34

Mit dem Stimmengewirr aus dem dichtgedrängten Raum stieg ein warmer Lufthauch über die Treppe vom Speisesaal nach oben. Der Duft gebratenen Fleisches wehte von der Küche herauf und vermischte sich angenehm mit dem süßlichen Geruch von Pfeifenrauch. Zedd rieb sich den Bauch, als er die Treppen hinunterstieg, und überlegte, ob er die Zeit erübrigen konnte, eine Portion Fleisch zu vernaschen.

Auf dem Absatz stand ein großer Korb, der drei Stöcke enthielt. Zedd zog den am reichhaltigsten verzierten, einen geraden, schwarzen Stock mit einem feinen, in Silber gearbeiteten Kopf, aus dem Korb. Er klopfte mit dem auffallenden Stock leicht auf den hölzernen Treppenabsatz, um Länge und Gewicht zu prüfen. Ein Tick zu schwer, dachte er, doch als modisches Beiwerk würde er genügen.

Der Besitzer, Meister Hillman, ein rundlicher Mann mit bis über die Grübchen der Ellbogen hochgekrempelten Hemdsärmeln und blitzweißer Schürze, erspähte ihn, als er am Ende der Treppe anlangte, und kam, Männer zur Seite schiebend, sofort quer durch den Raum herbeigeeilt. Die runden, rosigen Wangen des Mannes wurden noch draller, als sein kleiner Mund sich zu einem vertraulichen Grinsen auseinanderzog.

»Meister Rybnik! Sehr erfreut, Euch zu sehen!«

Zedd hätte sich fast umgedreht, um festzustellen, wen der Mann meinte. Doch dann fiel ihm ein, daß dies der Name war, den er selbst angegeben hatte. Er hatte dem Gastwirt anvertraut, sein Name sei Ruben Rybnik; Adies Namen hat er mit Elda angegeben und behauptet, sie sei seine Frau. Der Name Ruben hatte Zedd immer schon gut gefallen. Ruben. Er ließ sich den Klang genußvoll in Gedanken auf der Zunge zergehen. Ruben.

»Bitte, Meister Hillman, nennt mich Ruben.«

Der Kopf des Mannes schnellte auf und ab. »Natürlich, Meister Rybnik. Selbstverständlich.«

Zedd hielt ihm den Stock hin. »Ich bin schon seit einiger Zeit der Ansicht, daß ich einen Stock benötige. Könnte ich Euch überreden, Euch von diesem hier zu trennen?«

Der Mann breitete die Arme zu einer weiten Geste aus. »Für Euch, Meister Rybnik, würde ich alles tun. Mein Neffe stellt sie her, und ich gestatte ihm, sie hier für meine anspruchsvollen Gäste auszustellen. Dieser allerdings ist etwas ganz Besonderes, und teuer.« Auf Zedds skeptischen Gesichtsausdruck hin trat er näher und nahm den Stock in die Hand. Er beugte sich vor und sprach mit vertraulicher Stimme. »Wenn ich demonstrieren darf, Meister Rybnik. Das zeige ich nicht jedem. Man könnte einen falschen Eindruck von meinem Haus bekommen, Ihr versteht. Hier. Seht Ihr? Ein Dreh, dann öffnet er sich hier am Silberband.«

Er zog die beiden Teile ein paar Zentimeter auseinander, so daß eine blinkende Klinge zum Vorschein kam. »Fast zwei Fuß keltonischen Stahls. Diskreter Schutz für einen Gentleman. Aber ich bin nicht sicher, ob Ihr für Eure einfachen Zwecke ein derart kostspieliges…«

Zedd schob die dünne Klinge zurück und drehte sie. Der fein gearbeitete Mechanismus gab ein leises Klicken von sich, als die beiden Teile ineinander rasteten. »Er wird seinen Zweck erfüllen. Er gefällt mir. Nicht zu übertrieben. Schreibt ihn mit auf meine Zimmerrechnung.« Wohlhabende Gentlemen erkundigten sich nicht nach dem Preis.

Meister Hillman neigte mehrmals den Kopf. »Natürlich, Meister Rybnik. Natürlich. Eine gute Wahl, wie ich hinzufügen möchte. Recht fesch.« Er wischte seine sauberen, fleischigen Hände am Schürzenzipfel ab und deutete mit einem Arm auf den Saal. »Dürfte ich Euch einen Tisch anbieten, Meister Rybnik? Laßt mich einen Tisch für Euch freimachen. Ich werde jemanden umsetzen. Laßt mich nur machen…«

»Nein, nein.« Zedd gestikulierte mit seinem neuen Stock. »Der unbesetzte dort in der Ecke neben der Küche ist ganz hervorragend.«

Der Mann blickte mit kummervoller Miene in die von Zedd gezeigte Richtung. »Dort? Oh, nein, Sir, bitte, laßt mich Euch einen besseren Tisch besorgen. In der Nähe des Barden vielleicht? Ihr wollt Euch doch sicher ein hübsches Liedchen anhören. Er kennt jedes Lied, das Ihr ihm nennt. Verratet mir Eure Lieblingsmelodie, und ich werde dafür sorgen, daß er sie für Euch spielt.«

Zedd beugte sich ganz nah und zwinkerte dem Mann zu. »Die wundervollen Düfte aus Eurer Küche gefallen mir sehr viel besser als der Gesang.«

Meister Hillman erstrahlte vor Stolz, dann bat er Zedd mit einer ausladenden Geste zu dem Tisch herüber. »Ihr erweist mir eine solche Ehre, Meister Rybnik. Noch nie hat jemand von meiner Küche so geschwärmt wie Ihr. Ich werde Euch eine Portion bringen.«

»Ruben bitte. Ihr erinnert Euch? Und ich wäre entzückt, eine Scheibe von dem Rostbraten kosten zu dürfen, dessen Duft mir so angenehm in die Nase steigt.«

»Sehr wohl, Meister Rybnik, natürlich.« Den Zipfel seiner Schürze wringend, beugte er sich über den Tisch, als Zedd an der Wand Platz nahm. »Wie geht es der Gemahlin? Hoffentlich doch besser. Ich bete jeden Tag für sie.«

Zedd seufzte. »Ihr Zustand ist unverändert, fürchte ich.«

»Du meine Güte. Ja, das tut mir leid. Ich werde weiter für sie beten.« Er wollte zur Küchentür hinaus. »Gestattet, daß ich Euch jetzt den Rostbraten bringe.«

Nachdem der Mann verschwunden war, lehnte Zedd seinen neuen Stock an die Wand, setzte den Hut ab und warf ihn auf den Tisch. Der zur Kahlheit neigende Barde hockte auf einem Schemel auf einem kleinen Podium über seine Laute gebeugt, als sei er für alle Zeiten mit ihr verwachsen, schlug mit Nachdruck in die Saiten und trällerte dazu ein beseeltes Lied von den Abenteuern eines Fuhrmannes, von dessen Reisen über schlechte Straßen von einer schlechten Stadt zur nächsten, von schlechtem Essen und noch schlechteren Frauen und darüber, wie sehr er die Herausforderung steiler Hügel und gewundener Paßstraßen liebte, wenn peitschender Regen und Schnee ihm die Sicht raubten.

Zedd beobachtete einen Mann, der allein in einer Nische an der gegenüberliegenden Wand des Raumes saß und der mit verdrehten Augen und kopfschüttelnd einem unwahrscheinlichen Abenteuer nach dem anderen lauschte. Vor ihm auf dem Tisch lag säuberlich zusammengerollt eine Peitsche. Andere Männer an den Tischen nahmen das Gesungene für bare Münze, sangen mit und schlugen dabei mit ihren Krügen auf den Tisch. Einige der betrunkenen Gäste versuchten die lächelnden Kellnerinnen in den Allerwertesten zu kneifen, wenn sie vorbeihuschten, griffen jedoch stets ins Leere.

An anderen Tischen saßen piekfein gekleidete Männer und Frauen, wahrscheinlich Kaufleute mit ihren Gattinnen, unterhielten sich und ignorierten den Gesang. Modisch gekleidete Edelleute mit blitzenden Schwertern saßen ein paar Tische weit entfernt in einer ruhigeren Ecke des Raumes. Auf einer freien Fläche zwischen dem Barden und dem einsamen Mann in seiner Nische tanzten Paare. Einige der Männer hatten Kellnerinnen etwas zustecken müssen, damit sie in den Genuß eines Tanzes kamen. Pikiert stellte Zedd fest, daß es zwar viele Männer mit Hüten gab, die Hüte jedoch allesamt zweckmäßig aussahen und keiner mit einer Feder geschmückt war.

Zedd griff in die Tasche, um seine Goldmünzen zu zählen. Zwei. Er seufzte. Es war kostspielig, den reichen Mann zu spielen. Wie die Reichen sich das leisten konnten, war ihm ein Rätsel. Nun, er würde etwas unternehmen müssen, wollte er ihnen eine Transportmöglichkeit nach Nicobarese beschaffen. Er konnte nicht zulassen, daß Adie weiter auf dem Pferd ritt. Sie war zu sehr geschwächt.

Leichtfüßig federnd kam Meister Hillman durch die Küchentür geeilt. Er setzte Zedd einen goldgeränderten, weißen Teller mit einem Berg gegrillten Lammfleischs vor, zögerte, bevor er sich aufrichtete, legte zu beiden Seiten einen Finger an den Teller und rückte ihn pingelig zurecht. Dann zog er ein sauberes Küchentuch hervor und rieb einen Flecken von der Tischplatte. Zedd beschloß, trotz seines Hungers vorsichtig zu essen, damit Meister Hillman nicht auf die Idee verfiel, ihm das Kinn abzuwischen.

»Darf ich Euch einen Krug Bier bringen, Meister Rybnik? Auf Kosten des Hauses?«

»Bitte nennt mich Ruben, so heiße ich nämlich. Eine Kanne Tee wäre hervorragend.«

»Selbstverständlich, Meister Rybnik, kommt sofort. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun? Außer der Kanne Tee?«

Zedd beugte sich ein wenig zur Tischmitte vor. Meister Hillman tat dasselbe. »Wieviel Silber bekommt man augenblicklich für Gold?«

»Vierzig Komma fünf fünf zu eins«, kam die präzise Antwort im Handumdrehen. Es folgte ein verlegenes Räuspern. »Glaube ich zumindest. Wenn ich mich recht erinnere.« Er grinste kleinlaut. »So genau verfolge ich das nicht. Aber ich glaube, so dürfte es stimmen. Vierzig Komma fünf fünf zu eins. Ja, ich denke, das dürfte in etwa stimmen.«

Zedd tat, als ließe er sich das durch den Kopf gehen. Schließlich zog er eines seiner beiden Goldstücke hervor und schob es mit einem Finger über den Tisch hinüber zum Wirt.

»Wie es aussieht, bin ich knapp an kleinen Münzen. Wärt Ihr so freundlich, dies für mich zu wechseln? Außerdem möchte ich, daß es auf zwei Geldbeutel aufgeteilt wird. Aus dem einen nehmt ein Silberstück und wechselt es in Kupfer, das Ihr in einen dritten Beutel steckt. Und bitte, behaltet das überzählige Kleingeld für Euch.«

Meister Hillman verbeugte sich zweimal tief. »Natürlich, Meister Rybnik, selbstverständlich. Und vielen Dank.«

Er wischte die Münze so schnell vom Tisch, daß Zedd sie kaum verschwinden sah. Als er gegangen war, fiel Zedd über seinen Lammbraten her, beobachtete die Leute und lauschte kauend dem Gesang. Gegen Ende der Mahlzeit war Meister Hillman zurück und schob sich zwischen Zedd und das Gedränge.

Er legte zwei kleine Geldbeutel auf den Tisch. »Das Silber, Meister Rybnik. Neunzehn im hellbraunen, und zwanzig im dunklen.« Zedd ließ sie in sein Gewand gleiten, während sein Gegenüber einen schwereren, grünen Beutel absetzte und über den Tisch schob. »Und hier das Kupfer.«

Zedd bedankte sich mit einem Lächeln. »Und der Tee?«

Der dicke Mann schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Vergebt mir. Über das Wechseln habe ich das ganz vergessen.« Einer der Edelleute winkte und versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erhäschen. Hillman erwischte den Arm einer Kellnerin, die gerade mit einem Tablett voll Krügen aus der Küche kam. »Julie! Hol Meister Rybnik eine Kanne Tee.« Sie lächelte Zedd an und nickte, bevor sie mit ihrem Tablett weitereilte. Lächelnd drehte Hillman sich wieder um. »Julie wird sich darum kümmern, Meister Rybnik. Wenn ich sonst noch etwas für Euch tun kann?«

»Äh, ja. Ihr könntet mich Ruben nennen.«

Meister Hillman gluckste gedankenverloren in sich hinein und nickte. »Selbstverständlich, Meister Rybnik, geht in Ordnung.« Und eilte fort, hinüber zu dem Edelmann.

Zedd schnitt das nächste Stück Lammbraten ab und spießte es mit der Gabel auf. Der Name Ruben gefiel ihm. Mehr hätte er dem Mann gar nicht verraten sollen. Während er das Fleisch mit den Zähnen von den Zinken zog, beobachtete er Julie, die sich auf der anderen Seite des Raumes zwischen den Tischen hindurchschlängelte.

Kauend verfolgte er, wie sie knallend Krüge rings um einen Tisch derber Kerle verteilte, die sämtlich lange Jacken trugen. Als sie den letzten Krug vor dem letzten Kerl absetzte, sagte dieser etwas zu ihr. Sie mußte sich vornüberbeugen, um bei dem Lärm etwas zu verstehen. Plötzlich brachen die Männer in Gelächter aus. Julie richtete sich auf und schlug dem Kerl mit ihrem Tablett auf den Kopf. Als sie stolz davonmarschieren wollte, kniff er sie. Sie schrie auf, eilte aber weiter.

Als sie an Zedds Tisch vorüberkam, beugte sie sich lächelnd über ihn. »Ich werde Ihnen den Tee jetzt sofort bringen, Meister Rybnik.«

»Mein Name ist Ruben.« Mit einer knappen Bewegung seines Fingers zeigte er auf den Tisch mit den lärmenden Kerlen. »Ich habe gesehen, was passiert ist. Mußt du das immer über dich ergehen lassen?«

»Ach, das ist bloß Oscar. Er ist harmlos, meistens. Manchmal, wenn er den Mund aufmacht, wünsche ich mir allerdings, daß er den Schluckauf kriegt, statt mich mit seinen schmutzigen Redensarten anzuspucken.« Sie strich sich verärgert eine Locke aus dem Gesicht.

»Und jetzt will er noch einen Krug. Entschuldigt. Ich rede zuviel. Ich werde Euren Tee holen, Meister Ryb –«

»Ruben.«

»Ruben.« Sie schenkte ihm ein Lächeln, bevor sie davoneilte.

Während er wartete, aß Zedd weiter und beobachtete den Tisch mit den lärmenden Männern. Ein bescheidener Wunsch. Was konnte es schaden? Julie kehrte mit dem Tee und einer Tasse zurück. Als sie dies auf dem Tisch abstellte, machte Zedd seinen Finger krumm und bat sie, sich weiter vorzubeugen.

Sie beugte sich herüber und schnürte dabei ihre Schürzenbänder. fester. »Ja, Ruben?«

Der Zauberer legte ihr sachte einen Finger unters Kinn. »Du bist eine sehr hübsche Frau, Julie. Oscar soll dich nicht mehr auf unflätige Weise ansprechen und dich auch nicht mehr betatschen.« Er senkte die Stimme zu einem langsamen, kräftigen Flüsterton, der fast die Luft zum Knistern brachte. »Wenn du ihm sein Bier bringst, sprich seinen Namen und sieh ihm dabei in die Augen, so wie ich dir jetzt in die Augen schaue, und dein Wunsch soll in Erfüllung gehen. Doch du wirst dich weder daran erinnern, darum gebeten zu haben, noch daß ich ihn dir gewährt habe.«

Julie richtete sich blinzelnd auf. »Entschuldigt, Ruben, was habt Ihr gesagt?«

Zedd schmunzelte. »Ich sagte, ›Danke für den Tee‹, und wollte außerdem wissen, ob jemand hier ein Pferdegespann und vielleicht eine Kutsche besitzt, die man mieten kann.«

Sie blinzelte erneut. »Ach so. Nun…« Sie sah sich um und biß sich dabei auf die Unterlippe. »Jeder zweite hier ist Kutscher, zumindest jeder zweite, der nicht so elegant wie Ihr gekleidet ist. Manche verdingen sich. Manche transportieren Frachtgut und kommen regelmäßig her, andere sind nur auf der Durchreise.« Sie zeigte auf mehrere Tische. »Die dort … und die, verdingen sich vielleicht. Vorausgesetzt, Ihr schafft es, sie nüchtern zu machen.«

Zedd bedankte sich bei ihr, und sie ging davon, das Bier zu holen. Er sah zu, wie sie es quer durch den Raum trug und vor Oscar abstellte. Er feixte sie mit einem lüsternen Grinsen an. Sie sah ihm fest in die Augen. Zedd sah, wie ihre Lippen seinen Namen formten. Oscar öffnete den Mund und wollte etwas sagen, verschluckte sich aber statt dessen. Eine Blase schwebte aus seinem Mund in die Luft. Und zerplatzte. Alles am Tisch brach in Gelächter aus. Beim Zusehen zogen sich Zedds Brauen stirnrunzelnd zusammen. Eigenartig, dachte er.

Jedesmal, wenn Oscar den Mund aufmachte, um etwas zu Julie zu sagen, verschluckte er sich und Blasen stiegen auf. Die Männer brüllten vor Lachen, beschuldigten sie, Seife ins Bier geschüttet zu haben. Sollte es stimmen, darin waren sich alle einig, dann geschähe ihm dies durchaus zu recht. Sie überließ die Männer ihrem Gegröle, als der einsame Mann in der Nische sie auf sich aufmerksam machte. Er bat sie um etwas, woraufhin sie nickte und zur Küche eilte.

An Zedds Tisch blieb sie kurz stehen und deutete mit einem Nicken auf den allein sitzenden Mann. »Vielleicht hat er ein Gespann. Er riecht mehr nach Pferd als nach Mann.« Sie mußte kichern. »Das war nicht nett. Verzeiht. Aber ich kann ihn einfach nicht dazu überreden, sein Geld für Bier auszugeben. Er möchte, daß ich ihm Tee bringe.«

»Ich habe mehr, als ich trinken kann. Ich werde meinen mit ihm teilen.« Er zwinkerte ihr zu. »Das spart dir einen Weg.«

»Danke, Ruben. Hier ist noch eine Tasse.«

Zedd schob sich den letzten großen Brocken Braten in den Mund, während er den Blick durch den Raum schweifen ließ. Die Männer hatten sich wieder beruhigt, und Oscar war seinen Schluckauf wieder los. Sie saßen alle da und lauschten dem Barden, der ein Lied über einen Mann zum besten gab, der seine Liebste verloren hatte.

Zedd nahm Teekanne und Tassen und wollte sich von seinem Tisch entfernen, als ihm sein Hut einfiel. Leise fluchend nahm er ihn auf, dann sah er den Stock und schnappte sich auch den. Absichtlich ging er dicht an Oscar vorbei und betrachtete ihn aufmerksam. Er kam nicht dahinter, wieso er bei seinem Schluckauf Blasen ausgestoßen hatte. Zedd zuckte in Gedanken mit den Achseln. Der Mann wirkte jetzt ganz normal, wenn auch ein wenig zu betrunken.

Neben der Nische mit dem allein sitzenden Mann blieb der Zauberer stehen. Er hielt Kanne und Tassen in die Höhe.

»Ich habe mehr Tee, als ich trinken kann. Könnte ich ihn vielleicht mit dir teilen?«

Der Mann warf ihm unter seinen buschigen Brauen einen gefährlich finsteren Blick zu. Zedd lächelte. In der Tat roch er nach Pferd. Er faltete seine gewaltigen Arme auseinander, schob die zusammengerollte Peitsche zur Seite und gab Zedd, bevor er die Arme wieder verschränkte, ein Zeichen, er solle sich setzen.

»Sehr erfreut, danke. Ich … heiße Ruben.«

Zedd schmiß seinen Hut auf den Tisch und hob in Erwartung einer Antwort die Brauen.

»Ahern«, meinte er mit tiefer, volltönender Stimme. »Was willst du?«

Zedd stellte den Stock mit einer Hand zwischen die Knie und zerrte, als er auf der Bank Platz nahm, mit der anderen an seinem schweren Gewand, um eine dicke Falte unter seinem knochigen Gesäß hervorzuziehen. »Nun, ich wollte nur meinen Tee mit dir teilen, Ahern.«

»Was willst du wirklich?«

Zedd schenkte dem Mann Tee ein. »Ich dachte, vielleicht suchst du Arbeit.«

»Ich hab’ Arbeit.«

Zedd schenkte sich Tee ein. »Tatsächlich? Welcher Art?«

Ahern faltete seine Arme auseinander, lehnte sich in seiner Nische zurück und taxierte die Augen seines neuen Tischgefährten — und sonst nichts. Er trug eine lange Jacke, die er sich, über einem dicken, grünen Flanellhemd, auf die Schultern gelegt hatte. Sein dichtes, größtenteils graues Haar bedeckte fast die Ohren und sah aus, als würde es nur selten von einem Kamm behelligt. Sein tief zerfurchtes, wettergegerbtes Gesicht war mit rosigen, vom Wind geröteten Flecken übersät.

»Warum willst du das wissen?«

Zedd zuckte mit den Achseln und nippte an seinem Tee. »Um abschätzen zu können, ob ich dir ein besseres Angebot machen kann.«

Natürlich konnte Zedd jeden Beitrag in Gold auf den Tisch legen, den der Mann forderte, dies jedoch hielt er nicht für die beste Vorgehensweise. Er nahm einen Schluck Tee und wartete.

»Ich fahre Eisen aus Tristen hier hinunter zu den Schmieden in Penverro. Manchmal auch weiter bis nach Winstead. Wir Keltonier stellen die besten Waffen in den Midlands her, mußt du wissen.«

»Da habe ich aber was anderes gehört.« Aherns Blick verfinsterte sich noch mehr. Zedd faltete die Hände über dem silbernen Knauf seines Stocks. »Ich habe gehört, es seien die besten Schwerter in allen drei Ländern, nicht bloß in den Midlands.« Der Barde hob zu einem neuen Lied an über einen König, der seine Stimme verloren hatte und mittels geschriebener Anweisungen regieren mußte, jedoch keinem seiner Untertanen je das Lesenlernen erlaubt hatte und so sein Königreich verlor. »Das sind schwere Fahrten in dieser Jahreszeit.«

Ahern ließ die vorsichtige Andeutung eines Lächelns erkennen. »Im Frühjahr ist es schlimmer. Im Schlamm. Dann stellt sich raus, wer fahren kann und wer bloß reden.«

Zedd schob die gefüllte Tasse ein paar Zentimeter näher vor den Mann. »Feste Arbeit?«

Endlich ergriff Ahern die Tasse. »Fürs Essen reicht’s.«

Zedd hob eine Schlinge des geflochtenen Leders hoch. »Ich dachte, du siehst aus wie jemand, der hiermit umgehen kann.«

»Es gibt andere Wege, ein Gespann zu harter Arbeit anzutreiben.« Er deutete mit dem Kinn nachlässig in den Raum. »Diese Narren glauben, sie brauchen bloß mit der Peitsche auf die Tiere einzuschlagen und schon kriegen sie, was sie wollen.«

»Und du nicht?«

Ahern schüttelte den Kopf. »Ich knalle mit der Peitsche, um ihre Aufmerksamkeit zu kriegen, damit sie wissen, was ich will, wo sie ihre Füße hinsetzen sollen. Mein Gespann arbeitet für mich, weil ich ihnen das Arbeiten beigebracht habe, nicht weil sie die Peitsche bekommen. Wenn es eng wird, brauche ich ein Gespann, das begreift, was ich will, und keines, das springt, wenn es die Peitsche spürt. Es gibt genug Schluchten voller Knochen von Mann und Pferd. Meine müssen nicht noch dazu.«

»Klingt, als würdest du dich mit deiner Arbeit auskennen.«

Ahern deutete mit der Tasse auf Zedds feine Kleidung. »Und womit beschäftigst du dich?«

»Obstgärten«, sagte Zedd und hob den Finger Richtung Himmel. »Die feinsten Früchte der Welt, Sir!«

Ahern brummte verächtlich. »Das heißt, du besitzt Land, und andere arbeiten, um das feinste Obst der Welt zu ernten.«

Zedd gluckste. »Du hast es erkannt. Jetzt, jedenfalls. Angefangen habe ich allerdings nicht so. Ich habe allein angefangen, geschuftet, mich abgemüht, jahrelang. Habe meine Bäume Tag und Nacht gepflegt und versucht, die besten Früchte zu produzieren, die man je gekostet hat. Viele der Bäume sind eingegangen. Und ich bin oft gescheitert und mußte hungern.

Aber schließlich hatte ich Erfolg. Ich habe jede Kupfermünze gespart, und in den Jahren, in denen ich konnte, Land dazugekauft. Alles selbst bepflanzt, gepflegt, geerntet, verladen und verkauft. Mit der Zeit merkten auch die Leute, daß mein Obst das beste war, und ich hatte noch mehr Erfolg. In den letzten Jahren habe ich Leute eingestellt, die sich für mich um die Dinge kümmern. Aber ich halte noch immer meine Hand auf die Arbeit, damit alles so wird, wie es die Leute von mir kennen. Hast du etwa geringere Ansprüche an deine Arbeit?«

Zedd lehnte sich lächelnd zurück. Er war stolz auf die Geschichte, die er soeben aus dem Stegreif erfunden hatte. Ahern hielt seine Tasse hin und verlangte noch etwas Tee.

»Wo liegen diese Obstgärten?«

»In Westland. Bin dort hingezogen, bevor die Grenze errichtet wurde.«

»Und warum bist du jetzt hier?«

Zedd beugte sich vor und senkte die Stimme. »Nun, du mußt wissen, meiner Frau geht es nicht sehr gut. Wir sind beide alt, und jetzt, wo die Grenze gefallen ist, möchte sie ihre Heimat besuchen. Sie kennt Heilerinnen dort, die ihr vielleicht helfen können. Ich würde alles tun, um ihr zu helfen. Sie ist zu krank, um bei diesem Wetter weiter zu Pferd zu reisen, deswegen möchte ich jemanden anheuern, der uns zu den Heilerinnen bringt. Ich zahle jeden Preis, jeden Preis, den ich bezahlen kann, um sie dorthin zu schaffen.«

Aherns Gesicht wurde etwas milder. »Klingt durchaus vernünftig. Was ist dein Ziel?«

»Nicobarese.«

Ahern knallte seine Tasse auf den Tisch. Ein Teil des Tees schwappte heraus. »Was!« Er senkte seine Stimme und beugte sich vor. Die Tischkante drückte sich in seine kräftige Leibesmitte. »Wir haben Winter, Mann!«

Zedd fuhr mit dem Finger um den Tassenrand. »Ich dachte, du hättest gesagt, im Frühling sei es am schlimmsten.«

Ahern brummte und warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. »Das liegt oben im Nordwesten, auf der anderen Seite des Rang’Shada-Gebirges. Wenn du aus Westland gekommen bist, wieso hast du dann erst den Rang’Shada überquert, um nach Nicobarese zu gelangen? Jetzt mußt du ihn noch einmal überqueren.«

Zedd war ertappt und mußte nun schnellstens eine Antwort finden. Schließlich kam sie ihm. »Ich stamme von oben aus der Nähe von Aydindril. Wir hatten vor, dorthin zu reiten, um meiner Heimat einen Besuch abzustatten, bevor wir im Frühling nach Nicobarese reisen. Ich hatte vor, die Berge im Süden zu überqueren, und dann weiter nach Nordosten Richtung Aydindril zu reiten. Aber Elda, das ist meine Frau, wurde krank, und so beschloß ich, daß es wohl besser wäre, ihre Heilerinnen aufzusuchen.«

»Ihr hättet besser daran getan, zuerst nach Nicobarese zu reisen und dann die Berge zu überqueren.«

Zedd faltete die Hände über seinem Stock. »Nun, Ahern, hättest du eine Ahnung, wie ich meinen Irrtum wiedergutmachen kann?«

Ahern brummte etwas und mußte schmunzeln. »Vermutlich nicht.« Er dachte einen Augenblick lang nach, schließlich stieß er einen müden Seufzer aus. »Eins sag ich dir, Ruben, das ist ein weiter Weg. Das schreit geradezu nach Ärger. Ich weiß nicht, ob ich mich dafür erwärmen kann.«

Zedd zog eine Braue hoch. »Tatsächlich?« Er ließ den Blick in aller Ruhe durch den Raum schweifen. »Sag mir eins, Ahern, wenn du die Aufgabe für so schwierig hältst, wer von diesen Männern hier wäre dann dem Auftrag gewachsen? Wer ist ein besserer Fuhrmann als du?«

Ahern betrachtete die Leute mit säuerlichem Gesichtsausdruck. »Ich sage nicht, daß ich der Beste bin, den es gibt, aber bei diesem Haufen hier ist die Klappe bestimmt größer als der Verstand. Vermutlich gibt es hier keinen, der es schaffen würde.«

Zedd rutschte gereizt auf seiner Bank hin und her. »Ahern, ich habe den Eindruck, du willst bloß den Preis in die Höhe treiben.«

»Und ich glaube, du willst ihn drücken.«

Zedd ließ den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen zu. »Ich glaube, so schwer, wie du behauptest, ist es nicht.«

Aherns mißbilligender Gesichtsausdruck kehrte zurück. »Denkst du, es sei einfach?«

Zedd zuckte mit den Achseln. »Du fährst doch ohnehin im Winter. Ich verlange nichts weiter, als daß du eine andere Richtung einschlägst, das ist alles.«

Ahern beugte sich vor, seine Kiefermuskeln wurden immer härter. »Das Problem ist die Richtung, in die du reisen willst! Erstens gibt es Gerüchte über einen Bürgerkrieg in Nicobarese. Schlimmer noch, der kürzeste Weg, wenn man nicht wochenlang über die Pässe weit unten im Süden fahren will, führt durch Galea.«

Er senkte die Stimme. »Zwischen Galea und Kelton gibt es Ärger. Ich habe gehört, daß entlang der Grenze gekämpft wird. Keltonische Städte wurden geplündert. Die Leute hier in Penverro sind schon nervös, weil sie so nahe an der Grenze nach Galea leben. Man spricht von nichts anderem mehr. Nach Galea zu fahren bedeutet Ärger.«

»Kämpfe? Nichts als Getratsche und Geschwätz. Der Krieg ist vorbei. Man hat die Truppen D’Haras zurückgerufen.«

Ahern schüttelte langsam den Kopf. »Ich sage ja nicht, daß die Truppen aus D’Hara sind. Sondern aus Galea.«

»Blödsinn!« fauchte Zedd ihn an. »Keltonier denken jedesmal, die Galeaner würden angreifen, wenn ein Farmer eine Laterne umstößt und die Scheune Feuer fängt, und jedesmal, wenn ein Lamm von einem Wolf gerissen wird, sehen Galeaner einen Keltonier vor sich. Ich hätte gern das Geld für all die Pfeile, die man auf Schatten abgeschossen hat.« Er drohte mit dem Finger. »Sollten Keltonier oder Galeaner einander angreifen, hätte der Zentralrat längst die Köpfe derer rollen lassen, die den Befehl dazu gegeben haben, egal, um wen es sich handelt!« Er stieß mit dem Stock auf. »Man würde es nicht zulassen!«

Ahern wich ein Stück zurück. »Von Politik verstehe ich nichts, und noch weniger von diesen gottlosen Konfessoren. Ich weiß nur, daß ein Mann bei einer Fahrt durch Galea leicht von Pfeilen dieser Schatten durchlöchert werden kann. Was du vorhast, ist nicht so einfach, wie du glaubst.«

Zedd war das Spielchen leid. Er hatte für dergleichen keine Zeit. Irgendeine Bemerkung von Adie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Eine Bemerkung über Licht. Entschlossen, die Diskussion so oder so zu beenden, leerte er seine Tasse mit einem Schluck.

»Danke für die Unterhaltung, Ahern. Aber ich sehe, du bist nicht der Mann, der mich nach Nicobarese bringen kann.«

Er stand auf und griff nach seinem Hut. Ahern legte seine große Pranke auf Zedds Arm und drückte ihn zurück auf den Stuhl. Er rutschte auf seiner Bank nach vorn.

»Hör zu, Ruben, die Zeiten sind hart. Der Krieg mit D’Hara hat den Handel abreißen lassen. Kelton ist das Schlimmste erspart geblieben, vielen unserer Nachbarn aber nicht. Mit Toten läßt sich schwer Handel treiben. Es gibt nicht mehr so viel Fracht wie früher, aber wir haben immer noch mehr als genug Leute, die nur darauf warten, eine Fahrt zu machen. Du kannst niemandem einen Vorwurf daraus ziehen, wenn er den bestmöglichen Preis erzielen will.« Er runzelte die Stirn und beugte sich noch ein wenig weiter vor. »Den besten Preis für die besten Früchte sozusagen.«

»Die besten Früchte, allerdings.« Zedd machte eine ungeduldige Geste Richtung Saal. »Jeder von diesen Männern würde freudig seine Dienste anbieten. Jeder von ihnen könnte mir eine rühmliche Geschichte — die ebensogut wie deine wäre — erzählen, warum er der beste Kutscher ist. Dein Ziel ist es, den bestmöglichen Preis zu erzielen. Das kann ich durchaus verstehen, aber treib keine Spielchen mit mir, Ahern. Ich will wissen, warum ich einen hohen Preis bezahlen soll.«

Mit der Spitze eines seiner dicken Finger schob Ahern seine Tasse in die Mitte des Tisches und gab damit zu verstehen, daß er sie nachgefüllt haben wollte. Zedd strich sich die Ärmel glatt, bevor er ihm den Gefallen tat. Ahern zog seine Tasse hinter die schützende Ummantelung seiner mächtigen Arme und beugte sich vor. Er ließ den Blick durch den Raum wandern.

Alles ringsum sah dem Barden zu, der gerade einer der Kellnerinnen ein Liebeslied sang. Er hielt ihre Hand und sang dazu Worte ewigwährender Hingabe. Das Mädchen hatte einen roten Kopf. Mit ihrer freien Hand hielt sie das Tablett hinter ihren Rücken, betrachtete ihre Füße und kicherte verlegen.

Ahern zog ein Kettchen mit einem Silbermedaillon unter seinem grünen Flanellhemd hervor. »Der Grund, warum ich einen Spitzenpreis verlange, ist das hier.«

Zedd betrachtete stirnrunzelnd das königliche Abbild auf dem Medaillon. »Scheint aus Galea zu stammen.«

Ahern nickte ein einziges Mal. »Während des Frühjahrs und des Sommers hat D’Hara Ebinissia belagert. Den Galeanern wurde langsam der Hals zugedreht, und niemand wollte ihnen helfen. Jeder hatte seine eigenen Sorgen mit den D’Haranern und wollte nicht auch noch ein Stück von ihren. Die Menschen dort brauchten Waffen.

Ich habe fuhrenweise Waffen und dringend benötigtes Salz oben durch die abgelegeneren Pässe geschafft. Die galeanische Garde hatte angeboten, jeden zu begleiten, der die Fuhre riskieren wollte, doch nur wenige nahmen das Angebot an. Diese kleinen Pässe sind tückisch.«

Zedd zog eine Braue hoch. »Sehr nobel von dir.«

»Das hat mit nobel nichts zu tun. Sie haben gut bezahlt. Es gefiel mir einfach nicht, die Leute dort so in der Falle sitzen zu sehen. Schon gar nicht, da ich wußte, was d’haranische Soldaten ihren besiegten Gegnern antun. Wie auch immer, meine Überlegung war, daß ein paar keltonische Schwerter ihre Chance, sich zu verteidigen, verbessern mußten, das war alles. Wie schon gesagt, wir stellen die besten her.«

Zedd nahm eine Hand vom Knauf seines Stockes und deutete auf das Medaillon, das sich jetzt wieder unter Aherns Hemd befand. »Und worum handelt es sich dabei?«

»Nachdem die Belagerung aufgehoben war, rief man mich an den Hof Galeas. Königin Cyrilla hat es mir persönlich überreicht. Sie sagte, ich hätte ihrem Volk geholfen, sich zu verteidigen, und sei in Galea stets willkommen.« Er schlug sich auf die Brust, wo das Medaillon unter seinem Hemd hing. »Dies ist ein königlicher Paß. Er besagt, daß ich mich in Galea völlig frei und ungehindert bewegen kann.«

»Und jetzt«, sagte Zedd mit einem Blick unter seinen Brauen hervor, »möchtest du etwas von unschätzbarem Wert mit einem Preis versehen.«

Ahern kniff die Augen leicht zusammen. »Was ich getan habe, war nur eine Kleinigkeit. Den größten Teil des Elends haben sie getragen. Ich habe den Menschen geholfen, weil sie Hilfe brauchten und weil ich gut dafür bezahlt wurde. Ich behaupte nicht, ein Held zu sein. Ich habe es aus beiden Gründen getan. Aus einem Grund allein hätte ich es nicht gemacht. Jetzt habe ich diesen Paß, und wenn er mir dabei hilft, meinen Lebensunterhalt zu verdienen, nun, darin kann ich nichts Falsches erkennen.«

Zedd lehnte sich zurück. »Du hast recht, Ahern. Schließlich haben die Galeaner dich hochbelohnt. Das werde ich auch tun, wenn ich kann. Nenn mir deinen Preis dafür, uns nach Nicobarese zu bringen.«

Die Teetasse wirkte winzig in Aherns großen Händen, als er sie hin- und herrollte. »Dreißig Goldstücke. Nicht eines weniger.«

Zedd runzelte die Stirn. »Donnerwetter. Du hast wohl eine sehr hohe Meinung von dir.«

»Ich kann dich dorthin bringen, und das ist mein Preis. Dreißig Goldstücke.«

»Zwanzig sofort, zehn weitere, wenn du uns nach Aydindril gebracht hast.«

»Aydindril! Von Aydindril war nie die Rede. Ich will mit Aydindril nichts zu tun haben, mit den Zauberern und Konfessoren dort. Außerdem müßten wir ein weiteres Mal den Rang’Shada überqueren!«

»Den wirst du ohnehin überqueren müssen, wenn du hierher zurück willst. Dann überquerst du ihn eben von Norden her. Das ist für dich kaum ein Umweg. Wenn dir das Angebot nicht gefällt, dann biete ich dir nieine zwanzig dafür, uns nach Nicobarese zu bringen. Und ich bin sicher, daß ich für die anderen zehn dort jemanden finde, der mehr als bereit wäre, uns nach Aydindril zu bringen, selbst wenn wir immer noch eine Kutsche brauchen, nachdem meine Frau kuriert ist. Wenn du alle dreißig willst, dann sage ich sie dir jetzt sofort zu, aber nur, wenn du einverstanden bist, uns die ganze Strecke zu fahren. Das ist mein Angebot.«

Ahern rollte seine Tasse zwischen den Händen hin und her. »Also schön. Bis nach Aydindril. Zwanzig jetzt, zehn in Aydindril.« Er zeigte mit einem seiner fleischigen Finger in Zedds Richtung. »Aber nur unter einer Bedingung.«

»Die wäre?«

Ahern zeigte auf Zedds roten Hut. »Diesen Hut kannst du nicht tragen. Die Feder würde die Pferde scheu machen.«

Zedds faltige Wangen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. »Gut, ich habe auch eine Bedingung.« Ahern legte den Kopf zur Seite. »Du mußt meiner Frau klarmachen, daß es deine Bedingung ist.«

Ahern grinste zurück. »Abgemacht.« Sein Grinsen verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war. »Das wird keine leichte Reise, Ruben, bis hinauf in die Berge und darüber hinweg. Ich besitze eine Kutsche, die ich von meinem Verdienst für die Transporte nach Ebinissia gekauft habe. Ich könnte Kufen darunter bauen. Damit kommt man im Tiefschnee besser voran.« Er tippte mit dem Finger gegen die Tasse. »Und das Gold?«

Die Finger des Barden tanzten über die Saiten und spielten eine fesselnde Melodie ohne Worte. Praktisch jeder Fuß im Raum wippte im Takt dazu. Zedd griff in sein Gewand und schloß die Hand um die beiden Geldbeutel mit den Silbermünzen. Er beobachtete den Raum, ohne ihn zu sehen.

Und dann tat der Zauberer das, was er in der letzten Zeit viel zu oft getan hatte: er richtete einen warmen Strom aus Magie in die Beutel voller Silbermünzen — und verwandelte sie in Gold.

Doch was blieb ihm auch für eine Wahl? Ein Scheitern in dieser Angelegenheit bedeutete, die Welt der Lebenden sterben zu sehen. Hoffentlich lieferte er sich nicht bloß eine Rechtfertigung für ein Vorgehen, das, wie er wußte, gefährlich war.

»Nichts ist jemals einfach«, murmelte er kaum hörbar.

»Wie war das?«

»Ich sagte, ich weiß, daß sie nicht einfach wird, diese Reise.« Er schmiß den dunkelbraunen Beutel mit dem Gold auf den Tisch. »Das sollte sie ermöglichen. Zwanzig sofort, wie abgemacht.«

Ahern zog die verschnürte Öffnung auf, steckte zwei dicke Finger in den Beutel und zählte nach, während Zedd in aller Ruhe die Leute beobachtete, die Essen, Getränke und Musik genossen. Er hatte es eilig, nach Nicobarese aufzubrechen.

»Soll das ein Scherz sein?«

Zedd richtete sein Augenmerk wieder auf Ahern. Mit zwei Fingern fischte der Dicke eine Münze aus dem Beutel und schnippte sie über den Tisch. Die Münze wirbelte mattfarben herum, bevor sie schließlich kippte und dabei ein ebenso mattes Geräusch von sich gab. Zedd war fassungslos und wie versteinert.

Die Münze sah aus wie eine ganz gewöhnliche Münze. Nur war sie aus Holz statt aus Gold.

»Ich … ich … also…«

Ahern hatte die restlichen Goldmünzen in seine große Pranke geschüttet und ließ sie jetzt wieder in den Beutel zurückgleiten. »Außerdem sind das hier nur achtzehn. Zwei zu wenig. Ich nehme keine Münzen aus Holz.«

Zedd setzte ein nachsichtiges Lächeln auf und zog den hellbraunen Beutel aus seinem Gewand. »Ich muß mich entschuldigen, Ahern.« Er nahm die hölzerne Münze vom Tisch. »Sieht ganz so aus, als hätte ich dir den falschen Geldbeutel gegeben, den mit meiner Glücksmünze. Die würde ich natürlich niemals hergeben. Sie ist mir wertvoller als Gold.«

Er linste in seinen Beutel. Siebzehn. Auch von diesen waren zwei aus Holz. Insgesamt hätten es neunzehn sein müssen. Ihm drehte sich der Kopf, als er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. War es möglich, daß Meister Hillman versucht hatte, ihn übers Ohr zu hauen? Nein, das wäre ein zu plumper Diebstahl. Außerdem wäre es dumm, eine Münze aus Holz zu schnitzen, in der Hoffnung, sie würde für Gold durchgehen.

»Meine anderen zwei Goldstücke?«

»Oh, ja, natürlich.« Zedd zog zwei Goldmünzen aus den Beutel und schob sie über den Tisch.

Ahern steckte sie in seinen Beutel, zog die Schnur mit einem Ruck zusammen und stopfte den dunkelbraunen Beutel in eine Tasche. »Jetzt stehe ich zu deiner Verfügung. Wann willst du aufbrechen?«

Die Silbermünzen, die sich nicht in Gold verwandelt hatten, bereiteten dem Zauberer keine Sorge, das ließ sich erklären. Irgendwie. Aber drei Münzen fehlten. Waren verschwunden. Dafür gab es keine Erklärung. Das machte ihm Sorgen. Bis in die Zehenspitzen.

»Ich würde gern so bald wie möglich aufbrechen. Sofort.«

»Du meinst morgen?«

Zedd schnappte sich seinen Hut. »Nein, ich meine sofort.« Er betrachtete das verwirrte Gesicht des Mannes. »Meine Frau … wir haben keine Zeit zu verlieren. Sie muß zu ihren Heilerinnen.«

Ahern zuckte mit den Achseln. »Na ja, ich bin gerade aus Tristen zurück. Ich brauche dringend etwas Schlaf. Das wird eine lange, harte Fahrt.« Widerstrebend nickte Zedd zum Zeichen, daß er einverstanden war. »Zuerst werde ich die Kufen unter die Kutsche montieren. Das wird ein paar Stunden dauern. Es sei denn, ich kriege zwei der Kerle hier dazu, mir zu helfen.«

Zedd stampfte mit seinem Stock auf. »Auf keinen Fall! Sag niemandem, was du tust oder wohin du willst. Erzähl nicht einmal, daß du überhaupt abreist.« Er schloß sofort den Mund, als er Aherns mißtrauisches Gesicht sah, und hielt es für das beste, eine beschwichtigende Bemerkung hinzuzufügen. »Diese Schatten, von denen du gesprochen hast. Es bringt nichts, ihnen zu erzählen, wohin sie mit ihren Pfeilen zielen sollen.«

Ahern hatte argwöhnisch den Blick gesenkt, als er sich zu seiner vollen, alles überragenden Größe erhob und seine Jacke überstreifte. »Erst überredest du mich, dich in das verfluchte Land der Zauberer und Konfessoren zu bringen, und jetzt das. Ich glaube, ich habe zuwenig verlangt.« Er schlug die Enden seines Gürtels zu einem losen Knoten umeinander. »Aber abgemacht ist abgemacht. Ich werde die Kutsche fertigmachen gehen und ein wenig Proviant zusammentragen, dann hau’ ich mich kurz aufs Ohr. Drei Stunden vor Tagesanbruch treffen wir uns hier wieder. Morgen vormittag werden wir bereits die Grenze hinter uns haben und in Galea sein.«

»Ich habe ein Pferd im Stall stehen. Das können wir ebensogut mitnehmen. Geh kurz dort vorbei und bring es mit, bevor du uns abholen kommst.« Zedd entließ den Mann mit einem abwesenden Wink seines Stockes. »Drei Stunden vor Tagesanbruch.«

Seine Gedanken wandten sich etwas anderem zu. Die Angelegenheit war ernster, als er gedacht hatte. Sie brauchten unbedingt so bald als möglich Hilfe. Vielleicht hatte die Frau in Nicobarese mit den drei Töchtern noch irgendwo anders studiert, an einem näher gelegenen Ort. Vielleicht brauchten sie nicht den ganzen weiten Weg zu machen, um das zu finden, was sie suchten. Ausschlaggebend war die Zeit.

Nur das Licht weiß, hatte Adie gesagt, wo die Frau etwas über die Skrin gelernt hatte. Das ›Licht‹ war eine gebräuchliche Anspielung auf die Gabe. Gleichzeitig war es auch eine dunkle Anspielung auf etwas völlig anderes. Er stieß den Stock auf den Boden. Mußte Adie ständig in Magierinnenrätseln sprechen!

Ahern war bereits auf dem Weg zur Tür, als der Zauberer sich erhob und zur Treppe ging.

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