19

»Diesmal«, warnte Ann, »überläßt du das Reden besser mir. Verstanden?«

Ihre Brauen zogen sich so dicht zusammen, daß Zedd glaubte, sie würden sich berühren. Sie beugte sich weit vor, und er konnte noch den Geruch von Wurst in ihrem Atem riechen. Mit dem Fingernagel tippte sie an seinen Halsring – eine zusätzliche Warnung, wenn auch eine ohne Worte.

Zedd setzte eine Unschuldsmiene auf. »Wenn es dir Freude macht, bitte, aber meine Geschichten haben stets dein Wohlergehen und unser gemeinsames Ziel zum Zweck.«

»Oh, gewiß. Und dein gescheiter Witz ist auch stets ein Genuß.«

Zedd fand ihr aufgesetztes Lächeln etwas übertrieben, das ironische Lob hätte vollauf genügt. In diesen Dingen gab es gewisse Verhaltensweisen, die die Höflichkeit gebot. Diese Frau mußte wirklich noch lernen, wo die Grenze lag.

Zedd richtete den Blick wieder auf das, was jenseits von ihr lag, auf das anstehende Problem. Er ließ ein kritisches Auge über die schwach beleuchtete Tür des Gasthauses wandern. Es stand auf der anderen Straßenseite am Ende eines schmalen Plankenwegs. Über der Gasse zwischen zwei Lagerhäusern hing ein kleines Schild: »Gasthaus zum Hofnarren«.

Zedd kannte den Namen der großen Stadt nicht, die sie im Dunkeln erreicht hatten, trotzdem wußte er, daß er sie lieber links liegengelassen hätte. Er hatte in der Stadt mehrere Gasthäuser gesehen, und für dieses hätte er sich nicht entschieden, hätte er die Wahl gehabt.

Das Gasthaus zum Hofnarren sah aus, als hätte man sich erst im nachhinein dazu durchgerungen, ein Hinterhaus als Herberge zu nutzen; entweder wollten die Besitzer es vor den suchenden Augen ehrlicher Menschen verbergen oder aber den kritischen Blicken der Behörden entziehen. Nach den Gästen zu urteilen, die Zedd bereits gesehen hatte, neigte er eher zur zweiten Vermutung. Die meisten Männer sahen aus wie Söldner oder Straßenräuber.

»Das gefällt mir nicht«, murmelte er wie zu sich selbst.

»Dir gefällt auch gar nichts«, fauchte Ann. »Du bist der am schlechtesten gelaunte Mensch, der mir je untergekommen ist.«

Zedd zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Warum sagst du so etwas? Gewöhnlich gelte ich als ein äußerst angenehmer Reisegefährte. Ist noch etwas von der Wurst übrig?«

Ann verdrehte die Augen. »Nein. Was paßt dir diesmal nicht?«

Der Zauberer beobachtete, wie ein Mann sich nach beiden Seiten umsah, bevor er sich zur Tür hinten in der dunklen Gasse aufmachte. »Warum sollte Nathan dort absteigen?«

Ann blickte über die Schulter zur anderen Seite der menschenleeren Straße, wo überfrorene Schneewehen von Wagenspuren durchzogen waren. Umständlich steckte sie eine verirrte Strähne ihres ergrauenden Haars in den lockeren Knoten an ihrem Hinterkopf.

»Um eine warme Mahlzeit und etwas Schlaf zu bekommen.« Sie drehte sich wieder zu Zedd um und sah ihn finster an. »Das heißt, falls er überhaupt dort ist.«

»Ich habe dir doch gezeigt, wie man den magischen Faden spürt, mit dem ich ihm die Spürwolke angehängt habe. Du hast ihn doch gespürt, und Nathan auch.«

»Stimmt schon«, gab Ann zu. »Aber jetzt, wo wir ihn fassen werden und wissen, daß er da drinnen ist, gefällt es dir plötzlich nicht.«

»Ganz recht«, erwiderte er kühl. »Es gefällt mir nicht.«

Der finstere Ausdruck auf Anns Gesicht verlor an Ungestüm, und sie wurde ernst. »Was macht dir Sorgen?«

»Sieh dir das Schild an. Hinter dem Namen.«

Ein Paar Frauenbeine ragte in der Form eines V nach oben.

Sie blickte ihn an, als sei er nicht recht bei Verstand. »Zedd, der Mann war fast eintausend Jahre im Palast der Propheten eingesperrt.«

»Da hast du es: Er war eingesperrt.« Zedd tippte gegen den Rada'Han genannten Ring, der um seinen Hals lag, jenen Ring, den sie ihm angelegt hatte, um ihn einzufangen und zu zwingen, ihr zu gehorchen. »Nathan wird keine große Lust verspüren, sich wieder in einen Halsring einschließen zu lassen. Wahrscheinlich waren Jahrhunderte der Planung sowie die richtige Wendung der Ereignisse notwendig, damit er sich von seinem befreien und fliehen konnte. Ich möchte nicht wissen, wie der Mann mit Hilfe von Prophezeiungen Geschehnisse beeinflußt oder unmittelbar verändert hat, um jene Wendung des Schicksals herbeizuführen, die ihm Gelegenheit gab, seinen Halsring loszuwerden.

Und jetzt soll ich glauben, daß er ein solches Haus aufsucht, nur um mit einer Frau zusammenzusein? Wo er doch wissen muß, daß wir ihm auf den Fersen sind?«

Ann starrte ihn sprachlos ungläubig an. »Soll das heißen, Zedd, Nathan könnte deiner Ansicht nach Geschehnisse – Prophezeiungen – beeinflußt haben, um sich seines Rada'Hans zu entledigen?«

Zedd sah hinüber auf die andere Straßenseite und schüttelte den Kopf. »Ich sage nur, daß es mir nicht gefällt.«

»Wahrscheinlich war er scharf auf das, was da drinnen geboten wird, und hat vollkommen vergessen, sich wegen mir zu sorgen. Er sehnte sich einfach nach ein wenig weiblicher Gesellschaft und hat nicht an die Gefahr gedacht, von mir erwischt zu werden.«

»Du kennst Nathan seit über neun Jahrhunderten. Ich erst seit kurzem.« Er beugte sich näher zu ihr und zog eine Augenbraue hoch. »Aber so blöd bin nicht einmal ich. Nathan ist alles andere als dumm. Er ist ein Zauberer von bemerkenswerten Fähigkeiten.

Wenn du ihn unterschätzt, begehst du einen schwerwiegenden Fehler.«

Sie musterte einen Augenblick lang sein Gesicht. »Du hast recht. Vielleicht ist es eine Falle. Nathan würde mich nicht töten, um zu fliehen, aber davon abgesehen … Vielleicht hast du recht.«

Zedd knurrte empört.

»Zedd«, sagte Ann nach langem, verlegenem Schweigen, »diese Sache mit Nathan ist wichtig. Wir müssen ihn fassen. Früher hat er mir immer geholfen, wenn wir in den Prophezeiungen auf Bedrohungen gestoßen sind, und er ist nach wie vor ein Prophet. Propheten sind jedoch gefährlich. Nicht, weil sie uns absichtlich Schwierigkeiten bereiten wollen, sondern wegen der Natur der Prophezeiungen.«

»Mich brauchst du davon nicht zu überzeugen. Ich kenne die Gefahren der Prophezeiungen sehr gut.«

»Im Palast hielten wir Propheten stets unter Verschluß, denn wenn sie frei herumliefen, bestand immer die Möglichkeit, daß sie Unheil anrichten. Ein Prophet, der auf Ärger aus war, konnte ihn haben. Aber auch ein Prophet, der nur seinen Frieden wollte, stellte eine Gefahr dar – nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst. Die Menschen rächen sich allzuoft am Überbringer einer Wahrheit, so als sei das Wissen darum die Ursache des Unglücks. Prophezeiungen sind nicht dazu bestimmt, von Ohren gehört zu werden, die nicht darauf vorbereitet sind, von Menschen, die von Magie – und erst recht von Prophezeiungen – keine Ahnung haben.

Einmal erlaubten wir einer Frau, Nathan zu besuchen, wie wir dies gelegentlich auf seinen Wunsch hin taten.«

Zedd sah sie stirnrunzelnd an. »Ihr habt Prostituierte zu ihm gelassen?«

Ann zuckte verlegen die Achseln. »Wir wußten, wie einsam er war. Es war nicht die wünschenswerteste Lösung, aber dennoch verschafften wir ihm von Zeit zu Zeit Gesellschaft. Wir waren nicht herzlos.«

»Wie großmütig von euch.«

Ann wich seinem Blick aus. »Als wir ihn im Palast einsperrten, taten wir unsere Pflicht, trotzdem hatten wir Mitleid mit ihm. Es war nicht seine Entscheidung, mit der Gabe der Prophezeiung geboren zu werden.

Wir warnten ihn stets davor, den Frauen Prophezeiungen zu verraten, einmal tat er es hingegen doch. Die Frau floh schreiend aus dem Palast. Wir erfuhren nie, wie sie hatte entkommen können, ohne daß wir es verhindern konnten.

Sie verbreitete die Prophezeiung, bevor wir sie ausfindig machten. Dadurch wurde ein Bürgerkrieg ausgelöst. Tausende fanden den Tod. Frauen und Kinder starben.

Manchmal wirkt Nathan verrückt, so als sei er nicht bei Verstand. Zu anderen Zeiten erscheint er mir wie der am meisten aus dem Gleichgewicht geratene Mensch, dem ich je begegnet bin. Nathan beurteilt die Welt nicht nur danach, was er um sich herum sieht, sondern er sieht sie auch durch den Filter der Prophezeiung, die ihn im Geist heimsucht.

Als ich ihn darauf ansprach, gab er vor, sich weder an die Prophezeiung zu erinnern, noch der jungen Frau etwas erzählt zu haben. Erst viel später, nachdem es mir gelungen war, mehrere Prophezeiungen miteinander zu verketten, fand ich heraus, daß eines der Kinder, die gestorben waren, ein Junge war, der in einer Prophezeiung als derjenige bezeichnet wurde, der als Erwachsener mittels Folter und Mord herrschen würde. Unzählige Menschen, Zehntausende, wären gestorben, hätte dieser Junge überlebt und wäre er zum Mann herangewachsen. Nathan hatte diesen gefährlichen Ast der Prophezeiung im Keim erstickt. Ich habe keine Ahnung, wieviel dieser Mann weiß und für sich behält.

Ein Prophet kann ebenso leicht großes Unheil anrichten. Ein Prophet, der nach Macht strebt, hat gute Chancen, die Welt zu beherrschen.«

Zedd beobachtete noch immer die Tür. »Also sperrt ihr sie ein.«

»Ja.«

Zedd zupfte an einem Faden seines kastanienbraunen Gewandes. Er betrachtete im schwachen Licht ihre geduckte Gestalt. »Ann, ich bin der Oberste Zauberer. Wenn ich dafür kein Verständnis hätte, würde ich dir nicht helfen.«

»Danke«, sagte sie leise.

Zedd wog ihre Möglichkeiten ab. Viele waren es nicht. »Wenn ich dich recht verstehe, weißt du nicht sicher, ob Nathan geistig gesund ist. Aber wenn, dann ist er womöglich gefährlich.«

»Vermutlich, ja. Andererseits half Nathan mir oft, Menschen Leid zu ersparen. Vor Hunderten von Jahren warnte er mich vor Darken Rahl und erzählte mir von einer Prophezeiung, der zufolge ein Kriegszauberer – Richard – geboren werden würde. Gemeinsam sorgten wir dafür, daß Richard ungestört aufwachsen konnte, damit du Zeit hättest, deinen Enkelsohn zu einem Mann heranzuziehen, der seine Fähigkeiten zum Wohle der Menschen einsetzt.«

»Dafür danke ich Dir«, sagte Zedd. »Aber du hast mir diesen Ring um den Hals gelegt, und das gefällt mir ganz und gar nicht.«

»Das verstehe ich. Das habe ich weder gern getan, noch bin ich stolz darauf. Manchmal verlangen verzweifelte Umstände nach verzweifelten Taten. Die Guten Seelen werden das letzte Wort über meine Taten sprechen.

Je schneller wir Nathan finden, desto eher nehme ich dir den Rada'Han ab. Natürlich möchte ich dich nicht über diesen Ring wie einen Gefangenen halten. Aber in Anbetracht der fürchterlichen Folgen, wenn es mir nicht gelingt, Nathan in die Finger zu bekommen, tue ich, was mir mein Gefühl vorschreibt.«

Zedd deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Und das gefällt mir auch nicht.«

Ann sah gar nicht hin. Sie wußte, worauf er zeigte. »Was hat ein roter Mond mit Nathan zu tun?«

»Ich behaupte nicht, daß er etwas mit Nathan zu tun hat. Er gefällt mir einfach nicht.«

Unter der dichten Wolkendecke waren sie während der vergangenen Tage nachts nur mühsam vorangekommen, zum einen wegen der Dunkelheit, zum anderen auch, weil die Spürwolke schwer zu erkennen war, die Zedd Nathan angehängt hatte. Zum Glück waren sie so nahe gewesen, daß sie die magische Verbindung spürten, ohne die Wolke sehen zu müssen. Sie diente ohnehin lediglich dazu, den Verfolger so dicht heranzuführen, daß er diese Verbindung fühlte.

Zedd wußte, daß sie sich Nathan sehr weit genähert hatten – bis auf wenige hundert Fuß. So dicht am Ziel, verwirrte die Magie der Verbindung Zedds Sinne, behinderte seine magische Urteilskraft und seine Möglichkeiten, über seine Gabe Zugang zu seinen vertrauten Fähigkeiten zu finden. So nah am Ziel benahm sich die Magie wie ein Bluthund, der Witterung aufgenommen hatte und so sehr auf das Objekt seiner Suche fixiert war, daß er außer der Fährte nichts mehr sah. Es war eine unangenehme Form der Blindheit und ein weiterer Grund für dieses unbehagliche Gefühl.

Er könnte die Verbindung unterbrechen, aber das wäre riskant, solange sie Nathan noch nicht tatsächlich gefunden hatten. Einmal unterbrochen, ließe sie sich nicht ohne Körperkontakt wiederherstellen.

Die heftigen Schneefälle der letzten paar Tage hatten sie aufgehalten und die Reise kalt und beschwerlich gemacht. Vorhin war es wenigstens aufgeklart, allerdings blies noch immer ein bitterkalter, schneidender Wind. Sie hatten sich auf den Mondaufgang gefreut, auf das Licht, während sie Nathan immer näher kamen.

Stumm vor Staunen, hatten die beiden mitangesehen, wie der Mond am Horizont aufgestiegen war. Er war rot gewesen.

Zuerst dachten sie, es läge vielleicht am Dunst, doch als der Mond hoch über ihren Köpfen stand, wußte Zedd, daß kein harmloses atmosphärisches Ereignis dafür verantwortlich war. Schlimmer noch, wegen der Wolkendecke während der letzten Tage wußte er nicht, wann der Mond sich zum erstenmal rot verfärbt hatte.

»Zedd«, brach Ann schließlich das beklemmende Schweigen, »hast du eine Ahnung, was das bedeutet?«

Der Zauberer sah zur Seite und tat, als lasse er den Blick prüfend über die Schatten wandern. »Du vielleicht? Du bist viel älter als ich. Du mußt doch über solche Zeichen etwas wissen.«

Er hörte, wie sie nervös an ihrem wollenen Gewand herumzupfte. »Du bist ein Zauberer der Ersten Ordnung. Ich unterwerfe mich in diesen Dingen deinem sachkundigen Urteil.«

»Plötzlich findest du mein Urteil interessant?«

»Zedd, wir wollen nicht darüber streiten. Ein solches Zeichen ist meines Wissens beispiellos, trotzdem erinnere ich mich an einen Hinweis auf einen roten Mond in einem alten Text, einem Text aus der Zeit des Großen Krieges. Im Buch stand nicht, was es bedeutet, nur daß das Phänomen damals große Aufregung verursachte.«

Zedd kauerte sich in den Schatten des Gebäudes, hinter dem sie sich versteckten. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Schindeln und winkte Ann zu sich. Sie setzte sich neben ihn.

»In der Burg der Zauberer gibt es Dutzende von Bibliotheken, riesige Bibliotheken, von denen die meisten wenigstens so groß sind wie die Gewölbekeller mit den Büchern im Palast der Propheten, viele sogar erheblich größer. Dort stehen auch zahlreiche Bücher mit Prophezeiungen.«

Es gab Bücher mit Prophezeiungen in der Burg der Zauberer, die als so gefährlich galten, daß sie hinter mächtigen Schilden aufbewahrt wurden, die den privaten Bereich des Obersten Zauberers sicherten. Nicht einmal den Zauberern von früher, die in der Burg lebten, als Zedd noch jünger war, war es gestattet, diese Prophezeiungen zu lesen. Zedd hatte zwar Zugang zu ihnen, nachdem er Oberster Zauberer geworden war, trotzdem hatte er längst nicht alle gelesen. Die, die er gelesen hatte, hatten ihm schlaflose Nächte und Schweißausbrüche bereitet.

»Gütige Seelen«, setzte er hinzu, »in der Burg der Zauberer gibt es so viele Bücher, daß ich nicht einmal Zeit hatte, sämtliche Titel zu lesen. Früher gab es für jede Bibliothek ganze Kuratorienstäbe. Ganz früher, lange vor meiner Zeit, wurden diese Kuratoren zusammengerufen, wenn man eine Antwort suchte. Jeder kannte seine Bücher und konnte sich zu Wort melden, wenn er Quellen zum fraglichen Thema kannte. Auf diese Weise war es verhältnismäßig einfach, die entsprechenden Bücher und Prophezeiungen ausfindig zu machen, die bei dem anstehenden Problem von Nutzen sein konnten.

In meiner frühen Jugend gab es nur noch zwei Zauberer, die als Kuratoren arbeiteten. Zwei Männer konnten nicht einmal annähernd all das Wissen verfügbar machen, das dort aufbewahrt wurde. In diesen Büchern ist ein ungeheures Ausmaß an Informationen enthalten, aber eine bestimmte Stelle zu finden ist eine gewaltige Aufgabe. Man muß sich von der Gabe leiten lassen, wenn man die Suche auch nur ansatzweise eingrenzen will.

Ein bestimmtes Wissen in dieser Bibliothek zu finden ist, als schwimme man mitten im Ozean und brauche etwas zu trinken. Wissen gibt es im Überfluß, und doch kann man verdursten, bevor man es findet. Als ich jung war, zeigte man mir die wichtigeren Bücher über Geschichte, Magie und Prophezeiungen. Ich beschränkte meine Studien weitgehend auf diese Bücher.«

»Was ist mit dem roten Mond?« fragte Ann. »Was stand darüber in den Büchern, die du gelesen hast?«

»Ich kann mich erinnern, nur einmal etwas über einen roten Mond gelesen zu haben. Allerdings handelte es sich nur um eine unklare Randbemerkung. Ich wünschte, ich hätte daran gedacht, mich weiter in das Thema zu vertiefen, aber das tat ich nicht. Es gab andere Dinge in den Büchern, die damals wichtiger waren und meine Aufmerksamkeit verlangten – wirkliche Dinge, keine hypothetischen.«

»Was stand in diesem Buch?«

»Wenn ich mich recht erinnere, und ich will nicht behaupten, daß dem so ist, stand dort etwas über einen Riß zwischen den Welten. Dort stand, sollte es zu einem solchen Riß kommen, wäre das entsprechende Warnzeichen ein roter Mond, drei Nächte lang.«

»Drei Nächte. Nach allem, was wir wissen, können wir bei dem bedeckten Himmel, den wir hatten, die drei Nächte mit rotem Mond bereits hinter uns haben. Was ist, wenn der Himmel ständig bedeckt ist? Man würde die Warnung übersehen.«

Zedd kniff konzentriert die Augen zusammen, als er versuchte, sich zu erinnern, was er gelesen hatte. »Nein … nein, dort stand, der, an den sich die Warnung richtete, würde das Warnzeichen drei Nächte lang sehen – alle drei Nächte, in denen der Mond rot ist.«

»Und was genau ist mit einer solchen Warnung gemeint? Was für einen Riß könnte es zwischen den Welten geben?«

»Wenn ich das nur wüßte.« Zedd ließ seinen weißen, welligen Haarschopf nach hinten gegen die Wand sinken. »Als die Kästchen der Ordnung von Darken Rahl geöffnet wurden, der Stein der Tränen aus einer anderen Welt in diese gelangte und der Hüter der Unterwelt kurz davor stand, durch den Riß in unsere Welt zu gelangen, war nie ein roter Mond zu sehen.«

»Dann bedeutet der rote Mond vielleicht gar nicht, daß ein Riß entstanden ist. Vielleicht erinnerst du dich falsch.«

»Vielleicht. Am lebhaftesten sind mir meine Gedanken von damals in Erinnerung geblieben. Ich habe mir einen roten Mond vorgestellt und mir gesagt, ein solches Bild müßte ich mir einprägen, für den Fall, daß ich es je in Wirklichkeit sähe. Ich müßte mir genau merken, daß es große Schwierigkeiten bedeutet, und sofort nach der Bedeutung des Zeichens suchen.«

Ann berührte seinen Arm, eine mitfühlende Geste, wie sie sie zuvor noch nie gemacht hatte. »Zedd, wir haben Nathan so gut wie gefunden. Heute abend werden wir ihn fassen. Wenn es soweit ist, werde ich dir den Rada'Han abnehmen, damit du schnell nach Aydindril zurückfahren und dich um diese Angelegenheit kümmern kannst. Um es genau zu sagen, sobald wir Nathan haben, brechen wir alle zusammen auf. Nathan wird verstehen, wie ernst die Lage ist, und ebenfalls helfen. Wir reisen mit dir zusammen nach Aydindril und helfen dir.«

Es paßte Zedd zwar nicht, daß diese Frau darauf bestanden hatte, er solle sie bei Nathans Gefangennahme begleiten. Inzwischen hatte er jedoch begriffen, welche Angst sie davor hatte, was Nathan anstellen könnte, solange er sich auf freiem Fuß befand. Sie war auf seine Hilfe angewiesen. Manchmal fiel es ihm schwer, seine Entrüstung aufrechtzuerhalten. Er wußte, wie verzweifelt sie zu verhindern versuchte, daß die Prophezeiungen zusammen mit Nathan in die Welt gelangten.

Zedd war klar, welche Gefahren drohten, wenn Menschen mit nackten Prophezeiungen konfrontiert wurden. Seit er ein Junge war, hatte man ihm immer wieder Vorträge darüber gehalten, wie gefährlich Prophezeiungen selbst für einen Zauberer waren.

»Klingt nach einem guten Handel. Ich helfe dir, Nathan zurückzubekommen, und ihr beide helft mir, die Bedeutung des roten Mondes herauszufinden.«

»Also abgemacht – wir arbeiten freiwillig zusammen. Ich muß zugeben, daß mir diese Entwicklung sehr willkommen ist.«

»Tatsächlich?« fragte Zedd. »Warum nimmst du mir dann nicht diesen Halsring ab?«

»Das werde ich tun. Sobald wir Nathan haben.«

»Nathan bedeutet dir mehr, als du eingestehen willst.«

Sie schwieg einen Augenblick. »Das stimmt. Wir haben jahrhundertelang zusammengearbeitet. Er kann der Ärger in Menschengestalt sein, trotzdem hat er eigentlich ein gutes Herz.« Ihre Stimme wurde leiser, als sie den Kopf wegdrehte. Zedd glaubte zu sehen, wie sie sich mit der Hand über die Augen wischte. »Ich mag diesen unverbesserlichen, wundervollen Mann sehr.«

Zedd sah zur verschwiegenen Tür des Gasthauses hinüber.

»Es gefällt mir immer noch nicht«, tuschelte er. »Irgend etwas stimmt hier nicht. Wenn ich nur wüßte, was.«

Endlich fragte sie: »Also, wie wollen wir jetzt weiter vorgehen?«

»Ich dachte, das Reden wolltest du übernehmen.«

»Tja, du hast mich vermutlich überzeugt, daß Vorsicht geboten ist. Was sollen wir deiner Meinung nach tun?«

»Ich gehe alleine rein und bitte um ein Zimmer. Du wartest draußen. Wenn ich ihn finde, bevor er das Haus verläßt, überrasche ich ihn. Wenn er rauskommt, bevor ich ihn aufgetrieben habe, oder wenn etwas … schiefgeht, greifst du ihn dir.«

»Nathan ist ein Zauberer, Zedd. Ich besitze nur schwache Magie. Wenn er seinen Rada'Han noch um den Hals hätte, könnte ich ihn mühelos kontrollieren, aber er trägt ihn nicht mehr.«

Zedd ließ sich das einen Augenblick durch den Kopf gehen. Sie durften nicht riskieren, daß er entkam. Außerdem konnte Ann etwas zustoßen. Es könnte schwierig werden, wenn sie Nathan ein zweites Mal suchen müßten. Wenn er erst wußte, daß sie ihm auf den Fersen waren, würde er vielleicht hinter die Geschichte mit der Spürwolke kommen und sich von ihr befreien. Das war allerdings nicht wahrscheinlich.

»Du hast recht«, sagte er schließlich. »Ich lege draußen vor der Tür ein Netz, das ihn zum Stolpern bringt, wenn er herauskommt. Dann kannst du ihm diesen höllischen Ring um den Hals legen.«

»Klingt gut. Welche Art Netz willst du benutzen?«

»Wie du selbst gesagt hast, dürfen wir auf keinen Fall versagen.« Er musterte ihre Augen im schlechten Licht. »Verdammt! Ich kann nicht glauben, daß ich das tatsächlich tue«, murmelte er. »Gib mir mal für einen Augenblick den Halsring.«

Ann suchte unter ihrem Gewand nach dem Beutel an ihrer Hüfte. Als ihre Hand zum Vorschein kam, schimmerte matt das Licht des roten Mondes auf dem Rada'Han.

»Den hat er getragen?« fragte Zedd.

»Fast eintausend Jahre lang.«

Zedd brummte. Er nahm den Halsring in die Hände, ließ seine Magie in diesen kalten Gegenstand der Unterjochung fließen und vermischte sie mit der Magie des Halsrings. Er fühlte das warme Summen der Additiven Magie des Halsrings, und er fühlte das eiskalte Kribbeln seiner Subtraktiven Magie.

Er gab ihr den Halsring zurück. »Ich habe den Bann auf seinen Rada'Han abgestimmt.«

»Was für einen Bann hast du dir ausgedacht?« fragte sie mißtrauisch.

Er sah die Entschlossenheit in ihren Augen. »Einen Lichtbann. Wenn er ohne mich herauskommt … hast du zwanzig Schläge seines Herzens Zeit, ihm das hier um den Hals zu legen, oder das Lichtnetz zündet.«

Wenn sie ihm den Halsring nicht rechtzeitig umlegen konnte, um den Bann auszulöschen, würde Nathan verbrennen. Ohne den Halsring gäbe es für Nathan vor einem solchen Bann kein Entrinnen. Mit ihm würde er zwar dem Bann entkommen, doch dafür gäbe es dann kein Entkommen vor ihr.

Ein Dilemma.

Zedd mochte sich in diesem Augenblick nicht besonders.

Ann seufzte schwer. »Wenn jemand anderes herauskommt, löst er ihn doch nicht aus, oder?«

Zedd schüttelte den Kopf. »Ich werde ihn mit der Spürwolke verbinden. Der Bann wird ihn erkennen, und zwar nur ihn und allein daran.«

Er senkte warnend die Stimme. »Wenn es dir nicht gelingt, ihm das Ding rechtzeitig umzulegen, und das Netz zündet, dann werden auch andere in Nathans Nähe verletzt oder getötet werden, wenn sie zu nahe dran sind. Kannst du ihm also das Ding aus irgendeinem Grund nicht umlegen, dann sorge dafür, daß du rechtzeitig verschwindest. Gut möglich, daß er lieber sterben will, als dieses Ding noch einmal um den Hals zu tragen.«

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