Snip plagten entsetzliche Kopfschmerzen; das frühmorgendliche Licht schmerzte ihm in den Augen. Obwohl er ein kleines Stück Ingwer lutschte, gelang es ihm nicht, den üblen, säuerlichen Geschmack ganz hinten in seinem Hals loszuwerden. Vermutlich stammten die Kopfschmerzen und der fürchterliche Geschmack von den Unmengen an Wein und Rum, die Morley und er sich gegönnt hatten. Trotzdem war er guter Dinge und schrubbte die schmutzverkrusteten Töpfe mit einem Lächeln auf den Lippen.
Er bewegte sich gemächlich und versuchte zu verhindern, daß das Gefühl in seinem Kopf sich noch verschlimmerte, trotzdem verkniff es sich Meister Drummond, ihn anzubrüllen. Der kräftige, dicke Mann schien erleichtert, daß das Fest vorüber war und alle wieder ihren üblichen Küchenarbeiten nachgehen konnten. Der Küchenmeister hatte ihn eine Reihe von Dinge besorgen lassen, ohne ihn jedoch ein einziges Mal ›Schnapp‹ zu rufen.
Snip hörte jemanden kommen, hob den Kopf und sah, daß es Meister Drummond war.
»Wasch dir die Hände, Snip.«
Snip hob die Arme und schüttelte einen Teil des Seifenwassers ab. »Jawohl, Sir.«
Er schnappte sich ein in der Nähe hängendes Handtuch, während ihn ein alles durchdringendes Gefühl des Wohlbehagens daran erinnerte, wie er am Abend zuvor mit ›Sir‹ angesprochen worden war.
Meister Drummond hatte ein eigenes, weißes Handtuch, um sich die Hände daran abzuwischen. Mit seinem schweißgesprenkelten Schädel wirkte er, als hätte er sich am Abend zuvor ebenfalls ordentlich einen genehmigt und sei auch nicht ganz auf der Höhe. Die Vorbereitungen für das Fest hatten eine Unmenge Arbeit bedeutet, daher nahm Snip, wenn auch widerstrebend, an, daß Meister Drummond es ebenfalls verdient hatte, ordentlich einen zu heben. Immerhin wurde der Mann stets mit ›Sir‹ angesprochen.
»Lauf hinauf in Meister Campbells Büro.«
»Sir?«
Meister Drummond stopfte das weiße Handtuch hinter seinen Gürtel. Die in der Nähe stehenden Frauen sahen herüber; Gillie machte schon wieder ein finsteres Gesicht, zweifellos wartete sie auf eine erneute Gelegenheit, Snip das Ohr zu verdrehen und ihn für sein unverschämtes hakenisches Benehmen zu verwünschen.
»Soeben hat Dalton Campbell Bescheid gegeben, daß er dich zu sehen wünscht. Könnte mir denken, damit meinte er jetzt sofort, Snip. Also beeil dich und sieh nach, was er will.«
Snip verbeugte sich. »Ja, Sir, sofort.«
Noch bevor sie dazu kam, ihn groß zu beachten, hatte Snip bereits einen großen Bogen um Gillie geschlagen, um gar nicht erst in ihre Reichweite zu gelangen, und sich so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht. Das war ein Auftrag, auf den er sich nur zu gerne stürzte, außerdem hatte er keine Lust, mit der sauertöpfischen Soßenköchin aneinanderzugeraten.
Als er die Treppe, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinaufsprang, war sein wummernder Schädel kaum mehr als eine geringfügige Beschwernis. Im dritten Stock angelangt, fühlte er sich mit einem Schlag ziemlich gut. Er passierte jene Stelle, wo Beata ihn geohrfeigt hatte, lief dann noch ein kleines Stück weiter rechts in den Flur hinein, bis dorthin, wo er eine Woche zuvor noch spätabends einen Teller mit aufgeschnittenem Fleisch hinaufgebracht hatte, in Dalton Campbells Büro.
Die Tür zum Vorzimmer stand offen. Snip verschnaufte und trat, den Kopf respektvoll gesenkt, zögernd ein. Er war erst ein einziges Mal hier gewesen und nicht völlig sicher, wie er sich im Büro des Adjutanten des Ministers zu benehmen hatte.
Im Zimmer standen zwei Tische. Einer war mit unordentlichen Stapeln von Papieren übersät, zwischen denen zwei Botentaschen und Siegelwachs herumlagen. Der andere, dunkel glänzende Tisch war, von einigen Büchern und einer nicht brennenden Lampe abgesehen, fast leer. Die durch die hohen Fenster hereinfallende Morgensonne spendete reichlich Licht.
An der fernen Wand zur Linken, gegenüber der Fensterseite, lungerten vier junge Burschen auf einer langen, gepolsterten Bank herum und plauderten. Sie unterhielten sich über den Zustand der Straßen in die umliegenden Ortschaften und Städte. Es waren Boten, ein begehrter Posten bei Hofe, daher vermutete Snip, daß es für sie ganz logisch war, sich über dieses Thema zu unterhalten, wenn er auch angenommen hätte, sie würden sich eher über die großartigen Dinge unterhalten, die sie bei ihrer Arbeit zu sehen bekamen.
Die vier waren gut gekleidet, alle auf dieselbe Art, in der vornehmen Livree des Adjutanten des Ministers, die sich aus schweren schwarzen Stiefeln, dunkelbraunen Hosen, weißen Hemden mit Rüschenkragen und mit Ärmeln bestückten Wämsern zusammensetzte, auf die ein ineinander verschlungenes Füllhornmuster gesteppt war. Die Säume der Wämser waren mit ausgeprägten, schwarzbraunen Zopfmustern abgesetzt. In Snips Augen verlieh der Anzug jedem der Boten ein fast nobles Aussehen, vor allem aber jenen, die zum Adjutanten des Ministers gehörten.
Es gab bei Hofe eine ganze Reihe unterschiedlicher Boten, jeder von ihnen hatte eine eigene Uniform, und jeder arbeitete für eine bestimmte Person oder für ein bestimmtes Büro. Snip kannte Boten, die für den Minister arbeiteten, für Lady Chanboor, für das Büro des Kämmerers und das des Polizeichefs; der Ordnungsbeamte hatte mehrere, außerhalb des Anwesens arbeitete eine Reihe von Armeeboten, und schließlich gab es noch jene, die Botschaften auf das Anwesen brachten, aber außerhalb wohnten – sogar die Küche verfügte über einen eigenen Boten. Von Zeit zu Zeit begegnete er noch anderen, die er aber nicht kannte.
Snip verstand nicht, wozu sie alle gebraucht wurden. Ihm war unbegreiflich, wie ein Mensch so viele Botschaften verschicken konnte.
Bei weitem das größte Kontingent an Boten – fast eine komplette Armee, wie es schien – gehörte dem Büro des Hauptadjutanten des Ministers an: Dalton Campbell.
Die vier auf der gepolsterten Bank hockenden jungen Männer betrachteten ihn mit einem durchaus freundlichen Lächeln. Zwei von ihnen begrüßten ihn mit einem Nicken, was Boten schon des öfteren getan hatten, sobald er ihnen begegnet war. Snip war dies stets befremdlich vorgekommen, denn obwohl sie ebenfalls Hakenier waren, glaubte er stets, Boten seien etwas Besseres als er, so als stünden sie, obschon keine Anderier, eine nicht näher zu bestimmende Stufe über einfachen Hakeniern.
Snip erwiderte den Gruß mit einem ebensolchen Nicken. Einer der beiden, die ihm zugenickt hatten – er war leicht ein oder zwei Jahre älter als Snip –, deutete mit dem Daumen auf das dahinterliegende Zimmer.
»Meister Campbell erwartet dich, Snip. Du sollst sofort reingehen.«
Snip war überrascht, daß er beim Namen genannt wurde. »Danke.«
Er schlenderte zu der hohen, in das hintere Zimmer führenden Tür hinüber und blieb wartend auf der Schwelle stehen. Er hatte das Vorzimmer bereits einmal betreten – die Innentür war stets verschlossen gewesen –, daher erwartete er, Meister Campbells Hauptbüro würde mehr oder weniger genauso aussehen, es war jedoch, mit seinen kostbar aussehenden blaugoldenen Vorhängen vor den drei Fenstern, einer Wand mit einem reich verzierten Regal, das eine bunte Ansammlung voluminöser Bände enthielt, und mehreren prachtvollen anderischen Kriegsstandarten in der anderen Ecke, größer und eindrucksvoller. Jedes Banner hatte einen gelben Untergrund mit roten, von ein wenig Blau durchsetzten Mustern. Die Standarten waren zu einem von gewaltig aussehenden Lanzen flankierten Arrangement angeordnet.
Dalton Campbell saß hinter einem schweren Schreibtisch aus poliertem Mahagoni mit geschwungenen Füßen und geriffeltem Rand und sah auf, als er Snip gewahrte. In die Schreibtischplatte waren drei Lederquadrate eingelassen, zwei kleinere rechts und ein größeres links in der Mitte, deren Ränder jeweils mit einem verschlungenen Goldmuster bemalt waren.
»Da wärst du also, Snip. Gut. Mach die Tür zu und komm bitte herein.«
Snip tat, wie ihm geheißen, durchquerte den weitläufigen Raum und blieb vor dem Schreibtisch stehen. »Ja, Sir? Ihr habt einen Wunsch?«
Campbell lehnte sich in seinen braunen Ledersessel zurück. Sein fürstlicher Säbel und sein Schwert lehnten in ihrer eigens in der Form einer Schriftrolle angefertigten Halterung aus getriebenem Silber an einer mit Troddeln versehenen Bank, doch da Snip nicht lesen konnte, wußte er nicht, ob es sich um richtige Worte handelte.
Der Adjutant kippte seinen Sessel auf die beiden hinteren Beine und musterte, an einer gläsernen Schreibfeder nuckelnd, Snips Gesicht.
»Du hast gute Arbeit geleistet bei Claudine Winthrop.«
»Vielen Dank, Sir. Ich hab versucht, mir ganz genau zu merken, was Ihr mir zu sagen und zu tun aufgetragen habt.«
»Und das hast du recht gut gemacht. Manch einer wäre zimperlich geworden und hätte meine Anweisungen mißachtet. Für Männer, die Befehle befolgen und sich genau merken, was ich von ihnen verlange, habe ich stets Verwendung.
Genau genommen möchte ich dir eine neue Stellung in meinem Büro anbieten, als Bote.«
Snip starrte benommen. Die Worte hatte er gehört, sie schienen ihm jedoch keinen Sinn zu ergeben. Dalton Campbell hatte Boten im Überfluß – dem Anschein nach eine ganze Armee.
»Sir?«
»Du hast deine Sache gut gemacht. Ich möchte, daß du einer meiner Boten wirst«
»Ich, Sir?«
»Die Arbeit ist leichter als Küchenarbeit, außerdem bringt die Stellung, im Gegensatz zur Arbeit in der Küche, zusätzlich zu Kost und Logis ein Gehalt ein. Mit einem Gehalt könntest du beginnen, Geld für deine Zukunft auf die Seite zu legen. Eines Tages, wenn du dir den Titel ›Sir‹ verdient hast, kannst du dir vielleicht sogar etwas kaufen. Ein Schwert vielleicht.«
Snip stand da wie erstarrt und konzentrierte seine Gedanken aufmerksam auf Dalton Campbells Worte, die er sich ein ums andere Mal durch den Kopf gehen ließ. Er hätte sich nie träumen lassen, jemals als Bote zu arbeiten. Eine Arbeit, die mehr einbrachte als ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen, die Möglichkeit, ein bißchen guten Schnaps zu stehlen und ab und zu vielleicht einen Penny extra, wäre ihm nie in den Sinn gekommen.
Selbstverständlich träumte er davon, ein Schwert zu besitzen, zu lesen und andere Dinge zu tun, aber das waren doch alberne Träume, und das wußte er auch. Tagträume. Nie hätte er sich getraut, Dinge zu träumen, die so nahe an der Wirklichkeit lagen wie die Tatsache, tatsächlich ein Bote zu werden.
»Nun, wie lautet deine Antwort, Snip? Möchtest du als Bote für mich arbeiten? Natürlich kannst du unmöglich weiter diese … Kleider tragen. Du müßtest die Livree der Boten anlegen.« Dalton Campbell beugte sich über den Schreibtisch und musterte ihn. »Stiefel gehören auch dazu. Du müßtest Stiefel tragen, wenn du als Bote arbeiten willst.
Außerdem müßtest du in ein neues Quartier umziehen. Die Boten wohnen in einem Gemeinschaftsquartier. Betten, keine Strohlager. Die Betten haben Laken. Selbstverständlich müßtest du dein Bett machen und deine eigene Truhe in Ordnung halten, aber Kleidung und Bettzeug der Boten wird vom Personal gewaschen.
Was meinst du, Snip? Möchtest du meinem Botenstab beitreten?«
Snip mußte schlucken. »Was ist mit Morley, Meister Campbell? Morley hat auch getan, was Ihr verlangt habt. Könnte er mit mir gemeinsam Bote werden?«
Das Leder knarzte, als Dalton Campbell seinen Sessel abermals auf seine beiden hinteren Beine kippte. Er nuckelte eine Weile an seiner mit einer blauen Spirale versehenen Schreibfeder aus durchsichtigem Glas und blickte Snip prüfend in die Augen. Schließlich nahm er die Feder aus dem Mund.
»Im Augenblick benötige ich nur einen Boten. Es wird Zeit, daß du anfängst, an dich selbst zu denken, Snip. An deine Zukunft. Willst du den Rest deines Lebens Küchenbursche sein? Die Zeit ist gekommen, daß du tust, was für dich richtig ist, Snip, wenn du es im Leben je zu etwas bringen willst. Dies ist deine Chance, aufzusteigen und diese Küche hinter dir zu lassen. Vielleicht ist es die einzige Chance, die du je erhältst. Ich biete dir die Stellung, nicht Morley. Nimm sie an oder laß es bleiben. Wie lautet also deine Antwort?«
Snip benetzte sich die Lippen. »Nun, Sir, ich mag Morley – er ist mein Freund. Aber es gibt wohl auf der ganzen Welt nichts, was ich lieber täte, als Euer Bote zu werden, Meister Campbell. Wenn Ihr mich wollt, dann nehme ich die Stellung an.«
»Gut. Dann also willkommen im Stab, Snip.« Er lächelte freundlich. »Deine Treue deinem Freund gegenüber ist bewundernswert. Ich hoffe, du empfindest diesem Büro gegenüber ebenso. Ich werde … Morley fürs erste eine Teilzeitstellung einrichten. Wahrscheinlich wird irgendwann in der Zukunft ein Posten frei, dann kann er zu dir in den Botenstab aufrücken.«
Snip nahm die Neuigkeit mit Erleichterung auf. Er verlöre seinen Freund nur äußerst ungern, andererseits täte er alles, um aus der Küche von Meister Drummond rauszukommen und Bote zu werden.
»Das ist wirklich großzügig von Euch, Sir. Morley wird Euch bestimmt nicht enttäuschen. Und ich auch nicht, das schwöre ich.«
Dalton Campbell beugte sich abermals vor, bis die Vorderbeine seines Sessels mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden landeten. »Also gut.« Er schob ein gefaltetes Blatt Papier über den Schreibtisch. »Bring das zu Meister Drummond. Darin steht, daß ich dich als Bote in Dienst genommen habe und du ihm nicht länger unterstellt bist. Ich dachte, vielleicht möchtest du diese Botschaft eigenhändig überbringen, als deinen ersten offiziellen Auftrag.«
Snip hätte am liebsten einen Luftsprung gemacht und einen Jubelschrei ausgestoßen, statt dessen verharrte er regungslos, wie ein Bote dies seiner Ansicht täte. »Ja, Sir, sehr gerne.« Er merkte, daß auch seine Körperhaltung straffer geworden war.
»Gleich im Anschluß daran wird dich dann einer meiner anderen Boten, Rowley, zur Rüstkammer des Anwesens bringen. Dort wird man dir eine Livree zuteilen, die fürs erste gut genug sitzen dürfte. Die Näherin dort unten wird dann bei dir Maß nehmen, damit dein neuer Anzug geschneidert werden kann.
Solange meine Boten bei mir Dienst tun, verlange ich von jedem einzelnen, daß er eine elegante, maßgeschneiderte Livree trägt. Ich erwarte von meinen Boten, daß sie ein gutes Licht auf mein Büro werfen. Das bedeutet, sowohl du als auch deine Kleidung müssen sauber sein, deine Stiefel gewichst, dein Haar gebürstet. Du wirst dich stets anständig benehmen. Das Nähere wird dir Rowley erläutern. Wirst du das schaffen, Snip?«
Snip zitterten die Knie. »Ja, Sir. Ganz bestimmt, Sir.«
Als er an die neuen Kleider dachte, die er tragen würde, schämte er sich plötzlich wegen seines Äußeren, das bestimmt schmutzig und schäbig wirkte. Noch vor einer Stunde war er mit seinem Aussehen, so wie es war, ganz zufrieden gewesen, doch das war vorbei. Er konnte es kaum abwarten, aus den Küchenjungenlumpen rauszukommen.
Und er fragte sich, was Beata denken würde, wenn sie ihn in seiner schicken neuen Botenlivree sähe.
Dalton Campbell schob eine Ledertasche über den Schreibtisch.
Die Klappe war mit einem großen Klecks bernsteinfarbenen Siegelwachses versehen, in das ein Weizengarbensiegel geprägt war.
»Sobald du dich gewaschen und deinen neuen Anzug angezogen hast, möchte ich, daß du diese Tasche zum Büro für Kulturelle Zusammenarbeit in Fairfield bringst. Weißt du, wo das ist?«
»Ja, Sir, Meister Campbell. Ich bin in Fairfield aufgewachsen und kenne dort fast alles.«
»So hat man mir berichtet. Bei uns gibt es Boten aus ganz Anderith, und größtenteils bearbeiten sie die Gegenden, die sie kennen – wo sie aufgewachsen sind. Da du in Fairfield aufgewachsen bist, wirst du meistens für die Arbeit in diesem Gebiet abgestellt werden.«
Dalton Campbell lehnte sich zurück und nahm einen Gegenstand aus seiner Tasche. »Das ist für dich.« Er schnippte ihn durch die Luft.
Snip fing ihn auf und starrte ungläubig auf den Silbersovereign in seiner Hand. Nicht einmal die meisten Reichen, hatte er angenommen, trugen einen so großen Betrag mit sich herum.
»Aber Sir, ich habe doch noch gar keinen Monat gearbeitet.«
»Das ist nicht dein Botengehalt. Dein Gehalt bekommst du jeweils am Ende des Monats.« Dalton Campbell zog eine Braue hoch. »Ich möchte damit meine Anerkennung für deine Arbeit gestern abend zum Ausdruck bringen.«
Claudine Winthrop. Das war es, was er meinte – daß er Claudine Winthrop so weit eingeschüchtert hatte, bis sie den Mund hielt.
Sie hatte Snip mit ›Sir‹ angeredet.
Snip legte die Silbermünze auf den Schreibtisch. Mit einem Finger schob er sie widerstrebend ein paar Zoll in Dalton Campbells Richtung.
»Dafür seid Ihr mir nichts schuldig, Meister Campbell. Ihr habt mir nie eine Belohnung dafür versprochen. Das hab ich getan, weil ich Euch helfen wollte und um den zukünftigen Herrscher zu schützen, nicht wegen einer Belohnung. Ich kann kein Geld annehmen, das mir nicht zusteht.«
Der Adjutant lächelte bei sich. »Nimm die Münze, Snip. Das ist ein Befehl. Wenn du die Tasche in Fairfield abgeliefert hast, habe ich heute nichts mehr für dich, ich möchte daher, daß du einen Teil davon ausgibst – oder alles, wenn du willst, und zwar für dich. Mach dir einen schönen Tag. Kauf dir Süßigkeiten, oder etwas zum Trinken. Das Geld gehört dir, du kannst damit machen, was du willst.«
Snip unterdrückte seine Aufgeregtheit. »Ja, Sir. Danke, Sir. Dann werde ich also tun, was Ihr verlangt.«
»Gut. Da wäre allerdings noch etwas.« Campbell stützte einen Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich vor. »Gib es nicht für die Prostituierten in der Stadt aus. Dieses Frühjahr gehen unter den Huren in Fairfield einige äußerst unangenehme Krankheiten um. Es wäre eine höchst unschöne Art zu sterben. Wenn du zur falschen Hure gehst, lebst du nicht mehr lange genug, um ein guter Bote zu werden.«
Die Vorstellung, mit einer Frau zusammenzusein, hatte zwar etwas geradezu quälend Verlockendes, Snip sah jedoch nicht recht, wie er jemals den Mumm aufbringen sollte, die Sache bis zum Ende durchzustehen und sich vor einer nackt auszuziehen. Er mochte es, Frauen anzusehen, so wie er Claudine Winthrop gerne betrachtete oder auch Beata, und er stellte sie sich gerne nackt vor, nie jedoch stellte er sich vor, sie könnten ihn nackt sehen, womöglich noch in erregtem Zustand. Es bereitete ihm genug Mühe, seinen erregten Zustand vor den Frauen zu verbergen, wenn er angezogen war. Er sehnte sich danach, mit einer Frau zusammenzusein, vermochte sich aber einfach nicht vorzustellen, daß die Peinlichkeit der Situation nicht alles Lustvolle nehmen würde.
Wenn es sich um ein Mädchen handelte, das er kannte und mochte, das er eine Weile küßte und liebkoste und dem er den Hof machte – das er richtig gut kennenlernte –, vielleicht konnte er sich dann vorstellen, zur Sache zu kommen, aber wie jemand zu einer Frau, die er nicht einmal kannte, gehen und sich vor ihr nackt ausziehen konnte, war ihm völlig unbegreiflich.
Vielleicht, wenn es dunkel wäre. Vielleicht war das der Trick. Vielleicht war es in den Zimmern der Prostituierten dunkel, so daß die beiden Menschen sich in Wirklichkeit gar nicht sehen konnten. Trotzdem würde er…
»Snip?«
Snip räusperte sich. »Nein, Sir. Ich schwöre es, ich werde in Fairfield zu keiner Prostituierten gehen. Nein, Sir, ganz bestimmt nicht.«