38

Ringsum ragten die schneeverkrusteten Bäume bedrohlich im gespenstischen Licht auf. Der Mond würde bald untergehen, im Augenblick jedoch verlieh er dem Schnee ein kaltes Leuchten, in dem der Weg leicht auszumachen war. Sie ließ ihr Pferd in das offene Tal hineintraben und war fast froh darüber, die bedrückenden Bäume hinter sich zu lassen, die gute Verstecke für einen Hinterhalt boten. Sie versuchte nicht, ihr Näherkommen zu verheimlichen, und die Posten sahen sie, machten aber keine Anstalten, eine einsame Reiterin anzuhalten.

Vor ihr lag das Lager, ein Gewitter aus Feuern, Männern und Lärm. Es war so groß wie eine kleine Stadt und daher nicht zu übersehen und meilenweit zu hören. Man verließ sich auf seine große Zahl und hatte keine Angst, angegriffen zu werden.

Die Kapuze ihres Fellmantels hochgezogen und um das Gesicht zusammengezurrt, führte Kahlan Nick durch Männer, Karren, Pferde, Maultiere, Zelte, Ausrüstungsgegenstände und lodernde Feuer. Sie saß hoch zu Roß und konnte trotz des Lärms ihr Herz fast pochen hören. Die stehende Luft war angefüllt vom kräftigen Duft gebratenen Fleisches und von Holzrauch. Zehntausende von Füßen, von Mensch und Tier gleichermaßen, sowie Karren aller Art hatten den Schnee niedergewalzt und zu einer festen Schicht zusammengepreßt.

Rings um die Feuer hatten sich Männer zum Trinken, Essen und Singen versammelt. Man hatte Lanzen zu Kegeln aneinandergestellt. Überall ragten diese Lanzen aus Schneewehen heraus und sahen aus wie abgerindete Schößlinge. Überall sprossen Zelte ohne erkennbare Ordnung aus dem Boden.

Männer streiften umher, stolperten von einem Feuer zum nächsten, um das Essen zu kosten, sich singend um Männer mit Flöten zu scharen, ein Würfelspiel zu riskieren oder an dem Trinkgelage teilzunehmen. Die meisten waren offenbar mit dem Trinken beschäftigt.

Niemand achtete auf sie. Offenbar waren sie zu vertieft, um sie zu bemerken. Sie ließ ihr Pferd weitertraben und hatte die, die tatsächlich starren Blicks den Kopf hoben, längst passiert, bevor sie Gelegenheit fanden, sich über das Geschehene zu wundern. Im gesamten Lager herrschte lärmende Betriebsamkeit. Ihr Schlachtroß allerdings zuckte angesichts des Höllenlärms ringsum nicht einmal mit den Ohren.

Aus einigen der Zelte in der Ferne hörte sie die Schreie von Frauen, gefolgt von derbem, männlichem Grölen. Obwohl sie sich dagegen sträubte, kroch ihr ein Frösteln den Rücken hinauf.

Kahlan wußte, das Armeen wie diese von Marketenderinnen begleitet wurden, die zusammen mit dem Troß zogen. Sie wußte auch, daß Armeen wie diese Frauen als Teil ihrer Beute ansahen, ganz so, wie man einem Toten einen Ring abnimmt, sie kaum höher im Wert einschätzten. Was immer die Gründe für die Schreie waren — gespieltes Entzücken oder echtes Entsetzen –, sie versuchte, sie zu überhören und richtete ihr Augenmerk statt dessen auf die Männer, an denen sie vorüberritt.

Zuerst erkannte sie ausschließlich Truppen aus D’Hara. Sie kannte ihre Leder- und Kettenhemden und ihre gepanzerten Uniformen nur zu gut. Jeder der Brustharnische trug den verzierten, ins Metall getriebenen Buchstaben R des Hauses Rahl. Bald darauf jedoch entdeckte sie die ersten Keltonier zwischen den D’Haranern. Sie sah eine Gruppe von Soldaten aus Westland, die sich gegenseitig die Arme um die Schultern gelegt hatten, im Kreis tanzten und dabei aus großen Krügen tranken. Sie sah auch Soldaten aus anderen Ländern, ein paar aus Nicobarese, einige Sandarianer und, zu ihrem Entsetzen, eine Handvoll Galeaner. Vielleicht, so überlegte sie, waren es bloß D’Haraner in den Uniformen der Männer, die sie getötet hatten. Doch irgendwie schien ihr das nicht wahrscheinlich.

Im gesamten Lager kam es immer wieder zu vereinzelten Streitereien. Männer stritten sich wegen eines Wurfes beim Würfelspiel, wegen des Essens, wegen Fäßchen und sogar wegen kleiner Flaschen alkoholischer Getränke. Einige der Auseinandersetzungen uferten zu Faust- und Messerkämpfen aus. Sie wurde Zeuge, wie ein Mann einen Messerstich in den Bauch bekam — unter dem brüllenden Gelächter der Umstehenden.

Schließlich entdeckte sie, wonach sie gesucht hatte: die Zelte der Kommandanten. Man hatte sich zwar nicht die Mühe gemacht, Flaggen zu hissen, doch konnte man sie an ihrer Größe erkennen. Draußen vor dem größten hatte man, gleich neben einem brüllenden Feuer mit einem Spießbraten darüber, einen kleinen Tisch aufgestellt. Die Gruppe von Männern, die sich dort eingefunden hatte, war von Laternen umgeben, die an Pfählen hingen.

Als sie näher kam, brüllte ein riesiger Kerl, der die Füße auf den Tisch gelegt hatte, gerade: »… und zwar sofort, sonst lasse ich dich köpfen! Ein volles! Bring ein volles Faß, oder du findest deinen Kopf auf einer Lanze wieder!« Als der Soldat davoneilte, brachen die am Tisch sitzenden Männer in Gelächter aus.

Kahlan manövrierte ihr riesiges Schlachtroß bis an den Tisch heran. Sie saß aufrecht und reglos da und musterte das halbe Dutzend Männer, das um den Tisch saß. Vier von ihnen waren d’haranische Offiziere, darunter der mit dem Stiefeln auf dem Tisch, der gebrüllt hatte. Einer war ein keltonischer Kommandant in einer reich verzierten, halb aufgeknöpften Uniform, unter der ein schmutziges, mit Wein und Soße bekleckertes Hemd zum Vorschein kam. Einer der Männer trug ein schlichtes, braunes Gewand.

Der Mann mit den Füßen auf dem Tisch schnitt mit einem großen Messer einen langen Streifen Fleisch von einem Knochen. Den Knochen warf er über die Schulter der knurrenden Hundemeute hinter sich zu. Dann riß er den Streifen Fleisch mit seinen Zähnen auseinander und zeigte mit dem Messer nach rechts auf den jungen Mann in dem schlichten Gewand, während er noch kaute, nahm er einen ordentlichen Schluck aus seinem Krug. Dann sprach er — trotz seines übervollen Mundes.

»Zauberer Slagle hier hat mir erzählt, er glaubt, einen Konfessor zu riechen.« Er linste aus blutunterlaufenen Augen nach oben.

»Und wo steckt dein Zauberer, Konfessor? Hm?« Alles am Tisch fiel in sein Grölen ein. Bier rann durch seinen dichten, blonden Bart. »Hast du irgendwas zu saufen mitgebracht, Konfessor? Wir sitzen fast auf dem Trockenen. Nein? Nun, kein Problem.« Mit dem Messer zeigte er hinüber auf den keltonischen Kommandanten. »Karsh hier meint, eine Woche oder so hinter den Bergen gibt es eine nette Stadt, dort wird man für uns durstige Kerle bestimmt etwas Bier haben, nachdem man uns willkommen geheißen und uns den Treueeid geschworen hat.«

Kahlans Blick wanderte zum Zauberer hinüber. Wegen ihm war sie gekommen. Kühl rechnete sie sich aus, ob sie den Sprung vom Pferd bis hinüber zum Zauberer schaffen und ihn mit ihrer Kraft berühren konnte, bevor sie von dem großen Messer erwischt wurde. Der Kerl, der mit dem Messer herumfuchtelte, sah nicht so aus, als wäre er imstande, besonders rasch zu reagieren. Trotzdem standen die Chancen ihrer Einschätzung nach schlecht. Sie war bereit, für diese Tat ihr Leben zu opfern, aber nur, wenn sie des Erfolges einigermaßen sicher sein konnte.

Dennoch, wegen ihm war sie gekommen. Der Zauberer war das Auge dieser Armee. Er sah Dinge, bevor sie sie sehen konnten, und er sah Dinge, die sie nicht sehen konnten — genau wie Kahlan. Und D’Haraner hatten Angst vor magischen Dingen und vor Geistern. Ein Zauberer war ihr Schutz gegen Magie und gegen diese Geister.

Ihr Blick wanderte von den tiefliegenden Augen und dem betrunkenen, lüsternen Grinsen des Zauberers zu seinen Händen. Er schnitzte. Vor ihm auf dem Tisch lag ein Häufchen Späne. Sie mußte an die Häufchen mit Spänen im Palast zu Ebinissia denken, draußen vor den Zimmern der Mädchen.

Der Zauberer schwenkte den Stock, den er geschnitzt hatte. Zum erstenmal erkannte sie, was es war: ein überlebensgroßer Phallus. Das fiese Grinsen des Kerls wurde noch breiter.

Der Mann mit dem Messer zeigte auf den Zauberer. »Slagle hat etwas für dich, Konfessor. Hat zwei Stunden daran gearbeitet, seit ihm klar war, daß du auf einen Besuch vorbeikommen würdest.« Er unternahm einen lahmen Versuch, sein Lachen zurückzuhalten, doch anfallartig durchbrach es immer wieder seine Beherrschung, und schließlich ließ er ihm freien Lauf.

Zwei Stunden. Damit hatten sie ihr die Grenzen seiner Zauberkraft verraten. Sie hatte die Galeaner vor vier Stunden verlassen, doch davon war fast eine Stunde für ihre Strafpredigt auf dem Gebirgskamm draufgegangen. Also befanden sich die jungen galeanischen Krieger noch nicht in Reichweite seiner Kräfte, sie waren jedoch nur durch eine gefährlich knappe Spanne vor Entdeckung geschützt. Ein Stückchen näher, und der Zauberer würde über sie Bescheid wissen. Lange bevor sie mit ihrer Überraschung zum Zuge kommen konnten.

Sie wartete, bis das Gelächter der d’haranischen Soldaten abflaute, bevor sie sprach. »Ihr nutzt meine mißliche Lage aus.«

»Noch nicht! Aber das kommt noch!« Die Männer grölten und johlten erneut.

Sie wurde mit jedem Herzschlag ruhiger. Sie schob ihre Kapuze zurück und hatte ihre Konfessorenmiene aufgesetzt. »Wie lautet Euer Name, Soldat?«

»Soldat!« Er kam mit einem Ruck nach vorn und bohrte das Messer in den Tisch. »Ich bin kein Soldat, ich bin General Riggs. Ich bin der Oberbefehlshaber unserer sämtlichen Truppen. Alle unsere Soldaten, alte sowie neu hinzugekommene, haben sich vor mir zu verantworten.«

»Und in wessen Namen kämpft Ihr, General Riggs?«

Er machte eine ausladende Handbewegung. »Nun, die Imperiale Ordnung kämpft einen Krieg zugunsten derer, die sich uns anschließen. Einen Krieg gegen alle Unterdrücker. Gegen alle, die sich uns widersetzen. Wer sich uns nicht anschließt, ist gegen uns und wird zerschmettert. Wir kämpfen, um Ordnung zu schaffen.

Unter der Imperialen Ordnung werden alle Schutz finden, die sich uns anschließen, und diese wiederum werden dabei helfen, alle zu beschützen. Sämtliche Länder werden sich uns anschließen, oder sie werden hinweggefegt. Wir kämpfen für eine neue Ordnung. Die Herrschaft der Imperialen Ordnung. Sie wird alle Länder beherrschen, und ich befehlige sie.«

Kahlan runzelte die Stirn, und versuchte sich einen Reim auf das zu machen, was der Kerl faselte. »Ich bin die Mutter Konfessor, und ich herrsche über die Midlands, nicht Ihr.«

»Die Mutter Konfessor!« Er schlug dem Zauberer auf den Rücken. »Du hast mir nicht erzählt, daß sie die Mutter Konfessor ist! Also, du siehst nicht gerade aus wie die Mütter, die ich kenne. Aber nach dem heutigen Abend wirst du ganz sicher eine sein! Darauf hast du mein Wort!« Er brüllte vor Lachen.

»Darken Rahl ist tot.« Das machte dem Gegröle ein Ende. »Der neue Lord Rahl hat den Krieg für beendet erklärt und alle d’haranischen Truppen nach Hause zurückbeordert.«

General Riggs kam auf die Beine. »Darken Rahl war ein Mann mit begrenzter Voraussicht, ein Mann, der sich zu sehr mit uralter Magie und zu wenig mit Ordnung beschäftigt hat. Er war zu vertieft in seine eigenen Forschungen, in seine alten Religionen. Solange sie nicht ausgemerzt ist, ist Magie ein Werkzeug der Menschen, nicht ihr Herr.

Darken Rahl hat die Chance nicht genützt, die sich ihm bot. Wir dagegen werden sie nützen. Das weiß Darken Rahl sogar in seiner Unterwelt, und er bereut. Er ist jetzt mit uns im Kampf verbunden. Das haben die Guten Seelen verkündet! Wir unterwerfen uns nicht mehr dem Hause Rahl, sondern dieses uns, wie alle anderen Häuser, Grafschaften und Königreiche auch. Der neue Lord Rahl wird sich uns ebenfalls anschließen, oder wir zertreten ihn wie all die heidnischen Hunde, die ihm folgen. Wir werden alle heidnischen Hunde zertreten!«

»Mit anderen Worten, General, Ihr kämpft für niemand anderes als für Euch selbst. Euer Ziel ist es schlicht, andere Menschen umzubringen.«

»Ich kämpfe nicht für mich! Hier geht es um Größeres als einen einzelnen Menschen. Wir geben allen Gelegenheit, sich uns anzuschließen. Tun sie das nicht, dann allem deswegen, weil sie sich mit unseren Feinden verbündet haben — und wir müssen sie töten!« Er warf die Hände in die Höhe. »Es hat keinen Sinn, einer Frau diese Staats- und Ordnungsangelegenheiten zu erklären. Frauen haben keinen Sinn für Herrschaft.«

»Auch Männer haben die Herrschaft nicht für sich gepachtet, General.«

»Es ist ruchlos, wenn Männer sich einer Frau um ihres Schutzes willen unterwerfen! Richtige Männer beschäftigen sich nur damit, wie sie einer Frau unter den Rock gelangen, und nicht damit, wie sie sich hinter ihnen verkriechen können! Frauen herrschen kraft ihres Körpers und haben nichts zu bieten als mitleidvolles Gefasel. Männer herrschen kraft ihrer Fäuste. Sie machen das Gesetz und setzen es durch. Sie versorgen und beschützen.

Jeder König und jeder Patriarch wird die Chance bekommen, sich uns anzuschließen, sein Land und sein Volk unter unseren Schutz zu stellen. Alle Königinnen werden die Chance erhalten, ihrem Gewerbe in einem Bordell nachzugehen oder vielleicht das bescheidene Weib eines verdungenen Farmers zu werden, aber wie auch immer, sie werden sich nützlich machen.«

Er hob seinen Krug vom Tisch und nahm ein paar tiefe Schlucke. »Begreifst du nicht, Frau? Bist du so dämlich, selbst für eine Frau? Was hat der Bund der Midlands unter der Führung einer Frau zustande gebracht?«

»Zustande gebracht? Der Bund braucht nichts weiter zustande zu bringen, als daß alle Länder in Frieden leben können, damit das Land des Nachbarn diesem gelassen wird, und jeder weiß, daß sein Land vor raffgierigen Händen sicher ist. Alle treten für den Schutz aller ein, auch zum Schutz der Schwachen und Wehrlosen, damit niemand allein und nackt dasteht.«

Er sah seine Kameraden mit triumphierendem Grinsen an. »Die wahre Milch der frommen Denkungsart!«

Er machte eine angewiderte Geste. »Ihr stellt keine Führungskraft, macht kein Gesetz. Jedes Land schreibt vor und verkündet, was ihm gerade paßt. Was an einem Ort ein Verbrechen, gilt woanders als Tugend. Dein Bund scheut sich davor, allen eine Ordnung vorzuschreiben. Ihr seid nichts weiter als ein Haufen versprengter Stämme, die alle eifersüchtig über ihren Besitzstand wachen. Ihr vergeudet nicht einen Gedanken an die Union, außer dem, der eurer eigenen Gier gelegen kommt — wodurch alle besiegbar werden.«

»Ihr täuscht Euch, das ist genau der Zweck, dem der Zentralrat in Aydindril dient: alle Länder für eine gemeinsame Verteidigung zu vereinen. Für eine gemeinsame Verteidigung gegen Mörder wie Euch. Das ist kein schwacher Bund, wie Ihr zu glauben scheint, sondern einer mit Macht.«

»Ein hehres Ideal. Eins, das ich sogar teile, das in deinem Mund jedoch zu leerem Gefasel wird. Du führst sie nur halbherzig zusammen, nicht unter einem allgemeinverbindlichen Gesetz.« Er streckte die Hand aus und schloß sie zu einer Faust, während er sie höhnisch angrinste. »Dadurch hinterläßt du alle Länder reif dafür, ausgepreßt zu werden. Ihr seid verlorene Seelen auf der Suche nach wahrer Führung, die verzweifelt Schutz benötigen.

Gleich nach dem Fall der Grenzen hat euch Darken Rahl verwüstet, und der war nur mit halbem Herz bei der Sache, weil er nur auf seine Magie aus war! Hätte er den Generälen freie Hand gelassen, wäre der Bund längst weggefegt.«

»Und wer ist das, vor dem wir alle Schutz benötigen?«

Er starrte in die Ferne, sprach tonlos, fast wie zu sich selbst. »Vor den Horden, die da kommen werden.«

»Welche Horden?«

Er hob den Kopf, als sei er gerade aufgewacht. »Die Horden, von denen in den Prophezeiungen die Rede ist.« Er sah sie stirnrunzelnd an, als sei sie hoffnungslos begriffsstutzig, dann deutete er mit der Hand auf den Zauberer. »Der gute Zauberer hier hat uns bei den Prophezeiungen beraten. Du hast doch dein ganzes Leben in Gegenwart von Zauberern verbracht, hast du dich nie für ihr Wissen interessiert?«

»Eure wortreiche Behauptung, alle Völker in Frieden und Gesetz vereinen zu wollen, scheint von hoher Gesinnung zu zeugen, General Riggs. Doch Eure Greueltaten in Ebinissia strafen sie Lügen. Für alle Zeiten wird Ebinissia stummes, aber unwiderlegbares Zeugnis für Eure wahren Ziele ablegen. Ihr und Eure Imperiale Ordnung seid die Horde.« Kahlan funkelte wütend zum Zauberer hinüber. »Was ist deine Rolle in diesem Spiel, Zauberer Slagle?«

Er zuckte mit den Achseln. »Nun, die Vereinigung aller Völker unter allgemeingültigem Recht zu fördern und zu unterstützen.«

»Unter wessen Recht?«

»Dem Recht der Sieger.« Er feixte. »Das wären wir. Die Imperiale Ordnung.«

»Als Zauberer hast du Pflichten. Diese Pflichten besagen, daß du dienen, nicht aber herrschen sollst. Du wirst dich sofort in Aydindril melden, um deinen Platz in diesen Diensten einzunehmen, oder du wirst dich mir gegenüber zu verantworten haben.«

»Dir?« sagte er mit spöttischem Feixen. »Gute, anständige Männer sollen vor dir winseln und schniefen, und gleichzeitig läßt du blindlings übelsten Versagern freie Hand beim Regieren des Landes?«

»Versager?« Sie warf Riggs einen wütenden Blick zu. »Vermutlich wart Ihr dumm genug, Euch beim Lebensborn Rat zu holen.«

»Sie haben sich uns bereits angeschlossen«, sagte der General beiläufig. »Unsere Sache ist auch ihre und ihre unsere. Sie wissen, wie man die Leute ausmerzt, die dem Hüter und damit unseren Feinden dienen. Wir werden das Land von all denen säubern, die dem Hüter dienen. Das Gute muß obsiegen.«

»Damit meint ihr Eure Sache. Ihr wärt dann derjenige, der herrscht.«

»Bist du blind, Konfessor? Ich herrsche hier, jetzt, aber es geht hier nicht um mich. Es geht um die Zukunft. Ich bekleide nur im Augenblick den Posten, pflüge den Acker, damit er etwas hervorbringen kann. Ich bin es nicht, der hier im Brennpunkt steht.

Wir bieten jedem die Chance, sich uns anzuschließen, und jeder der Männer hier bei mir hat dieses Angebot angenommen. Andere haben sich im Kampf unseren Truppen angegliedert. Wir sind längst keine d’haranischen Truppen mehr. Und sie nicht mehr die Truppen ihrer Heimatländer. Wir alle sind die Imperiale Ordnung. Jeder, der die rechte Gesinnung hat, kann uns führen. Sollte ich für unsere noble Sache fallen, wird jemand anderes meinen Platz einnehmen, bis alle Länder unter einem gemeinsamen Gesetz vereint sind und die Imperiale Ordnung aufblühen kann.«

Entweder war der Mann zu betrunken, um zu wissen, was er sagte, oder er hatte den Verstand verloren. Sie ließ den Blick über die tanzenden, betrunkenen, singenden Männer an den Lagerfeuern ringsum schweifen. Verrückt, genau wie die Bantak. Verrückt wie die Jocopo.

»General Riggs.« Er hatte zornig vor sich hin gebrabbelt, doch jetzt hob er den Kopf und sah sie an. »Ich bin die Mutter Konfessor. Ob es Euch gefällt oder nicht, ich vertrete die Midlands. Im Namen der Midlands fordere ich Euch auf, diesen Krieg augenblicklich zu beenden und nach D’Hara zurückzukehren oder aber mit Euren Klagen beim Rat vorzusprechen. Ihr könnt beim Rat wegen jeder Kontroverse eine Eingabe machen, und sie wird angehört werden, aber Ihr dürft mein Volk nicht mit Krieg überziehen. Solltet Ihr Euch entscheiden, meine Befehle nicht zu befolgen, werden Euch die Folgen nicht gefallen.«

Er blickte höhnisch zu ihr auf. »Wir machen keine Kompromisse. Wir vernichten jeden, der sich uns nicht anschließt. Wir kämpfen, um dem Morden ein Ende zu machen, wie es die Guten Seelen von uns verlangt haben. Wir kämpfen für den Frieden! Bis wir den Frieden gewonnen haben, wird es Krieg geben!«

Sie runzelte die Stirn. »Wer hat Euch das eingeredet? Wer hat Euch gesagt, daß Ihr kämpfen müßt?«

Er blickte sie verständnislos an. »Das versteht sich doch von selbst, du blödes Weib!«

»Du kannst unmöglich so dumm sein zu glauben, daß die Guten Seelen Euch eingeredet haben, einen Krieg vom Zaun zu brechen. So unverhohlen gehen die Guten Seelen nicht vor.«

»Nun schön, dann sind wir eben nicht derselben Meinung. Das ist doch schließlich der Sinn eines Krieges, oder etwa nicht? Solche Dinge zu bereinigen. Die Guten Seelen wissen, daß wir im Recht sind, sonst wäre es ein leichtes für sie gewesen, sich gegen uns zu verbünden. Unser Sieg wird beweisen, daß sie sich auf unsere Seite geschlagen haben, sonst könnten wir unseren Kampf gar nicht gewinnen. Der Schöpfer selbst will uns triumphieren sehen, und unser Sieg wird dafür den Beweis liefern.«

Der Mann war wahnsinnig. Sie richtete ihr Augenmerk auf den keltonischen Kommandanten. »Karsh…«

»General Karsh.«

»Ihr seid eine Schande für Euren Stand, General. Wieso habt Ihr die Bevölkerung von Ebinissia niedergemetzelt?«

»Ebinissia hat ebenso die Chance bekommen, sich uns anzuschließen, wie alle anderen diese Chance bekommen werden. Ebinissia hat es vorgezogen zu kämpfen. Wir mußten am dortigen heidnischen Volk ein Exempel statuieren, um anderen zu zeigen, was sie erwartet, wenn sie sich uns nicht in Frieden anschließen. Es hat uns fast die Hälfte unserer Leute gekostet, doch das Ziel war diesen Preis wert. Doch ständig, sogar jetzt, in diesem Augenblick, werden die Verluste durch andere ausgeglichen, die sich uns anschließen. Unsere Reihen werden weiter anwachsen, bis wir alle bekannten Länder eingenommen haben.«

»Das nennt Ihr Führerschaft? Erpressung und Mord?«

General Karsh schmetterte seinen Krug auf den Tisch. Seine Augen waren voller Feuer. »Wir zahlen es ihnen mit gleicher Münze heim! Sie überfallen unsere Farmen, unsere Grenzstädte. Sie töten Keltonier, als wären wir Ungeziefer, das zertreten werden muß!

Trotzdem haben wir ihnen Frieden angeboten. Sie sind es, die mit unserer Barmherzigkeit nichts zu schaffen haben wollen. Man hat ihnen den Frieden angeboten, die Chance, sich uns anzuschließen — sie haben sich für den Krieg entschieden. Und sich damit entschieden, uns zu helfen. Denn so haben andere ein Beispiel dafür, welche Torheit es ist, sich uns zu widersetzen.«

»Und was habt Ihr mit Königin Cyrilla gemacht? Habt Ihr sie auch abgeschlachtet, oder ist sie dort drüben in den Hurenzelten?«

Alles lachte. »Das wäre sie«, warf Riggs ein, »wenn wir sie gefunden hätten.« Kahlan hätte vor Erleichterung fast laut aufgestöhnt.

Sie richtete den Blick wieder auf Karsh, der gerade einen weiteren kräftigen Schluck nahm. »Und was sagt Prinz Fyren zu alldem?«

»Fyren ist in Aydindril! Ich bin hier!«

Möglicherweise war die Krone also gar nicht an der Sache beteiligt. Vielleicht war es doch nur eine Bande mordender Gesetzloser, die sich für etwas Besseres hielt.

Kahlan kannte Prinz Fyren, und zwar als vernünftigen Menschen. Von den in Aydindril akkreditierten keltonischen Diplomaten war er derjenige, der er sich am meisten beim Zentralrat für die Aufnahme Keltons in den Bund der Midlands eingesetzt hatte. Er hatte seiner Mutter gut zugeredet und sie überzeugt, den Weg des Friedens und nicht des Kampfes einzuschlagen. Prinz Fyren war ein Edelmann, in jedem Sinne des Wortes.

»Ihr seid nicht nur ein Mörder, General Karsh, Ihr seid auch ein Verräter an Eurem eigenen Land und an der Krone. An Eurer eigenen Königin!«

Er schlug seinen Zinnkrug auf den Tisch. »Ich bin ein Patriot! Ein Beschützer meines Volkes!«

Sie beugte sich kaum merklich vor. »Ihr seid ein verräterischer Bastard und ein gesetzloser, gewissenloser Halsabschneider. Ich überlasse Prinz Fyren die Ehre, Euch zum Tode zu verurteilen. Eine Strafe, die posthum über Euch verhängt werden wird.«

Karsh schlug mit der Faust auf den Tisch. »Die Guten Seelen wissen, daß du die Völker der Midlands verraten hast! Und sie haben die Wahrheit gesprochen, dies ist der Beweis! Sie haben uns erklärt, wir könnten nicht frei sein, solange du lebst! Sie haben uns aufgefordert, dich und deinesgleichen umzubringen! Alle, die die Götter lästern! Die Guten Seelen werden uns bei unserem Kampf nicht im Stich lassen. Wir werden alle besiegen, die dem Hüter zu Gefallen sind.«

»Kein echter Offizier«, sagte sie voller Verachtung, »würde auf das Geschwätz des Lebensborns hören.«

Der Zauberer hatte einen gefährlich aussehenden Ball aus flüssigem Feuer geformt und warf ihn langsam von einer Hand in die andere, während er sie beobachtete. Die Flammen fauchten und zischten, ließen kleine Funken fallen. General Riggs rülpste, dann stützte er sich mit den Knöcheln auf den Tisch und beugte sich zu ihr vor.

»Genug geredet. Komm runter, du kleines Miststück, damit wir mit der Party anfangen können. Wir tapferen Friedenskämpfer brauchen ein wenig Spaß.«

Endlich lächelte sogar General Karsh. »Und morgen, oder vielleicht am Tag darauf, wirst du geköpft werden. Unsere Männer, unser Volk wird deinen Tod bejubeln. Frohlocken werden sie über unseren Triumph über die Mutter Konfessor, das Symbol der Unterdrückung durch Magie.« Sein Lächeln verschwand, als er erneut einen roten Kopf bekam. »Das Volk muß Zeuge deiner Bestrafung werden, damit es weiß, daß das Gute siegen kann! Damit es Hoffnung hat! Erst wenn wir deinen Kopf haben, kann unser Volk jubeln!«

»Jubeln darüber, daß ihr tapferen Freiheitskämpfer alle zusammen stark genug seid, eine einzelne Frau zu töten?«

»Nein«, meinte General Riggs. Als er jetzt zu ihr hinaufsah, wirkte er zum allerersten Mal nüchtern. »Dir ist die wahre Bedeutung dessen, was wir tun, entgangen.«

Er senkte die Stimme, sein Tonfall wurde sanfter. »Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Zeit, Konfessor. Einer Zeit, in der kein Platz ist für deine alten Religionen. Das Geschlecht von Konfessoren und Zauberern ist am Ende.

Es gab eine Zeit, vor dreitausend Jahren, als fast jeder mit der Gabe geboren wurde. Die Magie hatte über alle Dinge Macht. Man benutzte diese Magie dazu, sich um die Macht zu streiten. Zauberer haben ihre Macht mißbraucht. In ihrer Gier haben sie sich gegenseitig umgebracht. Sie haben andere umgebracht, die die Gabe besaßen, bis immer seltener jemand überlebte, der sie weitergeben konnte. Mit der Zeit wurden die mit der Gabe aus der Rasse der Menschen ausgesondert.

Doch wer übrigblieb, wetteiferte um die Herrschaft und lichtete weiter die Reihen derer, die mit der Gabe geboren wurden. Die Magischen, jene anderen Geschöpfe der Magie, die ihnen, so wie du, anvertraut waren, wurden zunehmend ihres Schutzes und ihrer Quelle der Magie beraubt. Heutzutage wird fast niemand mehr mit der Gabe geboren. Und mit ihnen stirbt die Magie selbst. Sie hatten ihre Chance, die Macht zu erobern, genau wie Darken Rahl mit seiner Magie, und sie haben versagt. Ihre Zeit, die Zeit der Zauberer, ist vorbei.

Ihr Schutz der Wesen aus der Zwischenwelt ist zu Ende, und damit auch das Zeitalter der Magie. Jetzt steht uns das Zeitalter des Menschen bevor, und in dieser Welt ist kein Platz für die uralte, sterbende Religion, die du als Magie bezeichnest. Für den Menschen ist es an der Zeit, seinen Platz als Erbe der Welt einzunehmen. Jetzt herrscht die Imperiale Ordnung über die Welt, und gäbe es sie nicht, dann würde der Mensch eben unter einem anderen Namen herrschen. Es ist an der Zeit, daß der Mensch die Herrschaft übernimmt, und daß die Magie stirbt.«

Kahlan verspürte plötzlich eine Leere in sich. Unerwartet lief ihr eine Träne über die Wange. Panik drückte ihr die Kehle zu.

»Hast du das gehört, Slagle?« sagte sie heiser, tonlos. »Du besitzt Magie. Die, denen du hilfst, werden auch dir ein Ende machen.«

Er warf den Feuerball in seine andere Hand. Der Schein des Feuers tanzte über sein grimmiges Gesicht. »Es ist, wie es sein muß. Magie, unschuldig oder verdorben, ist des Hüters Zugang zu dieser Welt. Wenn ich dabei geholfen habe, Magie in all ihren Erscheinungsformen auszulöschen, dann muß auch ich sterben. Auf diese Weise diene ich dem Volk.«

Riggs sah fast traurig zu ihr auf, als er fortfuhr.

»Unser Volk sollte mit eigenen Augen sehen, wie die letzte Verkörperung dieser Magie stirbt. Du bist ihr Symbol, das letzte Geschöpf der Magie, das von den Zauberern geschaffen wurde. Dein Tod wird sie mit Hoffnung für die Zukunft erfüllen und ermutigen, den verbliebenen Sumpf der Magie, die Verderbtheit und die Perversion trockenzulegen.

Wir sind die Pflugschar. Jene Länder, die zur Zeit von Magie heimgesucht sind, werden von ihrem Makel befreit und können dann von frommen Menschen neu besiedelt werden. Dann endlich werden wir alle frei von deinen Dogmen sein, die in der ruhmvollen Zukunft des Menschen keinen Platz haben.«

Er richtete sich auf und nahm einen Schluck aus seinem Krug. Die Barschheit kehrte in seine Stimme zurück. »Und wenn wir mit dir fertig sind, dann werden wir Galea bezwingen und die übrigen Länder.« Er schlug den Krug auf den Tisch. »Bis der völlig und totale Sieg unser ist, bestehen wir auf Krieg!«

Zorn schwoll in ihrem Innern an und verbannte das vorübergehende Gefühl des Verlorenseins und der Panik, schwoll an im Namen all jener Wesen, der Wesen aus der Zwischenwelt, die auf ihre Stimme und auf ihren Schutz angewiesen waren.

Sie nickte langsam und hielt dem Blick des Generals stand.

»In meiner Eigenschaft als Mutter Konfessor, der höchsten Autorität in den Midlands, deren Geheiß sich alle beugen müssen, gewähre ich Euch Euren Wunsch.« Sie beugte sich vor und zischte: »Soll es Krieg geben. Bei meinem Wort und Amt, nicht einem einzigen von Euch wird Gnade gewährt werden.«

Kahlan drohte dem Zauberer mit der Faust. Wegen ihm war sie gekommen.

Der Zorn ließ ihre Brust schwellen — und das Entsetzen angesichts des Irrsinns dieser Männer. Sie ließ sich von der Magie durchfluten, die danach verlangte, freigesetzt zu werden, die den Tod des Zauberers forderte.

Wegen ihm war sie gekommen. Sie durfte nicht versagen. Der Blutrausch schrie in ihrem Innern.

Sie rief den Blitz herbei.

Nichts geschah.

Sie erstarrte einen Augenblick lang aus Panik über das Versagen der Magie. Dann versuchte Riggs ihr Bein zu packen.

Kahlan riß die Zügel zurück. Das wilde Schlachtroß stürzte sich in den Kampf. Wiehernd bäumte es sich auf und trat mit seinen Vorderbeinen aus. Kahlan krallte sich in seiner Mähne fest. Mit einem Huf erwischte das Tier Riggs mitten im Gesicht und warf ihn nach hinten. Die dreschenden Hufe gingen krachend auf dem Tisch nieder und zerschlugen ihn zu Trümmern. Männer kippten mit ihren Stühlen nach hinten um. Mit einem Vorderhuf zerschmetterte Nick den Schädel eines der d’haranischen Offiziere sowie das Bein eines anderen.

Das Pferd wirbelte herum und trat nach den Männern. Kahlan gab ihm die Sporen, und es galoppierte mit einem Satz davon, als der Zauberer auf die Beine kam. Überraschte Soldaten sprangen aus dem Weg. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, wie der Zauberer seine Hände nach vorn warf. Ein Feuerball erwachte mit einer Explosion vor ihm zum Leben, drehte sich in der Luft und wartete auf sein Kommando. Er schleuderte die Arme erneut nach vorn und schickte das Feuer auf seinen Weg, hinter ihr her.

Das Schlachtroß setzte über Soldaten und Feuer hinweg, wirbelte Schnee und brennendes Feuerholz auf. Seine Beine verfingen sich in Zeltleinen, riß Zelte nieder. Kahlan entdeckte, was sie gesucht hatte, was ihr mehr als das Leben selbst bedeutete, und lenkte ihr Pferd darauf zu.

Sie hörte das Heulen des Zaubererfeuers, das auf sie zugeschossen kam. Sie hörte die Schreie der Männer, die sich überraschend darin verfingen. Sie warf erneut einen knappen Blick über die Schulter und sah den blaugelben Feuerball zwischen Soldaten und Zelten hindurchtaumeln, sah, wie er ständig größer wurde und einen Kurs einschlug, der ebenso schwankte wie der betrunkene Zauberer. Zaubererfeuer mußte gelenkt werden, und in seinem Zustand hatte der Zauberer Mühe, dieser Aufgabe nachzukommen. Wäre er nüchtern gewesen, hätte sie längst den Tod gefunden.

Bei den Guten Seelen, betet sie, wenn ich jetzt sterben soll, dann laßt mir zuvor noch genug Zeit, das zu tun, was ich tun muß.

Kahlan hatte ihr Ziel erreicht. Im Vorbeigaloppieren riß sie eine Lanze aus einer Schneeverwehung und wendete das Pferd. Sie grub ihm die Hacken in die Flanken, und Nick sprang in vollem Galopp nach vorn.

Der Feuerball schoß heulend auf sie zu, steckte Zelte und Soldaten in Brand. Größer werdend, taumelnd, kam er immer näher.

Die Lanze war unerwartet schwer, sie war für Männer gemacht, die mehr Muskeln besaßen als sie, daher mußte sie sie aufrecht tragen, um Kraft zu sparen. Das Schlachtroß galoppierte unerschrocken voran und ließ sich weder durch den Lärm, die Verwirrung, die fliehenden Soldaten oder das Zaubererfeuer beirren. Sie riß es mal hier-, mal dorthin. Nicks Hufe gruben sich in den festgetretenen Schnee. Kahlan wich Hindernissen aus und bewegte sich im Zickzack in höchstem Tempo auf das Zaubererfeuer zu. Auf den Zauberer.

Jedesmal, wenn sie die Richtung ihres ungestümen Ansturms änderte, versuchte Slagle, den Kurs des Feuers dem anzupassen, ihren Angriff abzublocken. Seine Reaktionen waren langsam, doch während die Entfernung sich verringerte, wurde ihr klar, daß er nicht unbedingt schnell sein mußte, um sie damit zu treffen.

Im allerletzten Augenblick riß sie das Pferd nach rechts herum. Das Feuer donnerte so dicht vorbei, daß sie verbrannte Haare riechen konnte, dann preschte sie weiter.

Während sie das Pferd nach vorne trieb, explodierte das Zaubererfeuer hinter ihr und überflutete kaskadenartig, wie ein geborstener Damm, den Erdboden. Die entsetzlichen Todesschreie von Menschen und Tieren, die in dieser Feuerhölle gefangen waren, erfüllten die Nachtluft. Dutzende von brennenden Soldaten wälzten sich im Schnee und versuchten, die Flammen zu ersticken. Doch Zaubererfeuer ließ sich nicht so einfach löschen, sein Zweck hielt es am Leben.

Die Schmerzensschreie versetzten jene in Panik, die nicht wußten, was vorgefallen war. Soldaten kreischten aus Angst vor Geistern, von denen sie sich angegriffen wähnten. Schwerter wurden gezückt, man drosch auf Soldaten ein, die aus dem Feuer um ihr Leben rannten. Aus dem Nichts heraus entstand ein Gemetzel. Die Luft war nicht nur angefüllt vom atemberaubenden Gestank verbrennenden Fleisches, sondern auch vom Geruch des Blutes.

Sie ignorierte die Schreie und suchte die Stille in ihrem Innern.

Der Zauberer torkelte nach hinten und stürzte. Mit den Armen rudernd kam er wieder auf die Beine. Zwischen seinen Fingerspitzen formte sich ein Bogen aus Feuer.

Obwohl überall ringsum Chaos herrschte, hatte sie nur noch für eins Augen. Für den Zauberer.

Sie senkte die Lanze, klemmte das hintere Ende unter ihre rechte Achsel und packte den Griff mit aller Kraft. Die Zähne zusammenbeißend, nahm sie alle ihre Kraft zusammen, um die schwere Lanze über Nicks tanzenden Kopf zu heben, ein Stück nach links, um im Sattel nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.

Nick schlug die gewünschte Richtung ein, als könnte er ihre Gedanken lesen. Sie trieb ihn zu vollem Tempo an, doch kam es ihr vor, als dauerten die letzten zehn Meter Stunden — ein Wettlauf zwischen ihrem Angriff und den Verteidigungsmaßnahmen des Zauberers, der das Feuer auf den Plan rief.

Zauberer Slagle hob den Kopf, um dem Feuer eine neue Richtung zu geben, als ihn ihre Lanze in die Brust traf. Beim Aufprall zersplitterte die Lanze in der Mitte und riß den Zauberer fast in zwei Stücke. Kahlan und ihr Pferd flogen durch eine Gischt aus Blut.

Sie schlug mit der halben Lanze nach einem Mann, der sich auf sie stürzte, und erwischte ihn am Kopf. Der Aufprall riß ihr die Lanze aus der Hand. Sie zerrte das Pferd herum, beugte sich nach vorn über seinen Widerrist und galoppierte in vollem Tempo zurück durch das Chaos rings um die Kommandozelte. Ihr Herz hämmerte genauso schnell wie die Hufe des Pferdes.

Einer der d’haranischen Offiziere am Tisch war aufgesprungen und verlangte schreiend nach einem Pferd. Soldaten sprangen auf ungesattelte Pferde. Indes sie allmählich etwas Vorsprung gewann, hörte sie den Offizier brüllen, sollte es den Männern nicht gelingen, sie zu fassen, würden sie bis zum allerletzten Mann gestreckt und gevierteilt werden. Ein rascher Blick über die Schulter verriet ihr, daß sich gut drei Dutzend Reiter an der Hatz beteiligten.

Ein Stück von den Kommandozelten entfernt wußte niemand, was geschehen war. Ein galoppierender Reiter fiel unter den feiernden Betrunkenen nicht weiter auf. Niemand machte Anstalten, sie aufzuhalten. Soldaten, Zelte, Lagerfeuer, Balken und senkrecht im Schnee steckende Lanzen, Hellebardenstapel, Pferde und Karren flogen undeutlich vorbei.

Nick sprang über alles hinweg, dem er nicht ausweichen konnte. Drohte er, weder zu springen noch auszuweichen, warfen sich die Soldaten in Deckung. Männer beim Spiel stürzten aus dem Weg, während Münzen und Würfel in die Luft geschleudert wurden. Zelte, die aus der Verankerung gerissen wurden, wenn ihre Leinen Nicks Beinen ins Gehege kamen, flogen auf und bauschten sich hinter ihr zu einem Wirrwarr auf, in dem sich ihre Verfolger verfingen. Pferde und Reiter stürzten krachend zu Boden. Andere überrannten die eigenen Leute in dem hektischen Versuch, Kahlan nicht aus den Augen zu verlieren.

Sie erspähte ein in seiner Scheide hängendes Schwert an der Seite eines Karrens und zog es im Vorbeireiten heraus. An Pflockreihen vorbeireitend schwang sie das Schwert und durchtrennte die Leinen der Tiere. Dann versetzte sie im Vorbeirasen dem Rumpf eines Pferdes einen Hieb. Es trat aus und wieherte laut vor Schreck und Angst, worüber auch die übrigen Pferde in Panik gerieten. Hals über Kopf stürzten sie in alle Richtungen davon. Auf Pfählen angebrachte Laternen kippten in Zelte und setzten diese in Brand.

Die Pferde der Verfolger scheuten vor den Flammen, bäumten sich auf und bockten, warfen ihre Reiter ab. Plötzlich warf sich ihr ein Mann in den Weg, wich Nicks fliegenden Hufen aus und griff nach ihr. Kahlan bohrte ihm im Vorbeifliegen das Schwert durch die Brust. Das Heft wurde ihr aus der Hand gerissen. Sie beugte sich nach vorn und hielt sich fest, während Nick durch das nicht enden wollende Lager sprengte. Die Männer, die sie verfolgten, waren nicht mehr ganz so nah, waren ihr aber immer noch auf den Fersen.

Plötzlich hatte sie das Lager hinter sich und galoppierte über offenes, schneebedecktes Gelände hinweg. Im schwindenden Licht des Mondes folgte Kahlan ihren eigenen Spuren durch die Ebene. Das muskulöse Pferd pflügte durch den Schnee, fast als wäre er nicht vorhanden.

Endlich erreichte sie die Bäume. Bevor sie hineintauchte und den steilen Hang hinabritt, warf sie einen Blick über ihre Schulter.

Gut fünfzig Mann waren nicht einmal drei Minuten hinter ihr. Beim Anstieg den Waldpfad hinauf konnte sie den Vorsprung ausbauen, doch einholen würden sie sie trotzdem noch.

Dafür würde sie schon sorgen.

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