14

In der vollkommenen Stille hörte man nur, wie Richard mit dem Daumennagel auf eine der Spitzen des zurückgebogenen Handschutzes seines Schwertes klickte. Der Ellenbogen seines anderen Armes ruhte auf dem polierten Tisch, während er den Kopf mit dem Daumen unter seinem Kinn und dem Zeigefinger an seiner Schläfe stützte. Gelassener Miene bemühte er sich, seinen Zorn im Zaum zu halten. Er war außer sich. Diesmal waren sie zu weit gegangen, und das wußten sie.

In Gedanken war er die gesamte Liste mit möglichen Strafen durchgegangen, hatte sie aber allesamt verworfen, nicht weil sie zu streng waren, sondern weil er wußte, daß sie nichts bewirken würden. Schließlich entschied er sich für die Wahrheit. Nichts war härter als die Wahrheit, und bei nichts anderem war die Wahrscheinlichkeit so groß, daß es ihm gelang, zu ihnen durchzudringen.

Berdine, Raina, Ulic und Egan warteten in einer Reihe vor ihm. Stocksteif standen sie da, die Augen auf irgendeinen Punkt hinter seinem Kopf gerichtet, während er an dem Tisch in dem kleinen Zimmer saß, das er als Empfangs- und Arbeitszimmer benutzte.

An der Wand neben dem Tisch hingen kleine Landschaftsbilder mit idyllischen ländlichen Szenen, durch das Fenster aber, durch das die Strahlen der Morgensonne in flachem Winkel fielen, funkelte das massige Antlitz der Burg der Zauberer unheilvoll auf ihn herab.

Er war erst seit einer Stunde wieder in Aydindril – lange genug, um in Erfahrung zu bringen, was seit seinem Aufbruch am vergangenen Abend vorgefallen war. Seine vier Bewacher waren seit vor Einbruch der Dämmerung zurück. Als Raina und Egan am Abend zuvor ins Lager hereinspaziert waren, hatte er ihnen den Befehl erteilt, nach Aydindril zurückzukehren. Sie hatten geglaubt, er würde sie nicht mitten in der Nacht zurückschicken. Darin hatten sie sich getäuscht. So unverschämt sie sonst auch waren, der Blick in seinen Augen hatte dafür gesorgt, daß keiner der vier es wagte, sich zu widersetzen.

Auch Richard war viel früher als geplant zurückgekehrt. Er hatte den Soldaten die Löscheichen gezeigt, hatte ihnen erklärt, was sie davon sammeln sollten, und war dann, anstatt die Arbeiten zu beaufsichtigen, noch vor Sonnenaufgang wieder nach Aydindril aufgebrochen. Nach dem, was er in jener Nacht gesehen hatte, war er zum Schlafen zu nervös gewesen und hatte so schnell wie möglich wieder in Aydindril sein wollen.

Während er mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte, beobachtete Richard, wie seine Bewacher schwitzten. Berdine und Raina trugen ihre braune Lederkleidung. Ihre langen, geflochtenen Zöpfe waren durch den harten Ritt in Unordnung geraten.

Die beiden gewaltigen, blondschöpfigen Soldaten, Ulic und Egan, trugen dunkle Lederuniformen.

Die dicken Lederharnische waren so geformt, daß sie wie eine zweite Haut über den deutlichen Konturen ihrer Muskeln lagen. Mitten auf der Brust, in das Leder eingekerbt, sah man den verschnörkelten Buchstabe ›R‹, der für das Haus Rahl stand, und darunter zwei gekreuzte Schwerter. Um die Arme, gleich über den Ellenbogen, trugen sie goldene Reifen, auf denen rasiermesserscharfe Dorne blinkten – Waffen für den Nahkampf.

Kein D'Haraner außer Lord Rahls persönlichen Leibwächtern trug solche Waffen. Es waren die seltensten, höchsten Ehrenzeichen, die sie sich, er wußte nicht wie, verdient hatten.

Richard hatte die Herrschaft über ein Volk angetreten, das er nicht kannte, mit Bräuchen, die ihm größtenteils ein Rätsel waren, und Erwartungen, die er nur teilweise begriff.

Auch diese vier hatten seit ihrer Rückkehr herausgefunden, was am Abend zuvor mit Marlin geschehen war. Sie wußten, weshalb man sie gerufen hatte, aber bislang hatte er noch nicht zu ihnen gesprochen. Er versuchte erst seine Wut in den Griff zu bekommen.

»Lord Rahl?«

»Ja, Raina?«

»Seid Ihr erzürnt über uns? Weil wir Eure Befehle nicht befolgt haben und mit der Nachricht der Mutter Konfessor zu Euch rausgekommen sind?«

Die Nachricht war ein Vorwand gewesen, und das wußten sie ebensogut wie er.

Klick, klick, klick machte sein Daumennagel. »Das wäre alles. Ihr könnt gehen. Alle miteinander.«

Ihre Haltung entspannte sich, doch niemand machte Anstalten zu gehen.

»Gehen?« fragte Raina. »Werdet Ihr uns nicht bestrafen?« Ein spöttisches Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Vielleicht eine Woche lang die Ställe ausfegen oder so etwas?«

»Nein, Raina. Ihr werdet nicht bestraft. Ihr dürft gehen.«

Die beiden Mord-Sith schmunzelten. Berdine beugte sich zu Raina hinüber und flüsterte ihr etwas zu, laut genug, daß er es hören konnte.

»Er hat erkannt, daß wir am besten wissen, wie man ihn beschützt.«

Alle zusammen traten sie zur Tür.

»Bevor Ihr geht«, sagte Richard und kam gemächlich um den Tisch herum, »möchte ich, daß Ihr eins wißt.«

»Und das wäre?« fragte Berdine.

Richard ging an ihnen vorbei und blieb dabei lange genug stehen, um allen in die Augen zu blicken.

»Daß ich enttäuscht von Euch bin.«

Raina verzog das Gesicht. »Ihr seid von uns enttäuscht? Ihr werdet uns nicht anschreien oder bestrafen, Ihr seid einfach nur enttäuscht?«

»So ist es. Ihr habt mich enttäuscht. Ich dachte, ich könnte Euch vertrauen. Dem ist nicht so.« Richard wandte sich ab. »Wegtreten!«

Berdine räusperte sich. »Lord Rahl, Ulic und ich haben Euch auf Euren Befehl hin begleitet.«

»Tatsächlich? Hätte ich also Euch anstelle von Raina hiergelassen, um Kahlan zu beschützen, dann hättet Ihr meinen Befehl befolgt und wärt hiergeblieben?« Sie antwortete nicht. »Ich habe auf Euch alle gezählt, und Ihr habt mich zum Narren gemacht, weil ich Euch vertraut habe.« Er ballte die Hände zu Fäusten, um nicht loszubrüllen. »Ich hätte mich persönlich um Kahlans Schutz gekümmert, wenn ich gewußt hätte, daß ich mich nicht auf Euch verlassen kann.«

Richard stützte sich mit einem Arm an der Fensterscheibe ab und starrte hinaus in den kalten Frühlingsmorgen. Die vier hinter ihm traten verlegen von einem Fuß auf den anderen.

»Lord Rahl«, wagte sich Raina schließlich vor, »für Euch würden wir unser Leben hergeben.«

Richard drehte sich zu ihnen um. »Und dabei Kahlan sterben lassen!« Er bemühte sich, seinen Ton zu mäßigen. »Ihr könnt Euer Leben opfern, soviel Ihr wollt. Spielt Eure Spielchen, ganz wie es Euch beliebt. Tut so, als tätet Ihr etwas Wichtiges. Spielt, Ihr seid meine Leibwächter. Nur kommt mir nicht in die Quere, und auch nicht den Leuten, die mir bei der schwierigen Aufgabe helfen, der Imperialen Ordnung Einhalt zu gebieten.«

Er deutete mit einer knappen Handbewegung auf die Tür. »Wegtreten.«

Berdine und Raina sahen sich an. »Wir werden draußen auf dem Gang sein, falls Ihr uns braucht, Lord Rahl.«

Richard bedachte sie mit einem solch kalten Blick, daß ihnen die Farbe aus dem Gesicht wich. »Ich brauche Euch nicht mehr. Ich kann keine Menschen gebrauchen, denen ich nicht vertrauen kann.«

Berdine mußte schlucken. »Aber –«

»Aber was?«

Sie schluckte erneut. »Was ist mit Kolos Tagebuch? Wollt Ihr nicht, daß ich Euch bei der Übersetzung helfe?«

»Das schaffe ich schon. Sonst noch was?«

Sie schüttelten allesamt den Kopf.

Nacheinander verließen sie das Zimmer. Raina, am Ende der Reihe, zögerte und drehte sich noch einmal um. Ihre dunklen Augen hielten sich am Boden fest.

»Lord Rahl, werdet Ihr uns später mit hinausnehmen, um die Backenhörnchen zu füttern?«

»Ich habe zu tun. Sie werden auch ohne uns wunderbar zurechtkommen.«

»Aber … was ist mit Reggie?«

»Mit wem?«

»Reggie. Das ist der, dem das Stückchen am Ende des Schwanzes fehlt. Er … er … hat in meiner Hand gesessen. Er wird nach uns suchen.«

Richard betrachtete sie eine von Schweigen erfüllte Ewigkeit lang. Er schwankte hin und her zwischen dem Wunsch, sie in den Arm zu nehmen oder sie anzuschreien. Mit der Umarmung hatte er es jedenfalls schon versucht, und das hätte Kahlan beinahe das Leben gekostet.

»Vielleicht ein andermal. Wegtreten.«

Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Jawohl, Lord Rahl.«

Raina zog leise die Tür hinter sich zu. Richard harkte sich die Haare nach hinten und ließ sich in seinen Sessel fallen. Mit einem Finger drehte er Kolos Tagebuch langsam auf dem Tisch und biß dabei die Zähne aufeinander. Kahlan hätte sterben können, während er unterwegs war und nach irgendwelchen Bäumen gesucht hatte. Kahlan hätte sterben können, während die Menschen, von denen er glaubte, daß sie sie beschützten, ihre eigenen Pläne verfolgten.

Ihm schauderte bei der Vorstellung, was die zusätzliche Magie, der zusätzliche Zorn seines Schwertes anrichten würde, wenn er es in diesem Augenblick blankzöge. Er konnte sich nicht erinnern, jemals ohne das Schwert in der Hand so wütend gewesen zu sein. Er konnte sich den Zorn der Magie des Schwertes zusätzlich zu seinem eigenen nicht vorstellen.

Die Worte aus der Prophezeiung auf der Felswand in der Grube gingen ihm in ihrer gespenstischen höhnischen Endgültigkeit immer wieder durch den Kopf.

Ein leises Klopfen ließ die hundertste geflüsterte Wiederholung der Prophezeiung in seinem Kopf verstummen.

Es klopfte. Er wußte, wer es war.

»Kommt herein, Cara.«

Die hochgewachsene, blonde Mord-Sith schlüpfte durch die Tür und drückte sie mit dem Rücken zu. Sie hielt den Kopf gesenkt und sah so elend aus, wie er sie noch nie gesehen hatte.

»Kann ich Euch sprechen, Lord Rahl?«

»Warum tragt Ihr Euer rotes Leder?«

Sie schluckte, bevor sie antwortete. »Das ist eine … Mord-Sith-Angelegenheit.«

Er fragte nicht nach einer Erklärung. Im Grunde war es ihm egal. Sie war es, auf die er gewartet hatte. Sie war es, um die sein ganzer Zorn kreiste.

»Verstehe. Was wollt Ihr?«

Cara näherte sich dem Tisch und stand mit hängenden Schultern da. Um den Kopf trug sie eine Bandage. Man hatte ihm jedoch berichtet, die Verletzung sei nicht ernst. An den roten Rändern um ihre Augen war deutlich zu erkennen, daß sie in der letzten Nacht nicht geschlafen hatte. »Wie geht es der Mutter Konfessor heute morgen?«

»Als ich sie verließ, ruhte sie sich gerade aus. Sie wird sich wieder erholen. Ihre Verletzungen waren nicht ernsthaft, nicht so ernsthaft, wie sie leicht hätten sein können. Wenn man bedenkt, was passiert ist, kann sie von Glück reden, daß sie noch lebt. Wenn man bedenkt, daß sie überhaupt erst gar nicht hinunter zu Marlin hätte gehen dürfen, wenn man bedenkt, daß ich Euch ausdrücklich gesagt habe, niemand von Euch solle die Grube betreten.«

Cara schloß die Augen. »Es war allein mein Fehler, Lord Rahl. Ich war es, die sie dazu überredet hat. Ich wollte Marlin verhören. Sie hat versucht, mich davon abzuhalten. Sie kam nur mit, um darauf zu achten, daß ich ihn in Frieden lasse, wie Ihr es befohlen hattet.«

Wäre Richard nicht so wütend gewesen, hätte er womöglich gelacht. Selbst wenn Kahlan ihm die Wahrheit nicht gestanden hätte, so kannte er Cara gut genug, um ihre Beichte als pure Erfindung abzutun. Er wußte zudem auch, daß Cara sich nicht besonders angestrengt hatte, um Kahlan von dem Meuchelmörder fernzuhalten.

»Ich dachte, ich hätte ihn unter Kontrolle. Ich habe einen Fehler gemacht.«

Richard beugte sich nach vorne. »Hatte ich Euch nicht ausdrücklich gesagt, daß ich nicht will, daß eine von Euch dort runtergeht?«

Ihre Schultern bebten, als sie gesenkten Kopfes nickte.

»Ja, Lord Rahl.«

»War Euch in irgendeiner Weise unklar, wie ich das meinte?«

»Nein, Lord Rahl.«

Richard lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Das war der Fehler, Cara. Versteht Ihr das? Nicht, daß Ihr keine Kontrolle über ihn hattet – das überstieg Eure Fähigkeiten. Dort hinabzusteigen war eine Entscheidung, die Ihr selbst getroffen habt. Darin bestand Euer Fehler.

Ich liebe Kahlan mehr als alles andere auf dieser oder irgendeiner anderen Welt. Nichts ist mir so wertvoll. Ich habe darauf vertraut, daß Ihr sie beschützt, daß Ihr für ihre Sicherheit sorgt.«

Das Licht, das durch das Scherengitter drang, spielte in Tupfern über ihre rote Lederkleidung – wie Sonnenschein, der durch ein Blätterdach fällt.

»Lord Rahl«, sagte sie kleinlaut, »ich bin mir über das Ausmaß meines Fehlers und seine Bedeutung vollkommen im klaren.

Lord Rahl, würdet Ihr mir eine Bitte gewähren?«

»Die wäre?«

Sie fiel auf die Knie und beugte sich flehend nach vorn. Sie nahm ihren Strafer und hielt ihn in beiden Händen.

»Darf ich die Art meiner Hinrichtung wählen?«

»Was?«

»Eine Mord-Sith trägt bei ihrer Hinrichtung stets ihre rote Lederkleidung. Hat sie bis dahin ehrenhaft gedient, erhält sie die Erlaubnis, die Art ihrer Hinrichtung selbst zu wählen.«

»Und wofür würdet Ihr Euch entscheiden?«

»Für meinen Strafer, Lord Rahl. Ich weiß, ich habe Euch enttäuscht – ich habe ein unverzeihliches Verbrechen begangen – aber in der Vergangenheit habe ich ehrenvoll gedient. Bitte! Erlaubt, daß es mit meinem Strafer geschieht. Das ist mein einziger Wunsch. Entweder Berdine oder Raina kann die Hinrichtung durchführen. Sie wissen, wie.«

Richard kam um den Tisch herum. Er lehnte sich an dessen Kante und sah hinab auf Caras zusammengesunkene, bebende Gestalt. Er verschränkte die Arme.

»Abgelehnt.«

Ihre Schultern erbebten, als sie zu schluchzen begann. »Darf ich fragen, für was Lord Rahl sich … entscheiden wird?«

Fast zärtlich sagte er: »Seht mich an, Cara.« Ihr tränenverschmiertes Gesicht kam hoch. »Ich bin wütend, Cara, aber ganz gleich, wie wütend ich zuvor war, nie, niemals würde ich eine von euch hinrichten lassen.«

»Ihr müßt. Ich habe Euch enttäuscht. Ich habe Euren Befehl mißachtet, Eure Geliebte zu beschützen. Ich habe einen unverzeihlichen Fehler begangen.«

Richard mußte lächeln. »Ich weiß nicht, ob es Fehler gibt, die unverzeihlich sind. Verrat ist vielleicht unverzeihlich, ein Fehler jedoch nicht. Wenn wir damit anfangen wollten, Menschen für ihre Fehler hinzurichten, dann, so fürchte ich, wäre ich schon lange tot. Ich mache ständig Fehler. Einige davon waren ziemlich schwerwiegend.«

Sie schüttelte den Kopf und sah ihm staunend ins Gesicht. »Eine Mord-Sith weiß, wann sie es verdient hat, hingerichtet zu werden. Ich habe es verdient.« Er bemerkte die eiserne Entschlossenheit in diesen blauen Augen. »Entweder führt Ihr sie durch, oder ich werde es tun.«

Richard stand eine Weile da und versuchte abzuschätzen, an welche Pflichten eine Mord-Sith gebunden sein mochte. Versuchte, den Wahnsinn in diesen Augen abzuschätzen.

»Sehnt Ihr Euch nach dem Tod, Cara?«

»Nein, Lord Rahl. Seit Ihr unser Lord Rahl seid, überhaupt nicht mehr. Deswegen muß ich es tun. Ich habe Euch enttäuscht. Eine Mord-Sith lebt und stirbt nach einem strengen Pflichtenkodex ihrem Herrn gegenüber. Weder Ihr noch ich könnt verhindern, was geschehen muß. Mein Leben ist verwirkt. Ihr müßt die Hinrichtung durchführen, oder ich werde es tun.«

Richard wußte, daß sie nicht um Mitgefühl buhlen wollte. Mord-Sith blufften nicht. Wenn es ihm nicht irgendwie gelang, ihre Meinung zu ändern, würde sie tun, was sie sagte.

Dies wissend und aus der daraus folgenden, widerwärtigen Erkenntnis heraus, daß es seine einzige Wahl war, tat er den geistigen Sprung von der Klippe des gesunden Menschenverstandes hinab in den Wahnsinn, wo ein Teil des Verstandes dieser Frau und, wie er fürchtete, auch des seinen heimisch war.

Die Entscheidung war gefallen, so unwiderruflich wie ein Herzschlag.

Die Muskeln angesichts der Unwiderruflichkeit gespannt, zog er sein Schwert. Das leise, unverwechselbare Klirren von Stahl erklang im Raum und fuhr ihm in die Knochen.

Dieser scheinbar einfache Vorgang setzte den Zorn des Schwertes frei. Der Riegel des Tors zum Tod war zurückgezogen. Es raubte ihm den Atem wie eine Wand aus Säuredampf. Aus diesem Wind erhob sich ein Sturm des Zorns.

»Dann«, erklärte er ihr, »soll Magie zu Eurem Richter und zu Eurem Henker werden.«

Sie kniff krampfhaft die Augen zu.

»Seht mich an!«

Der Zorn des Schwertes durchfuhr ihn und wollte ihn mit sich fortreißen. Er mußte kämpfen, nicht die Beherrschung zu verlieren, wie stets, wenn er der Raserei freien Lauf ließ.

»Ihr werdet mir in die Augen sehen, während ich Euch töte!«

Sie öffnete die Augen. Sie runzelte die Stirn, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Alles Gute, das sie je getan hatte, alle Tapferkeit im Anblick der Gefahr, jedes Opfer, das sie für ihre Pflicht erbracht hatte, war ihr durch ihre Schande genommen. Man hatte ihr die Ehre eines Todes durch ihren eigenen Strafer verwehrt. Aus diesem Grund, und allein aus diesem Grund, weinte sie.

Richard preßte die rasiermesserscharfe Schneide gegen seinen Unterarm und gab der Klinge ihren Vorgeschmack auf das Blut. Er legte das Schwert der Wahrheit an seine Stirn, berührte seine Haut mit dem kalten Stahl und dem warmen Blut.

Er sprach die beschwörenden Worte. »Klinge, sei mir heute treu.«

Dies war der Mensch, der ihn mit seiner Vermessenheit, und nur durch Glück letztendlich doch nicht, fast um Kahlan gebracht hätte. Ihn um alles gebracht hätte.

Sie verfolgte, wie sich die Klinge über ihm erhob. Sie sah das Ungestüm, den gerechten Zorn in seinen Augen. Sie sah die Magie, die dort aufblitzte.

Sie sah den Tod, der in ihnen funkelte.

Die Knöchel seiner beiden Fäuste waren weiß, so fest hielt er das Heft.

Er wußte, daß er der Magie ihren Willen nicht abschlagen konnte – wenn er eine Chance haben wollte. Er ließ dem Zorn über diese Frau freien Lauf, weil sie ihre Pflicht, Kahlan zu beschützen, verletzt hatte. Ihre Anmaßung hätte Kahlan das Leben und ihn die Zukunft kosten, ihm seine Daseinsberechtigung nehmen können. Er hatte seine größte Liebe ihrer Obhut anvertraut, und sie hatte sein Vertrauen nicht gerechtfertigt.

Er hätte zurückkommen und Kahlan tot vorfinden können, wegen ebendieser Frau, die hier vor ihm auf den Knien lag. Aus keinem anderen Grund.

Der Irrsinn dessen, was sie hier taten, zu was sie beide geworden waren, die Erkenntnis, daß es keinen anderen Ausweg gab – für keinen von ihnen –, war ihrer beider Augen anzusehen.

Er war wild entschlossen, sie in zwei Hälften zu spalten.

Das forderte der Zorn des Schwertes.

Nichts anderes würde er akzeptieren.

Er sah es vor sich.

Er wollte es.

Ihr Blut.

Mit einem wütenden Aufschrei, mit seiner ganzen Kraft, mit all seiner Wut und seinem Zorn, senkte er die Klinge herab auf ihr Gesicht.

Die Schwertspitze sirrte.

Bis in jede Einzelheit konnte er verfolgen, wie das Licht auf der polierten Klinge blinkte, während sie durch einen Streifen Sonnenlicht hindurchglitt. Er sah die Tropfen seines Schweißes im Licht der Sonne funkeln, als wären sie im leeren Raum erstarrt. Er hätte sie zählen können. Er sah die Stelle, wo die Klinge sie treffen würde. Sie sah die Stelle, wo die Klinge sie treffen würde. Seine Muskeln schrien auf vor Anstrengung, während seine Lungen wütend brüllten.

Zwischen ihren Augen, einen Zoll vor ihrer Haut, blieb die Klinge so fest stecken, als hätte man sie mit dumpfem Krachen in eine undurchdringliche Mauer versenkt.

Der Schweiß lief ihm übers Gesicht. Seine Arme zitterten. Sein wutentbrannter Schrei hallte im Raum wider.

Schließlich zog er die Klinge zurück.

Sie starrte aus großen, runden, fassungslosen Augen zu der Klinge hoch. Ihr Atem ging in schnellen, kurzen Stößen. Aus ihrer Kehle entwich ein langer, tiefer Klagelaut.

»Es wird keine Hinrichtung geben«, sagte Richard mit belegter Stimme.

»Wie…«, sagte sie leise, »wie … ist das möglich? Wie kann sie so einfach innehalten?«

»Tut mir leid, Cara, aber die Magie des Schwertes hat diese Entscheidung getroffen. Sie hat entschieden, daß du leben sollst. Du wirst dich ihrer Entscheidung unterwerfen müssen.«

Endlich schwenkten ihre Augen herum und suchten seine. »Ihr wart bereit, es zu tun. Ihr wart bereit, mich hinzurichten.«

Er ließ das Schwert in die Scheide gleiten.

»Ja.«

»Warum bin ich dann nicht tot?«

»Weil die Magie anders entschieden hat. Es steht uns nicht zu, ihr Urteil in Frage zu stellen. Wir müssen uns ihm unterwerfen.«

Richard war ziemlich sicher gewesen, daß die Magie des Schwertes Cara nichts anhaben würde. Die Magie ließ nicht zu, daß er jemandem etwas antat, der zu seinen Verbündeten gehörte. Darauf hatte er gezählt.

Trotzdem hatte er gewisse Zweifel gehegt. Cara hatte Kahlan an den Rand einer Katastrophe gebracht, wenn auch nicht absichtlich. Er war nicht vollkommen sicher gewesen, ob dies die Klinge nicht veranlassen würden, ihren Tod zu verlangen. Dies war das Wesen der Magie des Schwertes der Wahrheit – man konnte sich nie vollkommen sicher sein.

Zedd hatte Richard bei der Übergabe des Schwertes erklärt, daß darin die Gefahr liege. Das Schwert vernichte den Feind und verschone den Freund, die Magie des Schwertes aber folge seinem Träger und nicht der Wahrheit. Zedd hatte ihm erklärt, Zweifel könnten möglicherweise den Tod eines Freundes bedeuten oder das Entkommen eines Feindes ermöglichen.

Und er wußte, er mußte Cara davon überzeugen, daß die Magie sie verschont hatte und nicht er. Sonst wäre sie gezwungen, zu tun, was sie versprochen hatte.

Sein ganzes Innenleben fühlte sich an, als sei es zu Knoten verschlungen. Seine Knie zitterten. Er war in eine Welt der Angst hinabgesogen worden und auf keinen Fall sicher gewesen, daß es wie von ihm geplant ablief.

Schlimmer noch, er war nicht einmal völlig sicher, ob es nicht ein Fehler war, sie zu verschonen.

Richard nahm Caras Kinn in die Hand. »Das Schwert der Wahrheit hat seinen Entschluß gefällt. Es hat entschieden, daß Ihr leben und eine zweite Chance erhalten sollt. Ihr müßt es akzeptieren.«

Cara nickte in seiner Hand. »Ja, Lord Rahl.«

Er griff ihr unter den Arm und half ihr auf die Beine. Dabei konnte er selbst kaum stehen und fragte sich, ob er an ihrer Stelle so sicher hätte aufstehen können.

»Ich werde mich in Zukunft bessern, Lord Rahl.«

Richard zog ihren Kopf an seine Schulter und hielt sie einen Augenblick lang fest an sich gedrückt – was er schon lange hatte tun wollen. Sie schlang die Arme dankbar und voller Hingabe um ihn.

»Mehr verlange ich nicht, Cara.«

Sie wollte schon zur Tür, als Richard ihren Namen rief. Sie drehte sich wieder um.

»Bestraft werden müßt Ihr trotzdem noch.«

Sie senkte den Blick. »Ja, Lord Rahl.«

»Morgen nachmittag. Ihr werdet lernen, wie man Streifenhörnchen füttert.«

Sie sah auf. »Lord Rahl?«

»Wollt Ihr Streifenhörnchen füttern?«

»Nein, Lord Rahl.«

»Dann ist dies Eure Strafe. Holt Berdine und Raina. Sie haben auch eine Strafe verdient.«

Richard schloß die Tür hinter ihr, lehnte sich dagegen und schloß die Augen. Das Inferno des Zorns hatte seinen Ärger aufgezehrt. Er fühlte sich leer und schwach. Er zitterte so heftig, daß er kaum stehen konnte.

Ihm wurde fast übel bei der lebhaften Erinnerung an den Blick in ihren Augen, als er das Schwert mit all seiner Kraft auf sie herabgesenkt hatte, in der Annahme, daß er sie töten würde. Er hatte sich schon auf spritzendes Blut und zersplitterte Knochen gefaßt gemacht. Blut und Knochen eines Menschen, der ihm sehr viel bedeutete.

Er hatte getan, was er hatte tun müssen, um ihr das Leben zu retten, aber um welchen Preis?

Die Prophezeiung ging ihm durch den Kopf, und Übelkeit und Angst warfen ihn auf die Knie, während ihm der kalte Schweiß ausbrach.

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