59

Kahlan erstarrte. Gedanken schossen ihr in einem Durcheinander äußersten Entsetzens durch den Kopf.

Ihr Schrei erschallte erneut, zerriß die Nacht – laut genug, um über den Donner hinweg gehört zu werden. Sie konnte sich nicht einmal zwingen zu blinzeln. Sie konnte ihre Augen nicht von Richards Gesicht losreißen.

Sie begriff es nicht, konnte sich keinen Reim darauf machen. Die Welt schien Kopf zu stehen. In ihren Gedanken wirbelte alles umher und machte es unmöglich, die Situation klar zu erfassen.

Als das nächste Mal ein Blitz den Raum erhellte, wußte sie nur eins: Es war Richard, nicht Drefan.

Kein Ausdruck, den sie je auf Richards Gesicht gesehen hatte, war so angsteinflößend wie der, den Kahlan jetzt erblickte. Seine Augen waren vollkommen leer. Weder Zorn noch tödliche Entschlossenheit, weder Zielstrebigkeit noch tödliche Ruhe, keine Eifersucht, nicht einmal Desinteresse.

Diese grauen Augen waren … ohne Seele, ohne Herz.

Kahlan bedeckte ihren Mund mit beiden zitternden Händen. Sie wich zurück, bis sie mit dem Rücken hart an die steinerne Wand prallte.

Er hatte von Anfang an gewußt, daß sie es war, die hereingekommen war. Richard spürte es, wenn sie einen Raum betrat. Er hatte die ganze Zeit gewußt, daß sie es war. Daher war er so zärtlich wie möglich gewesen. Er hatte ihr die Tränen abwischen wollen. Sie hatte seine Hand weggestoßen. Sie hatte ihm keine Gelegenheit gegeben, ihr zu zeigen, daß er es war.

Kahlan brach mit einem grauenvollen Klagelaut auf dem Boden zusammen.

»Nein! Gütige Seelen, nein!«

Richard kam nicht zu ihr geeilt, sprach keine Worte des Trostes, brüllte nicht. Statt dessen ging er dorthin, wo seine Kleider lagen, nahe der Tür, und fing an, sich anzuziehen.

Kahlan trippelte schnell zu ihren Sachen ganz in der Nähe. Hastig streifte sie ihre Unterkleider über, da sie ihre Nacktheit plötzlich als demütigend empfand, als Erinnerung an das, was sie soeben getan hatte.

Sie hob ihr Kleid auf. Sie hielt inne, die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie griff um die Außenseite der Tür herum und hielt sich das Schwert und die Scheide vors Gesicht. Es hatte einen ledernen Griff, genau, wie sie sich erinnerte, es gesehen zu haben, kein mit Draht umwickeltes Heft. Es war nicht das Schwert der Wahrheit, Richards Schwert. Es war Drefans Schwert.

Kahlan ergriff Richards Handgelenk, als er seine Hosen vom Boden aufhob. »Wie … das ist Drefans Schwert, nicht deines. Es ist Drefans Schwert!«

Richard riß es ihr aus der Hand und lehnte es an die Wand. »Sie haben dir deine Kraft genommen. Du hast keine Möglichkeit, dich zu verteidigen. Drefan wird von jetzt an bei dir sein, nicht ich. Ich habe ihm das Schwert der Wahrheit gegeben, damit er dich beschützen kann.« Endlich begegneten sich ihre Blicke. »Ich denke, dieses hier wird die Wahrheit ebensogut finden wie das andere.«

Richard schob sein Bein in die Hosen. Kahlan griff abermals nach seinem Arm.

»Verstehst du denn nicht, Richard? Du warst es. Du warst hier drinnen bei mir, nicht Drefan. Die Seelen sehen einen Unterschied – zwischen Absicht und Tat. Nicht er war es, sondern du, von Anfang an.«

Er riß seinen Arm los. Für die Seelen mochte es einen Unterschied geben, für ihn nicht. Für Richard war die Absicht dasselbe wie die Tat.

»Du verstehst nicht, Richard. Es ist nicht so, wie du denkst.«

Richard warf ihr einen Blick zu, daß sie wankend einen Schritt zurückwich. Er wartete, während sie wie erstarrt dastand, unfähig, irgendwelche erklärenden Worte vorzubringen. Schließlich zog er sich weiter an.

Kahlan streifte ihr weißes Konfessorenkleid über. Draußen kamen die Blitze immer näher. Bei einem der Einschläge ganz in der Nähe konnte sie erkennen, wie sich am Rand des Abgrunds ein gewaltiges Gebäude erhob: der Tempel der Winde. Mit dem Erlöschen des Lichtblitzes verschwand das Bauwerk wieder, und sie konnte die fernen Berge dahinter erkennen, die von weiter entfernten Blitzen erhellt wurden.

»Richard«, meinte sie weinend, während sie einen Stiefel überstreifte, »bitte sprich mit mir. Sag etwas. Sag mir, daß es dafür keine Erklärung geben kann. Schrei mich an. Nenn mich eine Hure. Sag mir, daß du mich haßt. Tu etwas! Aber mißachte mich nicht einfach!«

Er drehte sich um und hob sein schwarzes, ärmelloses Unterhemd vom Boden auf. Als er es sich über den Kopf zog, nahm sie sein schwarzes Hemd und umklammerte es vor der Brust, in der Hoffnung, damit zu verhindern, daß er sich anzog.

»Richard, bitte! Ich liebe dich!«

Er sah ihr in die Augen. Sie glaubte, er würde etwas sagen, statt dessen drehte er sich um und legte seinen Gürtel mit den Ledertaschen an. Er ließ seine Armbänder an den Handgelenken zuschnappen. Er hob Drefans Schwert auf und schnallte es um.

»Bitte sprich mit mir, Richard. Sag etwas. Das ist das Werk der Seelen. Weißt du nicht mehr, wie ich dir erzählt habe, was die Ahnenseele von Chandalens Großvater zu mir gesagt hat: Die Winde haben entschieden, daß du der Preis für den Pfad sein sollst. Sie sind es, die uns das angetan haben!«

Erneut durchbohrte er sie mit seinem Blick. Die Rage in seinen Augen erlosch. Er sah, daß sie sein Hemd nicht hergeben würde, also warf er sich das goldene Cape um die Schultern.

Als er sich zur Tür umdrehte, packte ihn Kahlan mit beiden Händen am Arm und zog ihn zu sich herum.

»Ich liebe dich, Richard. Bitte, so glaube mir doch. Ich werde dir das hier später erklären, aber jetzt mußt du mir erst einmal glauben. Ich liebe dich. Niemanden sonst. Mein Herz gehört alleine dir. Gütige Seelen, so glaub mir doch endlich.«

Richard packte ihr Kinn mit der Hand und wischte ihr mit dem Daumen über die Lippen. Er hielt den Daumen hoch, damit sie ihn im Höllenspektakel der Blitze sehen konnte.

»… denn die in Weiß, seine wahre Geliebte, wird ihn in ihrem Blut verraten.«

Seine Worte zerrissen ihr das Herz.

Als er zur Tür hinausstürzte, erstickte Kahlan ihren Aufschrei mit seinem Hemd. Sie hatte getan, was sie sich geschworen hatte, niemals zu tun – sie hatte ihn verraten. Der Verrat hätte schlimmer nicht sein können. Und er hatte ihm das Herz gebrochen.

Hysterisch schluchzend rannte Kahlan ihm hinterher, nach draußen in die tobende Nacht. Sie mußte etwas tun, um sein Herz zurückzugewinnen. Sie durfte nicht zulassen, daß er den Schmerz hinnahm, den sie ihm zugefügt hatte. Sie liebte ihn mehr als das Leben, und sie hatte ihm das Schlimmstmögliche angetan.

Draußen pfiff der Wind heulend über den Berg. Im aufblitzenden Licht konnte sie Richards schwarze Umrisse und seine nackten Arme erkennen, während er auf die Straße zuhielt.

Er erreichte den Rand des Abgrunds am Ende der Straße, da warf Kahlan sich auf ihn und riß ihn zurück, so daß er gezwungen war stehenzubleiben.

Der Himmel bot ein wüstes Bild heftigster Entladungen. Der Donner fuhr ihr in die Knochen. Blitze zuckten quer über die Wolken, gefolgt von ohrenbetäubendem Krachen. Wann immer die kräftigsten dieser Blitze einschlugen, war der Tempel der Winde jenseits des Abgrunds zu erkennen, doch nur für die Dauer dieser grimmigen Entladungen. Danach war dort wieder nichts als Leere.

»Was wirst du tun, Richard?«

»Ich werde die Pest aufhalten.«

»Wann wirst du zurück sein? Ich werde hier warten. Wann wirst du zurückkommen?«

Er blickte ihr eine ganze Weile unverwandt in die Augen, während das Unwetter sie umtoste.

»Hier ist kein Platz mehr für mich.«

Kahlan klammerte sich an ihn. »Du mußt zurückkommen, Richard. Ich werde hier sein und auf dich warten. Ich liebe dich. Du mußt zu mir zurückkommen, Richard!«

»Du hast einen Ehemann. Du hast ihm dein Jawort gegeben … und auch sonst alles.«

»Laß mich nicht alleine, Richard«, wimmerte Kahlan. »Wenn du nicht zurückkommst, werde ich dir das nie vergessen.«

Richard drehte sich zum Rand des Abgrunds um.

»Du hast eine Frau, Richard! Du mußt zurückkommen!«

Ein Donnerschlag ließ den Berg erzittern.

Er sah über seine Schulter nach hinten. »Nadine ist tot. Ich bin durch mein Gelübde nicht mehr an sie gebunden. Du dagegen hast einen Gemahl. Hier ist kein Platz mehr für mich.«

Brutale Bänder aus Licht schlugen jenseits des Abgrunds in die Straße ein und ließen den Tempel der Winde in seiner vollen Größe sichtbar werden.

Das goldene Cape hinter sich gebläht, sprang Richard in den Blitz hinein.

»Richard! Ich bin hier. Ich bin für dich da! Wir werden einen Weg finden! Bitte komm zu mir zurück«

Als das wütende Blitzen abrupt endete, war der Tempel verschwunden. Wieder entlud sich die Spannung, und die hoch aufragenden Türme tauchten erneut für eine Sekunde auf, schwächer diesmal, dann waren sie abermals verschwunden.

Kahlan sank zu Boden, Richards schwarzes Hemd an ihren Leib gepreßt. Sie hatte ihn zerstört.

Aus den Augenwinkeln bemerkte Kahlan etwas Rotes. Es war Cara, die auf den Abgrund zurannte. Sie sprang genau im selben Augenblick ab, als wieder ein Blitz zuckte und den Tempel der Winde in der Welt des Lebendigen beleuchtete. Sie landete auf der durch die Luft führenden Straße, und als der Blitz erlosch, waren der Tempel der Winde, Richard, Cara nicht mehr zu sehen.

Am Boden zerstört, starrte Kahlan stumm in das tosende Unwetter und erblickte den hoch aufragenden Tempel der Winde von Zeit zu Zeit in einer anderen Welt. Kein einziges Mal wirkte er massiv genug, sonst wäre sie hinübergesprungen. Sie hätte es tun sollen. Sie begriff nicht, warum sie es nicht getan hatte. Warum war sie einfach stehengeblieben?

Weil Richard sie verschmähte. Er hatte gesagt, er werde sie ewig lieben. Er hatte gesagt, sie würden in der nächsten Welt Zusammensein. Er hatte ihr Versprechungen gemacht. Er hatte ihr seine ewige Liebe geschworen.

Genau wie sie – und jetzt hatte sie ihn verraten.

Von irgendwo draußen im Unwetter vernahm Kahlan fernes Gelächter. Das bösartige, selbstzufriedene Lachen ließ es ihr kalt über den Rücken laufen.

Drefan schlenderte heran und blieb bei ihr stehen. Er war allein.

»Wo ist Nadine?« fragte Kahlan.

Drefan räusperte sich. »Als die Blitze einsetzten und sie sah, daß ich es war und nicht Richard, hat sie angefangen zu schreien. Sie ist durchgedreht und hat sich über den Rand in den Abgrund gestürzt.«

Kahlan starrte ihn an. Richard wußte Bescheid. Er hatte ihr gesagt, Nadine sei tot. Richard war ein Zauberer. Das hatte sie auch in seinen Augen gesehen, ganz zum Schluß, kurz bevor er hinübergesprungen war. Sie hatte die Magie in seinen Augen gesehen.

»Wo ist Richard?«

Kahlan blickte hinaus in die Leere, in die schwarze Wand der Nacht. »Verschwunden.«


Auf der Straße zum Tempel der Winde, in dieser unheimlichen Stille, zog Richard sein Schwert. Die Fremdheit der Waffe überraschte ihn für einen Augenblick, dann fiel ihm ein, wessen Schwert es war.

Er war nicht mehr der Sucher der Wahrheit. Er hatte alle Wahrheiten erfahren, die er ertragen konnte.

Hier gab es weder Nacht noch Tag, und doch war es hell. Es war kein Sonnenlicht. Eher ähnelte es dem Licht an einem bedeckten Tag, an dem nichts darauf hindeutete, wo genau die Sonne stand. Nur gab es hier nirgends eine Sonne, das wußte er. Das hier war nicht die Welt des Lebendigen.

Es war ein Teil der Unterwelt – ein abgeschiedener, entlegener, finsterer Winkel in der Welt der Toten. Es war, als hätten die Zauberer ein weitab liegendes Loch gefunden, um den Tempel der Winde darin zu verbergen. Ähnlich versteckt hatte er schon in der Welt des Lebendigen gestanden.

Die dunklen Mauern des gewaltigen Tempels der Winde ragten vor ihm auf, seine Doppeltürme erhoben sich hinauf bis in die Nebelfetzen. Die gesamte Flanke des Berges Kymermosst befand sich hier – der komplette Teil, der in der Welt des Lebendigen fehlte.

Richard wußte, wohin er ging. Er wußte mehr als je zuvor. Das Wissen flutete seinen Verstand. Er war ein Kriegszauberer. Der Tempel der Winde hatte ein Schleusentor in seinem Geist geöffnet. Es führte ihm alles zu, was er wissen mußte, und mehr als das.

Er kam sich vor, als sei er zum allerersten Mal zu Empfindungen fähig.

Die Entschädigung für den geforderten Preis.

»Lord Rahl!«

Atemlos kam Cara angerannt. Den Strafer in der Hand, nahm sie Verteidigungsstellung ein. Doch der Strafer war hier nutzlos. Und auch in der Welt des Lebendigen war er jetzt nutzlos.

Richard drehte sich in den Wind und ging einfach wieder los. Es war nicht weit. Überhaupt nicht weit. Er kannte den Weg.

»Geht nach Hause, Cara. Ihr habt hier nichts verloren.«

»Was ist passiert, Lord Rahl? Ich –«

»Geht nach Hause.«

Sie bedachte in mit einem finsteren Blick, als sie sich an ihm vorbeischob, um sämtliche Gefahren aus seinem Weg zu räumen. Sie hatte ja keine Ahnung, welche Gefahren hier lauerten.

»Ich bin eine Mord-Sith. Ich bin hier, um Euch zu beschützen, Lord Rahl.«

»Ich bin nicht mehr Lord Rahl«, meinte Richard leise.

Sie blickte an den gewaltigen Steinpfeilern am Eingang weiter vorn hinauf. Neben ihnen, auf Mauern aus pechschwarzem Stein, die über ein Band aus kupferfarbenen Kapitellen miteinander verbunden waren, standen, erstarrt in rabenschwarzem Granit, die Skrin, die Wächter der Grenze zwischen den Welten. Erstarrt nur in Caras Augen, nicht in seinen.

Cara hob eine Hand und bedeutete ihm zurückzubleiben, während sie einen Blick auf den fernen Eingang warf und diesen auf Gefahren überprüfte. Zu ihren Füßen lagen Knochen.

»Was ist das für ein Ort, Lord Rahl?«

»Ihr könnt hier nicht hinein, Cara.«

»Warum nicht?«

Richard drehte sich um und blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren – auf alles, was er hinter sich ließ. Da war nichts.

»Weil dies der Saal der Verratenen ist.«

Richard sah zu den Skrinzwillingen hinauf, den Wächtern, zu deren Füßen die Knochen zweier Zauberer lagen.

Richard erinnerte sich gut an die Nachricht, die die Sliph von Zauberer Ricker weitergegeben hatte: Abwehren links hinein. Jetzt wußte Richard, was damit gemeint war.

Er hob den linken Arm, die Faust nach außen gedreht, in Richtung Skrin, der auf der steinernen Mauer rechts von ihm hockte. ›Links abwehren‹, das verriet ihm, welchen Arm er benutzen und welchen Skrin er abwehren mußte. Hätte er den falschen benutzt, wäre ihm der Eintritt in diesen Ort in der Welt der Toten verwehrt worden. Eine von Rickers Fallen für die Feinde.

Sein Armband wurde warm. Das Lederpolster schützte seine Haut vor der Kraft, die er in diesem Band konzentrierte. Ein grünlicher Lichtschimmer umgab seine Faust. Der Skrin zur Rechten, wohin er sein Geburtsrecht auf die Herrschaft richtete, erglühte im Einklang mit seiner zur Zeit reglos erstarrten Faust, damit Richard eintreten konnte.

Richard blickte hinauf zu dem Wächter aus rabenschwarzem Granit zu seiner Linken. Richard rief seinen Namen, einen gutturalen Laut, auf den dieser reagierte. Schwarzes Gestein riß und bröckelte, als der Skrin sich zu seinem Herrn umdrehte und auf Anweisungen wartete.

Richard wiederholte seinen Namen. Er deutete mit der Hand auf Cara.

»Sie gehört nicht hierher. Bringe sie zurück in die Welt des Lebendigen. Tu ihr nichts. Danach kehre auf deinen Posten zurück.«

Der Skrin sprang von der Steinmauer herunter und umklammerte Cara.

»Lord Rahl! Wann werdet Ihr wieder nach Hause kommen?«

Richard sah in ihre blauen Augen. »Ich bin hier zu Hause.«

Ein Licht flackerte auf, und ein lautloser Donner erschütterte die stille Welt, als der Skrin mit Cara auf seinem Weg zurück in die Welt des Lebendigen verschwand. Richard ließ den Blick über die massiven Goldrunen wandern, die zu beiden Seiten des Saaleingangs an der Mauer hinaufliefen, und las die Nachrichten und Warnungen, die dort von Zauberern vergangener Zeiten angebracht worden waren.

Richards Cape blähte sich in einer Welt ohne Wind in seinem Rücken, ein Windmesser an einem Ort der Kraftströmungen und Energiewirbel, während er forschen Schritts weiter auf den Saal der Verratenen zuhielt.


Kahlan hob einen Arm schützend vors Gesicht, als unmittelbar vor ihr krachend ein Blitz einschlug. Die Straße in den Tempel der Winde wurde für einen Augenblick taghell. In der Ferne konnte Kahlan Richards Rücken erkennen, als dieser beherzt in einen Durchgang trat.

Cara stürzte am Rand des Abgrunds auf die Straße, direkt zu Kahlans Füßen.

Mit dem Krachen des Donners waren Tempel und Richard verschwunden.

Cara stand auf. Außer sich vor Wut packte sie Kahlan bei den Schultern.

»Was habt Ihr getan!«

Kahlan war zu verletzt zum Sprechen. Sie hielt den Blick gesenkt.

»Was habt Ihr getan, Mutter Konfessor! Ich hatte doch alles für Euch gerichtet! Was habt Ihr nur mit ihm angestellt?«

Kahlan hob den Kopf. »Ihr habt was?«

»Ich habe einen Eid geleistet. Wir sind Schwestern des Strafers. Ich habe Euch einen Eid geschworen, daß ich, sollte je etwas passieren, dafür sorgen würde, daß Ihr es seid und nicht Nadine, die bei Richard ist.«

Kahlan klappte der Mund auf. »Was habt Ihr getan, Cara?«

»Das, was Ihr wolltet. Ich habe die Worte der Winde gesprochen, so wie sie zu mir kamen, aber als ich Euch und Nadine zu den Gebäuden führte, habe ich Euch beide vertauscht. Ich habe Nadine zu Drefan und Euch zu Richard gebracht.

Ich wollte, daß Ihr bei dem Mann seid, den Ihr aufrichtig liebt. Ich habe Euch zu Richard gebracht! Habt Ihr mir nicht vertraut? Habt Ihr mir nicht geglaubt?«

Kahlan fiel ihr in die Arme. »Oh, verzeiht mir, Cara. Ich hätte an Euch glauben sollen. Gütige Seelen, ich hätte Euch vertrauen sollen.«

»Lord Rahl sagte, er sei auf dem Weg in den Saal der Verratenen. Ich wollte wissen, wann er wieder nach Hause kommt. Er erklärte, er sei zu Hause. Er kommt nicht mehr zurück! Was habt Ihr nur getan!«

»Der Saal der Verratenen…« Kahlan brach zusammen. »Ich habe die Prophezeiung selbst erfüllt. Ich habe Richard geholfen, in den Saal der Verratenen zu gelangen. Ich habe ihm geholfen, die Pest aufzuhalten.

Dadurch habe ich ihn vernichtet.

Dadurch habe ich mich selbst vernichtet.«

»Ihr habt noch mehr angerichtet«, sagte Cara leise.

»Was meint Ihr damit?«

Cara zeigte ihr den Strafer. »Mein Strafer. Er hat seine Kraft verloren. Die Kraft einer Mord-Sith entsteht aus den Banden zu unserem Lord Rahl. Sie existiert zum Schutz unseres Herrn. Ohne einen Lord Rahl gibt es keine Bande. Ich habe meine Kraft verloren.«

»Ich bin jetzt Lord Rahl«, sagte Drefan, der sich Kahlan von hinten genähert hatte.

Cara grinste ihn spöttisch an. »Ihr seid kein Lord Rahl. Ihr besitzt die Gabe nicht.«

Drefan hielt ihrem zornerfüllten Blick stand. »Ich bin jetzt der einzige Lord Rahl, den Ihr habt. Jemand muß das D'Haranische Reich zusammenhalten.«

Kahlan preßte sich Richards schwarzes Hemd an den Leib. »Ich bin die Mutter Konfessor. Ich werde das Bündnis zusammenhalten.«

»Du, meine Liebe, hast ebenfalls deine Kraft verloren. Du bist kein Konfessor mehr, viel weniger die Mutter Konfessor.« Er faßte Kahlan unterm Arm. Mit schmerzhaftem Griff zog er sie auf die Beine. »Du bist jetzt meine Frau und wirst tun, was ich dir befehle. Du hast geschworen, mir zu gehorchen.«

Cara streckte die Hand aus und wollte ihn zwingen, Kahlan loszulassen. Drefan schlug ihr mit dem Handrücken quer über den Mund und schleuderte sie zu Boden.

»Und Ihr, Cara, seid jetzt eine zahnlose Schlange. Solltet Ihr den Wunsch haben hierzubleiben, werdet Ihr mir gehorchen müssen. Wenn nicht, dann habe ich keine Verwendung mehr für Euch. Zur Zeit wissen nur wir, daß Euer Strafer nicht funktioniert. Belaßt es dabei. Ihr werdet mich beschützen wie jeden Lord Rahl.«

Cara bedachte ihn mit einem giftigen Blick, während sie sich das Blut vom Mund wischte. »Ihr seid nicht Lord Rahl.«

»Ach nein?« Er zog das Schwert der Wahrheit, Richards Schwert, heraus, ließ es in die Scheide zurückfallen. »Nun, jedenfalls bin ich jetzt der Sucher.«

»Du bist auch nicht der Sucher«, knurrte Kahlan. »Richard ist der Sucher.«

»Richard? Es gibt keinen Richard mehr. Ich bin jetzt Lord Rahl – und der Sucher.« Er zog Kahlan zu sich. Seine Darken-Rahl-Augen durchbohrten sie. »Und du bist meine Gemahlin. Zumindest wirst du es sein, sobald wir die Ehe vollzogen haben. Aber dies ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort. Wir müssen zurück. Es gibt Arbeit.«

»Niemals. Wenn du mich nur einmal anfaßt, schneide ich dir die Kehle durch.«

»Du hast vor den Seelen einen Eid geschworen. Du wirst dein Gelübde erfüllen.« Drefan lächelte. »Du bist eine Hure. Es wird dir gefallen. Ich will, daß es dir gefällt, daß du Befriedigung findest. Ja, das will ich wirklich.«

»Wie kannst du es wagen, mich so zu nennen! Ich bin keine Hure, und schon gar nicht deine!«

Sein Lächeln wurde breiter. »Tatsächlich nicht? Wie hast du Richard dann verraten? Warum geht er fort, ohne sich auch nur einmal umzudrehen? Ich schätze, es hat dir gefallen, als du dachtest, er sei ich. Richard hat die Hure in dir erkannt. Wenn du erst einmal bei mir im Bett liegst, wirst du es genießen. Das wird mir gefallen.«

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