eine ganze Weile die Augen. Als sie sie wieder öffnete, waren sie voller Bedauern.
»Ich habe die Wahrheit gesagt, Richard. Wir können den Rada’Han erst dann abnehmen, wenn du genug gelernt hast, um uns zu helfen. Und das wird dauern.«
»Bitte, Ann, so helft mir doch. Gibt es denn keinen anderen Weg?«
Sie sah ihm in die Augen, während sie ganz langsam den Kopf schüttelte. »Nein, Richard. Mit der Zeit wirst du es akzeptieren. Alle tun das. Für die anderen ist es einfacher, denn sie kommen als Jungen her, die nichts begreifen und erst im Laufe der Zeit verstehen. Wir hatten noch nie jemanden hier, dem wir es, so wie dir, als Erwachsenem sagen mußten, der weiß, was es bedeutet.«
Richard konnte keinen klaren Gedanken fassen. Es war, als taumele er durch einen düsteren Traum. »Aber wir verlieren soviel Zeit, die wir zusammen verbringen könnten. Sie wird alt sein. Alle, die ich kenne, werden alt sein.«
Ann strich ihr Haar zurück, während sie seinem Blick auswich. »Richard, wenn deine Ausbildung abgeschlossen ist und du von hier fortgehst, werden die Ur-Ur-Urenkel von allen, die du kennst, bereits über hundert Jahre zuvor an Altersschwäche gestorben sein und in der Erde begraben liegen.«
Er blinzelte sie fassungslos an, versuchte, diese Generationenrechnung zu begreifen, doch in seinem Kopf verwandelte sich das alles in einen Brei. Plötzlich fiel ihm ein, wovor Shota ihn gewarnt hatte — vor einer Falle in der Zeit. Dies war die Falle.
Diese Menschen hatten ihm alles genommen. Alles, was er liebte, war dahin. Er würde Zedd nie wiedersehen oder Chase oder sonst irgend jemanden, den er kannte. Er würde Kahlan niemals wieder in den Armen halten. Er würde ihr niemals wieder sagen können, daß er sie liebte, daß er verstand, welches Opfer sie für ihn gebracht hatte.