Sich mit den Füßen im Kies abstoßend, ließ Kahlan sich rückwärts in Richards Arme gleiten; sie hatten sich im hüfttiefen Wasser zurückgelehnt und waren so bis zum Hals bedeckt. Kahlan begann, Wasser in einem aufregend neuen Licht zu sehen.
Sie hatte diese perfekte Stelle inmitten des Geflechts aus Bächen gefunden, die das einzigartige Gebiet aus Kiesbänken und zutage tretenden Felsen inmitten des weiten Meeres aus Grasland durchflossen. Ein Stück weiter nordöstlich an den heißen Quellen vorbeimäandernde Rinnsale kühlten das beinahe siedend heiße Wasser. Nur wenige Stellen waren so tief wie die, für die sie sich entschieden hatten, dabei hatten sie mehrere in unterschiedlicher Entfernung von den heißen Quellen ausprobiert, bis sie eine warme gefunden hatten, die ihnen zusagte. Das umliegende Gelände war hinter hohen, schlanken Trieben junger Gräser verborgen, so daß sie ein abgeschiedenes Becken ganz für sich hatten, überkrönt von einem Sonnenhimmel, an dessen strahlend blauen Rändern sich bereits verstohlen die ersten Wolken zeigten. Kühle Böen neigten das Altweibersommergras wellenförmig und wirbelten es in nickenden Wirbeln herum.
Hier draußen in der Ebene konnte sich das Wetter rasch ändern. Das tags zuvor noch warme Frühlingswetter war einer frischen Kälte gewichen. Kahlan wußte, daß sich die Kälte nicht halten würde; der Frühling hatte unwiderruflich eingesetzt, auch wenn der Winter ihnen noch einen Abschiedsgruß schickte. Das warme Wasser in ihrem geschützten Becken kräuselte sich unter der Heftigkeit dieses Grußes.
Über ihnen kreiste im scharfen Wind ein jagender Habicht auf der Suche nach einer Mahlzeit. Kahlan spürte einen Stich des Bedauerns; während sie und Richard sich entspannten und ihren Spaß hatten, würden seine Krallen in Kürze schon ein Leben rauben. Sie hatte eine gewisse Vorstellung davon, was es hieß, das Ziel der Gier nach Fleisch zu sein, wenn der Tod auf Jagd ging.
Irgendwo draußen in der Weite des Graslandes hatten die sechs Jäger in einiger Entfernung Posten bezogen. Cara würde diese äußere Grenzlinie umkreisen wie eine Habichtmutter und die Männer kontrollieren. Da sie alle Beschützer waren, würden sie, vermutete Kahlan, wenn schon nicht die Sprache, so doch wenigstens die Absicht des jeweils anderen verstehen. Beschützer hatten eine ernste Aufgabe zu erledigen, und Cara würde die Nüchternheit, mit der die Jäger dieser Aufgabe nachgingen, mit Sicherheit zu schätzen wissen.
Kahlan schöpfte warmes Wasser auf Richards Oberarme. »Wir hatten zwar nur kurze Zeit für uns allein, für unsere Hochzeit, trotzdem hätte ich mir kein schöneres Fest vorstellen können. Außerdem bin ich froh, daß ich dir diese Stelle hier zeigen konnte.«
Richard gab ihr einen Kuß auf den Hinterkopf. »Das alles wird mir immer in Erinnerung bleiben – die Hochzeitsfeier gestern abend, das Seelenhaus, die Stelle hier.«
Sie strich ihm unter Wasser über seine Schenkel. »Das will ich Euch auch raten, Lord Rahl.«
»Ich habe immer davon geträumt, dir die besonderen, wunderschönen Orte zu zeigen, wo ich aufgewachsen bin. Hoffentlich kann ich dich eines Tages dorthin mitnehmen.«
Er verstummte abermals. Sie nahm an, daß ihm gewichtige Dinge durch den Kopf gingen und er aus diesem Grund so grüblerisch wirkte. So gerne sie es auch manchmal täten, sie durften ihre Pflichten nie vergessen: Armeen erwarteten ihre Befehle, Beamte und Diplomaten in Aydindril warteten ungeduldig auf eine Audienz bei der Mutter Konfessor oder bei Lord Rahl.
Kahlan wußte, daß nicht alle versessen darauf waren, sich dem Kampf um den Frieden anzuschließen; manch einer fand Gefallen an der Tyrannei. Kaiser Jagang und seine Imperiale Ordnung würden ihnen gewiß nicht ihre Aufwartung machen.
»Irgendwann, Richard«, meinte sie leise, während sie mit dem Finger über den dunklen Stein in der feinen Goldkette an ihrem Hals strich.
Am Abend zuvor war die Hexe Shota überraschend zu ihrer Hochzeit erschienen und hatte Kahlan die Halskette zum Geschenk gemacht. Shota hatte erklärt, sie werde verhindern, daß sie ein Kind zeugten. Die Hexe besaß die Gabe, in die Zukunft zu sehen, auch wenn das, was sie sah, sich oft auf unerwartete Weise offenbarte. Mehr als einmal hatte Shota sie vor den verheerenden Folgen ihrer Elternschaft gewarnt und geschworen, ja schwören müssen, kein männliches Kind, das aus der Vereinigung von Kahlan und Richard hervorginge, am Leben zu lassen.
Im Laufe der beschwerlichen Suche nach dem Tempel der Winde hatten Kahlan und Shota sich ein wenig besser kennengelernt, und die beiden waren zu einer Art Übereinkunft gekommen. Die Halskette war ein Versöhnungsgeschenk, eine Alternative zu Shotas Absicht, ihre Nachkommen zu töten. Fürs erste hatte man sich auf einen Waffenstillstand geeinigt.
»Glaubst du, der Vogelmann wußte, wovon er sprach?«
Kahlan blinzelte in den Himmel. »Ich denke schon. Es zieht sich zu.«
»Ich meinte in bezug auf die Hühner.«
Kahlan wand sich in seinen Armen herum. »Die Hühner!« Sie sah mißbilligend in seine grauen Augen. »Er hat behauptet, es sei kein Huhn, Richard. Meiner Meinung nach hat er ein bißchen zuviel gefeiert.«
Sie konnte kaum glauben, daß er sich angesichts all der Dinge, um die sie sich zu kümmern hatten, ausgerechnet darüber den Kopf zerbrach.
Er schien ihre Worte abzuwägen, sagte aber nichts. Dunkle Schatten jagten über das wogende Gras dahin, als sich die Sonne hinter den aufquellenden Rand der hoch in den Himmel ragenden, milchig weißen Wolken mit ihrem grünlich schiefergrauen Kern verzog. Die rauhe Brise roch nach Blei und Regen.
Auf den niedrigen Felsen hinter Richard flatterte sein goldenes Cape im Wind und erregte ihre Aufmerksamkeit. Er schloß die Arme fester um sie. Es war keine liebevolle Geste.
Im Wasser bewegte sich etwas.
Ein kurzes Aufblitzen von Licht.
Vielleicht eine Spiegelung auf den Schuppen eines Fisches. Beinahe sichtbar, und dann doch wieder nicht – wie etwas, das man aus dem Augenwinkel erblickt. Ein direktes Hinsehen blieb ergebnislos.
»Was ist?« fragte sie, als Richard sie weiter nach hinten zog. »Das war doch bloß ein Fisch oder etwas Ähnliches.«
Richard stand mit einer einzigen schnellen Bewegung auf und hob dann auch Kahlan aus dem Wasser. »Oder etwas Ähnliches.«
Wasser tropfte von ihr herab. Nackt und der eiskalten Brise ausgeliefert, suchte sie bibbernd den klaren Bach ab.
»Was denn? Was war das? Was siehst du?«
Sein ebenfalls suchend über das Wasser gleitender Blick zuckte mal hier-, mal dorthin. »Ich weiß es nicht.« Er setzte sie am Ufer ab. »Vielleicht war es tatsächlich nur ein Fisch.«
Kahlan klapperten die Zähne. »Die Fische in diesen Bächen sind nicht mal groß genug, um einem in die Zehe zu beißen. Läßt du mich wieder rein ins Wasser, wenn es nicht gerade eine Schnappschildkröte war? Mir ist kalt.«
Zu seinem Verdruß mußte Richard sich eingestehen, daß er nichts erkennen konnte. Er reichte ihr eine stützende Hand, als sie ins Wasser zurückkletterte. »Vielleicht war es nur ein Schatten, der über das Wasser zog, als die Sonne hinter den Wolken verschwand.«
Kahlan tauchte bis zum Hals ein und stöhnte erleichtert auf, als die schützende Wärme sie umgab. Während sich ihre prickelnde Gänsehaut beruhigte, sah sie sich suchend auf dem Wasser um. Das Wasser war klar und frei von Pflanzen, sie konnte bis auf den kieseligen Grund sehen. Nirgendwo eine Stelle, wo sich eine Schnappschildkröte hätte verstecken können. Richard hatte zwar behauptet, da sei nichts gewesen, doch die Art, wie er das Wasser beobachtete, strafte seine Worte Lügen.
»Meinst du, es war ein Fisch? Oder willst du mir bloß Angst machen?« Sie vermochte nicht zu sagen, ob er tatsächlich etwas gesehen hatte, das ihn besorgt machte, oder ob er einfach nur übertrieben fürsorglich war. »So hatte ich mir unser behagliches Bad nicht vorgestellt. Wenn du wirklich etwas gesehen hast, sag mir, was nicht in Ordnung ist.«
Ein neuer Gedanke durchfuhr sie wie ein Blitz. »Es war doch nicht etwa eine Schlange, oder?«
Er atmete erleichtert auf und schob sein Haar nach hinten. »Ich kann nichts erkennen. Tut mir leid.«
»Bist du sicher? Sollten wir vielleicht besser aufbrechen?«
Er grinste etwas linkisch. »Wahrscheinlich machte es mich nur nervös, mit nackten Frauen in unbekannten Gewässern zu schwimmen.«
Kahlan versetzte ihm einen Stoß in die Rippen. »Geht Ihr oft mit nackten Frauen baden, Lord Rahl?«
Seine Vorstellung von Humor behagte ihr nicht unbedingt, trotzdem wollte sie sich gerade in seine schützenden Arme gleiten lassen, als er mit einem Mal aufsprang.
Kahlan war ebenfalls sofort auf den Beinen, doch Richard stieß sie zurück ins Becken. Sie war noch damit beschäftigt, hustend das Wasser auszuspucken, als er bereits nach ihren Sachen griff.
»Bleib unten!«
Er riß sein Messer aus dem Gürtel, ging angriffsbereit in die Hocke und spähte über das Gras hinweg.
»Es ist Cara.« Er richtete sich auf, um besser sehen zu können.
Kahlan schaute über das Gras hinweg und erblickte einen roten Tupfer, der sich einen schnurgeraden Weg durch die grünbraune Landschaft bahnte. Die Mord-Sith stürmte durch das Gras, durchquerte spritzend die flachen Stellen in den Bächen und kam, so schnell sie konnte, auf sie zugerannt.
Richard warf Kahlan eine Decke zu, während er Caras Näherkommen verfolgte. Kahlan konnte den Strafer in ihrer Faust erkennen.
Jede Mord-Sith trug einen Strafer bei sich, eine magische Waffe, die nur bei ihr funktionierte. Er bereitete unvorstellbare Schmerzen; wenn sie dies wollte, konnte seine Berührung sogar tödlich sein.
Da die Mord-Sith genau jenen Strafer bei sich trugen, den man zu ihrer Ausbildung benutzt hatte, war es überaus schmerzhaft, ihn in der Hand zu halten – Teil des Widerspruchs, wenn man ein Schmerzgeber war. Der Schmerz war ihrem Gesicht jedoch niemals anzumerken.
Cara blieb strauchelnd stehen. Sie war völlig außer Atem. »Ist er hier vorbeigekommen?«
Die linke Seite ihres blonden, verfilzten Haars war blutverklebt, es lief ihr seitlich am Gesicht herunter. Wo sie den Strafer umklammert hielt, waren ihre Knöchel weiß.
»Wer denn?« fragte Richard. »Wir haben niemanden gesehen.«
Ihre Züge verzerrten sich vor Wut und färbten sich tiefrot. »Juni!«
Richard packte sie am Arm. »Was ist passiert?«
Cara wischte sich mit der Rückseite ihres anderen Handgelenks eine blutige Strähne aus den Augen und ließ den Blick suchend über das endlose Grasland schweifen. »Das weiß ich nicht.« Sie knirschte mit den Zähnen. »Aber ich muß ihn finden.«
Cara befreite sich aus Richards Griff, schoß davon und rief: »Zieht Euch an!«
Richard packte Kahlans Handgelenk und zog sie aus dem Wasser. Sie streifte ihre Hosen über und stürzte, hastig ein paar von ihren Kleidungsstücken aufsammelnd, Cara hinterher. Richard, immer noch damit beschäftigt, seine Hosen über die nassen Beine zu zerren, streckte seinen langen Arm aus, bekam ihren Hosenbund zu fassen und riß sie zurück.
»Was fällt dir ein?« fragte er, während er mit seiner anderen Hand noch immer versuchte, seine Hosen überzustreifen. »Du bleibst hinter mir.«
Kahlan befreite sich. »Du hast nicht mal dein Schwert dabei. Ich bin die Mutter Konfessor. Bleibt einfach hinter mir, Lord Rahl.«
Von einem einzelnen Mann drohte einer Konfessor keine große Gefahr; es gab keine Möglichkeit, sich gegen die Kraft einer Konfessor zu schützen. Ohne sein Schwert war Richard verwundbarer als sie.
Von einem Zufallstreffer mit Pfeil oder Speer abgesehen, konnte nichts die Kraft einer entschlossenen Konfessor daran hindern, einen Menschen zu überwältigen, vorausgesetzt, sie kam ihm nahe genug. Die Übertragung ihrer Kraft verband die beiden Personen mit einer Magie, die durch nichts rückgängig gemacht oder aufgehoben werden konnte.
Sie war ebenso endgültig wie der Tod. In gewisser Weise war sie der Tod.
Wer von der Kraft einer Konfessor berührt wurde, war für immer verloren. Er gehörte ihr.
Im Gegensatz zu Richard wußte Kahlan ihre Magie zu gebrauchen. Ihre Ernennung zur Mutter Konfessor war der Beweis für ihre Meisterschaft.
Ungehalten knurrend schnappte Richard sich seinen mit Taschen besetzten Gürtel vom Boden und hastete ihr schließlich hinterher. Er holte sie ein und hielt ihr im Laufen das Hemd, so daß sie ihre Arme in die Ärmel stecken konnte. Sein Oberkörper war nackt; während er seinen Gürtel einhakte, wurde ihm bewußt, daß er lediglich sein Messer bei sich hatte.
Patschend bahnten sie sich ihren Weg durch ein Vielzahl verzweigter flacher Bäche und hasteten durchs Gras, dem gelegentlich aufblitzenden Rot des Leders hinterher. Beim Durchqueren eines Bachlaufs geriet Kahlan ins Straucheln, konnte sich aber auf den Beinen halten. Richard stützte sie mit einer Hand in ihrem Rücken. Sie wußten, es war keine gute Idee, barfuß durch unbekanntes Gelände zu rennen, doch der Anblick von Caras blutverschmiertem Gesicht verbot ihnen, langsamer zu werden.
Cara war für sie mehr als eine Beschützerin, sie war ihre Freundin.
Sie durchquerten mehrere knöcheltiefe, kleine Flußläufe, zwischen denen sie sich stolpernd einen Weg durch das Gras bahnten. Zu spät, um auszuweichen, stieß Kahlan auf einen Tümpel, sprang ab und erreichte nur mit knapper Not das anderer Ufer. Richards Hand in ihrem Rücken erwies sich ein weiteres Mal als Stütze.
Während sie durch das Gras stürzten und durch offenliegende Bäche sprinteten, sah Kahlan, wie sich einer der Jäger in schrägem Winkel von links her näherte. Juni war es nicht.
Plötzlich merkte sie, daß Richard nicht hinter ihr war, und hörte im selben Augenblick seinen Pfiff. Sie blieb, auf dem rutschigen Gras leicht ausgleitend, stehen und mußte sich mit einer Hand auf dem Boden abstützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Richard stand nicht weit hinter ihr in einem Bach.
Er schob zwei Finger zwischen die Zähne und pfiff erneut, länger, lauter, ein durchdringendes Geräusch, das immer höher wurde und die Stille über der Ebene zerriß. Kahlan sah, wie Cara und der andere Jäger sich auf das Geräusch hin umdrehten und anschließend hastig auf sie zugelaufen kamen.
Mühsam nach Atem ringend, trabte Kahlan zu Richard zurück. Er hockte, den Unterarm auf ein Knie gestützt, auf dem anderen im flachen Wasser und beugte sich über dessen Oberfläche.
Juni lag mit dem Gesicht nach unten im Bach, das Wasser bedeckte kaum seinen Kopf.
Kahlan sank neben Richard auf die Knie, strich sich das nasse Haar aus den Augen und kam allmählich wieder zu Atem, während Richard den drahtigen Jäger auf den Rücken drehte. Sie hatte ihn dort im Wasser nicht bemerkt. Die Tarnschicht aus klebrigem Schlamm und Gras, das die Jäger an ihrem Körper feststeckten, hatte den beabsichtigten Zweck erfüllt und ihn unsichtbar gemacht. Zumindest für sie.
Juni wirkte klein und zerbrechlich, als Richard ihm unter die Arme griff, um ihn aus dem eiskalten Wasser zu ziehen. Richards Bewegungen hatten nichts Hastiges, sachte legte er Juni neben dem Bach ins Gras. Kahlan konnte weder Schnittwunden noch Blut entdecken, und seine Glieder schienen alle noch an ihrem Platz zu sein. Sie vermochte es zwar nicht mit Sicherheit zu sagen, doch auch sein Genick sah nicht so aus, als wäre es gebrochen.
Selbst im Tod noch hatte Juni einen seltsam lüsternen Blick in seinen glasigen Augen.
Cara kam angerannt, stürzte sich mit einem Satz auf den Mann und hielt erst inne, als sie sah, daß seine Augen erloschen in den Himmel starrten.
Einer der Jäger kämpfte sich durchs Gras. Er atmete ebenso schwer wie Cara und hielt seinen Bogen mit der Faust umklammert. Seine Finger waren um den Schaft eines Pfeils gekrümmt und hielten ihn fest, schußbereit. Mit dem Daumen seiner anderen Hand drückte er ein Messer in die Handfläche, während er mit Zeige- und Mittelfinger den eingelegten Pfeil festhielt und die Sehne spannte.
Juni war unbewaffnet.
»Was ist mit Juni geschehen?« erkundigte sich der Jäger gebieterisch, während sein Blick die flache Landschaft nach einer Bedrohung absuchte.
Kahlan schüttelte den Kopf. »Er muß gestürzt sein und sich den Kopf auf geschlagen haben.«
»Und sie?« Er deutete mit dem Kopf auf Cara.
»Das wissen wir noch nicht«, antwortete Kahlan, während sie zusah, wie Richard Juni die Augen schloß. »Wir haben ihn eben erst gefunden.«
»Sieht ganz so aus, als hätte er schon eine Weile hier gelegen«, meinte Cara an Richard gewandt.
Kahlan zupfte an dem roten Lederanzug. Cara ließ sich bereitwillig auf das Ufer sinken und hockte sich auf ihre Fersen. Kahlan teilte Caras blondes Haar und untersuchte die Wunde; sie sah nicht besorgniserregend aus.
»Was ist geschehen, Cara? Was wird hier gespielt?«
»Seid Ihr schwer verletzt?« fragte Richard über Kahlans Worte hinweg.
Cara machte eine wegwerfende Bewegung in Richards Richtung, protestierte jedoch nicht, als Kahlan mit der Hand kaltes Wasser schöpfte und versuchte, es über die Platzwunde an ihrer Schläfe zu träufeln. Richard riß ein Büschel Gras aus. Er tauchte es ins Wasser und reichte es Kahlan.
»Nimm das hier.«
Caras eben noch vor Zorn rotes Gesicht war mittlerweile kreideweiß geworden. »Es geht mir gut.«
Kahlan war sich da nicht so sicher, denn Cara wirkte doch etwas zögerlich. Kahlan tupfte ihr die Stirn mit dem feuchten Gras ab, bevor sie das Blut fortwischte. Cara hockte da und ließ die Behandlung über sich ergehen.
»Also, was ist passiert?« fragte Kahlan.
»Ich weiß es nicht«, meinte Cara. »Ich wollte gerade nach ihm sehen, als er schnurstracks durch einen Bach auf mich zugelaufen kam. Vornübergebeugt, so als beobachtete er etwas. Ich rief ihm etwas zu. Ich fragte, wo seine Waffen seien, machte dazu Bewegungen wie zuvor im Dorf und tat, als hätte ich einen Bogen in der Hand, um ihm zu zeigen, was ich meinte.«
Cara schüttelte ungläubig den Kopf. »Er beachtete mich überhaupt nicht, sondern ging wieder dazu über, das Wasser zu beobachten. Ich war im Glauben, er habe seinen Posten verlassen, um irgendeinen dummen Fisch zu fangen, konnte im Wasser aber nichts erkennen. Plötzlich machte er einen Satz nach vorn.« Caras Gesicht bekam mit einem Mal wieder Farbe. »Ich wollte mich gerade nach den Seiten umsehen und das Gelände prüfen, da erwischte er mich in einem unbedachten Augenblick, und mein Fuß glitt unter mir weg. Ich schlug mit dem Kopf gegen einen Stein. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis ich das Bewußtsein wiedererlangte. Es war ein Fehler von mir, ihm zu trauen.«
»Nein, Ihr habt keinen Fehler gemacht«, widersprach Richard. »Wir wissen nicht, was er gejagt hat.«
Unterdessen waren auch die übrigen Jäger eingetroffen. Kahlan hob eine Hand, um zu verhindern, daß sie alle durcheinander fragten. Als sie verstummt waren, übersetzte sie Caras Beschreibung des Vorfalls. Sie hörten sprachlos zu. Dies war einer von Chandalens Männern. Wenn Chandalens Männer jemanden beschützten, verließen sie nicht einfach ihren Posten, um einen Fisch zu fangen.
»Ich möchte mich entschuldigen, Lord Rahl«, meinte Cara kleinlaut. »Es ist mir völlig unverständlich, wie er mich in einem so unachtsamen Augenblick erwischen konnte. Wegen eines dummen Fisches!«
Richard legte ihr besorgt eine Hand auf die Schulter. »Ich bin nur froh, daß Ihr wohlauf seid, Cara. Vielleicht solltet Ihr Euch hinlegen. Ihr seht nicht gut aus.«
»Mein Magen fühlt sich einfach wie umgekrempelt an, das ist alles. Ich ruhe mich ein paar Minuten aus, dann geht es mir wieder prächtig. Wie ist Juni ums Leben gekommen?«
»Er muß im Laufen gestolpert und hingefallen sein«, meinte Kahlan. »Mir wäre fast das gleiche passiert. Er muß sich, genau wie Ihr, den Kopf aufgeschlagen haben und ohnmächtig geworden sein. Leider lag er mit dem Gesicht nach unten im Wasser, als er das Bewußtsein verlor, und ist ertrunken.«
Kahlan wollte dies gerade den übrigen Jägern übersetzen, als Richard sich zu Wort meldete. »Das glaube ich nicht.«
Kahlan hielt inne. »Es muß so gewesen sein.«
»Sieh dir seine Knie an. Sie weisen keine Schürfwunden auf. Auch seine Ellenbogen oder Handballen nicht.« Richard drehte Junis Kopf herum. »Kein Blut, keine Striemen. Wenn er gestürzt ist und dabei das Bewußtsein verloren hat, wieso hat er dann nicht wenigstens eine Beule an seinem Kopf? Die einzigen Stellen, wo der Schlamm von seinem Körper gekratzt wurde, sind seine Nase und das Kinn, weil er mit dem Gesicht im Kiesbett des Baches lag.«
»Soll das heißen, du glaubst nicht, daß er ertrunken ist?« fragte Kahlan.
»Das habe ich nicht gesagt. Aber ich sehe nichts, was auf einen Sturz hindeutet.« Richard untersuchte den Leichnam einen Augenblick lang. »Es sieht so aus, als wäre er ertrunken, zumindest wäre das meine Vermutung. Die Frage ist, wieso?«
Die offene Ebene wirkte plötzlich sehr einsam.
Cara preßte sich das nasse Grasbüschel seitlich gegen den Kopf. »Selbst wenn er seinen Posten verlassen hat, um einen Fisch zu fangen – was schwer vorstellbar ist –, wieso hat er dann all seine Waffen zurückgelassen? Und wie ist es möglich, daß er in wenige Zentimeter tiefem Wasser ertrunken ist, wenn er nicht gestürzt ist und sich den Kopf aufgeschlagen hat?«
Leise weinend streichelten die Jäger zärtlich über Junis junges Gesicht. Richard gesellte sich voller Mitgefühl zu ihnen. »Ich würde gerne wissen, hinter was er hergejagt ist. Weshalb er diesen Blick in den Augen hatte.«