8

Kahlan zwang sich zu lächeln. »Also abgemacht, Ihr bleibt hier. Es wird bestimmt … nett, Euch zu Besuch zu haben. Wir beide werden miteinander plaudern, Ihr und ich. Über Richard. Ich meine, ich würde mir gerne anhören, was Ihr über seine Kindheit zu erzählen habt.« Sie merkte, daß sie zu stammeln anfing, und zwang sich, den Mund zu halten.

Nadine strahlte. »Und ich darf im Bett schlafen?«

»Redet keinen Unsinn. Natürlich im Bett. Wo denn sonst?«

»Ich habe eine Decke dabei und könnte auf dem Teppich schlafen, um nicht –«

»Nein. Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich habe Euch eingeladen. Ihr sollt Euch wie zu Hause fühlen, genau wie die anderen Gäste, die dieses Zimmer benutzen.«

Nadine kicherte. »Dann müßte ich auf dem Teppich schlafen. Zu Hause schlafe ich in einem Hinterzimmer über unserem Laden auf Stroh.«

»Nun«, erwiderte Kahlan, »hier werdet Ihr jedenfalls im Bett schlafen.« Sie sah kurz zu Cara hinüber, bevor sie fortfuhr. »Wenn Ihr wollt, werde ich Euch nachher den Palast zeigen, doch zunächst könnt Ihr erst einmal Eure Sachen auspacken und Euch ein wenig erholen, während Cara und ich uns um einige wichtige Angelegenheiten kümmern.«

»Was für Angelegenheiten?« fragte Cara.

Die ganze Zeit über ist die Frau stumm wie ein Stein, dachte Kahlan, und jetzt fängt sie an, neugierig zu werden.

»Angelegenheiten, die einen gewissen Marlin betreffen.«

»Lord Rahl hat uns befohlen, Marlin fernzubleiben.«

»Er ist ein gedungener Mörder, den man geschickt hat, um Richard zu töten. Es gibt Dinge, die ich herausfinden muß.«

»Dann will ich auch mitkommen«, verlangte Nadine. Ihr Blick ging zwischen Kahlan und Cara hin und her. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand einen Menschen töten will, und schon gar nicht Richard. Ich möchte sehen, wie so ein Mensch aussieht. Ich will ihm in die Augen blicken.«

Kahlan schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Das ist wirklich nichts für Euch. Wir müssen ihn verhören, und das wird wahrscheinlich nicht angenehm.«

»Ganz sicher?« fragte Cara, deren Stimme sofort hellwach wurde.

»Wieso?« fragte Nadine. »Was meint Ihr damit?«

Kahlan hob drohend den Zeigefinger. »Das reicht. Ich sage dies zu Eurem eigenen Wohl. Marlin ist gefährlich, und ich will Euch dort unten nicht sehen. Ich gewähre Euch Gastrecht. Daher bitte ich Euch, auch meine Wünsche zu respektieren.«

Nadine senkte den Blick zu Boden. »Natürlich. Verzeiht.«

»Ich werde den Wachen sagen, daß Ihr mein Gast seid. Und falls Ihr einen Wunsch habt – wenn Eure Sachen gewaschen werden sollen oder Ihr ein Bad möchtet – fragt nur, und sie werden veranlassen, daß jemand vom Personal Euch hilft. Ich werde bald zurück sein, dann können wir zu Abend essen und uns unterhalten.«

Nadine drehte sich zu ihrem Beutel auf dem Bett um. »Natürlich. Ich wollte mich nicht aufdrängen. Ich möchte nicht im Weg sein.«

Zögernd legte Kahlan Nadine von hinten eine Hand auf die Schulter. »Ich will Euch nicht herumkommandieren. Mich hat bloß diese Geschichte, daß jemand plant, Richard etwas anzutun, nervös gemacht, das ist alles. Entschuldigt mein rüdes Benehmen vorhin. Ihr seid mein Gast. Bitte fühlt euch ganz wie zu Hause.«

Nadine sah sich lächelnd über die Schulter um. »Verstehe. Danke.«

Sie war wirklich eine sehr hübsche junge Frau: anziehende Figur, ein nettes Gesicht, dazu eine unschuldige Art, trotz all der Wahrheiten, denen sie, wie Kahlan befürchtete, geschickt aus dem Weg ging. Es fiel der Mutter Konfessor nicht schwer, sich vorzustellen, wieso Richard sich zu ihr hingezogen gefühlt hatte.

Sie fragte sich, welche Laune des Schicksals sie, Kahlan, an ihrer Stelle mit Richard zusammengeführt hatte. Wie immer der Grund lautete, sie dankte den Guten Seelen dafür, daß es so war, und betete inständig darum, es möge so bleiben.

Hoffentlich, so wünschte sich Kahlan mehr als alles andere, verschwand dieses heimtückische Geschenk Shotas bald wieder. Sie wollte diese verführerische, wunderhübsche und gefährliche junge Frau nicht in Richards Nähe wissen. Am liebsten hätte sie Nadine fortgeschickt. Wenn sie nur könnte.

Kahlan unterrichtete die Wachen davon, daß Nadine ein Gast sei. Als Kahlan und Cara dann die mit Teppich ausgelegte Treppe am hinteren Ende des Flures hinuntergestiegen waren und auf dem reich geschmückten Absatz standen, faßte Cara Kahlan am Arm und zog sie herum.

»Seid Ihr verrückt?«

»Wovon redet Ihr?«

Cara biß die Zähne aufeinander und beugte sich näher zu ihr. »Eine Hexe schickt Eurem Mann ein Hochzeitsgeschenk – nämlich die Braut –, und Ihr ladet sie noch ein hierzubleiben!«

Kahlan fuhr mit dem Daumen über die polierte Kugel aus Eisenholz, die den Geländerpfosten abschloß. »Ich hatte keine andere Wahl. Ist das nicht offenkundig?«

»Für mich ist nur offenkundig, daß Ihr den Vorschlag dieser kleinen Dirne hättet beherzigen sollen. Ihr hättet ihr den Schädel kahlscheren und sie hinten auf einem Mistkarren davonjagen sollen.«

»Sie ist in dieser Geschichte auch nur ein Opfer. Sie ist eine Schachfigur von Shota.«

»Trotzdem verbirgt sie gern die Wahrheit. Sie will Euren Mann noch immer. Wenn Ihr das nicht in den Augen ablesen könnt, dann seid Ihr nicht so klug, wie ich gedacht habe.«

»Cara, ich vertraue Richard. Ich weiß, daß er mich liebt. Wenn er in seiner Art, die Dinge zu betrachten, eins zugrunde legt, dann ist das Vertrauen und Ergebenheit. Ich weiß, in seinen Händen ist mein Herz sicher.

Wie sähe das aus, wenn ich mich wie die Eifersüchtige aufspielen und Nadine fortschicken würde? Wenn ich ihm mein Vertrauen nicht zeige, dann erweise ich mich seiner Treue nicht als würdig. Ich kann mir nicht leisten, auch nur den Anschein zu erwecken, sein Vertrauen in mich nicht wert zu sein.«

Caras finsterer Blick entspannte sich nicht einmal. »Den Einwand lasse ich nicht gelten. Vielleicht ist das alles richtig, aber es ist nicht der Grund, aus dem Ihr Nadine gebeten habt zu bleiben. Ihr würdet sie genau wie ich am liebsten erwürgen, das sehe ich Euch an den grünen Augen an.«

Kahlan mußte lächeln und versuchte, sich im dunkeln, polierten Eisenholz zu betrachten. Sie sah nur ein undeutliches Abbild ihrer selbst. »Es ist schwer, eine Schwester des Strafers zu täuschen. Ihr habt recht. Ich mußte Nadine bitten hierzubleiben, weil etwas in der Luft liegt, eine Gefahr, und die wird nicht einfach verschwinden, weil ich Nadine fortschicke.«

Cara strich sich mit ihrer behandschuhten Hand eine blonde Strähne aus dem Gesicht. »Eine Gefahr? Was für eine?«

»Genau darin liegt das Problem. Das weiß ich auch nicht. Und wagt nicht, nur mit dem Gedanken zu spielen, ihr etwas anzutun. Ich muß herausfinden, was hier gespielt wird, und möglicherweise benötige ich Nadine dazu. Ich will sie nicht irgendwann jagen müssen, wenn ich sie in Reichweite behalten kann.

Betrachtet es doch einmal von dieser Seite. Wäre es richtig gewesen, Marlin einfach fortzuschicken, als er kam und verkündete, er wolle Richard töten? Wäre damit das Problem gelöst gewesen? Warum behalten wir ihn hier? Um herauszufinden, was gespielt wird, deswegen.«

Cara wischte sich die Salbe aus dem Gesicht, als hätte sie sich dort schmutzig gemacht. »Ich glaube, Ihr holt Euch den Ärger in Euer Bett.«

Kahlan mußte blinzeln, damit ihre Augen aufhörten zu brennen. »Ich weiß. Ich denke genauso. Das offensichtlich Richtige, was ich am allerliebsten tun würde, ist, Nadine auf dem schnellsten Pferd, das ich auftreiben kann, fortzujagen. Nur, so einfach läßt sich kein Problem lösen, schon gar nicht, wenn es von Shota kommt.«

»Ihr meint diese Geschichte, die Shota Nadine erzählt hat, daß der Wind Richard jagt?«

»Das gehört auch dazu. Ich weiß nicht, was das bedeutet, mir erscheint es allerdings wie etwas, das Shota sich zusammengeträumt hat.

Schlimmer noch ist Shotas Segen: ›Mögen die Seelen Richard gnädig sein.‹ Ich weiß nicht, was sie damit sagen will, aber es macht mir angst. Das und daß ich vielleicht den größten Fehler in meinem Leben begehe.

Doch was bleibt mir anderes übrig? Zwei Menschen tauchen am selben Tag auf, der eine soll ihn töten, die andere ihn heiraten. Wer von beiden gefährlicher ist, weiß ich nicht, nur kann ich keinen von beiden einfach fortschicken. Wenn jemand versucht, Euch ein Messer in den Rücken zu stoßen, bringt Ihr Euch nicht dadurch in Sicherheit, daß Ihr die Augen schließt.«

Caras Gesicht wirkte wie das einer Frau, die Verständnis für die Ängste einer anderen hat. »Ich werde Euch den Rücken decken. Wenn sie sich in Lord Rahls Bett einschleicht, werde ich sie verscheuchen, bevor er sie dort überhaupt bemerkt.«

Kahlan drückte Caras Arm. »Danke. Und jetzt laßt uns zur Grube hinuntergehen.«

Cara rührte sich nicht von der Stelle. »Lord Rahl will nicht, daß Ihr dort runtergeht.«

»Seit wann befolgt Ihr Befehle?«

»Seine Befehle befolge ich immer. Besonders die, mit denen es ihm Ernst ist. Und dazu gehört dieser.«

»Na schön. Ihr könnt auf Nadine aufpassen, während ich da runtergehe.«

Cara hielt Kahlan am Ellenbogen fest, als sie sich umdrehen wollte. »Lord Rahl will nicht, daß Ihr Euch in Gefahr begebt.«

»Und ich will nicht, daß er sich in Gefahr begibt. Ich kam mir ziemlich dumm vor, als er all die Fragen stellte, die uns beim ersten Verhör nicht eingefallen sind. Ich will die Antworten auf diese Fragen.«

»Lord Rahl sagte, er werde ihm die Fragen stellen.«

»Er sagte auch, vor morgen abend sei er nicht zurück. Was geschieht in der Zwischenzeit? Was, wenn irgend etwas gespielt wird und es dann schon zu spät ist, dagegen einzuschreiten? Was, wenn Richard getötet wird, weil wir seine Befehle befolgt und untätig herumgesessen haben?

Er hat Angst um mich, und deshalb denkt er nicht klar. Marlin ist im Besitz von Informationen über das, was hier vor sich geht, und es wäre töricht, die Zeit verstreichen zu lassen, während die Gefahr wächst.

Was sagtet Ihr doch gleich zu mir, vorhin? Daß Zögern Euer Ende wäre? Oder das Ende derer, die Ihr liebt?«

Caras Gesicht erschlaffte, dennoch antwortete sie nicht.

»Ich liebe Richard, und ich werde sein Leben nicht dadurch aufs Spiel setzen, daß ich zögere. Ich werde mir die Antworten auf diese Fragen holen.«

Endlich lächelte Cara. »Mir gefällt Eure Art zu denken, Mutter Konfessor. Aber schließlich seid auch Ihr eine Schwester des Strafers. Die Anweisungen waren unüberlegt, wenn nicht gar dumm.

Die Mord-Sith befolgen Lord Rahls törichte Anweisungen nur dann, wenn sein männlicher Stolz auf dem Spiel steht und nicht sein Leben.

Wir werden uns ein wenig mit Marlin unterhalten und auf alle unsere Fragen eine Antwort bekommen – und mehr noch. Wenn Lord Rahl zurückkehrt, werden wir in der Lage sein, ihm die Informationen zu geben, die er braucht – wenn wir der Bedrohung nicht bereits ein Ende gemacht haben.«

Kahlan schlug mit der flachen Hand gegen den runden Endpfosten des Geländers. »Das ist die Cara, die ich kenne.«

Während sie immer weiter nach unten gelangten, unter die Stockwerke mit Teppichen und Wandtäfelungen und in die engen, niedrigen Flure hinein, wo nur noch Lampen Licht spendeten, und noch tiefer, wo nur noch Fackeln den Weg beleuchteten, wurde die frische und frühlingshafte Luft zunächst abgestanden und dann faulig und roch schließlich nach feuchtem, schimmeligem Mauerwerk.

Kahlan hatte diese engen Flure schon häufiger betreten, als ihr eigentlich lieb war. Die Grube war der Ort, wo sie die Geständnisse der Verurteilten entgegennahm. Hier hatte sie auch ihr erstes Geständnis entgegengenommen, von einem Mann, der die Töchter seines Nachbarn umgebracht hatte, nachdem er sich auf unsägliche Weise an ihnen vergangen hatte. Selbstverständlich hatte sie jedesmal ein Zauberer begleitet. Jetzt war sie unterwegs, einen Zauberer aufzusuchen, den man dort unten gefangenhielt.

Als sie außer Hörweite einer Gruppe von Soldaten waren, die eine Kreuzung zweier Treppenaufgänge bewachte, und bevor sie die Abzweigung erreichten, die sie zum Gang mit der Grube führen würde, wo es von den von ihr dort postierten Soldaten nur so wimmelte, warf Kahlan Cara einen Seitenblick zu. Die Mord-Sith war eine attraktive Frau. Wie sie allerdings wachsam den Flur absuchte, hatte sie eine äußerst bedrohliche Ausstrahlung.

»Cara, darf ich Euch eine persönliche Frage stellen?«

Cara verschränkte die Arme hinter dem Rücken und ging forsch weiter. »Ihr seid eine Schwester des Strafers. Nur zu.«

»Vorhin meintet Ihr zu mir, ein Zögern könnte Euer Ende bedeuten oder das Ende derer, die Ihr liebt. Damit meintet Ihr Euch selbst, nicht wahr?«

Cara verlangsamte den Schritt und blieb stehen. Sogar im flackernden Licht der Fackeln konnte Kahlan sehen, daß sie blaß geworden war.

»Also, das ist schon eine sehr persönliche Frage.«

»Ihr müßt sie nicht beantworten. Es sollte nicht wie ein Befehl oder dergleichen klingen. Ich dachte nur … von Frau zu Frau. Ihr wißt soviel über mich, ich dagegen weiß kaum etwas über Euch, außer daß Ihr eine Mord-Sith seid.«

»Ich war nicht immer eine Mord-Sith«, erklärte Cara leise. Alles Bedrohliche war aus ihren Augen gewichen, und sie wirkte eher wie ein verängstigtes kleines Mädchen.

»Vermutlich gibt es keinen Grund, Euch nicht davon zu erzählen. Wie Ihr schon sagtet, ist es nicht meine Schuld, was man mir angetan hat. Dafür waren andere verantwortlich.

In D'Hara wurden jedes Jahr einige Mädchen ausgewählt, die dann zu Mord-Sith ausgebildet wurden. Es hieß, die größte Grausamkeit könne man bei denen erzielen, die die gütigsten Herzen haben. Man zahlte Belohnungen für die Namen von Mädchen, die diese Bedingungen erfüllten. Ich war ein Einzelkind, eine der Bedingungen, und im richtigen Alter. Das Mädchen wurde mitsamt seinen Eltern verschleppt. Die Eltern, damit sie im Verlauf der Ausbildung ermordet werden konnten. Meine Eltern wußten nicht, daß man unsere Namen an die Kopfjäger verschachert hatte.«

Aus Caras Gesicht und Tonfall war jede innere Beteiligung gewichen. Beides war so ausdruckslos, als berichte sie von der Rübenernte im vergangenen Jahr. In ihren Worten aber, wenn schon nicht in ihrem Tonfall, schwangen mehr als genug Gefühle mit.

»Mein Vater und ich waren draußen hinter dem Haus und schlachteten Hühner. Als sie kamen, hatte ich keine Ahnung, was das bedeutete. Mein Vater schon. Da er sie den Hang herunterkommen sah, zwischen den Bäumen, überraschte er sie. Doch waren es mehr, als er entdeckt hatte, mehr, als er überwältigen konnte, und er behielt nur wenige Augenblicke lang die Oberhand.

Er schrie mich an: ›Das Messer, Cari! Cari, hol das Messer!‹ Ich griff danach, weil er es so wollte. Er hielt drei der Männer fest. Mein Vater war kräftig.

Dann schrie er erneut: ›Cari, erstich sie. Stich sie ab! Beeil dich!‹«

Cara sah Kahlan in die Augen. »Ich stand einfach nur reglos da. Ich zögerte. Ich wollte niemanden erstechen. Niemandem weh tun. Ich stand einfach da. Ich konnte nicht mal die Hühner töten. Das hatte er getan.«

Kahlan wußte nicht, ob Cara ihre Erzählung fortsetzen würde. In der Totenstille entschied sie, wenn nicht, dann würde sie auch nicht weiterfragen. Cara wich Kahlans Blick aus und starrte ins Leere, in die Bilder ihrer Gedanken. Dann fuhr sie fort.

»Plötzlich war jemand neben mir. Ich werde das mein Lebtag nicht vergessen. Ich sah hoch, und da stand diese Frau, diese wunderschöne Frau, die schönste Frau, die ich je zu Gesicht bekommen hatte, mit blauen Augen und blonden, zu einem langen Zopf gebundenen Haaren. Das Sonnenlicht, das durch die Blätter fiel, tanzte in kleinen Punkten auf ihrer roten Lederkleidung.

Sie blickte lächelnd auf mich herab und nahm mir das Messer aus der Hand. Dabei lächelte sie nicht liebenswert, sondern wie eine Schlange. So nannte ich sie im stillen danach immer – Schlange. Als sie sich aufrichtete, sagte sie: ›Ist das nicht süß? Die kleine Cari will niemandem mit ihrem Messer weh tun. Dieses Zögern hat dich gerade zur Mord-Sith gemacht, Cara. Damit fängt es an.‹«

Cara stand wie zu Stein erstarrt da. »Sie hielten mich in einem kleinen Zimmer gefangen, mit einem kleinen Gitter unten in der Tür. Ich konnte nicht raus. Aber die Ratten konnten herein. Nachts, wenn ich mich nicht mehr länger wach halten konnte und einschlief, kamen die Ratten in meine kleine leere Zelle geschlichen und bissen mich in die Fingerspitzen und Zehen.

Die Schlange schlug mich halbtot, weil ich versuchte das Gitter zu verstopfen. Ratten mögen Blut. Das macht sie ganz aufgeregt.

Ich lernte, zusammengerollt zu schlafen, wobei ich meine Hände zu Fäusten ballte und an meinen Bauch preßte, damit sie nicht an meine Finger herankamen. Dafür waren meine Zehen ungeschützt. Ich zog mein Hemd aus und wickelte es um meine nackten Füße, doch wenn ich dann nicht auf dem Bauch schlief, bissen sie mich in die Brustwarzen. Mit nackter Brust auf dem kalten Steinfußboden zu liegen, die Hände unter den Bauch gesteckt, war an sich schon eine Qual, wenigstens blieb ich für gewöhnlich dadurch länger wach. Wenn die Ratten nicht an meine Zehen herankamen, bissen sie mich irgendwo anders – in die Ohren, die Nase oder die Beine –, bis ich erschrocken aus dem Schlaf hochfuhr und sie verscheuchte.

Nachts konnte ich zudem die anderen Mädchen schreien hören, wenn sie von Ratten wachgebissen wurden. Immerzu weinte eines von ihnen oder rief nach seiner Mutter. Manchmal merkte ich, daß es meine eigene Stimme war, die ich da rufen hörte.

Oft wachte ich auf, weil die Ratten mit ihren kleinen Krallen über mein Gesicht kratzten, ihre kleinen Barthärchen meine Wangen streiften, während sie die kalte Nase an meine Lippen preßten, um dort schnuppernd nach Krumen zu suchen. Ich beschloß, die Mahlzeiten, die sie mir brachten, nicht mehr zu essen, und ließ die Schale mit dem Haferschleim und dem Kanten Brot auf dem Fußboden stehen, in der Hoffnung, die Ratten würden mein Abendessen fressen und mich in Ruhe lassen.

Es funktionierte nicht. Das Essen lockte bloß noch mehr Ratten an, ganze Horden, und wenn es dann aufgefressen war … Danach aß ich stets mein Abendbrot bis zum letzten Krümel, sobald die Schlange es brachte.

Manchmal verhöhnte sie mich dann. Sie sagte: ›Zögere nicht, Cara, sonst fressen dir die Ratten alles weg.‹ Ich wußte, was sie mit ›Zögere nicht‹ meinte. Das war ihre Art, mich daran zu erinnern, welchen Preis mein Zögern mich und meine Eltern gekostet hatte. Während sie meine Mutter vor meinen Augen zu Tode folterten, sagte die Schlange: ›Siehst du, was passiert, weil du gezögert hast, Cara? Weil du zu ängstlich warst?‹ Man brachte uns bei, Darken Rahl sei ›Vater Rahl‹. Wir hätten keinen Vater außer ihm. Als ich zum dritten Mal gebrochen wurde, als sie mir befahlen, meinen richtigen Vater zu Tode zu foltern, forderte mich die Schlange auf, nicht zu zögern. Ich tat es nicht. Mein Vater flehte um Gnade. ›Cari, bitte‹, weinte er. ›Cari, erspar dir, das zu werden, was sie von dir verlangen.‹ Ich aber zögerte keinen Augenblick. Danach war Darken Rahl mein einziger Vater.«

Cara hielt ihren Strafer in die Höhe und starrte darauf, während sie ihn durch die Finger laufen ließ. »Dadurch verdiente ich mir meinen Strafer. Den Strafer, mit dem sie mich ausgebildet hatten. Ich verdiente mir den Namen Mord-Sith.«

Cara blickte Kahlan nun wieder in die Augen, wie aus großer Ferne und nicht nur über die zwei Schritte hinweg, die sie voneinander trennten. Von jenseits des Wahnsinns. Eines Wahnsinns, den andere ihr eingepflanzt hatten. Kahlan kam sich vor, als verwandelte das, was sie in den Tiefen dieser blauen Augen erblickte, auch sie in Stein.

»Ich war eine Schlange. Ich stand im Sonnenlicht, beugte mich über junge Mädchen und nahm ihnen das Messer aus der Hand, wenn sie zögerten, weil sie niemandem weh tun wollten.«

Kahlan hatte Schlangen nie ausstehen können. Jetzt fand sie sie noch ekelhafter.

Tränen liefen ihr über die Wangen und hinterließen dabei feuchte Spuren. »Das tut mir leid, Cara«, sagte sie leise. Ihr drehte sich der Magen um. Sie hätte nichts lieber getan, als die Arme um diese Frau in rotem Leder zu schlingen, aber sie war zu keiner Bewegung fähig.

Die Fackeln knisterten. In der Ferne hörte man gedämpfte Gesprächsfetzen der Wachen. Leises Gelächter hallte ihnen durch den Gang entgegen. Wasser, das aus der steinernen Decke schwitzte, plätscherte nicht weit entfernt in eine kleine, grüne Pfütze. Kahlan konnte ihr eigenes Herz in den Ohren pochen hören.

»Lord Rahl hat uns davon befreit.«

Kahlan mußte daran denken, wie Richard ihr erzählt hatte, daß er beim Anblick der zwei anderen Mord-Sith, die beim Verfüttern der Samenkörner an die Backenhörnchen angefangen hatten herumzualbern, fast in Tränen ausgebrochen sei. Nun verstand sie. Richard hatte den Wahnsinn begriffen. Kahlan wußte nicht, ob diese Frauen jemals wieder daraus zurückkehren würden, aber wenn sie eine Chance hatten, dann nur wegen ihm.

Die eiserne Härte kehrte in Caras verbitterten Gesichtsausdruck zurück. »Gehen wir und finden wir heraus, was Marlin Lord Rahl antun wollte. Aber erwartet nicht von mir, daß ich sanft mit ihm umspringe, wenn er zögert zu gestehen.«


Ein d'Haranischer Soldat entriegelte die Eisentür unter Unterkommandant Collins wachsamen Blicken und trat zurück, als sei das verrostete Schloß alles, was die Menschen im Palast vor der finsteren Magie dort unten in der Grube schützte. Zwei weitere kräftige Soldaten zogen mühelos die schwere Leiter herbei.

Bevor Kahlan die Tür öffnen konnte, hörte sie Stimmen und Schritte näher kommen. Alle drehten sich um und sahen den Gang hinauf.

Es war Nadine in Begleitung von vier Soldaten.

Nadine rieb sich die Hände, als wollte sie sie wärmen, während sie mitten unter die kräftigen, in Leder gekleideten Soldaten trat.

Kahlan erwiderte das strahlende Lächeln der Frau nicht.

»Was habt Ihr hier unten verloren?«

»Nun, Ihr sagtet, ich sei Euer Gast. So schön Eure Gemächer auch sind, ich wollte mich ein wenig umsehen. Ich bat die Wachen, mir den Weg nach hier unten zu zeigen, weil ich diesen Mörder sehen wollte.«

»Ich habe gesagt, Ihr sollt in Eurem Zimmer bleiben. Ich wollte nicht, daß Ihr nach hier unten kommt.«

Nadine legte ihre zarte Stirn in Falten. »Ich bin es ein wenig leid, wie eine Hinterwäldlerin behandelt zu werden.« Sie reckte die feine Nase in die Höhe. »Ich bin Heilerin. Wo ich herkomme, werde ich respektiert. Die Menschen hören auf mich, wenn ich etwas sage. Wenn ich jemandem etwas auftrage, führt er es auch aus. Sage ich einem Ratsmitglied, er soll dreimal täglich einen Trank zu sich nehmen und das Bett hüten, dann trinkt er sehr wohl dreimal täglich im Bett seine Medizin, bis ich ihm mitteile, daß er es verlassen darf.«

»Es interessiert mich nicht, wer springt, wenn Ihr den Mund aufmacht«, entgegnete Kahlan. »Hier hört Ihr auf mein Kommando. Habt Ihr das begriffen?«

Nadine preßte die Lippen aufeinander und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Jetzt hört mal gut zu. Ich habe gefroren, ich hatte Hunger und war verängstigt. Menschen, die ich nicht kenne, hielten mich zum Narren. Ich habe mich um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert und mein eigenes Leben gelebt, bis ich dann auf diese sinnlose Reise geschickt wurde, nur um in einem Palast zu landen, wo die Menschen mich dafür, daß ich ihnen helfen will, wie eine Aussätzige behandeln. Menschen, die ich nicht kenne, brüllen mich an, und ein Junge, mit dem ich zusammen aufgewachsen bin, demütigt mich.

Ich dachte, ich würde diesen Mann heiraten, aber diesen Teppich hat man mir unter den Füßen weggerissen. Er will nicht mich, sondern Euch. Wäre Richard nicht gewesen, dann wäre ich jetzt Tommys Frau. Statt dessen mußte Tommy Rita Wellington heiraten. Wäre Richard nicht gewesen, dann wäre ich diejenige, die ständig ein blaues Auge hat. Ich würde barfuß in seiner Hütte hocken und müßte die Brut dieses schweinsgesichtigen, brutalen Kerls austragen.

Tommy hat sich über mich lustig gemacht, weil ich Kräuter mische, um Menschen zu heilen. Er sagte, es sei idiotisch, wenn ein Mädchen Kräuter mischt. Er meint, wenn mein Vater jemanden wollte, der in seinem Laden arbeitet und der mit Kräutern hantiert, die die Kranken benötigen, hätte er einen Jungen bekommen sollen. Ohne Richard hätte ich keine Chance gehabt, Heilerin zu werden.

Nur weil ich nicht seine Frau werde, heißt das nicht, daß er mir gleichgültig ist. Ich bin mit ihm aufgewachsen. Er ist trotz allem ein Junge aus meiner Heimat. Wir kümmern uns umeinander, als wären wir eine Familie, auch wenn das so vielleicht nicht stimmt. Ich habe ein Recht, zu erfahren, wer dieser Mann aus Eurer Welt ist, der den Jungen aus meiner Heimat töten will, dem ich so viel zu verdanken habe!«

Kahlan war nicht in der Stimmung, sich lange zu streiten. Sie war auch nicht in der Stimmung, der Frau den Anblick dessen, was sie zu Gesicht bekommen würde, zu ersparen.

Sie sah prüfend in Nadines braune Augen und versuchte herauszufinden, ob es stimmte, was Cara gesagt hatte, daß nämlich Nadine noch immer hinter Richard her war. Wenn, dann war es für Kahlan allein durch einen Blick nicht festzustellen.

»Ihr wollt den Mann sehen, der Richard und mich töten will?« Kahlan packte den Hebel und warf die Tür auf. »Also schön. Der Wunsch soll Euch erfüllt werden.«

Sie gab den Männern ein Zeichen, die daraufhin die Leiter durch die Türöffnung hinab in die Dunkelheit schoben, wo sie mit einem dumpfen Schlag landete. Kahlan riß eine Fackel aus einer Halterung und drückte sie Cara in die Hand.

»Dann wollen wir Nadine mal zeigen, worauf sie so erpicht ist.«

Cara überzeugte sich, daß Kahlans Entschlossenheit durch nichts zu erschüttern war, dann begann sie die Leiter hinabzusteigen.

Kahlan hielt ihr einladend den Arm hin. »Willkommen in meiner Welt, Nadine. Willkommen in Richards Welt.«

Nadines Entschlossenheit geriet nur für einen Moment ins Wanken, dann plusterte sie beleidigt die Wangen auf und stieg hinter Cara die Leiter hinab.

Kahlan drehte sich kurz zu den Wachen um. »Unterkommandant Collins, wenn der Gefangene vor uns durch diese Tür kommt, wäre es besser, wenn er diesen Gang nicht lebend verläßt. Er hat die Absicht, Richard umzubringen.«

»Auf mein Wort als d'Haranischer Soldat, Mutter Konfessor, kein Unheil wird auch nur einen flüchtigen Blick auf Lord Rahl werfen können.«

Ein Handzeichen von Unterkommandant Collins genügte, und die Soldaten zogen den Stahl blank. Bogenschützen legten Pfeile auf. Kräftige Hände hakten halbkreisförmige Streitäxte von Waffengürteln los.

Kahlan nickte dem Unterkommandanten anerkennend zu, nahm sich eine Fackel und machte sich daran, die Leiter hinabzuklettern.

Загрузка...