Als Kahlan sich vortastete, streifte ihre Hand Drefans behaartes Bein. Sie bewegte sich ein Stück zur Seite, um sich neben ihn zu legen. Es gab eine über Stroh gelegte Decke oder jedenfalls etwas, das weicher war als nacktes Holz. Wenigstens tat es ihr am Rücken nicht so weh, wie es der nackte Fußboden getan hätte.
Sie lag auf dem Strohlager und starrte mit aufgerissenen Augen nach oben in die Dunkelheit. Außer der vagen Andeutung der Fenster vor sich konnte sie nichts erkennen. Sie bemühte sich, ihren Atem zu beruhigen, auch wenn sie kein Mittel gegen ihren panikartigen Pulsschlag wußte.
Es gab Schlimmeres, versuchte sie sich einzureden. Dies war lange nicht das Schlimmste. Ganz und gar nicht. Das war keine Vergewaltigung. Jedenfalls nicht wirklich.
Nach einer Weile spürte sie, wie Drefans Hand sich auf ihren Bauch legte. Kahlan stieß sie, einen Aufschrei unterdrückend, zur Seite.
Das hätte sie nicht tun sollen, sagte sie sich. Was war eine Hand, verglichen mit der Seuche? Wie viele von der Pest geplagte Menschen hätten nur zu gern mit ihr den Platz getauscht? Eine zarte Berührung – da gab es wirklich Schlimmeres.
Drefans Hand fand ihre und versuchte, sie mit einem Händedruck zu trösten. Sie riß ihre Hand los, als hätte eine Schlange sie gestreift. Sie wollte nicht von ihm getröstet werden. Sie hatte nicht gelobt, mit ihm Händchen zu halten. Sie hatte nicht gelobt, sich von ihm trösten zu lassen. Sie hatte sich verpflichtet, seine Frau zu sein, aber nicht, seine Hand zu halten. Sie würde ihn gewähren lassen, soweit sie dazu verpflichtet war, aber seine Hand brauchte sie nicht zu halten.
Verzweifelt versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen. Richard mußte in den Tempel der Winde gelangen. Der Tempel der Winde verlangte dies als Preis. Die Seele von Chandalens Großvater hatte sie gewarnt, sie dürfe sich ihrer Pflicht nicht entziehen. Sie erinnerte sich nur zu gut an seine Worte:
Man hat mir den Preis nicht gezeigt, aber ich warne dich vorab: Du hast keine Möglichkeit, dies zu umgehen oder zu vermeiden. Es muß geschehen, wie es dir offenbart wird, oder alles ist verloren. Ich möchte dich bitten, schlage den Pfad ein, sobald die Winde ihn dir zeigen, denn sonst wird sich ereignen, was ich dir gezeigt habe.
Kahlan erinnerte sich an die Szenen des Massensterbens, die die Ahnenseele ihr vor Augen geführt hatte. Wenn sie nicht tat, was die Winde von ihr verlangten, würde das geschehen, was man ihr gezeigt hatte.
Sie mußte Drefan gewähren lassen. Durch Hinhalten würde es nicht einfacher werden.
Für Drefan war es bestimmt auch nicht leicht. Sicher alles andere, so wie sie seine Annäherungsversuche brüsk von sich wies. Der Gedanke entfachte ihren Zorn aufs neue. Sie wollte seine Zärtlichkeiten nicht.
Was wollte sie dann? Wollte sie, daß er grob war? Natürlich mußte sie ihm erlauben, daß er sie anfaßte. Wie konnte er es tun, ohne sie zu berühren? Richard mußte in den Tempel der Winde gelangen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als Drefan gewähren zu lassen.
Kahlan reichte hinüber und ergriff Drefans Handgelenk. Sie legte seine Hand dorthin zurück, wo er sie zuvor hatte hinlegen wollen, auf ihren Bauch. Dann ließ sie sie los. Sie blieb dort liegen.
Worauf wartete er? Am liebsten hätte sie ihn angeschrien, er solle es hinter sich bringen, er solle es tun und fertig. Er solle sich nehmen, was dem Herzen nach seinem Bruder gehörte, wenn auch nicht dem Gelübde nach.
Sie lag da, Drefans Hand auf ihrem Körper, und lauschte in die totenstille Nacht. Sie ertappte sich dabei, daß sie auf Geräusche von Nadine und Richard lauschte. Dann schloß sie die Augen.
Drefans Hand schob sich hinauf zu ihrer Brust. Die Hände neben ihrem Körper zu Fäusten geballt, zwang sie sich, reglos liegenzubleiben. Sie mußte ihn gewähren lassen. Sie versuchte sich abzulenken. Im stillen sagte sie mechanisch Sprachlektionen aus ihrer Jugend auf und versuchte, seine Hand zu ignorieren. Es ging nicht.
Er war zärtlich, aber das bot ihr keinen Trost. Schon seine Berührung kam einer Schändung gleich. Wie zärtlich er dabei vorging, änderte nichts, machte es nicht zu einem Recht. Daß er jetzt ihr Gemahl war, bedeutete für sie keinen Unterschied. In ihrem Herzen wußte sie, es war falsch, und das machte es zu einer Schändung.
Innerlich schrie sie sich an. Sie benahm sich mehr als kindisch. Sie war die Mutter Konfessor und hatte schon viel schlimmeren Situationen gegenübergestanden, viel schlimmeren als dieser, viel schlimmeren als der, daß ein Mann, für den sie nichts empfand, ihr so nahe war, so intim mit ihr wurde.
Aber sie war nicht mehr die Mutter Konfessor. Der Tempel der Winde, die Seelen, hatten ihr auch das genommen.
Kahlan schnappte japsend nach Luft und hielt den Atem an, als Drefans Hand ihren Bauch erkundete und schließlich zwischen ihren Beinen innehielt. Sie mußte daran denken, wie Drefan dasselbe mit Cara gemacht hatte. Jetzt war sie an der Reihe.
Sie haßte ihn. Sie war mit einem Mann verheiratet, den sie haßte.
Cara hatte es ebenso gespürt, wie Kahlan es jetzt spürte. Doch die Mord-Sith hatte nicht so kindisch reagiert, war nicht so töricht gewesen. Kahlan ließ Drefans Hand freies Spiel.
Es ging darum, Menschenleben zu retten. Sie mußte all die unschuldigen Menschen vor der Pest bewahren, die Jagang ihnen geschickt hatte. Ohne sie konnte ihr Volk nicht gerettet werden. Es war ihre Pflicht.
Plötzlich erhob sich Drefan. Seine dunkle Gestalt schien über ihr zu schweben. Seine Knie drückten sachte gegen ihren Schenkel, drängten sie, die Beine zu öffnen. Gleich war es vorbei, redete sie sich ein, als er auch sein zweites Knie zwischen ihre Schenkel schob.
Seine mächtige Gestalt senkte sich auf sie herab. Er war kräftig gebaut, genauso kräftig wie Richard. Sie befürchtete, er könnte sie zerdrücken, aber dazu kam es nicht. Er stützte sich auf den Ellenbogen ab, um ihr nicht weh zu tun. Dabei versuchte er zärtlich zu sein, und sie erschwerte es ihm nur. Er mußte es tun, und sie mußte ihn gewähren lassen.
Kahlan verzog das Gesicht. Sie war noch nicht soweit. Sie hielt den Atem an. Es war zu spät, um noch nicht soweit zu sein. Drefan war da. Sie biß sich auf die Unterlippe und zuckte zusammen.
Sie kam sich so hilflos vor wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie war mit Drefan verheiratet, nicht mit Richard, und Drefan, nicht Richard, war es, der sie nahm. Alles war verloren.
Die Augen fest geschlossen, preßte Kahlan die Fäuste an ihre Schultern, als er in sie eindrang. Die Tränen liefern ihr aus den Augenwinkeln. Ihre Nase verstopfte, während sie still vor sich hin weinte, und sie mußte den Mund öffnen, um zu atmen. Gern hätte sie vor Seelenqualen laut aufgeschrien, statt dessen mußte sie sich daran erinnern, weiter Luft zu schöpfen.
Es dauerte länger, als sie gehofft, aber nicht so lange, wie sie befürchtet hatte.
Endlich fertig, wälzte Drefan sich von ihr herunter auf den Rücken. Er hatte seine Pflicht getan, es aber offenbar nicht genossen. Irgendwie war sie erleichtert, weil es ihm kein Vergnügen bereitet hatte. Er lag dort und kam wieder zu Atem, als sie endlich erleichtert Luft holte. Es war vorbei.
Sie redete sich ein, es sei gar nicht so schlimm gewesen. Eigentlich war es nichts. Sie hatte kaum etwas gespürt. Sie hatte sich törichterweise angestellt, und siehe da, schon war es vorüber. So schlimm, wie sie befürchtet hatte, war es nicht gewesen. Eigentlich war es nichts.
Und doch war es das. Sie spürte etwas. Sie kam sich besudelt vor.
Drefan streckte die Hand aus. Seine Finger wischten ihr zärtlich, voller Mitgefühl, eine Träne von der Wange. Sie stieß seine Hand fort. Sie wollte sein Mitgefühl nicht. Sie wollte nicht, daß er sie berührte. Sie hatte nicht eingewilligt, daß er sie anfassen durfte, sondern nur in den Vollzug der Ehe. Zärtlichkeiten gehörten nicht dazu.
Sie erinnerte sich daran, wie sie mit Richard zusammengewesen war. Sie erinnerte sich an ihr glühendes Verlangen nach ihm. Sie erinnerte sich an ihre Schreie reiner Wonne.
Wieso war das hier so anders?
Weil sie Drefan nicht liebte, deswegen. Tatsächlich wurde ihr allmählich bewußt, daß sie ihn verabscheute. Er hatte etwas an sich, das sie nicht mochte, und es war mehr als nur die Erinnerung an seine Hand auf Caras Körper. Er hatte etwas Tückisches an sich, etwas Verschlagenes. Zuvor war ihr das nicht so deutlich aufgefallen, jetzt aber erkannte sie die Tücke in seinen blauen Augen.
Kahlan fragte sich verwundert, wie sie darauf kam. Er hatte eben ihre Ehe vollzogen und war dabei so behutsam wie nur irgend möglich vorgegangen. Er hätte leicht alles tun können, was er wollte, ihre Kraft war weggeschlossen. Sie hätte ihn nicht daran hindern können. Und doch hatte er versucht, mitfühlend und verständnisvoll zu sein.
Trotzdem kam es ihr erstaunlich vor, daß es so anders sein konnte als damals mit Richard. Sie gäbe alles, fast alles, darum, diese Wonne noch einmal zu erleben. Sie sehnte sich nach der Erfüllung, nach der Befriedigung. Nach der Sättigung ihrer Lust.
Nach einer Weile wurde Drefans Atem immer gleichmäßiger. Kahlan lag da, in der Dunkelheit, neben ihm, neben ihrem neuen Gemahl, und wartete. Wieso war der Tempel der Winde nicht gekommen? Sie hatte ihren Teil getan.
Vielleicht Richard nicht. Kahlan fragte sich, ob er das überhaupt konnte. Sie brauchte schließlich nur dazuliegen. Richard mußte erregt werden. Wie konnte das geschehen, dort drüben, wo er doch wußte, daß sein Bruder hier war und die Frau, die Richard liebte, seinem Willen unterwarf?
Kahlan hatte Richards Blick gesehen, diese wilde Eifersucht, als sie nur erwähnte, was Shota gesagt hatte – daß sie einen anderen heiraten würde. Noch nie hatte sie seine Augen so blitzen gesehen, und seinerzeit hatte es keinen echten Grund dafür gegeben. Ganz anders jetzt.
Nein, Nadine würde schon dafür sorgen, daß Richard tat, was er tun mußte. Wenn Kahlan auf eins zuversichtlich baute, dann Nadines Wunsch, diese Ehe zu vollziehen.
Nadine war eine wunderhübsche Frau. Sie glühte geradezu vor Begeisterung. Wie konnte Richard nicht erregt sein? Er wußte, ihm blieb keine andere Wahl. Er hatte keinerlei Grund, sich ihrem Drängen zu widersetzen. Vielleicht sah Richard es als Rache an seinem Bruder Michael, der Nadine genommen hatte. Vielleicht würde er es auf diese Weise überstehen.
Kahlan wußte, daß Nadine den glücklichsten Augenblick ihres Lebens erlebte. Für die andere erfüllte sich ein Traum.
Und für Kahlan ein Alptraum.
Der dunkle Himmel, den sie so eben durch die Fenster ahnen konnte, schien zu brodeln, wie schon den ganzen Tag und die ganze Nacht über. Die Luft war nach wie vor vollkommen still und schwül. Das Unwetter wollte nicht losbrechen. Es drohte damit, schien aber noch zu zögern.
Kahlan legte ihr Handgelenk auf die Stirn, ruhte sich aus und wartete. Ihre Beine schmerzten, und sie merkte, es lag daran, daß sie die Knie zusammenpreßte. Sie erlaubte ihren Beinen, sich zu entspannen. Drefan hatte seine Pflicht getan. Er war fertig. Es war vorbei. Sie durfte sich entspannen.
Sie schloß die Augen, als sie Nadines fernes Lachen hörte, das durch die Nachtluft herüberwehte. Die Frau stand zu ihrem Wort. Mußte Richard sie unbedingt zum Lachen bringen? Reichte es nicht, wenn er einfach nur seine Pflicht tat? Nein, Richard würde Nadine nicht zum Lachen bringen. Nadine lachte über Kahlan.
Die Nacht zog sich endlos hin. Wo blieb der Tempel der Winde? Drefan unternahm keinen Versuch, sie noch einmal anzufassen, und dafür war sie ihm dankbar. Er lag da, auf dem Rücken, und wartete gemeinsam mit ihr.
Keine Stunde, die verstrich, brachte irgendeine Änderung. Von Zeit zu Zeit nickte Kahlan ein. Nadines heiseres Lachen riß sie mit einem Ruck wieder aus dem Schlaf.
Sie hätte Richard ohrfeigen mögen. Wie lange wollte er noch so weitermachen? Er hätte Nadine mittlerweile dreimal haben können. Hatte er vielleicht sogar. Vielleicht versuchte er es immer weiter, solange der Tempel der Winde nicht kam. Nadine hatte ihren Spaß daran. Kahlan spürte, daß ihre Wangen glühten.
Drefan lag schweigend neben ihr. Die Winde hatten ihnen zu sprechen verboten. Nadines Gelächter zählte vermutlich nicht, sie gebrauchte keine Worte. Es war auch so deutlich genug.
Kahlan seufzte. Früher oder später würden die Winde kommen. Sie alle hatten getan, was verlangt wurde.
Aber hatte sie das wirklich?
Was hatte Cara gleich gesagt?
Du mußt deinen Teil dabei übernehmen – dich hingeben und es genießen.
Drefan hatte es genossen. Er war befriedigt worden. Nadine genoß es ganz bestimmt. Richard sicher auch.
Kahlan nicht. Sie hatte es nicht ›genossen‹.
Sie verwarf den Gedanken. Es mußte an etwas anderem liegen. Vielleicht warteten die Winde nur, bis Nadine endlich genug hatte. Das würde zum Tempel der Winde passen, dazu, wie er die Schraube der Schmerzen für Richard und Kahlan immer fester angezogen und sie hatte leiden lassen.
Während die Nacht sich dahinschleppte und sie sich Caras Bemerkung über das Genießen in Erinnerung rief, mußte Kahlan daran denken, wie sie mit Richard an jenem Ort zwischen den Welten gewesen war. Sie hatte dieselbe Art Wonne erfahren, die auch andere Frauen spürten – den Genuß und die Hingabe nicht nur in der Liebe, sondern auch bei der Lust.
In letzter Zeit war Kahlan so enttäuscht gewesen, während sie darauf wartete, mit Richard zusammenzusein, darauf, daß diese Nähe wiederkehrte, darauf, ihn zu heiraten, damit sie als Gemahl und Gemahlin Zusammensein konnten, darauf, diese Befriedigung noch einmal zu erleben. Sie war so dicht dran gewesen, so bereit, und dann waren all ihre Hoffnungen zunichte gemacht worden und ihre Sehnsüchte unerfüllt geblieben.
Zum allerersten Mal war sie jetzt ihrer Konfessorenkraft ledig, frei, Vergnügen zu empfinden, wenn sie mit einem Mann zusammen war, nicht um der Liebe willen, sondern einfach, um die Wonnen zu genießen. Sie war frei, Lust zu empfinden, wo andere Frauen ebenfalls Lust verspürten. Jetzt lag sie hier, gleich neben ihrem Gemahl, einem ganz und gar nicht unattraktiven Mann, und alles, was sie fühlte, war die Enttäuschung darüber, daß es sie nach Richard verlangte.
Sollte ihr für den Rest ihres Lebens diese einfache Freude verwehrt bleiben, daß sie jetzt frei war zu genießen?
Aber sie liebte Drefan nicht. Ohne Liebe blieb Leidenschaft hohl.
Und doch war es Leidenschaft, und selbst wenn sie nicht ideal war, so konnte man ihr doch wenigstens diese Befriedigung lassen. Alles andere hatten ihr die Seelen genommen: Richard, das einzige, was sie wirklich vom Leben gewollt hatte. War sie bereit, ihnen zu erlauben, ihr auch noch die einfachen Freuden vorzuenthalten?
Was sonst blieb ihr jetzt noch?
Dieser Mann war ihr Gemahl. Sie war dazu verdammt, den Rest ihres Lebens mit ihm zu verbringen. Konnte sie dann nicht wenigstens ein bißchen von ihrem aufgestauten Verlangen erlöst werden?
Sonst hatte man sie alles anderen beraubt: der einzigen Liebe ihres Lebens und ihrer Konfessorenkraft.
Du mußt deinen Teil dabei übernehmen – dich hingeben und es genießen.
Was, wenn die Winde deshalb nicht gekommen waren? Wenn die Ursache darin bestand, daß sie es nicht genossen hatte?
Drefan wälzte sich auf den Bauch und seufzte. Er war ebenso enttäuscht von der Warterei.
Sie dachte an seine engen Hosen, und wie sie sich beim Hinschauen ertappt hatte. Drefan sah gut aus, er war gebaut wie Richard. Drefan war ihr Gemahl.
Der Ärger über die Seelen, die ihr alles genommen hatten, war es schließlich, der etwas in ihrem Inneren zum Zerreißen brachte. Es war alles, was sie hatte. Sie stand ihr zu – die Erlösung ihrer Lust.
Als ihre Hand Drefans Rücken berührte, fuhr er erschrocken zusammen. Kahlan streichelte ihm über die Rückenmuskeln, und er beruhigte sich wieder. Sie erlaubte sich, seine Muskeln zu betasten, wie sie früher Richards betastet, seinen Körper gefühlt hatte. Sie atmete tief durch und ließ sich gehen.
Kahlans Hand bewegte sich auf seinem Rücken nach unten. Sie biß die Zähne zusammen und legte ihm die Hände auf die Pobacken. Sie waren so fest, wie sie in seinen Hosen aussahen. Wahrscheinlich hatte sie sogar noch Glück. Die Seelen hätten ihr einen widerlichen Kerl zuweisen können. Statt dessen hatten sie auf Drefan bestanden, und der war alles andere als abstoßend. Er sah nicht ganz so gut aus wie Richard, für sie sah niemand so gut aus wie Richard. Andererseits scharwenzelten die Frauen ständig um Drefan herum. Jetzt war er ihr Gemahl. Er hatte gelobt, ihr treu zu sein. Sie hatte gelobt, ihm treu zu sein.
Das war die einzige Freude, die man ihr zugestand. Das war alles, was die Seelen ihr gelassen hatten. Und wenigstens das konnte sie sich erlauben – sich das zu nehmen, worauf sie ein Recht hatte.
Kahlan faßte Drefan an der Hüfte und rollte ihn zu sich herum.
Sie hakte ihr Bein über seines und ließ ihre Hand auf seiner Brust umherwandern. Drefan reagierte nicht. Vielleicht war er überrascht von ihrem veränderten Verhalten. Oder verwirrt. Sie würde etwas dagegen unternehmen müssen. Behutsam kniff sie ihn in eine seiner Brustwarzen, dann ließ sie ihre Hand über seinen flachen Bauch gleiten und weiter nach unten.
Kahlan stellte fest, daß Drefan nicht in der Verfassung war, ihr irgend etwas Gutes zu tun. Wenn sie ihren Spaß haben wollte, würde sie das ändern müssen.
Sie gab ihm einen Kuß auf die Brust. Sie ließ ihre Zunge bis zu seinem Bauch hinunterwandern. Sein Atem schien sich zu beruhigen. Kahlan empfand Wut und Enttäuschung darüber, daß er den Wink nicht verstand. Sie war es leid, enttäuscht zu sein, wo alle anderen es nicht waren.
Sie beschloß, wenn sie Befriedigung finden wollte, dann lag es bei ihr, dafür zu sorgen, daß sie bekam, was sie wollte. Schenken würde sie ihr niemand – sie würde sie sich nehmen müssen. Kahlan fuhr mit ihrer Zunge, ihren Küssen, auf Drefans angespanntem Bauch bis ganz nach unten.
Als sie ihn in den Mund nahm, schmeckte sie ihr eigenes Blut. Sie zwang sich, den Geschmack zu ignorieren, während sie ihn drängte, irgendeine Reaktion zu zeigen.
Anfangs dachte sie, er werde es nicht tun, aber als sie sich in dem erotischen Gefühl dessen, was sie da gerade tat, verlor, war es endlich soweit. Er richtete sich auf, so stark und kräftig wie zuvor.
Als Drefan dann vollends bereit war, stöhnte Kahlan vor Verlangen. Jetzt, da sie einmal beschlossen hatte, ihren Spaß zu haben, wurde sie hartnäckig. Drefan war jetzt ihr Gemahl. Es war seine Pflicht, auch ihr Verlangen zu befriedigen, und nicht nur sein eigenes.
Kahlan drehte sich der Kopf vor Sehnsucht nach Erlösung.
Daß es Drefan war, spielte längst keine Rolle mehr. In Gedanken stellte sie sich Richard vor. Bei dem Gedanken stöhnte sie vor Sehnsucht, kletterte auf ihn hinauf und setzte sich rittlings auf seine Hüften.
Diesmal war sie bereit, ihn aufzunehmen. Diesmal wollte sie ihn. Sie verschloß ihren Verstand vor der Tatsache, daß dies Drefan war, und stellte sich vor, es wäre Richard. Da sie seine blauen Augen nicht sehen konnte, fiel es ihr nicht schwer, sich einzubilden, es sei Richard.
Sie erinnerte sich an die Dinge, die sie mit Richard getan hatte, und tat sie. Sie durchlebte diese Erfahrung in ihrer Phantasie noch einmal. Sie sperrte den Mund auf. Sie rang keuchend nach Atem. Der Schweiß lief ihr am Körper herab, während sie sich auf ihm bewegte und sich kraftvoll gegen ihn krümmte.
Auch Drefan hatte mittlerweile zu keuchen angefangen. Sie brauchte Erlösung von all der Enttäuschung, die sich so lange aufgestaut hatte – all die Male, die sie Richard geküßt und dabei mehr gewollt hatte, all die Male, die er sie angefaßt hatte und sie gewollt hatte, daß er mehr tat. Jetzt tat er mehr.
Kahlan beugte sich vor, um ihn zu küssen. Drefan drehte sein Gesicht zur Seite. Sie schob ihren Arm unter seinen Kopf und drückte ihn statt dessen an ihren Busen. Sein Gesicht fühlte sich heiß auf ihren Brüsten an. Die Rauheit seines unrasierten Gesichts erregte sie, als sie ihren schweißbedeckten Körper an ihm rieb. Das steigerte ihr Keuchen nur noch.
Sie wollte ihn gerade anschreien, er solle seine Hände auf sie legen, als ihr einfiel, daß sie nicht sprechen durfte. Sie packte sein Handgelenk und legte erst eine, dann die andere Hand dorthin, wo sie sie haben wollte, damit er ihren Hintern packte, während sie sich bewegte – damit sie sich vorstellen konnte, daß es Richard war, der sie festhielt, den es nach ihr verlangte. Sie wollte seine großen Hände spüren, während sie sich bewegte.
Zum ersten Mal, seit sie mit Richard zusammengewesen war, empfand sie eine ungezügelte Wonne, eine wilde Lust, ein verzweifeltes Verlangen. Daß es bei Drefan geschah, spielte längst keine Rolle mehr. Sie wollte nichts weiter als Erlösung.
Und die erfolgte in Gestalt eines überwältigenden, in Wellen kommenden Schauderns. Ihr heißes Stöhnen rüttelte an ihren Schultern. Ihre Beine versteiften sich und wurden hart wie Stein. Ihre Zehen krallten sich zusammen. Sie ließ sich schwer auf ihn fallen, als die unbarmherzige Befriedigung der Lust sie überwältigte. Sie gab sich ihr vollkommen hin und ließ ihr in hilfloser, ungezügelter Selbstvergessenheit freien Lauf. Wieder entfuhr ihr ein scharfes Keuchen, ein Aufschrei, der noch im Widerhall des ersten folgte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Als sei es fast zuviel, das auszuhalten. Mit einer letzten Zuckung ebbte es ab. Und schließlich war es vorbei.
Einen quälenden Augenblick lang war sie frei gewesen. Es gab keine Pest, keine sterbenden Menschen, keine Verantwortung, keine Pflicht, keine Heirat mit Drefan, keine Nadine. Diesen einen Augenblick lang war sie von alledem befreit gewesen und hatte sich der Genugtuung hingegeben. Diesen einen Augenblick lang waren ihr Herz und ihre Lust wieder bei Richard gewesen.
Kahlan brach seitlich neben Drefan zusammen, keuchte, rang um Atem und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Ihr fiel auf, daß er dieses zweite Mal keine Befriedigung gefunden hatte. Es war ihr egal. Sie hatte. In diesem Augenblick zählte nur eins: das süße Gefühl der Erlösung.
Einen wundervollen Moment lang hatten sie keine Sorgen gequält, und sie war bei ihrem Geliebten gewesen, wenn auch nur in ihrer Phantasie. Jetzt weinte sie vor Freude darüber.
Sie lag auf der Seite, von Drefan abgewandt, und erholte sich. Sie wischte sich die Freudentränen aus dem Gesicht. Nun, wo das Verlangen erloschen war, keimte unerwarteterweise Scham in ihr auf.
Gütige Seelen, was hatte sie gerade nur getan? Sie hatte ihren Spaß gehabt, das war alles. Sie hatte die Erlösung dringend gebraucht. Warum kam sie sich dann auf einmal so schmutzig vor?
Fernes Donnergrollen rollte auf sie zu. Die Andeutung eines Blitzes flackerte über den Himmel. Kahlan sah aus dem Fenster. Ein weiteres Aufblitzen, näher, zerriß das Innere der brodelnden Wolken und erhellte kurz den Berggipfel.
Aus dem anderen Gebäude vernahm Kahlan den langgezogenen Schrei von Nadine. Sie sperrte ihn aus ihren Gedanken aus. Sosehr Nadines Schrei sie auch schmerzte, wenigstens ließ er sie nicht so niedergeschlagen zurück wie zuvor.
Es folgten drei weitere Schreie von Nadine. Kurz, durchdringend, fordernd. Kahlan schlug sich die Hände vor die Ohren. Nadine hatte ihren Standpunkt klargemacht, konnte sie es nicht einfach dabei bewenden lassen?
Wind kam auf, plötzlich, als hätte jemand eine riesige, gewaltige Tür aufgestoßen. Die Böe schlug ein wie eine Lawine. Das Gebäude erzitterte. Der gesamte Berg erbebte.
Kahlan stützte sich auf die Ellenbogen und schaute durch die Fenster nach draußen. Ferne Blitze zuckten durch die ungestümen Wolken. Donner grollte, hallte im Gebirge wider. Und näherte sich mit jedem Schlag ein Stückchen.
Der Tempel der Winde kam – sie hatte nicht den geringsten Zweifel daran. Das brachte ihre Gedanken wieder auf Richard, denn er kam seinetwegen. Plötzlich schämte sie sich. Wie hatte sie ihr Herz so einfach aus den Augen verlieren können? Wie konnte sie solche Wonne bei einem anderen Mann empfinden? Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht?
Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie sich so schmutzig gefühlt wie jetzt, urplötzlich. Mit Richard hatte sie sich hinterher wunderbar gefühlt. Jetzt fühlte sie sich mit jedem Augenblick schlimmer. Würde Richard je davon erfahren, er würde es niemals verstehen.
Richard würde nie davon erfahren. Er konnte unmöglich dahinterkommen. Es sei denn, Drefan erzählte ihm davon. Ihr Herz klopfte. Sie mußte an die Tücke denken, die sie in Drefans Augen gesehen zu haben glaubte. Nein, er würde Richard nichts erzählen.
Und wenn doch?
Ein plötzlicher Blitz in der Nähe ließ Kahlan senkrecht in die Höhe fahren. Sie hatte draußen etwas gesehen – ein Gebäude. Wie die Winde versprochen hatten, würde nicht der geringste Zweifel bestehen. Jetzt durfte sie sprechen.
Sie wälzte sich herum zu Drefan. Sie mußte sich seines Schweigens versichern, bevor sie diesen Ort verließen. Wenn Richard jemals dahinterkäme…
Der Wind umpeitschte den Berggipfel. Der Donner krachte.
»Hör zu, Drefan. Eins mußt du mir versprechen. Du darfst niemals erzählen, was hier gerade vorgefallen ist, was ich gerade mit dir gemacht habe.« Ihr Griff wurde fester. Ihre Fingernägel gruben sich in seinen Arm. »Ich werde für den Rest meines Lebens tun, was immer du von mir verlangst, aber du mußt mir versprechen, daß du« – Lichtfetzen erhellten den Raum – »Richard nie etwas davon erzählen wirst…«
Ein krachender Donnerschlag ließ die Erde erzittern. Blitze zuckten schlangengleich am Unterrand der Wolken und tauchten den Raum in ein grelles, gleißendes Licht. Im zuckenden Licht waren graue Augen auf sie gerichtet. »Ich glaube, ›Richard‹ weiß bereits davon.« Kahlan schrie.