53

Auf der Brücke zur Insel Drahle, in einem Lichtkegel unter einer Laterne, bedrängte sie lautstark eine Gruppe von Burschen und jungen Männern. Viele von ihnen waren elegant gekleidet, einige trugen Roben, und jeder hatte einen Rada’Han um seinen Hals. Aufgeregt stellten sie alle gleichzeitig irgendwelche Fragen, wollte wissen, ob es stimmte, daß Richard einen Mriswith getötet hatte, und wie er aussah. Sie wollten Richard ihre Namen zurufen und verlangten lärmend, er solle sein Schwert ziehen und ihnen zeigen, wie er das sagenumwobene Ungeheuer besiegt hatte.

Pasha wandte sich an den hartnäckigsten Burschen, der ihr bis zur Hüfte reichte. »Ja, Kipp, es stimmt, daß Richard einen Mriswith getötet hat. Schwester Maren ist gerade dabei, ihn zu untersuchen, und wenn sie es für richtig hält, wird sie euch erzählen, um was für eine Art Wesen es sich handelt. Aber ich kann euch versichern, es ist ein furchterregend aussehendes Ungetüm. Und jetzt fort mit euch. Es ist bald Zeit fürs Abendessen.«

Sie waren zwar enttäuscht darüber, nichts weiter zu erfahren, trotzdem versetzte sie das wenig Gehörte in große Aufregung. Gemeinsam stürzten sie davon, um den anderen davon zu berichten.

Nachdem sie Bonnie bei den Ställen zurückgelassen hatten, ging Richard mit Pasha durch Flure und riesige Gemächer und versuchte sich deren Lage einzuprägen. Sie zeigte ihm den Speisesaal der Jungen sowie den Saal, wo die Schwester und einige der älteren jungen Männer speisten. Sie führte ihn auch an den Küchen vorbei, wo die Essensdüfte durch die umliegenden Flure wehten.

Pasha zeigte durch einen mit Flechtwerk versehenen Bogen auf eine elegante Steinmauer, die unter dem ausladenden Geäst von Bäumen verlief. Die Mauer war stellenweise unter Kletterpflanzen verborgen. Große, weiße Blumen sprenkelten das Grün.

»Das sind die Arbeitsräume und Gemächer der Prälatin«, meinte Pasha.

»Wird sie heute abend zum Essen erscheinen?«

Pasha mußte leise kichern. »Nein, natürlich nicht. Die Prälatin hat keine Zeit, mit uns zu Abend zu essen.«

Richard bog ab, verließ das Gebäude und ging über einen Weg auf ein Tor in der Mauer zu.

»Richard! Was tust du? Wo willst du hin?«

»Ich möchte die Prälatin kennenlernen.«

»Du kannst nicht einfach so zu ihr gehen!«

»Warum nicht?«

Sie hastete neben ihm her. »Nun, sie ist eine vielbeschäftigte Frau. Man darf sie nicht belästigen. Außerdem wird man dich nicht vorlassen. Die Posten werden uns nicht einmal durch das Tor lassen.«

Er zuckte mit den Achseln. »Fragen kostet nichts, oder? Anschließend kannst du dann einen Anzug für mich aussuchen, und wir gehen mit den Schwestern zum Abendessen. Einverstanden?«

Das Angebot, sie seinen Anzug aussuchen zu lassen, machte Pasha weich. Sie stotterte, es könne vermutlich nicht schaden zu fragen, und hatte Mühe, Schritt zu halten, während er auf den Posten losmarschierte. Der Posten stellte sich breitbeinig vor das Eisentor und hakte die Daumen in seinen Waffengurt, als Richard kurz vor ihm stehenblieb.

Richard legte dem Mann eine Hand auf die Schulter. »Ich bin untröstlich. Verzeih mir, ja? Ich habe dir doch keine Schwierigkeiten gemacht? Hoffentlich nicht. Sie ist doch hoffentlich nicht schon hier gewesen und hat dich angeschrien?«

Der Mann runzelte verwirrt die Stirn, als Richard sich noch näher zu ihm vorbeugte. »Hör mal … wie lautet dein Name?«

»Schwertmann Andellmere. Kevin Andellmere.«

»Hör zu, Kevin, sie hat gesagt, sie würde den Posten am Westtor schikken, um mich zu holen, wenn ich mich auch nur eine Minute verspäte. Wahrscheinlich hat sie vergessen, dich loszuschicken. Du kannst nichts dafür. Ich verspreche dir, ich werde deinen Namen nicht erwähnen. Hoffentlich bist du nicht böse auf mich.«

Richard hatte Pasha den Rücken zugekehrt. »Du verstehst schon.« Er verdrehte die Augen vielsagend in Richtung Pasha und zwinkerte dem Mann dann zu. Kevin warf einen kurzen Blick auf Pasha, die gerade ihr zerzaustes Haar zu richten versuchte. »Was? Du verstehst mich schon, ich bin ganz sicher. Paß auf, Kevin, angenommen, ich lade dich zu einem Bier ein. Einverstanden? Es wäre besser, wenn ich jetzt hineingehe, bevor ich dich in Schwierigkeiten bringe, aber bevor ich gehe, mußt du mir versprechen, daß ich dich zu einem Bier einladen darf, um es wieder gut zu machen.«

»Na ja, ein Bier könnte ich mir von dir schon ausgeben lassen…«

Richard versetzte Kevin einen Klaps auf die Schulter. »So ist’s recht.«

Pasha folgte Richard dicht auf den Fersen, während er an dem Posten vorbei durch das Tor stürmte. Er drehte sich noch einmal um und winkte Kevin lächelnd zu.

Pasha beugte sich zu ihm hinüber. »Wie hast du das geschafft? Niemand kommt an den Posten der Prälatin vorbei.«

Richard hielt die Tür des Gebäudes für sie auf. »Ich habe ihm einfach zu viel zum Nachdenken gegeben und dazu eine Angst eingeredet, die sich, wie er fürchtet, bewahrheiten könnte.«

Als auf ihr Klopfen hin geantwortet wurde, betraten sie einen schwach beleuchteten Raum mit zwei Schreibtischen und zwei Schwestern.

Pasha machte einen Knicks. »Schwestern, ich bin Novizin Pasha Maes, und dies ist unser neuester Schüler, Richard Cypher. Er möchte gern wissen, ob er vielleicht die Prälatin besuchen dürfte.«

Die beiden Schwestern funkelten sie zornig an. Die rechte sprach. »Die Prälatin ist beschäftigt. Du bist entlassen, Novizin.«

Ein wenig bleich machte Pasha erneut einen Knicks. »Vielen Dank für Eure Zeit, Schwester.«

Richard verneigte sich knapp. »Ja, vielen Dank, Schwestern. Bitte überbringt der Prälatin meine besten Empfehlungen.«

»Ich habe dir doch gesagt, sie wird uns nicht empfangen«, meinte Pasha auf dem Weg nach draußen.

Richard schob seinen Rucksack höher auf die Schulter. »Nun, wenigstens haben wir unser Bestes gegeben. Vielen Dank, daß du es mich hast versuchen lassen.«

Natürlich würde Pasha recht behalten und die Prälatin sie nicht empfangen, das war ihm durchaus klar gewesen, doch er hatte gesehen, weshalb er hergekommen war. Er hatte nur das Gebäude und das Gelände kennenlernen wollen, um später dort Bescheid zu wissen.

Richard hatte seine Meinung über seine Gefangenschaft nicht geändert, hingegen beschlossen, es für eine Weile mit gutem Willen zu versuchen. Er wollte abwarten und sehen, was man ihm beibringen konnte. Nichts wäre ihm lieber, als von dem Halsring befreit zu werden, ohne jemandem weh tun zu müssen.

In dem Gebäude, in welchem sein Zimmer untergebracht war, dem Guillaume-Haus, das, wie Richard erfahren hatte, nach einem Propheten benannt worden war, trat ein junger Mann zögernd aus dem Schatten vor den Marmortreppen im unteren Stock. Sein blonder Lockenkopf war an den Seiten kurz geschnitten. Er hatte die Hände in die gegenüberliegenden Ärmel seiner violetten Robe gesteckt. Silberbrokat umgab Manschetten und Halsöffnung. Wegen seiner geduckten Körperhaltung wirkte er kleiner, als er tatsächlich war.

Er verneigte sich vor Pasha, während seinen blauen Augen nach einem Fleck zu suchen schienen, auf dem sein Blick gefahrlos ruhen konnte.

»Gesegnet seist du, Pasha«, sagte er leise. »Du siehst hübsch aus heute abend. Ich hoffe, es geht dir gut.«

Pasha kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Warren, nicht wahr?« Er nickte heftig mit dem Kopf, überrascht, daß sie seinen Namen kannte. »Es geht mir gut, Warren. Danke der Nachfrage. Dies ist Richard Cypher.«

Warren lächelte Richard schüchtern an. »Ja, ich habe dich gestern vor den Schwestern gesehen.«

»Wahrscheinlich willst du auch etwas über den Mriswith wissen«, meinte Pasha mit einem Seufzer.

»Mriswith?«

»Richard hat einen Mriswith getötet. Hast du nicht deshalb hier gewartet?«

»Tatsächlich? Einen Mriswith? Nein…« Er wandte sich wieder an Richard. »Ich wollte dich fragen, ob du nicht vielleicht irgendwann einmal in die Kellergewölbe gehen möchtest, um dir mit mir die Prophezeiungen anzusehen.«

Richard wollte den jungen Mann nicht in Verlegenheit bringen, doch an Prophezeiungen hatte er kein Interesse. »Dein Angebot ehrt mich, Warren, aber ich fürchte, ich bin nicht sehr gut im Rätselraten.«

Warren wandte den Blick ab und sah zu Boden. »Natürlich. Verstehe. Auch von den anderen interessiert sich kaum einer besonders für die Bücher. Ich dachte bloß, vielleicht, nun ja, als du gestern von dieser besonderen Prophezeiung gesprochen hast, dachte ich, du wolltest dich vielleicht darüber unterhalten. Es ist ein außergewöhnliches Werk. Aber ich verstehe schon. Tut mir leid, daß ich dich damit behelligt habe.«

Richard runzelte die Stirn. »Welche Prophezeiung?«

»Die, von der du am Schluß gesprochen hast. In der es heißt, daß du der, nun ja« — Warren schluckte — »Bringer des Todes seist. Es ist nur so, ich habe noch nie jemanden aus den Prophezeiungen getroffen.« Er blinzelte vor ehrfurchtsvoller Scheu. »Da du in den Prophezeiungen erscheinst, dachte ich, nun ja, ich dachte, vielleicht…« Seine Stimme verlor sich. Er sah zu Boden und machte Anstalten zu gehen. »Aber ich verstehe. Tut mir leid, wenn ich…«

Richard faßte Warren sanft am Arm und zog ihn wieder herum. »Wie schon gesagt, ich bin nicht gut im Rätselraten. Aber vielleicht könntest du mir etwas darüber beibringen, damit ich nicht so unwissend bleibe. Ich lerne gern etwas dazu.«

Warrens Gesicht hellte sich auf. Er schien zu wachsen. Als er sich aufrichtete, war er fast so groß wie Richard.

»Aber gern. Ich würde mich wirklich gern mit dir über diese Prophezeiung unterhalten. Es ist geradezu eine Scherzfrage. Bis heute konnte der Streit darüber nicht beigelegt werden. Vielleicht mit deiner Hilfe…«

Ein breitschultriger Mann in einem schlichtem Gewand mit einem Rada’Han schlich heran, packte Warrens Robe an der Schulter und zog ihn zur Seite. Er ließ Pasha keinen Augenblick lang aus den Augen und lächelte sie aalglatt an.

»Guten Abend, Pasha. Es ist bald Zeit fürs Abendessen. Ich habe beschlossen, dich mitzunehmen.« Sein Blick glitt von oben bis unten an ihr herab, dann wieder hinauf. »Vorausgesetzt, du schaffst es, dich ein wenig zurechtzumachen. Vor allem deine Haare. Du bietest ja ein Bild des Jammers.«

Er wollte gehen. Pasha hakte sich bei Richard unter.

»Ich fürchte, ich habe schon andere Pläne, Jedidiah.«

Jedidiah warf Richard einen flüchtigen Blick zu. »Was denn, mit diesem Bauernburschen? Wollt ihr zwei etwa Holzhacken gehen oder vielleicht Kaninchen häuten?«

»Du bist das«, meinte Richard. »Ich erkenne deine Stimme wieder. Du hast gestern vom Balkon gerufen und gefragt: ›Du ganz allein?‹«

Das herablassende Lächeln schien Jedidiah keine Mühe zu bereiten. »Die Frage war doch angemessen, findest du nicht?«

Pasha hob ihr Kinn. »Richard hat einen Mriswith getötet.«

Jedidiah zog die Augenbrauen in gespieltem Erstaunen hoch. »Hör an, wie tapfer von unserem Bauernburschen.«

»Du hast noch nie einen Mriswith getötet«, mischte sich Warren ein.

Jedidiah warf Warren einem vernichtenden Blick zu. Warren sackte in sich zusammen. »Was machst du eigentlich hier oben, Maulwurf?« Er drehte sich wieder zu Pasha um. »Und, hast du gesehen, wie er ihn getötet hat? Ich würde wetten, er war allein, als er ihn getötet hat, wie er behauptet. Wahrscheinlich hat er einen Mriswith gefunden, der an Altersschwäche gestorben ist, ihn mit seinem Schwert erstochen und dann vor dir damit geprahlt, um Eindruck zu schinden.« Er richtete sein höhnisches Grinsen wieder auf Richard. »Na, ist es nicht ganz genauso passiert, Bauernbursche?«

Richard grinste. »Verdammt, du hast mich ertappt. Ganz genauso war es.«

»Hab’ ich es mir doch gedacht.« Er lächelte Pasha kurz zu. »Komm später zu mir, Kind, dann zeigte dir ein wenig richtige Magie. Die Magie eines Mannes.«

Jedidiah marschierte gebieterisch von dannen und verschwand um eine Ecke. Pasha stemmte ihre Fäuste in die Hüften.

»Warum hast du das gesagt? Warum hast du ihn in dem Glauben gelassen?«

»Ich habe es deinetwegen getan«, meinte Richard. »Ich dachte, es wäre dir lieber, wenn ich aufhöre, dauernd nur Schwierigkeiten zu machen und mich statt dessen benehme wie ein Gentleman.«

Sie verschränkte eingeschnappt die Arme. »Allerdings.«

Richard wandte sich an Warren, der, erneut zusammengesunken, an einem marmornen Geländerpfosten lehnte. »Sollte er dir irgend etwas antun, Warren, möchte ich, daß du zu mir kommst und mir davon erzählst. Ich bin es, der ihm ein Dorn im Auge ist. Sobald er das an dir ausläßt, erzählst du es mir.«

Warrens Miene hellte sich auf. »Wirklich? Danke, Richard. Aber ich glaube, er wird sich kaum mit mir abgeben. Besuch mich im Keller, wenn du Zeit hast.« Er lächelte Pasha schüchtern an. »Gute Nacht, Pasha. War nett, dich wiederzusehen. Du siehst wirklich hübsch aus heute abend. Gute Nacht.«

Sie mußte lächeln. »Gute Nacht, Warren.« Sie sah ihm hinterher, wie er den Flur entlang davoneilte. »Was für ein eigenartiger junger Mann. Fast konnte ich mich nicht an seinen richtigen Namen erinnern. Jeder nennt ihn Maulwurf. Er kommt fast nie aus den Gewölben unter dem Palast nach oben.«

Sie warf Richard einen Seitenblick zu. »Na, und du hast heute abend einen Freund gewonnen, der dir nichts nützen wird, und einen Feind gewonnen, der dir nur schaden kann. Halte dich von Jedidiah fern. Er ist ein erfahrener Zauberer, der kurz vor seiner Entlassung steht. Bevor du nicht gelernt hast, dich mit deinem Han zu verteidigen, kann er dir etwas anhaben. Er kann dich töten.«

»Ich dachte, wir wären eine einzige, große Familie.«

»Es gibt eine Hackordnung unter den Zauberern. Die Zauberer mit der größten Macht wetteifern um die Vorherrschaft. Manchmal wird das sehr gefährlich. Jedidiah ist der Stolz des Palastes und dürfte keinen Gefallen daran finden, wenn ihm ein anderer seine Stellung streitig macht.«

»Für die Macht eines Zauberers bin ich wohl kaum eine Gefahr.«

Pasha runzelte die Stirn. »Jedidiah hat nie einen Mriswith getötet, und jeder weiß das.«

Obwohl Richard sich in der roten Jacke, die Pasha für ihn ausgesucht hatte, entschieden unwohl fühlte, versuchte er den Haferbrei mit Linsen zu genießen, den man extra für ihn zubereitet hatte. Pasha trug ein phantastisches grünes Kleid, das ihre Vorzüge eher preisgab als verhüllte. Richard fand, es zeigte mehr Busen als klug war. Die als Gäste der Schwestern oder der Novizinnen anwesenden jungen Männer kamen kaum zum Essen, soviel gab es zu sehen. Niemandem entging auch nur eine einzige von Pashas Bewegungen.

Viele der jungen Männer mit Halsringen stellten sich Richard vor und äußerten den Wunsch, ihn näher kennenzulernen. Sie versprachen, ihm die Stadt und einige ihrer interessanteren Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Bei Bemerkungen wie der letzteren wurde Pasha rot. Richard erkundigte sich, ob sie wüßten, wo die Posten Bier trinken gingen, und man versprach ihm, ihn dorthin zu begleiten, wann immer er es wünschte.

Schwestern jeden Alters, jeder Gestalt und Größe kamen und begrüßten ihn. Sie alle taten, als hätte der Skandal gestern abend niemals stattgefunden. Als Richard Pasha nach dem Grund fragte, meinte sie, alle Schwestern hätten Verständnis für die Schwierigkeiten, die ein junger Mann bei der Ankunft im Palast habe. Sie sagte, sie seien an derartige Gefühlsausbrüche gewöhnt und nähmen sie sich nicht zu Herzen. Richard behielt den Gedanken für sich, daß sie es sich diesmal besser doch zu Herzen nehmen sollten.

Einige der Schwestern äußerten lächelnd die Hoffnung, sie würden Gelegenheit bekommen, mit ihm zu arbeiten, und ein paar setzten eine finstere Miene auf und versprachen, ihm nichts als allergrößtes Bemühen durchgehen zu lassen. Richard antwortete lächelnd, er wolle immer nur sein Bestes geben. Insgeheim fragte er sich, auf was er sich wohl einließ.

Gegen Ende des Mahles kamen zwei junge Frauen hereingestürzt, die eine in einem seidigen rosa Kleid, die andere in Gelb, blieben an verschiedenen Tischen stehen und tuschelten leise mit anderen Frauen. Schließlich kamen sie in die Ecke, wo Richard und Pasha saßen.

Eine von ihnen beugte sich dicht zu Pasha heran. »Hast du schon gehört?« Pasha starrte mit leerem Blick zurück. »Jedidiah ist eine Treppe hinuntergefallen.« Ihre Augen funkelten, weil sie den Tratsch loswerden konnte. Aufgeregt beugte sie sich noch näher heran. »Er hat sich ein Bein gebrochen.«

Pasha stockte der Atem. »Nein! Wann denn? Wir haben ihn gerade eben noch gesehen.«

Die Frauen kicherten und nickten. »Ja, richtig. Es ist gerade erst passiert, gerade mal vor ein paar Minuten. Die Heilerinnen sind bereits bei ihm. Kein Grund zur Sorge, bis zum Morgen ist er wieder wohlauf.«

»Wie ist das passiert?«

Die Frauen zuckten mit den Achseln. »Er war einfach ungeschickt. Er ist über den Teppich gestolpert und gestürzt.« Sie senkte die Stimme. »Er war so wütend, daß er den Teppich zu Asche verbrannt hat.«

»Zaubererfeuer!« hauchte Pasha ungläubig. »Im Palast? Ein solch schweres Vergehen…«

»Nein, nein, nicht Zaubererfeuer, natürlich nicht, Dummerchen. So frech ist selbst Jedidiah nicht. Trotzdem, es war einer der ältesten Teppiche im Palast. Die Schwestern sind über dieses übellaunige Gehabe nicht begeistert. Sie haben angeordnet, zur Strafe dürfte der Knochen bis zum Morgen nicht gerichtet werden, und er muß die Schmerzen ertragen.«

Als ihnen der Gesprächsstoff schließlich ausging, richteten die beiden jungen Frauen ihre Blicke lächelnd auf Richard. Pasha stellte sie als zwei Freundinnen von ihr vor, Celia und Dulcy, zwei Novizinnen, die selbst Schützlinge hatten. Richard gab sich höflich, lobte ihre hübschen Kleider und die Art, wie sie die Locken in ihrem Haar hergerichtet hatten. Ihre Gesichter strahlten.

Als sie endlich gingen, faßte Pasha ihn am Arm und dankte ihm.

»Wofür?«

»Ich durfte noch nie zusammen mit den Schwestern speisen oder mit den Novizinnen, die einen jungen Mann haben, den sie ausbilden. Dies ist das erste Mal, daß ich am Abendessen teilgenommen habe, so als wäre ich bereits eine Schwester. Du warst höflich und aufmerksam zu allen, ich war so stolz, dich bei mir zu haben. Außerdem siehst du in diesen Kleidern sehr gut aus.«

»Ich bin sicher, in diesem Kleid könntest du einen wohlerzogeneren Tischnachbarn finden als mich.« Richard öffnete den ausgefallenen Kragen seines Hemdes. »Ich habe noch nie einen Kragen mit so vielen Rüschen getragen, oder einen weißen. Oder eine derart rote Jacke. Ich glaube, ich sehe albern aus.«

Auf Pashas Gesicht machte sich ein Grinsen breit, sie war mit sich zufrieden. »Ich kann dir versichern, Celia und Dulcy finden dich ganz bestimmt nicht albern. Mich überrascht, daß du nicht mitbekommen hast, wie sie dich angestrahlt haben. Ich dachte fast, sie würden sich dir glatt auf den Schoß setzen.«

Richard überlegte, wenn Celia und Dulcy die rote Jacke so sehr gefiel, dann sollten sie sie haben; er behielt den Gedanken jedoch für sich. »Wieso trägt ein wichtiger Zauberer wie Jedidiah keine elegante Kleidung?«

»Nur Zaubereranfänger tragen solche Kleidung, und nur ihnen ist es gestattet, in die Stadt zu gehen. An bestimmten Meilensteinen ihrer Entwicklung gehen sie zu einer besondern Art der Kleidung über. Je weiter fortgeschritten ein Zauberer ist, desto bescheidener wird seine Kleidung. Aus diesem Grund trägt Jedidiah ein schlichtes braunes Gewand, denn er hat das Ende seiner Ausbildung fast erreicht.«

»Worin liegt der Zweck einer solchen seltsamen Regelung?«

»Man lernt dadurch Bescheidenheit. Die mit den schönsten Kleidern, den größten Freiheiten und unbegrenzten finanziellen Mitteln sind die, welche die geringste Macht besitzen. Niemand respektiert sie wegen dieser Dinge. Es soll diesen jungen Burschen zeigen, daß Meisterschaft aus dem Innern kommt und nichts mit dem äußerlichen Schmuck zu tun hat.«

»Dann bedeutet das Tragen dieser Kleider für mich eine Degradierung. Ich trug bereits bescheidene Kleidung.«

»Du bist noch nicht berechtigt, bescheidene Kleidung zu tragen. Gelegentlich ist es dir erlaubt, deine eigene Kleidung zu tragen, wenn du das möchtest. War die Kleidung jedoch schlicht, dann ist dies nicht gestattet. Kein Zauberer, der einfache Kleidung trägt, hat die Erlaubnis, in die Stadt zu gehen.« Sie lächelte. »Eines Tages, wenn du weit genug bist, wird man dir erlauben, die Robe eines Zauberers zu tragen.«

»Ich mag keine Roben. Ich mag die Kleidung, die ich anhatte.«

»Wenn du den Halsring losgeworden bist und den Palast verläßt, kannst du tragen, was du willst. Natürlich, die meisten lernen die Kleidung ihres Berufsstandes zu schätzen und tragen sie für den Rest ihres Lebens.«

Richard wechselte das Thema. »Ich möchte Warren besuchen. Erklär mir, wie ich nach dort unten komme.«

»Jetzt? Heute abend? Es war ein langer Tag, Richard, außerdem muß ich dir heute deinen ersten Unterricht geben.«

»Erklär mir nur, wie ich dort hinunterkomme. Wird Warren so spät noch dort unten sein?«

»Ich wüßte nicht, daß man ihn je irgendwo anders gesehen hätte. Wahrscheinlich schläft er auf den Büchern. Ich war überrascht, ihn heute oben im Palast zu sehen. Allein das wird wochenlang Gerede geben.«

»Ich möchte nicht, daß er glaubt, ich hätte ihn vergessen. Erklär mir bloß, wie ich nach dort unten komme.«

»Also schön«, seufzte sie, »wenn du darauf bestehst, dann gehen wir zusammen. Ich soll dich im Palast der Propheten überallhin begleiten. Jedenfalls im Augenblick.«

Загрузка...