16

Kahlan fühlte, wie ihr die Tränen übers Gesicht liefen.

»Richard.« Sie unterdrückte ein Schluchzen. »Richard, du weißt, ich würde niemals … du glaubst doch nicht, ich könnte jemals … ich schwöre es, bei meinem Leben. Niemals würde ich … du mußt mir glauben…«

Er zog sie in seine Arme, als sie die Beherrschung verlor und einen angsterfüllten Klagelaut ausstieß.

»Richard«, schluchzte sie an seiner Brust, »ich würde dich nie verraten. Um nichts auf dieser Welt. Nicht einmal, um den ewigen Qualen in der Unterwelt durch die Hand des Hüters zu entgehen.«

»Das weiß ich. Natürlich weiß ich das. Und du weißt ebensogut wie ich, daß man eine Prophezeiung nicht wörtlich nehmen darf. Laß dich davon nicht quälen. Genau das will Jagang. Er weiß nicht einmal selbst, was sie bedeutet, er hat sie einfach dort hingeschrieben, weil die Worte klangen wie etwas, das er hören wollte.«

»Aber … ich…« Sie bekam ihre Tränen nicht unter Kontrolle.

»Pst.« Er hielt sie mit seinen großen Händen an sich gedrückt.

Dann brach sich das Entsetzen der vergangenen Nacht und der noch schlimmere Schrecken der Prophezeiung in einem unkontrollierbaren Weinanfall Bahn. Nie hatte sie angesichts einer Schlacht geweint, aber in der Geborgenheit seiner Arme verlor sie die Fassung. Sie wurde von einer Flut aus Tränen fortgespült, die nicht weniger reißend war als der reißende Sturzbach im Tunnel unter dem Palast.

»Kahlan, du darfst nicht daran glauben. Bitte.«

»Aber dort steht … ich werde…«

»So hör mir doch zu. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht dort hinabsteigen, um Marlin zu verhören? Habe ich dir nicht gesagt, ich würde es selbst tun, sobald ich zurück bin, weil es zu gefährlich sei. Ich wollte nicht, daß du dort unten hingehst.«

»Ja, aber ich hatte Angst um dich und wollte einfach –«

»Du hast es gegen meinen ausdrücklichen Wunsch getan. Welche Gründe du auch hattest, du tatest es gegen meinen Willen, habe ich nicht recht?« Sie nickte an seiner Brust. »Das könnte der Verrat aus der Prophezeiung sein. Du wurdest verwundet, warst voller Blut. Du hast mich verraten, und du hattest Blut an dir. Dein Blut.«

»Das, was ich getan habe, würde ich nicht als Verrat bezeichnen. Ich tat es für dich, weil ich dich liebe und weil ich Angst um dich hatte.«

»Verstehst du denn nicht? Die Worte einer Prophezeiung bedeuten nicht unbedingt das, was sie zu besagen scheinen. Im Palast der Propheten, in der Alten Welt, haben sowohl Warren als auch Nathan mich gewarnt, daß Prophezeiungen nicht so gedacht sind. Die Worte stehen nur in einem verborgenen Zusammenhang mit der Prophezeiung.«

»Aber ich begreife nicht, wie –«

»Ich versuche dir nur zu erklären, daß es so etwas Einfaches sein könnte. Man darf eine Prophezeiung nicht die Kontrolle über die eigenen Ängste gewinnen lassen. Tu das nicht.«

»Zedd hat etwas Ähnliches gesagt. Er meinte, es gebe Prophezeiungen über mich, die er mir nicht verraten wolle, weil man sich nicht auf die Worte verlassen könne. Er meinte, du hättest richtig gehandelt, die Worte einer Prophezeiung zu ignorieren. Aber dieser Fall liegt anders, Richard. Hier steht, daß ich dich verraten werde.«

»Ich sagte dir doch schon, vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung.«

»Blitze sind nichts Einfaches. Wenn man von einem Blitz getroffen wird, dann ist das ein Symbol dafür, daß man getötet wird, wenn nicht sogar ein klarer Hinweis auf die Todesart. In der Prophezeiung heißt es, ich würde dich verraten und deswegen würdest du sterben.«

»Das glaube ich nicht. Ich liebe dich, Kahlan. Ich weiß, daß das unmöglich ist. Du würdest mich nicht verraten oder mir Schaden zufügen. Das würdest du nicht tun.«

Kahlan krallte sich in sein Hemd und schluchzte. »Deswegen schickte Shota Nadine. Damit du eine andere heiratest, weil sie weiß, daß ich dein Untergang wäre. Shota versucht dich zu retten – vor mir.«

»Das glaubte sie schon einmal, und dann stellte sich heraus, daß sie sich geirrt hatte. Erinnerst du dich noch? Hätte Shota ihren Willen bekommen, hätten wir Darken Rahl niemals Einhalt gebieten können. Er wäre jetzt unser aller Herrscher, wenn wir uns ihrer Auslegung der Zukunft gefügt hätten. Mit den Prophezeiungen verhält es sich nicht anders.« Richard faßte sie bei den Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich, damit er ihr in die Augen sehen konnte. »Liebst du mich?«

Ihre verletzte Schulter summte vor Schmerz, als er sie dort berührte, sie weigerte sich aber, sich aus seinem Griff zu lösen. »Mehr als mein eigenes Leben.«

»Dann vertraue mir. Ich werde nicht zulassen, daß die Prophezeiung uns vernichtet. Am Ende wird sich alles zum Besten wenden, du wirst sehen. Wir können nicht über die Lösung nachdenken, solange wir uns auf das Problem konzentrieren.«

Sie rieb sich die Augen. Er klang so selbstsicher. Seine Zuversicht beruhigte sie und gab ihr Auftrieb. »Du hast recht. Entschuldige.«

»Willst du mich heiraten?«

»Natürlich, aber ich wüßte nicht, wie wir uns so lange aus der Verantwortung stehlen können, um abzureisen und –«

»Die Sliph.«

Sie machte ein ungläubiges Gesicht. »Die was?«

»Die Sliph, oben in der Burg der Zauberer. Ich habe darüber nachgedacht. Wir sind in ihr, mit ihrer Magie, den ganzen Weg in die Alte Welt und zurück gereist, und es hat jeweils weniger als einen Tag gedauert. Ich kann die Sliph wecken, und wir können in ihr reisen.«

»Doch sie würde uns in die Alte Welt bringen, nach Tanimura. Und dort, in der Nähe von Tanimura, hält sich Jagang auf.«

»Das ist trotzdem noch viel näher bei den Schlammenschen als Aydindril. Außerdem glaube ich, daß die Sliph auch an andere Orte reisen kann. Sie fragte mich, wohin ich reisen wolle. Demnach kann sie auch andere Ziele aufsuchen, möglicherweise eins, das viel näher an den Schlammenschen liegt.«

Kahlan, die über die Aussicht auf eine rasche Hochzeit ihre Tränen vergessen hatte, warf einen Blick hinauf zur Burg der Zauberer. »Wir könnten zu den Schlammenschen reisen, getraut werden und in wenigen Tagen wieder zurück sein. So lange können wir bestimmt von hier fortbleiben.«

Richard nahm sie lächelnd von hinten in die Arme. »Bestimmt.«

Kahlan wischte sich die letzte Träne fort und drehte sich in seinen Armen um. »Wie schaffst du es nur immer wieder, dir so etwas auszudenken?«

Er deutete mit einem Nicken auf ihr Bett. »Ich hatte einen sehr starken Beweggrund.«

Kahlan, deren Gesicht sich zu einem Schmunzeln verzog, wollte ihn gerade mit einer eindeutigen Unschicklichkeit belohnen, als es an der Tür klopfte. Sie ging sofort auf, ohne daß jemand geantwortet hätte. Nancy steckte den Kopf herein.

»Alles in Ordnung, Mutter Konfessor?« Sie warf einen bedeutungsschwangeren Blick auf Richard.

»Ja. Was gibt es?«

»Fräulein Nadine läßt fragen, ob sie den Umschlag wechseln dürfte.«

»Ach, tatsächlich?« erwiderte Kahlan mit düsterem Unterton.

»Ja, Mutter Konfessor. Aber wenn es Euch … ungelegen kommt, könnte ich sie bitten, zu warten, bis –«

»Bittet sie nur herein«, sagte Richard.

Nancy zögerte. »Ihr werdet das Oberteil Eures Kleides ablegen müssen, Mutter Konfessor. Um an den Umschlag heranzukommen.«

»Das ist schon in Ordnung«, flüsterte Richard in Kahlans Ohr. »Ich muß gehen und mit Berdine sprechen. Ich habe Arbeit für sie.«

»Ich hoffe, es hat nichts mit Pferdemist zu tun.«

Richard feixte. »Nein. Ich möchte, daß sie an Kolos Tagebuch arbeitet.«

»Warum?«

Er gab ihr einen Kuß auf den Scheitel. »Wissen ist eine Waffe. Ich habe die Absicht, vortrefflich gewappnet zu sein.« Er sah zu Nancy hinüber. »Braucht Ihr mich noch, damit ich Euch bei ihrem Kleid helfe?«

Nancy brachte es fertig, gleichzeitig eine böse Miene zu ziehen und rot zu werden.

»Ich nehme an, das heißt, Ihr kommt allein zurecht.« An der Tür wandte er sich noch einmal zu Kahlan um. »Ich werde warten, bis Nadine mit dir fertig ist, dann sollten wir diesen Drefan aufsuchen. Für ihn habe ich ebenfalls Arbeit. Ich hätte … dich gerne dabei.«

Nachdem er die Tür geschlossen hatte, strich Nancy sich das kurze braune Haar zurück und trat zu Kahlan, um ihr mit dem Kleid zu helfen. »Das Kleid, das Ihr gestern getragen habt, war so zerschlissen, daß es nicht mehr zu flicken war.«

»Das dachte ich mir.« Konfessoren besaßen eine Reihe von Kleidern, die alle völlig gleich waren. Konfessoren trugen Schwarz, nur die Mutter Konfessor trug Weiß. Sie mußte an das blaue Hochzeitskleid denken, das sie tragen würde. »Nancy, könnt Ihr Euch noch erinnern, wie Euer Gatte Euch den Hof machte?«

Nancy hielt inne. »Ja, Mutter Konfessor.«

»Dann müßt Ihr wissen, wie Ihr Euch gefühlt hättet, wenn ständig jemand hereingekommen wäre, sobald Ihr mit ihm allein wart.«

Nancy zog das Kleid über Kahlans Schultern. »Ich durfte vor unserer Hochzeit nicht mit ihm allein sein, Mutter Konfessor. Ich war jung und unwissend. Meine Eltern handelten richtig, als sie über mich und meine jugendliche Sprunghaftigkeit wachten.«

»Ich bin eine erwachsene Frau, Nancy. Ich bin die Mutter Konfessor. Ich kann nicht zulassen, daß Ihr und die anderen Frauen ständig den Kopf in mein Schlafzimmer steckt, sobald Richard bei mir ist. Au!«

»Entschuldigung. Das war meine Schuld. Es ist nicht richtig, Mutter Konfessor.«

»Darüber zu entscheiden ist meine Angelegenheit.«

»Wenn Ihr meint, Mutter Konfessor.«

Kahlan streckte den Hals aus, während Nancy ihr das Kleid über den Ärmel stülpte. »Ich meine das ernst.«

Nancy warf einen kurzen Blick auf das Bett. »In diesem Bett wurdet Ihr gezeugt. Wer weiß, wie viele Mütter Konfessor schon ihre Töchter hier empfangen haben. Ihr müßt eine vererbte Tradition fortsetzen. Nur verheiratete Mütter Konfessor nahmen ihre Männer mit in dieses Bett, um ein Kind zu empfangen.«

»Und nicht eine von ihnen aus Liebe. Ich wurde nicht in Liebe empfangen, Nancy Aber mein Kind wird das sein, sollte ich je eins haben.«

»Um so mehr ein Grund, daß dies mit dem Segen der Guten Seelen geschieht – im heiligen Bund der Ehe.«

Kahlan verschwieg, daß die Guten Seelen sie an einen Ort zwischen den Welten gebracht hatten, um ihre Verbindung zu weihen. »Die Guten Seelen wissen, wie es in unseren Herzen aussieht, für keinen von uns gibt es einen anderen, noch wird es je einen anderen geben.«

Nancy machte sich an der Bandage zu schaffen. »Und Ihr seid ganz versessen darauf. Genau wie meine Tochter und ihr junger Freund.«

Wenn Nancy nur wüßte, wie versessen.

»Das ist es nicht. Ich sage nur, daß ich nicht will, daß Ihr zu mir hereingeplatzt kommt, sobald Richard bei mir ist. Man wird uns bald trauen. Wir sind einander unwiderruflich versprochen.

Zur Liebe gehört mehr, als nur ins Bett zu springen, müßt Ihr wissen. Zum Beispiel, einander ganz nahe zu sein, einander in den Armen zu liegen. Könnt Ihr das verstehen? Ich kann mich nicht gut von meinem zukünftigen Ehemann küssen und mir meine Wunden von ihm versorgen lassen, wenn Ihr alle zwei Minuten den Kopf zur Tür hereinsteckt, habe ich recht?«

»Ja, Mutter Konfessor.«

Nadine klopfte an die offene Tür. »Darf ich reinkommen?«

»Ja, natürlich. Hier, legt Euren Beutel auf das Bett. Ich komme jetzt allein zurecht, Nancy. Danke.«

Nancy schüttelte mißbilligend den Kopf und schloß die Tür hinter sich. Die Kräuterfrau setzte sich neben Kahlan aufs Bett und ging daran, den Verband vollständig abzulösen. Kahlan betrachtete Nadines Kleid mißtrauisch.

»Dieses Kleid, Nadine … es ist doch dasselbe, das Ihr gestern getragen habt, oder nicht?«

»Aber ja.«

»Es scheint –«

Nadine sah an sich herab. »Die Frauen haben es für mich gewaschen, aber es ist … Oh, jetzt weiß ich, worauf Ihr hinauswollt. Es ist im Tunnel aufgeplatzt, als wir baden gingen. An den Nähten war der Stoff teilweise eingerissen, also mußte ich es enger machen, um es noch zu retten.

Seit ich von zu Hause fortging, hatte ich nie viel Appetit, wenn ich daran dachte … ich meine, ich war so sehr mit der Reise beschäftigt, daher konnte ich es an den Nähten enger machen und das Kleid auf diese Weise retten. Es ist nicht zu eng. Es paßt wunderbar so.«

»Ich werde in Anbetracht Eurer Hilfe dafür sorgen, daß Ihr ein neues Kleid bekommt, das bequemer ist.«

»Aber nein. Dieses hier ist wunderbar.«

»Verstehe.«

»Hm, Eure Schnittwunde sieht heute morgen kein bißchen schlechter aus. Das ist ermutigend.« Sie wischte den alten Umschlag vorsichtig ab. »Ich sah Richard hinausgehen. Er wirkte aufgeregt. Ihr habt Euch doch hoffentlich nicht gestritten?«

Mit Kahlans Geduld hatte es ein Ende. »Nein. Er war aus einem anderen Grund erregt.«

Nadine unterbrach ihre Arbeit. Sie wandte sich ihrem Beutel zu und drehte sich mit einem Horn wieder um. Nachdem sie es geöffnet hatte, erfüllte der Duft von Kiefernpech die Luft. Kahlan zuckte zusammen, als Nadine es auf den Umschlag tupfte. Dann ging die Kräuterfrau daran, den Verband wieder um den Arm zu wickeln.

»Es gibt keinen Grund zur Besorgnis«, meinte Nadine in beiläufigem Ton. »Liebende haben oft ihre kleinen Streitereien. Aber nicht immer bedeutet das das Ende ihrer Beziehung. Richard wird bestimmt wieder zur Vernunft kommen. Nach einer Weile.«

»Genaugenommen«, sagte Kahlan, »erklärte ich ihm, daß ich Verständnis hätte für ihn und Euch. Für das, was vorgefallen ist. Deswegen war er so aufgebracht.«

Nadine wickelte langsamer. »Wie meint Ihr das?«

»Ich habe ihm von Eurer Geschichte erzählt, als Ihr Euch von ihm beim Küssen habt erwischen lassen. Über den kleinen ›Schubs‹, den Ihr ihm gabt. Wißt Ihr noch?«

Nadine zog die Enden des Verbandes herum. Plötzlich beeilten sich ihre Finger, sie miteinander zu verschnüren. »Ach, diese Geschichte.«

»Ja, diese Geschichte.«

Nadine vermied es aufzusehen. Sie schob Kahlan den Ärmel des Kleides über die Hand. Nachdem sie das Kleid über Kahlans Schulter gestreift hatte, ließ sie das Horn sofort in den Beutel zurückfallen.

»Das sollte genügen. Ich wechsele den Umschlag besser später noch einmal.«

Kahlan sah zu, wie Nadine den Beutel aufhob und zur Tür eilte. Sie rief ihren Namen. Die Frau blieb zögernd stehen und drehte sich halb herum.

»Es scheint, Ihr habt mich angelogen. Richard hat mir erzählt, was wirklich passiert ist.«

Nadines Sommersprossen verschwanden unter einer tiefdunklen Röte. Kahlan stand auf und deutete mit einer Handbewegung auf einen mit Quasten verzierten samtenen Sessel.

»Möchtet Ihr die Dinge vielleicht zurechtrücken? Mir Eure Version erzählen?«

Nadine stand einen Augenblick lang stocksteif da, dann sank sie in den Sessel. Sie faltete die Hände im Schoß und senkte den Blick auf sie. »Ich sagte doch schon, ich mußte ihm einen Schubs geben.«

»Das nennt Ihr einen Schubs?«

Nadine errötete noch mehr. »Na ja.« Sie machte eine vage Handbewegung. »Ich wußte, daß Jungs ihren Kopf verlieren, wenn es um ihre … ihre Lust geht. Ich dachte, das wäre für mich die beste Gelegenheit, ihn dazu zu bringen, mir einen Antrag zu machen.«

Kahlan war verwirrt, ließ es sich aber nicht anmerken. »Wie es scheint, war es dafür ein wenig spät.«

»Na ja, nicht unbedingt. Ich würde am Ende auf jeden Fall einen von ihnen bekommen, wenn ich mich von Richard so erwischen ließe, nackt, oben auf Michael, und offensichtlich mit einer Menge Spaß. Michael war ganz verrückt nach mir, soviel war sicher.«

Kahlan zog die Augenbrauen hoch. »Wie kamt Ihr auf die Idee, daß –?«

»Ich hatte mir alles genau überlegt. Richard würde nach mir eintreffen. Er würde mich auf Michaels Lanze sehen, wo ich vor Vergnügen schrie, und durch diesen Anblick und meine Bereitwilligkeit würde er von Lust übermannt werden. Dann würde er den Kopf verlieren und mich schließlich ebenfalls nehmen.«

Kahlan starrte benommen vor sich hin. »Wie wolltet Ihr Richard auf diese Weise für Euch gewinnen?«

Nadine räusperte sich. »Na ja, das war so: Ich habe mir ausgerechnet, Richard würde Gefallen daran haben, mich zu besitzen. Dafür wollte ich schon sorgen. Beim nächsten Mal wollte ich ihn dann zurückweisen. Und er nach einer Kostprobe wäre so verrückt nach mir, daß er mir einen Heiratsantrag machen würde.

Machte Richard mir keinen Antrag, und ich würde schwanger, dann könnte ich behaupten, das Kind sei von ihm, und dann würde er mich heiraten, weil es ja tatsächlich von ihm stammen konnte. War ich nicht schwanger, und er machte mir keinen Antrag, nun, dann wäre da noch immer Michael. Ich dachte, der Zweitbeste wäre immer noch besser als gar keiner.«

Kahlan wußte nicht, was tatsächlich geschehen war. Richard hatte es nicht gesagt. Sie befürchtete, Nadine könnte ihre Geschichte genau an diesem Punkt beenden. Kahlan konnte nicht gut zugeben, daß sie nicht wußte, was als nächstes geschehen war, schlimmer noch, sie hatte Angst zu hören, wie erfolgreich Nadines bizarrer Plan gewesen war. In der ersten Version, der Version des Kusses, hatte Richard sich abgewendet. Doch Kahlan wußte, daß diese Version nicht stimmte.

Sie beobachtete, wie die Ader seitlich an Nadines Hals pochte. Kahlan verschränkte die Arme und wartete.

Endlich fand Nadine ihre Stimme zurück und fuhr fort. »Na ja, so sah jedenfalls mein Plan aus. Er erschien mir durchaus erfolgversprechend. Ich rechnete mir aus, im günstigsten Fall Richard zu gewinnen und im ungünstigsten Michael.

Doch klappte es nicht so, wie ich dachte. Richard kam herein und erstarrte. Ich sah lächelnd über meine Schulter. Ich lud ihn ein, bei dem Spaß mitzumachen oder später zu mir zu kommen. Ich würde mich dann auch um ihn kümmern.«

Kahlan hielt den Atem an.

»Damals sah ich diesen Blick in Richards Augen zum ersten Mal. Er sagte kein Wort. Er machte einfach kehrt und ging hinaus.«

Nadine fuhr sich mit der Hand unters Haar, das ihr Gesicht umgab, und wischte sich damit schniefend über die Nase. »Ich dachte, mir würde wenigstens Michael bleiben. Der lachte mich aus, als ich ihm sagte, er hätte mir einen Antrag gemacht. Er lachte bloß. Danach wollte er nie wieder mit mir Zusammensein. Er hatte bekommen, was er wollte. Danach war ich ihm nicht mehr von Nutzen. Er ging zu anderen Mädchen.«

»Aber wenn Ihr bereit gewesen wart … Gütige Seelen, warum habt Ihr nicht einfach Richard verführt?«

»Weil ich befürchtete, er würde genau das erwarten und hätte sich schon dagegen gewappnet. Ich war nicht das einzige Mädchen, mit dem er tanzen ging. Ich hatte Angst, er wollte sich nicht festlegen; wenn ich einfach versuchte, ihn zu verführen, war er vielleicht darauf vorbereitet und würde mich abweisen. Ich hatte ein Gerücht gehört, daß Bess Pratter es darauf angelegt hätte. Offenbar hatte sie keinen Erfolg gehabt. Ich hatte Angst, der Anstoß wäre nicht stark genug.

Ich hoffte, daß die Eifersucht ihn zu einer Entscheidung zwingen würde. Mein Plan, so dachte ich, würde ihn so überraschen, daß er einfach vor Eifersucht und Lust den Kopf verlöre und dann mir gehörte. Ich hatte gehört, es gebe bei einem Mann keinen mächtigeren Antrieb als Eifersucht und Lust.«

Nadine strich sich das Haar mit beiden Händen zurück. »Ich kann gar nicht glauben, daß Richard Euch davon erzählt hat. Ich dachte, er würde niemals jemandem davon erzählen.«

»Hat er auch nicht«, gab Kahlan tonlos zurück. »Richard starrte mich bloß an, als ich ihm sagte, Ihr hättet erzählt, er habe Euch dabei erwischt, wie Ihr seinen Bruder küßt. Er hat mir nichts erzählt. Das habt Ihr gerade ganz von selbst getan.«

Nadine ließ das Gesicht in die Hände sinken.

»Ihr seid vielleicht mit Richard aufgewachsen, aber Ihr habt ihn nicht besonders gut gekannt. Gütige Seelen, Ihr hattet nicht die geringste Ahnung, wie er wirklich war.«

»Es hätte klappen können. Ihr wißt längst nicht soviel, wie Ihr meint. Richard ist ein einfacher Junge aus Kernland, der nie etwas besessen hat und der sich den Kopf von schönen Dingen und Menschen, die tun, was er sagt, hat verdrehen lassen. Deswegen hätte der Plan gelingen können – weil er einfach will, was er sieht. Ich wollte ihm nur helfen zu erkennen, was ich zu bieten hatte.«

Kahlan dröhnte der Kopf. Sie kniff sich in den Nasenrücken und schloß die Augen.

»Nadine, die Gütigen Seelen sind meine Zeugen, Ihr müßt so ungefähr die dümmste Frau sein, die mir je begegnet ist.«

Nadine sprang auf. »Ihr haltet mich für dumm? Ihr liebt ihn. Ihr begehrt ihn.« Sie tippte sich mit dem Finger an die eigene Brust. »Ihr wißt, wie es sich hier drinnen anfühlt, wenn man ihn begehrt. Ich habe ihn nicht weniger begehrt als Ihr. Wenn Ihr müßtet, würdet Ihr dasselbe versuchen. Ihr würdet in diesem Augenblick, so gut Ihr ihn auch kennt, dasselbe tun, wenn Ihr der Meinung wärt, es sei Eure einzige Chance. Eure einzige Chance! Jetzt erzählt mir nur nicht, Ihr würdet so etwas nicht tun!«

»Nadine«, antwortete Kahlan ruhig, »Ihr habt von Liebe nicht die geringste Ahnung. Es geht nicht darum, sich zu nehmen, was man haben will. Es geht darum, das Glück für den zu wollen, den man liebt.«

Die andere Frau beugte sich mit giftigem Gesichtsausdruck vor. »Ihr würdet dasselbe tun wie ich, wenn Ihr müßtet!«

Die Worte aus der Prophezeiung gingen Kahlan durch den Kopf.

Im Blitzgewitter wird man ihn auf diesem Pfad sehen können, denn die Frau in Weiß, seine wahre Liebe, wird ihn in ihrem Blut verraten

»Ihr täuscht Euch, Nadine, das würde ich nicht. Um nichts in der Welt würde ich riskieren, daß Richard ein Leid geschieht. Um keinen Preis. Ich würde ein Leben in Elend und Einsamkeit auf mich nehmen, ehe ich das zuließe. Ich würde ihn sogar eher Euch überlassen, als ihm weh zu tun.«

Загрузка...