62

Lächelnd stand Dalton vor einem achteckigen Tisch aus kostbarem Walnussholz im Reliquiar des Büros für Kulturelle Zusammenarbeit, an dessen vier Wänden Gegenstände ausgestellt waren, die ehemaligen Direktoren gehört hatten: Amtsroben; kleine Werkzeuge und Utensilien ihres Berufes, wie Schreibfedern, wundervoll geschnitzte Tintenlöscher und Handschriften. Dalton war damit beschäftigt, Schriften jüngeren Datums durchzusehen: Berichte, die er von den Direktoren angefordert hatte.

Falls die Direktoren zwiespältige Gefühle deswegen hegten, so behielten sie diese für sich. Nach außen hin stürzten sie sich geradezu auf die Aufgabe, den neuen Herrscher zu unterstützen. Man hatte ihnen zu verstehen gegeben, ihre nackte Existenz hänge derzeit nicht nur von ihrer Loyalität, sondern auch von der Begeisterung ab, mit der sie dieser aufopferungsvollen Verehrung nachgingen.

Dalton las gerade das Manuskript der Ansprachen durch, die sie halten sollten, als er sich von den durch das auf den städtischen Platz hinausgehende Fenster hereinkommenden Rufen belästigt fühlte. Dem Geräusch nach handelte es sich um einen aufgebrachten Mob. Nach den lauten Anfeuerungsrufen der Menge zu urteilen, hielt vermutlich gerade jemand eine Schmährede gegen Lord Rahl und die Mutter Konfessor.

Dem Beispiel bekannter Persönlichkeiten wie den Direktoren folgend, waren jetzt auch gewöhnliche Bürger dazu übergegangen, lauthals jene maßgefertigten Meinungen zu verkünden, die man ihnen eingetrichtert hatte. Dalton hatte zwar nichts anderes erwartet, dennoch erstaunte es ihn immer wieder, dass er etwas nur oft genug – und von genügend Personen – wiederholen zu lassen brauchte, bis es zur allseits anerkannten Wahrheit wurde, deren Ursprung sich im Dunkeln verlor, sobald das gemeine Volk sie in der festen Überzeugung nachplapperte, sie sei auf seinem eigenen Mist gewachsen – als sei es geradezu die Regel, dass diesen geistlosen Klotzköpfen originelles Gedankengut entspränge.

Dalton schnaubte bitter, voller Verachtung. Es waren Esel, die das Schicksal, das sie willig akzeptierten, verdient hatten. Jetzt gehörten sie der Imperialen Ordnung. Oder würden dies zumindest bald tun.

Er blickte aus dem Fenster und sah, wie sich eine Menschenmenge ihren Weg auf den Platz bahnte. Die heftigen Regenfälle der vergangenen Nacht waren in einen leichten Nieselregen übergegangen, daher trauten die Menschen sich wieder auf die Straße. Dem anhaltenden dichten Regen war es über Nacht nicht gelungen, die schwarz verkohlten Stellen auf dem Pflaster des Platzes fortzuwaschen, wo die beiden Menschen verbrannt waren.

Natürlich gab die Menge der Magie des Lord Rahl, die ihrem Zorn gegen sie Luft gemacht habe, die Schuld an der Tragödie. Dalton hatte seine Leute angewiesen, diesen Vorwurf voller Bitterkeit zu erheben, wohl wissend, dass die Bedeutung der Beschuldigung weit schwerer wog als der Mangel an Beweisen, von der Wahrheit ganz zu schweigen.

Was tatsächlich vorgefallen war, wusste Dalton nicht. Er wusste aber, es war bei weitem nicht der erste Zwischenfall dieser Art. Wie auch immer, es handelte sich um einen schrecklichen Unglücksfall, doch wenn es schon zu einem Unglück kommen musste, dann hätte es sich kaum einen geeigneteren Zeitpunkt aussuchen können. Es hatte einen perfekten Schlusspunkt unter Direktor Prevots Rede gesetzt.

Dalton überlegte, ob die Brände vielleicht etwas mit Francas Bemerkungen über das Schwinden der Magie zu tun hatten. Er wusste nicht wieso, allerdings war er auch sicher, dass sie ihm nicht alles erzählt hatte.

Auf das Klopfen hin wandte Dalton sich zur Tür. Rowley verbeugte sich.

»Was gibt’s?«

»Minister«, sagte Rowley, »diese – Frau ist hier, die Kaiser Jagang geschickt hat.«

»Wo ist sie?«

»Am Ende des Flures. Sie nimmt gerade ihren Tee.«

Dalton rückte die Scheide an seinem Gürtel zurecht. Dies war keine Frau, die man auf die leichte Schulter nehmen durfte; angeblich verfügte sie über größere Kräfte als bei diesen Frauen sonst üblich. Sogar über größere Kräfte als Franca. Jagang hatte ihm allerdings versichert, dass sie im Gegensatz zu Franca ihre Kraft noch unter Kontrolle hatte.

»Begleite sie zum Anwesen. Bring sie in einem der elegantesten Zimmer unter. Sollte sie dir…« Dalton musste an Francas Fähigkeit des Lauschens denken. »Sollte sie mit irgendwelchen Beschwerden an dich herantreten, sorge dafür, dass du alles zu ihrer Zufriedenheit erledigst. Sie ist ein äußerst wichtiger Gast und muss als solcher behandelt werden.«

Rowley verbeugte sich. »Jawohl, Minister.«

Dalton sah Rowley heimlich feixen. Er wusste ebenfalls, weshalb die Frau hier war. Rowley freute sich bereits darauf.

Dalton wollte die Sache einfach erledigt wissen. Doch Vorsicht war vonnöten; sie mussten einen geeigneten Zeitpunkt abwarten. Erzwingen ließe es sich nicht, da sonst der ganze Plan vereitelt werden konnte. Wenn sie alles richtig machten, wäre es allerdings ein großer Erfolg. Jagang würde mehr als dankbar sein.

»Ich weiß Eure Großzügigkeit zu schätzen.«

Dalton drehte sich um, als er die Frauenstimme vernahm. Sie war in die Türöffnung getreten. Rowley wich zurück, um ihr Platz zu machen.

Sie schien mittleren Alters zu sein; unter ihr schwarzes Haar mischte sich bereits das erste Grau. Ihr schlichtes, unelegantes dunkelblaues Kleid reichte vom Hals über ihren recht grobschlächtigen Körper bis hinunter auf den Boden.

Ihr Erscheinungsbild wurde von einem Lächeln beherrscht, das kaum bis zu ihren Lippen reichte, dafür in ihren braunen Augen um so deutlicher zu erkennen war. Es war das hämischste affektierte Lächeln, das Dalton je gesehen hatte. Bar jeder Scham, verhieß es ein Gefühl von Überlegenheit. Fältchen um Mund und Augen deuteten darauf hin, dass dieses selbstgefällige Lächeln sich auf Dauer in ihr Gesicht geätzt hatte.

Ein goldener Ring durchbohrte ihre Unterlippe.

»Und wer, bitte, seid Ihr?«, fragte er.

»Schwester Penthea. Ich bin gekommen, um meine Fähigkeiten in den Dienst Seiner Exzellenz, Kaiser Jagangs, zu stellen.«

Ihr aalglatter Redefluss war von kristallklarer Frostigkeit durchsetzt.

Dalton neigte seinen Kopf. »Dalton Campbell, Minister für Kultur. Vielen Dank, dass Ihr gekommen seid, Schwester Penthea. Wir wissen das Geschenk Eurer einzigartigen Hilfe überaus zu schätzen.«

Sie war geschickt worden, um ihre Fähigkeiten in Dalton Campbells Dienst zu stellen, er besann sich jedoch eines Besseren und verzichtete darauf, sie allzu deutlich darauf hinzuweisen. Dalton musste sie nicht daran erinnern, dass sie es war, die einen Ring durch ihre Lippe trug; das war für beide offenkundig.

Auf das Geräusch der Schreie blickte Dalton durch das Zimmer und zum Fenster hinaus, im Glauben, es müssten die Eltern oder Familienangehörige sein, die gekommen waren, um den Schauplatz der grässlichen Todesfälle in Augenschein zu nehmen. Den ganzen Vormittag über waren Menschen gekommen und hatten Blumen oder andere Opfergaben am Schauplatz der Todesfälle zurückgelassen, bis dieser einem grotesken Komposthaufen glich. Immer wieder erhoben sich angstvoll gequälte Schreie in den grauen Himmel.

Schwester Penthea kam zur Sache. »Ich muss sehen, wen man für die Tat ausgewählt hat.«

Dalton machte eine Handbewegung. »Rowley hier wird einer von ihnen sein.«

Ohne ein Wort der Warnung klatschte sie ihm die flache Hand gegen die Stirn, schob die gespreizten Finger in seinen roten Schopf und packte seinen Kopf, als wollte sie ihn wie eine reife Birne herunterpflücken. Rowley verdrehte die Augen nach oben. Er begann am ganzen Körper zu zittern.

Mit belegter Stimme murmelte die Schwester einige Worte, die für Dalton keinen Sinn ergaben. Jedes einzelne von ihnen schien gleich nach dem Entweichen in Rowleys Körper Wurzeln zu schlagen. Die Arme des jungen Mannes zuckten, sobald sie bestimmte Worte betonte.

Mit einer letzten, in der Sprechmelodie ansteigenden Floskel versetzte sie Rowleys Kopf einen heftigen Stoß. Einen leisen Schrei ausstoßend, sackte Rowley in sich zusammen, als hätten seine Knochen sich aufgelöst.

Kurz darauf setzte er sich auf und schüttelte den Kopf. Ein Lächeln verriet Dalton, dass es ihm ausgezeichnet ging. Er bürstete seine dunkelbraunen Hosen sauber, erhob sich und sah trotz seiner soeben gewonnenen tödlichen Gefährlichkeit nicht anders aus als zuvor.

»Und die anderen?«, fragte sie.

Dalton machte eine abwehrende Handbewegung. »Rowley wird Euch zu ihnen bringen.«

Sie verneigte sich kaum merklich. »Dann guten Tag, Minister. Ich werde mich augenblicklich darum kümmern. Der Kaiser bat mich außerdem, Euch mitzuteilen, welche Freude es ist, behilflich sein zu können. Ob durch Magie oder Muskelkraft, das Schicksal der Mutter Konfessor ist von nun an besiegelt.«

Sie machte kehrt und rauschte mit Rowley im Schlepptau davon. Dalton konnte nicht behaupten, es tue ihm Leid, sie gehen zu sehen.

Bevor er sich ernsthaft in seine Berichte vertiefen konnte, vernahm er abermals Jubel. Als er den Kopf hob, um aus dem Fenster zu sehen, bot sich ihm ein unerwarteter Anblick. Jemand wurde, gefolgt von einem Mob, auf den Platz gezerrt, während die bereits auf dem Platz stehende Menge sich teilte und den neu Hinzukommenden zujubelte, von denen einige Holzbretter, Äste und Strohbündel heranschleppten.

Dalton trat ganz nah ans Fenster, stützte sich mit beiden Armen auf dem Fensterbrett ab und blickte neugierig hinunter auf das Schauspiel. Es war Serin Rajak, an der Spitze von ein paar hundert seiner Anhänger, alle in weiße Gewänder gekleidet.

Als er sah, wen sie bei sich hatten, wen sie auf den Platz zerrten, wer dort unten schrie, entfuhr Dalton ein lautes Stöhnen.

Klopfenden Herzens starrte er aus dem Fenster und überlegte, was er tun konnte. Er hatte Gardisten in seiner Begleitung, echte Gardisten, keine Soldaten der anderischen Armee, allerdings nur zwei Dutzend Mann. Noch während ihm der Gedanke durch den Kopf ging, wurde ihm dessen Aussichtslosigkeit bewusst. Sie waren zwar bewaffnet, trotzdem hätten sie gegen die eintausend auf dem Platz nicht die geringste Chance. Dalton war nicht so unklug, sich vor einer gewaltbereiten Menschenmenge aufzupflanzen – damit lenkte man bestenfalls die Gewalt auf sich.

Trotz seiner persönlichen Gefühle wagte Dalton nicht, sich in dieser Angelegenheit gegen die Bevölkerung zu stellen.

Unter den Männern in Serin Rajaks Begleitung, mitten unter seinen Gefolgsleuten, erkannte Dalton einen Mann in einer dunklen Uniform: Stein.

Dalton überlief es eiskalt, als er sah, aus welchem Grund Stein dort war und was er beabsichtigte.

Dalton trat vom Fenster zurück. Gewalt war ihm alles andere als fremd, aber dies war abstoßend, ungeheuerlich.

Schließlich lief er zurück in den Flur, in dem seine Schritte widerhallten, eilte die Stufen hinunter und quer durch die Eingangshalle. Er wusste nicht, was er tun sollte, aber wenn es irgendeine Möglichkeit gab…

Er erreichte den hinter gekehlten Säulen draußen vor dem Gebäude zurückversetzten Eingang, am oberen Ende der weiten Freitreppe. Ein gutes Stück weit im Schatten des Gebäudeinneren stehen bleibend, schätzte er die Lage ein.

Draußen auf dem Absatz in der Treppenmitte patrouillierten Gardisten, damit niemand auf die Idee verfiel, das Büro für Kulturelle Zusammenarbeit aufzusuchen. Die Geste war symbolisch. Eine solche Menschenmenge würde die Gardisten mit Leichtigkeit überrennen. Dalton wagte nicht, einer derart aufgeheizten Menge Grund zu geben, ihren Zorn gegen ihn zu richten.

Eine Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand bahnte sich, diesen hinter sich herzerrend, gewaltsam einen Weg bis zur vordersten Reihe der Menge. »Mein Name ist Nora«, verkündete sie den Umstehenden. »Das ist mein Sohn Bruce. Er ist alles, was mir geblieben ist, und schuld sind diese Hexen! Mein Mann Julian ist wegen des bösen Fluches einer Hexe ertrunken! Meine wunderschöne Tochter Bethany wurde durch den Bann einer Hexe bei lebendigem Leibe verbrannt!«

Der Junge, Bruce, bestätigte dies murmelnd und weinte um seinen Vater und seine Schwester. Serin Rajak hielt den Arm der Frau in die Höhe.

»Hier seht ihr ein Opfer der Hexerei des Hüters.« Er zeigte auf eine weinende Frau ganz vorne in der Menge. »Dort ist ein weiteres! Vielen von euch hier wurde durch Flüche und Zaubereien von Hexen Leid zugefügt! Von Hexen, die sich der Gottlosigkeit des Hüters der Toten bedienen!«

Angesichts einer derart bedrohlich aufgebrachten Menge war Dalton klar, dass die Sache kein gutes Ende nehmen konnte, trotzdem hatte er keine Idee, wie er das Geschehen aufhalten konnte.

Schließlich hatte er Serin Rajak aus genau diesem Grund auf freien Fuß gesetzt: um den Zorn gegen jene anzustacheln, die Magie besaßen. Er war darauf angewiesen, dass die Menschen gegen die mit Magie aufgewiegelt wurden und sie als böse betrachteten. Wer war besser geeignet, diesen Hass zu schüren, als ein Eiferer?

»Und hier haben wir die Hexe!« Serin Rajaks Arm schoss vor und zeigte auf die Frau, der man die Hände auf den Rücken gefesselt hatte, die Frau, die Stein bei den Haaren hielt. »Sie ist das schändliche Werkzeug des Hüters! Sie spricht verderbte Banne aus, um euch allen Schaden zuzufügen!«

Der Mob johlte und schrie nach Rache.

»Was sollen wir mit dieser Hexe tun?«, kreischte Rajak.

»Verbrennt sie! Verbrennt sie! Verbrennt sie!«, erscholl monoton die Antwort.

Serin Rajak warf die Arme gen Himmel. »Gütiger Schöpfer, wir vertrauen diese Frau deiner Obhut in den Flammen an. Ist sie unschuldig, erspart ihr das Leid. Ist sie des Verbrechens der Hexerei schuldig, dann verbrenne sie!«

Während einige Männer einen Pfahl errichteten, drückte Stein seine Gefangene mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Mit einer Hand riss er ihren Kopf an den Haaren hoch, mit der anderen hob er sein Messer.

Dalton, die Augen weit aufgerissen, konnte weder blinzeln noch denken, als er mit ansehen musste, wie Stein – von einem Ohr zum anderen, quer über die Stirn der Frau – einen Schnitt anbrachte. Ihr Schrei schien Daltons Eingeweide zu zerfetzen, als Stein ihren Skalp nach hinten riss.

Tränen liefen Dalton über die Wangen, so wie das Blut über Francas Gesicht. Vor Schmerz und unvorstellbarem Entsetzen schreiend, wurde sie hochgehoben und an den Pfahl gefesselt. Das Weiße in ihren Augen schien aus einer blutigen Maske hervorzutreten.

Franca versuchte weder ihre Unschuld zu beteuern noch um ihr Leben zu betteln. Gelähmt vor Entsetzen, konnte sie nichts als schreien.

Um sie herum wurden Stroh und Holz übereinander geworfen. Der Mob drängte nach vorn, wollte ganz nah sein, wollte alles sehen. Einige streckten die Hand aus, um verstohlen ihr blutüberströmtes Gesicht zu streifen, gierig nach einer Erinnerung aus Hexenblut an ihren Fingerspitzen, die ihre Macht bewies, bevor sie sie zum Hüter jagten.

Das Grauen schien ihn an der Kehle zu packen, als Dalton ein Stück die Treppe hinunterwankte.

Männer mit Fackeln bahnten sich grob einen Weg nach vorn, mitten durch den johlenden Mob. Serin Rajak, außer sich vor Wut, erklomm den Haufen aus Holz und Stroh zu ihren Füßen, um Franca ins Gesicht zu brüllen, sie mit jeder nur erdenklichen Gemeinheit zu beschimpfen und sie übelster Verbrechen zu beschuldigen.

Dalton stand auf den Stufen und wusste, dass jedes Wort gelogen war, denn Franca war keines dieser Wesen.

Genau in diesem Augenblick geschah etwas höchst Außergewöhnliches. Ein Rabe stürzte aus dem grauen Himmel herab und bohrte seine wütenden Krallen in Serin Rajaks Haar.

Serin schrie, er sei ein Vertrauter der Hexe, gekommen, um seine Herrin zu beschützen. Die Menge reagierte, indem sie den Vogel mit Gegenständen bewarf, während Serin ihn abzuwehren versuchte. Der Vogel schlug kreischend mit den Flügeln, klammerte sich aber im Haar des Mannes fest.

Mit einer beängstigenden Entschlossenheit, dass Dalton bereits glaubte, der Vorwurf, er sei ein Vertrauter der Hexe, sei wahr, bohrte der tiefschwarze Vogel seinen Schnabel in Serins gesundes Auge und stach es heraus.

Vor Wut und Schmerz schreiend, stürzte der Mann von dem leicht entzündlichen Holz rings um Franca herunter. Im selben Augenblick legte der Mob die Fackeln an.

Ein Wehklagen, wie Dalton es noch nie zuvor gehört hatte, erhob sich von der armen Franca, als die Flammen durch das trockene Stroh hindurch an ihrem Körper in die Höhe schossen. Dalton konnte das verschmorte Fleisch riechen.

Und dann wandte Franca, vom Grauen gepackt, von Schmerzen gequält, inmitten der Flammen sterbend ihren Kopf herum und sah Dalton auf den Stufen stehen.

Sie kreischte seinen Namen. Im Getöse der Menge konnte er ihn nicht verstehen, ihn ihr aber von den Lippen ablesen.

Sie schrie ihn erneut und schrie, sie liebe ihn.

Als Dalton diese Worte von ihren Lippen ablas, zerriss es ihm fast das Herz.

Die Flammen überzogen ihren Körper mit Blasen, bis der aus ihren Lungen hervorgepresste Schrei klang wie das Kreischen der verlorenen Seelen in der Welt der Toten.

Dalton stand da wie betäubt und starrte. Erst in diesem Augenblick wurde er sich bewusst, dass er sich die Hände gegen die Ohren presste und selber schrie.

Die Menge wogte nach vorn, versessen darauf, das brennende Fleisch zu riechen, die Haut der Hexe brennen zu sehen. Sie waren außer sich vor Erregung, in ihren Augen stand der Wahn. Als der Mob vorwärts drängte, wurden die vorne Stehenden so nahe ans Feuer gedrückt, dass es ihnen die Augenbrauen versengte, und selbst das genossen sie, solange die Hexe schreiend brannte.

Unterdessen pickte der Rabe wie besessen auf den geblendeten, fast vergessenen, am Boden liegenden Serin Rajak ein. Der ruderte blind mit den Armen und versuchte den rachsüchtigen Vogel zu vertreiben. Zwischen seinen Armen hindurchschießend, schnappte der große Schnabel des Raben nach seinem Fleisch, drehte und zerrte es ihm Stück für Stück aus dem Gesicht.

Die Menge ging erneut dazu über, den Vogel mit allem zu bewerfen, was griffbereit lag. Der Vogel, dem schließlich die Kräfte auszugehen schienen, schlug hilflos mit den Flügeln.

Aus Gründen, die er selbst nicht begriff, ertappte Dalton sich dabei, wie er dem Vogel unter Tränen zujubelte, obwohl er doch wusste, dass er ebenfalls sterben würde.

Gerade als das Ende des heldenhaften, rächenden Raben gekommen schien, stürmte ein reiterloses Pferd auf den Platz. Eingeschlossen vom Mob, bäumte es sich wütend auf und stieß die Menschen beiseite. Es wirbelte herum und trat aus, verletzte Menschen, brach Knochen, zertrümmerte Schädel. Die Menschen wichen zurück, als das goldfarbene, kastanienbraune Pferd, die Ohren angelegt und mit einem wutschnaubenden Wiehern, mitten unter die Menschen raste. Verängstigte Menschen versuchten zurückzuweichen, waren aber wegen des Drucks der anderen hinter ihnen außerstande, Platz zu machen.

Das Pferd schien vor Wut den Verstand verloren zu haben, es trampelte jeden in seinem Weg nieder, um in die Mitte des Platzes zu gelangen. Dalton hatte noch nie gehört, dass ein Pferd auf ein Feuer zugerannt wäre.

Als es die Mitte der wogenden Menschenmenge erreichte, gelang es dem in einem letzten verzweifelten Aufbäumen mit seinen Flügeln schlagenden Raben auf den Rücken des Pferdes zu springen. Als das Pferd sich herumdrehte, glaubte Dalton für einen Augenblick noch einen weiteren Vogel auf seinem Rücken sitzen zu sehen, als wären es deren zwei, dann aber erkannte er, dass der zweite lediglich ein schwarzer Fleck auf dem Hinterteil des Pferdes war.

Während der Rabe sich mit seinen Krallen an der Mähne des Pferdes festhielt, bäumte sich das Pferd ein letztes Mal auf, bevor es herunterkam und im höchsten Tempo davonstürmte. Wer sich aus dem Weg werfen konnte, tat es. Wer dazu nicht imstande war, wurde von dem rasenden Tier niedergetrampelt.

Als Francas Schreie gnädigerweise verstummt waren, salutierte Dalton vor der Stute und dem rächenden Raben, als das ungewöhnliche Gespann in vollem Galopp aus der Stadtmitte floh.

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