Clarissa bemühte sich, ihr Zittern unter Kontrolle zu bekommen, und klammerte sich an das verwitterte Fensterbrett im Steinturm der Abtei. Die andere Hand preßte sie auf ihr heftig klopfendes Herz. Obwohl ihr der beißende Rauch in den Augen brannte, zwang sie sich, ab und an zu blinzeln, während sie wie gebannt dastand und den Tumult in der Stadt und auf dem Platz unten beobachtete.
Der Lärm war ohrenbetäubend. Schlachtrufe brüllend, drängten die Angreifer weiter vor, schwangen Schwerter, Äxte und an Ketten hängende Morgensterne. Die Luft war angefüllt vom Sirren der Pfeile. Pferde wieherten in panischer Angst. Kugeln aus Licht und Feuer kamen heulend aus der weiteren Umgebung herangeflogen und brachen explodierend durch die steinernen Mauern. Die wild entschlossenen Angreifer stießen in gellende Hörner und strömten wie wilde Tiere brüllend durch die Breschen in den Mauern der Stadt herein, so daß die Straßen in der unfaßbaren Masse ihrer bräunlichschwarzen Flut versanken. Überall zischten und tosten Flammen.
Stadtbewohner weinten ohne jede Scham, als sie mit ausgestreckten Händen flehend noch um Gnade baten, während sie bereits zum Tod durch das Schwert verurteilt waren. Clarissa sah, wie die blutverschmierte Leiche eines Mannes aus dem Rat der Sieben hinter einem Pferd an einem Seil durch die Straßen geschleift wurde.
Über all dem hörte man die schrillen Schreie von Frauen, deren Kinder, Ehemänner, Brüder und Väter vor ihren Augen niedergemetzelt wurden.
Der heiße Wind wehte das wilde Gemisch aus Gerüchen einer brennenden Stadt heran, Pech und Holz, Öl und Stoff, Haut und Fleisch, doch über all dem lag, in jedem Atemzug, den sie einsog, der Übelkeit erregende Gestank von Blut.
Alles geschah genau so, wie er es vorhergesagt hatte. Clarissa hatte ihn ausgelacht. Jetzt glaubte sie nicht mehr, daß sie irgendwann in ihrem Leben jemals wieder würde lachen können. Als ihr klar wurde, wie kurz diese Zeit sein konnte, hätten ihre Beine fast unter ihr nachgegeben.
Nein. Daran wollte sie nicht denken. Hier war sie sicher. Man würde die Abtei nicht entweihen. Sie hörte, wie die Menschenmenge, die unten im großen Saal Zuflucht suchte, jammerte und vor Entsetzen schrie. Dies war ein geheiligter Ort, gewidmet der Anbetung des Schöpfers und der Guten Seelen. Es käme einer unermeßlichen Gotteslästerung gleich, wenn diese Bestien an einer so heiligen Stätte Blut vergießen würden.
Und doch hatte er ihr genau das vorhergesagt.
Unten, draußen auf den Straßen, war der Widerstand der Armee zerschmettert worden. Noch nie zuvor hatten die Verteidiger Renwolds einem Angreifer gestattet, einen Fuß in die Stadt zu setzen. Es hieß, die Mauern seien so sicher, als verteidige der Schöpfer sie höchstpersönlich. Bereits früher hatten es Feinde versucht und waren stets wieder abgezogen, nachdem sie sich eine blutige Nase geholt hatten. Keiner Horde von Wilden war es je gelungen, eine Bresche in die Stadtmauer zu schlagen. Renwold hatte jedem Angriff standgehalten.
An diesem Tag aber war Renwold gefallen, so wie er es vorhergesagt hatte.
Da sich die Bewohner frech geweigert hatten, die Stadt und ihre Schätze friedlich und kampflos aufzugeben, gewährte man ihnen keine Gnade.
Einige hatten auf Kapitulation gedrängt und argumentiert, der rote Mond während der vergangenen drei Nächte sei ein schlechtes Omen. Doch diese Stimmen waren nur vereinzelt laut geworden. Man hielt die Stadt für uneinnehmbar.
An diesem Tag hatten sich die Guten Seelen und der Schöpfer von den Menschen von Renwold abgewendet. Was ihr Verbrechen war, vermochten sie nicht zu ergründen, aber es mußte gewiß fürchterlich sein, wenn es keine Gnade seitens der Guten Seelen zuließ.
Von ihrem Ausguck auf dem höchsten Punkt der Abtei konnte sie sehen, wie die Bewohner Renwolds in den Straßen, im Marktviertel und in den Innenhöfen zu kleinen Gruppen zusammengetrieben wurden. Sie kannte viele der Menschen, die unter vorgehaltener Waffe unten in den Innenhof getrieben wurden. Die Angreifer sortierten die Männer und diejenigen, die einen Beruf hatten, aus: Schmiede, Bogenmacher, Pfeilmacher, Bäcker, Brauer, Metzger, Müller und Tischler – jeden, für den sich möglicherweise eine Verwendung finden ließ. Diese Männer kettete man aneinander, um sie als Sklaven abzuführen. Die Alten, die kleinen Jungs und die, die scheinbar nicht von Nutzen waren – Hausdiener, Dienstmänner am Hof, Gastwirte, städtische Beamte und Kaufleute – wurden auf der Stelle ermordet, sei es durch einen raschen Schwertschlag seitlich in den Hals, durch einen Speer in die Brust, durch ein Messer in den Unterleib oder durch einen Morgenstern auf den Schädel. Das Gemetzel hatte kein System.
Starren Blicks verfolgte Clarissa, wie ein Angreifer mit einem Knüppel auf den Kopf eines am Boden liegenden Mannes einprügelte, der offenbar nicht sterben wollte. Es erinnerte sie an einen Fischer, der einen Wels am Flußufer erschlägt – ein ekelhaftes, dumpfes klatschendes Geräusch. Der Mann mit dem Knüppel schien sich nicht mehr dabei zu denken als der Fischer. Der Blödmann Gus, der arme Schwachkopf, der für Kaufleute, Ladenbesitzer und Gaststätten Botendienste erledigte und den man für seine Arbeit mit etwas zu essen, einem Bett und dünnem Bier entlohnte, trat ein letztes Mal aus, als sein Schädel mit einem weithin schallenden Krachen nachgab.
Clarissa schlug sich die zitternden Finger vor den Mund, als sie spürte, wie ihr der Mageninhalt hinten im Hals hochzusteigen drohte. Sie schluckte ihn hinunter und schnappte keuchend nach Luft.
Das geschah nicht wirklich, versuchte sie sich einzureden. Sie träumte. Immer wieder wiederholte sie in Gedanken diese Lüge. Dies geschieht nicht wirklich. Dies geschieht nicht wirklich. Dies geschieht nicht wirklich.
Und es geschah doch. Gütiger Schöpfer, es geschah tatsächlich.
Clarissa sah zu, wie die Frauen von den Männern getrennt wurden. Die alten Frauen wurden allesamt umgebracht. Die Frauen, die zu behalten man für wert befand, wurden schreiend und nach ihren Männern rufend, in eine Gruppe gestoßen. Angreifer sortierten sie aus und trennten sie weiter nach Alter und, wie es schien, nach Aussehen.
Lachende Eroberer hielten die Frauen fest, während andere Bestien methodisch von Frau zu Frau gingen, ihre Unterlippe packten und diese mit einem dünnen Dorn durchbohrten. Dann wurde jeder Frau ein Ring durch die Lippe gezogen.
Auch das hatte er ihr vorhergesagt: Die Frauen würden als Sklavinnen gezeichnet werden. Auch darüber hatte sie gelacht. Und warum auch nicht? Er kam ihr ebenso einfältig und dumm vor wie der Unsinn, den der Blödmann Gus jedem erzählte. Lang und breit hatte er sich immer über seine albernen Ideen ausgelassen.
Clarissa kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Offenbar bekamen die verschiedenen Gruppen der Frauen verschiedenfarbige Ringe. Bei einer Gruppe älterer Frauen jeden Körperbaus waren sie kupferfarben. Eine Gruppe jüngerer Frauen wehrte sich unter großem Geschrei gegen die silbernen Ringe, die für sie bestimmt waren. Sie hörten erst auf, sich zu wehren, und fügten sich dann willig, als man ein paar von denen, die am heftigsten Widerstand leisteten, Schwerter in den Leib rammte.
Die kleinste Gruppe mit den jüngsten, hübschesten Frauen befand sich in den Klauen des allergrößten Grauens, denn sie standen inmitten eines Trupps von stämmigen Angreifern. Diese Frauen erhielten goldene Ringe. Das Blut lief ihnen vom Kinn auf ihre prunkvollen Kleider.
Clarissa kannte die meisten dieser Frauen. Es war schwer, sich nicht an die Menschen zu erinnern, die einen regelmäßig demütigten. Selbst Anfang Dreißig und unverheiratet, war Clarissa bei vielen zum Ziel des Spotts geworden, aber diese hatten sie am grausamsten behandelt. Sie warfen ihr im Vorübergehen spöttische Seitenblicke zu, nannten sie untereinander ›alte Jungfer‹ oder ›altes Weib‹, und das gerade laut genug, daß sie es hören konnte.
Clarissa hatte nie geplant, in diesem Alter noch ohne Mann zu sein. Sie hatte immer eine Familie gewollt. Sie war nicht recht sicher, wieso das Leben an ihr vorübergegangen war, ohne ihr die Gelegenheit zu geben, einen Gatten zu finden.
Dabei war sie nicht häßlich, aber sie wußte, daß sie bestenfalls nicht mehr als gewöhnlich war. Ihre Figur war ganz ordentlich, Sie hatte Fleisch auf den Knochen. Ihr Gesicht war weder entstellt noch runzelig oder grotesk. Wann immer sie nachts an einem Fenster vorüberging und ihr Konterfei betrachtete, fand sie nicht, daß ihr eine häßliche Frau entgegenstarrte. Sie wußte, daß dieses Gesicht nicht unbedingt zu Balladen inspirierte, abstoßend war es jedoch nicht.
Da es hingegen mehr verfügbare Frauen als Männer gab, reichte es einfach nicht, ›nicht häßlich‹ zu sein. Die hübschen, jüngeren Frauen verstanden das nicht: Sie hatten Männer im Überfluß, die ihnen den Hof machten. Den älteren Frauen war es durchaus bewußt, und sie waren freundlicher, trotzdem galt sie in ihren Augen als Pechvogel. Außerdem hatten sie Angst, übermäßig freundlich zu sein, um sich nicht mit jenem unheimlichen Makel anzustecken, der eine Heirat verhinderte.
Jetzt wollte sie bestimmt kein Mann mehr: sie war zu alt. Zu alt, wie die Männer sicherlich befürchteten, Söhne zu gebären. Sie war in der Falle der Zeit gefangen, allein und als alte Jungfer. Ihre Arbeit füllte ihre Zeit aus, machte sie aber bestimmt nicht so glücklich wie eine Familie.
So sehr die Sticheleien dieser jungen Frauen schmerzten und so gern sie gesehen hätte, daß sie einmal am eigenen Leib diese Demütigung erfahren würden, das hatte sie ihnen nicht gewünscht.
Lachend zerrissen die Angreifer die Leibchen ihrer eleganten Kleider und musterten die jungen Frauen wie Vieh.
»Gütiger Schöpfer«, betete sie weinend, »bitte laß dies nicht nur deshalb geschehen, weil ich wollte, daß sie die Scham der Demütigung kennenlernen. Das habe ich ihnen nicht gewünscht. Gütiger Schöpfer, ich bitte dich, mir zu verzeihen, daß ich ihnen jemals etwas Schlechtes gewünscht habe. Das wollte ich nicht, ich schwöre es bei meiner Seele.«
Clarissa stockte der Atem. Sie beugte sich aus dem kleinen Fenster, um besser sehen zu können, als sie einen Trupp Angreifer gewahrte, der mit einem Rammbock voranstürmte. Sie verschwanden unter einem Mauervorsprung unter dem Fenster.
Sie spürte, wie das Gebäude von einem dumpfen Schlag widerhallte. Die Menschen im großen Saal schrien. Wieder ein dumpfer Schlag. Dann noch einer, woraufhin sie hörte, wie Holz zersplitterte. Unten brach ein Höllenspektakel los wie in der Unterwelt selbst.
Sie entweihten die Abtei des Schöpfers. Genau wie der Prophet es vorhergesagt hatte.
Clarissa krallte beide Hände über ihrem Herz in ihr Kleid, als sie hörte, wie das Gelächter unten von neuem einsetzte. Unkontrollierbar schüttelte sie sich. Bald würden sie die Stufen heraufkommen und sie finden.
Was würde mit ihr geschehen? Würde sie mit einem Ring durch die Lippe gezeichnet und versklavt werden? Hätte sie den Mut zu kämpfen und getötet zu werden, anstatt sich zu unterwerfen?
Nein. Sie wußte, die Antwort lautete nein. Wenn es hart auf hart käme, würde sie überleben wollen. Sie wollte nicht abgeschlachtet werden wie diese Menschen auf dem Platz unten oder wie der Blödmann Gus. Den Tod fürchtete sie mehr als das Leben.
Ihr stockte der Atem, als die Tür mit einem Knall aufgestoßen wurde.
Der Abt platzte in das kleine Zimmer. »Clarissa!« Er war weder jung noch körperlich fit und vom hastigen Treppensteigen außer Atem. Seine Leibesfülle ließ sich unter seinem mattbraunen Gewand nicht verheimlichen.
Sein rundes Gesicht war so aschfahl wie das einer drei Tage alten Leiche.
»Clarissa! Die Bücher!« keuchte er. »Wir müssen fort. Müssen die Bücher mitnehmen. Nehmt sie und versteckt Euch!«
Sie blinzelte ihn verständnislos an. Es würde Tage dauern, das Zimmer voller Bücher einzupacken, und mehrere Karren wären nötig, sie abzutransportieren. Es gab keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Es gab keinen Ort, wo man hätte hinlaufen können. Wie sollte man durch die nachdrängenden Reihen der Angreifer entkommen können?
Die Anweisung war lächerlich, geboren aus wahnsinniger Angst.
»Abt, wir haben keine Chance zu entkommen.«
Er lief zu ihr und ergriff ihre Hände. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Seine Augen zuckten umher. »Sie werden uns nicht bemerken. Wir tun so, als gingen wir unserer Arbeit nach. Sie werden uns keine Fragen stellen.«
Sie wußte nicht, was sie auf eine derartige Selbsttäuschung antworten sollte. Allerdings kam sie auch gar nicht mehr dazu, es zu versuchen. Drei Männer mit blutbefleckten Uniformen aus Leder und Fell traten durch die Tür. Sie waren so groß und das Zimmer so klein, daß sie nur drei Schritte brauchten, um die Entfernung bis zum Abt zu überbrücken.
Zwei hatten fettiges, lockiges, verfilztes Haar. Der dritte war kahlgeschoren, trug aber wie die beiden anderen einen dichten Bart. Alle hatten einen Goldring im linken Nasenflügel.
Der mit dem glänzenden Schädel packte den Abt bei seinem weißen Haarkranz und riß seinen Kopf nach hinten. Der Abt winselte.
»Beruf? Hast du einen Beruf?«
Der Abt, dessen Kopf so weit nach hinten gebogen war, daß er nur an die Decke starren konnte, breitete flehend die Hände aus.
»Ich bin der Abt. Ein Mann des Gebetes.« Er fuhr sich erneut mit der Zunge über die Lippen und fügte fast schreiend hinzu: »Und die Bücher! Ich kümmere mich um die Bücher!«
»Bücher. Wo sind sie?«
»Die Archive befinden sich im Lesesaal.« Da sein Kopf nach hinten verdreht war, zeigte er blindlings ins Leere. »Clarissa weiß Bescheid. Clarissa kann sie Euch zeigen. Sie arbeitet mit ihnen. Sie kann sie Euch zeigen. Sie kümmert sich um sie.«
»Also kein Beruf?«
»Ich bin ein Mann des Gebetes! Ich werde für Euch zu unserem Schöpfer und den Guten Seelen beten. Ihr werdet sehen. Ich bin ein Mann des Gebetes. Ihr braucht nicht einmal etwas dafür zu spenden. Ich werde für Euch beten. Ohne Spende.«
Der Kerl mit dem rasierten Schädel spannte seine schweißglänzenden Muskeln an, riß den Kopf des Abts noch weiter nach hinten und schlitzte ihm mit einem langen Messer die Kehle auf. Clarissa fühlte, wie ihr warmes Blut ins Gesicht spritzte, als der Abt durch die klaffende Wunde ausatmete.
»Einen Betbruder können wir nicht gebrauchen«, sagte der Angreifer und stieß den Abt zur Seite.
Clarissa riß entsetzt die Augen auf, als sie sah, wie sich das Blut auf dem braunen Gewand des Abts ausbreitete. Sie kannte ihn fast ihr ganzes Leben lang. Er hatte sie vor Jahren aufgenommen und, indem er ihr Arbeit als Schreiberin gegeben hatte, ihren Hungertod verhindert. Er hatte Mitleid mit ihr gehabt, weil sie keinen Mann fand, außerdem verfügte sie über keinerlei Fertigkeit außer Lesen. Lesen konnten nicht viele, Clarissa aber konnte es, und damit verdiente sie ihr Brot.
Daß sie die dicklichen Hände des Abts und seine sabbernden Lippen ertragen mußte, war eine Bürde, die sie auf sich nehmen mußte, wenn sie ihre Arbeit behalten und weiter ihren Lebensunterhalt verdienen wollte. Es war nicht gleich von Anfang an so gewesen, doch als sie allmählich mit ihrer Arbeit vertraut wurde und sie ihrer Fähigkeiten sicher war, begriff sie ganz allmählich, daß sie Dinge hinzunehmen hatte, die ihr nicht gefielen.
Vor langer Zeit hatte sie ihn einmal gebeten, damit aufzuhören. Das hatte nichts bewirkt, und sie hatte ihm gedroht. Er erklärte ihr, man werde sie aus dem Haus weisen, wenn sie derart skandalöse Vorwürfe gegen einen angesehenen Abt erhob. Wie sollte eine auf sich gestellte Frau alleine draußen auf dem Land überleben? hatte er gefragt. Welch ein Schicksal hätte sie dann wohl zu ertragen?
Wahrscheinlich war dies nicht das Schlimmste, was ihr widerfahren konnte. Andere Menschen litten Hunger, und Stolz füllte ihnen nicht den Bauch. Manche Frauen litten unter ihren Ehemännern mehr. Wenigstens schlug der Abt sie nicht.
Sie hatte ihm nie etwas Böses gewollt. Er sollte sie nur in Ruhe lassen. Sie wollte ihm nichts Böses. Er hatte sie aufgenommen, ihr Arbeit und Essen gegeben. Andere hatten nichts als Verachtung für sie übrig.
Der brutale Kerl kam zu ihr und riß sie aus dem Schockzustand, der sie befallen hatte, weil sie die Ermordung des Abtes mitansehen mußte. Er schob das Messer in seinen Gürtel.
Daraufhin packte er ihr Kinn mit seinen schwieligen, blutverschmierten Fingern und drehte ihren Kopf von einer Seite zur anderen. Er kniff sie probeweise in die Hüfte. Sie fühlte, wie ihr Gesicht vor Erniedrigung brannte, weil sie so taxiert wurde.
Er wandte sich an einen der anderen. »Beringe sie.«
Einen Augenblick lang verstand sie nicht. Ihre Knie fingen an zu zittern, als einer der stämmigen Kerle vortrat und ihr bewußt wurde, was gemeint war. Sie hatte Angst loszuschreien. Sie wußte, was sie ihr antun würden, wenn sie sich wehrte. Sie wollte nicht, daß man ihr die Kehle aufschlitzte wie dem Abt oder ihr den Schädel einschlug wie dem armen Blödmann Gus. Gütiger Schöpfer, sie wollte nicht sterben.
»Welche Sorte, Kommandant Mallack?«
Der kahlköpfige Mann blickte ihr in die Augen. »Den silbernen.«
Silber. Nicht Kupfer. Silber.
Ein irres Lachen hallte ganz hinten durch ihren Kopf, als der Mann ihre Unterlippe zwischen Daumen und einem Knöchel packte.
Diese Männer, die darin erfahren waren, Fleisch zu beurteilen, hatten ihr gerade einen höheren Wert bescheinigt als ihre eigenen Leute. Und wenn auch nur als Sklavin.
Sie riß sich zusammen, um den Schrei zu unterdrücken, als sie spürte, wie der Dorn sich in den Rand ihrer Lippe bohrte. Der Kerl drehte ihn, bis er durch war. Sie blinzelte und versuchte durch die Tränen der Schmerzen etwas zu erkennen.
Nicht Gold, sagte sie sich, natürlich nicht Gold, aber auch nicht Kupfer. Sie fanden, daß sie einen Silberring wert war. Einesteils widerte sie ihre übertriebene Eitelkeit an. Was blieb ihr jetzt noch?
Der Mann, der nach Schweiß, Blut und Ruß stank, stieß ihr den gespalteten Ring durch die Lippe. Sie stöhnte hilflos vor Schmerz. Er beugte sich vor und schloß den Ring mit seinen schiefen gelben Zähnen.
Sie unternahm keinen Versuch, sich das vom Kinn tropfende Blut abzuwischen, als Kommandant Mallack ihr noch einmal in die Augen sah.
»Jetzt bist du Eigentum der Imperialen Ordnung.«