Kahlan kletterte vor den versammelten Männern auf einen Karren. Sie standen dicht zusammengedrängt in braune Wolljacken gehüllt vor ihr im fahlen Morgenlicht. Hauptmann Ryan stand zusammen mit den beiden Leutnants an seiner Seite in der vordersten Reihe der Männer. Er hatte den Arm auf ein Karrenrad gestützt und wartete.
Kahlan blickte in all die jungen Gesichter. Jungen. Sie stand im Begriff, Kinder in den Tod zu bitten. Aber was hatte sie für eine Wahl?
Geliebte Mutter, fragte sie sich, ist dies der Grund, weshalb du Wyborn als meinen Vater ausgesucht hast? Damit er mir beibringen sollte, was ich jetzt im Begriff stehe zu tun?
»Ich fürchte, ich habe nur eine einzige gute Nachricht für euch«, begann sie mit ruhiger Stimme, die durch die kalte Luft getragen wurde, über all die Gesichter hinweg, die sie ansahen, »daher werde ich euch die zuerst mitteilen, um euch Mut zu machen für die anderen Dinge, die ich euch zu sagen habe.«
Kahlan holte tief Luft. »Eure Königin wurde in Ebinissia weder umgebracht, noch haben die Männer, die die Stadt angegriffen haben, sie gefunden oder gefangengenommen. Entweder war sie nicht in der Stadt, als der Angriff kam, oder sie konnte fliehen.
Königin Cyrilla lebt.«
Die jungen Männer atmeten tief durch, dann brachen sie in wilden Jubel aus. Sie warfen die Arme in die Luft, drohten dem Himmel mit den Fäusten. Sie brüllten und johlten vor Freude und Erleichterung.
Kahlan stand da in ihrem blutgetränkten Wolfspelz, die Hände an den Seiten, und ließ ihnen diesen Augenblick des Jubels und der Hoffnung. Einige der jungen Männer vergaßen für einen Augenblick, daß sie Soldaten waren, und umarmten einander. Sie sah so manche Freudenträne über die Wangen rollen, während die Männer herumsprangen und johlten.
Kahlan kam sich klein und unbedeutend vor, als die lärmende Menge junger Männer der Bewunderung für ihre Halbschwester freien Lauf ließ. Sie brachte es nicht über sich, der Freude Einhalt zu gebieten.
Schließlich kletterte Hauptmann Ryan zu ihr auf den Karren. Er reckte die Arme in die Höhe und bat um Ruhe.
»Schon gut! Schon gut! Beruhigt euch. Hört auf, euch vor der Mutter Konfessor wie ein Haufen Kinder zu benehmen. Zeigt ihr, was für Männer ihr seid!«
Endlich legte sich der Jubel. Übrig blieben strahlende Gesichter und leuchtende Augen. Hauptmann Ryan verschränkte die Hände und sah Kahlan leicht verlegen an, bevor er zurücktrat, um ihr Platz zu machen.
»Das Volk von Ebinissia«, fuhr sie in demselben ruhigen Tonfall fort, »hatte nicht dieses Glück.«
Die winterliche Stille bekam etwas Schneidendes. Sanfte Böen fuhren rauschend in die eisüberkrusteten Äste der Bäume, die die Hänge zu beiden Seiten des flachen talförmigen Passes hinaufreichten, in dem sich ihr Lager befand. Das Strahlen schwand aus den Gesichtern.
»Jeder einzelne von euch hatte zumindest Freunde, die dort hingemetzelt wurden. Für viele von euch waren es die Lieben, die Familienangehörigen, die durch die Hände dieser Männer gestorben sind — nur wenige Stunden hinter diesem Paß.« Kahlan räusperte sich und mußte schlucken, während sie den Blick zu Boden senkte. »Auch ich kannte Menschen, die dort umgekommen sind.«
Sie hob den Kopf. »Gestern abend bin ich ins Lager des Feindes gegangen, um herauszufinden, wer dieser ist und ob man ihn dazu bringen kann, in seine Heimatländer zurückzukehren. Doch diese Männer verfolgen kein anderes Ziel, als alle Länder zu erobern und ihrer Herrschaft zu unterwerfen. Sie haben geschworen, jeden zu töten, der sich weigert, sich ihnen anzuschließen. Ebinissia hat sich geweigert.«
Die jungen Männer brüllten und drohten mit den Fäusten. Sie selbst, so schrien sie, wollten der Gefahr ein Ende machen.
Sie übertönte ihr Gebrüll und brachte sie zum Schweigen. »Die Männer, die eure Landsleute ermordet haben, werden Imperiale Ordnung genannt. Sie kämpfen für kein Land und keinen Staat. Sie kämpfen darum, alle Länder zu erobern, alle Länder zu beherrschen. Sie gehorchen keiner Regierung, keinem König, keinem Herrn und keinem Rat. Sie halten sich selbst für den Urquell allen Rechts.
Zum größten Teil bestehen sie aus D’Haranern, aber es haben sich ihnen auch andere angeschlossen. Ich habe einige Keltonier unter ihnen gesehen.«
Eine Woge wütenden Getuschels wanderte nach hinten durch die Menge. Kahlan ließ es im Augenblick dabei bewenden. »Ich habe unter ihnen auch Männer anderer Länder gesehen. Sogar Galeaner.«
Schockierte und erzürnte Rufe wurden laut, daß dies nicht wahr sein könne und sie sich täuschen müsse.
»Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen!« Sie verstummte erneut. Ihr Tonfall wurde ruhiger. »Ich wünschte, es wäre nicht wahr, aber ich habe sie gesehen. Männer aus vielen Ländern haben sich ihnen angeschlossen. Es werden sich ihnen noch mehr Männer anschließen, die glauben, sie können am Sieg teilhaben, ein Teil der neuen Ordnung werden, dabeisein, wenn es zu Plündereien kommt und Macht und Einfluß vergeben werden.
Die Stadt Cellion liegt nur wenige Tage von ihnen entfernt. Die Imperiale Ordnung wird ihre Unterwerfung und ihren Gehorsam verlangen oder ihren Tod beschließen.
Andere Städte, Kleinstädte, Dörfer und Farmen werden unter diesen Männern leiden müssen, wenn man ihnen nicht Einhalt gebietet. Mit der Zeit werden alle unter ihr Schwert fallen. Ich bin auf dem Weg nach Aydindril, um die Truppen der Midlands gegen die Imperiale Ordnung aufzustellen, doch das braucht Zeit. Währenddessen wird ihre Zahl durch jene wachsen, die sich gern auf der Seite der Macht wähnen. Im Augenblick gibt es niemanden, der diese Männer daran hindern könnte, jeden zu töten, der sich ihnen in den Weg stellt.
Niemanden außer euch.«
Kahlan drückte ihren Rücken durch, während sie das Gesagte wirken ließ und sich auf ihre nächsten Worte vorbereitete. Wieder wartete sie ab, bis sich Stille übers Tal gelegt hatte.
»Als Mutter Konfessor der Midlands und in Ermangelung des Luxus, mich mit dem Zentralrat absprechen zu können, mußte ich tun, was seit tausend Jahren oder mehr keine Mutter Konfessor mehr hat tun müssen. Allein kraft meines Amtes habe ich die Midlands in den Krieg geführt. Die Armee der Imperialen Ordnung muß bis zum letzten Mann vernichtet werden. Seitens der Midlands wird es kein Verhandlungsangebot geben. Unter keinen Umständen wird eine Kapitulation der Imperialen Ordnung angenommen werden.
Im Namen der Midlands habe ich einen Eid geschworen, daß keine Gnade walten gelassen werden soll.«
Erstaunte Gesichter blickten sie an.
»Unabhängig davon, ob ich lebe oder sterbe, dieser Erlaß ist unwiderruflich. Jedes Land oder Volk, das sich bereitwillig der Imperialen Ordnung anschließt, stellt sein Schicksal auf Gedeih und Verderb unter den Schatten dieses Edikts.
Ich fordere euch nicht etwa im Namen Galeas zum Kampf auf. Ich fordere euch kraft meines Amtes als Mutter Konfessor auf, für die Midlands zu kämpfen. Denn nicht Galea wird bedroht, sondern alle Länder und alle freien Völker.«
Ein Gewirr zuversichtlicher Stimmen wurde laut, daß man sich der Aufgabe gewachsen glaubte. Einige aus den Reihen gaben ihrer Gewißheit Ausdruck, sie seien die richtigen Männer dafür, seien im Recht und würden triumphieren.
Kahlan nickte ihnen zu. »Glaubt ihr das wirklich? Ich möchte, daß ihr euch alle die Gesichter rings um euch anschaut.« Die meisten blickten nur sie an. »Tut, was ich sage! Seht euch die Gesichter rings um euch an! Seht euch eure Kameraden an!«
Ein wenig verwirrt begannen sie sich umzuschauen, verdrehten die Köpfe, um zu sehen, wer neben, wer hinter ihnen stand, und feixten und lachten dabei, als wäre dies ein Spiel.
Als dies erledigt schien, fuhr sie fort. »Ein paar von euch werden sich einst an die Gesichter erinnern, in die ihr heute geblickt habt. Dann erinnert euch und trauert. Die anderen werden, wenn ihr diesen Kampf aufnehmt, nicht mehr da sein, um sich erinnern zu können. Sie werden im Kampf gefallen sein.«
In der kalten Stille hörte Kahlan das ferne Schnattern eines Eichhörnchens, dann war auch das verklungen.
Das Lächeln war überall erloschen, als sie schließlich erneut das Wort ergriff. »Diese Männer, die Imperiale Ordnung, werden angeführt und bestehen größtenteils aus d’haranischen Truppen. Die Ausbildung d’haranischer Soldaten beginnt, wenn sie halb so alt sind wie ihr jetzt. Sie bekämpfen Feinde innerhalb ihres eigenen Landes, schlagen Aufstände und Rebellionen nieder. Sie üben ihre Schlachttaktiken nicht einfach nur, sie leben sie tagein, tagaus. Sie kennen nur ein Leben voller Kampf. Sie sind ihm in jeder Form ausgesetzt gewesen. Ich habe vielen D’Haranern die Beichte abgenommen. Die meisten wissen nicht, was Frieden ist.
Seit dem Frühjahr, als Darken Rahl sie gegen die Midlands ausgesandt hat, haben sie das getan, was sie am besten können: Krieg führen. Sie haben Schlacht um Schlacht geschlagen. Alle, die sich ihnen entgegengestellt haben, sind gefallen.
Sie genießen es zu kämpfen. Sie machen sich einen Spaß daraus. Sie sind so furchtlos, wie Soldaten nur sein können. Oft halten sie Wettbewerbe auf Leben und Tod ab, um sich das Recht zu sichern, in vorderster Front kämpfen zu dürfen, um sich das Recht zu sichern, den ersten Schlag gegen den Feind führen zu dürfen, der erste sein zu dürfen, der fällt.«
Sie musterte die jungen Gesichter. »Ihr vertraut auf eure Ausbildung, auf eure Taktiken?« Die Gesichter nickten, sahen sich an, lächelten im Vertrauen auf ihr Können.
Kahlan zeigte auf einen von ihnen, einen Sergeant, nach den Tressen auf seiner Uniformjacke zu schließen. »Dann erklär mir folgendes. Ihr befindet euch auf dem Schlachtfeld, nachdem ihr diese Männer gestellt habt, und dort kommt der Feind und greift euch an. Du hast das Kommando über die Lanzenträger und die Bogenschützen. Hier kommt der Feind. Zu Tausenden kommen sie brüllend angerannt, um eure Streitmacht auseinanderzureißen, eurer Armee das Rückrat zu brechen. Du siehst, daß sie Speere haben, die sie Argone nennen, mit langen, dünnen Widerhaken. Durchdringen sie einen, ist es fast unmöglich, sie wieder herauszuziehen. Sie reißen entsetzliche Wunden, die fast immer tödlich sind. Hier kommen sie nun, mit ihren Argonen. Tausende von Männern. Wie lautet deine Taktik?«
Der junge Mann reckte wissend das Kinn nach vorn. »Man bildet eine dichte Formation, ein Rechteck oder einen Keil, um die Bogenschützen zu sichern. Die Lanzenträger richten die Lanzen nach außen, legen ihre Schilde übereinander und treten dem Feind als dichter, undurchdringlicher Wall entgegen. Die Schilde schützen die Lanzenträger, die wiederum die Bogenschützen sichern. Die Bogenschützen fällen sie, bevor sie nahe genug sind, um ihre Argone einzusetzen. Die wenigen, die durchkommen, stürzen in die Lanzen. Der Vormarsch wird zurückgeworfen, und aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie bei dem gescheiterten Angriffsversuch eine so große Zahl Männer verlieren, daß ein weiterer unwahrscheinlich wird.«
Kahlan nickte und tat beeindruckt. »Sehr hübsch vorgetragen.« Er strahlte. Die Männer rings um ihn feixten vor Stolz über die gute Kenntnis ihrer Arbeit. »Ich habe einige der erfahrensten Armeen der Midlands genau diese Taktik anwenden sehen, als die D’Haraner im letzten Frühjahr, bei Fall der Grenze, zum ersten Mal einfielen.«
»Nun, da seht Ihr es«, meinte der Mann. »Unsere Bogenschützen und die Spitzen unserer Lanzen werden ihnen den Angriffsschwung nehmen.«
Sie lächelte ihn dünn an. »Die vorderste Front der D’Haraner, jene Männer, von denen ich Euch erzählt habe, die größten, wildesten, die, die sich das Recht gesichert haben, als erste auf euch loszustürmen — sie haben eine spezielle Taktik gegen euer Vorgehen entwickelt. Zum einen besitzen sie Pfeilschilde, die sie bei ihrem Ansturm vor der größten Wucht der Bogenschützen schützen.
Und vermutlich habe ich auch vergessen, euch die eine oder andere Einzelheit über diese Argone zu erzählen. Diese Speere besitzen über fast die gesamte Länge eisenummantelte Schäfte, die nur einem einzigen Zweck dienen. Wenn der Feind, größtenteils unbeeindruckt von euren Bogenschützen, vorrückt, schleudern sie ihre Argone auf euch.«
»Wir haben Schilde«, gab der Mann zu bedenken. »Sobald sie ihre Argone verschleudert haben, haben sie die Spitzen unserer Lanzen vor sich.«
Sie verschränkte die Arme und nickte. »Die vorderste Front, jene Männer, die sich das Recht gesichert haben, in der ersten Angriffswelle zu stehen, besteht aus großen Kerlen. Ich bezweifele, daß der kleinste von ihnen nicht wenigstens doppelt so dicke Arme hat wie der durchschnittliche Soldat von euch. Die Argone sind nadelspitz. Von solch kräftigen Armen geschleudert, durchbohren sie eure Schilde und bleiben darin stecken. Die langen Widerhaken verhindern, daß sie wieder herausgezogen werden können.«
Das zuversichtliche Lächeln verschwand, als sie von Gesicht zu Gesicht blickte und dann schließlich fortfuhr. »Jetzt habt ihr die Argone fest in euren Schilden stecken. Ihr laßt eure Lanzen fallen und zieht die Schwerter, um die schweren Speere abzuhacken. Die Schäfte sind jedoch mit Eisen beschlagen und geben nicht nach. Die Speere sind schwer, ihr hinteres Ende schleift auf dem Boden. D’Haraner können fast ebensoschnell rennen wie ihre Speere fliegen. Wenn sie euch in diesem Augenblick erreichen, springen sie auf die Speerschäfte in euren Schilden, drükken sie zu Boden, so daß ihr auf die Knie sinkt und ihren schweren Äxten schutzlos ausgeliefert seid.«
Die Arme immer noch verschränkt, beugte sie sich zu ihnen vor. »Ich habe Männer gesehen, die von diesen Äxten vom Scheitel bis zum Nabel gespalten wurden.«
Die Männer warfen sich Seitenblicke zu, ihre Zuversicht war erschüttert.
Sie nickte ihnen spöttisch zu und faltete die Arme auseinander. »Was ich euch erzähle, sind keine Vermutungen. Ich habe gesehen, wie eine d’haranische Streitmacht auf genau diese Weise eine erfahrene, ihnen fast zehnfach überlegene Armee niedergemacht hat. Im Verlauf einer Stunde hatte sich die ins Gegenteil verkehrt, die vermeintliche Niederlage der D’Haraner verwandelte sich in einen Sieg.
Ein d’haranischer Argonenangriff hat fast eine ebenso vernichtende Wirkung wie ein klassischer Kavallerieangriff, nur daß sie über eine größere Zahl verfügen als jede Reiterschar. Zudem ist ihre eigene Kavallerie alles andere als gewöhnlich. Doch das wage ich euch nicht einmal zu erzählen.
Im Gemetzel um Ebinissia haben sie die Hälfte ihrer Leute verloren, und jetzt befinden sie sich im Lager, singen und besaufen sich. Wärt ihr so guter Dinge, wenn ihr gerade jeden zweiten Mann verloren hättet?
Ich weiß, ihr glaubt, eine Schlacht gegen einen zehnfach stärkeren Gegner gewinnen zu können, und ich weiß auch, daß so etwas zu schaffen ist. Allerdings könnten höchstens die erfahrenen d’haranischen Truppen eine solche Leistung vollbringen.
Bitte glaubt mir, ich habe nicht die Absicht, eure Tapferkeit zu bezweifeln, doch auf dem Schlachtfeld seid ihr ihnen nicht ebenbürtig. Noch nicht. Ihr könntet keine Armee von der Hälfte ihrer Größe besiegen, würde die Schlacht im Stil eurer Feinde geschlagen.
Das heißt nicht, daß ihr nicht siegen könnt. Ihr müßt euer Ziel nur auf andere Art erreichen. Ich glaube, ihr könnt gewinnen. Ich werde euch verraten, was ihr tun müßt, und euch beim ersten Schlag anführen, damit ihr einen Anfang habt. Die Imperiale Ordnung ist nicht unbesiegbar. Sie kann bezwungen werden.
Von diesem Tag an werde ich euch nicht mehr ›Jungs‹ nennen. Von diesem Tag an seid ihr Soldaten.
Ihr seht euch selbst als Soldaten eurer Heimat Galea. Doch das seid ihr nicht. Nicht in dieser Angelegenheit. Ihr seid alle Soldaten der Midlands. Denn nicht nur Galea wird erobert werden, sondern die gesamten Midlands, wenn diesen Soldaten kein Einhalt geboten wird. Ich nehme euch in die Pflicht, sie aufzuhalten.«
Die dichtgedrängte Menge aus Soldaten, durch das Gehörte in Wut geraten, schrie, man wolle die Aufgabe übernehmen. Unter einigen aus der Menge, rechts von ihr, bereitete sich verärgertes Getuschel aus. Männer rempelten sich an und stritten. Ein paar der Männer wollten etwas sagen, andere versuchten, dies zu verhindern.
»Solltet ihr euch entschließen, an diesem Kampf teilzunehmen, werdet ihr Befehlen ohne Frage Folge leisten«, fuhr sie fort. »Dieses eine Mal jedoch dürft ihr frei eure Meinung äußern, ohne dafür bestraft zu werden. Wenn ihr etwas zu sagen habt, dann laßt es jetzt vor allen hören oder nehmt es mit ins Grab.«
Einer der Männer riß sich von einem anderen los. Er schaute wütend zu ihr hinauf. »Wir sind Männer. Wir folgen keiner Frau in die Schlacht.«
Kahlan sah ihn verwundert an. »Ihr folgt doch Königin Cyrilla.«
»Sie ist unsere Königin, für sie kämpfen wir. Aber sie führt uns nicht in den Kampf. Das bleibt Männern überlassen.«
Kahlan kniff die Augen zusammen. »Wie ist dein Name?«
Der Angesprochene ließ seinen Blick kurz über seine Kameraden schweifen, dann reckte er entschlossen das Kinn in die Höhe. »Ich bin William Mosle. Wir wurden von Prinz Harold persönlich ausgebildet.«
»Und ich«, sagte Kahlan, »wurde von seinem Vater, König Wyborn, ausgebildet. König Wyborn war auch mein Vater. Ich bin eine Halbschwester von Königin Cyrilla und Prinz Harold.«
Überall in der Menge war erstauntes Zischeln zu hören. Ohne den Blick von Mosle zu wenden, hob Kahlan die Hand und brachte das Getuschel dadurch zum Verstummen. »Doch das ist im Augenblick nicht von Belang. Ihr seid Soldaten. Es ist eure Pflicht, die Befehle eurer Kommandeure zu befolgen, die wiederum der Königin dienen, welche sich an die Befehle des Zentralrats der Midlands zu halten hat. Der Zentralrat der Midlands folgt den Befehlen der Mutter Konfessor.
Im Augenblick bekleide ich dieses Amt. Mein Familienname lautet Amnell, wie der eurer Königin, doch zuallererst entstamme ich einem Geschlecht von Konfessoren. Ich bin die Mutter Konfessor der Midlands, und wenn ich in dieser Funktion befehle, ihr sollt in einen See hineinmarschieren, dann ist es eure Pflicht, solange zu marschieren, bis ihr Wasser atmet und Fische vor den Augen habt. Habe ich mich klar genug ausgedrückt, Soldat?«
Ein paar andere stießen Mosle an und bedrängten ihn, ihre weiteren Zweifel auszusprechen. »Das bedeutet, daß Ihr uns befehligen könnt, aber das bedeutet nicht, daß Ihr auch wißt, was Ihr tut.«
Kahlan stieß einen Seufzer aus, strich ein paar blutverkrustete Strähnen nach hinten und hakte sie hinters Ohr. »Ich habe heute nicht Zeit, euch von meiner gesamten Ausbildung zu erzählen oder von all den aussichtslosen Kämpfen, die ich durchgestanden, oder den Männern, die ich dabei habe töten müssen.
Ich will euch nur erzählen, daß ich gestern abend allein in das Lager der Imperialen Ordnung geritten bin, um euch das Leben zu retten. Die Männer der Imperialen Ordnung, die D’Haraner, fürchten die Dinge der Nacht, die Geier, und als Schutz vor ihnen als Unterstützung hatten sie einen Zauberer in ihrem Gefolge. Hättet ihr im Vertrauen auf eure Strategiekenntnisse versucht, diese Männer anzugreifen, wäre dieser Zauberer lange zuvor über euer Vorgehen im Bilde gewesen und hätte vermutlich Magie eingesetzt, um euch alle zu töten.«
Mosles Gesichtsausdruck verlor nichts von seinem Trotz, doch einige der anderen fingen an, besorgt zu tuscheln. Gegen Stahl zu kämpfen war eine Sache, ein Kampf gegen Magie etwas völlig anderes.
Hauptmann Ryan trat einen Schritt nach vorn. »Die Mutter Konfessor hat den Zauberer getötet«, erklärte er voller Stolz. Aus den Reihen der Männer waren erleichterte Seufzer zu hören. »Ohne ihre Erfahrung wären wir in den Tod marschiert, ohne auch nur die Gelegenheit zu haben, die Klingen zu kreuzen. Ich für meinen Teil habe die Absicht, denen zu folgen, denen ich lebenslange Treue geschworen habe: meinem Land, meiner Königin, den Midlands und der Mutter Konfessor.
Wir werden dieser Bedrohung der Midlands ein Ende setzen, und wir werden es tun, indem wir denen folgen, denen wir Gefolgschaft geschworen haben. Wir ziehen unter dem Befehl der Mutter Konfessor in den Kampf.«
»Ich bin Soldat der galeanischen Armee!« Mosle schien eher noch trotziger zu werden. »Kein Soldat der Armee der Midlands! Ich kämpfe für Galea, aber ich beschütze keine Länder wie Kelton!« Kahlan mußte mitansehen, wie andere Männer ihr Zustimmung hinausbrüllten. »Diese Armee, die Imperiale Ordnung oder wie immer sie sich nennen, marschiert auf die Grenze zu. Cellion ist eine Grenzstadt, die größtenteils auf der anderen Seite des Flusses liegt, in Kelton! Die meisten Einwohner sind Keltonier! Wieso sollte ich für die Keltonier sterben?«
In der Menge kam es zu Streitereien. Hauptmann Ryan bekam einen roten Kopf. »Mosle, du bist eine Schande für …!«
Kahlan hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen. »Nein, Soldat Mosle sagt nur, was er denkt, und darum habe ich ihn gebeten. Ihr müßt mich verstehen, Männer. Ich befehle euch dies nicht. Ich bitte euch, für das Leben unschuldiger Menschen in den Midlands zu kämpfen. Zehntausende eurer Kameraden sind bereits in diesem Kampf gefallen. Ich würde nicht von euch verlangen, euer Leben für etwas zu opfern, an das ihr nicht glaubt. Die meisten, die in diesen Kampf ziehen, werden sterben.
Die Entscheidung liegt ganz bei euch. Niemand befiehlt euch zu bleiben. Wenn ihr euch aber entscheidet zu bleiben, dann nur unter meinem Kommando. Ich will niemanden bei uns, der nicht an das glaubt, was wir tun.
Entscheidet jetzt, ob ihr bei uns bleiben wollt oder nicht. Wenn nicht, dann seid ihr frei zu gehen, denn dann seid ihr euren Kameraden keine Hilfe.«
Ihre Stimme wurde kalt wie die Morgenluft. »Wenn ihr euch entscheidet, mit mir in diesen Krieg zu ziehen, dann werdet ihr die Befehle eurer Vorgesetzten befolgen. In den Midlands steht niemand rangmäßig höher als ich. Ihr werdet meinen Befehlen ohne Fragen Folge leisten, oder ihr werdet bestraft. Es steht zuviel auf dem Spiel, um Soldaten zu verschonen, die den Gehorsam verweigern.
Wenn ich etwas anordne, dann werdet ihr es tun, auch wenn ihr wißt, daß es euch das Leben kosten wird — denn dadurch werden sehr viel mehr Leben gerettet werden. Ich erteile keinen Befehl ohne triftigen Grund, ich werde allerdings nicht immer Zeit haben, sie zu erklären. Es ist eure Pflicht, auf eure Vorgesetzten zu vertrauen und zu tun, was sie befehlen.«
Sie streckte die Hand aus und umfaßte die jungen Männer mit einer ausladenden Geste. »Entscheidet euch also. Mit uns — oder nicht mit uns. Aber entscheidet euch heute für alle Zeit.«
Kahlan steckte ihre Hände zurück unter den warmen Pelzumhang und wartete schweigend, während die Männer miteinander debattierten und stritten. Gemüter erhitzten sich, und man leistete zornige Schwüre. Männer scharten sich um Mosle, andere entfernten sich von ihm.
»Also ich verschwinde!« rief Mosle den anderen zu. Er reckte die Faust in die Höhe. »Ich folge keiner Frau in den Kampf, ganz gleich, wer sie auch sein mag! Wer geht mit mir?«
Ungefähr sechzig oder siebzig Männer, die sich um ihn versammelt hatten, bekundeten jubelnd, daß sie zu ihm hielten.
»Dann geht«, befahl Kahlan. »Bevor ihr in einen Kampf verstrickt werdet, an den ihr nicht glaubt.«
Nachdem sie ihre Wahl getroffen hatten, warfen ihr Mosle und die Männer bei ihm wütende, verächtliche Blicke zu. Er trat großspurig vor. »Wir brechen auf, sobald wir unsere Sachen gepackt haben. Wir lassen uns nicht auf Euer Wort hin vertreiben.«
Die Männer aus der Menge drängten sich dazwischen. Bevor die ersten Schläge fielen, hob Kahlan die Hand. »Halt! Laßt sie in Frieden. Sie haben ihre Wahl getroffen. Laßt sie ihre Sachen zusammensuchen und dann gehen.«
Mosle machte kehrt und bahnte sich seinen Weg durch das Gedränge, seine neuen Gefolgsleute im Schlepptau. Kahlan zählte sie genau durch, als sie die Menge der angetretenen Soldaten verließen. Siebenundsechzig. Siebenundsechzig würden gehen.
Sie blickte hinaus in die Gesichter. »Noch jemand? Will noch jemand uns verlassen?« Niemand rührte sich. »Dann wollt ihr euch also alle an diesem Kampf beteiligen?« Ein gemeinsamer Jubelschrei erschallte. »So sei es denn. Ich wünschte, ich brauchte euch Männer nicht hierzu aufzufordern, aber es gibt sonst niemanden, den ich um Hilfe bitten könnte. Mein Herz trauert um die, die sterben werden. Ihr sollt wissen, daß niemand je das Opfer vergessen wird, daß ihr für sie und die Völker der Midlands erbracht habt.«
Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie die siebenundsechzig Männer zwischen den Karren hin und her liefen und sich von den Vorräten nahmen, was sie zu brauchen glaubten. »Und nun zu dem, was getan werden muß.«
Langsam schüttelte sie den Kopf. »Ihr Soldaten müßt uns begreifen: Es handelt sich nicht um eine ruhmvolle Schlacht, wie ihr vielleicht glaubt, wo ihr euch wie Figuren auf einem Spielbrett bewegt. Nicht um eine Taktik, mit der man den Gegner in einem grandiosen Gefecht überlistet. Sondern wir werden ihnen auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen, um sie auf jede nur erdenkliche Weise zu töten.«
»Aber Mutter Konfessor«, rief einer aus den vorderen Reihen, »es ist der Ehrenkodex der Soldaten, sich im Kampf gegenüberzustehen, den Gegner im fairen Kampf zu besiegen.«
»Im Krieg kämpfen zu müssen, hat nichts mit Fairneß zu tun. Das einzig Gerechte wäre Frieden. Krieg kennt nur ein Ziel: das Töten.
Das müßt ihr alle begreifen, denn es ist entscheidend für euer Überleben. Töten hat nichts Ehrenhaftes, egal mit welcher Methode. Tot ist tot. Man tötet einen Feind im Krieg, um das Leben derer zu schützen, für die man kämpft. Deren Leben läßt sich nicht besser schützen, wenn man den Feind Schwert gegen Schwert bekämpft, als wenn man ihm im Schlaf erschlägt — es wird dadurch nur einem Risiko ausgesetzt.
Diese Aufgabe hat nichts Ruhmvolles. Sie ist mühevoll, bedrückend. Wir haben nicht vor, in einer offenen Feldschlacht festzustellen, wer in diesem Spiel der Bessere ist. Wir haben lediglich die Aufgabe, sie umzubringen.
Wenn ihr Schwierigkeiten habt, die Rechtmäßigkeit dessen zu erkennen, dann bitte ich euch, die Ehre jener Soldaten in Betracht zu ziehen, mit denen ihr es zu tun habt. Stellt sie euch vor, wie sie in Gruppen darauf gewartet haben, eure Schwestern und Mütter zu vergewaltigen. Stellt euch vor, was eure Mütter und Schwestern aus Ebinissia über Ehre gedacht haben, während sie mißhandelt, vergewaltigt und ermordet wurden.«
Die Kälte ihrer Worte ließ die zu Stein erstarrten Männer erschaudern. Kahlan mußte sich zusammenreißen, um ihr Entsetzen nicht noch mehr zu vergrößern, doch vor ihrem inneren Auge sah sie noch immer das Bild der jungen Frauen im Palast.
»Sieht der Feind in die andere Richtung, um so besser, denn dann wird er euch kein Messer in den Leib stoßen. Geschieht es aus der Entfernung, mit einem Pfeil, um so besser, denn dann hat er keine Chance, euch mit einem Argon zu durchbohren. Geschieht es, während er den Mund voller Essen hat, um so besser, denn dann kann er keinen Alarm schlagen. Geschieht es ihm Schlaf, um so besser, denn dann hat er keine Gelegenheit, euch mit seinem Schwert aufzuschlitzen.
Gestern abend zertrümmerte mein Pferd den Schädel eines der d’haranischen Offiziere. Das war weder ruhm- noch ehrenvoll, aber es gab mir die Gewißheit, diese Tat könnte verhindert haben, daß einige von euch durch seine Hand und seine Gerissenheit getötet werden. Das erfüllt mein Herz mit Freude. Freude darüber, damit vielleicht einigen von euch das kostbare Leben gerettet zu haben.
Ihr habt gesehen, was man den Menschen in Ebinissia angetan hat. Denkt an die Gesichter der Toten. Denkt daran, wie sie sterben mußten, und an das Grauen, welches sie zuvor durchlitten haben. Denkt an die Soldaten, die gefangengenommen und enthauptet wurden.
Es liegt an uns zu verhindern, daß dies noch anderen Völkern zustößt. Um das zu erreichen, müssen wir diese Männer töten. Das hat nichts Ruhmvolles. Es geht allem ums Überleben.«
Im Hintergrund machten zwei Männer den Umstehenden eine obszöne Geste und gingen, um sich Mosles Männern anzuschließen. Neunundsechzig. Die übrigen jedoch waren fest entschlossen, den Kampf aufzunehmen.
Der Zeitpunkt war gekommen. Sie hatte ihnen die schlichten Träume an eine glorreiche Schlacht ausgeredet und sie über die wahre Natur ihrer Aufgabe aufgeklärt. Sie hatte den meisten von ihnen einen Begriff gegeben von der übergeordneten Wichtigkeit der vor ihnen liegenden Schlacht. Sie hatte ihnen einiges von dem erklärt, was zu tun war. Sie hatte ihnen ein klareres Verständnis von ihrer Bedeutung im Verlauf dieser Auseinandersetzung gegeben.
Der Zeitpunkt war gekommen, sie unwiderruflich mit dieser Belastung zu betrauen, sie zu einem Instrument der Vergeltung zu schmieden, das diese Bedrohung zunichte machen konnte.
Kahlan breitete vor den Männern die Arme aus. Der blutdurchtränkte Umhang fiel schlaff zu Boden.
»Ich bin tot!« rief sie in den grauen Himmel. Stirnrunzelnd beugte sich alles ein Stück weit vor. »Was meinen Landsleuten zugestoßen ist — meinen Vätern, meinen Söhnen, Müttern und Töchtern –, hat mich getötet. Der Schmerz darüber hat meinem Herz den Todesstoß versetzt.«
Sie breitete die Arme noch weiter auseinander. Ihre Stimme schwoll zornig an.
»Nur Rache kann mich wieder zum Leben erwecken! Nur der Sieg kann mir das Leben wiedergeben!«
Sie starrte in all die aufgerissenen Augen, die ihren starren Blick erwiderten. »Ich bin die Mutter Konfessor der Midlands. Ich verkörpere eure Mütter, eure Schwestern, eure ungeborenen Töchter. Ich fordere euch auf, mit mir zu sterben, und erst wieder zum Leben zu erwachen, wenn ich gerächt bin.«
Kahlan machte eine ausladende Handbewegung. »Wer sich mir in dieser Sache anschließt, ist wie ich tot. Nur durch Rache kann uns das Leben wiedergegeben werden. Solange unser Feind lebt, sind wir tot. Wir haben in diesem Kampf kein Leben zu verlieren, denn unser Leben ist bereits verloren, hier und heute, jetzt. Erst wenn jeder einzelne der Zerstörer von Ebinissia erschlagen ist, werden wir wieder leben können. Bis dahin haben wir kein Leben.«
Sie blickte in die ernsten Gesichter der vor ihr angetretenen Männer, die gespannt auf ihre nächsten Worte warteten. Ein milder Lufthauch wehte den blutdurchtränkten Wolfspelz raschelnd gegen ihre Wange. Kahlan zog ihr Messer blank und hielt es in die Höhe, so daß alle es sehen konnten. Dann legte sie sich die Waffe aufs Herz.
»Einen Eid auf die guten Menschen von Ebinissia, die jetzt bei den Seelen weilen, und auf die guten Menschen der Midlands!«
Fast alle Männer folgten ihrem Beispiel und hielten sich das Messer aufs Herz. Sieben taten es nicht, sondern erhoben sich unter leise gemurmelten Flüchen, um sich Mosle anzuschließen. Sechsundsiebzig.
»Rache ohne Erbarmen, erst dann soll uns das Leben wiedergegeben werden!« gelobte sie.
Mit nüchterner Stimme wiederholte jeder einzelne der Männer vor ihr den Eid und verband sich mit allen ändern zu einer unerschütterlichen Einheit.
»Rache ohne Erbarmen, erst dann soll uns das Leben wiedergegeben werden!« Das Donnern ihrer Worte verwehte in der Morgenluft.
Kahlan beobachtete, wie Mosley einen flüchtigen Blick über die Schulter warf, bevor er seinen Männern zurück den Paß hinauf folgte.
Sie richtete ihr Augenmerk wieder auf die Männer vor ihr. »Jetzt seid ihr alle auf diesen Schwur vereidigt. Heute abend werden wir mit dem Töten der Soldaten der Imperialen Ordnung beginnen. Es soll ohne Gnade geschehen. Wir machen keine Gefangenen.«
Diesmal erhob sich kein Jubelgeschrei. Die Männer lauschten in grimmiger Entschlossenheit.
»Wir können nicht länger so weiterziehen, wie ihr es bisher getan habt — mit Karren für unser Gerät und unsere Vorräte. Wir dürfen nur mitnehmen, was wir tragen können. Wir müssen in der Lage sein, den Wald zu durchqueren, die kleinen Pässe zu nehmen, damit wir die Männer, die wir jagen, ausmanövrieren können. Ich habe die Absicht, sie von allen Seiten und nach Belieben anzugreifen, wie Wölfe auf der Jagd. Und wie Wölfe werden wir koordiniert jagen, sie kontrollieren und dirigieren, so wie Wölfe ihre Beute kontrollieren und dirigieren.
Ihr seid Männer dieses Landes. Ihr kennt die Wälder und die Berge ringsum. Seit eurer Kindheit habt ihr in ihnen gejagt. Wir werden uns euer Wissen zunutze machen. Der Feind befindet sich auf fremdem Gebiet und ist mit seinen Karren und seiner großen Zahl auf die breiten Pässe angewiesen. Wir werden nicht länger so behindert sein wie er. Wir werden uns durch das Land ringsum bewegen wie die Wölfe.
Ihr müßt aufteilen, was sich auf den Karren befindet, und in eure Rucksäcke stopfen, was ihr tragen könnt. Laßt die schweren Rüstungen zurück, es kostet zuviel Mühe, sie zu transportieren, außerdem werden wir sie bei unserer Kampfweise nicht benötigen. Nehmt nur die leichten Rüstungen mit, die euch bei einem Gewaltmarsch nicht behindern. An Vorräten nehmt mit, was ihr tragen könnt.
Schnaps oder Bier dürft ihr nicht mitnehmen. Sobald ihr die Bevölkerung von Ebinissia gerächt habt, dürft ihr soviel trinken, wie ihr wollt. Bis dahin werdet ihr es unterlassen. Ich will, daß jedermann zu jeder Zeit wachsam ist. Wir lassen nicht nach, solange unser Feind nicht bis zum letzten Mann getötet ist.
Ein Teil der Lebensmittel, die zurückgelassen werden, soll auf einige der kleineren Karren gepackt werden, die weder bewaffnet noch gepanzert sind. Wir brauchen Freiwillige, die sie dem Feind bringen.«
Unter den Männern machte sich überraschtes, verwirrtes Gemurmel breit.
»Vor uns teilt sich die Straße. Sobald wir die Gabelung hinter uns haben und uns auf dem Weg nach Cellion befinden, werden die Karren mit den Lebensmitteln und dem gesamten Bier die andere Straße nehmen, und schließlich die kleineren Wege, um den Feind zu überholen. Dort werdet ihr ihnen mit diesen Karren auflauern, bis sich ihre Vorhut zeigt, und schließlich deren Weg kreuzen, so daß sie euch sehen. Wenn ihre Vorhut euch erspäht und verfolgt, laßt ihr die Karren zurück und flieht. Überlaßt ihnen die Vorräte und das Bier.
Die Imperiale Ordnung hat fast kein Bier mehr, und heute abend wird sie ihr Glück feiern. Die Männer werden sich betrinken. Ich will, daß sie betrunken sind, wenn wir sie angreifen.«
Dieser Plan rief Jubel unter den Männern hervor.
»Eins sollt ihr wissen: Wir werden sein wie ein Rudel Wölfe, das versucht, einen Bullen zu reißen. Wir sind zwar nicht stark genug, dies mit einem einzigen, tödlichen Streich zu tun, aber wir werden ihm bis zur Erschöpfung zusetzen, ihn zu Boden zerren und ihn töten. Dies wird keine einzelne Schlacht werden, sondern ein stetes Nagen an seiner Flanke, bei dem wir ihm jedesmal einen kleinen Brocken herausreißen, ihn verwunden, schwächen und ausbluten lassen, bis wir schließlich die Oberhand gewinnen und die Bestie töten können.
Heute abend werden wir im Schutz der Dunkelheit in ihr Lager schleichen und blitzschnell zuschlagen. Es muß eine geordnete Aktion werden, kein blindwütiges Gemetzel. Wir werden über eine Liste von Zielen verfügen. Unsere Absicht ist es, den Bullen zu schwächen. Ich habe ihn bereits teilweise geblendet, indem ich den Zauberer getötet habe.
Die Posten und Beobachter werden zuerst überwältigt. Wir werden so viele Männer wie wir können in ihre Kleider stecken. Diese Männer werden in das Lager gehen und unsere Ziele auskundschaften.
Zuallererst müssen wir ihre Fähigkeit zum Gegenschlag mindern. Ich will nicht, daß wir von Kavallerie überrannt werden. Wir müssen also ihre Pferde unschädlich machen. Es hat keinen Sinn, Zeit darauf zu verschwenden, sie zu töten. Es genügt, ihnen die Beine zu brechen. Wir müssen ihre Lebensmittel vernichten. Unsere Armee ist klein genug, um sich von der Jagd, durch Beutezüge und durch Käufe von umliegenden Farmen und Dörfern zu ernähren, eine Armee ihrer Größe jedoch hat einen immensen Bedarf. Die Vernichtung ihrer Lebensmittel wird sie schwächen.
Wir müssen ihre Pfeil- und Federmacher, ihre Bogner und Schmiede töten und alle Handwerker, die Bogen, Pfeile und andere Waffen herstellen und reparieren können. Sie werden säckeweise Gänsefedern besitzen, mit denen sie ihre Pfeile befiedern. Diese müssen gestohlen oder verbrannt werden. Jeder Pfeil, der nicht gemacht wird, ist ein Pfeil, der uns nicht töten kann. Bogenhölzer müssen zerstört werden. Vernichtet ihre Trompeten, wo ihr sie findet, und obendrein die Trompeter. Das wird ihnen die Stimme und den Zusammenhalt nehmen.
Ihre Lanzen, Hellebarden und Argone werden ordentlich zusammengestellt sein. Fünf Sekunden und ein paar Hiebe mit der Axt werden eine große Zahl von ihnen zerstören. Schwere Äxte oder Hämmer werden die Argone zumindest verbiegen und unbrauchbar machen. Jede zerbrochene Lanze, jeder zerbrochene Speer ist ein Speer, der euch nicht töten kann. Wir wollen ihre Zelte verbrennen, um sie der Kälte auszusetzen, ihre Karren verbrennen, so daß sie Gerät jeder Art verlieren.
Von größter Wichtigkeit sind die Offiziere. Ich würde heute abend lieber einen Offizier töten als tausend Mann. Wenn wir ihre Offiziere töten können, wird das sie träge und langsam machen, und es wird leichter werden, den Bullen zu Boden zu zerren.
Wenn irgendeinem von euch noch etwa anderes einfällt, tragt die Ideen mir oder Hauptmann Ryan oder den anderen Offizieren vor. Heute abend ist es nicht in erster Linie unser Ziel, Soldaten zu töten, davon gibt es zu viele. Unser Ziel wird sein, sie zu behindern, sie zu schwächen, sie langsam zu machen, ihnen ihre Siegesgewißheit zu nehmen.
Vor allem jedoch wollen wir ihnen beibringen, was Angst ist. Diese Männer sind es nicht gewohnt, Angst zu haben. Wenn Männer Angst haben, machen sie Fehler. Diese Fehler werden es uns erlauben, sie zu töten. Ich habe vor, ihnen einen Schrecken einzujagen. Später werde ich euch sagen, wie.
Euch bleiben nur wenige Stunden, um alles vorzubereiten, dann werden wir uns in Bewegung setzen. Ich will Posten in doppelter Entfernung. Noch vor ihnen will ich Beobachter, außerdem will ich Kundschafter, die die Imperiale Ordnung nicht aus den Augen lassen. Ich will jederzeit wissen, wo sie sich befinden. Ich will fortlaufend Berichte. Ich will durch nichts überrascht werden. Ich will über alles, was ihr seht, was euch begegnet, informiert werden, ganz gleich, wie belanglos es erscheint. Springt ein Kaninchen zu hoch, ich will es wissen. Ich will nicht, daß sie uns überlisten, wie wir dies mit ihnen vorhaben. Nehmt nichts als selbstverständlich hin.
Mögen die Guten Seelen mit euch sein. Und jetzt fangt an.«
Die Männer setzten sich alle in Bewegung, die Luft war angefüllt von Schritten wie Unterhaltungen. Einer der Leutnants stand in der Nähe, knöpfte seine Jacke auf und gab einigen der Männer ringsum Befehle.
»Leutnant Sloan.« Er hob den Kopf, als die Männer, denen er einen Auftrag gegeben hatte, an die Arbeit gingen. »Kümmert Euch augenblicklich um die Posten und die Beobachter. Ich möchte, daß jeder Eurer Männer, der weiß, wie man weiße Farbe oder Tünche herstellt, die dazu notwendigen Dinge zusammensucht. Wir brauchen irgendwelche großen Bottiche. Ich will, daß Steine heiß gemacht werden, mit denen Zelte beheizt werden können.«
Er stellte ihre eigenartigen Anweisungen nicht in Frage. »Ja, Mutter Konfessor.«
»Kümmert Euch darum, daß die kleinen Karren mit dem Bier und den Lebensmitteln zurechtgemacht werden, aber haltet sie zurück, bis ich den Befehl zur Abfahrt gebe.«
Er schlug kommentarlos die Faust vor die Brust und marschierte von dannen, um seine Aufgaben zu erledigen.
Kahlans Beine fühlten sich an, als könnten sie jeden Augenblick nachgeben. Weil sie keinen Schlaf bekommen und den größten Teil der Nacht im Sattel zugebracht hatte — ganz zu schweigen von der Arbeit, die sie getan, und der Angst, die sie ausgestanden hatte — war sie so müde, daß sie kaum noch richtig sehen konnte. Ihre Schulter schmerzte dort, wo sie der Rückstoß der Lanze getroffen hatte. Die Muskeln ihres linken Beins zitterten von der Anstrengung des bloßen Stehens.
Auch geistig war sie erschöpft. Eine beklemmende Sorge, nicht nur wegen der Ungeheuerlichkeit ihrer Entscheidung, es allein auf sich zu nehmen, die Midlands in den Krieg zu schicken, sondern auch wegen ihrer leidenschaftlichen Bitte an diese Männer, ihr Leben auf ihr Wort hin zu riskieren, untergrub zusätzlich ihre Kraft. Trotz des ungewöhnlich warmen Tages zitterte sie unter ihrem Pelzumhang.
Hauptmann Ryan trat neben sie. Chandalen, Prindin und Tossidin standen am hinteren Ende des Karrens und sahen zu.
Hauptmann Ryan feixte ihr verschmitzt zu. »Gefällt mir.«
Er sprang hinunter und bot ihr die Hand. Sie ignorierte die Hand, sprang wie er hinunter und hielt sich, mehr durch Glück als alles andere, aufrecht auf den Beinen. Sie durfte sein Angebot nicht annehmen, nicht jetzt, nicht angesichts dessen, was sie vorhatte.
»Und nun, Hauptmann, werde ich Euch einen Befehl erteilen, der Euch nicht gefallen wird.« Sie sah ihm in seine blauen Augen. »Schickt Mosle und den Männern, die mit ihm gegangen sind, Soldaten hinterher. Schickt genug, damit Ihr sicher sein könnt, daß die Tat auch vollständig ausgeführt wird.«
»Die Tat?«
»Sie müssen getötet werden. Schickt einen Trupp los und sagt ihnen, sie sollen so tun, als wollten sie sich Mosles Leuten anschließen — damit sie nicht weglaufen, wenn Eure Leute sich nähern. Schickt Eure Kavallerie hinterher, aber nicht in Sichtweite, für den Fall, daß sie in die Wälder fliehen. Wenn sie umzingelt sind, tötet sie. Es sind sechsundsiebzig. Zählt die Leichen, um sicherzustellen, daß alle tot sind. Ich werde sehr ungehalten sein, sollte auch nur ein einziger entkommen.«
Er bekam große Augen. »Aber Mutter Konfessor…«
»Ich tue das nicht zum Vergnügen, Hauptmann. Ihr habt den Befehl gehört.« Sie wandte sich an die drei Schlammenschen. »Prindin, du begleitest die Männer, die er auswählt. Achte darauf, daß die, die sich von uns getrennt haben, bis auf den letzten Mann getötet werden.«
Prindin nickte ihr entschlossen zu. Er begriff die unangenehme Notwendigkeit dessen, was sie tat.
Hauptmann Ryan verkrampfte sich, war der Panik nahe. »Mutter Konfessor … ich kenne diese Männer. Sie sind lange Zeit bei uns gewesen. Ihr habt gesagt, sie wären frei zu gehen. Wir können doch nicht…«
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. Plötzlich wurde ihm bewußt, wie bedrohlich diese Geste war. »Ich tue, was ich tun muß, um unser aller Leben zu retten. Ihr habt Euer Wort gegeben, meine Befehle zu befolgen.« Sie beugte sich weiter zu ihm vor. »Schließt Euch nicht diesen sechsundsiebzig an.«
Endlich nickte er, und sie zog ihre Hand zurück. Sein Blick verriet alles. Er verströmte Haß.
»Ich wußte nicht, daß das Morden bei unseren eigenen Leuten anfangen würde«, meinte er leise.
»Das tut es nicht. Es beginnt mit dem Feind.«
Hauptmann Ryan zeigte wütend den Paß hinauf. »Sie gehen in die entgegengesetzte Richtung der Imperialen Ordnung!«
»Habt Ihr vielleicht angenommen, sie würden genau vor Euren Augen zum Feind überlaufen? Sie haben vor, im Kreis zurückzugehen.« Sie machte kehrt und ging zum Zelt, das man für sie stehengelassen hatte.
Hauptmann Ryan war nicht bereit nachzugeben und ging ihr, gefolgt von Chandalen, Prindin und Tossidin, hinterher. »Wenn Ihr so besorgt seid, wieso habt Ihr sie dann gehen lassen? Warum habt Ihr die Männer nicht umbringen lassen, als sie gehen wollten?«
»Weil ich allen, die sich von uns lossagen und ihre Kameraden verlassen wollten, die Gelegenheit dazu geben mußte.«
»Woraus folgert Ihr, daß uns alle ›Verräter‹ verlassen haben? Es könnten Spione oder Mörder unter uns sein.«
»Ja, das wäre möglich. Doch dafür sehe ich derzeit keinerlei Beweis. Sollte ich welche entdecken, werde ich mich um sie kümmern müssen.«
Vor dem Zelt blieb Kahlan stehen. »Ihr glaubt vielleicht, ich mache bei diesen Männern einen Fehler, aber ich versichere Euch, das ist nicht der Fall. Doch selbst wenn, wäre dies ein Preis, den wir bezahlen müssen. Wenn wir sie ziehen lassen und auch nur ein einziger von ihnen uns verrät, könnten wir noch heute abend in einer Falle getötet werden. Wenn wir sterben, wird es auf lange Sicht niemanden geben, der die Imperiale Ordnung aufhalten kann. Wie viele tausend würden dann sterben, Hauptmann? Sollten diese Männer unschuldig sein, dann habe ich einen fürchterlichen Fehler gemacht, und sechsundsiebzig Männer werden sterben. Habe ich recht, dann rette ich damit Tausenden von unschuldigen Menschen das Leben.
Ihr kennt Eure Befehle, Hauptmann. Führt sie aus.«
Hauptmann Ryan bebte vor Zorn. »Hoffentlich erwartet Ihr nicht, daß ich Euch dies jemals verzeihe.«
»Nein, das tue ich nicht. Ich erwarte nur, daß Ihr meine Befehle befolgt. Es ist mir egal, ob Ihr mich haßt, Hauptmann. Mich interessiert nur, daß Ihr lebt.«
Er biß die Zähne in stummer Verzweiflung aufeinander.
Kahlan ergriff die Zeltklappe. »Hauptmann ich bin so müde, daß ich kaum noch stehen kann. Ich brauche ein paar Stunden Schlaf. Ich will, daß Wachen um das Zelt aufgestellt werden, während ich mich ausruhe.«
Er funkelte sie wütend an. »Und wenn nun einer von ihnen zum Feind gehört? Sie könnten Euch im Schlaf töten.«
»Das wäre möglich. Wenn es dazu kommt, wird einer dieser drei Männer meine Ermordung rächen.«
Hauptmann Ryan zuckte zusammen und funkelte die drei Schlammenschen wütend an. In seinem Zorn hatte er sie ganz vergessen.
Chandalen zog eine Braue hoch und sah ihn an. »Ich werde ihm erst Stöcke in die Augen klemmen, damit sie offenbleiben und er sieht, was ich tue.«
Leutnant Hobson kam herbeigeeilt, eine Schale in den Händen haltend. »Mutter Konfessor, ich habe euch etwas Eintopf gebracht. Ich dachte, vielleicht möchtet Ihr etwas essen. Etwas Warmes.«
Kahlan zwang sich zu einem Lächeln. »Vielen Dank, Leutnant, aber ich bin so müde und fürchte, ich würde es nicht bei mir behalten können. Würdet Ihr es warmhalten, bis ich mich ausgeruht habe?«
»Natürlich, Mutter Konfessor.«
Hauptmann Ryans Blick suchte seinen grinsenden Leutnant. »Ich habe eine Aufgabe für dich, Hobson.«
»Zwei Stunden«, sagte Kahlan, »dann weckt mich. In der Zwischenzeit solltet ihr alle genug zu tun haben, damit ihr euch nicht langweilt.«
Sie schob die Klappe zur Seite und ging ins Zelt, wo sie fast auf der Pritsche zusammenbrach. Sie zog eine Decke über ihre Beine und den Pelzumhang über ihren Kopf, um das Licht auszusperren. Dann lag sie in ihrer kleinen, dunklen, eigenen Welt und zitterte.
Sie hätte in diesem Augenblick ihr Leben gegeben, hätte Richard sie nur für fünf Minuten in die Arme schließen können.