Richard faßte Cara am Kinn und drehte ihr Gesicht, um die blutende Platzwunde auf ihrer Wange besser betrachten zu können.
»Was ist denn das?«
Als er sie losließ, sah sie zu Kahlan hinüber. »Ein Mann hat meine Annäherungsversuche zurückgewiesen.«
»Ach, ja? Vielleicht hat ihm Eure Wahl des roten Leders nicht gefallen.«
Richard blickte Kahlan an. »Was ist hier los? Sämtliche Wachen im Palast sind so nervös, daß sie sogar von mir die Losung wissen wollten, als ich hereinkam. Gruppen von Bogenschützen bewachen die Treppenhäuser, und seit dem Angriff des Lebensborns auf die Stadt habe ich nicht mehr so viel blankgezogenen Stahl gesehen.«
Seine Augen nahmen wieder diesen Raubvogelblick an. »Wer steckt unten in der Grube?«
»Ich habe Euch gewarnt«, flüsterte Cara Kahlan zu, »er findet immer alles heraus.«
Kahlan hatte Cara gebeten, Marlin nicht zu erwähnen, denn sie befürchtete, er könnte Richard auf irgendeine Weise etwas antun. Doch nachdem der Mann ausgeplaudert hatte, daß es einen zweiten gedungenen Mörder gab, hatte sich die Lage grundlegend geändert. Sie mußte Richard über die Schwester der Finsternis in Kenntnis setzen.
»Ein Meuchelmörder ist aufgetaucht, der dich umbringen will.« Kahlan deutete mit einem Nicken auf Cara. »Fräulein Wundersam hier hat ihn dazu verleitet, seine Gabe gegen sie einzusetzen, damit sie ihn gefangennehmen konnte. Wir haben ihn sicherheitshalber runter in die Grube geschafft.«
Richard sah kurz zu Cara hinüber, dann wandte er sich an Kahlan. »Fräulein Wundersam, ja? Warum hast du zugelassen, daß sie das tut?«
»Er sagte, er wolle dich töten. Cara beschloß, ihn auf ihre Weise ins Gebet zu nehmen.«
»War das wirklich nötig?« fragte er Cara. »Wir haben hier eine ganze Armee. Ein einzelner Mann kann unmöglich bis zu mir vordringen.«
»Er sagte, er habe ebenfalls die Absicht, die Mutter Konfessor zu töten.«
Richards Gesicht verfinsterte sich. »Dann will ich hoffen, daß Ihr Euch nicht von Eurer sanften Seite gezeigt habt.«
Cara lächelte. »Nein, Lord Rahl.«
»Es kommt noch schlimmer, Richard«, wandte Kahlan ein. »Er ist ein Zauberer aus dem Palast der Propheten. Er sagt, er sei zusammen mit einer Schwester der Finsternis hergekommen. Wir haben sie noch nicht entdeckt.«
»Eine Schwester der Finsternis. Großartig. Wie hast du herausgefunden, daß dieser Mann ein gedungener Mörder ist?«
»Ob du es glaubst oder nicht, er hat sich selbst gestellt. Er behauptet, Jagang habe ihn geschickt, um dich und mich zu töten. Sein Befehl lautet, sich zu stellen, sobald er den Palast der Konfessoren erreicht habe.«
»Dann sollte er uns auch nicht töten! So dumm ist Jagang nicht. Was soll diese Schwester der Finsternis hier in Aydindril tun? Hat er gesagt, daß sie auch hier sei, um uns zu töten, oder ist sie in einer anderen Absicht hergekommen?«
»Das schien Marlin nicht zu wissen«, sagte Kahlan. »Nach dem, was Cara ihm angetan hat, glaube ich ihm.«
»Wie heißt die Schwester? Wie lautet ihr Name?«
»Marlin wußte ihren Namen nicht.«
Richard nickte. »Kann sein. Wie lange war er in der Stadt, bevor er sich gestellt hat?«
»Das weiß ich nicht genau. Vermutlich ein paar Tage.«
»Warum ist er dann nicht unmittelbar nach ihrem Eintreffen in den Palast gekommen?«
»Das weiß ich ebenfalls nicht«, sagte Kahlan. »Ich habe ihn nicht … danach gefragt.«
»Wie lange war er mit der Schwester zusammen? Was haben sie während ihres Aufenthaltes hier gemacht?«
»Ich weiß es nicht.« Kahlan zögerte. »Ich glaube, ich habe einfach nicht daran gedacht, ihn danach zu fragen.«
»Nun, falls er mit ihr zusammen gekommen ist, muß sie irgend etwas mit ihm gesprochen haben. Die Verantwortung lag mit Sicherheit bei ihr. Was hat sie zu ihm gesagt?«
»Das weiß ich nicht.«
Es war der Sucher, nicht Richard, der ihr diese Fragen stellte. Kahlan glühten die Ohren, dabei hob er weder die Stimme, noch schlug er seinen bedrohlichen Ton an. »Ich habe nicht daran gedacht, ihn danach zu fragen.«
»Was taten sie in der Zeit, als sie zusammen waren? Hatte sie etwas bei sich? Hat sie etwas gekauft, irgend etwas in ihren Besitz gebracht oder mit jemandem gesprochen, der am Ende auch zu ihrer Bande gehört? Hatten sie den Auftrag, sonst noch jemanden zu ermorden?«
»Das … weiß ich … nicht.«
Richard fuhr sich durch die Haare. »Man schickt nicht einfach einen Meuchelmörder los und erklärt ihm, er solle sich den Wachen vor der Tür des Opfers stellen. Damit erreicht man bestenfalls, daß der Mörder getötet wird. Vielleicht hat Jagang den Mann noch einen anderen Auftrag ausführen lassen, bevor er den Palast betrat. Anschließend sollte Marlin hierherkommen, damit wir ihn töten und auf diese Weise jede Möglichkeit zunichte machen herauszufinden, was tatsächlich gespielt wird, bevor die Schwester der Finsternis den eigentlichen Plan durchführt. Jagang ist es mit Sicherheit vollkommen gleichgültig, wenn wir eine seiner Marionetten töten – davon hat er noch jede Menge. Außerdem bedeutet ihm ein Menschenleben nichts.«
Kahlan verdrehte verlegen die Finger hinter ihrem Rücken. Sie fühlte sich so töricht. Richards zerfurchte Stirn über den durchdringenden, grauen Augen war auch nicht gerade eine Hilfe.
»Richard, wir wußten ebensogut wie Marlin, daß hier oben eine Frau war, die darum bat, dich sprechen zu dürfen. Wir wußten nicht, wer Nadine war. Marlin kannte den Namen der Schwester nicht, aber er gab uns eine Beschreibung: jung, hübsch, langes, braunes Haar. Wir hatten Angst, Nadine könnte diese Schwester sein, hier mitten unter uns, deshalb ließen wir Marlin dort unten zurück und eilten sofort hierher, um uns um Nadine zu kümmern. Das hatte oberste Priorität: der Schwester der Finsternis das Handwerk zu legen, falls sie sich im Palast befindet. Wir werden Marlin diese Fragen später stellen. Er wird noch eine Weile bei uns bleiben.«
Richards Raubvogelblick wurde versöhnlicher, und er atmete nachdenklich durch. Schließlich nickte er. »Du hast richtig gehandelt. Du hast recht, diese Fragen sind nicht so wichtig. Tut mir leid, mir hätte klar sein müssen, daß du das Beste tun wirst.« Er hob warnend den Zeigefinger. »Aber diesen Marlin überläßt du mir.«
Nun richtete Richard seinen Raubvogelblick auf Cara. »Ich möchte nicht, daß Ihr oder Kahlan zu ihm hinuntergeht. Verstanden? Es könnte etwas passieren.«
Cara hätte, ohne zu fragen, ihr Leben hergegeben, um seines zu schützen, ihrem wütenden Blick nach zu urteilen war sie es allerdings allmählich leid, daß man ihre Fähigkeiten anzweifelte. »Und wie gefährlich war der große, starke Mann am Ende von Dennas Leine, als sie ihn ungestraft in aller Öffentlichkeit durch den Palast des Volkes in D'Hara führte? Brauchte sie nicht einfach nur ein wenig am Ende der Kette ihres kleinen Spielgefährten unter ihrem Gürtel zu ziehen, um zu beweisen, daß sie ihn völlig in ihrer Gewalt hatte? Hat er auch nur ein einziges Mal gewagt, diese Hundeleine ein wenig unter Spannung zu setzen?«
Der Mann am Ende dieser Leine war Richard gewesen.
In Caras blauen Augen blitzte Empörung auf – ein Blitz aus heiterem Himmel. Kahlan erwartete fast, daß Richard vor Zorn sein Schwert zöge. Statt dessen sah er sie an, als höre er unbeteiligt zu, wie sie ihre Meinung äußerte, und als warte er lediglich darauf, ob sie noch etwas hinzuzufügen hätte. Hatten Mord-Sith Angst davor, erschlagen zu werden, oder gefiel ihnen so etwas, fragte sich Kahlan.
»Lord Rahl, ich bin im Besitz seiner Kraft. Es kann nichts passieren.«
»Davon bin ich überzeugt. Ich zweifele nicht an Euren Fähigkeiten, Cara, trotzdem darf sich Kahlan nicht unnötig einer Gefahr aussetzen, wie unwahrscheinlich diese Gefahr auch sein mag. Ihr und ich, wir werden diesen Marlin verhören, sobald wir zurück sind. Ich vertraue Euch mein Leben an, doch Kahlans Leben möchte ich nicht einfach einer häßlichen Laune des Schicksals anvertrauen.
Jagang hat die Möglichkeit übersehen, daß es hier Mord-Sith gibt. Wahrscheinlich weiß er nicht genug über die Neue Welt und schon gar nicht, was eine Mord-Sith überhaupt ist. Er hat einen Fehler gemacht. Ich will einfach sichergehen, daß wir nicht auch einen machen. Einverstanden? Wenn ich zurückkomme, werden wir Marlin verhören und herausfinden, was wirklich gespielt wird.«
So schnell es entstanden war, so schnell verschwand das Gewitter in Caras Augen auch wieder. Richard hatte es mit seiner ruhigen Art im Keim erstickt, und Sekunden später schien es, als wäre nichts geschehen. Kahlan war nicht einmal mehr sicher, ob Cara die wüsten Dinge tatsächlich gesagt hatte, die sie gehört hatte. Fast jedenfalls.
Sie wünschte sich, die Angelegenheit mit Marlin besser überdacht zu haben, als sie noch Gelegenheit dazu hatte. Bei Richard sah das alles so einfach aus. Wahrscheinlich war sie deswegen so besorgt um ihn, weil sie einfach nicht klar dachte. Das war verkehrt. Sie durfte nicht zulassen, daß die Sorge ihren Verstand beeinträchtigte, denn damit beschwor sie eben jenes Unheil herauf, das sie so fürchtete.
Richard legte Kahlan die Hand in den Nacken und gab ihr einen Kuß auf die Stirn. »Glücklicherweise ist dir nichts zugestoßen. Du machst mir angst, wenn du dir in den Kopf setzt, mein Leben mit deinem zu beschützen. Tu das nie wieder.«
Kahlan lächelte. Sie versprach es nicht, sondern wechselte statt dessen das Thema. »Ich mache mir Sorgen, weil du den sicheren Palast verlassen willst. Es gefällt mir nicht, daß du da draußen bist, während sich eine Schwester der Finsternis hier herumtreibt.«
»Ich komme schon zurecht.«
»Aber der jarianische Botschafter ist hier, zusammen mit den Abgesandten aus Grennidon. Sie verfügen über riesige Armeen. Es sind auch noch ein paar andere hier, aus kleineren Ländern – Mardovia, Pendisan und Togressa. Sie alle erwarten, dich heute abend zu sehen.«
Richard hakte einen Daumen hinter seinen breiten Ledergürtel. »Hör zu, sie können sich dir ergeben. Entweder sind sie für uns oder gegen uns. Es ist nicht erforderlich, daß sie mich sprechen, sie müssen nur den Bedingungen der Kapitulation zustimmen.«
Kahlan legte ihm die Hand auf den Arm. »Aber du bist Lord Rahl, der Herrscher D'Haras. Du hast die Bedingungen gestellt. Sie erwarten dich zu sehen.«
»Dann werden sie bis morgen abend warten müssen. Unsere Männer gehen vor. General Kerson hat recht: Wenn die Männer nicht in der Lage sind zu kämpfen, haben wir ein Problem. Die d'Haranische Armee ist der Hauptgrund dafür, daß die Länder zur Kapitulation bereit sind. Wir dürfen keine Führungsschwäche zeigen.«
»Aber ich will nicht schon wieder von dir getrennt werden«, wandte sie leise ein.
Richard lächelte. »Ich weiß. Mir geht es genauso, aber diese Angelegenheit ist wichtig.«
»Versprich mir, vorsichtig zu sein.«
Sein Lächeln wurde breiter. »Ich verspreche es. Du weißt, daß Zauberer ihr Versprechen stets halten.«
»Also gut, von mir aus. Nur sei schnell wieder zurück.«
»Bestimmt. Und du halte dich von diesem Marlin fern.«
Er wandte sich an die anderen. »Cara, Ihr und Raina bleibt hier, zusammen mit Egan. Ulic, tut mir leid, daß ich dich angeschrien habe. Ich werde es wiedergutmachen, indem ich dir erlaube, mich zu begleiten, damit du mich mit deinen großen blauen Augen bewachen und mir Schuldgefühle bereiten kannst.« Er wandte sich an die letzte aus der Gruppe. »Berdine, ich weiß, daß Ihr mir das Leben zur Hölle machen werdet, wenn ich nicht wenigstens eine von Euch mitnehme. Also dürft Ihr mich begleiten.«
Berdine sah Nadine grinsend an. »Ich bin Lord Rahls Liebling.«
Nadine schien eher sprachlos als beeindruckt zu sein, wie schon während des gesamten vorangegangenen Gesprächs. Schließlich richtete sie einen stolzen, überheblichen Blick auf Richard und verschränkte die Arme über ihren Brüsten.
»Und – willst du mich jetzt auch herumkommandieren? Wirst du mir jetzt auch sagen, was ich tun soll, wie es dir bei den anderen soviel Spaß zu machen scheint?«
Richard wurde nicht etwa wütend, wie Kahlan nach der Beleidigung vermutet hätte, sondern wirkte gelangweilter als je zuvor.
»Viele Menschen kämpfen für unsere Freiheit. Sie kämpfen, um zu verhindern, daß die Imperiale Ordnung die Midlands, D'Hara und schließlich auch Westland unterjocht. Ich führe die an, die bereit sind, für ihre Freiheit und im Namen jener unschuldigen Menschen zu streiten, die andernfalls versklavt werden würden. Ich führe sie an, weil die Umstände mir den Befehl übertragen haben, nicht um der Macht willen oder weil ich Freude daran habe. Ich tue es, weil ich es tun muß.
Meinen Feinden oder möglichen Gegnern stelle ich Forderungen. Denen, die mir treu ergeben sind, erteile ich Befehle.
Du bist weder das eine noch das andere, Nadine. Tu, was du willst.«
Ihre Sommersprossen waren nicht mehr zu erkennen, so rot leuchteten ihre Wangen.
Richard zog sein Schwert einige Zoll weit heraus und ließ es wieder zurückgleiten. Ohne es zu merken, vergewisserte er sich, daß die Klinge locker in der Scheide saß. »Berdine, Ulic, holt eure Sachen. Wir treffen uns draußen bei den Stallungen.«
Richard nahm Kahlan bei der Hand und zog sie zur Tür. »Ich muß mit der Mutter Konfessor sprechen. Allein.«
Richard führte Kahlan durch den Gang, in dem es von muskulösen, schwerbewaffneten d'Haranischen Wachen in dunkler Lederkleidung und Kettenhemden nur so wimmelte, in einen leeren Seitengang. Er zog sie um die Ecke unter eine silberne Lampe und drückte sie mit dem Rücken gegen eine Wand, die mit vom Alter nachgedunkeltem Kirschbaumholz getäfelt war.
Mit der Fingerspitze tippte er ihr sachte auf die Nase. »Ich konnte nicht einfach aufbrechen, ohne mich mit einem Kuß von dir zu verabschieden.«
Kahlan mußte schmunzeln. »Wolltest du mich vor den Augen einer alten Freundin nicht küssen?«
»Du bist die einzige Frau, die ich liebe. Die einzige, die ich je geliebt habe.« Richard verzog verärgert das Gesicht. »Jetzt weißt du, wie es wäre, wenn einer deiner alten Verehrer auftauchen würde.«
»Nein, das weiß ich nicht.«
Einen Augenblick lang machte er ein verständnisloses Gesicht, dann errötete er. »Entschuldige. Das war unüberlegt von mir.«
Konfessoren hatten in ihrer Jugend keine Verehrer.
Die vorsätzliche Berührung durch einen Konfessor vernichtete den Willen eines Menschen und hinterließ nur geistlose Ergebenheit eben jenem Konfessor gegenüber, der denjenigen mit seiner Kraft berührt hatte. Ein Konfessor mußte seine Kraft stets im Zaum halten, damit sie nicht versehentlich freigesetzt wurde. Im allgemeinen war das nicht schwer – die Kraft eines Konfessors wuchs mit seinem Älterwerden, und da diese Frauen mit ihrer Magie geboren wurden, war ihnen die Fähigkeit, sie zu beherrschen, so selbstverständlich wie das Atmen.
In den Fängen der Leidenschaft jedoch, einer Erfahrung, mit der sie eben nicht aufgewachsen waren, konnte ein Konfessor diese Zurückhaltung nicht aufrechterhalten. Auf dem wilden, zügellosen Höhepunkt der Leidenschaft würde ein Konfessor den Verstand ihres Geliebten, ohne es zu wollen, zerstören.
Selbst wenn sie es wollten, hatten Konfessoren keine anderen Freunde als Konfessoren. Die Menschen fürchteten sich vor ihnen, fürchteten sich vor ihrer Kraft, und zwar vor allem Männer. Kein Mann wagte, sich einer von ihnen bis auf Reichweite zu nähern.
Konfessoren hatten keine Liebhaber.
Ein Konfessor wählte ihren Gefährten nach den Eigenschaften aus, die sie sich für ihre Tochter wünschte, danach, was für ein Vater dieser Mann sein würde. Liebe spielte bei dieser Entscheidung niemals eine Rolle, denn in der Vereinigung würde der Betreffende vernichtet werden. Niemand heiratete freiwillig einen Konfessor, ein Konfessor wählte den Gefährten aus und überwältigte ihn vor der Heirat mit Magie. Männer fürchteten Konfessoren, die noch keinen Gefährten erwählt hatten. Sie gingen unter ihnen um wie ein Zerstörer, wie ein Raubtier, das es auf Männer abgesehen hatte.
Allein Richard war es gelungen, diese Magie zu besiegen. Seine unvergleichliche Liebe für Kahlan hatte ihre Kraft noch übertroffen. Kahlan war der einzige Konfessor, der je von einem Mann geliebt wurde und dessen Liebe auch erwidern konnte. Ihr Leben lang hatte sie sich nicht vorstellen können, die erhabenste menschliche Sehnsucht zu erfüllen: die Liebe.
Sie hatte gehört, daß es im Leben eines Menschen nur eine wahre Liebe gebe. Bei Richard war dies mehr als ein Sprichwort: es war die nackte, kalte Wahrheit.
Mehr als alles andere jedoch liebte sie ihn ganz einfach nur, hilflos, voll und ganz. Daß er sie liebte und sie Zusammensein konnten, machte sie gelegentlich ganz benommen vor Ungläubigkeit.
Sie fuhr mit ihrem Finger über seinen ledernen Waffengurt. »Du denkst also nie an sie? Du fragst dich nicht …?«
»Nein. Hör zu. Ich kenne Nadine, seit sie klein war. Ihr Vater, Cecil Brighton, verkauft Kräuter und Arzneien. Ich brachte ihm hin und wieder seltene Pflanzen. Er gab mir Bescheid, wenn er etwas brauchte, es aber nicht finden konnte. Während ich als Waldführer unterwegs war, hielt ich dann ein Auge nach diesen Dingen offen.
Nadine wollte immer wie ihr Vater sein, sie wollte lernen, welche Kräuter den Menschen helfen, und sie wollte in seinem Laden arbeiten. Manchmal begleitete sie mich, um zu lernen, wie man bestimmte Pflanzen findet.«
»Sie hat dich nur begleitet, um Pflanzen zu suchen?«
»Das nicht gerade. Ein wenig mehr war schon dabei. Ich – na ja – dann und wann besuchte ich sie und ihre Eltern. Ich ging mit ihr spazieren, auch wenn ihr Vater mich nicht gebeten hatte, ein bestimmtes Kraut zu suchen. Vergangenen Sommer, bevor du nach Kernland kamst, tanzte ich auf dem Mittsommernachtsfest mit ihr. Ich mochte sie. Trotzdem habe ich ihr nie Grund zur Annahme gegeben, ich wolle sie heiraten.«
Kahlan lächelte und beschloß, daß er sich nicht länger umständlich winden solle. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn. Kurz mußte sie daran denken, was er zu Nadine gesagt hatte, an das, was da vielleicht noch gewesen war, dann drehte sich ihr der Kopf vom Gefühl der kräftigen Arme, die sie hielten, und von seinen zarten Lippen auf den ihren. Seine Zunge spielte zärtlich über ihre Zähne, und sie erwiderte seinen Kuß. Seine große Hand glitt an ihrem Rücken hinab und zog sie fest an seinen Körper.
Plötzlich stieß sie ihn zurück. »Richard«, fuhr sie atemlos auf, »was ist mit Shota? Was ist, wenn sie Ärger macht?«
Richard kniff die Augen zusammen und versuchte, die Lüsternheit aus ihnen zu verbannen. »Zur Unterwelt mit Shota!«
»Aber so viel Ärger sie auch gemacht hat, in der Vergangenheit schien sich immer ein Körnchen Wahrheit hinter ihren Worten zu verbergen. Sie hat auf ihre Weise versucht zu tun, was getan werden mußte.«
»Sie kann unsere Heirat nicht verhindern.«
»Ich weiß, aber –«
»Wir werden heiraten, sobald ich zurück bin, und damit Schluß.« Verglichen mit seinem Lächeln mußte ein Sonnenaufgang trostlos wirken. »Ich will dich endlich in dem großen, roten Bett, das du mir ständig versprichst.«
»Aber wie können wir jetzt sofort heiraten, wenn nicht hier? Bis zu den Schlammenschen ist es ein weiter Weg. Wir haben dem Vogelmann, Weselan und Savidlin und all den anderen versprochen, daß wir als Schlammenschen getraut werden wollen. Chandalen hat mich auf meiner Reise hierher beschützt, und ich verdanke ihm mein Leben. Weselan hat mir mit ihren eigenen Händen ein prachtvolles, blaues Hochzeitskleid genäht, aus einem Stoff, für den sie wahrscheinlich viele Jahre hart gearbeitet hat. Sie haben uns aufgenommen. Sie haben uns zu Schlammenschen erklärt und große Opfer auf sich genommen. Viele haben für unsere Sache ihr Leben gelassen.
Ich weiß, es ist nicht gerade die Art Hochzeit, die sich eine Frau erträumt – ein ganzes Dorf halbnackter, mit Schlamm beschmierter Menschen, die um Freudenfeuer herumtanzen und die Seelen bitten, zwei Menschen aus ihrem Volk heimzusuchen, dazu ein Fest feiern, das sich tagelang hinzieht, mit eigenartigen Trommeln und rituellen Tänzern, die irgendwelche Geschichten szenisch darstellen, und was sonst noch alles … aber es wird wenigstens eine Zeremonie sein, die von Herzen kommt.
Im Augenblick können wir Aydindril unmöglich verlassen und uns auf den langen Weg zu den Schlammenschen machen, nur weil uns danach zumute ist. Hier sind alle auf uns angewiesen. Wir befinden uns im Krieg.«
Richard drückte ihr zärtlich einen Kuß auf die Stirn. »Ich weiß. Ich will genau wie du, daß die Schlammenschen unsere Hochzeit ausrichten. Und das werden sie auch. Vertrau mir. Ich bin der Sucher. Ich denke viel darüber nach. Ich habe bereits ein paar Ideen.« Er seufzte. »Doch jetzt muß ich los. Kümmere dich um alles, Mutter Konfessor. Morgen bin ich zurück. Versprochen.«
Sie umarmte ihn so fest, daß ihr die Arme schmerzten.
Schließlich löste er sich von ihr und sah ihr in die Augen. »Ich muß aufbrechen, bevor es noch später wird, sonst kommt es auf den Bergpässen in der Dunkelheit noch zu Unfällen.« Er hielt inne. »Falls … sollte Nadine etwas brauchen, würdest du dich darum kümmern? Ein Pferd, Lebensmittel, Vorräte, was auch immer. Sie ist kein schlechter Mensch. Ich wünsche ihr nichts Böses. Sie hat nicht verdient, was Shota ihr angetan hat.«
Kahlan nickte und legte ihren Kopf an seine Brust. Sie konnte sein Herz klopfen hören. »Danke, daß du dir diese Kleider für die Hochzeit besorgt hast. Du siehst besser aus als je zuvor.«
Sie schloß die Augen, so sehr hatten sie die Worte geschmerzt, die sie vorhin im roten Zimmer gehört hatte. »Wieso bist du eigentlich nicht zornig geworden, als Cara diese grausamen Dinge sagte?«
»Weil ich genau weiß, was man ihnen angetan hat. Ich habe mich selbst in dieser Welt des Irrsinns aufgehalten. Haß hätte mich vernichtet, gerettet hat mich nur die Versöhnlichkeit des Herzens. Jetzt will ich nicht, daß der Haß sie zerstört. Ich will nicht, daß ein paar Worte zunichte machen, was ich ihnen zu geben versuche. Sie sollen Vertrauen lernen. Und manchmal geht das nur, indem man es jemandem schenkt.«
»Vielleicht hat es ja schon etwas genützt. Trotz allem, was Cara eben sagte, heute morgen gab sie ein paar Dinge von sich, die mich glauben machen, daß die Mord-Sith begriffen haben.« Kahlan lächelte und versuchte, dem Thema eine etwas freundlichere Seite abzugewinnen. »Wie ich hörte, warst du heute mit Berdine und Raina draußen und hast Backenhörnchen abgerichtet.«
»Backenhörnchen zähmen ist nicht schwer. Ich habe etwas erheblich Schwierigeres versucht, ich habe versucht, Mord-Sith zu zähmen.« Er klang ernst, was den Eindruck nahelegte, daß er mit den Gedanken ganz woanders war. »Du hättest Berdine und Raina sehen sollen. Sie haben herumgealbert wie junge Mädchen. Ich hätte bei dem Anblick fast angefangen zu weinen.«
Kahlan staunte und lächelte. »Und ich dachte, du würdest da draußen einfach nur deine Zeit verschwenden. Wie viele Mord-Sith befinden sich außer ihnen noch im Palast des Volkes in D'Hara?«
»Dutzende.«
»Dutzende.« Eine erschreckende Vorstellung. »Wenigstens gibt es Backenhörnchen in Hülle und Fülle.«
Er strich ihr übers Haar und drückte ihre Hand an seine Brust. »Ich liebe dich, Kahlan Amnell. Danke für deine Geduld.«
»Ich liebe dich auch, Richard Rahl.« Sie packte seine Jacke und schmiegte sich an ihn. »Shota macht mir noch immer Sorgen, Richard. Versprich mir, daß du mich ganz bestimmt heiraten wirst.«
Er lachte kurz auf und küßte sie auf den Scheitel.
»Ich liebe dich mehr, als ich jemals in Worte fassen kann. Es gibt keine andere außer dir, weder Nadine noch sonst jemanden. Das schwöre ich bei meiner Gabe. Du bist die einzige, die ich jemals lieben werde. Versprochen.«
Sie hörte, wie ihr Herz bis in die Ohren pochte. Das war nicht das Versprechen, um das sie ihn gebeten hatte.
Er löste sich von ihr. »Ich muß aufbrechen.«
»Aber…«
Er warf einen Blick um die Ecke hinter ihnen. »Was denn? Ich muß los.«
Sie scheuchte ihn mit einer Handbewegung fort. »Geh schon. Und komm schnell zu mir zurück.«
Er warf ihr einen Handkuß zu, dann war er fort. Sie lehnte sich mit der Schulter an die Ecke, sah zu, wie sein wallendes Cape den Gang entlang verschwand, und lauschte auf das leise Klirren der Kettenhemden und Waffen und auf den Stiefeltritt der Gruppe Soldaten, die ihm im Schlepptau folgte.