Beata spähte aus zusammengekniffenen Augen im morgendlichen Dämmerlicht hinaus über die Ebene. Es tat gut zu sehen, dass es ein strahlender Tag werden würde, sobald die Sonne den Horizont erreicht hätte. Die Regenfälle der letzten Tage waren an die Nerven gegangen; jetzt standen nur noch ein paar dunkelviolette Wolken, kindlichen Kohlekritzeleien gleich, über dem goldfarbenen Himmel im Osten. Oben vom steinernen Sockel der Dominie Dirtch aus schien es, als könnte sie unter der unermesslichen Weite des Himmels droben endlos über die gewaltige Ebene der Wildnis hinwegblicken.
Beata erkannte, dass Estelle Ruffin richtig gehandelt hatte, sie nach oben zu rufen. In der Ferne nahte ein Reiter; er war noch immer ein beträchtliches Stück entfernt, doch so, wie er sein Pferd laufen ließ, machte er nicht den Eindruck, als wollte er anhalten. Beata wartete ab, bis er etwas näher war, dann formte sie die Hände vor ihrem Mund zu einem Trichter und rief: »Halt! Bleibt stehen, wo Ihr seid!«
Er kam immer noch näher, wahrscheinlich war er noch zu weit entfernt, um sie zu hören. Die Ebene täuschte; manchmal benötigte ein Reiter viel länger bis zu ihnen, als man meinen sollte.
»Was sollen wir tun?«, fragte Estelle.
Beata war es inzwischen gewöhnt, dass die Anderier auf sie vertrauten und sie um Anweisungen baten. Sie war nicht nur im Begriff, sich an ihre Machtbefugnis zu gewöhnen, sondern fand zunehmend Gefallen daran.
Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Bertrand Chanboor hatte ebenjene Gesetze gemacht, die es Beata ermöglichten, der Armee beizutreten und Anderier zu befehligen, gleichzeitig war Bertrand der Grund, dass sie in den Genuss dieser Gesetze gekommen war. Sie hasste ihn, gleichzeitig war er, ohne es zu wissen, ihr Wohltäter. Jetzt, da er Herrscher war, versuchte sie pflichtgemäß und so schwer es ihr auch fiel, nichts als Liebe für ihn zu empfinden.
Noch am Abend zuvor war Captain Tolbert mit einigen d’Haranischen Soldaten vorbeigekommen. Sie waren an der Linie der Dominie Dirtch entlang geritten, um die an den einzelnen Waffen stationierten Trupps aufeinander abzustimmen. Sie hatten sich untereinander darüber unterhalten, und obwohl Beata ihre Stimmzettel nicht zu Gesicht bekam, wusste sie, dass ihr Trupp geschlossen ein Kreuz gemacht hatte.
Dem Gefühl nach war Beata fest davon überzeugt, dass Lord Rahl ein rechtschaffener Mann war, schließlich war sie ihm begegnet und hatte mit ihm gesprochen. Auch die Mutter Konfessor wirkte freundlicher als erwartet. Trotzdem, Beata und ihr Trupp waren stolz darauf, in der anderischen Armee zu dienen, der besten Armee der Welt, wie Captain Tolbert ihnen versichert hatte, einer Armee, die seit der Schaffung des Landes nicht besiegt worden war und inzwischen als unbesiegbar galt.
Beata trug Verantwortung. Sie war eine Soldatin, die mittlerweile Respekt gebot, so wie Bertrand Chanboors Gesetz dies vorschrieb. Sie wollte nicht, dass sich daran etwas änderte.
Obwohl sie damit für Bertrand Chanboor, ihren neuen Herrscher, und gegen Lord Rahl stimmte, hatte Beata voller Stolz ein Kreuz gemacht.
Emmeline hatte die Hand am Schlegel, und auch Karl stand gleich daneben, in der Erwartung, Beata werde Befehl geben, ihn herauszunehmen. Stattdessen winkte Beata die beiden von der Waffe fort.
»Es ist nur ein einzelner Reiter«, beruhigte Beata mit abgeklärter Stimme ihre Nerven.
Estelle entfuhr ein schwerer Seufzer der Enttäuschung. »Aber Sergeant…«
»Wir sind ausgebildete Soldaten. Ein einzelner Mann stellt keine Bedrohung dar. Wir wissen, wie man kämpft. Wir sind für den Kampf ausgebildet worden.«
Karl verschob das Schwert an seinem Waffengurt. Er konnte es nicht erwarten, Verantwortung zu übernehmen und endlich als vollwertiger Soldat zum Einsatz zu kommen. Beata schnippte mit den Fingern und deutete auf die Treppe.
»Geht, Karl, holt Norris und Annette her. Ihr drei trefft mich dann unten an der Grenzlinie. Emmeline, Ihr bleibt mit Estelle hier oben, aber ich möchte, dass ihr beide dem Schlegel fernbleibt. Ich werde nicht zulassen, dass ihr diese Waffe anschlagt, solange keine größere Gefahr als durch einen einzelnen Reiter besteht. Wir erledigen das schon. Bleibt einfach auf Eurem Posten und haltet die Augen offen.«
Die beiden Frauen führten eine Hand zum Salut an die Stirn. Karl machte die Kurzversion, dann rannte er, ganz außer Atem über die Aussicht, endlich einmal könnte wirklich etwas passieren, die Stufen hinunter. Beata richtete das Schwert an ihrer Hüfte, dann stieg sie die Stufen auf eine würdigere Art hinunter, die eher ihrem Rang entsprach.
Beata stand neben der riesigen steinernen Waffe an der Linie, wie sie sie nannten; jenseits davon war die Dominie Dirtch tödlich. Als Karl mit Norris und Annette angelaufen kam, verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken. Annette war noch mit dem Anlegen ihres Kettenpanzers beschäftigt.
Endlich konnte Beata die Rufe des Reiters verstehen, der auf sie zugaloppiert kam. Unter lautem Geschrei flehte er sie an, die Dominie Dirtch nicht anzuschlagen.
Beata glaubte die Stimme wieder zu erkennen.
Karl hatte die Hand am Heft seines Schwertes. »Sergeant?«
Sie nickte, woraufhin die beiden Männer und die Frau ihre Klingen blankzogen. Wegen einer tatsächlichen Bedrohung hatten sie dies noch nie getan; sie alle strahlten vor Aufregung.
Beata formte ihre Hände abermals zu einem Trichter vor dem Mund. »Stehen bleiben!«
Diesmal hörte sie der Reiter. Er riss die Zügel nach hinten und brachte sein mit schäumendem Schweiß bedecktes Pferd ein kleines Stück vor ihnen stolpernd und unbeholfen zum Stehen.
Beata sackte der Unterkiefer herunter.
»Snip!«
Er grinste. »Beata, bist du das etwa?«
Er stieg ab und führte sein Pferd auf sie zu. Das Pferd war in einem bemitleidenswerten Zustand, Snip sah nicht viel besser aus.
»Snip«, knurrte Beata, »komm hierher zu mir.«
Enttäuscht, dass Beata den Mann kannte und es vermutlich nicht zu einem Schwertkampf kommen würde, schoben Karl, Norris und Annette ihre Waffen zurück in die Scheide. Sie alle starrten jedoch unverhohlen auf die Waffe, die Snip trug.
Sie wurde von einem Waffengurt gehalten, der gegenüber von Schwert und Scheide über die rechte Schulter lief, wodurch das Gewicht gleichmäßig verteilt wurde. Das Leder des Gehenks war fein gearbeitet und schien alt zu sein; Beata kannte sich mit Lederarbeiten aus; so etwas Elegantes hatte sie noch nie gesehen. Die Scheide war mit schlicht unvergleichlichen Silber- und Goldarbeiten verziert.
Auch das Schwert selbst war bemerkenswert, zumindest, soweit sie dies erkennen konnte. Es besaß einen nach unten gebogenen Handschutz aus blank poliertem Stahl. Das Heft schien mit Silberdraht umwickelt zu sein, zwischen dem im Licht des frühen Morgens auch ein wenig Gold aufblinkte.
Snip, völlig außer Atem, sah sie lächelnd an. »Nett, dich zu sehen, Beata. Freut mich, dass du den Posten bekommen hast, auf den du aus warst. Schätze, da hat sich für uns beide endlich unser Traum erfüllt.«
Beata hatte sich ihren Traum verdient, das wusste sie. Da sie Snip schon eine ganze Weile kannte, hatte sie bei ihm diesbezüglich ihre Zweifel.
»Was tust du hier, Snip, und woher hast du diese Waffe?«
Er reckte das Kinn vor. »Es gehört mir. Ich hab dir doch erzählt, ich würde eines Tages der Sucher sein, und das bin ich jetzt. Das hier ist das Schwert der Wahrheit.«
Beata starrte es an. Snip drehte die Waffe ein wenig, damit sie das Heft mit der Inschrift in Golddraht sehen konnte. Es war dasselbe Wort, das Snip an jenem Tag auf dem Anwesen des Ministers in den Staub gemalt hatte. Sie konnte sich noch gut daran erinnern: WAHRHEIT.
»Das haben dir die Zauberer geschenkt?« Beata zeigte ungläubig darauf. »Die Zauberer haben dich zum Sucher der Wahrheit ernannt?«
»Na ja…« Snip warf einen Blick über die Schulter, hinaus in die Wildnis. »Das ist eine lange Geschichte, Beata.«
»Sergeant Beata«, sagte sie, nicht gewillt, sich von einem Typen wie Snip ausstechen zu lassen.
Er zuckte mit den Schultern. »Sergeant. Ist doch toll, Beata.« Er sah wieder über seine Schulter. »Nun, kann ich dich mal sprechen?« Er warf ein vorsichtigen Blick hinüber zu den Leuten, die jedes ihrer Worte genau verfolgten. »Allein?«
»Snip, ich habe nicht die…«
»Bitte!«
Er wirkte besorgt, so besorgt, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Mit seinem kecken Auftreten wollte er nur seine Bedrängnis überspielen.
Beata packte ihn am Kragen seiner Botentracht und zog ihn hinter sich her, von den anderen fort; sämtliche Blicke folgten ihnen. Beata konnte es ihnen nicht verdenken, schließlich war seit jenem Tag, als die Mutter Konfessor und Lord Rahl gekommen waren, nichts so Interessantes mehr passiert.
»Was tust du mit diesem Schwert? Es gehört dir nicht.«
Snips Gesicht nahm den vertrauten, flehentlichen Ausdruck an, den sie so gut kannte. »Ich musste es mitnehmen, Beata. Ich musste…«
»Du hast es gestohlen? Du hast das Schwert der Wahrheit gestohlen?«
»Es ging nicht anders. Du verstehst nicht…«
»Du bist ein Dieb, Snip. Ich sollte dich verhaften und…«
»Na schön, von mir aus. Dann kann ich wenigstens beweisen, dass die Beschuldigungen unberechtigt sind.«
Sie runzelte die Stirn. »Welche Beschuldigungen?«
»Dass ich dich vergewaltigt habe.«
Beata war wie vom Donner gerührt. Sie brachte kein einziges Wort hervor.
»Man hat mir vorgeworfen, was der Minister und Stein dir angetan haben. Ich brauche dieses Schwert, um die Wahrheit zu beweisen, nämlich, dass ich das gar nicht war, sondern der Minister.«
»Er ist jetzt der Herrscher.«
Snip sackte in sich zusammen. »Dann wird mir selbst das Schwert nichts nützen. Der Herrscher. Jetzt sitze ich wohl wirklich in der Patsche.«
»Da hast du ausnahmsweise einmal Recht.«
Er packte sie bei den Schultern. »Du musst mir helfen, Beata. Eine Verrückte ist mir auf den Fersen. Setz die Dominie Dirtch ein. Halte sie auf. Du darfst sie auf keinen Fall über die Grenze lassen.«
»Warum nicht? Ist sie diejenige, der du das Schwert gestohlen hast?«
»Du verstehst nicht, Beata…«
»Du hast dieses Schwert gestohlen, aber ich bin es, die nichts versteht? Ich verstehe durchaus, du bist ein Lügner.«
Snip sackte in sich zusammen. »Sie hat Morley umgebracht, Beata.«
Beatas Augen weiteten sich. Sie wusste, wie kräftig Morley war. »Soll das heißen, sie besitzt Magie oder so was?«
Snip sah auf. »Magie. Ja, das muss es sein. Sie besitzt Magie. Sie ist wahnsinnig, Beata. Sie hat Morley getötet…«
»Man stelle sich vor, jemand tötet einen Dieb und gilt sofort als wahnsinniger Mörder. Du bist ein nichtswürdiger Hakenier, Snip. Weiter nichts – ein nichtswürdiger Hakenier, der ein Schwert gestohlen hat, das er sich niemals verdienen könnte.«
»Beata, bitte, sie wird mich umbringen. Bitte lass sie nicht durch.«
»Reiter im Anmarsch«, rief Estelle.
Snip wäre vor Schreck fast in die Höhe gefahren. Beata schaute hoch zu Estelle, sah aber, dass sie nach hinten zeigte, nicht hinaus in die Wildnis. Beatas Anspannung ließ wieder etwas nach.
»Wer ist es?«, rief sie hoch zu Estelle.
»Kann ich noch nicht erkennen, Sergeant.«
»Du musst dieses Ding zurückgeben, Snip. Wenn diese Frau hier auftaucht, musst du…«
»Da kommt eine Reiterin«, rief Estelle und deutete hinaus in die Wildnis.
»Wie sieht sie aus?«, rief Snip nach oben, außer sich wie eine Katze, deren Schwanz in Flammen steht.
Emmeline spähte eine Zeit lang konzentriert hinaus in die Ebene. »Kann ich nicht sagen, sie ist noch zu weit entfernt.«
»Rot«, rief Snip. »Sieht sie aus, als wäre sie rot gekleidet?«
Emmeline spähte eine weitere Minute hinaus. »Blonde Haare, rote Kleidung.«
»Lasst sie durch!«, befahl Beata.
»In Ordnung, Sergeant.«
Snip, der plötzlich vollkommen aufgelöst vor Angst schien, warf die Arme in die Höhe. »Was tust du da, Beata? Willst du, dass ich umgebracht werde? Sie ist wahnsinnig! Die Frau ist ein Ungeheuer, sie ist…«
»Wir werden mit ihr reden. Kein Sorge, wir werden nicht zulassen, dass unserem kleinen Jungen etwas zustößt. Wir werden herausfinden, was sie will, und dann weitersehen.«
Snip schien beleidigt. Worüber Beata keinesfalls unglücklich war, nicht nach all den Scherereien, die er verursacht hatte, nicht nachdem er etwas so Wertvolles wie das Schwert der Wahrheit gestohlen hatte. Einen wertvollen Gegenstand der Magie. Und jetzt hatte dieser dumme Kerl sogar seinen Freund Morley in seine Diebereien hineingezogen, was diesen das Leben gekostet hatte.
Wenn man sich vorstellte, dass sie einmal geglaubt hatte, sie könnte sich in Snip verlieben…
Er ließ den Kopf hängen. »Tut mir Leid, Beata. Ich wollte einfach nur, dass du stolz auf mich…«
»Diebstahl ist nichts, worauf man stolz sein kann, Snip.«
»Du verstehst einfach nicht«, murmelte er, den Tränen nahe. »Du verstehst es einfach nicht.«
Beata vernahm einen eigenartigen Lärm von der nächsten Dominie Dirtch. Rufe und Ähnliches, aber keinen Alarm. Als sie sich umdrehte, um nachzusehen, erblickte sie drei Gardisten der anderischen Sondereinheit, die zu Pferd herantrabten, dieselben, die auch Estelle gesehen hatte. Sie fragte sich, was sie wohl wollten.
Als sie das Geräusch des herangaloppierenden Pferdes hörte, drehte sie sich um. Beata stieß Snip einen Finger gegen die Brust.
»So, und jetzt hältst einfach du den Mund und überlässt das Reden mir.«
Statt einer Antwort starrte er auf den Boden. Beata drehte sich um und sah das Pferd an dem steinernen Sockel vorübergaloppieren. Die Frau trug tatsächlich Rot. Beata hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen, einen roten Lederanzug vom Scheitel bis zur Sohle. Hinter ihr flatterte ein langer blonder Zopf.
Plötzlich war Beata auf der Hut. Einen Ausdruck der Entschlossenheit wie auf dem Gesicht dieser Frau hatte sie noch nie gesehen.
Sie machte sich nicht mal die Mühe, das Pferd anzuhalten, sie sprang einfach ab, um sich auf Snip zu werfen. Beata stieß ihn jedoch kurz entschlossen zur Seite. Die Frau rollte zweimal ab und kam auf die Beine.
»Immer mit der Ruhe!« rief Beata. »Ich habe ihm gesagt, wir würden diese Angelegenheit mit Euch klären, anschließend wird er Euch zurückgeben, was Euch gehört!«
Zu Beatas Verwunderung hielt die Frau den Hals eines schwarzen Fläschchens in der Hand. Mit einer Flasche in der Hand von einem Pferd abzuspringen … Vielleicht hatte Snip Recht, vielleicht war sie wirklich verrückt.
Dabei sah sie gar nicht danach aus. Sie sah lediglich aus, als sei sie entschlossen, diese Angelegenheit, wenn nötig, bis ins Jenseits zu verfolgen.
Die Frau, ihre himmelblauen Augen auf Snip geheftet, achtete gar nicht auf Beata. »Gib es augenblicklich her, dann werde ich dich nicht töten, sondern höchstens dafür sorgen, dass es dir Leid tut, geboren zu sein.«
Anstatt aufzugeben, zog Snip das Schwert.
Es gab ein Klirren von sich, wie es Beata, die das Geräusch von Klingen gewöhnt war, noch nie zu Ohren gekommen war.
Snips Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an. Seine Augen weiteten sich, als könnte er in Ohnmacht fallen. Seine Augen bekamen einen entschieden seltsamen Blick, sie enthielten ein Schimmern, das Beata eine Gänsehaut machte. Es war der Blick einer beängstigenden inneren Vision.
Die Frau hielt das Fläschchen wie eine Waffe vor ihren Körper. Mit der anderen Hand forderte sie Snip auf, näher zu kommen und sie anzugreifen.
Beata ging dazwischen und wollte die Frau zurückhalten, bis sie die Angelegenheit besprechen konnten.
Das Nächste, was Beata mitbekam, war, dass sie auf dem Boden saß. Ihr Gesicht brannte heftig.
»Halt dich da raus«, meinte die Frau mit frostiger Stimme. »Es ist nicht nötig, dass du verletzt wirst. Tu dir selber einen Gefallen und bleib, wo du bist.«
Sie heftete ihre blauen Augen auf Snip. »Mach schon, Junge. Gib es her, oder tu etwas.«
Snip tat etwas. Er schwang das Schwert. Beata konnte die Spitze durch die Luft sirren hören.
Die Frau wich elegant einen Schritt zurück und stieß im selben Augenblick mit dem schwarzen Fläschchen zu. Das Schwert zerschmetterte es zu tausend Splittern, die wie eine dunkle Wolke in der Luft zu stehen schienen.
»Ha!«, rief die Frau triumphierend.
Sie grinste böse.
»So, und jetzt hole ich mir das Schwert.«
Ein kurzes Zucken ihres Handgelenks, und ein roter, mit einem goldenen Kettchen daran befestigter Lederstab schnellte in ihre Hand. Anfangs wirkte sie zuversichtlich und außer sich vor Freude, doch dann starrte sie auf das Ding in ihrer Hand, während dieser Blick erst in Verwirrung und schließlich in Bestürzung überging.
»Aber es müsste funktionieren«, murmelte sie bei sich. »Es müsste doch funktionieren.«
Als sie den Kopf hob, sah sie etwas, das sie wieder zur Besinnung brachte.
Die Frau packte die Schultern von Beatas Uniform und zog sie auf die Beine. »Schaff deine Leute fort von hier. Und zwar auf der Stelle!«
»Was? Snip hatte Recht. Ihr seid…«
Sie streckte den Arm aus und zeigte. »Sieh doch, Närrin!«
Die Gardisten der anderischen Sondereinheit kamen untereinander schwatzend auf sie zugeritten. »Das sind unsere Leute. Von denen haben wir nichts zu…«
»Schaff deine Leute fort von hier, oder ihr werdet alle sterben.«
Beata war beleidigt, dass eine dahergelaufene Verrückte sie wie ein Kind behandelte.
»Corporal Fauvel«, rief Beata.
»Ja, Sergeant?«, fragte die Anderierin.
»Lasst diese Männer dort warten, bis wir das hier geklärt haben.« Beata stemmte die Fäuste in die Hüften und wandte sich zu der Frau in Rot.
»Zufrieden?«
Mit den Zähnen knirschend packte die Frau abermals Beatas Schultern. »Du kleine Närrin! Du und diese anderen Kinder, macht, dass Ihr von hier verschwindet, sonst werdet ihr allesamt getötet!«
Allmählich wurde Beata wütend. »Ich bin Offizier der anderischen Armee, und diese Männer dort…« Beata drehte sich um und wollte auf sie zeigen.
Soeben trat Marie Fauvel vor die Männer, um ihnen mit erhobener Hand zu erklären, dass sie warten sollten.
Einer der drei zog ohne viel Aufhebens sein Schwert und schwang es mit beiläufiger, aber beängstigender Wucht. Begleitet von dem Übelkeit erregenden Geräusch, wenn eine Klinge auf Knochen trifft, zerteilte diese Marie sauber in zwei Hälften.
Beata stand bestürzt da und traute ihren Augen nicht.
Während ihrer Arbeit für den Metzger war sie so oft beim Schlachten dabei gewesen, dass es kaum lohnte, zweimal hinzusehen. Sie hatte so viele Tiere ausgenommen, dass der Anblick von Eingeweiden für sie etwas ganz Natürliches hatte. Eingeweide konnten Beata nicht im Geringsten erschrecken.
Marie dort auf dem Boden liegen zu sehen, während die Eingeweide aus der oberen Körperhälfte quollen, schien auf gewisse Art nichts weiter als eine Merkwürdigkeit zu sein – die Eingeweide eines menschlichen Wesens, ganz ähnlich denen der anderen Tiere, nur eben menschlich.
Marie Fauvel, von Hüfte und Beinen getrennt, krallte sich schwer atmend mit weit aufgerissenen Augen ins Gras, während ihr Gehirn das schockierende Unheil zu begreifen suchte, das ihrem Körper soeben widerfahren war.
Es war ein so lähmender, grauenerregender Anblick, dass Beata außerstande war, sich zu rühren.
Marie zerrte am Gras, versuchte sich von den Soldaten fortzuziehen, hin zu Beata. Ihre Lippen bewegten sich, doch es kamen keine Worte heraus, nur ein leises, heiseres Grunzen. Ihre Finger erschlafften, sie brach zusammen, zuckend wie ein frisch geschächtetes Schaf.
Oben auf der Dominie Dirtch schrien Estelle und Emmeline.
Beata zog ihr Schwert blank und reckte es in die Höhe, damit alle es sehen konnten. »Soldaten! Attacke!«
Beata sah wieder nach den Männern. Sie kamen näher und näher.
Und dann geriet die Welt endgültig aus den Fugen.