Sie tauchten aus dem Nebel auf und nahmen feste Gestalt an, die weißen Fänge des Todes. Das überraschte Opfer, anfangs wie gelähmt von markgefrierender Angst, sprang auf und wollte vor dem weißen Tod fliehen. Fänge aus weißem Stahl schlugen sich ohne Erbarmen in sie hinein, als sie um ihr Leben rannten. Todesschreie zerrissen die Nachtluft. Hysterie ließ sie alle Umsicht in den Wind schlagen und scheuchte sie geradewegs in den wartenden kalten weißen Stahl.
Furchtlose Männer erfuhren am eigenen Leibe, was Angst ist, bevor sie starben.
Ein Höllenlärm brach los. Das Klirren von Stahl, das Splittern von Holz, das Zerreißen von Zelttuch, der dumpfe Schlag, mit dem Fleisch und Knochen auf dem Boden landeten, die Schreie von Mensch und Tier, all dies vermengte sich zu einer endlosen Kakophonie des Terrors. Die Woge des weißen Todes trieb das Chaos vor sich her.
Der beißende Geruch von Blut füllte die Luft, überdeckte den süßlichen Duft lichterloh brennenden Waldes, den beißenden Geruch sich entzündenden Lampenöls, den stickigen Rauch brennenden Pechs und den Übelkeit erregenden Gestank verkohlenden Fleisches und Fells.
Was nicht vorn kalten Nebel feucht war, war verschmiert von heißem Blut.
Die weißen Fänge aus Stahl waren mittlerweile blutrot; weißer Schnee verwandelte sich in rote Pfützen. Feuerlohen züngelten in die Höhe, versengten die kalte Luft und verwandelten das Weiß des Nebels in ein leuchtendes Orange. Bedrohlich dunkle Rauchschwaden krochen über den Boden, während der Himmel hoch oben brannte.
Pfeile sirrten vorüber, Speere senkten sich in hohem Bogen durch die Luft, zersplitterte Lanzen verschwanden kreisend im Nebel, und abgetrennte Hellebardenspitzen wirbelten fort in die Dunkelheit. Überbleibsel zerfetzter Zelte schlugen und flatterten, als peitsche sie ein wütender Sturm. Schwerter hoben und senkten sich in einer Woge, die angetrieben schien vom Ächzen, das das hektisch-bedingungslose Wollen untermalte.
Männer stoben wie aufgescheuchte Ameisen in alle Richtungen davon. Einige gingen taumelnd zu Boden und verteilten ihr Gedärm im Schnee. Einer der Verwundeten stolperte, geblendet von Blut, ziellos umher, bis einer der weißen Schatten, ein Geist des Todes, vorbeistürmte und ihn niederstreckte. Das Rad eines Karrens rollte vorüber und verschwand sofort wieder hinter schwarzen Schleiern beißenden, vorüberziehenden Rauchs.
Alarm war nicht geschlagen worden, die Posten waren lange tot. Wenige im Lager hatten mitbekommen, was geschah, bevor das Unheil sie überkam.
Das Lager der Imperialen Ordnung war in letzter Zeit ein Ort voller Lärm und wilder Feiern gewesen, und vielen fiel es in ihrem betrunkenen Zustand schwer, zu erkennen, daß irgend etwas Folgenschweres geschah. Viele der Männer, die vom bandu im Bier vergiftet waren, lagen, sich erbrechend, um die Feuer. Viele waren so geschwächt, daß sie verbrannten, ohne auch nur den Versuch zu machen, aus den in Flammen stehenden Zelten zu entkommen. Andere befanden sich in einem Zustand trunkener Besinnungslosigkeit und lächelten den Männern, die ihnen Schwerter in die Eingeweide bohrten, tatsächlich zu.
Selbst jene, die nüchtern waren, wußten nicht recht einzuschätzen, was hier geschah. Ihr Lager war oft ein Ort voller derben Lärms und Chaos gewesen. Riesige Freudenfeuer brannten die ganze Nacht hindurch, als Wärmespender und um sich dort zu treffen. Im allgemeinen bildeten sie die einzigen Bezugspunkte in dieser ungeordneten Anlage, daher fielen die Feuer der Zerstörung außer in ihrer unmittelbaren Umgebung, gar nicht recht auf und riefen nur wenig Besorgnis hervor.
Unter den D’Haranern galten Raufereien im Lager schlicht als Teil der lärmenden Vergnügungen, und schreiende Männer, die während eines Streits abgestochen wurden, waren nichts Besonderes. Was man besaß, gehörte einem nur so lange, wie man toll genug war, es nicht anderen zu überlassen, die jederzeit bereit waren, es einem abzunehmen. Bündnisse unter D’Haranern waren wie Treibsand. Sie konnten ein Leben lang halten, oder, was üblicher war, gerade mal eine Stunde, sobald ein neuer Bund sich als abenteuerlicher oder einträglicher erwies.
Im Kampf waren sie diszipliniert, aber wenn sie nicht kämpften, waren sie unbeherrscht bis hin zur Anarchie. Bezahlung bestand für die D’Haraner bei einem Feldzug zum großen Teil aus einem Anteil an der Beute — sie hatten Ebinissia, allem Gerede über eine neue Ordnung zum Trotz, geplündert –, und die Beute hatte sie vielleicht verführt, ihre Pflichten nicht mehr so ernst zu nehmen. In der Schlacht oder beim ersten Ertönen eines Alarms verwandelten sie sich in eine einzige vereinte Kampfmaschine, eine Einheit mit nur einem Kopf. Im Lager jedoch, ohne das alles beherrschende Ziel des Krieges vor Augen, wurden sie zu Tausenden von Einzelkämpfern, die nichts weiter im Sinn hatten, als ihrem eigenen Interesse zu dienen.
Da es keinen Alarm gegeben hatte, schenkten sie dem Lärm und Geschrei nur wenig Beachtung. Im Getöse ihrer eigenen Geschäfte, ihrem Handeln, in den Geschichten, dem Lachen, Trinken, Spielen, dem Raufen und Rumhuren, ging die aus dem Nichts kommende Schlacht größtenteils unter. Die Offiziere würden sie schon rufen, wenn sie gebraucht wurden. Ohne diesen Ruf zur Pflicht gehörte ihr Leben ihnen selbst, und die Sorgen von anderen waren nicht die ihren. Sie waren völlig unvorbereitet, als der weiße Tod Gestalt annahm.
Der Anblick der weißen Geister, die mitten unter ihnen auftauchten, war von lähmender Kraft. So mancher fing aus Furcht vor den Seelen der Shahari an zu jammern. Viele glaubten, die Trennung zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten hätte sich verwischt. Oder sie wären plötzlich selbst in die Unterwelt geraten.
Ohne das Bier, das vergiftete wie auch das ungepanschte, wäre das vielleicht anders gewesen. So jedoch machte sie das Bier und das Vertrauen auf ihre große Zahl auf eine Weise verletzbar, wie sie es nie wieder sein würden. Doch nicht alle waren betrunken oder abgestumpft. Einige wehrten sich mit äußerster Heftigkeit.
Kahlan beobachtete dies alles von ihrem kreisenden Schlachtroß aus. Inmitten eines Meeres aus ungezüngelter Leidenschaft hatte sie ihre Konfessorenmiene aufgesetzt.
Diese Männer kannten weder Moral noch Ehre. Es waren Tiere, die sich im Leben nichts anderem beugten als der Gewalt. Sie hatten die Frauen im Palast vergewaltigt und die Menschen aus Ebinissia gnadenlos dahingemetzelt, von den Alten bis hin zu den neugeborenen Kindern.
Ein Mann warf sich durch den Ring aus Stahl, der sie umgab, griff nach ihrem Sattel, um sich daran festzuhalten. Er starrte sie offenen Mundes an und flehte weinerlich um Gnade bei den Guten Seelen. Sie spaltete ihm den Schädel.
Kahlan riß ihr Pferd herum und sah sich Sergeant Cullen gegenüber. »Haben wir die Kommandozelte eingenommen?«
Der Sergeant gab ein Zeichen, und einer der weißen, nackten Männer rannte los, um das zu überprüfen, während sie sich tiefer und tiefer in das Lager der Imperialen Ordnung vorarbeiteten. Als sie die Pferde entdeckte, gab sie das Signal. Von hinten vernahm sie das Geräusch galoppierender Hufe und das scharfe Rasseln von Ketten: Sicheln des Todes, die gekommen waren, um unter den Lebenden ihre Ernte einzufahren.
Mit einem Klackern, als würde ein Junge einen Stock an einem Lattenzaun entlangziehen, galoppierten die Tiere mit den Kettensicheln durch die lange Reihe der Pferde. Die Schreie der Tiere und die dumpfen Schläge, mit denen sie am Boden zusammenbrachen, übertönten noch den Hufschlag und das Krachen der brechenden Knochen.
Selbst die betrunkenen Feinde ließen von den weißen Geistern ab und verfolgten starren Blicks das grausige Schauspiel. Es war das letzte, was sie zu Gesicht bekamen. Männer taumelten aus ihren Zelten und sahen verständnislos mit an, was sich dort vor ihren Augen abspielte. Andere wanderten ziellos umher, einen Krug in der Hand, als wären sie auf einem Jahrmarkt, wo sie betrunken von einer Attraktion zur nächsten wankten. Es waren so viele, daß manche ein wenig warten mußten, bevor sie mit Sterben an der Reihe waren.
Manche waren nicht betrunken und sahen keine Gespenster, sondern weiß bemalte Soldaten. Sie sahen einen Angriff und begriffen, daß es gut geschliffene Klingen waren, mit denen man über sie herfiel. Ein Nest heftigster Gegenwehr wurde umzingelt, der Widerstand gebrochen, doch nicht ohne Verluste. Kahlan rief ihre Männer zusammen und trieb ihren Keil aus weißem Stahl tiefer in das Herz des feindlichen Lagers.
Sie erblickte zwei Männer auf Zugpferden — wer es war, konnte sie nicht erkennen –, die, nachdem sie alle Pferde, die sie finden konnten, niedergemacht hatten, daran gingen, eine Reihe Zelte niederzureißen. Dabei richteten sie eine ungeheure Verwüstung an und ließen Männer hilflos zurück. Die Kette verfing sich an etwas, das fest stand wie ein Fels. Die Pferde wurden herumgeschleudert und stießen brutal zusammen. Die Reiter stürzten zu Boden. Männer mit Schwertern und Äxten fielen über sie her.
Ein Soldat, das Schwert in der Hand und nüchtern, wie sie zu ihrem Schrecken erkannte, tauchte plötzlich dicht neben ihrem Bein auf. Er sah mit einem wilden, wütenden Blick zu ihr hinauf. Unter seinem stechenden Blick kam sie sich plötzlich nur noch vor wie eine nackte Frau auf einem Pferd.
Er musterte sie von Kopf bis Fuß. »Was zum…«
Ein dreißig Zentimeter langes Stück Stahl brach unter seinem Brustbein hervor und preßte ihm ein Ächzen aus den Lungen.
»Mutter Konfessor!« Der nackte Mann dahinter riß sein Schwert zurück und zeigte damit auf etwas. »Die Kommandozelte sind dort drüben!«
Eine Bewegung auf der anderen Seite erregte ihre Aufmerksamkeit. Mit einem schwungvollen Rückhandschlag erwischte sie einen Betrunkenen seitlich am Hals.
»Los! Zu den Kommandozelten! Sofort!«
Ihre Soldaten ließen vom Feind ab und folgten ihr, während sie mit Nick über Männer, Lagerfeuer und umgestürzte Karren hinwegsetzte. Derweil sie ihr folgten, hielten sie inne, um die verwirrten, panischen und betrunkenen D’Haraner auf allen Seiten abzuschlachten, sondern streckten bloß jene nieder, die im Vorbeilaufen zu erwischen waren. Wo nötig, banden sie den sporadischen Widerstand.
Die geräumigen Kommandozelte waren bereits von weißen Galeanern umringt. Die nackten Krieger hielten eine kleine Gruppe von ungefähr fünfzehn Mann mit vorgehaltenem Schwert in Schach. Vor ihnen lagen, säuberlich aufgereiht, wenigstens dreißig Leichen mit dem Rücken im Schnee.
Andere von Kahlans Männern warfen Schlachtstandarten und Fahnen auf einen großen Haufen, der bereits schwelte und aus dem stellenweise Flammen hervorschlugen. Leere Fässer lagen verstreut im Schnee. Die Kommandeure hatten keinerlei Befehl erteilt, als ihre Armee angegriffen wurde. Die Armee der Imperialen Ordnung mußte auf jegliche Führung verzichten.
Leutnant Sloan deutete mit seinem Schwert auf die Reihe der Leichen. »Diese Offiziere waren bereits tot. Das Gift hat gute Arbeit geleistet. Die anderen dort waren noch am Leben, wenn auch nicht gerade bei bester Gesundheit. Sie lagen überall in ihren Zelten. Wir haben sie kaum zum Aufstehen bewegen können. Sie haben uns nach Rum gefragt, stellt Euch das vor. Wir haben sie festgehalten, wie Ihr es verlangt habt.«
Kahlan ließ den Blick über die Gesichter der Leichen im Schnee schweifen. Sie fand nicht jenen, den sie suchte. Sie blickte in die Gesichter der gefangenen Offiziere. Dort war er ebensowenig.
Dann richtete sie ihr Konfessorengesicht auf einen keltonischen Offizier am Ende der Reihe. »Wo ist Riggs?«
Er funkelte sie wütend an, dann spie er aus. Kahlan sah zu dem Mann, der ihn hielt. Sie fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. Der Mann zögerte keinen Augenblick. Der Offizier sackte zu einem Haufen zusammen.
Sie blickte zum nächsten Offizier. »Wo ist Riggs?«
Seine Augen zuckten umher. »Das weiß ich nicht.«
Kahlan fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. Als er in sich zusammensackte, blickte sie zum nächsten Mann, einem d’haranischen Befehlshaber.
»Wo ist Riggs?«
Er machte ein entgeistertes Gesicht, aber nicht wegen der beiden blutenden Leichen neben ihm. Sein Entsetzen galt ihr. Vor ihm stand ein Gespenst. Er leckte sich über die Lippen.
»Er wurde verletzt, von der Mutter Konfessor. Ich meine, von Euch. Vorher.« Seine Stimme bebte. »Als Ihr noch … am Leben wart.«
»Wo ist er!«
Er zuckte zusammen und schüttelte heftig den Kopf. »Ich weiß es nicht, großer Geist! Er wurde verletzt, das Pferd hat ihm das Gesicht zertreten. Die Ärzte kümmern sich um ihn. Wo ihre Zelte stehen, weiß ich nicht.«
»Wer weiß, wo die Zelte der Ärzte stehen?«
Die meisten schüttelten zitternd den Kopf. Kahlan ließ ihr Pferd die Reihe der Offiziere abschreiten. Vor einem, den sie kannte, blieb sie stehen.
»General Karsh. Es freut mich sehr, Euch wiederzusehen. Wo ist Riggs?«
»Das würde ich Euch nicht einmal verraten, wenn ich’s wüßte.« Er grinste sie lüstern unter seinen Brauen hervor an. »Nackt seht Ihr besser aus, als ich mir vorgestellt habe. Warum hurt Ihr mit denen hier rum? Wir könnten es Euch besser besorgen als diese Kinder.«
Der Mann, der ihn festhielt, verdrehte ihm den Arm, bis er aufschrie. »Zeig Respekt für die Mutter Konfessor, du keltonisches Schwein!«
»Respekt? Für eine Hure mit einem Schwert in der Hand? Niemals!«
Kahlan beugte sich zu ihm herab. »Diese ›Kinder‹ halten Euch mit ihren Klingen in Schach. Jeder von ihnen ist ein besserer Mann als Ihr, würde ich sagen.
Ihr wolltet Krieg, Karsh. Euer Wunsch soll sich erfüllen. Jetzt habt Ihr Euren Krieg. Einen richtigen Krieg, kein Abschlachten von Frauen und Kindern, sondern einen Krieg unter meiner Führung — der Mutter Konfessor. Einer Frau. Einen schonungslosen Krieg.«
Sie saß aufrecht in ihrem Sattel und ließ zu, daß sein Blick auf ihren Brüsten verweilte. »Ich habe eine Botschaft für Euch, Karsh. Eine Botschaft für den Hüter. Sagt ihm, er soll reichlich Platz schaffen, denn ich schicke alle seine Schüler nach Hause.«
Ihr Blick wanderte an der Reihe der Männer entlang, die die Offiziere festhielten. In einer raschen Geste fuhr sie mit dem Finger über ihren Hals. Die Reaktion war ebensoschnell.
Während die Leichen nach vorn kippten, schrie sie auf und faßte sich mit der Hand an den Hals. Ein stechender Schmerz brannte an eben jener Stelle…
Es war der Schmerz von Darken Rahls Lippen auf ihrem Hals, der Schmerz, den sie gespürt hatte, als er sie im Haus der Seelen aufgesucht und Richard mit seiner Hand verbrannt hatte. Als er sie auf den Hals geküßt und ihr mit leiser Stimme unvorstellbares Grauen versprochen hatte.
Soldaten kamen herbeigestürzt. »Mutter Konfessor! Was ist mit Euch?«
Sie zog die Hand zurück. Ihre Finger waren blutverschmiert. Woher sie es wußte, konnte sie nicht sagen, aber ihr war ohne Zweifel klar, daß es die makellos schneeweißen Zähne von Darken Rahl gewesen waren, die ihr diese blutende Wunde beigebracht hatten.
»Mutter Konfessor! Was ist passiert?«
»Nichts. Es geht mir gut. Ein Pfeil muß mich gestreift haben, das ist alles.« Sie nahm ihre Gedanken, ihren Mut zusammen. »Spießt den Kopf eines jeden Offiziers auf einen Pfahl, damit alle Männer sie sehen können und wissen, daß sie ohne Führung sind. Und beeilt euch.«
Als der letzte bluttriefende Kopf aufgepflanzt war, drangen D’Haraner bereits von allen Seiten vor. Die meisten waren betrunken, lachten, als sei dies nichts weiter als eine Rauferei im Rausch. Doch so nutzlos und tölpelhaft sie waren, ihre Zahl hingegen war mehr als alarmierend. Sie kamen wie ein Bienenschwarm: Jeden, der niedergeschlagen wurde, ersetzten zehn andere.
Ihre Soldaten kämpften mit grimmiger Entschlossenheit, doch sie waren den überwältigenden Massen nicht gewachsen. Soldaten, mit denen sie gesprochen hatte, die sie getröstet, beflügelt und angeschrien, denen sie zugelächelt hatte, fielen unter Schreien des Schmerzes und des Entsetzens. Sie waren zu lange hiergeblieben.
Weiter vorn brach eine offene Feldschlacht aus. Die Galeaner wurden zurückgedrängt. Wenn sie zurückgetrieben wurden, hatten sie keine Hoffnung zu entkommen. Sie konnten nicht denselben Weg zurückgehen, den sie gekommen waren, zurück durch jene Männer, die das Gemetzel überlebt hatten und sich nun ernüchtert dem Kampf stellten.
Ohne den Überraschungseffekt waren sie kaum mehr als ein Häuflein nackter Jungen unter der Führung einer nackten Frau. Wenn sie ein zweites Mal das versuchten, was einmal funktioniert hatte, würden sie alle sterben. Sie mußten sich ihren Weg durch die Truppen der Imperialen Ordnung bahnen, zur anderen Seite des Tals. D’Haraner droschen auf die weißen Gestalten ein. Eine kräftige Hand griff nach ihrem Knöchel. Sie hackte sie ab und schüttelte ihren Fuß, um die körperlose Hand abzurütteln.
Sie liefen Gefahr, von dieser Bestie verschluckt zu werden.
Sich über die Todesschreie ihrer Männer hinwegsetzend, über ihr Versprechen, den schützenden Ring der wildesten galeanischen Schwertkämpfer nicht zu verlassen, über ihr Versprechen, sich nicht mutwillig einer Gefahr auszusetzen, sprengte Kahlan in das Getümmel der Schlacht und noch weiter — mitten unter die Feinde.
Sie stach mit dem Schwert nach beiden Seiten, in jeden Feind, der nahe genug kam. Mit zusammengebissenen Zähnen drosch sie auf Fleisch und Knochen ein. Ihr Handgelenk kribbelte von der Wucht der Aufpralle, ihr Arm war so schwer, daß sie Angst hatte, das Schwert nicht mehr viel länger halten zu können.
Aus Angst, sie könnte vom Pferd gerissen werden, drangen ihre Männer mit frischer Entschlossenheit weiter vor, auf sie zu. Sie trieben die dunkle Menschenwoge zurück, überrollten sie, während Kahlan ihr Pferd immer tiefer in das Meer aus schwarzen Lederuniformen trieb.
Sie stand in den Steigbügeln und reckte ihr Schwert in die Höhe. »Für Ebinissia! Für die Toten! Für die Seelen der Stadt!«
Das hatte die gewünschte Wirkung. Soldaten der Imperialen Ordnung, die der weiße Feind verwirrte, die aber nichtsdestotrotz erpicht waren, ihn, wer er auch sei, zu vernichten, hielten inne und starrten unverhohlen die weiße, nackte Frau auf einem Pferd an, die plötzlich mitten unter ihnen war. Ihre Überzeugung, daß dieser Angriff von Männern und nicht von Geistern durchgeführt wurde, geriet ins Wanken. Sie ließ den Blick über all die Augen wandern, die zu ihr hinaufschauten.
Dann schwenkte sie das weiße Schwert über ihrem Kopf, als eine Brise ihr weißes Haar nach hinten wehte. »Im Namen der Seelen, ich bin gekommen, um sie zu rächen!«
Lederbekleidete Soldaten fielen auf die Knie, ließen ihre Schwerter fallen, preßten die Hände zum Gebet zusammen. Sie erhoben die Hände zu ihr. Klagend baten sie um Schutz. Riefen sie um Gnade an. Bettelten um Vergebung. Wären sie nüchtern gewesen, überlegte Kahlan, wäre dann die Illusion so überzeugend gewesen? So wie es war, hatte die Wirkung etwas Apokalyptisches.
»Wir gewähren keine Gnade!«
Während alle Gesichter zu ihr aufstarrten und Tränen der Angst vergossen, fielen Bewaffnete von hinten über sie her. Die plötzliche, grausame, gnadenlose Woge harten Stahls jagte ihnen Angst und Schrecken ein, überzeugte sie, daß die Geister sie alle töten würden. Sie flohen, ließen ihre Waffen fallen und schrien ihre Furcht vor der Unterwelt in die Nacht hinaus.
Kahlan und ihre Männer hatten das gesetzte Ziel erreicht. Jetzt lief die Zeit gegen sie. Sie mußten fliehen.
Sie stürmten weiter vor, ein tödlicher, schneller Strom aus Weiß, der sich um und über Zelte, Feuer, Karren und Männer ergoß, immer mehr die teilnahmslosen Feinde überraschte, so viele wie möglich tötete und sich dabei immer weiter voranwälzte. Der weiße Tod zog sich zurück in den Nebel.
Kahlan warf einen Blick hinter sich und sah die Zugpferdpaare, deren Reiter die Ketten zwischen den Tieren spannten. Sie winkte sie in den Strom aus Weiß, drängte sie, sich zu beeilen. Die Reiter lösten die Ketten von den Kummethaken und legten sie in einer Schlinge um den Knauf, damit sie sich frei bewegen konnten, jetzt, da sie sich rasch aus dem Staub machen mußten.
In der Ferne, im Nebel rechts von ihr, entdeckte Kahlan eine Reihe angebundener Pferde. Sie sah, wie Brin und Peter die Kette erneut spannten und Daisy und Pip zum Galopp antrieben. Sie überlegte, den beiden zuzubrüllen, sie sollten bei den anderen bleiben, weil sie keine Chance hätten, sie alle zu erwischen, weil sie genug erreicht hätten und jetzt verschwinden müßten, weil es zu spät wäre. Aber sie wußte, sie würden sie nicht hören.
Brin ließ die Kettenschlingen fallen. Sie trieben die Pferde auseinander, um den Stahl zu spannen, scherten aus und hielten auf die angepflockten Pferde zu. Überzeugt, Brin und Peter zum letzten Mal in dieser Welt zu Gesicht zu bekommen, warf sie einen letzten Blick auf die beiden und richtete dann ihr Augenmerk nach vorn.
Sie zeigte mit dem Schwert nach vorne. »Dort stehen die übrigen Versorgungskarren!«
Die Männer wußten, was zu tun war. Während sie die Kolonne vorbeihetzte, wurden die Karren mit Lampenöl übergössen. Räder wurden eingeschlagen, Fackeln geschleudert. Die Karren gingen in Flammen auf. Mit weiteren Fackeln wurden Zelte in Brand gesetzt. Die vom Lärm und Feuer aus dem Schlaf gerissenen Männer liefen in gezückte Schwerter. Die Feuer verblaßten hinter den weißen Männern zu einer orangefarbenen Glut im Dunst, während sie sich weiter vorwärts in den Nebel stürzten.
Plötzlich lag das Lager hinter ihnen, und sie befanden sich in offenem, schneebedecktem Gelände. Jetzt, da sie das Lager und seine Feuerstellen hinter sich gelassen hatten, war die Dunkelheit ringsum bedrückend. Die Männer vorn zögerten, sahen sich im Laufen um.
»Späher vor!« schrie sie. »Wo sind die Späher?«
Zwei Männer schoben sich durch die Reihen nach vorn, und zeigten in die Richtung des Passes, zu dem sie wollten. Sie hielt nach den anderen Ausschau, drehte sich von einer Seite zur anderen. Niemand kam. Sie trieb Nick im Galopp zur Vorhut, hinter den beiden Spähern her.
»Wo sind die anderen? Sie hatten Befehl, die Führung zu übernehmen!«
Die runden, feuchten Augen, die zu ihr hochblickten, beantworteten wortlos ihre Frage.
»Also schön«, sagte sie, »ihr beide kennt den Weg. Bringt uns hier raus.«
Fünfzig Mann hatten den Paß ausgekundschaftet, den sie nehmen wollten. Fünfzig, um sicherzugehen, daß genügend übrig waren, um ihnen den Weg zu zeigen. Geblieben waren zwei.
Leise knurrend verfluchte sie die Seelen. Verschämt zog sie den Fluch zurück. Wenigstens hatten sie ihr diese beiden gelassen. Ohne die zwei würden sie durch den Nebel irren und wären frierend den Soldaten der Imperialen Ordnung ausgeliefert, die ihnen auf den Fersen waren.
Sie zügelte Nick und brachte ihn neben einer Kolonne nackter Männer zum Stehen. Verzweifelt winkte sie heftig mit den Armen.
»Los, los, los! Lauft, verdammt noch mal, flieht! Sie haben uns gleich eingeholt!« Die Männer auf den Zugpferden — Brin und Peter waren nicht unter ihnen — holten sie ein und ritten neben ihr. »Kutscher! Achtet auf den Späher vorn! Er zeigt euch, welchen Markierungen ihr folgen sollt.« Sie nickten zum Zeichen, daß sie es nicht vergessen hatten.
Männer in d’haranischen Uniformen, mit weißen, auf die Schulterstücke aufgenähten Flicken, um sie als Galeaner zu kennzeichnen, die in den Uniformen der Posten in das feindliche Lager eingedrungen waren, rannten vorüber. »Vergeßt nicht, die Markierungen herauszuziehen, bevor ihr auf die Pferde steigt.«
Zu zweit oder zu dritt sollten sie auf den Zugpferden zu einem der anderen kleinen Lager reiten, die man rings um den Feind eingerichtet hatte. Sie hatten zuvor im ganzen Tal falsche Fährten gelegt, so daß ohne die in den Schnee gesteckten Stöcke, die den richtigen Weg markierten, niemand den Weg in diese Lager finden konnte.
Die Spur all der Fußsoldaten war für den Feind im Schnee leicht zu verfolgen. Doch was das betraf, hatte sie ihre Pläne.
Hinter sich in der Ferne sah sie, wie die Nachhut in ein Gefecht mit der Imperialen Ordnung verwickelt war. Leutnant Sloan hatte eben das verhindern und die Nachhut in Bewegung halten sollen. Einen neuerlichen Fluch ausstoßend, galoppierte sie zurück. Ohne zu zögern, stürmte sie zwischen den beiden Streitmächten hindurch, wirbelte herum und preschte erneut dazwischen und trieb so die beiden Seiten auseinander. Die lederbekleideten D’Haraner zogen sich angesichts der weißen Geisterfrau auf einem weißen Roß zurück.
Sie sprengte mitten unter die Galeaner. »Was ist los mit euch! Ihr kennt die Befehle! Lauft, sonst kommt ihr zu spät!«
Die Männer setzten sich in Bewegung und versuchten, einen leblosen Körper mitzuschleifen.
»Wo steckt Leutnant Sloan? Er sollte hier hinten bleiben!«
Die Männer deuteten mit einem Nicken auf die Leiche, die sie mit sich schleppten. Die eine Seite seines Kopfes fehlte, und sie konnte das freiliegende Gehirn erkennen. Es war Leutnant Sloan. Die D’Haraner griffen erneut an. Sie riß an den Zügeln, und Nick bäumte sich auf. Die D’Haraner wichen erneut zurück.
»Er ist tot! Laßt ihn liegen! Lauft! Lauft, ihr Idioten! Wenn einer von euch noch einmal stehenbleibt, aus welchem Grund auch immer, dann sorge ich dafür, daß ihr den Rest des Krieges nackt kämpft! Und jetzt lauft!«
Diesmal machten sie Ernst, gaben Fersengeld, rannten um ihr Leben. Erneut fegte sie an der Front der betrunkenen D’Haraner vorbei, wobei sie bewirkte, daß die Männer rückwärts stolperten und in Panik übereinander fielen. Sie mußte diese Männer aufhalten, um ihren eigenen Leuten einen Vorsprung zu verschaffen.
Sie trieb Nick mitten durch die D’Haraner, trampelte jene nieder, die ihr in den Weg gerieten. Die Männer stoben für einen kurzen Augenblick vor der weißen Geisterfrau auseinander, einige riefen die Seelen um Schutz an. Andere jedoch kamen Waffen schwingend zurück. Wenn sie Nicks Beine erwischten…
Sie setzte Schwert und Schlachtroß zur Verteidigung ein, während sie von allen Seiten bedrängt wurde. Ihre Leute verschwanden im Nebel. Lauft, flehte sie, lauft. Sie schlug mit dem Schwert auf Soldaten ein, die nach ihr griffen. Beim nächsten Umdrehen sah sie nichts als düsteren Nebel und Dunst. Indes sie Nick sich um seine eigene Achse drehen ließ, verlor sie die Orientierung. Sie griff weiter die D’Haraner an und versuchte ihren Soldaten eben jenen Vorsprung zu verschaffen, den sie brauchten, um zu entkommen.
Sie versuchte auszubrechen, doch auf allen Seiten wimmelte es von Feinden, und es wurden ständig mehr. Einige brüllten den anderen zu, sie sei bloß eine Frau und kein Gespenst, und eine Frau würden sie nicht entkommen lassen. Sie fühlte sich so nackt wie noch nie während der gesamten Nacht.
Männer warfen sich um Nicks Beine, und obwohl sich der Hengst aufbäumte und sie mit den Hufen zurückdrängte, nahmen andere ihren Platz ein und brachten das große Tier zum Taumeln. Kahlan hackte wie von Sinnen auf die Männer ein, trennte Arme ab, spaltete Schädel, durchbohrte Körper.
Inmitten dieser Flut von Männern erkannte sie plötzlich, wie unhaltbar ihre Situation war. Sie wußte, wenn die Feinde sie vom Pferd herunterholten, wäre sie erledigt. So sehr sie es auch versuchte, sie konnte sich von den Soldaten nicht befreien.
Zum ersten Mal in dieser Nacht hatte sie wirklich Angst, es nicht zu schaffen. Sie würde sterben, hier, im Schnee, in diesem nebelverhangenen Tal. Sie würde Richard nie wiedersehen.
Plötzlich spürte sie unvermittelt einen eisigen Schmerz in der Bißwunde auf ihrem Hals. Der Bißwunde von Darken Rahl. Sie glaubte ein leises Lachen in der Luft zu hören.
Sie schlug um sich, drosch auf die Männer ein, die nach ihr griffen. Kräftige Finger umklammerten ihre Beine. Der durch diese Finger hervorgerufene Schmerz ließ sie verzweifelt zustechen und zustechen. Nick gelang es, sich im Kreis zu drehen, und die Männer verloren den Boden unter den Füßen, ließen ihre Beine jedoch nicht los. Sie drosch und hackte auf die Arme ein. Immer mehr Soldaten bekamen die Trense des Pferdes zu fassen, nahmen ihr die Kontrolle aus der Hand. Ein Pferd war wertvolles Beutegut, und sie wollten nicht, daß es getötet wurde, solange sie sich als Herr der Lage wähnten.
Ein dicker Soldat bekam ihren Sattelknauf zu fassen und zog sich daran hoch. »Bringt sie nicht um! Es ist die Mutter Konfessor! Sie soll lebend aufs Schafott gebracht werden!«
Sie schlitzte ihm die Seite seines Halses auf. Eine Fontäne heißen Bluts sprudelte über ihren Schenkel. Ein anderer brüllte: »Tötet sie nicht! Holt das Weibstück vom Pferd!« Unter den Kerlen brach Jubel aus.
Sie drosch auf die nach ihr greifenden Hände ein. Finger zerkratzten ihr die Beine. Lüsterne Blicke taxierten ihre Weiblichkeit. Sie schlug wild um sich, während Nick beim Versuch, seinen Kopf loszureißen, zur Seite taumelte. Doch die Männer hatten seine Trense fest im Griff.
Ein Soldat sprang von hinten auf und packte sie bei den Haaren. Sie stieß einen Schrei aus, als er sie mit einem Ruck nach hinten aus dem Sattel riß. Hände grapschten nach ihr, derweil sie Hals über Kopf zu Boden trudelte. Alles ging in einem Haufen unter ihr zu Boden. Große Hände packten sie an den Beinen, ihrer Hüfte, ihren Knöcheln, ihren Brüsten.
Finger schlossen sich um ihre Klinge, versuchten, sie ihr zu entwinden. Sie drehte das Heft und trennte die Finger damit ab. Sie schlug und stocherte wild um sich. Körper drückten sie zu Boden, preßten ihr den Atem aus den Lungen. Sie biß die Finger, die ihren Mund bedeckten. Eine riesige Faust traf sie am Kinn.
Schließlich bekamen sie ihre Arme zu fassen.
Es waren zu viele.
Geliebter Richard, ich liebe dich.