Gerade küßte sie Richard, hielt ihn fest in ihren Armen, hatte keinen anderen Gedanken im Sinn als den an Frieden und an Freude, als sie von Rufen aufgeschreckt wurde. Richard verschwand. Ihre schweren Arme waren leer.
Sie setzte sich auf, schlug die Decke zurück und überlegte einen Augenblick lang verzweifelt, wo sie war. Dann fiel es ihr wieder ein. Ihr war, als müßte sie sich übergeben.
Sie hätte gern ein heißes Bad genommen. Sie wußte nicht mehr, wann sie zuletzt ein Bad genommen hatte. Sie rieb sich die Augen, als Hauptmann Ryan den Kopf ins Zelt steckte.
»Wie lange?« murmelte Kahlan. »Wie lange habe ich geschlafen?« Sie schleuderte die Decke fort.
»Gerade zwei Stunden. Hier draußen ist jemand für Euch.«
Gleich vor dem Zelt wartete eine Gruppe von Männern, unter ihnen ein aschfahler Leutnant Hobson. Mitten unter ihnen stand der gefesselte und geknebelte Mosle, an jedem Arm von einem Soldaten gehalten. Sein Blick fuhr in panischer Angst umher. Er versuchte, etwas durch den Knebel hindurchzubrüllen, konnte sich aber nicht verständlich machen.
Kahlan funkelte wütend zu Hauptmann Ryan hinüber.
Der stand da und hatte einen Daumen in seinen Gürtel gehakt. »Ich dachte, Mutter Konfessor, Ihr wolltet diesen Mann vielleicht eigenhändig hinrichten. Wo er Euch doch offenbar persönlich so beleidigt hat.« Er hielt ihr das Messer hin, den Griff voran.
Kahlan ignorierte das Messer und wandte sich statt dessen an die Männer, die Mosle hielten. »Laßt ihn los und tretet zurück.«
Ihr war, als schliefe sie noch, als befände sie sich noch immer in einem Traum. Doch dem war nicht so. Ihr blieb keine Wahl.
Die Soldaten traten zurück. Sie streckte die Hand aus und packte Mosle am Arm. Einen Augenblick lang war er starr vor Schreck, dann versuchte er zurückzuweichen.
Doch er kam nicht dazu wegzulaufen. Sie berührte ihn. Er gehörte ihr. Ihre Schläfrigkeit verschwand in einem plötzlichen Sog, als ihre Kraft sich entlud. Sie verschwendete keinen Gedanken darauf, was sie im Begriff stand zu tun, es gab keine andere Möglichkeit. Sie hatte sich entschieden. Sie gab sich hemmungslos hin.
Die Geräusche des Lagers — das Rasseln von Geschirr, das Scharren von Holzkisten, die über die Ladefläche von Karren gezogen, das Zersplittern anderer Kisten, die gewaltsam geöffnet wurden, das Quietschen von Wagenrädern, das Wiehern von Pferden und das Trampeln Tausender von Füßen, Männer, die sich unterhielten, das Schlagen der Hufe, das Knacken von Holz im Feuer und das Pochen ihres eigenen Herzens — all das verstummte.
In der Stille ihres Geistes existierte nur noch ihre Kraft. Sie spürte, wie Mosle seine Muskeln unter ihrem Griff anspannte. Doch er hatte keine Chance. Er gehörte ihr.
In der Stille, in der Ruhe, im Frieden ihres Geistes, entlud sie ihre Kraft in den Mann vor ihr, wie sie es schon unzählige Male getan hatte.
Ein Ruck ging durch die Luft, als sie mit voller Wucht in seinen Körper fuhr. Donner ohne Hall. Der Schnee um sie und Mosle wogte ringförmig von ihnen fort, hob und wälzte sich, bis seine Kraft sich verlor und er sich wieder legte.
Mosle, nicht mehr derselbe wie zuvor, fiel im feuchten Schnee vor ihr auf die Knie. Seine Stirn legte sich in Falten, aus panischer Angst, er könnte sie wegen des Knebels nicht bitten, ihn zu befehligen. Er sog Luft durch seine Nase, versuchte, von der panischen Angst ergriffen, ihr vielleicht zu mißfallen, Luft zu holen. Das Lager rings um sie verfiel in gelähmtes Schweigen, während sie zum Zentrum aller Aufmerksamkeit wurde. Kahlan entfernte den Knebel aus seinem Mund. »Bitte, Herrin, befehligt mich. Bitte sagt mir, was ich tun kann, um Euch zu dienen.«
Hunderte beklommener Gesichter ringsum verfolgten die Szene wie gelähmt. Kahlan blickte auf den Mann hinab, der vor ihr auf den Knien lag. Sie hatte ihre Konfessorenmiene aufgesetzt. »Ich wäre hocherfreut, William, wenn du mir die Wahrheit darüber verraten würdest, was du nach Verlassen dieses Lagers vorhattest.«
Er strahlte vor Glück. Immer mehr Tränen rannen über sein Gesicht, und er hätte vor Dankbarkeit ihre Beine umklammert, wären ihm nicht die Arme auf den Rücken gebunden gewesen.
»O ja, Herrin, bitte, laßt mich erklären.«
»Dann erklärt es mir, bitte.«
Es kam in einem einzigen sprudelnden Schwall heraus. »Ich wollte in das Lager dieser anderen Männer ziehen, der Imperialen Ordnung, wie Ihr sie nennt, und wollte sie fragen, ob ich mich ihnen anschließen könnte. Ich wollte alle meine Leute mitnehmen, damit auch sie sich ihnen anschließen konnten. Ich wollte ihnen von den galeanischen Rekruten berichten und von Euren Plänen, damit sie zufrieden mit uns wären und wir zu ihnen überlaufen dürften. Ich dachte, ihre Chancen stünden besser als Eure. Ich wollte nicht sterben, deshalb. Ich dachte, sie wären zufrieden mit uns, wenn ich ihnen Soldaten brächte, um ihre Reihen aufzufüllen. Ich dachte, wenn wir ihnen helfen, Euch zu vernichten, wären sie mit uns zufrieden.«
Plötzlich brach er in Schluchzen aus. »Oh, bitte, Herrin, es tut mir so leid, daß ich daran dachte, Euch ein Leid zuzufügen. Ich wollte, daß sie Euch töten. Oh, bitte, Herrin, sagt mir, wie ich Eure Vergebung erlangen kann. Ich werde alles tun. Bitte befehlt mir, und es wird getan. Bitte, Herrin, was verlangt Ihr von mir?«
»Ich möchte, daß du stirbst«, sagte sie leise in die eisige Stille hinein. »Auf der Stelle.«
William Mosle brach zusammen und kippte nach vorn, gegen ihre Stiefel, und schlug in quälenden Zuckungen um sich. Nach wenigen langen, qualvollen Sekunden lag er still, während ihm der letzte Atemzug rasselnd aus den Lungen wich.
Kahlans Blick glitt über Hauptmann Ryan hinweg zu Prindin, der hinter dem noch immer aschfahlen Leutnant Hobson stand. Auch Chandalen funkelte ihn wütend an. Sie sprach in seiner Sprache.
»Prindin, ich hatte dir aufgetragen, dafür zu sorgen, daß alle getötet werden. Warum hast du nicht getan, was ich gesagt habe?«
Er zuckte verlegen mit den Achseln. »Sie hatten sich abgesprochen. Hauptmann Ryan gab ihnen den Auftrag, die anderen zu töten, diesen hier jedoch zu dir zu bringen. Ich wußte das bei unserem Aufbruch nicht, sonst hätte ich dir davon erzählt. Sie hatten zweihundert Fußsoldaten und weitere hundert zu Pferd. Wie ich dir sagte, sie hatten sich abgesprochen, und ich glaubte, es nicht verhindern zu können, es sei denn, ich hätte ihn eigenhändig getötet. Doch dann wurde mir klar, sie würden mich dafür vielleicht töten, und dann könnte ich nicht in deiner Nähe sein, um dich zu beschützen. Abgesehen davon wußte ich, wie gut es ihnen tun würde, eine Lektion erteilt zu bekommen.«
»Konnte jemand fliehen?«
»Nein. Ich war ein wenig überrascht, wie gut sie ihre Arbeit getan haben. Es sind gute Soldaten. Sie haben etwas Schwieriges getan, unter Tränen, aber sie haben es gut gemacht. Niemand ist ihnen entkommen.«
Kahlan stieß einen langen Seufzer aus. »Verstehe, Prindin. Du hast richtig gehandelt.« Sie warf einen Seitenblick auf Chandalen. »Chandalen wird auch zufrieden sein.« Es war ein Befehl.
Prindin lächelte sie verkniffen und erleichtert an. Ihr wütender Blick wanderte zu Hauptmann Ryan.
»Zufrieden?«
Er stand steif da, bleich und mit großen Augen. »Ja, Mutter Konfessor.«
Sie ließ den Blick über die versammelten Männer schweifen. »Sind alle jetzt zufrieden?«
Ein Chor unzusammenhängend murmelnder Stimmen erhob sich: »Ja, Mutter Konfessor.«
Hatte es zuvor noch einige gegeben, die keine Angst vor ihr gehabt hatten, jetzt gab es keine mehr. Sie alle sahen aus, als würden sie schon auf das unerwartete Knacken eines Ästchens hin wie die erschrockenen Kaninchen in die Berge Reißaus nehmen. Für die meisten war dies das erste Mal, daß sie Magie erlebt hatten, und diese Magie war nicht voller Wunder und Schönheit gewesen, sondern furchterregend und häßlich.
»Mutter Konfessor?« sagte Hauptmann Ryan leise. Er hielt den Arm noch immer ausgestreckt, wie erstarrt, das angebotene Messer noch immer in der Hand. »Was werdet Ihr mit mir anstellen, weil ich Eure Befehle mißachtet habe?«
Sie blickte in sein blutleeres Gesicht. »Nichts. Dies ist Euer erster Tag als Soldat im Krieg gegen die Imperiale Ordnung. Die meisten von Euch waren von der Richtigkeit dessen, was ich befohlen habe, nicht überzeugt. Ihr habt noch nicht im Krieg gekämpft und die Notwendigkeit nicht erkannt. Ich will es dabei belassen, wenn Ihr nur Eure Lehre daraus gezogen habt.«
Hauptmann Ryan schluckte. »Vielen Dank, Mutter Konfessor.« Mit zitternder Hand ließ er das Messer zurück in seine Scheide gleiten. »Ich bin zusammen mit ihm aufgewachsen.« Er deutete auf die Leiche zu ihren Füßen. »Wir haben vielleicht eine Meile voneinander entfernt gewohnt, an derselben Straße. Wir sind immer zusammen fischen und auf die Jagd gegangen. Wir haben uns gegenseitig im Haus geholfen. An Feiertagen sind wir immer in unseren besten Kleidern in der gleichen Farbe ausgegangen. Immer haben wir…«
»Tut mir leid, Bradley. Es gibt nichts, was den Schmerz durch Verrat oder Verlust lindern könnte, außer der Zeit. Wie ich dir schon sagte, Krieg ist nicht fair. Würden die Soldaten der Imperialen Ordnung keinen Krieg führen, vielleicht wärst du dann heute mit deinem Freund beim Fischen. Gib der Imperialen Ordnung die Schuld und räche ihn, zusammen mit all den anderen.«
Er nickte. »Mutter Konfessor? Was hättet Ihr getan, wenn Ihr Euch geirrt hättet? Was hättet Ihr getan, wenn Mosle nicht vorgehabt hätte, zum Feind überzulaufen?«
Sie sah ihn so lange an, bis er den Kopf hob und ihren Blick erwiderte. »Wahrscheinlich hätte ich das Messer genommen, daß Ihr mir geben wolltet, und Euch getötet.«
Sie ließ ihn mit seinem leeren Gesichtsausdruck stehen und legte dem Mann neben ihm eine Hand auf die Schulter. »Leutnant Hobson, ich weiß, Eure Aufgabe war schwierig. Prindin hat mir berichtet, Ihr hättet sie gut erledigt.«
Er schien den Tränen nahe, brachte es aber trotzdem noch fertig, sich stolz in die Brust zu werfen. Sein Bart war nicht viel mehr als Flausen, bemerkte sie. »Vielen Dank, Mutter Konfessor.«
Sie drehte sich zu den Hunderten von Soldaten um, die herumstanden und zusahen. »Ich nehme an, ihr habt doch alle etwas zu tun?«
Als wären sie gerade aufgewacht, gerieten sie wieder in Bewegung, erst langsam, dann mit wachsendem Eifer.
Hobson salutierte mit der Faust auf seinem Herzen und wandte sich anderen Aufgaben zu. Der Mann, der Mosle hergebracht hatte, hob seine Leiche auf und schleppte sie davon. Andere gingen zu Chandalen und den beiden Brüdern und baten sie um Anweisungen. Hauptmann Ryan blieb allein bei ihr zurück und verfolgte, wie alle an ihre Arbeit gingen.
Ihre Beine fühlten sich schlapp und kraftlos an, wie Bogensehnen, die man die ganze Nacht draußen im Regen hatte stehen lassen. Wenn ein Konfessor seine Kraft im ausgeruhten und wachen Zustand einsetzte, war dies strapaziös. Sie einzusetzen, wenn er ohnehin schon erschöpft war, kostete gefährlich viel Kraft. Sie konnte sich kaum noch aufrechthalten.
Sie war bereits todmüde gewesen, nachdem sie die Nacht hindurch ins Feindeslager und zurück geritten war, gar nicht erst zu reden von dem Kampf mit ihnen. Sie brauchte mehr Schlaf, als sie bekommen hatte. Der Einsatz ihrer Kraft hatte ihr die Erholung durch das kleine Nickerchen genommen und mehr als das. Sie hatte einen Teil der ihr verbliebenen Kraft dazu benutzt, etwas zu tun, das eigentlich ohne sie hätte erledigt werden sollen.
Vielleicht lag es an der Kälte, vielleicht am Reisen unter solch strapaziösen Umständen, aber sie schien in der letzten Zeit müder zu sein als gewöhnlich. Vielleicht konnte sie Prindin bitten, ihr noch etwas Tee zu machen.
»Könnte ich Euch einen Augenblick sprechen, Mutter Konfessor?« fragte Hauptmann Ryan.
Kahlan nickte. »Was gibt’s, Hauptmann?«
Er schob seine aufgeknöpfte Wolljacke nach hinten und stopfte seine Hände in die hinteren Taschen. Er blickte fort und sah zu, wie ein paar Soldaten Wasserschläuche füllten. »Ich wollte nur sagen, es tut mir leid. Ich habe einen Fehler gemacht.«
»Schon gut, Bradley Er war Euer Freund. Es fällt schwer, etwas Schlechtes über einen Freund zu denken. Ich verstehe das.«
»Nein, das ist es nicht. Mein Vater hat immer gesagt, daß ein Mann seine Fehler eingestehen muß, bevor er etwas Rechtes in dieser Welt zustande bringen kann.«
Er scharrte mit den Füßen im Boden und blickte sich um, schließlich sah er sie aus seinen blauen Augen an. »Mein Fehler war zu glauben, Ihr wolltet Mosles Tod, weil er sich Euch nicht untergeordnet hat. Ich dachte, Ihr hättet es aus Gehässigkeit getan. Ich habe einen Fehler gemacht, und es tut mir leid. Entschuldigt, daß ich so von Euch gedacht habe. Ihr wolltet uns beschützen, obwohl Ihr wußtet, daß wir Euch dafür hassen würden. Nun, ich hasse Euch nicht. Hoffentlich haßt Ihr mich nicht. Es ist mir eine Ehre, Euch in diesen Kampf zu folgen. Hoffentlich bin ich eines Tages so weise wie Ihr und habe wie Ihr den Mut, diese Weisheit auch zu nutzen.«
Sie stieß einen leisen Seufzer aus. »Ich bin kaum älter als Ihr, und doch gebt Ihr mir das Gefühl, eine alte Frau zu sein. Ich bin erleichtert, versteht Ihr das? Das ist ein kleiner Trost bei all der Quälerei. Ihr seid ein guter Offizier und werdet es in dieser Welt weit bringen.«
Er lächelte. »Ich bin froh, daß wir uns wieder vertragen.«
Ein Mann näherte sich und wurde vom Hauptmann herangewinkt. »Was gibt’s, Sergeant?«
Sergeant Frost schlug sich zum Salut die Faust aufs Herz. »Wir haben ein paar Männer ausgesandt, und in einer verlassenen Scheune haben sie etwas zerstoßene Kreide und andere Dinge gefunden, die man zur Herstellung von Tünche braucht. Zudem haben wir ein paar Holzzuber, in denen wir sie anmischen können. Sie sind groß genug, um darin zu baden.«
»Wie viele Zuber habt ihr?« erkundigte sich Kahlan.
»Ein Dutzend, Mutter Konfessor.«
»Stellt die Zuber nebeneinander und schlagt ein Zelt um jeden auf. Nehmt die größten Zelte, die ihr habt, auch wenn es die Kommandozelte sind. Rührt die Tünche mit heißem Wasser an und legt die heißen Steine in die Zelte, damit es drinnen so warm wie möglich wird. Sagt mir Bescheid, wenn alles soweit ist.«
Seine offenkundige Frage für sich behaltend, salutierte der Sergeant und eilte davon, um sich der Angelegenheit zu widmen.
Hauptmann Ryan sah sie fragend an. »Was habt Ihr mit der Tünche vor?«
»Wir stehen gerade erst wieder auf freundschaftlichem Fuß miteinander; wir sollten uns das noch eine Weile nicht verderben. Ich werde es Euch verraten, sobald die Dinge vorbereitet sind. Sind die Karren bereit?«
»Ich denke schon.«
»Dann muß ich mich um sie kümmern. Habt Ihr die Posten und Beobachter ausgesandt?«
»Als allererstes.«
Auf dem Weg quer durch das Lager zu den Karren traten laufend Soldaten an sie heran. »Die Karrenräder, Mutter Konfessor. Wenn wir alles zerstören, sollten wir auch die Räder einschlagen« und »Ihre Kriegsstandarten, sollten wir sie nicht auch verbrennen, damit sie ihre Leute nicht um sie scharen können?« und »Könnten wir ihr Gepäck nicht in Brand stecken, damit die einfrieren, wenn es kälter wird?«
»Wenn wir Mist in ihr Trinkwasser schütten, müßten sie ihre Zeit damit verschwenden, Schnee zu schmelzen« und hundert andere Ideen, von absurden bis zu lohnenden. Sie hörte sich alle aufmerksam an, gab ehrlich ihre Meinung dazu kund und in einigen Fällen den Befehl, sie auszuführen.
Leutnant Hobson kam im Trab herbeigeeilt, eine Blechschale in der Hand. Das war das letzte, was sie brauchte.
»Mutter Konfessor! Ich habe etwas warmen Eintopf für Euch aufbewahrt!«
Strahlend überreichte er ihr im Gehen die Schale. Sie versuchte so zu tun, als sei sie dankbar. Er ging neben ihr her, beobachtete sie lächelnd. Sie zwang sich, einen Löffel voll zu kosten und ihm zu sagen, wie wunderbar es schmeckte. Sie konnte sich gerade weit genug beherrschen, den Löffel Eintopf bei sich zu behalten.
Nach dem Einsatz seiner Kraft brauchte ein Konfessor Ruhe. Manche brauchten Tage, sie ein paar Stunden. Ruhe, vorausgesetzt man fand sie, war für einen Konfessor das beste. Das bißchen Erholung durch die zwei Stunden Schlaf war jetzt dahin. Jetzt hatte sie keine Zeit mehr, und wahrscheinlich würde sie auch in dieser Nacht wenig Ruhe finden.
Was sie am wenigsten gebrauchen konnte, während sie ihre Kraft zurückgewann, war etwas zu essen. Es zog ihre Energie in den Magen, anstatt ihr ihre Kraft zurückzugeben. Sie mußte sich überlegen, wie sie sich um den Eintopf herumdrücken könnte, sonst würde das Essen zur Verlegenheit aller auf dem Boden enden.
Zum Glück erreichte sie die Karren, bevor sie einen weiteren Löffel zu sich nehmen mußte. Sie bat Leutnant Hobson, Chandalen und die beiden Brüder zu suchen und zu ihr zu bringen. Als er gegangen war, stellte sie die Schale auf dem Querholz des Wagens mit den Bierfässern ab und kletterte hinauf.
Sie winkte Hauptmann Ryan auf den Wagen, während sie zählte. »Holt ein paar Männer. Ladet die oberen Reihen ab, so daß wir an alle Fässer rankommen. Stellt die Fässer in der untersten Reihe auf und entfernt die Stopfen.« Als er Soldaten herbeiwinkte, die dabei helfen sollten, fragte sie: »Hat Chandalen Euch alle eine Troga machen lassen?«
Eine Troga war ein einfaches, festes Stück Kordel oder Draht mit Holzgriffen an beiden Enden und lang genug, daß man, wenn man es verdrehte, eine Schlaufe erhielt, die groß genug war, um sie einem Mann über den Kopf zu legen. Man setzte sie von hinten an, dann riß man die Griffe auseinander. War die Troga aus Draht, hatte man sie richtig zwischen den Halswirbeln plaziert, und hatte der Mann, der sie benutzte, genug Kraft in den Armen, konnte er mit seiner Troga jemanden enthaupten, ehe das Opfer noch Gelegenheit hatte, einen Laut von sich zu geben. Auch wenn sie nicht aus Draht war oder seine Arme nicht so kräftig, gab das Opfer keinen Mucks mehr von sich, bevor es starb.
Hauptmann Ryan griff hinten unter seine Jacke, holte eine Draht-Troga hervor und zeigte sie ihr. »Er hat sie uns vorgeführt, in aller Vorsicht, aber ich bin trotzdem froh, daß er sie nicht an mir demonstriert hat. Er meinte, er, Prindin und Tossidin würden sie dazu benutzen, die Posten und Beobachter auszuschalten. Er ist offenbar der Ansicht, wir könnten uns nicht so gut an sie heranschleichen wie er. Dabei haben viele von uns eine Menge Zeit mit Jagen zugebracht, außerdem sind wir geschickter…«
Hauptmann Ryan machte einen Satz und schrie auf. Chandalen hatten ihm einen Rippenstoß versetzt, nachdem er sich unbemerkt von hinten angeschlichen hatte. Der Hauptmann rieb sich die Rippen und warf dem feixenden Chandalen einen finsteren Blick zu. Prindin und sein Bruder kletterten auf den Karren, um beim Abladen der Fässer zu helfen.
»Hast du einen Wunsch, Mutter Konfessor?« fragte Chandalen.
Kahlan streckte die Hand aus. »Gib mir dein Bandu. Dein Zehnschrittgift.«
Er legte die Stirn in Falten und zog eine finstere Miene, griff jedoch in den Beutel an seiner Hüfte, holte das Knochenkästchen hervor und gab es ihr. Die Brüder holten ihre Kästchen ebenfalls hervor und reichten sie ihr.
»Wie viele kann ich damit vergiften? Wie viele Fässer kann ich in Gift verwandeln?«
Chandalen kletterte, auf dem Rand der runden Fässer balancierend, um Hauptmann Ryan herum. »Ihr wollt es in diese Getränke schütten?« Kahlan nickte. »Aber dann haben wir nichts mehr. Wir müssen es bei uns tragen. Vielleicht brauchen wir es noch.«
»Ich werde etwas für Notfälle übriglassen. Jeder, den wir auf diese Weise töten können, ist einer weniger, den wir bekämpfen müssen.«
»Aber vielleicht kommen sie dahinter, daß es Gift ist«, meinte Hauptmann Ryan. »Dann kriegen wir sie nicht einmal dazu, sich zu betrinken.«
»Sie haben Hunde«, sagte Kahlan. »Deswegen will ich ihnen auch etwas zu essen schicken. Sie werden den Hunden etwas von dem Fleisch vorwerfen, um zu überprüfen, ob es verdorben ist. Ich hoffe, sie sind beruhigt, nachdem sie das Essen an den Hunden ausprobiert haben, und so versessen auf das Bier, daß ihnen der Gedanke, sie könnten vergiftet werden, gar nicht erst in den Sinn kommt.«
Chandalen zählte im stillen die Fässer durch, dann richtete er sich auf. »Es sind sechsunddreißig. Zwölf für jedes unserer Bandu.« Er kratzte sich den schwarzen Haarschopf und dachte nach. »Es wird sie nicht töten, es sei denn, sie trinken viel, aber ihnen wird schlecht werden.«
»Wie schlecht? Was wird es bewirken?«
»Es wird sie schwächen. Ihnen wird übel werden. In ihren Köpfen wird es sich drehen. Vielleicht werden manche nach einigen Tagen an der Vergiftung sterben.«
Kahlan nickte. »Das wäre eine große Hilfe.«
»Aber das hier reicht längst nicht für alle ihre Soldaten«, wandte Hauptmann Ryan ein. »Nur einige werden davon trinken.«
»Ein Teil wird an die Einheit gehen, die es erobert hat. Der Rest wird zuerst unter den Offizieren aufgeteilt, und was übrigbleibt, geht an die Soldaten. Die Offiziere sind es, auf die ich es abgesehen habe.«
Sämtliche oberen Reihen waren abgeladen, so daß nur die untere Reihe übrigblieb, die die Männer so aufrichteten, daß die Stopfen entfernt werden konnten.
»Wieso sind sechs der Fässer kleiner?«
»Da ist Rum drin«, antwortete der Hauptmann.
»Rum? Das Getränk des Adels?« Kahlan mußte lächeln. »Die Kommandeure werden zuerst den Rum trinken.« Sie richtete sich wieder auf, nachdem sie in eines der Fässer hineingelinst hatte. »Werden sie es herausschmecken, Chandalen? Wird der Geschmack sie warnen, wenn ich in einige etwas mehr hineinfülle?«
Er steckte den Finger in eines der Rumfässer und leckte ihn ab. »Nein. Er ist stark genug. Er überdeckt den Geschmack von Bandu.«
Mit der Messerspitze teilte Kahlan das Gift aus Chandalens Kästchen in sechs Teile auf. Jedes Sechstel tat sie dann in eines der kleineren Fässer — in die mit dem Rum.
Chandalen sah ihr dabei zu. »In den kleineren Fässern wird sie diese Menge vermutlich bis zum Morgen töten, ganz sicher aber am nächsten Tag. Aber jetzt hast du nichts mehr für die anderen sechs.«
Kahlan gab Chandalen sein Knochenkästchen mit einem Rest des Bandu in den Ecken zurück und kletterte vom Rollwagen herunter. »Sechs der Bierfässer werden kein Gift enthalten, damit wir sicher sein können, daß der Rum diejenigen tötet, die ihn trinken.« Sie gab eine Messerspitze mit dem Gift aus Tossidins Kästchen in jedes der nächsten zwölf Fässer. »Mischt die Fässer durcheinander. Der Rum soll nicht ganz unten liegen. Womöglich sehen die Kommandeure ihn sonst nicht und greifen statt dessen zum Bier.«
Kahlan ging zu den letzten zwölf und öffnete Prindins Kästchen. Sie sah auf. »Viel hast du nicht. Was hast du mit deinem Bandu gemacht?«
Prindin sah aus, als wäre es ihm lieber gewesen, sie hätte die Frage nicht gestellt. Er machte eine vage Handbewegung. »Als wir aufbrachen, habe ich nicht recht überlegt. Du hattest es eilig, daher habe ich vergessen nachzuschauen, ob mein Bandukästchen voll ist.«
Chandalen stemmte die Fäuste in die Hüften und funkelte ihn wütend vom Karren herab an. »Prindin, wie oft habe ich dir gesagt, du würdest deine Füße vergessen, wenn du ohne sie fortgehen könntest?«
»Macht nichts«, sagte Kahlan. Prindin wirkte erleichtert, als er sah, wie sie Chandalens Litanei ein Ende machte. »Dies wird sie krank machen. Das allein zählt.«
Während sie es in die Fässer füllte, hörte sie, wie Soldaten aus einiger Entfernung nach ihr riefen. Als sie das Pulver in das letzte Faß gerührt hatte, hob sie den Kopf und sah zwei riesige Zugpferde auf sich zugetrottet kommen. Stirnrunzelnd beobachtete sie, wie zwei Männer auf ihrem bloßen Rücken ritten und ihr etwas zuriefen.
Die beiden kräftigen Zugpferde wirkten in ihrem dicken, graubraunen Winterfell und dem dichten Flaum auf den Beinen schäbig. Sie trugen ihr Geschirr und ihre Kummete, nicht aber ihre Schwanzriemen. Mehrere Kettenschlaufen waren um die inneren Querhölzer jedes Kummets geschlungen. Die Männer ringsum betrachteten gebannt das eigenartige Bild.
Als die Pferde vor ihr zum Halt kamen, hakten die Reiter die Kettenschlaufen los und ließen sie zu Boden fallen. Dann erkannte Kahlan, daß die Pferde mit dieser Kette zusammengebunden waren, die man an den jeweils gleichen Haken an den Kummeten befestigt hatte. So etwas hatte sie noch nicht gesehen. Die beiden Reiter ließen sich zu Boden gleiten.
»Mutter Konfessor!« Ihr Grinsen ließ ihren Salut ein wenig albern erscheinen. Die beiden waren schlaksig, hatten kurzgeschorenes, braunes Haar. Keiner der beiden sah aus, als wäre er schon fünfzehn. Ihre Wolljakken hatten sie des wärmer werdenden Tages wegen aufgeknöpft; die Umformteile sahen an ihnen aus wie Jutesäcke an Schoßhündchen. Die beiden schienen vor Aufregung fast zu platzen. Sie blieben stehen, bevor sie zu nahe kamen, doch selbst ihre Angst vor Kahlan konnte ihre atemlose Erregung kaum dämpfen.
»Wie lauten eure Namen?«
»Ich bin Brin Jackson, und das hier ist Peter Chapman, Mutter Konfessor. Wir hatten eine Idee und wollten sie Euch vorführen. Wir glauben, daß es funktioniert. Wir sind sogar sicher. Es wird richtig gut klappen, ganz bestimmt.«
Kahlan sah von einem strahlenden Gesicht ins andere. »Was wird wie funktionieren?«
Brin hätte vor Freude, daß er gefragt wurde, fast einen Luftsprung gemacht. In der Hand wog er die Kette, die zwischen den beiden stämmigen Pferden im Schnee lag. »Das hier!« Er zerrte ein Stück Kette zu ihr und hielt es ihr hin. »Das wird funktionieren, Mutter Konfessor. Wir haben es uns selbst ausgedacht! Peter und ich.« Er ließ die schwere Kette zu Boden sinken. »Zeig es ihr, Peter. Zieh sie auseinander.«
Peter nickte grinsend. Er ließ die Pferde seitlich gehen, bis sich die schwere Kette aus dem Schnee hob. Das durchhängende Kettenstück pendelte zwischen den Kummethaken hin und her. Kahlan und sämtliche Soldaten in ihrer Nähe versuchten stirnrunzelnd zu begreifen, wozu diese spezielle Vorrichtung dienen mochte.
Brin zeigte auf die Kette. »Ihr habt gesagt, wir würden die Karren zurücklassen, aber Daisy und Pip wollten wir ganz bestimmt nicht alleine lassen. Das sind unsere Pferde hier — Daisy und Pip. Wir sind Fuhrleute. Wir wollten helfen und Daisy und Pip sinnvoll einsetzen, also haben wir ein paar der dicksten Zugketten genommen und Morvan gefragt, er ist der Schmied hier. Wir haben Morvan gebeten, ein paar von ihnen für uns zusammenzuschweißen.« Er nickte erwartungsvoll, als würde das irgend etwas erklären.
Kahlan neigte den Kopf ganz leicht in seine Richtung. »Das hat er also getan, und weiter?«
Brin breitete aufgeregt die Hände auseinander. »Ihr habt gesagt, wir müssen ihre Pferde außer Gefecht setzen.« Er konnte sich nicht helfen, er mußte kichern. »Dazu dient das hier! Ihr habt gesagt, wir werden nachts angreifen. Die Pferde werden in Reihen angepflockt sein. Wir werden mit Daisy und Pip an diesen Reihen entlanggaloppieren, einer auf jeder Seite, und die Kette wird die Beine unter ihnen wegbrechen! Wir erwischen die ganze Reihe in einem einzigen Schwung!«
Kahlan lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Sie sah zu Peter hinüber. Er nickte, war von der Idee ebenfalls begeistert. »Brin, die Pferde auf diese Weise zusammengekettet im Galopp eine Kette schleppen zu lassen, die sich verfängt, an schweren Gegenständen verfängt, erscheint mir sehr gefährlich.«
Die Begeisterung der beiden war nur wenig gedämpft. »Aber damit könnten wir ihre Pferde ausschalten! Wir schaffen es! Wir können sie für Euch erledigen!«
Kahlan sah kurz zu Hauptmann Ryan hinüber. Er zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen, er wisse nicht, ob es funktionieren könnte oder nicht. Die anderen umstehenden Männer rieben sich das Kinn, während sie über die Konstruktion nachdachten.
»Das klappt niemals«, meinte Kahlan schließlich. Brins Schultern sanken noch ein Stück tiefer. »Es sind zu viele für euch. Ihr werdet mehr derart zurechtgemachte Pferde brauchen.« Brin und Peter hoben den Kopf und machten große Augen. »Ihr beide wißt, wie es gemacht wird. Ich möchte, daß ihr alle Zugpferde und Kutscher zusammentrommelt. Auf diese Weise läßt sich ihr Können am besten nutzen.
Nehmt euch von den Karren alles an Ausrüstungsgegenständen und Geschirr, was ihr benötigt. Wir lassen es ohnehin zurück. Ketten sollen gefertigt werden, und dann will ich, daß ihr den Rest des Tages übt. Ich möchte, daß ihr irgend etwas aufstellt, durch das ihr die Ketten hindurchschleppen könnt. Irgend etwas Schweres, damit sich die Pferde an euren Plan gewöhnen können. Ihr müßt solange üben, bis jedes Gespann eingespielt ist.«
Peter trat nach vorn und stellte sich neben den strahlenden Brin. »Wird gemacht, Mutter Konfessor! Ihr werdet sehen! Wir schaffen es! Ihr könnt auf uns zählen!«
Sie warf den beiden einen ernüchternden Blick zu. »Was ihr vorhabt, ist gefährlich. Aber wenn ihr es schafft, wird es für uns von großem Nutzen sein. Es könnte vielen von uns das Leben retten. Ihre Kavallerie ist eine tödliche Waffe. Nehmt eure Ausrüstung und übt. Im Ernstfall wird man versuchen, euch zu hindern, indem man euch tötet.«
Sie legten ihre Faust aufs Herz, diesmal mit hocherhobenem Kinn. »Wir werden uns darum kümmern, Mutter Konfessor. Ihr könnt auf die Kutscher zählen. Wir werden Euch nicht enttäuschen. Wir gehen jetzt die Pferde holen.«
Die Köpfe zusammengesteckt und aufgeregt tuschelnd, machten sie sich an die Arbeit. Kahlan beobachtete einen einzelnen Reiter in der Ferne, der durch das Lager galoppiert kam. Er hielt an, um eine Gruppe Soldaten etwas zu fragen. Sie zeigten in ihre Richtung.
»Sie sind erst seit ein paar Monaten bei uns«, meinte Hauptmann Ryan. »Es sind noch Kinder.«
Kahlan zog eine Braue hoch und sah ihn an. »Es sind Soldaten, die für die Midlands kämpfen. Als ich Euch das erste Mal sah, dachte fast ebenso über Euch. Jetzt kommt Ihr mir ein wenig älter vor.«
Er seufzte. »Vermutlich habt Ihr recht. Wenn sie es wirklich schaffen, wäre es hervorragend.«
Der galoppierende Reiter hatte sie erreicht und war schon von seinem Pferd gesprungen, bevor es ganz zum Stehen kam. Er salutierte flüchtig. »Mutter Konfessor.« Er verschluckte sich. »Ich bin Cynric, von den Posten.«
»Was gibt’s, Cynric?«
»Ihr habt gesagt, Ihr wollt über alles Bescheid wissen, also dachte ich, ich erstatte besser Bericht. Wir waren gerade dabei, vor einer Stunde etwa, die Posten zwischen hier und der Armee der Imperialen Ordnung aufzustellen, in der Nähe einer Straße, die den Jarapaß kreuzt, als eine Kutsche den Kreuzweg hinaufkam, aus der Richtung von Kelton. Wir wußten, daß Ihr alles wissen wolltet, was irgendwie ungewöhnlich ist, also haben wir die Kutsche angehalten. Ich dachte, ich erkundige mich besser, was wir Eurer Ansicht nach tun sollen.«
»Wer befindet sich in der Kutsche?«
»Ein altes Ehepaar. Irgendwelche reichen Kaufleute, das behaupten sie zumindest. Irgendwas mit Obstgärten.«
»Was hast du ihnen erzählt? Du hast ihnen doch nichts von uns erzählt, oder? Du hast ihnen doch nicht erzählt, daß wir eine Armee hier draußen haben, oder?«
Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Mutter Konfessor. Wir haben ihnen erzählt, daß es Gesetzlose in der Gegend gibt, und daß wir eine kleine Patrouille sind, die nach ihnen sucht. Und sie dürften den Paß erst überqueren, wenn ich bei meinem Kommandanten rückgefragt hätte! Ich habe gesagt, sie müßten warten, bis ich wieder da bin.«
Kahlan nickte. »Das war schlagfertig, Cynric.«
»Der Kutscher heißt Ahern. Er wollte sich mit uns anlegen und hat mit dem Gedanken gespielt, seinem Gespann die Zügel zu geben, bis wir ihm ein paar Klingen gezeigt haben. Dann kam der alte Mann aus der Kutsche gesprungen und hat uns beschuldigt, wir wollten ihn berauben. Er fing an, vor uns mit seinem Stock herumzufuchteln, als glaubte er, uns damit verscheuchen zu können. Wie auch immer, wir haben Pfeile auf ihn gerichtet, und er beschloß, lieber wieder in die Kutsche zurück zuklettern.«
»Wie lautet sein Name?«
Cynric verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß und kratzte sich die Brauen. »Robin oder Ruben oder so ähnlich. Munterer alter Knabe. Ruben, glaube ich. Ruben Rybnik, so war sein Name, glaube ich.«
Kahlan seufzte und schüttelte den Kopf. »Das klingt nicht nach Spionen. Aber wenn die Imperiale Ordnung sie aufgreift und sie irgend etwas wissen, werden sie alles verraten, bevor die D’Haraner mit ihnen fertig sind.« Sie hob den Kopf. »Was tun sie hier draußen?«
»Der Alte behauptet, seine Frau sei krank, und sie wollten sie zu Heilerinnen nach Nicobarese bringen. Sie sah mir nicht gesund aus. Ich glaube, sie hatte die Augen ganz nach hinten verdreht.«
»Nun, sie befinden sich auf der Straße nach Nordwesten, über den Jarapaß, und die dürfte sie nicht in die Nähe der Imperialen Ordnung führen.« Sie strich sich eine Strähne ihres langen Haars aus dem Gesicht. »Aber bevor ich es wagen kann, sie laufen zu lassen, sollte ich am besten mit ihnen sprechen.«
Sie hatte noch keine drei Schritte gemacht, als Sergeant Frost von hinten angerannt kam. »Mutter Konfessor! Die Zuber mit der Tünche sind fertig! Die Zelte sind beheizt.«
Kahlan seufzte. Sie blickte von Sergeant Frost zu dem Posten Cynric, dann zu den anderen Männern, die geduldig darauf warteten, sie zu sprechen oder Anweisungen zu erhalten. Sie atmete noch einmal hörbar aus. »Hör zu, Cynric, ich habe keine zwei Stunden Zeit, nach dort draußen zu reiten. Tut mir leid, mir fehlt einfach die Zeit.«
Er nickte. »Jawohl, Mutter Konfessor. Was soll ich tun?«
Sie wappnete sich, dann gab sie den Befehl. »Tötet sie.«
»Mutter Konfessor?«
»Tötet sie. Wir wissen nicht mit Sicherheit, wer sie in Wahrheit sind, und dies ist zu wichtig, um sich um frei herumlaufende Fremde sorgen zu müssen. Wir können das Risiko nicht eingehen. Mach es rasch, damit sie nicht leiden.«
Sie wandte sich ab und drehte sich um zu Sergeant Frost.
»Aber Mutter Konfessor…«
Sie sah über ihre Schulter.
Cynric raffte ein längeres Stück Zügel zusammen. »Der Kutscher, Ahern, er hat einen königlichen Paß.«
Kahlan drehte sich wieder um und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Einen was?«
»Ein königliches Paßmedaillon. Es handelt sich um ein Medaillon, daß ihm Königin Cyrilla persönlich überreicht hat. Es besagt, daß er ein Held des Volkes von Ebinissia bei der Belagerung war und daß man ihm als Ehrung für seine Dienste in ganz Galea freies Geleit gewähren soll.«
»Die Königin selbst hat ihm diesen Paß ausgestellt?«
Cynric nickte. »Ich werde tun, was Ihr befehlt, Mutter Konfessor, doch mit diesem Medaillon hat die Königin ihm ihren Schutz zugesichert.«
Kahlan strich sich mit den Fingerspitzen über die Stirn. Sie war so müde, daß sie sich kaum noch konzentrieren konnte. »Da er den Paß von der Königin bekommen hat, müssen wir ihn würdigen.« Sie zeigte mit dem Finger auf den Posten. »Aber du wirst ihm sagen, er soll das Gebiet augenblicklich verlassen. Erkläre ihm noch einmal, was du ihm über die Gesetzlosen in dieser Gegend erzählt hast. Erkläre ihm, daß du Jagd auf diese Gesetzlosen machst und daß du, solltest du Ahern und die Leute in seiner Kutsche in dieser Gegend noch einmal erwischen, den Befehl bekommen hast, anzunehmen, sie steckten mit den Gesetzlosen unter einer Decke, und sie auf der Stelle hinzurichten. Die Straße nach Nicobarese führt nach Nordosten. Sag ihnen, sie sollen auf ihr bleiben und nicht anhalten, bevor sie ein gutes Stück von hier fort sind.«
Cynric schlug sich mit der Faust aufs Herz, während sie sich umdrehte, Hauptmann Ryans Arm nahm und ihn zu den Zelten mit der Tünche führte. Hinter sich hörte sie den Posten davongaloppieren — zu der Kutsche, die er entdeckt hatte. Die anderen Männern machten sich wieder an die Arbeit.
Sie lockerte den Riemen, der ihren Umhang geschlossen hielt. Die Temperatur war über den Gefrierpunkt geklettert, und die Wolken hatten sich fast bis auf den Erdboden gesenkt. Die Luft fühlte sich an, als könnte man sie auswringen.
»Heute nachmittag wird Nebel aufziehen«, bemerkte er. »Der gesamte Talpaß wird heute abend davon betroffen sein.« Er sah zu ihr hinüber und bemerkte ihr fragendes Gesicht. »Ich habe mein ganzes Leben in diesen Bergen verbracht. Wenn es im Winter so taut wie jetzt, setzt sich der Nebel wenigstens für ein paar Tage in den Pässen fest.«
Kahlan ließ den Blick über die Bergflanken schweifen, die bis in die grauen Wolken hinaufstiegen. »Das kommt uns sehr gelegen. Besonders bei dem, was ich vorhabe. Es wird uns helfen, den Feind in Angst und Schrecken zu versetzen.«
»Wollt Ihr mir jetzt erklären, was wir anmalen sollen?«
Kahlan stieß einen müden Seufzer aus. »Wir haben uns eine Reihe von Plänen ausgedacht, um einen Schlag gegen Ziele zu führen, die zerstört werden müssen. Heute abend wird sich die beste Gelegenheit dazu bieten, denn sie werden überrascht sein. Eine solche Gelegenheit werden wir nicht noch einmal bekommen. Nach dem heutigen Abend werden sie auf unsere Attacken vorbereitet sein.«
»Verstehe. Die Männer sind sich der Bedeutung ebenfalls bewußt. Sie werden ihre Sache gut machen.«
»Wir dürfen unser Ziel nicht aus den Augen verlieren. Unser Ziel ist es, unsere Feinde zu töten. Heute abend werden wir eine Gelegenheit dazu haben, wie sie sich uns vielleicht nie wieder bieten wird. Diese Gelegenheit müssen wir nutzen.
Wie viele Schwertkämpfer haben wir?«
Er schwieg einen Augenblick, während er die Zahlen in seinem Kopf durchrechnete. »Fast zweitausend sind Schwertkämpfer. Nicht ganz achthundert weitere sind Bogenschützen, und der Rest verteilt sich auf Hellebardenträger, Lanzenträger und Kavallerie sowie all die übrigen Leute, die eine Armee braucht, angefangen bei Fuhrleuten über Pfeilmacher bis hin zu Schmieden.«
Kahlan nickte vor sich hin. »Ich möchte, daß Ihr ungefähr eintausend Schwertkämpfer auswählt. Sucht die stärksten aus, die wildesten, die, die am versessensten darauf sind zu kämpfen.«
»Und was sollen wir mit diesen Männern tun?«
»Jene Männer, die mit den Uniformen der von uns getöteten Posten bekleidet sind, werden das feindliche Lager erkunden, zurückkommen und uns die Position unserer Ziele verraten. Wir haben genügend Leute, die Aufgaben durchzuführen, die wir für diese Ziele vorgesehen haben.
Die Schwertkämpfer sollen mit unserem obersten Ziel beginnen. Das Töten des Feindes. Sie werden sich zuerst um die feindlichen Kommandeure kümmern, nur für den Fall, daß sie nicht vergiftet wurden. Anschließend werden sie so viele Soldaten töten wie sie können, in der kürzest möglichen Zeit.«
Sie erreichten ein Dutzend Zelte, die man nahe beieinander in einem Halbkreis aufgestellt hatte. Kahlan warf in jedes einen Blick, um sicher zu sein, daß sie alle ihren Anweisungen folgend ausgestattet waren. Als sie damit fertig war, blieb sie neben dem größten stehen und blickte Hauptmann Ryan ins Gesicht.
»Werdet Ihr mir jetzt verraten, was wir bemalen sollen?«
Kahlan nickte. »Die eintausend Schwertkämpfer.«
Er starrte sie verblüfft an. »Wir sollen die Männer anmalen? Warum?«
»Ganz einfach. D’Haraner haben Angst vor Geistern. Sie haben Angst vor den Seelen der Feinde, die sie töten, deshalb schleppen sie die Leichen ihrer gefallenen Kameraden vom Schlachtfeld, wie in Ebinissia.
Heute nacht werden diese Ängste kommen und sie verfolgen. Sie werden angegriffen werden von dem, was sie am meisten fürchten: von Geistern.«
»Aber sie werden erkennen, daß es Soldaten sind, die einfach weiße Kleider tragen, und keine Geister.«
Kahlan blickte Hauptmann Ryan unter ihren Brauen hervor an. »Sie werden keine Kleidung tragen. Sie werden nichts am Leib haben und nur ihre Schwerter tragen, weiß bemalt wie sie selbst. Sie werden ihre Kleider kurz vor dem Angriff ablegen.«
Seine Kinnlade klappte herunter. »Was?«
»Ich möchte, daß Ihr die Schwertkämpfer zusammenruft, sofort, und sie hier zusammenzieht. Sie sollen in die Zelte gehen, ihre Kleider ablegen und in die Tünche eintauchen. Nachdem sie sich eingetunkt haben, sollen sie sich neben die heißen Steine stellen, bis sie trocken sind. Es wird nicht lange dauern. Danach können sie ihre Kleider wieder anziehen. Bis zum Angriff.«
Hauptmann Ryan war schockiert. »Aber es ist Winter. Ohne ihre Kleider werden sie erfrieren.«
»Wir haben einen Temperaturumschwung, es ist nicht mehr so bitterkalt. Außerdem wird die Kälte sie daran erinnern, ins Lager hinein- und sofort wieder hinauszustürmen. Ich will nicht, daß sie sich lange im Lager aufhalten. Der Feind wird sich sehr schnell von seinem Schock erholt haben und sich auf jeden Eindringling stürzen. Ich will, daß unsere Leute angreifen, die verängstigten D’Haraner töten und die Flucht ergreifen.
Wie gesagt, D’Haraner fürchten sich vor Geistern. Wenn sie das sehen, was sie im ersten Augenblick für ihren schlimmsten Alptraum halten, werden sie wie gelähmt sein. Ihr erster Gedanke wird sein zu fliehen, nicht zu kämpfen. Man stirbt ebenso leicht durch ein Schwert in den Rücken wie durch ein Schwert in die Brust. Einige werden auf der Stelle erstarren und nicht wissen, was sie tun sollen. Selbst wer die Invasoren als weiß bemalte Soldaten und nicht als Geister erkennt, wird einen Augenblick lang verwirrt sein.
Die Schwertkämpfer sollen sich nicht in Kämpfe verwickeln lassen. Sobald sich jemand wehrt, sollen sie zum nächsten weiterlaufen. Es gibt mehr als genug, die man töten kann, es wäre ein Fehler, Zeit für einen Kampf zu vergeuden, den man vermeiden kann. Ich will einfach nur, daß feindliche Soldaten getötet werden. Sind die Kommandeure erst einmal tot, spielt es keine Rolle, welche. Unsere Männer sollen nicht kämpfen, es sei denn, sie sind dazu gezwungen. Das bringt ihr Leben unnötig in Gefahr.
Hinein, so viele Männer wie möglich töten und wieder hinaus. So werden die Befehle lauten.«
Hauptmann Ryan zog ein grimmiges Gesicht, dachte nach. »Ich hätte nie gedacht, daß ich das jemals sagen würde, aber ich denke, das klingt nach einer äußerst erfolgreichen Taktik. Den Männern wird sie erst einmal nicht gefallen, aber sie werden die Befehle befolgen. Ich werde sie ihnen erklären, und dann werden sie sich bestimmt ein wenig besser dabei fühlen.
Ein solches Vorgehen ist völlig neu für mich, und ich bin sicher, auch für den Feind.« Schließlich brachte er ein verschmitztes Lächeln zustande. »Es wird sie mit Sicherheit überraschen, daran besteht kein Zweifel.«
Erleichtert registrierte Kahlan, daß er wenigstens zu diesem Zugeständnis bereit war. »Gut. Es freut mich, einen Hauptmann der galeanischen Armee überzeugt zu haben. Der Armee der Midlands.
Und jetzt möchte ich, daß Ihr mein Sattelzeug hierherschaffen und in die Tünche tunken laßt. Und bitte, stellt ein paar Posten vor das Zelt, solange ich mich darin aufhalte.«
Er bekam große Augen. »Euren Sattel … Ihr wollt doch nicht … Mutter Konfessor … Das ist doch bestimmt nicht Euer Ernst.«
»Ich verlange nichts von meinen Leuten, daß ich nicht auch selbst tun würde. Sie brauchen einen Befehlsführer, um den sie sich in ihrer ersten Schlacht scharen können. Ich habe die Absicht, sie anzuführen.«
Hauptmann Ryan wich einen Schritt zurück. Er war entsetzt. Er machte wieder einen Schritt nach vorn. »Aber Mutter Konfessor … Ihr seid eine Frau. Und keinesfalls eine häßliche Frau.« Unwillkürlich betrachtete er sie kurz von Kopf bis Fuß. »Ihr seid sogar … Mutter Konfessor, vergebt mir.« Er verstummte.
»Die Soldaten haben einen klaren Auftrag. Sagt endlich, was Ihr meint, Hauptmann.«
Sein Gesicht war dunkelrot. »Es sind junge Männer, Mutter Konfessor. Sie sind … nun, Ihr könnt nicht erwarten … es sind junge Männer.« Sein Kiefer mahlte, während er nach Worten rang. »Sie werden nichts dagegen tun können. Mutter Konfessor, bitte. Ihr werdet in eine über alle Maßen peinliche Lage geraten.« Er wand sich, in der Hoffnung, es nicht näher erläutern zu müssen.
Sie lächelte ihm leise zu, um ihm ein wenig seines Entsetzens zu nehmen. »Hauptmann, habt Ihr jemals die Legende der Shahari gehört?« Er schüttelte den Kopf. »Als die Stämme und Länder, die jetzt D’Hara genannt werden, zusammengeschweißt wurden, waren die Methoden der Eroberung und des Zusammenführens weitgehend die gleichen wie die der Imperialen Ordnung — man schloß sich entweder an oder wurde erobert. Das Volk der Shahari verweigerte den Anschluß an D’Hara und ließ sich auch nicht erobern.
Sie kämpften derart wildentschlossen, daß die d’haranischen Truppen sie mit der Zeit sehr fürchten lernten, obwohl diese ihnen zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegen waren. Die Shahari liebten nichts mehr als den Kampf. Sie waren so furchtlos, und die Vorstellung, in den Kampf zu ziehen, erregte sie so sehr, daß sie nackt in die Schlacht zogen und … eben erregt.«
Kahlan hob den Kopf und sah, wie Hauptmann Ryan sie offenen Mundes anstarrte. Sie fuhr fort. »Die D’Haraner kennen die Legende der Shahari. Sie alle haben bis zum heutigen Tag Angst vor ihnen.« Sie räusperte sich. »Wenn die Männer in den Kampf ziehen und das … geschieht, wird es nur noch größere Furcht unter den Soldaten der Imperialen Ordnung auslösen.
Ich glaube allerdings kaum, daß die Männer fürchten müssen, in eine peinliche Lage zu geraten. Sie werden Wichtigeres im Sinn haben, zum Beispiel, nicht getötet zu werden. Und wenn es doch geschieht, nun, dann sollten sie wissen, daß es mir gefällt, denn es wird nur noch größere Furcht in die Herzen unserer Feinde pflanzen.«
Hauptmann Ryan senkte den Blick schließlich zu Boden und scharrte mit seinem Stiefel im Schnee. »Vergebt mir, Mutter Konfessor, aber es gefällt mir noch immer nicht. Es bringt Euch in Gefahr und das ohne großen Gewinn.«
»Das stimmt nicht. Es gibt für mich zwei gewichtige Gründe, es zu tun. Erstens, als ich gestern abend das Lager der Imperialen Ordnung verließ, wurde ich von ungefähr fünfzig Mann verfolgt. Die D’Haraner zweifeln keinen Augenblick daran, daß diese fünfzig Mann mich fangen und töten werden.«
Der Hauptmann versteifte sich. »Wollt Ihr damit sagen, daß fünfzig Mann auf der Suche nach Euch hier herumstreifen?«
»Nein. Sie sind alle tot. Bis zum letzten Mann. Doch das wissen die Soldaten im Lager nicht. Wenn sie mich sehen, ganz in Weiß wie ein Geist, werden sie glauben, ich sei getötet worden und sie würden meine Seele sehen. Das wird ihnen nur noch einen größeren Schrecken einjagen.«
»Alle fünfzig…« Er schaute zu ihr hoch. »Und der zweite Grund?«
Kahlan sah ihn einen Augenblick lang fest an. Sie sprach mit leiser Stimme. »Wenn diese Männer mich erblicken, ganz gleich, ob sie mich für einen Geist halten oder für eine nackte Frau auf einem Pferd, werden sie hinschauen. Während sie hinschauen, können sie keinen unserer Männer töten. Aber wir können sie töten. Ich werde ihre Aufmerksamkeit von den Männer auf mich lenken.«
Er starrte sie schweigend an, und sie fuhr fort. »Ich für meinen Teil werde jede Peinlichkeit in Kauf nehmen«, erklärte sie, »wenn ich dadurch das Leben auch nur eines einzigen unserer Männer retten kann. Ich muß es tun, um ihnen zu helfen, damit sie am Leben bleiben.«
Er blickte zu Boden und stopfte die Hände in seine Taschen.
»Ich wußte gar nicht, daß die Mutter Konfessor so sehr um ihr Volk besorgt ist«, meinte er kaum hörbar. »Ich wußte gar nicht, daß sie überhaupt interessiert, was jemandem von uns zustößt.« Schließlich hob er den Kopf. »Kann ich noch irgend etwas sagen, um es Euch auszureden?«
Kahlan mußte lächeln. »Es gibt nur einen einzigen Mann auf der Welt, der mich davon abhalten könnte, und der seid Ihr nicht.« Sie lachte still. »Genaugenommen, wenn er wüßte, was ich vorhabe, er würde es bestimmt verbieten.«
Seine Neugier war stärker als seine Vorsicht. »Nur ein Mann? Ist er Euer Gefährte?« Sie schüttelte den Kopf. »Ist er derjenige, den Ihr zum Gefährten erwählen werdet?«
Kahlan stieß einen vergnügten Seufzer aus. »Er ist der Mann, den ich heiraten werde. Er hat mich gebeten, seine Frau zu werden.« Sie lächelte, als sie den verwirrten Ausdruck auf seinem Gesicht sah. »Er heißt Richard. Er ist der Sucher.«
Hauptmann Ryan erschrak, sein Atem stockte. »Wenn ich jetzt eine Frage stelle, die mir nicht zusteht, so sagt es nur, aber ich dachte, alle Konfessoren benutzen ihre Kraft … ich dachte, Eure Magie wäre … ich wußte gar nicht, daß Konfessoren … heiraten können.«
»Sie können es nicht. Aber Richard ist etwas Besonderes. Er hat die Gabe, und meine Kraft kann ihm nichts anhaben.«
Endlich lächelte Hauptmann Ryan. »Da bin ich froh. Ich freue mich für Euch, Mutter Konfessor.«
Kahlan zog eine Braue hoch. »Doch solltet Ihr ihm jemals begegnen, so wagt es nicht, ihm von dieser Geschichte … meines Auftritts als Geist zu erzählen. Er hat recht verstaubte Ansichten, was diese Dinge anbelangt. Wenn Ihr ihm erzählt, Ihr hättet zugelassen, daß ich nackt mit tausend Eurer Leute herumlaufe, macht er Euch womöglich einen Kopf kürzer.«
Kahlan lachte, als sie den erschrockenen Ausdruck im Gesicht des Hauptmanns sah.
»Hauptmann, ich brauche ein Schwert.«
»Ein Schwert! Jetzt wollt Ihr am Ende auch noch kämpfen!«
Kahlan beugte sich zu ihm. »Hauptmann, wenn ich dort nackt rumsitze und einer der D’Haraner meine Ehre zu besudeln wünscht, wie soll ich mich dann ohne Schwert verteidigen?«
»Oh. Jetzt verstehe ich, was Ihr meint.«
Er überlegte einen Augenblick. Ein Einfall erhellte sein Gesicht, und er zog sein eigenes Schwert aus seiner Scheide. Er hielt ihr die Waffe mit beiden Händen hin.
Es war ein altes Schwert mit einer im alten Stil geschliffenen Klinge, in deren Endstück man eine Gravur geätzt hatte, die die welligen Falzen des Stahls hervorhob.
»Diese Klinge wurde mir von Prinz Harold überreicht, als ich Offizier wurde. Er meinte, es sei die seines Vaters, hätte einst König Wyborn selbst gehört. Er sagte, König Wyborn hätte sie persönlich in einer Schlacht benutzt.« Er zuckte verlegen mit den Schultern. »Natürlich besitzt ein König viele Schwerter, und viele davon trägt er wenigstens einmal in einer Schlacht, damit man von ihnen behaupten kann, der König habe mit ihnen sein Königreich verteidigt. Es ist also nicht wirklich wertvoll.« Er hob erwartungsvoll den Kopf. »Aber ich würde mich geehrt fühlen, wenn Ihr es als Euer Schwert annähmt. Es scheint nur recht, daß Ihr … nun, als Tochter König Wyborns sein Schwert bei einer Schlacht in Euren Händen haltet. Vielleicht besitzt es Magie oder etwas Ähnliches und hilft euch, Euer Leben zu verteidigen.«
Kahlan nahm ihm das Schwert behutsam aus der Hand.
»Ich danke Euch, Bradley. Das bedeutet mir sehr viel. Ihr täuscht Euch, es ist wertvoll. Es wird mir eine Ehre sein, es zu tragen. Aber ich werde es nicht behalten. Wenn ich hier fertig bin und in ein paar Tagen nach Aydindril aufbreche, werde ich es Euch zurückgeben. Dann besitzt Ihr ein Schwert, daß nicht nur von einem König, sondern auch von der Mutter Konfessor geführt wurde.«
Die Vorstellung entlockte ihm ein Lächeln.
»Würdet Ihr nun bitte einen Posten vor dem Zelt aufstellen? Und Euch dann um die Schwertkämpfer kümmern?«
Mit einem zaghaften Schmunzeln schlug er sich die Faust vor die Brust. »Selbstverständlich, Mutter Konfessor.«
Als Kahlan das Innere des warmen Zelts betrat, kam er bereits mit drei Männern zurück. Er machte ein Gesicht, so ernst, wie sie es noch nie bei einem Offizier gesehen hatte. »Und während die Mutter Konfessor sich im Bad befindet, werdet ihr mit dem Rücken zum Zelt stehen und keinen in die Nähe lassen. Ist das klar?«
»Jawohl, Hauptmann«, antworteten die drei erstaunten Soldaten wie ein Mann.
Drinnen, im Warmen, lehnte Kahlan das Schwert an den Zuber, streifte erst den Pelzumhang ab, dann ihre Kleider.
Ihr war schlecht vor Müdigkeit. Ihr Magen schien sich in Wellen zu heben und zu senken. Ihr drehte sich der Kopf, und sie mußte sich gegen die Übelkeit wehren, die sie in Schüben immer wieder überkam.
Sie fuhr mit der Hand durch die weiße Tünche. Sie war heiß wie ein wundervolles Bad. Doch dies war kein Bad. Eines nach dem anderen hob sie die Beine über den Rand und ließ sich in das seidigsanfte weiße Wasser gleiten. Ihre Brüste wurden in der milchigen Flüssigkeit leicht. Ein paar Minuten lang ließ sie die Arme über die Seiten des Zubers baumeln, schloß die Augen und tat, als wäre es ein heißes Bad. Sie wünschte sich so sehr, daß es ein Bad wäre. Doch das war es nicht.
Kahlan nahm das Schwert ihres Vaters in die Hand und hielt das Heft zwischen ihre Brüste, so daß die lange Klinge an ihrem Körper lag, auf ihrem Bauch, zwischen ihren Beinen. Sie schlug die Knöchel übereinander und spreizte leicht die Beine, so daß die Klinge ihr nicht in die Schenkel schnitt. Mit der anderen Hand hielt sie sich die Nase zu, preßte ihre Augen fest zusammen, holte tief Luft und tauchte unter.