Durch den derben Stoff seines Gewandes befühlte Zedd in aller Ruhe den Stein, der dort in einer Innentasche sicher untergebracht war, und beobachtete, wie die Krallen durch die Risse im Metall zurückgezogen wurden. Er drehte sich um. Der Grenzposten schleppte Rachel durch die Halle. Sie waren erst ein paar Dutzend Schritte weit gekommen, da flog eine der Türen mit einem ungeheuren Scheppern aus den Angeln. Die starken Angeln zersplitterten, als wären sie aus Ton.
Zedd sprang zur Seite und duckte sich. Die goldbeschlagene Tür verfehlte ihn nur knapp, segelte durch die Halle und krachte gegen die Wand aus poliertem Granit. Metallsplitter flogen umher, und Steinstaub wallte durch den Gang. Zedd kam wieder auf die Beine und rannte los.
Der Screeling sprang aus dem Garten des Lebens heraus in die Halle. Sein Körper war kaum mehr als ein gedrungenes Skelett unter einer dünnen Schicht trockener, spröder, verkohlter Haut. Wie eine Leiche, die jahrelang in der Sonne vertrocknet war. Dort, wo die beim Kampf zerrissene Haut in Fetzen herunterhing, schimmerten die weißen Knochen durch, doch das schien dem Geschöpf nichts auszumachen. Es war ein Wesen aus der Unterwelt, und mit den Schwächen alles Lebendigen hatte es nichts zu schaffen. Blut war keins zu sehen.
Wenn man ihn hinreichend auseinanderreißen oder in Stücke hacken konnte, ließ er sich vielleicht aufhalten. Allerdings war er erschreckend schnell. Und Magie konnte ihm offensichtlich nicht viel anhaben. Es handelte sich um ein Geschöpf Subtraktiver Magie; Additive Magie wurde von ihm aufgesogen wie von einem Schwamm.
Vielleicht konnte man ihm mit Subtraktiver Magie beikommen; diese Hälfte der Gabe fehlte Zedd jedoch. Kein Zauberer in den letzten paar tausend Jahren hatte sie besessen. Möglicherweise fühlte sich der eine oder andere zum Subtraktiven berufen — Darken Rahl war der beste Beweis dafür –, doch die Gabe dafür war niemandem geschenkt worden.
Nein, mit Magie war dieses Wesen nicht aufzuhalten. Zumindest, überlegte der Zauberer, nicht unmittelbar. Aber vielleicht indirekt?
Zedd ging rückwärts, während der Screeling ihn verständnislosen und verwirrten Blicks beobachtete. Jetzt, dachte er, solange er sich nicht bewegt.
Zedd konzentrierte sich, ballte die Luft zusammen, verdichtete sie weit genug, um die schwere Tür in die Höhe zu heben. Er war müde; es kostete ihn einige Anstrengung. Innerlich aufstöhnend, drückte er die Luft nach vorn und rammte sie dem Screeling in den Rücken. Staub wirbelte auf und wogte durch die Halle, als die Tür das Wesen zu Boden schmetterte. Es heulte auf. Zedd fragte sich, ob es vor Schmerzen oder aus Wut heulte.
Die Tür wurde hochgehoben. Steinsplitter fielen herunter. Der Screeling hielt die schwere Tür mit einer krallenbewehrten Hand in die Höhe und lachte, eine verholzte Ranke der Pflanze, mit der Zedd ihn hatte strangulieren wollen, noch immer um den Hals geschlungen.
»Verdammt!« murmelte Zedd. »Nichts ist jemals einfach.«
Zedd bewegte sich weiter rückwärts. Die Tür polterte zu Boden, und der Screeling kam darunter zum Vorschein und verfolgte ihn. Er schien allmählich zu begreifen, daß die Menschen, die langsam gingen, dieselben waren wie die, die rannten oder stehenblieben. Für ihn war dies eine unvertraute Welt. Zedd mußte sich etwas einfallen lassen, bevor das Wesen noch mehr dazulernte. Wenn er nur nicht so müde gewesen wäre.
Chase lief eine breite Marmortreppe hinunter. Zedd folgte ihm schnellen Schritts. Wäre er sicher gewesen, daß der Screeling es nicht auf Chase oder Rachel abgesehen hatte, er hätte einen anderen Weg gewählt, um die Gefahr von ihnen abzulenken. Aber der Screeling konnte ebensogut die beiden verfolgen, und Zedd wollte Chase nicht allein mit ihm kämpfen lassen.
Ein Mann und eine Frau kamen die Treppe herauf, beide in weißen Gewändern. Chase versuchte, sie zum Umkehren zu bewegen, doch sie drückten sich an ihm vorbei.
»Geht langsam!« schrie Zedd ihnen zu. »Nicht rennen! Geht zurück, oder ihr werdet getötet!« Sie sahen ihn verwirrt und stirnrunzelnd an.
Der Screeling kam auf die Treppe zugeschlurft, seine Klauen schabten über den Marmorboden. Zedd hörte ihn mit seiner nervenaufreibenden Beinahe-Lache keuchen.
Die beiden Leute erblickten das dunkle Etwas. Sie erstarrten und rissen ihre blauen Augen auf. Zedd versetzte ihnen einen Stoß, drehte sie um und schob sie gewaltsam die Treppe hinunter. Plötzlich fingen die beiden zu rennen an und sprangen, drei Stufen zugleich nehmend, mit fliegendem Blondhaar und wehendem Gewand die Stufen hinab.
»Nicht rennen!« brüllten Chase und Zedd gleichzeitig.
Der Screeling stellte sich auf seine krallenbewehrten Zehen. Die plötzliche Bewegung hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er stieß ein keckerndes Lachen aus und schoß zur Treppe. Zedd schleuderte eine Faust voll Luft, traf ihn in die Brust und stieß ihn einen Schritt zurück. Der Screeling nahm kaum Notiz davon. Er lugte über das mit Schnitzereien verzierte Steingeländer und erspähte die rennenden Menschen.
Mit einem Keckem packte er das Geländer, setzte darüber hinweg und sprang gut zwanzig Fuß tief hinunter zu den beiden weiß gewandeten Gestalten. Sofort drückte Chase Rachels Gesicht an seine Schulter, machte kehrt und stieg die Treppe wieder nach oben. Er wußte, was jetzt kommen würde, und doch gab es nichts, was er dagegen hätte tun können.
Zedd wartete auf dem oberen Absatz. »Beeilt euch, solange er abgelenkt ist.«
Es entstand ein kurzes Gerangel, und man hörte ebenso kurze Schreie. Heulendes Gelächter hallte durch das Treppenhaus. Blut spritzte in hohem Bogen auf den weißen Marmor, fast bis zu Chase hin, der die Stufen hochsprang. Rachel vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter und klammerte sich an seinem Hals fest, gab sonst aber nicht den geringsten Laut von sich.
Zedd war beeindruckt. Noch nie hatte er ein so kleines Mädchen gesehen, das den Kopf so gut zu gebrauchen wußte. Sie war klug. Klug und voller Mumm. Jetzt verstand er, warum Giller sie ausgesucht hatte, um zu verhindern, daß das letzte Kästchen der Ordnung Darken Rahl in die Hände fiel. Darauf konnte auch nur ein Zauberer kommen, überlegte Zedd — die Menschen für das Notwendige einzuspannen.
Die drei rannten durch die Halle, bis der Screeling am oberen Treppenabsatz auftauchte. Dann verlangsamten sie ihr Tempo und gingen rückwärts weiter. Der Screeling grinste mit blutroten Zähnen, und für einen Augenblick spiegelte sich das Sonnenlicht, das durch ein hohes, schmales Fenster hereinfiel, golden in seinen unsterblichen Augen. Im Licht zuckte er zusammen, schleckte das Blut von seinen Krallen, dann setzte er ihnen hinterher. Die drei gingen die nächste Treppe hinunter. Das Geschöpf folgte ihnen, hielt manchmal verwirrt inne und schien nicht mehr recht zu wissen, ob es tatsächlich sie waren, auf die es es abgesehen hatte.
Chase hielt Rachel in dem einen Arm und sein Schwert in der anderen Hand. Zedd blieb zwischen ihnen und dem Screeling, während sie durch einen schmalen Gang zurückwichen. Der Screeling stieg die Wand hinauf, zerkratzte den glatten Stein, hangelte sich über die Wandteppiche und zerfetzte sie mit seinen Krallen, während er den dreien folgte.
Kleine Tische aus poliertem Nußbaumholz, jeder mit drei zu gewundenen Pflanzen geschnitzten und mit vergoldeten Blüten besetzten Zierbeinen, wurden durch die Halle gewirbelt, wenn der Screeling sie mit einer Klaue anstieß. Dann amüsierte er sich grinsend und lachend über das Klirren der Kristallvasen, die scheppernd auf dem Steinfußboden zerbrachen. Der Screeling hüpfte auf und ab und riß einen unbezahlbaren blaugelben tanimurischen Teppich in Fetzen, dann flitzte er unter heulendem Gelächter die Wand hinauf zur Decke.
Mit herabhängendem Kopf hangelte er sich an der Decke entlang wie eine Spinne und beobachtete sie.
»Wie macht er das?« flüsterte Chase.
Zedd schüttelte bloß den Kopf, derweil sie rückwärts die gewaltige Haupthalle des Volkspalastes betraten. Die Decke war hier über fünfzig Fuß hoch und bestand aus mehreren vierrippigen Kreuzgewölben, die in einer jeden Ecke von einer Säule getragen wurden.
Plötzlich schnellte der Screeling herbei und sprang sie an.
Zedd setzte einen Feuerstoß frei, als das Wesen durch die Luft geflogen kam. Er verfehlte es, und das Feuer brachte die Granitwand zum Kochen und hinterließ einen schwarzen Rußfleck.
Doch Chase verfehlte sein Ziel nicht. Mit einem kräftigen Hieb seines Schwertes trennte er dem Screeling einen seiner Arme ab. Gequält heulte der Screeling auf. Er torkelte auf dem Boden herum und sprang hinter eine grüngemaserte Marmorsäule. Der abgetrennte Arm zuckte auf dem Steinboden herum.
Soldaten mit gezückten Schwertern kamen durch die riesige Halle herbeigerannt. Das Klirren ihrer Rüstungen und Waffen hallte vom hohen Deckengewölbe wider und ihre Stiefeltritte von den gefliesten Böden rings um das Andachtsbecken, als sie es umrundeten. Die Soldaten von D’Hara waren eine wilde Truppe, und das war ihnen um so deutlicher anzusehen, sobald sie einen Eindringling im Palast entdeckten.
Bei ihrem Anblick ergriff Zedd eine eigenartige Anspannung. Vor ein paar Tagen noch hätten sie ihn ohne Frage zum früheren Meister Rahl davongeschleppt, wo er getötet worden wäre. Jetzt waren sie getreue Gefolgsleute des neuen Meister Rahl, Zedds Enkel Richard.
Als Zedd die Soldaten kommen sah, bemerkte er, daß die Hallen mit Menschen gefüllt waren. Die Nachmittagsandacht war gerade zu Ende. Auch wenn der Screeling nur noch einen Arm besaß, konnte es leicht ein Blutbad geben. Der Screeling würde womöglich ein Dutzend von ihnen töten, bevor sie nur auf den Gedanken kamen wegzulaufen. Und wenn sie es dann taten, würde er noch mehr umbringen. Die Leute mußten alle fort von hier.
Die Soldaten umringten den Zauberer. Mit harten, wachsamen Blicken suchten sie nach der Ursache für die Aufregung. Zedd wandte sich an den Kommandanten, einen muskelbepackten Kerl in Leder und poliertem Brustpanzer, in den der Buchstabe R getrieben war: das Zeichen des Hauses Rahl. Die Narben seines Rangs waren in die Oberarme geritzt, nun unter derben Kettenhemdärmeln verborgen. Aus den Schlitzen seines blitzblanken Helms funkelten stechend blaue Augen.
»Was ist hier los?« verlangte er zu wissen. »Was gibt’s?«
»Schafft die Leute aus der Halle. Sie sind in Gefahr.«
Unter dem Helm verfärbte sich das Gesicht des Kommandanten rot. »Ich bin Soldat, kein Schaftreiber!«
Zedd biß die Zähne zusammen. »Es ist die Pflicht eines jeden Soldaten, Menschen zu beschützen. Wenn Ihr die Leute nicht aus dieser Halle schafft, Kommandant, dann werde ich dafür sorgen, daß man Euch zum Schaftreiber macht!«
Der Kommandant schlug sich zum Salut zackig mit der Faust ans Herz und beherrschte sich, als ihm klar wurde, mit wem er hier stritt. »Auf Euren Befehl, Zauberer Zorander.« Seine Wut ließ er statt dessen an seinen Leuten aus. »Drängt alle zurück! Und zwar sofort, verdammt noch mal! Verteilt euch! Räumt die Halle!«
Die Soldaten schwärmten aus und schoben eine Woge verwirrter Menschen vor sich her. Zedd hoffte, daß alle hinausgebracht werden könnten und es dann vielleicht mit Hilfe der Soldaten gelänge, den Screeling einzuschließen und in Stücke zu hacken.
In diesem Augenblick jedoch stürzte der Screeling hinter der Säule hervor. Er fiel über eine Gruppe dichtgedrängter Schaulustiger her, die von den Soldaten zurückgeschoben wurde, wobei etliche Leute übereinander und zu Boden gestoßen wurden. Schreien und Jammern hallten zusammen mit der widerlichen Lache des Screelings von der anderen Seite des Saales herüber.
Soldaten fielen über das Geschöpf her und wurden blutüberströmt zurückgeschleudert, während ihnen weitere zu Hilfe eilten. In dem dichten Gedränge der panischen Menschenmasse konnten die Soldaten weder Schwert noch Axt mit irgendeiner Wirkung einsetzen, während der Screeling sich gleichzeitig einen blutigen Pfad durch die Leiber pflügte. Er ließ bei den bewaffneten Soldaten ebensowenig Vorsicht walten wie bei den unbewaffneten Unschuldigen. Er fiel einfach über jeden her, der ihm zu nahe kam.
»Verdammt!« fluchte Zedd. Er wandte sich an Chase. »Bleib dicht bei mir. Wir müssen ihn ablenken.« Er sah sich um. »Dort drüben. Das Andachtsbecken.«
Sie rannten zu dem quadratischen Wasserbecken, das unter einer Dekkenöffnung lag. Sonnenlicht fiel herab und wurde vom Wasser als gekräuseltes Muster auf eine der Ecksäulen zurückgeworfen. Auf einem dunklen, narbigen Stein ein Stück seitlich der Beckenmitte stand eine Glocke. Orangefarbene Fische glitten, unberührt von dem Gemetzel über ihnen, durch das flache Wasser.
In Zedds Kopf formte sich eine Idee. Feuer machte dem Screeling sicherlich nichts aus, er rauchte bestenfalls ein wenig, wenn er damit in Berührung kam. Zedd achtete nicht länger auf die Geräusche von Schmerz und Tod und streckte die Hände übers Wasser, sammelte seine Wärme und bereitete es auf das vor, was er im Sinn hatte. Er sah die flirrenden Hitzewellen dicht über der Wasseroberfläche. An dieser Stelle fixierte er die steigende Hitze genau unterhalb des Zündpunktes.
»Wenn er kommt«, erklärte er Chase, »müssen wir ihn ins Wasser jagen.«
Chase nickte. Zedd war froh, daß der Grenzposten nicht zu jenen Menschen gehörte, denen man ständig alles erklären mußte und die so töricht waren, wertvolle Sekunden mit dummen Fragen zu vergeuden. Chase setzte Rachel ab. »Bleib hinter mir«, erklärte er ihr.
Sie stellte ebenfalls keine Fragen. Sie nickte nur und umklammerte ihre Puppe noch fester. Zedd sah, daß sie den Feuerstab in der anderen Hand hielt. Sie hatte wirklich Mumm. Er wandte sich dem Getöse auf der anderen Seite der Halle zu, hob eine Hand und jagte leckende Feuerzungen auf das um sich schlagende dunkle Wesen in seiner Mitte. Die Soldaten wichen zurück.
Der Screeling richtete sich auf, drehte sich um und ließ dabei einen abgetrennten Arm aus dem Maul fallen. Rauch stieg in die Höhe, wo die Flammen an ihm gezüngelt hatten. Er lachte keckernd in Richtung des Zauberers, der reglos in der Sonne neben dem Becken stand.
Die Soldaten drängten die Überlebenden durch die Halle, wenngleich diese mittlerweile der Aufforderung nicht mehr bedurften. Zedd rollte Feuerbälle über den Boden. Der Screeling schlug sie beiseite, wobei sie funkenstiebend erloschen. Zedd wußte, daß ihm das Feuer nichts anhaben konnte, doch er wollte nur seine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Und das funktionierte.
»Vergiß nicht«, sagte er zu Chase, »ins Wasser.«
»Es macht dir doch nichts, wenn er beim Hereinfallen schon tot ist, oder?«
»Um so besser.«
Der Screeling kam durch die Halle gesprungen, seine Krallen klackerten laut über den Stein. Die Spitzen seiner Krallen gruben sich in den Boden und wirbelten Staub und Steinbröckchen auf. Zedd traf ihn mit verdichteten Luftknoten, nagelte ihn fest, lenkte ständig seine Aufmerksamkeit auf sich und versuchte, ihn so langsam wie möglich zu machen, damit sie eine Chance hätten, mit ihm fertig zu werden. Doch jedesmal war er augenblicklich wieder auf den Beinen und jagte weiter. Chase hielt sich bereit und ging ein wenig tiefer in die Hocke. Statt des Schwertes lag jetzt eine mit sechs Klingen bestückte Kriegskeule in seiner Hand.
Der Screeling setzte zu einem unglaublichen Sprung auf den Zauberer an und landete mit Geheul auf ihm. Noch während er zu Boden ging, spann Zedd Luftnetze, um die Krallen in Schach zu halten. Reißzähne schnappten wild nach seiner Kehle.
Mann und Bestie wälzten sich herum, und als der Screeling nach oben kam, schwang Chase die Keule gegen seinen Kopf und landete einen Treffer. Die Bestie fuhr zu ihm herum, und Chase rammte ihr die Keule mitten in die Brust, was sie von Zedd herunterwarf. Zedd hörte, wie unter dem Schlag Knochen zu Bruch gingen. Der Screeling schien kaum Notiz davon zu nehmen.
Er holte mit seinem einen Arm schwungvoll aus, riß Chase die Beine unter seinem Körper weg und sprang ihm auf die Brust, als dieser mit lautem Ächzen zu Boden ging. Zedd hatte Mühe, wieder zu Sinnen zu kommen. Rachel legte dem Screeling den Feuerstab auf den Rücken, und Flammen schossen in die Höhe. Zedd schob ihn mit einem Luftpolster fort, versuchte, ihn ins Wasser zu stoßen, doch der Screeling klammerte sich mit seiner verbliebenen Kralle an Chase, um genau das zu verhindern. Seine schwarzen Augen funkelten wütend hinter dem Feuer hervor. Knurrend fletschte er die Zähne.
Chase riß die Keule mit beiden Händen nach oben und erwischte die unnachgiebige Bestie mitten im Kreuz. Durch den Aufprall wurde der Screeling ins Becken gestoßen. Zischend schoß Dampf in die Höhe, als die Flammen mit dem Wasser in Berührung kamen.
Sofort entzündete Zedd die Luft über dem Wasser und speiste das Feuer mit der Wärmeenergie des Wassers. Das Zaubererfeuer entzog dem Wasser alle Energie. Das gesamte Becken gefror zu einem riesigen Eisklotz. Der Screeling war eingeschlossen. Das Feuer erlosch flackernd, als die Wärme, die es speiste, sich erschöpft hatte. Ganz plötzlich wurde es, abgesehen vom Stöhnen der Verletzten auf der anderen Seite der Halle, still.
Rachel stürzte sich mit tränenerstickter Stimme auf Chase. »Chase, Chase, ist dir etwas passiert?«
Er legte einen Arm um sie und hievte sich in eine sitzende Position. »Nein, nein, Kleines.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, wie Zedd erkannte. »Chase, setz dich sofort auf die Bank da. Ich muß den Menschen helfen und möchte nicht, daß die kleinen Augen sehen, was dort drüben vor sich geht.«
Dieser Appell hatte sicher mehr Erfolg, als Chase zu sagen, er solle nicht mit seinen Verletzungen herumlaufen, bevor sich jemand darum kümmern konnte. Trotzdem war Zedd ein wenig überrascht, als Chase nickte und nicht widersprach.
Der Kommandant und acht seiner Leute eilten herbei. Einige von ihnen bluteten, einem hatte eine Kralle glatt den Brustpanzer aufgerissen. Alle warfen einen Blick auf den im Becken eingefrorenen Screeling. »Gute Arbeit, Zauberer Zorander.« Der Kommandant nickte knapp und lächelte zum Zeichen seiner Hochachtung. »Ein paar dort drüben haben überlebt. Vielleicht könnt Ihr etwas für sie tun?«
»Ich werde sie mir ansehen. Kommandant, laßt dieses Monster von Euren Männern mit der Streitaxt in Stücke hacken, bevor es dahinterkommt, wie es das Eis zum Schmelzen bringen kann.«
Der Mann riß die Augen auf. »Wollt Ihr damit sagen, es lebt noch?«
Zedd gab ihm brummend zu verstehen, daß dem so sei. »Je eher, desto besser, Kommandant.«
Die Männer hatten ihre Sicheläxte bereits vom Gürtel losgehakt. Der Kommandant nickte ihnen zu, und sie stürzten sich auf das Eis.
Der Kommandant senkte die Stimme. »Zauberer Zorander, was ist das für ein Ungeheuer?«
Zedd blickte vom Gesicht des Mannes zu Chase hinüber, der aufmerksam zuhörte. Er hielt dem Blick des Grenzpostens stand. »Es ist ein Screeling.« Chase zeigte keinerlei Reaktion, was der Grenzposten allerdings sowieso so gut wie nie tat. Zedd wandte sich wieder dem Kommandanten zu.
Der große Kerl hatte seine blauen Augen weit aufgerissen. »Die Screelings sind los?« flüsterte er tonlos. »Zauberer Zorander … das könnt Ihr unmöglich ernst meinen.«
Zedd betrachtete das Gesicht des Mannes. Er entdeckte Narben, die er zuvor nicht bemerkt hatte, Narben, die von Kämpfen um Leben und Tod zeugten. Die Soldaten D’Haras kannten kaum eine andere Art des Kampfes. Dieser Mann ließ sich gewöhnlich keine Angst in den Augen anmerken. Nicht einmal angesichts des Todes.
Zedd seufzte. Er hatte seit Tagen nicht geschlafen. Nachdem die Quadrone versucht hatte, Kahlan gefangenzunehmen, und sie geglaubt hatte, Richard sei getötet worden, hatte sie sich in den Con Dar, den Blutrausch, versetzt und ihre Angreifer getötet. Sie, Chase und Zedd waren drei Tage und drei Nächte lang zu Fuß unterwegs gewesen, um den Palast zu erreichen, damit sie Rache üben konnte. Es war unmöglich, einen Konfessor aufzuhalten, der sich in den Fängen des Con Dar, jener uralten Mischung magischer Kräfte, befand. Dann hatte man sie gefangengenommen, und sie hatten herausgefunden, daß Richard lebte. Das war erst gestern gewesen, und doch schien es ewig her zu sein.
Darken Rahl hatte die ganze Nacht daran gearbeitet, den drei Kästchen die Magie der Ordnung zu entlocken, während sie machtlos zugesehen hatten, und erst heute morgen war Rahl durch das Offnen des falschen Kästchens getötet worden. Getötet worden durch das Erste Gesetz der Magie, so wie es Richard angewandt hatte. Das war der Beweis, daß Richard über die Gabe verfügte, auch wenn er es selbst nicht glaubte. Denn nur jemand, der die Gabe besaß, konnte das Erste Gesetz der Magie gegen einen Zauberer von Darken Rahls Fähigkeiten anwenden.
Zedd warf einen kurzen Blick hinüber zu den Männern, die auf den im Eis eingeschlossenen Screeling einhackten. »Wie lautet Euer Name, Kommandant?«
Der Mann warf sich vor Stolz in die Brust. »Kommandant General Trimack, Erste Rotte der Palastwache.«
»Erste Rotte? Was sind das für Leute?«
Vor Stolz reckte der Mann sein Kinn noch weiter vor. »Wir sind der Ring aus Stahl, der den Lord Rahl umgibt, Zauberer Zorander. Zweitausend Mann stark. Wir sind stets zur Stelle, ehe das Unheil auch nur einen flüchtigen Blick auf Lord Rahl werfen kann.«
Zedd nickte. »Kommandant General Trimack, ein Mann in Eurer Stellung weiß, daß es zu den Pflichten der oberen Dienstgrade gehört, die Last des Wissens einsam und verschwiegen zu ertragen.«
»So ist es.«
»Euer Wissen um den Screeling gehört zu diesen Lasten. Zumindest vorerst.«
Trimack stieß einen tiefen Seufzer aus und nickte. »Verstehe.« Er blickte zu den Menschen auf dem Boden der Halle hinüber. »Und die Verletzten, Zauberer Zorander?«
Zedd hatte Achtung vor einem Soldaten, der sich um unschuldige Verwundete sorgte. Seine Gleichgültigkeit zuvor war Pflicht gewesen, nicht Herzlosigkeit. Instinktiv hatte er sich zunächst dem Feind entgegengestellt.
Zedd machte sich, Trimack an seiner Seite, auf den Weg durch die Halle. »Ihr wißt, daß Darken Rahl tot ist?«
»Ja. Ich war heute morgen im Großen Hof. Ich habe gesehen, wie der neue Lord Rahl auf dem Roten Drachen davongeflogen ist.«
»Und Ihr werdet Richard ebenso treu dienen, wie Ihr seinem Vorgänger gedient habt?«
»Er ist ein Rahl, oder etwa nicht?«
»Er ist ein Rahl.«
»Und er besitzt die Gabe?«
»Zweifellos.«
Trimack nickte. »Bis zum allerletzten Mann. Ehe das Unheil auch nur einen flüchtigen Blick auf ihn werfen kann.«
Zedd sah zu ihm herüber. »Es wird nicht einfach sein, unter ihm zu dienen. Er ist sehr eigensinnig.«
»Er ist ein Rahl. Das sagt dasselbe.«
Zedd mußte gegen seinen Willen lächeln. »Er ist auch mein Enkel, wenn er es auch noch nicht weiß. Tatsächlich weiß er nicht einmal, daß er ein Rahl ist. Oder gar der Lord Rahl. Möglicherweise findet er nicht einmal Gefallen an der Stellung, in der er sich wiederfinden wird. Eines Tages jedoch wird er Euch brauchen. Ihr würdet mir einen persönlichen Gefallen tun, Kommandant General Trimack, wenn Ihr ihm ein wenig Verständnis entgegenbringen könntet.«
Trimack ließ den Blick prüfend über das Gelände schweifen, allzeit gewappnet gegen jedwede neue Gefahr. »Ich würde mein Leben für ihn opfern.«
»Ich glaube, anfangs wäre ihm Verständnis dienlicher. Er hält sich für einen Waldführer. Er ist von Natur aus ein geborener Führer, bloß nicht seiner eigenen Einschätzung nach. Er wird nichts damit zu schaffen haben wollen, trotzdem ist es über ihn gekommen.«
Endlich erschien ein Lächeln auf Trimacks Gesicht. »Euer Wunsch ist mir Befehl.« Er blieb stehen und drehte sich zum Zauberer um. »Ich bin ein Soldat D’Haras. Ich diene Lord Rahl. Lord Rahl muß aber auch uns dienen. Ich bin der Stahl gegen den Stahl. Er muß die Magie sein gegen die Magie. Vielleicht kann er ohne den Stahl überleben, aber wir können nicht ohne Magie überleben. Und nun verratet mir, was ein Screeling aus der Unterwelt hier zu suchen hat.«
Zedd nickte und stieß einen Seufzer aus. »Euer früherer Lord Rahl hat sich in gefährliche Zaubereien eingemischt. Zaubereien aus der Unterwelt. Er hat den Schleier zwischen dieser und der Unterwelt zerrissen.«
»Verdammter Narr. Er soll uns dienen, nicht in die ewige Nacht führen. Jemand hätte ihn umbringen sollen.«
»Jemand hat es getan. Richard.«
Trimack knurrte. »Dann dient uns Lord Rahl bereits.«
»Vor ein paar Tagen noch hätten manche das als Verrat betrachtet.«
»Es ist ein größerer Verrat, die Lebenden den Toten auszuliefern.«
»Gestern noch hättet Ihr Richard getötet, um ihn daran zu hindern, Darken Rahl ein Haar zu krümmen.«
»Und gestern hätte er mich getötet, um an sein Opfer zu gelangen. Doch nun dienen wir einander. Nur ein Narr schreitet rückwärts gewandt in die Zukunft.«
Zedd nickte und erbot ihm ein zögerndes, dabei warmes Lächeln des Respekts. Doch dann kniff er die Augen zusammen und beugte sich zu ihm vor. »Kommandant, wenn der Schleier nicht geschlossen und der Hüter auf die Welt losgelassen wird, werden alle dasselbe Schicksal teilen. Nicht nur D’Hara, sondern die Welt in ihrer Gesamtheit wird vernichtet werden. Nach dem, was ich den Prophezeiungen entnommen habe, könnte Richard der einzige sein, der in der Lage ist, den Riß im Schleier zu schließen. Denkt daran, wenn das Unheil versucht, einen Blick auf Richard zu werfen.«
Trimacks Augen waren wie aus Eis. »Stahl gegen Stahl, auf daß er Magie gegen die Magie sein kann.«
»Ihr habt mich ganz richtig verstanden.«