11

Sie wurde wach, als Richard aus dem Schlaf hochfuhr. Kahlan, den Rücken an ihn geschmiegt, strich sich das Haar aus den Augen und versuchte, rasch ihre Sinne zu sammeln. Richard setzte sich auf und hinterließ ein kaltes Nichts, wo eben noch ein warmes Etwas gewesen war. Jemand klopfte beharrlich an die Tür.

»Lord Rahl«, war eine gedämpfte Stimme zu vernehmen. »Lord Rahl.«

Es war kein Traum gewesen. Cara hämmerte gegen die Tür. Richard schlüpfte auf einem Bein hüpfend in seine Hosen und eilte zur Tür, um zu öffnen.

Tageslicht flutete in den Raum. »Was gibt’s, Cara?«

»Die Heilerin schickt mich, Euch zu holen. Zedd und Ann sind krank. Ich konnte ihre Worte nicht verstehen, wußte aber, daß ich Euch holen soll.«

Richard griff nach seinen Stiefeln. »Wie krank?«

»Nach dem Verhalten der Heilerin zu schließen, ist es, glaube ich, nichts Ernstes, aber ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus. Ich dachte, Ihr würdet Euch vielleicht selbst ein Bild machen wollen.«

»Selbstverständlich. Wir sind sofort draußen.«

Kahlan war bereits damit beschäftigt, ihre Kleider überzustreifen. Sie waren noch feucht, aber wenigstens nicht mehr tropfnaß.

»Was meinst du, um was könnte es sich handeln?«

Richard streifte sein ärmelloses Unterhemd über. »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«

Die übrigen Teile seines Anzugs außer acht lassend, schnallte er seinen breiten Gürtel mit den golddurchwirkten Taschen um und machte sich auf den Weg zur Tür; die darin enthaltenen Dinge ließ er niemals unbeaufsichtigt zurück. Mit einem kurzen Blick nach hinten vergewisserte er sich, daß Kahlan ihm folgte. Sie war damit beschäftigt, hüpfend, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, ihre hart gewordenen Stiefel überzuziehen.

»Was ich meinte, war, glaubst du, es könnte an der Magie liegen? Ist damit vielleicht etwas nicht in Ordnung? Wegen dieser Geschichte mit dem Lauer?«

»Wir sollten uns nicht voreilig irgendwelche Ängste einreden. Wir werden es noch früh genug erfahren.«

Als sie zur Tür hinauseilten, paßte Cara sich ihren schnellen Schritten an. Der Morgen war stürmisch und naß, und es fiel ein dichter Nieselregen; bleierne Wolken verhießen einen erbärmlichen Tag. Wenigstens regnete es nicht in Strömen.

Caras langer blonder Zopf sah aus, als hätte sie ihn die ganze Nacht über im nassen Zustand geflochten gelassen. Schwer und schlaff hing er herab, trotzdem war Kahlan fest davon überzeugt, daß er besser aussah als ihre verfilzten Locken.

Caras roter Lederanzug dagegen wirkte frisch gesäubert.

Die Mord-Sith waren stolz auf ihre rote Lederkleidung. Einer roten Fahne gleich verkündete er allen die Anwesenheit einer Mord-Sith. Mit Worten hätte sich die Gefahr kaum so wirkungsvoll vermitteln lassen. Wie das Wasser daran abperlte, war das geschmeidige Leder offensichtlich mit Ölen oder Wollfett behandelt worden. Eng, wie der Anzug saß, stellte Kahlan sich stets vor, daß Mord-Sith sich nicht im eigentlichen Sinn auszogen, sondern vielmehr ihre rote Lederhaut abstießen.

Während sie einen Durchgang entlangeilten, bedachte Cara sie mit vorwurfsvollen Blicken. »Ihr beide hattet vergangene Nacht ein Abenteuer.«

Cara war, wie man unschwer an der Spannung ihrer Kiefermuskeln erkennen konnte, alles andere als erfreut, daß man sie hatte weiterschlafen lassen, während die beiden wie hilflose Kitze losgezogen waren, als wollten sie unbedingt herausfinden, ob sie sich auch ohne vernünftigen Grund ernsthaft in Gefahr bringen konnten.

»Ich habe das Huhn gefunden, das keines ist«, erklärte Kahlan.

Sie und Richard hatten sich im Dunkeln durch Schlamm und Regen erschöpft zum Seelenhaus zurückgeschleppt und nur kurz darüber gesprochen. Auf ihre Frage hin hatte er erklärt, er sei auf der Suche nach diesem Hühnertier gewesen, als er plötzlich ihre Stimme aus dem Gebäude gehört habe, in dem Junis Leiche lag. Sie hatte erwartet, er würde eine Bemerkung über ihr mangelndes Vertrauen fallenlassen, doch die hatte er sich verkniffen.

Sie erklärte ihm, es tue ihr leid, ihm einen harten Tag beschert zu haben, weil sie ihm nicht geglaubt hatte. Er erwiderte nur, er danke den Guten Seelen, daß sie über sie gewacht hätten. Dann nahm er sie in den Arm und gab ihr einen Kuß auf den Scheitel. Irgendwie konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, daß ihr wohler gewesen wäre, hätte er ihr Vorwürfe gemacht.

Todmüde waren sie unter ihre Decken gekrochen. Trotz ihrer Müdigkeit war Kahlan überzeugt, die beängstigenden Erinnerungen an das fleischgewordene Böse, die sie angesichts des Hühnertieres beschlichen, würden sie den Rest der Nacht wach halten. Richards wärmender und beruhigender Hand auf ihrer Schulter hatte sie es zu verdanken, daß sie bereits wenige Augenblicke später eingeschlafen war.

»Mir hat immer noch niemand erklärt, woran Ihr feststellen könnt, daß dieses Huhn in Wahrheit keines ist«, beschwerte sich Cara, als sie um eine Ecke bogen.

»Ich kann es auch nicht erklären«, meinte Richard. »Irgend etwas stimmte nicht daran. Ein Gefühl. Die Haare haben sich mir im Nacken gesträubt, sobald es in der Nähe war.«

»Wärt Ihr dabeigewesen«, meinte Kahlan, »würdet Ihr verstehen. Als es mich ansah, konnte ich das Böse in seinen Augen sehen.«

Cara bekundete ihre Skepsis durch ein Brummen. »Vielleicht mußte es ein Ei legen.«

»Es hat mich mit meinem Titel angesprochen.«

»Aha. Das hätte mich allerdings auch hellhörig gemacht.« Caras Tonfall wurde ernster, wenn nicht gar besorgt. »Hat es Euch wirklich ›Mutter Konfessor‹ genannt?«

Kahlan nickte, als sie die aufrichtige Besorgnis in Caras Gesicht sah. »Um die Wahrheit zu sagen, es wollte gerade ansetzen, kam aber nur bis zu dem Wort ›Mutter‹. Ich habe nicht höflich abgewartet, um mir auch noch den Rest anzuhören.«

Als die drei im Gänsemarsch zur Tür hereinkamen, erhob Nissel sich von dem Wildlederfell auf dem Fußboden vor der kleinen Feuerstelle. Sie war gerade damit beschäftigt, über dem kleinen Feuer einen Topf mit würzigen Kräutern zu erhitzen. Ein Stoß Tavafladen lag dicht neben der Feuerstelle zum Warmhalten auf einem Regal. Sie setzte das verhaltene, ihr eigene Lächeln auf, das zu besagen schien: Da ist etwas, das nur ich weiß.

»Guten Morgen, Mutter Konfessor. Hast du gut geschlafen?«

»Ja, vielen Dank. Was ist mit Zedd und Ann, Nissel?«

Nissels Lächeln erlosch, als sie zu dem schweren Fell hinüberblickte, das vor der Tür zum Hinterzimmer hing. »Ich weiß es nicht genau.«

»Also, was fehlt ihnen denn nun?« verlangte Richard zu wissen, nachdem Kahlan übersetzt hatte. »Woran sind sie erkrankt? An einem Fieber? Am Magen? Am Kopf? Was denn nun?« Er warf die Arme in die Höhe. »Ist ihnen der Kopf von den Schultern gefallen?«

Nissel sah Richard in die Augen, während Kahlan seine Fragen übersetzte. Ihr eigenartiges Lächeln kehrte zurück. »Er ist sehr ungeduldig, dein frischgebackener Ehemann.«

»Er ist um seinen Großvater besorgt. Er empfindet große Zuneigung für seinen älteren Anverwandten. Hast du eine Idee, was mit ihnen nicht in Ordnung sein könnte?«

Nissel drehte sich kurz um und rührte im Topf. Die alte Heilerin hatte manchmal etwas Merkwürdiges, sogar Verwirrendes an sich, zum Beispiel ihre Art, bei der Arbeit vor sich hin zu murmeln oder jemanden zur Ablenkung Steine auf dem Bauch balancieren zu lassen, wenn sie eine Wunde vernähte. Doch Kahlan wußte auch, daß sie über einen scharfen Verstand verfügte und ihr in dem, was sie tat, praktisch niemand das Wasser reichen konnte. In dieser gebeugten alten Frau verbarg sich ein langes Leben voller Erfahrungen und ein unermeßliches Wissen.

Nissel raffte ihren schlichten Schal mit einer Hand zusammen und ging schließlich vor der Huldigung in die Hocke, die noch immer in den Staub in der Mitte des Fußbodens gezeichnet war. Sie streckte eine Hand vor und zeichnete mit gekrümmtem Finger eine der geraden Linien nach, die strahlenförmig von der Mitte ausgingen – der Linie, die die Magie darstellte.

»Das hier, glaube ich.«

Kahlan und Richard wechselten einen besorgten Blick.

»Wahrscheinlich würdet Ihr es erheblich schneller herausfinden«, warf Cara ein, »wenn Ihr hineingehen und selber nachsehen würdet.«

Richard schickte einen zornigen Blick in Caras Richtung. »Wir wollten wissen, was uns erwartet, wenn Ihr nichts dagegen habt.«

Kahlans Anspannung löste sich ein wenig. Cara würde sich ihnen gegenüber in einer so wichtigen Angelegenheit niemals respektlos verhalten, wenn sie tatsächlich der Ansicht wäre, hinter jenem Fellvorhang spielte sich ein Kampf auf Leben und Tod ab. Allerdings wußte Cara nicht viel über Magie, außer daß sie sie nicht mochte.

Sie fürchtete sich davor, genau wie die grimmigen d’Haranischen Soldaten. Ein ums andere Mal wiederholten sie die Beschwörungsformel, sie seien der Stahl gegen den Stahl, wohingegen Lord Rahl die Magie gegen die Magie sein müsse. Es war Teil jener Bande, über die die Bevölkerung D’Haras ihrem Lord Rahl verpflichtet war: sie beschützten ihn, und er beschützte sie. Fast schien es, als hielten sie es für ihre Pflicht, seinen Körper zu beschützen, damit er im Gegenzug ihre Seelen beschützen konnte.

Das Paradoxe daran war, die einzigartigen Bande zwischen den MordSith und ihrem Lord Rahl waren eine wechselseitige Beziehung, die dem Strafer – jenem grauenerregenden Folterwerkzeug, das eine Mord-Sith am Handgelenk trug – seine Kraft verlieh und, wichtiger noch, die die MordSith aufgrund ihrer uralten Verbindung zu Lord Rahl befähigte, die Magie eines mit der Gabe Gesegneten zu rauben. Vor ihrer Befreiung durch Richard war es nicht nur Aufgabe der Mord-Sith gewesen, ihren Lord Rahl zu beschützen, sondern auch seine Feinde, die über Magie verfügten, zu Tode zu foltern und ihnen dabei sämtliche Informationen zu entreißen, die sie besaßen.

Von der Magie eines Konfessors abgesehen, gab es keine Magie, die imstande gewesen wäre, sich der Fähigkeit der Mord-Sith, sich ihrer zu bemächtigen, zu widersetzen. So groß die Angst der Mord-Sith vor Magie auch war, wer Magie besaß, hatte von den Mord-Sith weit Schlimmeres zu befürchten. Andererseits bekam Kahlan stets zu hören, daß Schlangen sich mehr vor ihr fürchteten als sie vor ihnen.

Cara verschränkte die Hände hinter dem Rücken, stemmte die Füße fest in den Boden und nahm ihren Posten ein. Kahlan duckte sich unter der Tür hindurch, als Richard den Fellvorhang für sie zur Seite hielt.

Der dahinterliegende fensterlose Raum wurde von Kerzen erleuchtet; der Fußboden war übersät mit magischen Zeichen. Kahlan wußte, dies waren keine Übungszeichen wie die Huldigung im Vorraum, diese hier waren mit Blut gezeichnet.

Kahlan faßte Richard am Ellenbogen. »Sieh dich vor. Tritt nicht auf sie.« Mit der anderen Hand deutete sie auf die Zeichen auf dem Fußboden. »Sie sollen die Unaufmerksamen verleiten und sie in eine Falle locken.«

Richard nickte und trat, sich durch den Irrgarten aus geistigen Sinnbildern tastend, tiefer in den Raum. Zedd und Ann lagen Kopf an Kopf an der gegenüberliegenden Wand auf mit Stroh ausgestopften Lagerstätten. Die beiden waren bis zum Kinn in grobe Wolldecken gehüllt.

»Zedd«, flüsterte Richard, während er sich auf ein Knie hinabbeugte, »bist du wach?«

Kahlan kniete neben Richard nieder und ergriff seine Hand. Sie hockten sich auf die Fersen. Als Ann daraufhin blinzelnd die Augen öffnete und aufsah, ergriff Kahlan auch ihre Hand. Zedd runzelte die Stirn, als bereitete es ihm bereits Schmerzen, seine Augen dem sanften Schein der Kerzen auszusetzen.

»Da bist du ja endlich, Richard. Gut. Wir müssen miteinander reden.«

»Was ist denn los? Bist du krank? Wie können wir euch helfen?«

Zedds welliges Haar sah noch ungepflegter aus als sonst. Seine Falten waren in dem trüben Licht nicht deutlich zu erkennen, trotzdem wirkte er in diesem Augenblick wie ein sehr alter Mann.

»Ann und ich … fühlen uns bloß ein wenig erschöpft, das ist alles. Wir haben…«

Er zog eine Hand unter der Decke hervor und deutete auf den über den Fußboden verteilten Irrgarten aus Sinnbildern. Caras Lederanzug saß enger als die Haut, die über seinen Knochen spannte.

»Entweder du erklärst es ihm«, sagte Ann in die sich ziehende Stille hinein, »oder ich tue es.«

»Es mir erklären, was denn? Was ist passiert?«

Zedd stützte seine knochendürre Hand auf Richards muskulösen Oberschenkel und holte ein paarmal mühsam Luft.

»Erinnerst du dich noch an unser Gespräch? Unser Gespräch, was geschehen würde … sollte die Magie nachlassen?«

»Selbstverständlich.«

»Es hat angefangen.«

Richards Augen weiteten sich. »Dann sind es also doch die Chimären aus den Grußformeln.«

»Nein«, widersprach Ann. »Sondern die Schwestern der Finsternis.« Sie wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Sie haben einen Bann heraufbeschworen, um dieses … dieses Hühnertier…«

»Den Lauer«, half Zedd ihr weiter. »Mit der Herbeirufung des Lauer haben sie, absichtlich oder unabsichtlich, eine entscheidende Entartung der Magie ausgelöst.«

»Unabsichtlich bestimmt nicht«, meinte Richard. »Das war ohne Zweifel beabsichtigt, zumindest von Jagang. Und die Schwestern der Finsternis tun, was er verlangt.«

Zedd nickte und erlaubte seinen Augen, sich zu schließen. »Du hast ganz sicher recht, mein Junge.«

»Dann hast du es also nicht verhindern können?« fragte Kahlan. »Nach deinen Worten klang es, als wärst du imstande, dem entgegenzuwirken.«

»Die Prüfungsnetze, die wir ausgeworfen haben, sind uns teuer zu stehen gekommen.« Ann klang ebenso verbittert, wie Kahlan es an ihrer Stelle gewesen wäre.

Zedd hob seinen Arm und ließ ihn dann kraftlos wieder sinken, so daß er abermals auf Richards Oberschenkel zu liegen kam. »Weil wir sind, wer wir sind, weil wir über mehr Macht und größere Fähigkeiten verfügen als andere, trifft der Makel dieser Entartung uns zuerst.«

Kahlan runzelte die Stirn. »Du sagtest, er würde zuerst bei den Schwächsten einsetzen.«

Ann wälzte nur den Kopf von einer Seite auf die andere.

»Wieso wirkt sie sich nicht auf uns aus?« fragte Richard. »Aufgrund ihrer Konfessorenkraft verfügt Kahlan über eine Menge Magie. Und ich habe die Gabe.«

Zedd winkte ermattet ab. »Nein, nein. So funktioniert das nicht. Es beginnt bei uns, bei mir noch eher als bei Ann.«

»Führe sie nicht in die Irre«, wandte Ann ein. »Dafür ist die Angelegenheit zu wichtig.« Ihre Stimme wurde ein wenig kräftiger, als sie fortfuhr. »Kahlans Kraft wird bald versiegen, Richard. Genau wie deine, obwohl du nicht so sehr auf sie angewiesen bist wie wir, daher wird es für dich keine so große Rolle spielen.«

»Kahlan wird ihre Konfessorenkraft verlieren«, bestätigte Zedd, »genau wie jeder andere, der über Magie verfügt. Wie jedes magische Wesen. Sie wird schutzlos sein und beschützt werden müssen.«

»Von schutzlos kann wohl kaum die Rede sein«, wandte Kahlan ein.

»Aber es muß doch eine Möglichkeit geben, dem entgegenzuwirken. Gestern abend hast du gesagt, du selber seist auch nicht ganz ohne Möglichkeiten.« Richard ballte die Faust. »Du hast gesagt, du könntest dem entgegenwirken. Du mußt doch irgend etwas tun können!«

Ann hob einen Arm und versetzte Zedd einen schwachen Klaps auf den Kopf. »Würdest du es ihm bitte erklären, alter Mann? Bevor der Junge wegen dir noch eine Herzattacke bekommt und er uns überhaupt keine Hilfe mehr ist.«

Richard beugte sich vor. »Kann ich helfen? Was kann ich tun? Sagt mir, was, und ich tue es.«

Zedd brachte ein mattes Lächeln zustande. »Ich konnte immer auf dich zählen, Richard. Immer.«

»Was können wir denn tun?« fragte dann auch Kahlan. »Ihr könnt euch auf uns beide verlassen.«

»Seht ihr, wir wissen zwar, was zu tun ist, können es aber nicht allein bewerkstelligen.«

»Dann helfen wir euch eben«, beharrte Richard. »Was benötigt ihr?«

Zedd hatte Mühe, Luft zu bekommen. »In der Burg.«

Kahlan spürte, wie plötzlich Hoffnung aufkam. Die Sliph würde ihnen eine wochenlange Reise über Land ersparen. Durch die Sliph vermochten sie und Richard die Burg in weniger als einem Tag zu erreichen.

Zedd wirkte fast leblos, als sein Atem pfeifend entwich. Verzweifelt nahm Richard seine Schläfen zwischen Daumen und Zeigefinger und preßte dagegen, bis er wieder tief durchatmete. Schließlich ließ er die Hand auf Zedds Schulter sinken und rüttelte ihn leicht.

»Zedd? Was können wir tun, um zu helfen? Welche Bewandtnis hat es mit der Burg der Zauberer? Was befindet sich dort in der Burg, Zedd?«

Zedd bewegte die Zunge, um seinen Gaumen zu benetzen.

»Wasser.«

Kahlan legte Richard eine Hand auf die Schulter, fast so, als wollte sie verhindern, daß er aufsprang und sich an der Decke stieß. »Ich gehe es holen.«

An der Tür stieß sie mit Nissel zusammen, doch statt des Wassers, das Kahlan verlangt hatte, reichte sie ihr eine Tasse mit einer warmen Flüssigkeit. »Gib ihm das. Ich bin soeben damit fertig geworden. Es ist besser als Wasser, das wird ihm Kraft geben.«

»Danke, Nissel.«

Kahlan beeilte sich, Zedd die Tasse an die Lippen zu setzen, und er stürzte ein paar Schlucke hinunter. Danach hielt Kahlan auch Ann die Tasse hin, die sie zügig leerte. Über Kahlans Schulter gebeugt, reichte Nissel ihr ein Stück Tavabrot, das mit einer Art Honig bestrichen schien, der einen leichten Minzgeruch verströmte, so als sei er mit einem Heilmittel versetzt. Nissel flüsterte Kahlan zu, sie solle die beiden dazu bewegen, ein wenig davon zu essen.

»Hier, Zedd«, sagte sie, »iß ein Stück Tavabrot mit Honig.«

Mit hochgehaltener Hand verwehrte Zedd der dargebotenen Speise den Weg in seinen Mund. »Vielleicht später.«

Kahlan und Richard sahen sich aus den Augenwinkeln an. Es war so gut wie nie vorgekommen, daß Zedd die Nahrungsaufnahme verweigert hatte. Offenbar bezog Cara ihren Glauben, es sei nichts Ernstes, von der durch nichts aus der Ruhe zu bringenden Nissel; die alte Heilerin behielt angesichts des Zustandes der beiden auf dem Boden Liegenden die Ruhe, Richards und Kahlans Besorgnis dagegen wurde mit jedem Augenblick größer.

»Zedd«, drängte Richard erneut, »was hat es mit der Burg auf sich?«

Zedd schlug die Augen auf. Kahlan fand, sie wirkten ein wenig strahlender, die haselnußbraune Farbe ein wenig klarer, weniger trübe. Matt ergriff er Richards Handgelenk.

»Ich glaube, der Tee hilft. Noch etwas.«

Kahlan wandte sich um zu der alten Frau. »Er sagt, der Tee hilft. Er möchte noch etwas.«

Nissel legte den Kopf in den Nacken und schnitt ein Gesicht. »Selbstverständlich hilft er. Weshalb, glaubt er, habe ich ihn wohl aufgesetzt?«

Sie schüttelte den Kopf über soviel Torheit und schlurfte in den Vorraum, um noch Tee zu holen. Kahlan war überzeugt, sich nicht bloß einzubilden, daß Zedd ein winziges bißchen munterer wirkte.

»Hör genau zu, mein Junge.« Er hob den Finger, um seine Worte zu unterstreichen. »In der Burg gibt es einen Bann von großer Kraft, eine Art auf Flaschen gezogenes Gegenmittel gegen die Vergiftung, die die Welt des Lebendigen durchzieht.«

»Und das benötigst du?« riet Richard.

Ann schien der Tee ebenfalls geholfen zu haben. »Wir haben versucht, Gegenbanne zu bewirken, aber unsere Kraft hat bereits zu sehr nachgelassen. Es ist uns nicht gelungen, etwas herauszufinden, und plötzlich war es zu spät.«

»Der flüchtige Bann aus der Flasche wird jedoch genau dieselbe Wirkung auf die Vergiftung haben wie die Vergiftung auf uns«, meinte Zedd schleppend.

»Und auf diese Weise die Kräfte ausgleichen, damit ihr einen Gegenbann bewirken und sie aufheben könnt«, beendete Richard den Satz hastig, voller Ungeduld.

»So ist es«, erwiderten Zedd und Ann wie aus einem Mund.

Kahlan lächelte, als könnte sie es kaum erwarten. »Dann ist es also kein Problem. Das Fläschchen können wir euch besorgen.«

Richard grinste voller Eifer. »Wir werden durch die Sliph zur Burg gelangen. Dann können wir diesen von dir auf ein Fläschchen gezogenen Bann beschaffen und fast ohne Zeitverlust wieder zurückkehren.«

Ann schlug sich die Hand vor die Augen und murmelte leise einen Fluch. »Zedd, hast du diesem Jungen eigentlich überhaupt nichts beigebracht?«

Richards Grinsen verschwand. »Wieso? Was ist daran verkehrt?«

Nissel kam hereingeschlurft, zwei Tontassen mit Tee in der Hand.

Eine reichte sie Kahlan, die andere Richard. »Zwingt sie, alles auszutrinken.«

»Nissel sagt, ihr müßt dies ganz austrinken«, erklärte Kahlan.

Ann nippte daran, als Kahlan ihr die Tasse an die Lippen hielt. Zedd rümpfte die Nase, mußte aber schließlich anfangen zu schlucken, als Richard seinem Großvater den Tee kurzerhand einflößte. Entweder mußte er stockend und prustend alles hinunterschlucken, oder er würde daran ersticken.

»So, und wo liegt nun die Schwierigkeit, daß wir diesen Bann aus der Burg beschaffen?« fragte Richard, als sein Großvater wieder zu Atem gekommen war.

»Zuallererst einmal«, erklärte Zedd betont langsam, »braucht ihr es nicht hierherzubringen. Du mußt das Fläschchen nur zerbrechen, dann wird der Bann freigesetzt. Er muß nicht in irgendeine Richtung gelenkt werden – er ist bereits erschaffen.«

Richard nickte. »Ein Fläschchen zerbrechen kann ich, also werde ich genau das tun.«

»Hör zu. Der Bann befindet sich in einem Fläschchen, das zum Schutz der darin enthaltenen Magie entworfen wurde. Der Bann wird nur dann freigesetzt, wenn es auf die richtige Weise zerbrochen wird – mit einem Gegenstand, der die richtige Magie enthält. Wenn nicht, verdampft er wirkungslos.«

»Mit welchem Gegenstand? Wie zerbreche ich das Fläschchen korrekt?«

»Mit dem Schwert der Wahrheit«, antwortete Zedd. »Es enthält die geeignete Magie, um den Bann unversehrt beim Zerbrechen des Behälters freizusetzen.«

»Das ist kein Problem. Ich habe das Schwert in deiner Privatenklave in der Burg der Zauberer zurückgelassen. Aber wird die Magie des Schwertes nicht ebenfalls verlorengehen?«

»Nein. Das Schwert der Wahrheit wurde von Zauberern erschaffen, die über das nötige Wissen verfügten, seine Kraft vor Angriffen gegen die Magie zu schützen.«

»Du glaubst also, das Schwert der Wahrheit würde einem Lauer Einhalt gebieten?«

Zedd nickte. »Vieles in dieser Angelegenheit ist mir unbekannt, aber von einem bin ich überzeugt: Das Schwert der Wahrheit ist wahrscheinlich der einzige Gegenstand, in dessen Macht es steht, dir Schutz zu gewähren.« Zedds Finger krallten sich in Richards Hemd und zogen ihn zu sich herunter. »Du mußt das Schwert unbedingt wiederbeschaffen.«

Seine Augen leuchteten auf, als Richard daraufhin ernst nickte. Zedd versuchte, sich auf einen Ellenbogen zu stützen, Richard aber drückte dem alten Mann seine große Hand auf die Brust und zwang ihn, sich wieder hinzulegen.

»Ruh dich aus. Du kannst aufstehen, sobald du dich ausgeruht hast. So, wo befindet sich nun dieses Fläschchen mit dem Bann?«

Zedd schien irgend etwas stirnrunzelnd zu betrachten und deutete hinter Richard und Kahlan. Die beiden drehten sich um. Als sie außer Cara, die sie von der Tür aus beobachtete, nichts sahen, drehten sie sich wieder um, nur um festzustellen, daß Zedd sich jetzt auf besagten Ellenbogen stützte. Er strahlte über seinen kleinen Triumph; Richard dagegen zog ein finsteres Gesicht.

»Jetzt hör aufmerksam zu, mein Junge. Du sagst, du seist in die Privatenklave des Obersten Zauberers eingedrungen?« Richards Kopf bewegte sich bei Zedds Worten lebhaft auf und ab. »Und du hast diesen Ort gut in Erinnerung?« Richard nickte noch immer. »Fein. Es gibt dort nur einen Zugang, einen langen Weg zwischen gewissen Gegenständen hindurch.«

»Ja, ich erinnere mich. In der Mitte dieses langen Ganges liegt ein roter Teppich. Zu beiden Seiten stehen Marmorsäulen von ungefähr meiner Größe. Auf jeder liegt ein anderer Gegenstand. Ganz am Ende…«

»Richtig.« Zedd hob eine Hand, als wolle er ihn unterbrechen. »Die weißen Marmorsäulen. Erinnerst du dich an sie? An die Gegenstände, die darauf liegen?«

»An ein paar, nicht an jeden einzelnen. Es gab dort in Broschen eingepaßte Edelsteine, Goldketten, einen silbernen Kelch, fein gearbeitete Messer, Schalen, Kästchen.« Richard hielt inne und runzelte die Stirn, während er angestrengt nachdachte. Er schnippte mit den Fingern. »Auf der fünften Säule links steht ein Fläschchen. Ich erinnere mich daran, weil ich es hübsch fand. Ein tintenschwarzes Fläschchen mit einem Stöpsel aus Filigran.«

Ein Lächeln stahl sich auf Zedds Gesicht. »Ganz recht, mein Junge. Das ist das Fläschchen.«

»Was soll ich tun? Es einfach mit dem Schwert der Wahrheit zerbrechen?«

»Zerbrich es einfach.«

»Weiter nichts? Keine Zauberformeln? Es muß nicht auf besondere Weise an einen bestimmten Platz gestellt werden? Zu keiner besonderen Stunde des Tages oder der Nacht? Es braucht nicht vorher umgedreht zu werden? Das ist alles?«

»Das ist alles. Zerbrich es einfach mit dem Schwert. Ich an deiner Stelle würde es vorsichtig auf den Fußboden stellen, nur für den Fall, daß du schlecht zielst und es herunterstößt, ohne das Glas zu zerbrechen, und es auf den Marmor fällt und dort zerspringt. Aber das ist nur meine bescheidene Meinung.«

»Also dann auf den Fußboden. Ich stelle es auf den Boden und zertrümmere es mit dem Schwert.« Richard wollte sich erheben. »Die Sache ist erledigt, bevor der morgige Tag anbricht.«

Zedd bekam Richards Hand zu fassen und zwang ihn, sich wieder hinzusetzen. »Nein, das geht nicht, Richard.« Er ließ sich mit einem unglücklichen Seufzer zurückfallen.

»Was geht nicht?« wollte Richard wissen und beugte sich abermals über ihn.

Zedd holte tief Luft. »Du kannst nicht in diese Sliph steigen.«

»Aber das müssen wir«, beharrte Richard. »Sie wird uns in weniger als einem Tag hinbringen. Über Land würde es … ich weiß nicht, Wochen dauern.«

Der alte Zauberer drohte Richard mit grimmig erhobenem Zeigefinger. »Die Sliph benutzt Magie. Wenn du in die Sliph einsteigst, wirst du noch vor deiner Ankunft in Aydindril sterben. Du wirst dich in den finsteren Tiefen dieses quecksilbernen Wesens befinden und seine Magie atmen, während eben diese Magie schwindet. Du wirst ertrinken, deine Leiche würde niemals gefunden werden.«

Richard benetzte sich die Lippen, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Bist du sicher? Wäre es nicht möglich, daß ich es schaffe, bevor die Magie schwindet? Die Angelegenheit ist wichtig, Zedd. Wenn ein Risiko besteht, dann müssen wir es eben eingehen. Ich werde allein gehen. Ich werde mich von Kahlan und Cara trennen.«

Bei der Vorstellung, Richard könnte sich, während ihre Magie schwand, in der Sliph befinden und für alle Zeiten in ihr ertrinken, beschlich Kahlan ein Gefühl der Bestürzung. Krampfhaft griff sie nach seinem Arm, um zu protestieren, doch Zedd kam ihr zuvor.

»Hör mir zu, Richard. Ich bin der Oberste Zauberer, und ich sage dir: Die Magie schwindet. Wenn du in der Sliph reist, wirst du sterben. Nicht vielleicht, sondern ganz gewiß. Alle Magie schwindet. Du mußt dich ohne die Hilfe von Magie fortbewegen.«

Richard nickte, die Lippen aufeinandergepreßt. »Also gut. Wenn es nicht anders geht, dann geht es eben nicht anders. Es wird allerdings länger dauern. Wie lange können du und Ann …?«

Zedd lächelte. »Zum Reisen sind wir zu schwach, Richard, sonst würden wir dich begleiten, aber wir kommen schon zurecht. Wir würden dich nur unnötig aufhalten. Du bist in der Lage, zu tun, was getan werden muß. Sobald du das Fläschchen zerbrichst und den Bann freisetzt, werden diese Dinge hier« – er deutete auf die Banne, die überall auf den Fußboden gezeichnet waren – »uns davon unterrichten. Sobald sie dies tun, kann ich die Gegenbanne aussprechen.

Bis dahin ist die Burg der Zauberer angreifbar. Sollten die magischen Schilde der Burg versagen, wäre es möglich, daß außergewöhnlich mächtige und gefährliche Dinge von dort entwendet werden. Sobald ich die Kraft der Magie wiederhergestellt habe, könnten diese Dinge dann gegen uns benutzt werden.«

»Weißt du, in welchem Ausmaß die Magie der Burg schwinden wird?«

Zedd schüttelte verzweifelt den Kopf. »Etwas Vergleichbares ist noch nie passiert. Ich vermag die genaue Abfolge nicht vorauszusagen, aber ich bin sicher, daß die gesamte Magie verlorengehen wird. Für uns ist es wichtig, daß du in der Burg bleibst und sie wie geplant beschützt. Ann und ich werden nachkommen, sobald die Angelegenheit erledigt ist. Wir zählen auf dich. Kannst du das für mich tun, mein Junge?«

Richards Augen funkelten, er nickte und ergriff die Hand seines Großvaters. »Selbstverständlich. Du kannst dich auf mich verlassen.«

»Versprich es mir, Richard. Versprich mir, daß du die Burg der Zauberer aufsuchen wirst.«

»Ich verspreche es.«

»Wenn nicht«, warnte Ann mit gesenkter Stimme, »könnte Zedds optimistische Einschätzung, er werde schon zurechtkommen … einen Riß bekommen.«

Zedds Brauen zogen sich zusammen. »Ann, wie du es sagst, klingt es, als…«

»Nenn mich eine Lügnerin, wenn ich nicht die Wahrheit spreche.«

Zedd legte den Handrücken über seine Augen und schwieg. Ann drehte den Kopf, bis sie Richard in die Augen sehen konnte.

»Habe ich mich unmißverständlich ausgedrückt?«

Er mußte schlucken. »Ja, Ma’am.«

Zedd griff nach Richards tröstender Hand. »Die Angelegenheit ist wichtig, Richard, trotzdem solltest du auf dem Weg dorthin nichts übereilen.«

Richard lächelte. »Verstehe. Zügiges Reisen, nicht verantwortungslose Hast bringt dich an dein Ziel.«

Zedd brachte ein leises, stillvergnügtes Lachen zustande. »Dann hast du also doch zugehört, als du noch klein warst.«

»Immer.«

»Dann hör auch jetzt zu.« Abermals löste sich der astdürre Finger aus seiner erschlafften Faust. »Du darfst kein Feuer machen. Möglicherweise ist der Lauer in der Lage, dich über Feuer aufzuspüren.«

»Wie das?«

»Wir nehmen an, daß der Bann mit Hilfe des Feuerscheins suchen kann. Er wurde auf dich angesetzt, also vermag er mit Hilfe von Feuer nach dir zu suchen. Halte dich von Feuer fern. Und von Wasser ebenfalls. Wenn du einen Fluß durchwaten mußt, benutze, wenn irgend möglich, eine Brücke, selbst wenn dich das zu einem Umweg von mehreren Tagen zwingt. Überquere Flüsse auf einem Baumstamm, schwinge dich an einem Seil hinüber oder springe, wenn du kannst.«

»Soll das heißen, wir riskieren wie Juni zu enden, wenn wir uns in die Nähe von Wasser begeben?«

Zedd nickte. »Tut mir leid, dir die Sache dadurch zu erschweren, aber die Angelegenheit ist gefährlich. Der Lauer hat es auf dich abgesehen. Du bist nur dann sicher – wir alle sind nur dann sicher –, wenn es dir gelingt, die Burg zu erreichen und dieses Fläschchen zu zerbrechen, bevor der Lauer dich aufspürt.«

Richard lächelte, nach wie vor frohen Mutes. »Wir werden Zeit sparen – wenn wir weder Feuerholz sammeln noch uns waschen müssen.«

Wiederum entfuhr Zedd ein stillvergnügtes Lachen. »Eine sichere Reise, Richard. Dir auch, Cara. Paß gut auf Richard auf.« Er griff mit seinen astdürren Fingern nach Kahlans Hand. »Und dir ebenfalls, meine frischgebackene Enkeltochter. Ich liebe dich von ganzem Herzen. Paßt auf euch auf und bleibt gesund. Ich werde euch aufsuchen, sobald wir in Aydindril eintreffen, dann werden wir uns abermals an unserer Gesellschaft erfreuen. Wartet in der Burg auf uns.«

Kahlan ergriff seine knochigen Finger mit beiden Händen und mußte ihre Tränen unterdrücken. »Ganz bestimmt. Wir werden dort sein und auf euch warten. Dann werden wir wieder zusammen sein wie eine Familie.«

»Eine sichere Reise, euch allen«, sagte Ann. »Mögen die Guten Seelen stets mit euch sein. Unser Glaube und unsere Gebete werden ebenfalls mit euch sein.«

Richard bedankte sich mit einem Nicken und wollte aufstehen, hielt dann aber inne. Er schien einen Augenblick lang über etwas nachzudenken, schließlich sprach er mit leiser Stimme.

»Zedd, während all der Jahre, in denen ich heranwuchs, hatte ich keine Ahnung, daß du mein Großvater bist. Ich weiß, du hast es getan, um mich zu schützen, aber … ich hatte wirklich keine Ahnung.« Er spielte mit einem Grashalm, der aus dem Strohlager hervorschaute. »Ich hatte nie Gelegenheit, etwas über die Mutter meiner Mutter zu erfahren. Sie sprach so gut wie nie von ihrer Mutter – höchstens hier und da mal ein Wort. Ich habe nie etwas über meine Großmutter erfahren. Deine Frau.«

Zedd wandte das Gesicht ab, als eine Träne über seine Wange rollte. Er räusperte sich. »Erilyn war … eine wundervolle Frau. Ich hatte früher eine wundervolle Frau, ganz so wie du jetzt. Erilyn wurde vom Feind gefangengenommen, von einem Quadron, das dein eigener Großvater, Panis Rahl, ausgesandt hatte, als deine Mutter noch sehr jung war. Deine Mutter mußte alles mit ansehen – was sie ihrer Mutter antaten. Erilyn überlebte gerade so lange, daß ich sie finden konnte. Die Dinge, die sie mit ansehen mußte, sind schuld daran, daß deine Mutter es so schmerzlich fand, von Erilyn zu sprechen.«

Nach einem Augenblick der Verlegenheit drehte Zedd sich wieder zu ihnen um und lächelte aus aufrichtiger Freude über seine Erinnerung. »Sie war wunderschön mit ihren grauen Augen, genau wie deine Mutter, wie du. Sie war ebenso klug wie du, und sie lachte gerne. Das solltest du wissen: Sie hat gern gelacht.«

Richard lächelte. Er räusperte sich, um seine Stimme wiederzufinden.

»Dann hat sie zweifellos den Richtigen geheiratet.« Zedd nickte. »Das hat sie. Und jetzt such deine Sachen zusammen und mach dich auf den Weg nach Aydindril, damit wir unsere Magie wieder in Ordnung bringen können. Wenn wir in Aydindril dann endlich zu dir stoßen, werde ich dir alles über Erilyn – deine Großmutter – erzählen, wozu ich bislang nie Gelegenheit hatte.« Er setzte sein Großvaterlächeln auf. »Wir werden über unsere Familie sprechen.«

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