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»So«, sagte Cara mit gefährlichem Unterton, »darf ich ihn jetzt töten?«

Die widersinnige, ungehörige Art dieses harmlos aussehenden, hageren jungen Mannes, der scheinbar hilflos auf den Knien lag, auf feindlichem Gebiet, umgeben von Hunderten, von Tausenden brutaler d'Haranischer Soldaten, und der so offen und voller Kühnheit davon sprach, er habe die Absicht, Richard umzubringen, hatte zur Folge, daß Kahlan das Herz gegen die Rippen hämmerte.

So dumm konnte einfach niemand sein.

Erst im nachhinein merkte sie, daß sie einen Schritt zurückgewichen war. Sie überging Caras Frage und achtete nur auf den jungen Mann.

»Und wie, bitte, willst du das bewerkstelligen?«

»Na ja«, meinte er beiläufig und seufzte dabei, »ich hatte geplant, mein Schwert zu benutzen oder, wenn es nicht anders geht, mein Messer.« Sein Lächeln kehrte zurück, aber es war nicht mehr das eines Jungen. Seine Augen hatten eine stählerne Härte bekommen, die sein junges Gesicht Lügen strafte. »Deswegen muß ich sie zurückhaben, wenn Ihr versteht.«

»Du erhältst deine Waffen nicht zurück.«

Hinter seinem gleichgültigen Schulterzucken steckte Verachtung. »Egal. Ich habe andere Mittel, ihn zu töten.«

»Du wirst Richard nicht töten, darauf gebe ich dir mein Wort. Für dich gibt es jetzt nur noch eine Hoffnung, nämlich mit uns zu kooperieren und uns deinen Plan bis in alle Einzelheiten zu verraten. Wie bist du hier hereingekommen?«

Er schien sie mit seinem Feixen verspotten zu wollen. »Zu Fuß. Bin einfach reinspaziert. Kein Mensch hat auf mich geachtet. Sie sind nicht besonders klug, Eure Soldaten.«

»Klug genug, um dich mit ihren Schwertern zu bewachen«, stellte Cara klar.

Er beachtete sie nicht. Seine Augen blieben auf Kahlan geheftet.

»Und wenn wir dir dein Schwert und dein Messer nicht zurückgeben«, fragte sie, »was dann?«

»Dann wird es eine ziemlich schmutzige Angelegenheit werden. Richard Rahl wird sehr leiden. Aus diesem Grund hat Kaiser Jagang mich auch geschickt: weil er ihm die Gnade eines schnellen Todes erweisen wollte. Der Kaiser ist ein mitfühlender Mann, der alles unnötige Leiden vermeiden will. Im Grunde ist der Traumwandler ein friedfertiger Mensch, allerdings auch ein Mann von eiserner Entschlossenheit.

Ich fürchte, ich werde auch Euch töten müssen, Mutter Konfessor, um Euch das Leid zu ersparen, das Euch bevorsteht, wenn Ihr Euch widersetzt. Ich muß allerdings gestehen, daß mir die Vorstellung, eine so wunderschöne Frau umzubringen, nicht im geringsten behagt.« Das Grinsen wurde breiter. »Was für eine Verschwendung.«

Kahlan fand seine Dreistigkeit entnervend. Mitanhören zu müssen, wie er behauptete, der Traumwandler sei mitfühlend, drehte ihr den Magen um. Das wußte sie besser.

»Welches Leid?«

Er breitete die Hände aus. »Ich bin nur ein Sandkorn. Der Kaiser teilt mir seine Pläne nicht mit. Ich wurde einfach geschickt, um zu tun, was er befiehlt. Und sein Befehl lautet, daß Ihr und Richard vernichtet werden müßt. Laßt Ihr nicht zu, daß ich Richard auf gnädige Weise töte, dann wird er zerstört werden. Man sagte mir, das werde nicht so angenehm werden, warum laßt Ihr mich die Sache also nicht einfach zu Ende bringen?«

»Du träumst wohl«, sagte Cara.

Sein Blick wanderte zu der Mord-Sith. »Träumen? Vielleicht seid Ihr es, die träumt. Vielleicht bin ich Euer schlimmster Alptraum.«

»Ich habe keine Alpträume«, sagte Cara. »Ich mache welche.«

»Wirklich?« höhnte er. »In dieser albernen Aufmachung? Was wollt Ihr überhaupt darstellen? Kleidet Ihr Euch vielleicht so, um die Vögel von der Frühjahrssaat zu verscheuchen?«

Offensichtlich wußte der Mann nicht, was eine Mord-Sith war. Aber sie fragte sich, wie sie je hatte annehmen können, er sehe kaum älter aus als ein Junge. Aus seinem ganzen Benehmen sprachen Alter und Erfahrung. Das war kein junger Bursche. Eine gefährliche Spannung lag in der Luft. Erstaunlicherweise lächelte Cara nur.

Kahlan stockte der Atem: Plötzlich stand der Mann, und sie konnte sich nicht erinnern, gesehen zu haben, wie er sich erhoben hatte.

Sein Blick schweifte umher, und eine der Lampen erlosch. Die verbliebene Lampe tauchte eine Seite seines Gesichts in hartes, flackerndes Licht und beließ die andere im Schatten, für Kahlan aber hatte dieser Vorgang sein wahres Wesen, seine wirkliche Bedrohlichkeit ans Licht gebracht.

Dieser Mann beherrschte die Gabe.

Ihre Entschlossenheit, einem möglicherweise Unschuldigen unnötige Gewalt zu ersparen, verdampfte in der Hitze des Verlangens, Richard zu beschützen. Der Mann hatte seine Chance bekommen – jetzt würde er alles gestehen, was er wußte – und zwar einem Konfessor.

Sie brauchte ihn nur zu berühren, und es wäre vorbei.

Kahlan hatte inmitten Tausender Leichen unschuldiger Menschen gestanden, die von der Imperialen Ordnung niedergemetzelt worden waren. Als sie die Frauen und Kinder in Ebinissia gesehen hatte, die auf Jagangs Befehl erschlagen worden waren, hatte sie der Imperialen Ordnung unsterbliche Rache geschworen. Dieser Mann hatte sich als Angehöriger der Imperialen Ordnung und als Feind freier Menschen zu erkennen gegeben. Er handelte auf Anordnung des Traumwandlers.

Sie konzentrierte sich auf den vertrauten Strom der Magie in ihrem Innern, der immer in Bereitschaft war. Ein Konfessor setzte seine Magie nicht eigentlich frei, er entzog ihr vielmehr die auferlegte Zurückhaltung. Der Vorgang war schneller als ein Gedanke. Er war wie das Aufblitzen des Instinkts.

Kein Konfessor genoß es, seine Kraft zu benutzen, um den Verstand eines Menschen zu zerstören. Im Gegensatz zu manchen anderen Konfessoren aber haßte Kahlan nicht, was sie tat und zu was sie geboren war. Es war einfach ein Teil ihres Selbst. Sie benutzte das, was ihr mitgegeben worden war, nicht böswillig, sondern um andere zu beschützen. Sie war mit sich, mit dem, was sie war und konnte, im reinen.

Richard war der erste gewesen, der sie als das gesehen hatte, was sie war, und der sie trotz ihrer Kraft gemocht hatte. Er hatte keine irrationale Furcht vor dem Unbekannten, vor dem, was sie darstellte. Statt dessen hatte er sie kennen- und liebengelernt, trotz der Konfessorenkraft. Aus diesem Grund allein konnte er bei ihr sein, ohne daß ihre Kraft ihn zerstörte, sobald sie sich ihrer Liebe hingaben.

Und jetzt wollte sie diese Kraft zu Richards Schutz einsetzen, und allein aus diesem Grund wußte sie ihre Fähigkeit mehr als je zuvor zu schätzen. Sie brauchte den Mann nur zu berühren, und die Bedrohung hätte ein Ende. Die Rache an einem willigen Vasallen Kaiser Jagangs war greifbar nahe.

Den Blick fest auf den Mann geheftet, warnte Kahlan Cara mit erhobenem Finger. »Er gehört mir. Überlaßt ihn mir.«

Als aber der mit zusammengekniffenen Augen die verbliebene Lampe suchte, war Cara im Nu zwischen den beiden. Die Luft knisterte, als sie ihm mit ihrem gepanzerten Handschuh verkehrt herum ins Gesicht schlug. Kahlan hätte vor Wut über die Einmischung fast laut geschrien.

Der Mann lag ausgestreckt auf dem Teppich, setzte sich auf und wirkte ehrlich überrascht. Blut aus einer Platzwunde in seiner Unterlippe lief ihm über das Kinn. Sein Gesicht zeigte ehrlichen Verdruß.

Cara stand drohend über ihm. »Wie ist dein Name?« Kahlan konnte nicht glauben, daß die Mord-Sith, die stets ihre Angst vor Magie bekundet hatte, scheinbar freiwillig einen Mann provozierte, der gerade eben bewiesen hatte, wie gut er die Gabe beherrschte.

Er wälzte sich von ihr fort und ging in die Hocke. Seine Augen waren auf Kahlan gerichtet, aber er sprach zu Cara. »Ich habe keine Zeit für höfische Possenreißer.«

Mit einem Lächeln zuckte sein Blick zur Lampe. Der Raum versank in Dunkelheit.

Kahlan warf sich auf ihn. Sie brauchte ihn nur zu berühren, und es wäre vorbei.

Sie griff jedoch ins Leere, bevor sie auf dem nackten Fußboden landete. In der völligen Dunkelheit war sie nicht sicher, in welche Richtung er davongesprungen war. Sie griff wild um sich, versuchte, irgendein Stück von ihm zu fassen zu bekommen. Sie brauchte ihn nur zu berühren, dann schützte ihn selbst seine dicke Kleidung nicht. Sie bekam einen Arm zu fassen, und erst im letzten Augenblick, bevor sie ihre Kraft freisetzte, erkannte sie, daß es Caras Lederkleidung war.

»Wo steckst du?« knurrte Cara. »Du kommst hier nicht raus. Gib auf.«

Kahlan krabbelte auf allen vieren über den Teppich. Kraft oder nicht, sie brauchte Licht, oder sie würden eine Menge Schwierigkeiten bekommen. Sie fand das Bücherregal an der Wand und tastete sich an dessen unterer Kante entlang, bis sie den schmalen Lichtstreifen sah, der unter der Tür hindurchfiel. Von der anderen Seite trommelten Männer gegen die Tür und erkundigten sich laut, ob es Ärger gab.

Ihre Finger tasteten sich am Rand der Türvertäfelung entlang bis zur Klinke, dann kam sie mit einem Ruck auf die Beine. Sie trat auf den Saum ihres Kleides, stolperte, fiel vornüber und landete mit einem markerschütternden Schlag auf ihren Ellenbogen.

Etwas Schweres krachte gegen die Tür, wo sie einen Augenblick zuvor beinahe gestanden hätte, und fiel ihr krachend in den Rücken. Der Mann lachte im Dunkeln, Bei dem gescheiterten Versuch, das Etwas herunterzustoßen, stieß sie mit den Armen schmerzhaft gegen die scharfkantigen Querstreben der Beine eines Sessels. Sie bekam eine gepolsterte Lehne zu fassen und rollte den Sessel zur Seite.

Kahlan hörte, wie Cara gegen das Bücherregal auf der anderen Seite geschleudert wurde und stöhnte, als ihr die Luft aus den Lungen gepreßt wurde. Die Männer draußen warfen sich gegen die Tür und versuchten, sie einzuschlagen. Die Tür gab keinen Millimeter nach.

Als auf der anderen Seite des Zimmers Bücher mit dumpfem Schlag zu Boden polterten, sprang Kahlan auf und suchte tastend nach der Klinke. Sie stieß mit den Knöcheln gegen das kalte Metall. Sofort schloß sie die Hand darum.

Es gab einen Blitz, und sie wurde zurückgestoßen und landete auf ihrem Hinterteil. Lichtfunken, wie von einem brennenden Scheit, das man mit einem Feuereisen bearbeitet, ein Regen aus Lichtblitzen, der vom Türgriff ausging, erfüllte die Luft. Dank der flackernden Funken, die noch immer gemächlich zu Boden trudelten, konnte Kahlan etwas erkennen.

Plötzlich konnte auch Cara wieder sehen. Sie schnappte sich ein Buch und warf damit nach dem Mann, der ungefähr in der Mitte des kleinen Zimmers stand. Er zog den Kopf ein und ging in die Hocke.

Schnell wie ein Peitschenhieb wirbelte Cara herum und erwischte ihn in einem unbedachten Augenblick. Die Luft hallte von einem heftigen, dumpfen Schlag wider, als ihr Stiefel ihn am Kinn traf. Der Tritt warf ihn nach hinten. Kahlan nahm Maß, um sich auf ihn zu werfen, bevor sämtliche Funken erloschen waren und es wieder dunkel wurde.

»Du stirbst als erste!« fluchte er Cara wütend an. »Ich lasse mir deine lächerliche Einmischerei nicht mehr gefallen! Du wirst meine Kraft zu spüren bekommen!«

Die Luft vor seinen Fingerspitzen entzündete sich unter schwach leuchtendem Flackern, als er sich ganz auf Cara konzentrierte. Jetzt mußte Kahlan sich um die Bedrohung kümmern, bevor noch etwas schiefging.

Doch ehe sie sich auf ihn stürzen konnte, zuckten seine gekrümmten Finger hoch. Mit einem verächtlichen Feixen stieß er eine Hand in Caras Richtung.

Kahlan hatte erwartet, daß Cara auf dem Boden landen würde. Statt dessen sank der junge Mann mit einem Schrei nieder. Er versuchte aufzustehen, brach aber kreischend zusammen und hielt die Arme um den Leib gepreßt, als hätte man ihn in den Bauch gestochen. Das Zimmer wurde wieder dunkel.

Erneut streckte Kahlan die Hand nach der Klinke aus und ließ es darauf ankommen, daß das, was immer Cara mit ihm angestellt hatte, seinen Schild durchbrochen hatte. Sich gegen die Schmerzen wappnend, die sie vielleicht erwarteten, packte sie den Griff. Der Schild war verschwunden. Erleichtert riß sie die Tür auf. Hinter dem Gedränge aus Soldaten fiel Licht ins Zimmer. Bestürzte Gesichter blickten ihr entgegen.

Kahlan wollte nicht, daß ein ganzes Zimmer voller Soldaten bei dem Versuch getötet wurde, sie vor Dingen zu retten, die diese nicht begriffen. Sie stieß den am nächsten stehenden Mann zurück.

»Er hat die Gabe! Bleibt draußen!« Sie wußte, D'Haraner fürchteten sich vor Magie. Im Kampf gegen Magie verließen sie sich auf Lord Rahl. Sie waren der Stahl gegen den Stahl, so sagten sie oft, und Lord Rahl die Magie gegen die Magie. »Gebt mir eine Lampe!«

Männer auf beiden Seiten rissen gleichzeitig Lampen aus ihren Halterungen neben der Tür und hielten sie ihr hin. Kahlan schnappte sich eine, trat die Tür zu und drehte sich wieder zur Zimmermitte um. Sie wollte nicht, daß ihr eine Horde muskelbepackter, waffenschwenkender Soldaten in die Quere kam.

Im schwachen, flackernden Schein der Lampe sah Kahlan, wie Cara neben dem Mann auf dem dunkelroten Teppich kniete. Er hielt die Arme um den Unterleib geschlungen und spuckte Blut. Ihre rote Lederkleidung knarzte, als sie die Unterarme auf den Knien aufstützte. Sie ließ den Strafer durch die Finger rollen und wartete.

Nachdem sein Würgen nachgelassen hatte, packte Cara ihm ins Haar. Ihr langer, blonder Zopf glitt über ihre breiten Schultern, als sie sich nach vorne beugte.

»Das war ein großer Fehler. Ein sehr großer Fehler«, sagte sie im seidenweichen Ton der Zufriedenheit. »Du hättest nie versuchen dürfen, deine Magie gegen eine Mord-Sith einzusetzen. Einen Augenblick lang hast du alles richtig gemacht, aber dann hast du dich von mir provozieren lassen und deine Magie benutzt. Wer ist jetzt der Narr?«

»Was … ist das … eine Mord-Sith?« brachte er zwischen keuchenden Atemzügen hervor.

Cara schraubte ihre Hand nach oben, bis er brüllte. »Dein schlimmster Alptraum. Der Daseinszweck einer Mord-Sith besteht darin, Bedrohungen wie dich auszuschalten.

Ich habe jetzt die Gewalt über deine Magie. Ich kann sie nach Belieben einsetzen, und du, mein Gespiele, bist hilflos und kannst nichts dagegen tun, wie du bald feststellen wirst. Du hättest versuchen sollen, mich zu erwürgen, mich totzuprügeln oder wegzulaufen, aber nie, niemals hättest du versuchen dürfen, Magie gegen mich einzusetzen. Wenn man Magie gegen eine Mord-Sith einsetzt, dann gehört sie ihr.«

Kahlan war wie gelähmt. Das also hatte eine Mord-Sith Richard angetan. Auf diese Weise hatte man ihn gefangengenommen.

Cara drückte dem Mann ihren Strafer in die Rippen. Er zitterte und kreischte auf. Blut sickerte durch seine Uniformjacke und bildete einen Fleck, der größer und größer wurde.

»Wenn ich dir jetzt eine Frage stelle«, sagte sie in ruhigem, herrischem Ton, »dann erwarte ich eine Antwort. Hast du verstanden?«

Er schwieg. Sie drehte den Strafer. Kahlan zuckte zusammen, als sie hörte, wie eine Rippe brach. Der Mann japste nach Luft und hielt, unfähig zu schreien, den Atem an.

Kahlan kam sich vor wie auf der Stelle festgefroren, unfähig, einen Muskel zu bewegen. Richard hatte ihr erzählt, Denna, die Mord-Sith, die ihn gefangengenommen hatte, habe ihm mit Freuden die Rippen gebrochen. Das habe jeden Atemzug zur Qual gemacht, und die Schreie, die sie ihm kurz darauf entlockt hatte, seien eine unerträgliche Tortur gewesen.

Cara erhob sich. »Steh auf!«

Der Mann kam taumelnd auf die Beine.

»Du stehst im Begriff herauszufinden, weshalb ich rotes Leder trage.« Cara setzte zu einem mächtigen Schwinger an, schrie wütend, als sie zuschlug und mit der gepanzerten Faust ins Gesicht traf. Während ihr Opfer zu Boden ging, spritzte Blut auf das Bücherregal. Der Mann war kaum auf dem Boden aufgeschlagen, als sie sich breitbeinig über ihn stellte, einen Stiefel zu beiden Seiten seiner Hüften.

»Ich sehe, was sich in deiner Phantasie abspielt«, erklärte ihm Cara. »Ich habe die Vision dessen gesehen, was du mit mir machen möchtest. Unartiger Junge.« Sie trat ihm den Stiefel mit einer stampfenden Bewegung ins Brustbein. »Das war noch das Harmloseste, was du für diesen Gedanken erleiden wirst. Du tätest gut daran, jeden Gedanken an Widerstand aus deinem Gehirn zu verbannen. Kapiert?«

Sie bückte sich und bohrte ihm den Strafer in den Unterleib. »Kapiert?«

Sein Aufschrei jagte es Kahlan kalt den Rücken hinunter. Sie ekelte sich vor dem, was sie hier sah, denn sie hatte selbst die heftig schmerzende Berührung durch den Strafer erlebt, schlimmer noch, sie wußte, daß man Richard dasselbe angetan hatte, trotzdem machte sie keine Anstalten, es zu unterbinden.

Schließlich hatte sie diesem Mann Gnade angeboten. Wäre es nach seinem Willen gegangen, hätte er Richard umgebracht. Er hatte versprochen, sie ebenfalls zu töten, aber es war die Drohung gegen Richard, die sie schweigen ließ und die sie davon abhielt, Cara zu stoppen.

»So«, meinte die Mord-Sith höhnisch feixend. Sie rammte ihm den Strafer gegen die gebrochene Rippe. »Wie lautet dein Name?«

»Marlin Pickard!« Er versuchte, sich die Tränen aus den Augen zu blinzeln. Sein Gesicht war schweißbedeckt. Blut trat schäumend aus seinem Mund, sobald er keuchte.

Sie preßte ihm den Strafer in die Leistengegend. Marlins Füße traten hilflos aus. Er winselte.

»Wenn ich dir das nächste Mal eine Frage stelle, laß mich nicht auf eine Antwort warten. Und du wirst mich mit Herrin Cara ansprechen.«

»Cara«, wandte Kahlan in ruhigem Tonfall ein, denn sie sah noch immer das Bild von Richard an der Stelle dieses Mannes, »es ist wirklich nicht nötig…«

Cara blickte über die Schulter und funkelte sie aus kalten blauen Augen wütend an. Kahlan wendete sich ab und wischte sich mit zitternden Fingern eine Träne ab, die über ihre Wangen rann. Sie hob den Glaszylinder von der Lampe an der Wand an und entzündete den Docht. Als er Feuer fing, stellte sie die Lampe auf einen kleinen Tisch und schob den Zylinder wieder an seinen Platz zurück. Der kalte Blick in diesen Mord-Sith-Augen war beängstigend. Ihr Herz klopfte bei der Vorstellung, wie viele Wochen Richard nichts anderes als solche kalten Augen gesehen und dabei um Gnade gefleht hatte.

Kahlan drehte sich wieder zu den beiden um. »Wir brauchen Antworten, sonst nichts.«

»Ich werde Antworten bekommen.«

Kahlan nickte. »Verstehe, aber auf das Geschrei können wir verzichten. Wir foltern niemand.«

»Foltern? Ich habe noch nicht mal angefangen, ihn zu foltern.« Sie richtete sich auf und betrachtete den zitternden Mann zu ihren Füßen. »Und wenn es ihm gelungen wäre, zuerst Lord Rahl zu töten? Würdet Ihr dann auch verlangen, daß ich ihn in Ruhe lasse?«

»Ja.« Kahlan sah der Frau in die Augen. »Und anschließend hätte ich ihm selber etwas weitaus Schlimmeres angetan. Schlimmer, als Ihr es Euch überhaupt vorstellen könnt. Aber er hat Richard kein Haar gekrümmt.«

Um Caras Mundwinkel spielte ein schlaues Lächeln. »Doch hatte er die Absicht. In den Regeln der Seelen steht, der Vorsatz ist strafbar. Wenn jemand bei der erfolgreichen Durchführung des Vorsatzes versagt, spricht ihn das nicht von Schuld frei.«

»Die Seelen machen einen Unterschied zwischen Vorsatz und Ausführung. Ich hatte die Absicht, mich seiner anzunehmen, auf meine Weise. Wollt Ihr Euch etwa meinem direkten Befehl widersetzen?«

Cara warf ihren blonden Zopf über ihre Schulter zurück. »Meine Absicht war, Euch und Lord Rahl zu schützen. Das habe ich mit Erfolg getan.«

»Ich habe gesagt, Ihr sollt die Angelegenheit mir überlassen.«

»Unschlüssigkeit könnte Euer Ende sein … oder das Ende derer, die Ihr liebt.« Ein gespenstischer Blick huschte über Caras Gesicht. Rasch ergriff wieder eiserne Härte von ihren Zügen Besitz. »Ich habe gelernt, niemals zu zögern.«

»Habt Ihr ihn deshalb provoziert? Damit er Euch mit seiner Magie angreift?«

Cara wischte sich das Blut von einer tiefen Platzwunde an der Wange mit dem Handballen ab – einer Platzwunde, die Marlin ihr beigebracht hatte, als er sie geschlagen und gegen das Bücherregal geschleudert hatte. Sie trat näher. »Ja.« Lange und genüßlich leckte sie sich das Blut von der Hand und sah Kahlan dabei in die Augen. »Eine Mord-Sith kann sich die Magie eines Menschen nicht aneignen, es sei denn, er greift sie damit an.«

»Ich dachte, Ihr fürchtet Euch vor Magie.«

Cara zupfte am Ärmel ihrer Lederkleidung und zog sie an ihrem Arm zurecht. »Das tun wir auch, es sei denn, sie wird von jemandem ausdrücklich dazu benutzt, uns anzugreifen. Dann gehört sie uns.«

»Ihr behauptet ständig, nichts über Magie zu wissen, und doch habt ihr jetzt die Gewalt über seine? Ihr könnt seine Magie benutzen?«

Cara warf einen flüchtigen Blick auf den stöhnenden Mann auf dem Fußboden. »Nein, ich kann sie nicht so einsetzen wie er, aber ich kann sie gegen ihn kehren – und ihm mit seiner eigenen Magie Schmerzen zufügen.« Ihre Augenbrauen zuckten. »Manchmal spüren wir einen Teil von ihr, aber wir verstehen sie nicht so wie Lord Rahl, deshalb können wir sie nicht benutzen. Außer, um Schmerzen zu bereiten.«

Kahlan gelang es nicht, diese Widersprüche in Einklang zu bringen. »Wie das?«

Sie bemerkte die Ähnlichkeit zwischen Caras emotionslosem Gesichtsausdruck und dem Gesicht eines Konfessors, jener Miene, die ihre Mutter ihr beigebracht hatte und die keine Regung über das verriet, was unvermeidlich zu geschehen hatte.

»Unsere Gedanken sind über Magie miteinander verknüpft«, erläuterte Cara, »daher sehe ich, was er denkt, wenn er sich vorstellt, wie er mir weh tun will, wie er sich wehrt oder meine Befehle mißachtet. Denn das widerspricht meinem Willen. Da wir über ihre Magie mit ihren Gedanken verbunden sind, können wir ihnen Schmerzen zufügen.« Sie richtete ihren Blick wieder auf Marlin. Ohne Vorwarnung schrie er ein weiteres Mal gequält auf. »Seht Ihr?«

»Ich sehe es. Und jetzt Schluß damit. Wenn er sich weigert, uns Auskunft zu geben, dann könnt Ihr … tun, was erforderlich ist, aber ich werde nichts gutheißen, was zu Richards Schutz nicht unbedingt notwendig ist.«

Kahlan löste den Blick von Marlins Pein und sah Cara in die kalten, blauen Augen. Sie sprach, bevor ihr recht bewußt wurde, was sie da tat. »Kanntet Ihr Denna?«

»Denna kannte jeder.«

»Und war sie im … Foltern ebensogut wie Ihr?«

»Wie ich?« meinte Cara und lachte auf. »Niemand war so gut darin wie Denna. Deswegen war sie auch Darken Rahls Liebling. Ich hätte nie geglaubt, was man einem Mann alles antun kann. Sie konnte…«

Als sie den Strafer sah, der um Kahlans Hals hing – Dennas Strafer –, dämmerte Cara plötzlich der Sinn von Kahlans Frage.

»Das ist lange her. Wir standen in Darken Rahls Diensten. Wir taten, was er befahl. Jetzt stehen wir in Richards Diensten. Wir würden ihm niemals etwas tun. Wir würden sterben, um zu verhindern, daß jemand Lord Rahl ein Leid zufügt.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Lord Rahl hat Denna nicht nur getötet, sondern ihr auch alles vergeben, was sie ihm angetan hatte.«

Kahlan nickte. »Das hat er. Aber ich nicht. Ich verstehe zwar, daß sie sich ihrer Ausbildung und ihren Befehlen entsprechend verhalten hat – ihre Seele war uns beiden ein Trost und eine Hilfe, und ich weiß auch die Opfer zu würdigen, die sie unseretwillen auf sich genommen hat –, aber im Herzen kann ich ihr die entsetzlichen Dinge, die sie dem Mann, den ich liebe, angetan hat, nicht verzeihen.«

Cara sah Kahlan lange prüfend in die Augen. »Verstehe. Würdet Ihr Lord Rahl jemals etwas antun, ich könnte Euch ebenfalls nicht verzeihen. Ich würde Euch auch keine Gnade gewähren.«

Kahlan hielt dem Blick der Frau stand. »Das gilt für mich genauso. Angeblich gibt es für eine Mord-Sith keinen schlimmeren Tod als den durch die Berührung eines Konfessors.«

Ein Lächeln stahl sich auf Caras Lippen. »So hat man es mir erzählt.«

»Ein Glück, daß wir auf derselben Seite stehen. Wie gesagt, es gibt Dinge, die ich nicht verzeihen kann und werde. Ich liebe Richard mehr als mein eigenes Leben.«

»Jede Mord-Sith weiß, daß die schlimmsten Schmerzen von dem stammen, den man liebt.«

»Richard muß diesen Schmerz niemals fürchten.« Cara schien sich ihre Worte genau zu überlegen. »Darken Rahl hat diesen Schmerz niemals fürchten müssen, er hat nie eine Frau geliebt. Lord Rahl dagegen schon. Mir ist aufgefallen, wenn es um Liebe geht, neigen die Dinge manchmal dazu, sich zu verändern.«

Darum ging es also in Wirklichkeit.

»Ich könnte Richard ebensowenig weh tun wie Ihr. Eher würde ich mein Leben opfern. Ich liebe ihn.«

»Genau wie ich«, meinte Cara. »Wenn auch auf andere Art, aber nicht weniger heftig. Lord Rahl hat uns befreit. Jeder andere an seiner Stelle hätte sämtliche Mord-Sith getötet. Er dagegen bot uns Gelegenheit, uns seiner Erwartungen würdig zu erweisen.«

Cara trat von einem Fuß auf den anderen, und ihre Augen verloren den kalt abschätzenden Ausdruck. »Vielleicht ist Richard der einzige von uns, der die Prinzipien der guten Seelen versteht – daß wir erst dann wirklich lieben können, wenn wir einem anderen die schlimmsten Verbrechen gegen uns verzeihen.«

Kahlan spürte, wie sie bei Caras Worten errötete. Sie hätte nie gedacht, daß eine Mord-Sith ein so tiefes Verständnis für Fragen des Mitgefühls aufbringen konnte. »War Denna eine Freundin von Euch?« Cara nickte. »Und habt Ihr Richard von ganzem Herzen verziehen, daß er sie getötet hat?«

»Ja, doch das ist etwas anderes«, gestand Cara. »Ich verstehe, wie Ihr über Denna empfindet. Ich mache Euch keinen Vorwurf. An Eurer Stelle würde ich ebenso empfinden.«

Kahlans Blick ging ins Leere. »Als ich Denna – ihrer Seele – erzählte, daß ich ihr nicht verzeihen könne, antwortete sie, das könne sie verstehen, und die einzige Vergebung, die sie brauchte, sei ihr bereits gewährt worden. Sie erklärte mir, daß sie Richard liebe – daß sie ihn sogar im Tod noch liebe.« So wie Richard bei Kahlan die Frau hinter der Magie gesehen hatte, so hatte er bei Denna den Menschen hinter der furchterregenden Rolle der Mord-Sith gesehen. Kahlan konnte Dennas Gefühle verstehen, nachdem sie endlich jemanden gefunden hatte, der sie als diejenige betrachtete, die sie war. »Vielleicht ist die Vergebung durch einen Menschen, den man liebt, das einzige im Leben, was wirklich zählt – das einzige, durch das das Herz und deine Seele wirklich gesunden können.«

Kahlan beobachtete ihren Finger, während sie die Mulde eines eingerollten Blattes im Zierstreifen der Tischplatte nachzeichnete. »Aber ich könnte nie jemandem verzeihen, der ihm weh getan hat.«

»Und habt Ihr mir verziehen?«

Kahlan sah hoch. »Wofür?«

Cara umklammerte den Strafer fester. Kahlan wußte, daß es einer Mord-Sith weh tat, den Strafer in der Hand zu halten – ein Teil ihrer widersprüchlichen Existenz als Bereiterinnen von Schmerzen. »Dafür, daß ich eine Mord-Sith bin.«

»Warum sollte ich Euch das verzeihen müssen?«

Cara schaute zur Seite. »Hätte Darken Rahl mir und nicht Denna befohlen, Richard zu übernehmen, ich wäre ebenso erbarmungslos gewesen wie sie – deshalb. Genau wie Berdine oder Raina oder irgendeine der anderen.«

»Wie ich schon sagte, machen die Seelen einen Unterschied zwischen dem, was hätte geschehen können, und dem, was geschehen ist. Und ich auch. Man kann Euch nicht für etwas verantwortlich machen, was andere Euch angetan haben, ebensowenig wie man mich haftbar machen kann, weil ich als Konfessor geboren wurde, und ebensowenig wie man Richard die Schuld dafür geben kann, daß dieser mörderische Darken Rahl ihn gezeugt hat.«

Cara sah noch immer nicht auf. »Aber werdet Ihr uns jemals wirklich vertrauen?«

»Ihr habt Euch in Richards und in meinen Augen längst bewährt. Ihr seid nicht Denna, und Ihr seid auch nicht für ihre Entscheidungen verantwortlich.« Kahlan wischte der Mord-Sith mit dem Daumen das Blut von der Wange. »Cara, wenn ich Euch nicht vertraute, Euch allen, würde ich dann erlauben, daß Raina und Berdine, zwei von Euch, jetzt in diesem Augenblick mit Richard allein sind?«

Cara bedachte Kahlans Strafer erneut mit einem Blick. »Während der Schlacht mit dem Lebensborn aus dem Schoß der Kirche habe ich gesehen, wie Ihr gekämpft habt, um Richard und die Menschen aus der Stadt zu beschützen. Eine Mord-Sith sein, heißt begreifen, daß man manchmal erbarmungslos sein muß. Ihr seid zwar keine Mord-Sith, doch habe ich erkannt, daß Ihr das versteht. Ihr seid eine würdige Bewacherin für Lord Rahl. Ihr seid die einzige Frau, die ich kenne, die würdig ist, einen Strafer zu tragen.

Für Euch mag das verwerflich klingen, aber in meinen Augen ist es eine Ehre, daß Ihr einen Strafer tragt. Sein höchster Zweck ist der, Euren Meister zu beschützen.«

Kahlan zeigte ihr ein aufrichtiges Lächeln, denn sie verstand Cara jetzt ein wenig besser als zuvor. Sie fragte sich, wie die Frau, die sich hinter dieser Bezeichnung verbarg, gewesen war, bevor man sie entführt und zur Mord-Sith ausgebildet hatte. Richard hatte ihre erzählt, es sei ein grauenhafter Vorgang, der bei weitem alles überstieg, was man ihm angetan hatte.

»In meinen Augen auch, denn Richard hat ihn mir geschenkt. Ich bin seine Beschützerin, genau wie Ihr. In dieser Hinsicht sind wir Schwestern des Strafers.«

Cara bekundete mit einem Lächeln, daß sie das auch so empfand.

»Heißt das, Ihr werdet zur Abwechslung mal unsere Befehle befolgen?« fragte Kahlan.

»Wir befolgen Eure Befehle immer.«

Kahlan schüttelte schief lächelnd den Kopf.

Cara deutete mit einem Nicken auf den Mann am Boden. »Er wird Eure Fragen beantworten, wie ich es Euch versprochen habe, Mutter Konfessor. Ich werde meine Fähigkeiten an ihm nicht länger anwenden als nötig.«

Kahlan drückte Caras Arm voller Kummer und Mitgefühl für die verquere Rolle, zu der andere das Leben dieser Frau verbogen hatten. »Danke, Cara.«

Sie wandte sich Marlin zu. »Versuchen wir es noch einmal. Welcher Plan hat dich hergeführt.«

Er funkelte wütend zu ihr hoch. Cara stieß ihn mit dem Fuß an.

»Du antwortest wahrheitsgemäß, oder ich suche mir ein paar schön empfindliche Stellen für meinen Strafer. Kapiert?«

»Ja.«

Cara ging in die Hocke und hielt ihm den Strafer drohend vors Gesicht. »Ja, Herrin Cara.« Die plötzliche Bedrohlichkeit in ihrem Tonfall schien allem zu widersprechen, was sie gerade gesagt hatte. Selbst Kahlan bekam es mit der Angst zu tun.

Er riß die Augen auf und schluckte. »Ja, Herrin Cara.«

»Schon besser. Und jetzt beantworte die Fragen der Mutter Konfessor.«

»Mein Plan war, wie ich es Euch gesagt habe: Ich wollte Richard Rahl und Euch töten.«

»Wann hat Jagang dir diesen Befehl erteilt?«

»Vor fast zwei Wochen.«

Nun, das wäre das. Gut möglich, daß Jagang im Palast der Propheten getötet worden war, als Richard ihn zerstört hatte. Das jedenfalls hatten sie gehofft. Vielleicht hatte er den Befehl vor seinem Tod gegeben.

»Und weiter?« fragte Kahlan.

»Nichts weiter. Ich sollte mir meine Begabung zunutze machen, um in diesen Palast zu gelangen und Euch beide zu töten, das ist alles.«

Cara verpaßte ihm einen Fußtritt auf die gebrochene Rippe. »Lüg uns nicht an!«

Kahlan schob Cara sachte zurück und kniete neben dem nach Luft ringenden, keuchenden jungen Mann nieder.

»Marlin, deute meine Abneigung gegen Folter nicht als Mangel an Entschlossenheit. Wenn du mir nicht sofort erzählst, was ich wissen will«, meinte sie leise, »werde ich erst einen langen Spaziergang machen und dann zu Abend essen und dich währenddessen hier mit Cara ganz alleine lassen. So verrückt sie ist, ich werde dich mit ihr alleine lassen. Und wenn ich dann zurückkomme und du immer noch glaubst, mir etwas verschweigen zu können, dann werde ich meine Kraft bei dir einsetzen, und du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, wieviel schlimmer das ist. Cara kommt dem, zu was ich fähig bin, nicht einmal nahe. Sie kann deine Magie und deinen Verstand benutzen. Ich kann beides zerstören. Willst du das?«

Er schüttelte den Kopf und hielt seine Rippen umklammert. »Bitte«, flehte er, als ihm wieder die Tränen kamen, »tut das nicht. Ich werde Eure Fragen beantworten … aber eigentlich weiß ich gar nichts. Kaiser Jagang besucht mich in meinen Träumen und trägt mir auf, was ich tun soll. Ich kenne den Preis, den er verlangt, wenn man versagt. Ich tue, was man mir aufträgt.« Er hielt inne und schluchzte keuchend. »Ich sollte … hierherkommen und Euch beide töten. Er benutzt Zauberer und Hexenmeisterinnen, die tun müssen, was er verlangt.«

Kahlan stand auf. Marlins Worte hatten sie stutzig gemacht. Er schien fast wieder in seine Rolle als kleiner Junge zurückgefallen zu sein. Irgend etwas fehlte, aber sie kam nicht darauf, was. Oberflächlich ergab die Geschichte einen Sinn – Jagang schickt einen Meuchelmörder los – trotzdem, etwas paßte nicht ins Bild. Sie ging zu dem Tisch mit der Lampe und lehnte sich dagegen. Den Rücken Marlin zugekehrt, rieb sie sich die pochenden Schläfen.

Cara kam vorsichtig näher. »Alles in Ordnung?«

Kahlan nickte. »Der ganze Ärger macht mir nur Kopfschmerzen, das ist alles.«

»Vielleicht könntet Ihr Euch von Lord Rahl einen Kuß geben und sie heilen lassen.«

Kahlan lachte lautlos in sich hinein, als sie Caras besorgtes Stirnrunzeln sah. »Das würde sicher helfen.« Sie fuchtelte mit den Händen, als wollte sie eine Mücke verscheuchen, und versuchte die Zweifel zu vertreiben. »Es ergibt keinen Sinn.«

»Der Traumwandler, der versucht, seinen Feind zu töten, ergibt keinen Sinn?«

»Denkt doch einmal nach.« Sie sah über die Schulter und betrachtete Marlin, der sich die Rippen hielt und auf dem Boden wand. Seine Augen, selbst wenn nicht das Grauen in ihnen stand, und selbst wenn er wie jetzt nicht in ihre Richtung sah, bereiteten ihr aus irgendeinem Grund eine Gänsehaut. Sie drehte sich wieder zu Cara um und senkte die Stimme. »Jagang muß doch gewußt haben, daß ein einzelner Mann, und sei er ein Zauberer, an einer solchen Aufgabe scheitern würde. Richard würde einen Mann erkennen, der die Gabe hat, außerdem gibt es hier zu viele Menschen, die mehr als bereit wären, einen Eindringling zu töten.«

»Trotzdem, mit seiner Gabe hätte er vielleicht eine Chance gehabt. Jagang wäre es egal, wenn der Mann getötet würde. Er hat endlos viele andere, die ihm zu Willen sind.«

Kahlan dachte hektisch nach und versuchte, hinter den quälenden Zweifeln irgendeinen vernünftigen Grund zu finden.

»Selbst wenn es ihm gelänge, einige von ihnen mit seiner Magie zu töten, sind es immer noch zu viele. Eine ganze Armee von Mriswith hat Richard nicht töten können. Dank seiner Gabe, seiner Magie, kann er erkennen, wenn jemand ihn bedroht. Er weiß zwar nicht, wie er seine Gabe beherrschen soll, genau wie Ihr nicht wißt, wie Ihr Marlins kontrollieren könnt, sieht man einmal davon ab, ihm damit Schmerzen zuzufügen, aber zumindest wäre er gewarnt.

Das ergibt einfach keinen Sinn. Jagang ist alles andere als dumm. Es muß mehr dahinterstecken. Er muß sich etwas dabei gedacht haben. Und zwar mehr, als wir im Moment erkennen.«

Cara verschränkte die Hände hinter dem Rücken und holte tief Luft. Sie drehte sich um. »Marlin.« Sein Kopf schnellte hoch, seine Augen wurden aufmerksam. »Wie lautete Jagangs Plan?«

»Er wollte, daß ich Richard Rahl und die Mutter Konfessor umbringe.«

»Und weiter?« fragte Kahlan. »Was sah sein Plan noch vor?«

Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Das weiß ich nicht. Ich schwöre es. Ich habe Euch gesagt, was er mir befohlen hat. Zuerst sollte ich mir eine Soldatenuniform und Waffen beschaffen, damit ich so aussehe, als gehörte ich hierher, und damit ich in seine Nähe gelange. Ich sollte Euch beide umbringen.«

Kahlan wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Wir stellen nicht die richtigen Fragen.«

»Ich wüßte nicht, was da noch kommen sollte. Das Schlimmste hat er bereits zugegeben. Er hat uns sein Ziel verraten. Was sonst könnte sich da noch verbergen?«

»Das weiß ich nicht, aber irgend etwas ist da noch.« Kahlan seufzte resigniert. »Vielleicht kann Richard sich einen Reim darauf machen. Er ist schließlich der Sucher der Wahrheit. Er wird dahinterkommen, was es bedeutet. Richard wird wissen, welche Fragen man stellen muß, um…«

Plötzlich hob Kahlan den Kopf und riß die Augen auf. Sie machte einen großen Schritt auf den Mann am Boden zu.

»Marlin, hat Jagang dir auch aufgetragen, dich bei deiner Ankunft zu erkennen zu geben?«

»Ja. Sobald ich im Palast bin, sollte ich bekanntgeben, weshalb ich hergekommen sei.«

Kahlan versteifte sich. Sie packte Cara am Arm und zog sie zu sich, ohne die Augen von Marlin zu lassen. »Vielleicht sollten wir Richard nichts davon erzählen. Es ist zu gefährlich.«

»Ich bin im Besitz von Marlins Kraft. Er ist hilflos.«

Kahlans Blick zuckte umher. Sie bekam kaum mit, was Cara sagte. »Wir müssen ihn an einen sicheren Ort schaffen. Das Zimmer genügt nicht.« Sie tickte sich mit ihrem Daumennagel an die Zähne.

Cara runzelte die Stirn. »Dieses Zimmer ist so sicher wie jeder andere Ort auch. Er kann nicht entkommen. Er ist hier drinnen sicher aufgehoben.«

Kahlan nahm den Daumen aus dem Mund und starrte auf den Mann, der auf dem Fußboden hin- und herwippte.

»Nein. Wir müssen einen sichereren Ort finden. Ich glaube, wir haben einen großen Fehler gemacht. Und jetzt stecken wir in ernsthaften Schwierigkeiten.«

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