Das quecksilbrige Gesicht der Sliph hatte sich über den Rand der steinernen Ummauerung geschoben und betrachtete sie.
Die glänzend metallischen, weiblichen Züge des Wesens reflektierten den Schein der Laterne und den Raum wie ein lebendiger Spiegel. Es war offenkundig, warum Kolo die Sliph als weiblich bezeichnet hatte. Sie stellte eine Statue aus Silber dar. Nur daß sie sich mit fließender Eleganz bewegte.
Kahlan preßte sich eine Hand auf ihr klopfendes Herz und rang keuchend nach Atem. Die Sliph blickte sie an, als warte sie neugierig auf Kahlans nächsten Schritt. Kolo hatte in seinem Tagebuch oft davon gesprochen, daß ›sie‹ ihn beobachte.
»Sliph…«, stammelte Kahlan. »Wie kommt es, daß du wach bist?«
Das Gesicht verzog sich zu einer fragenden Maske. »Möchtest du reisen?« Ihre unheimliche Stimme hallte im Raum wider. Ihre Lippen hatten sich beim Sprechen nicht bewegt, aber sie lächelte freundlich.
»Reisen? Nein.« Kahlan trat einen Schritt auf den Brunnen zu. »Richard hat dich schlafen gelegt, Sliph. Ich war dabei.«
»Mein Meister. Er hat mich geweckt.«
»Richtig, Richard hat dich geweckt. Er ist in dir gereist. Er hat mich gerettet, und ich bin zusammen mit ihm zurückgereist … in dir.«
Kahlan erinnerte sich mit einer gewissen Zärtlichkeit an das seltsame Erlebnis. Um in der Sliph reisen zu können, mußte man sie einatmen. Anfangs war das furchteinflößend, aber da Richard bei ihr gewesen war, hatte Kahlan sich überwinden können und das bezaubernde Gefühl dieses ›Reisens‹ für sich entdeckt.
Die Sliph einzuatmen war ein Gefühl reiner Verzückung.
»Ich erinnere mich«, sagte die Sliph. »Du warst einmal in mir, ich erinnere mich.«
»Aber erinnerst du dich nicht mehr, wie Richard dich wieder schlafen legte?«
»Er hat mich aus dem Schlaf der Zeiten geweckt, mich aber nicht wieder in den langen Schlaf zurückgeschickt. Er hat mich ruhen lassen, bis ich wieder gebraucht werde.«
»Aber wir dachten – wir dachten, du wärst wieder eingeschlafen. Warum … ruhst du jetzt nicht?«
»Ich spüre deine Nähe. Ich kam, um nachzusehen.«
Kahlan trat an die Mauer heran. »Sliph, ist seit Richard und mir jemand in dir gereist?«
»Ja. Ich wurde gebraucht.«
Plötzlich ging ihre Überraschung in Erkenntnis über. »Ein Mann und eine Frau. Sie sind in dir gereist, nicht wahr?«
Das Lächeln der Sliph bekam etwas Verschmitztes, aber sie antwortete nicht.
Kahlan legte ihre Finger auf die Mauer. »Wer war es, Sliph, wer ist in dir gereist?«
»Du solltest wissen, daß ich niemals verrate, wen ich in mir aufnehme.«
»Das sollte ich wissen? Woher denn?«
»Du bist in mir gereist. Ich würde deinen Namen nicht preisgeben. Ich verrate meine Schützlinge nie. Du bist gereist, also mußt du das verstehen.«
Kahlan fuhr sich geduldig mit der Zunge über die Lippen. »Leider weiß ich eigentlich überhaupt nichts über dich, Sliph. Du stammst aus einem anderen Zeitalter. Ich weiß nur, daß du reisen kannst und daß du mir schon einmal geholfen hast. Du warst eine wertvolle Hilfe, als es darum ging, ein paar sehr böse Menschen zu besiegen.«
»Es freut mich, daß du zufrieden mit mir warst. Vielleicht möchtest du wieder zufrieden sein? Möchtest du wieder reisen?«
Ein Schauder kroch Kahlans Wirbelsäule hoch. Das mußte der Grund sein, weshalb Marlin versucht hatte, zur Burg der Zauberer zu gelangen. Er und Schwester Amelia mußten in der Sliph aus der Alten Welt nach Aydindril gekommen sein. Jagang hatte gesagt, er habe bis zur Rückkehr der Schwester damit gewartet, sich zu offenbaren. Wie sonst hätte sie so schnell zurückkommen können, wenn nicht in der Sliph?
Kahlan machte eine flehende Geste. »Sliph, einige sehr böse Menschen…«
Sie hielt inne und riß erschrocken die Augen auf.
»Sliph«, sagte sie leise, »du hast mich auch schon einmal in die Alte Welt gebracht.«
»Ah. Ich kenne diesen Ort. Komm, wir reisen.«
»Nein, nein, nicht dorthin. Kannst du auch an andere Orte reisen, Sliph?«
»Natürlich.«
»Und wohin?«
»An viele Orte. Das müßtest du wissen. Du bist doch gereist. Nenne den Ort, der dir gefallen würde, und wir werden reisen.«
Kahlan beugte sich zu dem verführerisch lächelnden, silbernen Gesicht hinüber.
»Zur Hexe. Kannst du mich zur Hexe bringen?«
»Diesen Ort kenne ich nicht.«
»Es handelt sich nicht um einen Ort. Sondern um eine Person. Sie lebt im Rang'Shada-Gebirge. An einem Ort namens Agaden. Kannst du dorthin reisen, nach Agaden?«
»Ah. Dort war ich schon einmal.«
Kahlan legte ihre zitternde Hand an die Lippen.
»Komm, und wir werden reisen«, forderte die Sliph sie auf, deren unheimliche Stimme von den uralten Mauern widerhallte. Das Geräusch verklang allmählich. Ein weiteres Mal senkte sich Stille herab und legte sich wie ein Staubschleier über den Raum.
Kahlan räusperte sich. »Ich muß vorher etwas holen. Wirst du noch hier sein, wenn ich wiederkomme? Wirst du auf mich warten?«
»Wenn ich ruhe, brauchst du mir deinen Wunsch nur mitzuteilen, und wir werden reisen. Du wirst zufrieden sein.«
»Soll das heißen, wenn du nicht hier bist, brauche ich nur dort unten hineinzurufen, damit du kommst und wir reisen?«
»Ja. Wir werden reisen.«
Kahlan rieb sich die Hände und ging einen Schritt zurück. »Ich komme wieder. Ich bin bald wieder zurück, dann werden wir reisen.«
»Ja«, sagte die Sliph und verfolgte mit den Augen, wie Kahlan sich entfernte. »Wir werden reisen.«
Kahlan hob die Lampe von der Stelle auf, wo sie sie neben den Regalen auf dem Boden abgestellt hatte. An der Tür hielt sie inne und sah sich nach dem quecksilbrigen Gesicht um, das in der Dunkelheit zu schweben schien.
»Ich komme wieder. Bald. Wir werden reisen.«
»Ja. Wir werden reisen«, wiederholte die Sliph, als Kahlan zu laufen begann.
Es fiel ihr schwer, sich im Laufen zu überlegen, wohin sie eigentlich wollte. Ihr drehte sich der Kopf von Argumenten. Sie rang mit ihren Alternativen und versuchte gleichzeitig achtzugeben, wenn sie in Korridore einbog, durch Räume rannte und Treppen hinaufflog.
Alles deutete darauf hin, daß sie den Bibliothekssaal erreicht haben würde, bevor sie soweit war. Verärgert blies sie die Wangen auf, als ihr klar wurde, daß sie in diesem Zustand nicht zu Cara und Berdine hineinplatzen konnte. Sie würden sofort wissen, daß etwas nicht in Ordnung war.
Nicht weit entfernt von der Bibliothek, wo die beiden Mord-Sith warteten, ließ Kahlan sich auf eine gepolsterte Bank fallen und setzte die Laterne ab. Sie lehnte sich an die Wand und streckte die schmerzenden Beine aus. Sie fächelte sich mit der Hand Luft zu und versuchte ihr Herz zu beruhigen. Sie wußte, daß ihr Gesicht rot wie ein Apfel sein mußte.
So konnte sie nicht zu den anderen hineingehen. Kahlan schmiedete Pläne, während sie sich ausruhte und wartete, daß ihr Herz zu klopfen aufhörte, ihre Lungen sich erholten, ihr Gesicht sich entspannte.
Shota wußte von der Pest. Dessen war Kahlan sicher. Über Richard hatte sie gesagt: »Mögen die Seelen gnädig mit ihm sein.«
Shota hatte Nadine geschickt, damit sie Richard heiratete. Kahlan erinnerte sich noch lebhaft an Nadines hautenges Kleid, an ihr stets kokettes Lächeln, ihre Vorwürfe und daran, wie sie zu Richard gesagt hatte, Kahlan sei herzlos. An den Blick in ihren Augen, wann immer sie mit ihm sprach.
Kahlan überlegte, was sie zu tun hatte. Shota war eine Hexe. Alle fürchteten sich vor ihr. Selbst Zauberer. Kahlan hatte ihr niemals etwas angetan, aber das hatte Shota nicht daran gehindert, ihr Leid zuzufügen.
Möglicherweise würde Shota sie töten.
Aber nicht, wenn Kahlan sie zuerst tötete.
Schließlich hatte sie die Fassung wiedererrungen. Sie erhob sich, strich ihr Kleid glatt, atmete einmal tief durch und war bereit.
Kahlan setzte ihre Konfessorenmiene auf und trat entschlossenen Schritts durch die Türen der Bibliothek, wo die beiden anderen warteten.
Cara und Berdine schauten hinter einer Regalreihe hervor. Die Bücher waren vom Tisch verschwunden.
Cara musterte Kahlan argwöhnisch. »Ihr wart ziemlich lange fort.«
»Es hat eine Weile gedauert, bis ich einen Weg gefunden hatte, den ich passieren konnte.«
Berdine kam hinter den Regalen vor. »Und? Habt Ihr etwas entdeckt?«
»Etwas entdeckt? Was denn?«
Berdine breitete die Hände aus. »Bücher. Ihr wolltet doch nach Büchern suchen.«
»Nein. Nichts.«
Cara runzelte die Stirn. »Gab es Schwierigkeiten?«
»Nein. Ich bin nur ein wenig durcheinander wegen … wegen dieser ganzen Geschichte. Wegen der Seuche und allem. Es ärgert mich, daß ich nichts gefunden habe, was uns weiterhelfen könnte. Und ihr zwei?«
Berdine wischte sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. »Nichts. Weder etwas über den Tempel der Winde noch über die Mannschaft, die ihn fortschickte.«
»Das begreife ich nicht«, sagte Kahlan, hauptsächlich zu sich selbst. »Wenn es zu einer Gerichtsverhandlung gekommen ist, wie Kolo behauptet, dann müßte es darüber Aufzeichnungen geben.«
»Tja«, meldete sich Berdine, »wir haben alle anderen Bücher durchgesehen, um festzustellen, ob wir vielleicht einen Bericht über eine Verhandlung übersehen haben. Wir haben keinen gefunden. Wo können wir sonst noch suchen?«
Kahlan sank enttäuscht zusammen. Sie hatte fest damit gerechnet, daß sie für Richard einen Bericht über die Verhandlungen finden würden.
»Nirgendwo. Wenn er nicht hier ist, dann gibt es entweder keinen, oder er wurde vernichtet. Nach Kolos Aussage befand sich die Burg der Zauberer damals in Aufruhr, vielleicht war man zu beschäftigt, um die Berichte ordentlich weiterzuführen.«
Berdine legte den Kopf schief. »Aber zumindest einen Teil der Nacht werden wir noch weitersuchen.«
Kahlan ließ den Blick durch die Bibliothek wandern. »Nein. Das wäre Zeitverschwendung. Die Zeit wäre besser genutzt, wenn Ihr weiter an Kolos Tagebuch arbeiten würdet. Solange wir den Bericht über die Gerichtsverhandlung nicht haben, helfen wir Richard mit der Übersetzung des Tagebuches am meisten. Vielleicht stoßt Ihr dort auf etwas Wichtiges.«
Kahlans Entschlossenheit geriet im hellen Licht der Bibliothek ins Schwanken. Sie begann, ihre Pläne noch einmal zu überdenken.
»Tja«, machte Cara, »dann gehen wir wohl besser wieder an die Arbeit. Unmöglich zu sagen, was Nadine im Schilde führt. Wenn es ihr gelingt, in Lord Rahls Zimmer einzudringen, wird sie sich beim Küssen wunde Lippen holen, während er hilflos schlafend daliegt.«
Berdine preßte die Lippen aufeinander und gab Cara einen Stoß gegen die Schulter. »Was ist in dich gefahren? Die Mutter Konfessor ist eine Schwester des Strafers.«
Cara sah sie überrascht an. »Entschuldige. Es sollte ein Scherz sein.« Sie berührte Kahlan am Arm. »Ihr wißt, daß ich Nadine töte, wenn Ihr es wünscht – Ihr braucht mich nur darum zu bitten. Keine Sorge, Raina wird Nadine nicht in sein Zimmer lassen.«
Kahlan wischte sich eine Träne von der Wange. »Ich weiß. Nur, in all diesem Durcheinander – ich weiß.«
Ihr Entschluß stand fest. Vielleicht half es Richard, wenn sie eine Antwort fanden. Wenn sie etwas entdeckten, das der Seuche ein Ende bereitete. Kahlan wußte, daß sie nur Ausflüchte vor sich selbst machte. Sie wußte, weshalb sie gehen mußte.
»Habt Ihr gefunden, wonach Ihr gesucht habt?« fragte Raina, als Kahlan, Cara und Berdine auf sie zukamen.
»Nein«, gab Kahlan zurück. »Es gab dort keinen Bericht über die Gerichtsverhandlung.«
»Das tut mir leid.«
Kahlan deutete auf die Tür. »Hat jemand versucht, ihn zu behelligen?«
Raina feixte. »Sie war hier. Wollte nach Lord Rahl sehen. Um sich zu vergewissern, ob er schläft, wie sie behauptete.«
Kahlan mußte nicht fragen, wer ›sie‹ war. Ihr Blut geriet in Wallung. »Und, habt Ihr sie hineingelassen?«
Raina lächelte ihr freudlos finsteres Lächeln. »Ich steckte meinen Kopf hinein, sah, daß Lord Rahl schlief, und teilte ihr dies mit. Ich ließ sie nicht einmal einen flüchtigen Blick auf ihn werfen.«
»Gut. Aber wahrscheinlich kommt sie noch einmal zurück.«
Rainas Lächeln wurde breiter. »Das glaube ich kaum. Ich erklärte ihr, sollte ich sie heute nacht noch einmal in diesem Flur erwischen, würde sie meinen Strafer auf ihrem nackten Hintern zu spüren bekommen. Als sie ging, hatte sie nicht mehr den geringsten Zweifel, daß es mir Ernst damit war.«
Cara lachte. Kahlan war nicht danach zumute.
»Es ist spät, Raina. Warum legt Ihr und Berdine Euch nicht ein wenig schlafen?« Ihr entging der kurze Blick auf Berdine nicht. »Berdine braucht ein wenig Ruhe, genau wie Lord Rahl, damit sie morgen am Tagebuch weiterarbeiten kann. Wir brauchen alle etwas Ruhe. Ulic und Egan werden Lord Rahl bewachen.«
Raina gab Ulic mit dem Handrücken einen leichten Klaps auf den Bauch. »Schafft ihr zwei das? Kommt ihr ohne mich zurecht?«
Ulic sah die Mord-Sith verärgert an. »Wir sind Lord Rahls Leibwächter. Wenn jemand versucht hier einzudringen, bleibt von ihm nicht genug übrig, um einen Zahnstocher daraus herzustellen.«
Raina zuckte die Achseln. »Ich glaube, die beiden schaffen das. Gehen wir, Berdine. Es wird Zeit, daß wir zur Abwechslung mal wieder eine Nacht durchschlafen.«
Cara stand neben Kahlan, während diese verfolgte, wie Berdine und Raina sich mit großen Schritten entfernten und dabei ein kritisches Auge auf patrouillierende Soldaten warfen.
»Ihr habt recht, was die Ruhe anbetrifft. Ihr braucht auch ein wenig Schlaf, Mutter Konfessor«, sagte Cara. »Ihr seht aus, als würdet Ihr Euch nicht wohl fühlen.«
»Ich … ich will vorher noch nach Richard sehen. Ich kann besser schlafen, wenn ich weiß, daß mit ihm alles in Ordnung ist. Ich bleibe nur einen Augenblick.« Sie sah Cara fest entschlossen an, um sämtliche Absichten, sie zu begleiten, im Keim zu ersticken. »Warum legt Ihr Euch nicht auch etwas schlafen?«
Cara verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Ich werde warten.«
In Richards Zimmer war es dunkel, doch wie sich herausstellte, fiel genug Licht durch das Fenster herein, damit sie das Bett finden konnte. Kahlan lauschte auf seinen gleichmäßigen Atem.
Sie wußte, wie sehr die Ereignisse der letzten Zeit ihm zugesetzt hatten. Sie empfand den gleichen Schmerz. Wie viele Familien litten in dieser Nacht an denselben Sorgen? Wieviel mehr würden in der nächsten und der übernächsten darunter leiden?
Kahlan ließ sich vorsichtig auf der Bettkante nieder. Sie schob einen Arm unter seine Schultern und hob ihn behutsam hoch. Er murmelte im Schlaf leise ihren Namen, wachte aber nicht auf, als sie ihn ein Stück weit aufrichtete und ihn mit seinem ganzen Gewicht gegen sich lehnte.
Kahlan griff hinter sich und nahm das Glas mit dem Schlaftrank, den Nadine zubereitet hatte. Sie hielt es ihm vor den Mund und neigte es, so daß der Trank seine Lippen benetzte. Er bewegte sich leicht und schluckte, als sie das Glas anhob.
»Trink, Richard«, sprach sie leise auf ihn ein. Sie gab ihm einen Kuß auf die Stirn. »Trink, mein Liebster. Das wird dir helfen.«
Nach jedem Schluck kippte sie das Glas ein wenig mehr und zwang ihn dadurch weiterzutrinken. Als er das meiste getrunken hatte, stellte sie es wieder ab. Er murmelte erneut ihren Namen.
Kahlan nahm seinen Kopf in die Arme und drückte seine Wange an ihre Brust. Sie legte ihre Wange auf sein Haar, als ihr eine Träne über den Nasenrücken lief.
»Ich liebe dich so sehr, Richard«, flüsterte sie. »Was immer geschieht, zweifle nie daran, wie sehr ich dich liebe.«
Kahlan ließ ihn behutsam wieder auf das Kopfkissen sinken und zog ihren Arm unter ihm hervor. Dann deckte sie ihn zu.
Sie küßte die Spitze ihres Zeigefingers und drückte den Kuß sanft auf seine Lippen, dann verließ sie das Zimmer.
Auf dem Weg zu ihrem Gemach erinnerte sie Cara daran, daß sie ein wenig schlafen sollte.
»Ich lasse Euch nicht aus den Augen«, betonte diese.
»Cara, Ihr müßt auch ein wenig ruhen.«
Cara sah sie an. »Ich habe nicht die Absicht, Lord Rahl noch einmal im Stich zu lassen.« Als Kahlan protestieren wollte, fiel sie ihr ins Wort. »Ich werde auch vor Euren Gemächern Wachen postieren. Ich kann hier ein Nickerchen halten, und wenn etwas passiert, bin ich gleich in der Nähe. Das genügt mir.«
Kahlan hatte etwas zu erledigen. Sie mußte Cara loswerden.
»Ihr habt gesehen, in welchem Zustand Richard war, als er nicht genügend Schlaf bekam.«
Cara tat dies mit einem leisen, spöttischen Lachen ab. »Mord-Sith sind stärker als Männer. Außerdem war er nur deshalb in diesem Zustand, weil er tagelang nicht geschlafen hatte. Ich habe gestern nacht geschlafen.«
Kahlan hatte keine Lust zu streiten. Sie suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, wie sich dieses Hindernis im hautengen Lederanzug aus dem Weg räumen ließ. Cara durfte nicht erfahren, was sie vorhatte. Schwester des Strafers oder nicht, Cara würde Richard davon Bericht erstatten. Daran bestand nicht der geringste Zweifel.
Das war das letzte, was Kahlan wollte. Unter keinen Umständen sollte Richard erfahren, was sie vorhatte. Sie würde sich einen neuen Plan ausdenken müssen.
»Ich weiß nicht recht. Ich glaube, ich kann noch nicht ins Bett gehen. Ich habe ein wenig Hunger.«
»Ihr seht müde aus, Mutter Konfessor. Ihr braucht Schlaf, nicht etwas zu essen. Ihr werdet nicht so gut schlafen, wenn Ihr unmittelbar vor dem Zubettgehen etwas zu Euch nehmt. Ich möchte, daß Ihr ausschlaft, genau wie Lord Rahl. Ihr könnt beruhigt schlafen, denn Nadine wird nicht in seine Nähe kommen. Ich kann mir gut denken, was Raina zu Nadine gesagt hat, und so unverschämt diese Dirne auch ist, sie ist klug genug, eine Warnung von Raina nicht in den Wind zu schlagen. Heute abend braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen, Ihr könnt also beruhigt schlafen.«
»Wovor habt Ihr Angst, Cara? Außer vor Magie und Ratten.«
Cara machte ein finsteres Gesicht. »Ich mag Ratten nicht. Aber ich habe keine Angst vor ihnen.«
Kahlan glaubte ihr kein einziges Wort. Sie wartete, bis sie außer Hörweite einer Patrouille waren, die sie in entgegengesetzter Richtung passierte, »Was macht Euch angst? Wovor fürchtet Ihr Euch?«
»Vor gar nichts.«
»Cara«, tadelte Kahlan, »ich bin doch auch eine Schwester des Strafers. Jeder hat vor irgend etwas Angst.«
»Ich will im Kampf sterben, nicht schwach und krank in einem Bett, durch die Hand eines unsichtbaren Feindes. Ich habe Angst, Lord Rahl könnte die Pest bekommen und uns ohne einen Herrscher D'Haras zurücklassen.«
»Davor habe ich auch Angst«, gestand Kahlan leise. »Ich habe Angst, Richard könnte die Pest bekommen, und alle anderen, die ich liebe, ebenfalls. Ihr, Berdine, Raina, Ulic, Egan und alle im Palast, die ich kenne.«
»Lord Rahl wird einen Weg finden, die Suche einzudämmen.«
Kahlan strich sich eine Strähne hinters Ohr. »Fürchtet Ihr Euch davor, keinen Mann zu finden, der Euch liebt?«
Cara warf einen ungläubigen Blick in Kahlans Richtung. »Warum sollte ich davor Angst haben? Ich brauche einem Mann nur die Erlaubnis zu erteilen, mich zu lieben, und er wird es tun.«
Kahlans Blick wanderte von Cara zu den Säulen an den Seiten des Saales hinüber, den sie soeben durchquerten. Ihre Stiefeltritte hallten über den Marmorboden.
»Ich liebe Richard. Die Magie eines Konfessors zerstört einen Mann, wenn sie ihn liebt – Ihr wißt schon, wenn sie … vereint sind. Richard kann meine Liebe nur deshalb erwidern, weil er etwas Besonderes ist, weil er eine besondere Magie besitzt. Ich habe schreckliche Angst, ihn zu verlieren. Ich will keinen anderen Mann als Richard – niemals –, aber selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht. Kein Mann ist fähig, mir seine Liebe so zu zeigen wie Richard. Ich könnte nie einen anderen lieben.«
Caras Stimme wurde vor Mitgefühl fast zärtlich. »Lord Rahl wird einen Weg finden, die Pest zu beenden.«
Sie verließen den Marmorboden und betraten die Teppiche, die ihre Schritte schluckten, als sie die Treppe hinauf zu Kahlans Gemächern gingen.
»Ich habe Angst, ich könnte Richard an Nadine verlieren, Cara.«
»Lord Rahl mag Nadine nicht. Ich sehe an seinem Blick, daß er sich nicht für sie interessiert. Lord Rahl hat nur für Euch Augen.«
Kahlans Finger glitten über das glatte Marmorgeländer, während sie die Stufen hinaufstieg. »Nadine ist von einer Hexe geschickt worden, Cara.«
Cara sagte nichts. Das hatte etwas mit Magie zu tun.
Als sie schließlich die Tür zu ihren Gemächern erreicht hatten, blieb Kahlan stehen. Sie sah Cara in die blauen Augen.
»Versprecht Ihr mir eins? Als Schwester des Strafers?«
»Wenn ich kann.«
»All das, was im Augenblick geschieht – es ist schon so viel schiefgegangen. Versprecht Ihr mir, falls … falls etwas passiert und ich einen Fehler mache, den schlimmsten Fehler, den ich je begangen habe, und ich alles irgendwie durcheinanderbringe … , versprecht Ihr mir, nicht zuzulassen, daß sie Richard an meiner Stelle bekommt?«
»Was sollte denn passieren? Lord Rahl liebt Euch, nicht dieses Weibsstück.«
»Alles mögliche kann passieren. Die Pest – Shota – einfach alles. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, Cara, daß Nadine meinen Platz an Richards Seite einnimmt, falls mir etwas zustößt.« Kahlan packte die Mord-Sith am Arm. »Bitte, ich flehe Euch an. Versprecht Ihr mir das?«
Cara starrte sie bohrend an. Mord-Sith nahmen einen Schwur nicht auf die leichte Schulter. Kahlan war sich bewußt, daß sie eine ernste Bitte vorbrachte. Sie verlangte von Cara, etwas bei ihrem Leben zu schwören.
Cara nahm ihren Strafer in die Hand. Sie küßte ihn.
»Nadine wird Euren Platz an Richards Seite niemals einnehmen. Ich schwöre es.«
Kahlan nickte nur, denn in diesem Augenblick versagte ihr die Stimme.
»Geht jetzt, Mutter Konfessor. Ich werde hier sein und Wache halten. Niemand wird Euch behelligen. Ihr könnt beruhigt schlafen, denn Ihr wißt, daß Nadine niemals Euren Platz einnehmen wird. Darauf habt Ihr meinen Eid.«
»Danke, Cara«, erwiderte Kahlan leise, voller Dankbarkeit. »Wenn Ihr jemals etwas von mir wollt, braucht Ihr es nur zu sagen. Glaubt mir, Ihr seid wahrlich eine Schwester des Strafers.«