11

Im Fallen schlug Nadine mit der Fackel zu und erwischte Marlin auf der Nase. Er ließ sie los, während er wie von Sinnen versuchte, sich das brennende Pech aus den Augen zu wischen. Die Strömung riß ihn fort.

Kahlan packte Nadine am Arm, mit dem sie die Fackel noch immer über Wasser hielt und half ihr zum zweiten Mal auf den Trittstein hinauf. Die beiden drückten sich mit dem Rücken flach an die Wand, rangen nach Luft und zitterten vor Schreck.

»Na schön«, sagte Kahlan schließlich, »wenigstens wissen wir jetzt, welche Richtung er eingeschlagen hat.«

Nadine schlotterte. Das Haar klebte ihr an Kopf und Hals. »Ich kann nicht schwimmen. Nun weiß ich, warum ich es nie lernen wollte. Es gefällt mir nicht.«

Kahlan lächelte in sich hinein. Die Frau hatte mehr Mumm, als sie vermutet hatte. Beim Gedanken daran, warum Nadine hier war und wer sie geschickt hatte, verschwand das Lächeln.

Dann wurde Kahlan bewußt, daß sie in der Plötzlichkeit des Überfalls die Gelegenheit verpaßt hatte, Jagang zu erledigen.

»Laßt mich vorangehen.«

Nadine hielt die Fackel mit beiden Händen. Kahlan legte ihr die Arme um die Hüften, dann drehten sie sich auf Zehenspitzen umeinander und tauschten auf dem Stein die Plätze. Die Frau war so kalt wie ein Fisch im Winter. Kahlan war nach dem Aufenthalt in den kalten Tunneln, wo ihr das eiskalte Wasser um die Knöchel spülte, nicht viel wärmer. Ihre Zehen waren taub.

»Was, wenn er stromaufwärts entkommt?« fragte Nadine.

»Das halte ich für unwahrscheinlich, mit nur einem Arm. Er wird sich an einem Trittstein festgehalten haben, so daß nur sein Gesicht aus dem Wasser schaute, während er versteckt im Wasser lag und auf uns lauerte.«

»Und wenn er es noch mal versucht?«

»Ich gehe jetzt voran. Dann kriegt er mich zu fassen, und das wird dann sein letzter Fehler sein.«

»Und wenn er wartet, bis Ihr vorüber seid, und dann auftaucht und wieder mich packt?«

»Dann müßt Ihr beim nächsten Mal eben noch fester zuschlagen.«

»Ich habe so fest zugeschlagen, wie ich konnte!«

Kahlan lächelte und drückte Nadine tröstlich den Arm. »Das weiß ich doch. Ihr habt genau das Richtige getan. Ihr habt Eure Sache gut gemacht.«

Zoll für Zoll schoben sie sich an der Wand entlang und passierten mehrere leichte Biegungen. Dabei hielten sie die ganze Zeit nach dem Gesicht von Marlin Ausschau, das ihnen jederzeit plötzlich aus dem Wasser entgegenblicken konnte. Die beiden erschraken jedesmal, wenn sie etwas entdeckten, stets jedoch stellte sich heraus, daß es nichts weiter war als ein Stück Treibgut.

Die Fackel flackerte inzwischen bedenklich und schien fast heruntergebrannt zu sein. Sämtliche Abflußkanäle führten nach draußen, und sie waren in diesem ein gutes Stück gelaufen. Kahlan wußte, der Tunnel mußte bald enden.

Sie war sich darüber im klaren, daß die Überlegung eher auf Hoffnung fußte denn auf Ortskenntnis. Als Mädchen hatte sie die Tunnel und Abflußkanäle hier unten ausgekundschaftet, allerdings nicht, wenn sie vom Schmelzwasser dermaßen angeschwollen waren. Zwar hatte sie eine recht gute Vorstellung davon, wo sie sich in etwa befand, ihren genauen Standort kannte sie dagegen nicht. Sie mußte daran denken, wie endlos ihr einige der Abflußkanäle damals vorgekommen waren.

Während sie so dahingingen, schien das tosende Geräusch des Wassers seinen Klang zu verändern. Kahlan war nicht sicher, was das zu bedeuten hatte. Vor ihnen machte der Tunnel einen Knick nach rechts.

Ein dumpfer Schlag, den sie eher spürte als hörte, ließ sie stehenbleiben. Sie streckte eine Hand aus, nicht nur, um Nadine zu stoppen, sondern auch als Zeichen, daß die andere sich still verhalten sollte.

Das nasse Mauerwerk der Wände leuchtete auf und reflektierte glitzernd den bläulichen Widerschein von irgend etwas hinter der Kurve. Ein dumpfes Heulen wurde immer heller, bis Kahlan es schließlich deutlich über dem Tosen des Wassers hören konnte.

Plötzlich schoß ein brodelnder Feuerball explosionsartig hervor. Wütendes gelbes und blaues Feuer, das den gesamten Tunnel füllte, kam kreisend und unter lautem Geheul auf sie zugerast.

Flüssiges Feuer, das in seiner alles verzehrenden Bedrohlichkeit zu kochen schien.

Zaubererfeuer.

Kahlan packte Nadine bei den Haaren. »Tief Luft holen!«

Nadine mit sich reißend, stürzte sich Kahlan knapp vor dem wütenden Getöse des kochenden Feuers ins Wasser. Das eiskalte Wasser war ein solcher Schock, daß sie es fast eingeatmet hätte.

Umgeben vom tosenden Wasser, war es schwierig, oben und unten zu unterscheiden. Kahlan riß die Augen auf. Über sich sah sie den schwankenden Lichtschein des Infernos. Nadine setzte alles daran, sich an die Oberfläche zu kämpfen. Kahlan stemmte sich mit ihrer Linken gegen die Unterseite eines Trittsteins, um unter Wasser zu bleiben, und hielt Nadine mit ihrem gesunden Arm ebenfalls unten. Nadine hatte panische Angst zu ertrinken und wollte sich losreißen. Auch Kahlan packte die Panik.

Als alles dunkel wurde, stieß Kahlan mit brennenden Lungen den Kopf durch die Oberfläche und riß Nadine mit sich hoch. Die Frau schluckte Wasser, hustete und versuchte keuchend Luft zu schöpfen. Lange, nasse Haarsträhnen verklebten die Gesichter der beiden.

Ein zweiter wirbelnder Feuerball raste den Tunnel entlang.

»Tief Luft holen!« schrie Kahlan.

Sie nahm einen tiefen Atemzug und tauchte unter, wobei sie Nadine mit sich riß. Und zwar keinen Augenblick zu früh! Kahlan wußte, vor die Wahl gestellt, hätte Nadine es vorgezogen, im Feuer zu sterben, statt zu ertrinken, aber das Wasser war ihre einzige Chance. Zaubererfeuer brannte mit todbringender Zielstrebigkeit, mit der Entschlossenheit des Zauberers, der es heraufbeschwor.

Lange hielten sie das nicht durch. Das Wasser war so kalt, daß sie bereits jetzt unkontrollierbar zitterten. Kaltes Wasser allein konnte einen Menschen töten. Sie durften nicht hier bleiben, sonst wäre es am Ende ebenso sicher mit ihnen vorbei, als wenn sie sich dem Zaubererfeuer aussetzten.

Durch Marlins Angriff hindurch war an Jagang nicht heranzukommen. Wenn sie ihn rechtzeitig erreichen wollten, gab es nur einen Weg: Sie würden unter dem Feuer hindurch müssen. Unter Wasser.

Kahlan unterdrückte ihre Panik, die sie bei der Vorstellung zu ertrinken befiel, vergewisserte sich, daß sie Nadines Hüfte sicher gefaßt hatte, dann stieß sie sich von dem Trittstein fort, an den sie sich geklammert hatte, als ginge es um ihr Leben.

Das grimmig nasse Wasser riß sie in seiner eiskalten Strömung fort.

Sie fühlte, wie sie sich unter Wasser um ihre eigene Achse drehte und dabei immer wieder gegen den Felsen stieß. Als sie mit der Schulter gegen etwas prallte, hätte sie fast losgebrüllt, doch die Vorstellung, ihren Atem mit einem Schlag zu verlieren, verschloß ihr die Kehle um so fester.

Als der Luftmangel zu stark wurde und ihr die Dunkelheit die Orientierung nahm, war ihr klar, daß sie auftauchen mußte. Sie hielt Nadine mit ihrem gesunden Arm an sich gepreßt. Mit der anderen Hand gelang es ihr, sich an einem Stein festzuhalten. Wegen des zusätzlichen Gewichts von Nadine kam es ihr vor, als würde ihr die Strömung den Arm aus dem Gelenk reißen.

Als sie auftauchte, war es hell. Keine zwanzig Fuß entfernt befand sich ein steinernes Gitterfenster. Das Licht des späten Nachmittags fiel durch die Öffnung oberhalb der Wasserlinie.

Kahlan zog Nadines Kopf über Wasser und drückte der Frau eine Hand auf den Mund.

Auf einem der Trittsteine seitlich von ihnen, in der Nähe des steinernen Gitters, das Gesicht von ihnen abgewandt, stand Marlin.

Kahlan sah die zersplitterten Schäfte von wenigstens einem Dutzend Pfeile, die aus seinem Rücken hervorlugten. Nach seinem Schwanken zu urteilen, als er auf den nächsten Stein trat, hatte Marlin sicher nicht mehr lange zu leben.

Der Stumpf seines linken Armes blutete nicht. Wenn sie sich nur darauf verlassen könnte, daß er starb, bevor er die Burg erreichte. Man konnte deutlich sehen, daß Jagang den verwundeten Mann unerbittlich weitertrieb. Sie hatte keine Ahnung, wozu der Traumwandler fähig war, wenn es darum ging, den Verstand des Mannes zu kontrollieren und ihn am Leben und in Bewegung zu halten. Das Leben, von dem er Besitz ergriffen hatte, scherte ihn nicht. Jederzeit war er bereit, Marlin für die Durchsetzung seiner Ziele jeden erdenklichen Schmerz zuzufügen.

Der Zauberer hob eine Hand und richtete sie mit gespreizten Fingern auf den steinernen Rost. Kahlan war unter Zauberern großgeworden: Marlin beschwor einen Luftzauber herauf. Ein Teil des Gittergeflechts explodierte in einer Wolke aus Staub und Steinsplittern nach außen. Durch die herausgesprengte Öffnung fiel weiteres Licht herein.

Durch den plötzlich breiteren Abflußkanal konnte das Wasser mit vermehrtem Druck herausströmen. Kahlan hatte in ihrem verletzten Arm keine Kraft, und der wachsende Sog des abfließenden Wassers riß sie von der Stufe fort. Nadine entglitt ihr ebenfalls.

Im mächtigen Griff des Wassers suchte Kahlan verzweifelt nach einem Halt, fand aber keinen. Sie drehte und wand sich, versuchte mit Händen und Füßen irgend etwas zu fassen zu bekommen. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, richtig Luft zu holen, außerdem hatte sie gegen das Entsetzen über ihren Atemmangel ankämpfen müssen.

Mit den Fingern erwischte sie die scharfe Steinkante am Rand des herausgesprengten Lochs. Sie wurde weiter hinuntergezogen und hart gegen den unteren Teil des Rostes gedrückt. Es gelang ihr lediglich, mit letzter Kraft den Kopf bis zum Hals hochzuhieven. Ihr erschien es, als atmete sie mehr Wasser als Luft.

Kahlan schaute hoch. Jagangs fieses Grinsen hieß sie willkommen. Er stand nur wenige Fuß entfernt.

Die Wucht des drückenden Wassers preßte sie fest gegen den zersprengten Rost. Sie hatte nicht die Muskelkraft, um sich gegen den reißenden Strom zu wehren. So sehr sie sich auch abmühte, sie kam nicht an den Zauberer heran. Sie schaffte es gerade eben, Luft zu holen.

Sie sah über die Schulter. Was sie sah, raubte ihr den Atem, um den sie gerade noch so heftig gekämpft hatte. Sie befanden sich auf der Ostseite des Palastes – der hohen Seite des Fundaments. Das Wasser schoß unter Getöse aus der Öffnung des Abflußkanals, um gut fünfzig Fuß in die Tiefe zu stürzen, bevor es donnernd auf die darunterliegenden Felsen klatschte.

Jagang lacht stillvergnügt in sich hinein. »Sieh an, sieh an, Schätzchen, wie nett von Euch vorbeizuschauen, um Zeuge meiner Flucht zu werden.«

»Wo wollt Ihr hin, Jagang?« brachte sie hervor.

»Ich dachte, ich gehe hinauf in die Burg.«

Kahlan schnappte nach Luft und bekam statt dessen einen Mundvoll Wasser. Sie hustete und würgte es heraus. »Warum wollt Ihr zur Burg? Was wollt Ihr dort?«

»Ihr täuscht Euch, Kleines, wenn Ihr glaubt, ich würde Euch irgendwas verraten, was Ihr nicht wissen sollt.«

»Was habt Ihr mit Cara gemacht?«

Er lächelte, antwortete jedoch nicht. Er hob Marlins Hand. Ein Stoß geballter Luft schlug ein weiteres Stück des Rosts zur Seite.

Der Stein, an dem sie sich festhielt, gab nach. Sie schrammte mit dem Rücken über die abgebrochene Kante. Kahlan schnappte nach einem festen Stück und bekam es gerade noch mit den Fingern zu fassen, bevor sie aus dem Kanal herausgedrückt wurde. Als sie nach unten sah, blickte sie auf die Felsen unterhalb des Fundaments. Über ihr toste das Wasser.

Mühsam schob sie die Finger über das scharfkantige Gestein und versuchte verzweifelt, sich wieder hinter die Überreste des Rosts zu ziehen. Panik verlieh ihren Bemühungen Kraft. Es gelang ihr, hinter das Steingitter zu kommen, sie konnte allerdings nicht mehr von dort weg. Das Wasser hielt sie gefangen.

»Schwierigkeiten, Kleines?«

Kahlan hätte ihn am liebsten angeschrien, konnte aber bestenfalls keuchend nach Luft schnappen, während sie dagegen ankämpfte, durch die Öffnung gespült zu werden. Ihre Arme brannten vor Anstrengung. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn aufhalten sollte.

Sie dachte an Richard.

Jagang hob erneut Marlins Hand und spreizte die Finger.

Plötzlich tauchte Nadine unmittelbar hinter ihm aus dem Wasser auf. Mit einer Hand hielt sie sich an einer steinernen Treppenstufe fest, mit der anderen umklammerte sie noch immer die Fackel. Mit einem Gesicht, als stünde sie am Rand des Wahnsinns, holte sie zu einem wuchtigen Schlag aus und verpaßte Marlin einen Hieb in die Kniekehlen.

Seine Beine knickten unter ihm weg, und er stürzte direkt vor Kahlan kopfüber ins Wasser. Mit der einen Hand blieb er am zerbrochenen Rost hängen. Als er sah, was ihn draußen erwartete, versuchte er verzweifelt, sich zurückzustoßen. Offenbar hatte er nicht vorausgesehen, daß es vom Abflußkanal womöglich keinen Weg nach unten gab.

Nadine krallte sich an den Trittstein, als ginge es ums nackte Überleben.

Kahlan griff mit ihrem verletzten Arm nach hinten, stopfte ihre linke Hand unter Wasser durch eine Öffnung des Gitters und ballte sie zur Faust, um sie dort festzuklemmen.

Mit der anderen packte sie Marlin an der Kehle.

»Sieh mal an, was ich hier habe«, preßte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, »den großen und allmächtigen Kaiser Jagang.«

Er grinste und zeigte ihr sein schiefes Gebiß. »Genaugenommen, Schätzchen«, sagte er mit Jagangs nervend unverschämter Stimme, »habt Ihr nur Marlin.«

Sie zog sich dicht an sein Gesicht heran. »Meint Ihr wirklich? Wißt Ihr nicht, daß die Magie eines Konfessors schneller wirkt als ein Gedanke? Deswegen hat niemand eine Chance, wenn wir ihn erst einmal berührt haben. Niemand. Die magischen Bande meiner Treue zu Richard verwehren dem Traumwandler den Zugang zu meinem Verstand. Marlins Verstand ist jetzt unser Schlachtfeld. Glaubt Ihr etwa, Eure Magie arbeitet schneller als meine? Was meint Ihr? Kann ich Euch zusammen mit Marlin überwältigen?«

»Zwei auf einen Streich?« sagte er mit einem fiesen Grinsen. »Das glaube ich kaum, Schätzchen.«

»Wir werden sehen. Vielleicht kriege ich Euch doch. Vielleicht machen wir dem Krieg und der Imperialen Ordnung gleich hier an Ort und Stelle ein Ende.«

»Ach, Schätzchen, was seid Ihr nur für eine Närrin. Der Mensch ist dazu bestimmt, seine Welt von den Fesseln der Magie zu befreien. Selbst wenn Ihr mich hier auf der Stelle töten würdet, wäre das nicht das Ende der Imperialen Ordnung. Sie wird das einzelne Individuum überleben, auch mich, denn die gesamte Menschheit strebt danach, unsere Welt zu erben.«

»Erwartet Ihr wirklich, daß ich glaube, Ihr tut das nicht aus Selbstsucht? Aus reiner Machtgier?«

»Gewiß nicht. Ich genieße das Herrschen. Aber ich reite nur ein Pferd, daß sich bereits in vollem Galopp befindet. Euch wird es niedertrampeln. Ihr seid eine Närrin, wenn Ihr weiter an der sterbenden Religion der Magie festhaltet.«

»Eine Närrin, die Euch immerhin bei der Kehle gepackt hält – Euch, den großen Jagang, der angeblich den Triumph des Menschen über die Magie sucht und dabei selbst Magie anwendet!«

»Im Augenblick noch. Wenn jedoch die Magie stirbt, werde ich es sein, der den Wagemut und die Kraft besitzt zu herrschen – und zwar ohne Magie.«

In Kahlan erwachte ein wilder Zorn. Dies war der Mann, der den Tod Tausender unschuldiger Menschen angeordnet hatte. Dies war der Schlächter von Ebinissia. Dies war der Mann, der die Welt versklaven würde.

Dies war der Mann, der die Absicht hatte, Richard umzubringen.

In der Stille ihrer Gedanken, im Kern ihrer Kraft, wo es keine Kälte gab, keine Erschöpfung, keine Angst, hatte sie alle Zeit der Welt. Er machte zwar keine Anstalten zu fliehen, doch selbst dann wäre es hoffnungslos für ihn gewesen. Er gehörte ihr.

Kahlan tat, was sie unzählige Male zuvor auch schon getan hatte – sie gab ihre Zurückhaltung auf.

Eine kaum wahrnehmbare Zeitspanne lang war etwas anders als sonst. Da, wo sonst nichts war, entstand ein Widerstand. Eine Wand.

Ihre Kraft durchstieß sie wie heißer Stahl Glas.

Die Magie breitete sich explosionsartig in Marlins Verstand aus.

Donner ohne Hall.

Gesteinssplitter regneten nach der Erschütterung herab. Wassertropfen tanzten. Trotz der Strömung des Wassers bildete sich ein Kreis aus Wellen um die beiden, der nach außen wogte und eine Wand aus Staub und Gischt vor sich hertrieb.

Nadine, die sich an den Trittstein klammerte, stieß einen Schmerzensschrei aus, weil sie die Freisetzung der Konfessorenkraft aus nächster Nähe erlebt hatte.

Marlins Kiefer erschlaffte. Wenn der Verstand eines Menschen durch einen Konfessor zerstört wurde, verwandelte er sich in ein willenloses Werkzeug, das auf Befehle angewiesen war.

Marlin sperrte sich gegen diese Willenlosigkeit.

Blut strömte ihm aus Ohren und Nase. Sein Kopf fiel in der tosenden Strömung zur Seite. Seine toten Augen wurden starr.

Kahlan löste ihren Griff von seinem Hals, als seine Hand am Gitter erschlaffte und das Wasser seinen Körper mitriß. Marlins Leiche stürzte auf die Felsen unten zu.

Kahlan wußte: Um ein Haar hätte sie Jagang gehabt. Sie hatte versagt. Seine Gedanken, seine Fähigkeiten als Traumwandler waren zu schnell, als daß sie ihn mit ihrer Konfessorenmagie hätte packen können.

Nadine streckte die Hand nach ihr aus. »Gebt mir die Hand. Ich kann mich nicht ewig hier festhalten!«

Kahlan faßte ihr Handgelenk. Der Einsatz seiner Kraft beraubte einen Konfessor seiner gesamten Energie. Wenn sie von ihrer Magie Gebrauch gemacht hatte, brauchte sogar Kahlan, die Mutter Konfessor und vielleicht der stärkste je geborene Konfessor, mehrere Stunden, bevor sie ihre Kraft ein weiteres Mal einsetzen konnte. Sie war erschöpft und hatte der Strömung nichts mehr entgegenzusetzen. Hätte Nadine sie nicht festgehalten, wäre sie längst hinuntergetrieben worden.

Mit Nadines Hilfe gelang es Kahlan, sich auf die Trittsteine hinaufzuziehen. Bibbernd vor Kälte zogen sich die beiden hoch.

Nadine brach angesichts der Woge des Grauens, die vorübergezogen war und sie fast mitgerissen hätte, in Tränen aus. Kahlan war zum Weinen zu erschöpft, aber sie wußte, wie Nadine zumute war.

»Ich habe ihn nicht berührt, als Ihr Eure Magie eingesetzt habt, trotzdem dachte ich, mir würde jedes einzelne Gelenk entzweigerissen. Ich habe doch … ich habe doch nichts abbekommen, oder? Keine Magie? Ich werde nicht sterben, oder?«

»Nein, mit Euch ist alles in Ordnung«, versicherte ihr Kahlan. »Ihr habt den Schmerz nur deshalb gespürt, weil Ihr so nahe dran wart, das ist alles. Hättet Ihr ihn allerdings berührt, wäre das sehr viel übler für Euch ausgegangen – Ihr wärt vernichtet worden.«

Nadine nickte nur stumm zur Antwort. Kahlan legte den Arm um sie und flüsterte ihr ein Dankeschön ins Ohr. Nadines Tränen wichen einem Lächeln.

»Wir müssen zurück zu Cara«, sagte Kahlan. »Und zwar schnell.«

»Aber wie? Die Fackel ist heruntergebrannt. An der Außenwand gibt es keinen Weg nach unten, und wenn wir versuchen umzukehren, werden wir uns in der Dunkelheit verlaufen. Es sei denn, die Soldaten kommen und bringen Fackeln mit, um uns den Weg zu leuchten.«

»Nichts ist unmöglich«, erwiderte Kahlan erschöpft. »Wir sind bei jeder Abzweigung rechts abgebogen, also brauchen wir uns auf dem Rückweg immer nur links zu halten.«

Nadine streckte die Hand aus und deutete nach hinten in die völlige Dunkelheit. »In den Gängen mag das ja alles gut und schön sein, aber als wir diesen Abflußkanal betreten haben, sind wir auf die andere Seite gewechselt. Drüben gibt es keine Trittsteine. Wir werden die Öffnung niemals finden.«

»An der Stelle, wo das Wasser in der Mitte des Tunnels über den Trittstein fließt, macht es ein anderes Geräusch. Ist Euch das nicht aufgefallen? Ich werde die Stelle wiederfinden.« Kahlan faßte Nadine bei der Hand, um sie zu ermutigen. »Wir müssen es versuchen. Cara braucht Hilfe.«

Nadine starrte in stummer Qual einen Augenblick lang vor sich hin, dann sagte sie: »Na schön, doch wartet einen Augenblick.«

Sie riß einen Streifen des zerfetzten Saums von Kahlans Kleid, wickelte ihn ihr um den Oberarm und verband damit so provisorisch die Wunde. Kahlan zuckte zusammen, als Nadine den Knoten festzurrte.

»Gehen wir«, meinte Nadine. »Aber seid vorsichtig, bis ich den Riß vernähen und einen Umschlag auflegen kann.«

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