15

Die Soldaten, die Richard in den Fluren um die Gemächer der Mutter Konfessor postiert hatte, traten zur Seite und schlugen sich mit der Faust auf das Kettenhemd über ihrem Herz. Geistesabwesend erwiderte er den militärischen Gruß, während er mit wehendem goldenem Cape an ihnen vorbeieilte. Die Soldaten kreuzten ihre langen Spieße vor den drei Mord-Sith und den beiden großen Leibwächtern, die ihm in einigem Abstand folgten. Er hatte den Soldaten, als er sie postiert hatte, eine sehr kurze Liste derer gegeben, die durchgelassen werden sollten. Seine fünf Bewacher standen nicht auf dieser Liste.

Er drehte sich um und sah, wie Strafer in Fäuste schnellten. Er sah Cara in die Augen. Widerstrebend ließen die drei Mord-Sith ihre Waffen wieder los.

Seine fünf Bewacher scheuten den Konflikt mit den Wachen und bezogen hinter den Soldaten Posten. Auf ein Handzeichen von Cara verschwanden Raina und Ulic rasch den Flur hinunter. Zweifellos hatte sie die beiden losgeschickt, um eine Möglichkeit zu suchen, wie sich die Posten am anderen Ende des Flures umgehen ließen.

Als er um die vorletzte Ecke vor Kahlans Gemach bog, sah er Nadine auf einem Sessel mit vergoldeten Beinen sitzen. Sie ließ die Beine baumeln wie ein gelangweiltes Kind, das darauf wartet, nach draußen gehen und spielen zu dürfen. Dann sah sie ihn kommen und sprang auf.

Sie sah frischgewaschen aus. Ihr dichtes Haar glänzte. Er runzelte leicht die Stirn. Ihr Kleid wirkte enger als am Tag zuvor. Es stellte ihren verlockenden Körper deutlicher heraus. Daß es dasselbe Kleid war, wußte er. Wahrscheinlich bildete er sich das bloß ein. Ihren Körper so vorteilhaft zur Schau gestellt zu sehen, erinnerte ihn daran, daß es einmal eine Zeit gegeben hatte…

Sie zügelte ihre Begeisterung, spielte mit einer Haarsträhne und setzte ein Lächeln auf. Ihr Entzücken, ihn zu sehen, geriet ins Wanken, als er näher kam. Sie machte einen Schritt in Richtung Wand, und er blieb vor ihr stehen.

Nadine wich seinem Blick aus. »Richard. Guten Morgen. Ich dachte, ich hätte gehört, wie jemand sagte, du seist schon wieder zurück. Ich wollte« – sie deutete auf Kahlans Tür, um eine Entschuldigung zu haben, woanders hinzusehen – »ich wollte … nachfragen, wie es Kahlan heute morgen geht. Ich, na ja, ich muß ihr einen frischen Umschlag machen. Darum wollte ich warten, bis sie auf ist und…«

»Kahlan hat mir erzählt, wie sehr du ihr geholfen hast. Danke, Nadine. Ich weiß das mehr zu schätzen, als du ahnst.«

Sie zuckte mit einer Schulter. »Wir sind Kernländer, du und ich.« In der beklemmenden Stille drehte sie eine Locke um die Finger. »Tommy und die dürre Rita Wellington haben geheiratet.«

Richard betrachtete die Oberseite ihres gesenkten Kopfes, während sie weiter mit der Haarsträhne spielte. »Das war wohl zu erwarten. Jedenfalls wollten ihre Eltern das doch, oder?«

Nadine sah nicht von ihrer Haarsträhne auf. »Er prügelt ihr die Seele aus dem Leib. Einmal mußte ich ihr Umschläge machen und Kräuter geben, nachdem er sie an einer Stelle zum Bluten gebracht hat … du weißt schon, da unten. Die Leute sagen, es gehe sie nichts an, und sie tun, als wüßten sie nichts davon.«

Richard wußte nicht recht, worauf sie hinauswollte. Ganz sicher würde er nicht nach Kernland zurückgehen, um Tommy Lancaster so etwas wie ein anständiges Benehmen einzubleuen. »Jedenfalls, wenn er so weitermacht, werden ihm ihre Brüder am Ende noch eine Lektion erteilen und den Schädel einschlagen.«

Nadine sah nicht auf. »Das hätte ich sein können.« Sie räusperte sich. »Ich könnte mit Tommy verheiratet sein und jedem etwas vorheulen, der bereit wäre, sich anzuhören, wie … also, das hätte ich sein können. Ich hätte es sein können, die schwanger wird und sich fragen muß, ob er sie schlägt, bis sie auch dieses Kind verloren hätte.

Ich glaube, ich bin dir etwas schuldig, Richard. Und da du schließlich ein Junge aus Kernland bist … ich wollte einfach helfen, falls du in Schwierigkeiten bist.« Sie zuckte erneut mit einer ihrer Schultern. »Kahlan ist wirklich nett. Die meisten Frauen hätten … ich glaube, sie ist so ungefähr die hübscheste Frau, die ich je gesehen habe. Ganz anders als ich.«

»Ich war nie der Meinung, daß du mir etwas schuldig seist, Nadine. Ich hätte für jeden dasselbe getan, ganz gleich, über wen Tommy an jenem Tag hergefallen wäre. Aber dafür, daß du Kahlan geholfen hast, gebührt dir mein aufrichtiger Dank.«

»Sicher. Wahrscheinlich war es dumm von mir zu glauben, du hättest ihn deshalb daran gehindert, weil…«

Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen, und Richard merkte, daß er sich nicht klar genug ausgedrückt hatte. Also legte er ihr sanft die Hand auf die Schulter. »Nadine, aus dir ist ebenfalls eine schöne Frau geworden.«

Sie sah auf, und ihr Lächeln wurde strahlender. »Du findest mich hübsch?« Sie strich ihr blaues Kleid über den Hüften glatt.

»Ich habe beim Mittsommernachtsfest nicht mit dir getanzt, weil du noch die kleine ungeschickte Nadine Brighton warst.«

Sie fing wieder an, die Haarlocke um den Finger zu wickeln. »Ich tanze gerne mit dir. Weißt du, daß ich die Buchstaben N. C. in meine Kiste mit der Aussteuer geschnitzt habe? Für Nadine Cypher.«

»Tut mir leid, Nadine. Michael ist tot.«

Sie sah stirnrunzelnd hoch. »Michael? Nein … der war damit nicht gemeint. Du warst gemeint.«

Richard entschied, daß die Unterhaltung weit genug gegangen war. Es gab wichtigere Dinge, um die er sich kümmern mußte.

»Ich bin jetzt Richard Rahl. Ich kann nicht in der Vergangenheit leben. Meine Zukunft liegt an Kahlans Seite.«

Nadine faßte ihn am Arm, als er sich abwenden wollte. »Tut mir leid. Das weiß ich. Ich weiß, daß ich einen großen Fehler gemacht habe. Mit Michael, meine ich.«

Richard fing sich gerade noch rechtzeitig, um eine beleidigende Entgegnung hinunterzuschlucken. Was hätte das für einen Sinn? »Ich weiß zu schätzen, daß du Kahlan geholfen hast. Ich nehme an, du möchtest dich auf den Weg zurück nach Hause machen. Erzähle allen, daß es mir gutgeht. Ich werde zu Besuch kommen, sobald –«

»Kahlan hat mich eingeladen, eine Weile hierzubleiben.«

Das erwischte Richard kalt. Kahlan hatte vergessen, ihm dies zu erzählen. »Oh. Und du möchtest also ein, zwei Tage bleiben?«

»Aber ja. Ich dachte, das würde mir gefallen. Ich war zuvor noch nie von zu Hause fort. Falls du einverstanden bist, meine ich. Ich möchte nicht…«

Richard befreite seinen Arm sachte aus ihrer Hand. »Also schön. Wenn sie dich eingeladen hat, dann bin ich einverstanden.«

Sie begann zu strahlen, als sei sie blind gegen die Ablehnung in seinem Gesicht. »Richard, hast du letzte Nacht den Mond gesehen? Alle sind ganz aufgeregt deswegen. Hast du ihn gesehen? War er so außergewöhnlich, so bemerkenswert, wie alle sagen?«

»Noch viel außergewöhnlicher«, antwortete er, während seine Stimmung sich verfinsterte.

Er marschierte davon, bevor sie noch ein weiteres Wort anbringen konnte.


Sein leises Klopfen rief eine rundliche Frau in Dienstbotenuniform an die Tür. Ihr gerötetes Gesicht blinzelte durch den schmalen Spalt. »Lord Rahl. Nancy ist der Mutter Konfessor gerade beim Anziehen behilflich. Sie wird in einer Minute fertig sein.«

»Beim Anziehen!« rief er gegen die sich schließende Tür. Der Riegel fiel mit einem Klicken an seinen Platz. »Sie sollte das Bett hüten!«

Da er keine Antwort bekam, beschloß er, lieber zu warten und keine Szene zu machen. Einmal, als er den Kopf hob, sah er, wie Nadine um die Ecke schaute. Ihr Gesicht verschwand sofort wieder. Er lief vor der Tür auf und ab und kam sich vor, als stünde er im Begriff, in eine andere Welt einzutreten. Der Palast der Konfessoren war ein Ort voller Pracht, voller Macht und Geschichte, aber mehr denn alle anderen Orte im Palast erinnerten ihn die Gemächer der Mutter Konfessor daran, daß er in Wirklichkeit nur ein Waldführer war. Er fühlte sich hier nicht in seinem Element.

Die Gemächer der Mutter Konfessor waren eben jener majestätische, stille Zufluchtsort, der einem Menschen angemessen war, vor dem Könige und Königinnen niederknieten. Hätte Richard diesen Raum gesehen, bevor er Kahlan kennengelernt hatte, wäre fraglich gewesen, ob er je den Mut aufgebracht hätte, sie anzusprechen. Selbst jetzt wurde er noch verlegen, wenn er daran dachte, wie er ihr, als er noch nicht wußte, wer und was sie war, beigebracht hatte, Fallen zu bauen und Wurzeln auszugraben.

Er mußte jedoch schmunzeln, wenn er daran dachte, wie lernbegierig sie sich gezeigt hatte. Zum Glück hatte er die Frau kennengelernt, bevor er die Stellung begriff, die sie bekleidete, und die Magie, über die sie gebot. Er dankte den Guten Seelen, daß sie in sein Leben getreten war, und betete, daß sie auf ewig ein Teil davon sein würde. Sie bedeutete ihm alles.

In den drei marmornen Feuerstellen im Salon der Mutter Konfessor brannte Feuer. Die schweren Vorhänge vor den zehn Fuß hohen Fenstern waren leicht geöffnet. Durch die hohen Schlitze fiel gerade genügend Licht herein, um Lampen überflüssig zu machen. Vermutlich paßte grelles Sonnenlicht nicht zu diesem Ort der Ruhe. Es gab nur wenige Häuser in Kernland, die in diesen Raum nicht hineingepaßt hätten.

Auf einem glänzenden Mahagonitisch an der Seite stand ein silbernes Tablett mit Tee, Suppe, Keksen, Birnenscheiben und braunem Brot. Nichts davon war angerührt. Der Anblick erinnerte ihn daran, daß er seit dem Mittag des vergangenen Tages nichts mehr gegessen hatte, schaffte es aber nicht, seinen Appetit anzuregen.

Die drei Frauen in den frischen, grauen Kleidern mit den Spitzenkragen und -manschetten blickten ihn erwartungsvoll an, als wollten sie sehen, ob er es wagen würde, einfach zur Mutter Konfessor hineinzugehen oder ein anderes skandalöses Betragen an den Tag zu legen.

Richard warf einen Blick auf die Tür gegenüber, und sein Sinn für Anstand ließ ihn die naheliegende Frage stellen: »Ist sie fertig angekleidet?«

Die Frau, die zuvor die Tür einen Spaltbreit geöffnet hatte, errötete. »Ich hätte Euch nicht hereingelassen, Sir, wäre sie es nicht.«

»Natürlich.« Er ging geräuschlos über die flauschigen, dunklen Teppiche. Dann blieb er stehen und sah sich um. Sie beobachteten ihn wie drei Eulen. »Danke, meine Damen. Das wäre dann alles.«

Sie verneigten sich und verabschiedeten sich widerstrebend. Als die letzte die Tür hinter sich zuzog und dabei einen verstohlenen Blick über die Schulter warf, wurde ihm bewußt, daß sie es vermutlich für den Gipfel der Ungehörigkeit hielten, wenn ein Mann, der mit einer Frau verlobt war, alleine mit ihr im Schlafzimmer zurückblieb. Und im Fall der Mutter Konfessor galt dies doppelt.

Richard stöhnte gereizt. Sobald er sich irgendwo in der Nähe der Gemächer der Mutter Konfessor befand, brachte es irgendein Dienstbote stets fertig, alle paar Minuten zu erscheinen und sich zu erkundigen, ob sie etwas benötige. Die Mannigfaltigkeit der Dinge, deren möglichen Bedarf sie bei ihr vermuteten, verfehlte niemals seine Wirkung auf ihn. Manchmal erwartete er, daß einer von ihnen glatt auf sie zuginge, um sie zu fragen, ob ihre Tugend beschützt werden müsse. Außerhalb ihrer Gemächer war das Personal freundlich, scherzte sogar mit ihm, sobald er ihnen die Befangenheit genommen hatte oder ihnen beim Tragen half. In ihren Gemächern verwandelten sie sich ausnahmslos in unverschämte, beschützende Raubvogelmütter.

Im Schlafzimmer stand gegenüber der Tür das riesige Bett, dessen vier dunkel polierte Pfosten in die Höhe ragten wie die Säulen vor einem Palast. Die schwere, reichbestickte Tagesdecke fiel an den Seiten des Bettes herab wie ein bunter, in der Bewegung erstarrter Wasserfall. Sonnenstrahlen fielen quer über die dunklen, kostbaren Teppiche und die untere Hälfte des Bettes.

Richard mußte daran denken, wie Kahlan ihm ihr Bett beschrieben und ihm erzählt hatte, sie könne gar nicht abwarten, bis sie ihn endlich darin hätte, wenn sie erst einmal verheiratet wären. Er sehnte sich sehr danach, mit ihr in einem Bett zu liegen. Seit jener Nacht zwischen den Welten war er nicht mehr – jedenfalls nicht auf diese Weise – mit ihr allein gewesen, mußte allerdings zugeben, daß ihn dieses Bett einschüchterte. Dabei hatte sie ihm versichert, das sei ganz ausgeschlossen.

Kahlan stand vor der Reihe von Glastüren, die auf den breiten Balkon hinausführten, und sah durch den offenen Vorhang nach draußen. Sie starrte hinaus über das steinerne Geländer zur Burg der Zauberer. Der Anblick ihres weißen Seidenkleides, das sanft über ihre hinreißenden Körperformen floß, und ihres bewunderungswürdigen Haarschopfes, der über ihren Rücken fiel, raubte ihm fast den Atem. Ihre Schönheit erfüllte ihn mit Sehnsucht. Er entschied, daß das Bett ganz in Ordnung wäre.

Als er sie zart an der Schulter berührte, zuckte sie zusammen.

Sie drehte sich um und hatte ein strahlendes Lächeln im Gesicht. »Ich dachte, es sei schon wieder Nancy.«

»Was soll das heißen, du dachtest, ich sei Nancy? Du wußtest nicht, daß ich es bin?«

»Woher sollte ich es wissen?«

Er zuckte die Achseln. »Na ja, einfach so. Ich weiß immer sofort, daß du es bist, wenn du hereinkommst. Dazu muß ich dich nicht sehen.«

Sie runzelte ungläubig die Stirn. »Das kannst du nicht.«

»Natürlich kann ich das.«

»Und wie?«

»Du hast einen unvergleichlichen Duft. Ich kenne die Geräusche, die du machst, das Geräusch deines Atems, die Art, wie du gehst, wie du innehältst. Das alles ist einzigartig an dir.«

Die Furchen in ihrer Stirn vertieften sich. »Machst du Scherze? Meinst du wirklich? Ist das dein Ernst?«

»Natürlich. Kannst du mich an diesen Dingen nicht erkennen?«

»Nein. Aber wahrscheinlich hast du einen so großen Teil deines Lebens im Wald verbracht und beobachtet, geschnüffelt und gelauscht.« Sie schlang ihren gesunden Arm um ihn. »Ich weiß noch immer nicht recht, ob ich dir glauben soll.«

»Stell mich irgendwann auf die Probe.« Richard strich ihr übers Haar. »Wie fühlst du dich. Und wie geht es deinem Arm?«

»Mir geht es gut. Es ist halb so schlimm. Nicht so schlimm wie damals, als der Dorfälteste Toffalar mich verletzt hat. Weißt du noch? Das war weitaus schlimmer.«

Er nickte. »Wieso bist du nicht im Bett? Du hattest den Befehl, dich auszuruhen.«

Sie versetzte ihm einen Klaps vor den Bauch. »Sei still. Es geht mir gut.« Nun betrachtete sie ihn von Kopf bis Fuß. »Und du siehst aus, als ginge es dir mehr als gut. Ich kann nicht glauben, daß du das für mich hast anfertigen lassen. Ihr seht prächtig aus, Lord Rahl.«

Richard berührte sanft ihre Lippen. Sie versuchte, ihn zu einem leidenschaftlicheren Kuß an sich zu ziehen, aber er wich zurück.

»Ich habe Angst, ich könnte dir weh tun«, entschuldigte er sich.

»Richard, es geht mir gut, wirklich. Vorhin war ich erschöpft, weil ich zu allem anderen auch noch meine Kraft benutzt hatte. Deshalb dachten die Leute, ich sei schwerer verletzt, als ich tatsächlich war.«

Er betrachtete sie eine ganze Weile abschätzend, bevor er sich zu der Art von Kuß nach vorne beugte, nach der er sich so gesehnt hatte.

»Das ist schon besser«, hauchte sie, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten. Sie stieß ihn leicht zurück. »Hast du Cara gesehen, Richard? Du warst so schnell weg und hattest diesen Blick in den Augen. Ich hatte keine Zeit, richtig mit dir zu sprechen. Es war nicht ihre Schuld.«

»Ich weiß. Du hast es mir gesagt.«

»Du hast sie doch nicht angeschrien, oder?«

»Wir hatten eine Unterredung.«

Sie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Eine Unterredung. Was hatte sie zu ihrer Verteidigung vorzubringen? Sie wollte dir doch nicht etwa erzählen, sie sei …?«

»Was tut Nadine noch hier?«

Sie sah ihn an. Sie nahm sein Handgelenk. »Richard, du hast Blut an deinem … deinem … Arm.«

Besorgt sah sie ihm ins Gesicht. »Was hast du getan? Richard … du hast ihr doch nichts angetan, oder? Richard, das sieht aus, als … als hättest du…«

Sie krallte sich mit einer Faust in sein Hemd. »Du hast ihr doch nichts angetan? Sag mir, daß du ihr nichts angetan hast!«

»Sie wollte hingerichtet werden. Sie überließ mir die Wahl, wie. Also nahm ich das Schwert wie damals bei den Ältesten der Schlammenschen.«

»Geht es ihr gut? Es geht ihr doch gut, nicht wahr?«

»Es geht ihr gut.«

Kahlan sah ihm mit besorgter Miene in die Augen. »Und dir? Geht es dir auch gut?«

»Es ging mir schon besser. Kahlan, was hat diese Nadine noch hier verloren?«

»Sie bleibt nur ein wenig zu Besuch, das ist alles. Bist du Drefan schon begegnet?«

Richard hielt sie von sich, als sie versuchte, ihm den Kopf an die Brust zu legen. »Was hat sie hier zu suchen? Wieso hast du sie eingeladen hierzubleiben?«

»Ich mußte, Richard. Man kann Ärger, der von Shota kommt, nicht so einfach von sich weisen. Das solltest du eigentlich wissen. Wir müssen wissen, was gespielt wird, bevor wir etwas unternehmen können, um sicherzustellen, daß Shota uns keine Schwierigkeiten macht.«

Richard ging zur verglasten Tür und starrte hinaus auf den Berg, der sich über der Stadt auftürmte. Die Burg der Zauberer starrte zurück.

»Das gefällt mir nicht. Kein bißchen.«

»Mir auch nicht«, meinte sie hinter ihm. »Sie hat mir geholfen, Richard. Ich habe nicht gedacht, daß sie den Mumm hätte, einen kühlen Kopf zu bewahren, doch den hatte sie. Das alles hat sie ebenfalls sehr verwirrt. Hier geht mehr vor sich, als wir mit bloßem Auge sehen. Wir müssen unseren Verstand gebrauchen und dürfen uns nicht vor den Tatsachen verschließen.«

Er seufzte tief. »Es gefällt mir trotzdem nicht, dennoch hast du nicht ganz unrecht. Ich heirate eine kluge Frau.«

Er hörte, wie Kahlan hinter ihm geistesabwesend ihr Kleid glattstrich. Ihr Duft, der von ihr ausging, besänftigte ihn.

»Ich kann verstehen, wieso sie dir gefiel. Sie ist eine wundervolle Frau und obendrein eine Heilerin. Das muß schmerzlich für dich gewesen sein.«

Die Burg der Zauberer schien den morgendlichen Sonnenschein in ihre dunklen Steinmauern aufzusaugen. Dort sollte er hingehen. »Was muß schmerzlich für mich gewesen sein?«

»Daß du sie mit Michael ertappt hast. Sie erzählte mir, daß du sie dabei erwischt hast, wie sie deinen Bruder küßte.«

Richard wirbelte herum und starrte sie mit offenem Mund und fassungslos an. »Sie hat dir was erzählt?«

Kahlan deutete mit der Hand nach hinten auf die Tür, so als könnte Nadine erscheinen und für sich selbst sprechen. »Sie sagte, du hättest sie erwischt, als sie deinen Bruder küßte.«

»Ihn küßte?«

»Das hat sie gesagt.«

Richard richtete seinen wütenden Blick wieder auf das Fenster. »Das hat sie tatsächlich erzählt?«

»Was hat sie dann getan? Willst du damit sagen, du hättest sie erwischt, als sie –«

»Kahlan, gestern abend sind vor der Grube sechzehn Mann umgekommen, und ein Dutzend weitere überleben diesen Tag vielleicht nicht. Ich habe Leibwächter, denen ich die Frau, die ich liebe, nicht zum Schutz anvertrauen kann. Wir haben es mit einer Hexe zu tun, die ihr Leben zu einem Feldzug gegen uns gemacht hat. Wir haben es mit Jagang zu tun, der uns Botschaften in Gestalt wandelnder Toter schickt. Irgendwo laufen die Schwestern der Finsternis frei herum. Die halbe Armee in Aydindril ist krank und im Ernstfall kampfunfähig. Da sind Abgesandte, die auf eine Unterredung mit uns warten. Unten sitzt unter Bewachung ein Halbbruder von mir, von dessen Existenz ich keine Ahnung hatte. Ich glaube, wir haben Wichtigeres zu tun, als uns über Nadines … Nadines Probleme mit der Wahrheit zu unterhalten.«

Kahlan sah ihn einen Augenblick lang voller Zärtlichkeit an. »So schlimm steht es also. Jetzt weiß ich, was dieser Blick in deinen Augen zu bedeuten hat.«

»Weißt du noch, was du mir einmal erzählt hast? ›Laß nie eine schöne Frau den Weg für dich wählen, wenn ihr ein Mann den Blick verstellt‹.«

Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Nadine wählte nicht den Weg für mich. Ich habe sie gebeten zu bleiben, weil ich meine Gründe dafür hatte.«

»Nadine hängt sich an das, was sie will, wie ein Hund an seine Witterung, aber ich spreche gar nicht über sie. Ich meine Shota. Sie weist dir einen Weg, und du läufst ihn schnurstracks entlang.«

»Wir müssen herausfinden, was sich am Ende dieses Weges befindet und welche Gründe Shota hat, ihn uns zu zeigen.«

Richard drehte sich wieder zur Glastür um. »Ich will wissen, was Marlin – Jagang – sonst noch gesagt hat. Jedes Wort. Ich möchte, daß du dich an jedes Wort erinnerst.«

»Wieso schreist du mich nicht an und bringst es hinter dich?«

»Ich will dich nicht anschreien. Du hast mir eine Todesangst eingejagt, indem du in die Grube gegangen bist. Ich will dich nur beschützen. Ich will dich heiraten.« Er drehte sich erneut um und sah ihr in die grünen Augen. »Ich glaube, ich weiß, wie es funktioniert. Mit den Schlammenschen, meine ich.«

Sie kam näher. »Wirklich? Und wie?«

»Zuerst erzähle mir alles, was Jagang gesagt hat.«

Richard betrachtete untätig die Burg der Zauberer, während sie die gesamte Geschichte durchging: Wie Jagang erzählt hatte, er habe sich das Ja'La-Spiel angesehen und daß der Name in seiner Muttersprache ›Spiel des Lebens‹ bedeutete. Daß er Zeuge jener großartigen Tat werden wolle, die Marlin begangen hatte, daß er wolle, daß Schwester Amelia zu ihm zurückkehrte, bevor er sich offenbart, daß er außer denen, die Richard zerstört hatte, noch andere Prophezeiungen gefunden und eine Prophezeiung mit verknüpfter Gabelung heraufbeschworen habe.

»Mehr weiß ich nicht«, endete sie. »Warum beobachtest du so aufmerksam die Burg?«

»Ich frage mich, warum Schwester Amelia dort hingegangen ist. Und was Marlin dort vorhatte. Hast du irgendeine Ahnung?«

»Nein. Jagang wollte es mir nicht verraten. Richard, hast du die Prophezeiung in der Grube gelesen?«

Sein Magen rebellierte. »Ja.«

»Und? Was bedeutet sie?«

»Das weiß ich nicht. Zuerst muß ich sie übersetzen.«

»Richard Rahl, vielleicht kannst du, ohne hinzusehen, sagen, daß ich es bin, die eintritt, aber ich brauche dir nicht in die Augen zu sehen, um zu wissen, daß du mir nicht die Wahrheit sagst.«

Richard lächelte nicht. »Prophezeiungen besagen mehr als ihre Worte. Das ist dir doch bekannt. Man hört nur die Worte, trotzdem muß sie nicht das bedeuten, wonach sie klingt. Wenn Jagang eine Prophezeiung gefunden hat, heißt das außerdem noch lange nicht, daß er sie heraufbeschwören kann.«

»Na ja, das stimmt allerdings. Ich habe ihm dasselbe geantwortet. Er meinte, der Beweis für die Richtigkeit käme mit einem roten Mond. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß –«

Richard wirbelte herum: »Wie bitte? Davon hast du mir vorher nichts erzählt. Was hat Jagang gesagt?«

Ihr Gesicht wurde blaß. »Ich hatte es ganz vergessen … erst als du davon sprachst … ich sagte zu Jagang, ich glaube ihm nicht – daß er die Prophezeiung heraufbeschworen habe. Er erwiderte, der Beweis dafür käme mit dem roten Mond. Weißt du, was das heißt, Richard?«

Richards Zunge fühlte sich geschwollen an. Er zwang sich zu blinzeln.

»Gestern nacht war der Mond rot. Ich habe mein ganzes Leben unter freiem Himmel verbracht. Noch nie habe ich etwas auch nur im entferntesten Ähnliches gesehen. Es war, als sehe man den Mond durch ein Glas Rotwein. Ich bekam eine Gänsehaut. Deswegen bin ich früher zurückgekommen.«

»Richard, was stand in der Prophezeiung? Sag es mir.«

Er starrte sie an und suchte nach einer Lüge, mit der er sie beschwichtigen konnte. Er fand keine.

Er flüsterte: »Dort stand: ›Mit dem roten Mond kommt der Feuersturm. Der, der mit der Klinge verbunden ist, wird mit ansehen, wie sein Volk stirbt. Wenn er nichts unternimmt, dann werden er und alle, die er liebt, in dieser Glut sterben, denn keine Klinge, sei sie aus Stahl oder aus Magie erschaffen, kann seinen Gegner berühren.‹«

Das Schweigen stand wie ein Echo im stillen Raum. Kahlan war erbleicht.

»Wie lautet der Rest? Jagang sagte, es handele sich um eine Prophezeiung mit verknüpfter Gabelung. Wie lautet der Rest?« Ihre Stimme brach. »Der andere Ast? Sag es mir, Richard. Und lüg mich nicht an. Wir stecken gemeinsam in dieser Geschichte. Wenn du mich liebst, dann wirst du es mir nicht vorenthalten!«

Geliebte Seelen, laßt sie die Worte hören, aber nicht meine Angst. Gebt mir die Kraft, ihr wenigstens das zu ersparen.

Seine linke Hand umklammerte das Heft des Schwertes. Die erhabenen Buchstaben des Wortes WAHRHEIT schnitten in seine Haut. Er kniff die Augen zusammen, um klar zu sehen.

Zeige keine Furcht.

»›Um das Inferno zu löschen, muß er das Heilmittel im Wind suchen. Im Blitzgewitter wird man ihn auf diesem Pfad sehen können, denn die Frau in Weiß, seine wahre Liebe, wird ihn in ihrem Blut verraten.‹«

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