14

Zedd wachte auf, als im Zimmer nebenan die Tür geschlossen wurde. Er öffnete ein Auge, gerade weit genug, um zur Türöffnung hinüberzublinzeln, als dort das Fell zur Seite geschoben wurde.

Seine Anspannung legte sich ein wenig, als er sah, daß es Nissel war. Die bucklige Heilerin ließ sich Zeit und kam gemächlich durch den Raum geschlurft.

»Sie sind fort«, verkündete sie.

»Was hat sie gesagt?« flüsterte Ann. Auch sie hatte ein Auge geöffnet, gerade weit genug, um hindurchzuspähen.

»Bist du sicher?« erkundigte sich Zedd leise bei Nissel.

»Sie haben alles eingepackt, was sie mitgebracht hatten, und haben Speisen für die Reise zusammengesucht. Einige der Frauen halfen ihnen, indem sie Vorräte für ihre Verpflegung zusammenstellten. Ich gab ihnen Kräuter, die gegen kleinere Krankheiten nützlich sein könnten. Unsere Jäger überließen ihnen Wasserschläuche und Waffen. Ich mußte ihnen versprechen, alles zu tun, um eure Gesundheit zu erhalten.«

Nissel kratzte sich am Kinn. »Kein besonders großartiges Versprechen, wie ich finde.«

»Hast du gesehen, wie sie aufgebrochen sind?« hakte Zedd nach. »Du bist sicher, daß sie nicht mehr hier sind?«

Nissel drehte sich ein Stück herum und deutete mit einer fahrigen Handbewegung nach Nordosten. »Sie sind aufgebrochen, alle drei. Ich habe zugesehen, wie sie loszogen, genau wie du es von mir verlangt hast, denn ich ging mit allen anderen zum Dorfrand. Die meisten aus unserem Volk wollten sie ein Stück hinaus ins Grasland begleiten, um länger bei ihnen bleiben zu können und um unsere neuen Schlammenschen von dannen ziehen zu sehen. Diese Leute bedrängten mich, sie zu begleiten, also ging auch ich hinaus ins Grasland, obwohl meine Beine nicht mehr so flink sind wie früher. Für einen kurzen Spaziergang jedoch, entschied ich, wären sie noch flink genug.

Wir waren alle schon ein gutes Stück gegangen, als Richard uns drängte, umzukehren und nicht unnötig draußen im Regen zu verweilen. Vor allem trieb ihn die Sorge, daß ich zurückkehre und mich um euch beide kümmere. Vermutlich konnten sie es kaum erwarten, endlich zügig voranzukommen, schließlich hielten wir alle sie mit unserer Langsamkeit auf, nur waren sie zu taktvoll, diese Gedanken uns gegenüber auszusprechen.

Richard und Kahlan umarmten mich und wünschten mir alles Gute. Die Frau in dem roten Lederanzug umarmte mich nicht, sondern neigte zum Zeichen ihres Respekts den Kopf, und Kahlan übersetzte mir ihre Worte. Ich sollte wissen, daß sie Richard und Kahlan beschützen würde. Sie ist eine gute Frau, diese seltsame Frau in Rot, auch wenn sie kein Schlammensch ist. Ich wünschte ihnen alles Gute.

Wir alle, die wir hinaus ins Grasland marschiert waren, standen im Nieselregen und winkten, als die drei Richtung Nordosten weiterzogen, bis sie zu kleinen Punkten geschrumpft waren, die man nicht mehr sehen konnte. Schließlich mahnte uns der Vogelmann, das Haupt zu neigen. Unter seiner Anleitung baten wir alle zusammen unsere Ahnenseelen, über unsere neuen Stammesmitglieder zu wachen und sie auf ihrer Reise zu beschützen. Dann rief er einen Habicht herbei und trug ihm auf, sie ein Stück des Weges zu begleiten, als Zeichen dafür, daß wir im Herzen bei ihnen seien. Wir warteten, bis wir den Habicht nicht mehr am Himmel über ihnen kreisen sahen, danach kamen wir umgehend hierher zurück.«

Den Kopf leicht in seine Richtung geneigt, zog Nissel eine Braue hoch. »Stellt dich das mehr zufrieden als meine einfache Bemerkung, sie seien fort?«

Zedd räusperte sich. Offenbar übte sich die Frau in Sarkasmus, wenn es gerade nichts zu heilen gab.

»Was hat sie gesagt?« wiederholte Ann ihre Frage.

»Sie sagt, sie seien fort.«

»Ist sie auch wirklich sicher?« erkundigte sich Ann.

Zedd schlug seine Decke zurück. »Woher soll ich das wissen? Die Frau schwatzt viel. Ich glaube allerdings, sie haben sich tatsächlich auf den Weg gemacht.«

Ann warf ihre Wolldecke ebenfalls zur Seite. »Ich dachte schon, ich müßte mich unter diesem kratzigen Ding zu Tode schwitzen.«

Die ganze Zeit über hatten sie still und geduldig unter der Decke ausgeharrt, aus Angst, Richard könnte wegen irgendeiner Frage, die zu stellen er vergessen hatte, oder wegen eines neuen Einfalls noch einmal unvermittelt bei ihnen ins Zimmer schneien. Der Junge verfiel des öfteren auf solche Überraschungen. Zedd wollte nicht riskieren, sich voreilig zu verraten, schließlich sollten ihre Pläne nicht durch eine Unvorsichtigkeit vereitelt werden.

Während des Wartens hatte Ann mißmutig vor sich hin geschwitzt, Zedd hatte ein Nickerchen gehalten.

Erfreut über Zedds Bitte, ihnen zu helfen, hatte Nissel versprochen, die Augen offenzuhalten und ihnen gleich nach dem Aufbruch der drei Bescheid zu sagen. Sie meinte, die Alten müßten zusammenhalten, denn die einzige Waffe gegen die Jugend sei Gerissenheit – was Zedd nur bestätigen konnte. Sie hatte dabei ein Funkeln in den Augen, das Ann bewog, in einer Mischung aus Verwirrung und Verdruß die Stirn zu runzeln.

Zedd klopfte sich das Stroh aus den Kleidern, sein Rücken schmerzte. Schließlich umarmte er die Heilerin. »Vielen Dank für deine Hilfe, Nissel. Ich weiß das überaus zu schätzen.«

Sie kicherte leise an seiner Schulter. »Was immer du willst.« Als sie sich voneinander lösten, kniff sie ihn ins Hinterteil.

Zedd zwinkerte ihr zu. »Wie wär’s mit etwas Tava mit Honig, Schätzchen?«

Nissel errötete; Anns Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. »Was plauderst du da mit ihr?«

»Oh, ich habe ihr gerade erklärt, ich wußte ihre Hilfe zu schätzen, und ich habe sie gefragt, ob wir etwas zu essen bekommen könnten.«

»Das sind die kratzigsten Decken, die mir je untergekommen sind«, brummte Ann, während sie sich heftig an den Armen juckte. »Sag Nissel, ich wußte ihre Hilfe ebenfalls zu würdigen, aber wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich darauf verzichten, mich deshalb von ihr in den Hintern kneifen zu lassen.«

»Ann schließt sich meinem aufrichtigen Dank an. Außerdem ist sie viel älter als ich.« Bei den Schlammenschen verlieh das Alter den Worten Gewicht.

Nissels Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, während sie ihn wie vernarrt in die Wange kniff. »Ich werde euch beiden etwas Tee und Tava holen gehen.«

»Sie scheint ziemlich verrückt nach dir zu sein.« Sich das Haar aus dem Gesicht streichend, beobachtete Ann, wie die Heilerin unter dem die Tür verhängenden Fell hindurchtauchte.

»Warum auch nicht?«

Ann verdrehte die Augen und bürstete anschließend das Stroh von ihrem dunklen Kleid. »Wann hast du eigentlich die Sprache der Schlammenschen gelernt? Weder Richard noch Kahlan gegenüber hast du je etwas davon erwähnt, daß du ihre Sprache sprichst.«

»Ach, das ist lange her. Ich weiß eine ganze Menge, aber ich rede nicht ständig darüber. Außerdem halte ich es stets für das beste, wenn man sich ein wenig Spielraum läßt, manchmal erweist sich das als ganz nützlich, wie zum Beispiel jetzt. Rundheraus gelogen habe ich eigentlich nie.«

Mit einem Brummen tief in ihrer Kehle mußte sie ihm notgedrungen recht geben. »Es war vielleicht nicht gelogen, aber zumindest eine bewußte Irreführung.«

Zedd lächelte sie an. »Übrigens, wo wir gerade von Irreführung sprechen, ich fand deine Vorstellung brillant. Sehr überzeugend.«

Ann war verblüfft. »Nun, ich … ja, danke, Zedd. Ich war wohl wirklich recht überzeugend.«

Er tätschelte ihre Schulter. »Das warst du allerdings.«

Ihr Lächeln ging in ein argwöhnisches Stirnrunzeln über. »Versuche nicht, mir Honig ums Maul zu schmieren, alter Mann. Ich bin sehr viel älter als du, mir kann man nichts mehr vormachen.« Sie drohte ihm mit dem Finger. »Du weißt ganz genau, daß ich böse auf dich bin!«

Zedd legte seine Fingerspitzen an die Brust. »Böse? Mit mir? Was habe ich verbrochen?«

»Was du verbrochen hast? Muß ich dich an das Wort ›Lauer‹ erinnern?« Mit hocherhobenen Armen im Kreis herumstolzierend, die Handgelenke angewinkelt, die Finger zu Krallen gebogen, äffte sie einen bösen Geist nach. »Oh, wie beängstigend. Hier kommt ein Lauer. Oh, wie entsetzlich. Ach, wie überaus furchteinflößend.«

Sie stampfte mit den Füßen auf und blieb vor ihm stehen. »Was geht eigentlich in deinem hirnlosen Schädel vor! Was ist nur in dich gefahren, lauthals einen so idiotischen Ausdruck wie Lauer in die Welt zu setzen? Hast du den Verstand verloren?«

Zedd schmollte empört. »Was ist mit dem Wort Lauer nicht in Ordnung?«

Ann stemmte die Hände in ihre breiten Hüften. »Was damit nicht in Ordnung ist? Was ist ›Lauer‹ nur für ein Name für ein Monstrum aus dem Reich der Phantasie!«

»Nun, eigentlich ein ganz passender.«

»Ein passender! Ich hatte fast einen Herzanfall, als du damit rausgerückt bist, denn ich war der festen Überzeugung, Richard würde merken, daß wir uns eine Geschichte ausdenken, und jeden Augenblick lauthals losprusten. Ich hatte alle Mühe, nicht selber loszuprusten!«

»Loszuprusten? Warum sollte er bei dem Wort ›Lauer‹ losprusten? Das Wort ist absolut passend. Es beinhaltet alles, was zu einem furchteinflößenden Geschöpf gehört.«

»Hast du den Verstand verloren? Ich mußte mir von Zehnjährigen, die ich bei irgendeinem Schabernack erwischt hatte, Geschichten von Monstern anhören, die sie angeblich heimsuchten. Ich hatte sie bereits bei den Ohren, da sind ihnen auf der Stelle aber bessere Namen als ›Lauer‹ für ein Monster eingefallen, mein Lieber. Hast du überhaupt eine Vorstellung, wieviel Mühe es mich gekostet hat, mich zusammenzureißen? Wäre das Problem nicht so ernst gewesen, es wäre mir wohl kaum gelungen. Und als du heute unbedingt noch einmal davon anfangen mußtest, hatte ich Angst, unsere List würde nun doch noch auffliegen.«

Zedd verschränkte die Arme. »Ich habe nicht bemerkt, daß jemand gelacht hätte, im Gegenteil, die drei fanden es beängstigend. Ich glaube, als ich den Namen zum erstenmal aussprach, hatte ich Richard für einen Augenblick soweit, daß ihm die Knie zitterten.«

Ann schlug sich mit der Hand vor die Stirn und brummte: »Es war reines Glück, daß unsere List nicht aufgeflogen ist. Du hättest mit deiner Torheit beinahe alles ruiniert.« Sie schüttelte den Kopf. »Ein Lauer. Ein Lauer!«

Zedd argwöhnte, daß es ihre Enttäuschung und aufrichtige Angst war, die so vehement zum Ausbruch kam, daher ließ er sie in Ruhe, als sie tobend auf und ab lief. Schließlich blieb sie stehen und hob wutschnaubend den Kopf.

»Wo in aller Schöpfung hast du nur einen so blöden Namen für ein Ungeheuer her? Ein Lauer, daß ich nicht lache«, setzte sie murmelnd hinzu.

Zedd kratzte sich am Hals und räusperte sich. »Nun, um die Wahrheit zu sagen, in meiner Jugend – ich war gerade verheiratet – brachte ich ein Kätzchen für meine frischgebackene Braut mit nach Hause. Sie liebte das kleine Ding und mußte immerzu über seine Possen lachen. Ich freute mich wie ein Schneekönig, als ich die Freudentränen in Erilyns Augen sah, wann immer sie sich über dieses kleine Fellknäuel amüsierte.

Ich fragte sie, wie sie das Kätzchen nennen wolle, und sie meinte, sie habe so viel Spaß daran, wie es unablässig auf der Lauer lag, um sich auf irgendwelche Dinge zu stürzen, daß sie es Lauer nennen wolle. Daher also der Name, er hat mir wegen dieser Geschichte immer schon gefallen.«

Ann verdrehte die Augen; seufzend ließ sie sich seine Worte durch den Kopf gehen. Sie öffnete den Mund und wollte eine Bemerkung machen, besann sich dann aber eines Besseren, seufzte abermals und tätschelte ihm statt dessen ermutigend den Arm.

»Nun, wenigstens ist nichts passiert«, räumte sie ein. Sie bückte sich und angelte mit einem Finger nach der Decke. Während sie dastand und sie zusammenlegte, fragte sie: »Und das Fläschchen? Von dem du Richard erzählt hast, es befände sich in der Enklave des Obersten Zauberers in der Burg? Welchen Ärger wird es wohl verursachen, wenn er es zerbricht?«

»Ach, das war einfach ein Fläschchen, das ich zufällig auf einer meiner Reisen auf einem Markt gekauft habe. Als ich es sah, war ich augenblicklich eingenommen von der Meisterschaft, die erforderlich gewesen sein mußte, einen Gegenstand von solcher Schönheit und Anmut herzustellen. Nach langem Hin und Her gelang es mir schließlich, den Händler mürbe zu machen und es für einen außergewöhnlich günstigen Preis zu erstehen. Das Fläschchen gefiel mir so gut, daß ich es bei meiner Rückkehr auf ein Postament stellte. Außerdem sollte es mich daran erinnern, daß ich es aufgrund meines Verhandlungsgeschicks zu einem bemerkenswert günstigen Preis erwerben konnte. Ich fand, dort käme es gut zur Geltung, zudem war ich auch ein wenig stolz auf mich.«

»Was für ein gerissener Kerl du doch bist«, meinte Ann hinterhältig.

»Ja, das ist wahr. Wenig später fand ich ein ebensolches Fläschchen für die Hälfte des Preises, und zwar ohne Feilscherei. Ich ließ das Fläschchen dort auf dem Postament stehen, als Warnung, nicht hochnäsig zu werden, nur weil ich Oberster Zauberer war. Es ist nichts weiter als ein altes Fläschchen, das ich als warnende Erinnerung aufbewahrt habe. Es kann nichts Schlimmes passieren, wenn Richard es zerbricht.«

Stillvergnügt in sich hineinlachend, schüttelte Ann den Kopf. »Mir wird angst und bange bei der Vorstellung, was ohne die Gabe aus dir geworden wäre.«

»Ich fürchte, genau das werden wir bald herausfinden.«

Seine Magie ließ bereits nach, er hatte Schmerzen in den Knochen und verspürte eine Schlaffheit in den Muskeln. Und es würde noch schlimmer werden.

Anns Lächeln erlosch, als ihr die bittere Wahrheit seiner Worte bewußt wurde.

»Ich begreife das nicht. Was du Richard erzählt hast, war korrekt. Um die in den Grußformeln genannten Chimären in diese Welt zu rufen, hätte Kahlan seine dritte Ehefrau sein müssen. Wir wissen, daß die in den Grußformeln Genannten hier sind, und doch ist es unmöglich.

Selbst wenn man die verschlungenen Methoden berücksichtigt, nach denen die Magie Begebenheiten deutet, um die für das Auslösen eines Ereignisses erforderlichen Voraussetzungen und Bedingungen als erfüllt festzusetzen, kann sie im ungünstigsten Fall nur als seine zweite Ehefrau betrachtet werden. Da war zum einen dieses andere Mädchen, diese Nadine, und anschließend Kahlan. Eins und eins ergibt zwei. Kahlan kann höchstens Nummer zwei sein.«

Zedd zuckte mit den Achseln. »Wir wissen, daß die in den Grußformeln Genannten freigesetzt worden sind. Das ist das Problem, dem wir uns widmen müssen, nicht wie es dazu kam.«

Ann gab ihm mit einem Nicken widerstrebend recht. »Glaubst du, dieser Enkelsohn von dir wird tun, was er sagt, und sich auf kürzestem Weg zur Burg der Zauberer begeben?«

»Er hat es versprochen.«

Ann hob den Kopf und sah ihn an. »Wir reden hier über Richard.«

Zedd breitete in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände aus. »Ich wüßte nicht, was wir sonst hätten tun sollen, um sicherzustellen, daß er sich zur Burg der Zauberer begibt. Wir haben ihm jedes nur erdenkliche Motiv, von Edelmut bis Eigensinn, gegeben, damit er auf schnellstem Weg dorthin eilt; er hat keinerlei Spielraum. Wir haben ihm die Folgen beängstigend klargemacht, falls er nicht genau das tut, was wir ihm als unerläßlich eingetrichtert haben.«

»Stimmt«, meinte Ann, die gefaltete Decke über ihrem Arm glattstreichend, »wir haben alles getan, außer ihm die Wahrheit zu sagen.«

»Darüber, was geschehen würde, wenn er die Burg der Zauberer nicht aufsucht, haben wir ihm größtenteils die Wahrheit gesagt. Davon war nichts gelogen, außer daß die Wahrheit noch grausamer ist, als wir sie ihm ausgemalt haben.

Ich kenne Richard. Kahlan hat die in den Grußformeln genannten Chimären freigesetzt, um sein Leben zu retten. Er fühlt sich ganz sicher verpflichtet und ist entschlossen, das wieder in Ordnung zu bringen, zu helfen. Dabei könnte er höchstens noch verschlimmern, was ohnehin schon trostlos ist. Wir dürfen nicht zulassen, daß er mit dem Feuer spielt. Und wir haben ihm das gegeben, was er am dringendsten benötigt: einen Weg, wie er helfen kann. Der einzig sichere Ort für ihn ist die Burg. An dem Ort, von dem aus sie gerufen wurden, können ihm die Chimären nichts anhaben, außerdem ist das Schwert der Wahrheit vermutlich die einzige Magie, die noch funktioniert, dafür werden wir schon sorgen. Wer weiß, wenn sie ihn nicht in ihren Klauen hat, erlischt die Bedrohung vielleicht ganz von selbst.«

»Ein ziemlich dünner Faden, um die ganze Welt daran aufzuhängen. Vermutlich hast du aber trotzdem recht«, räumte Ann ein. »Er ist ein Draufgänger – genau wie sein Großvater.« Sie warf die Decke auf das Strohlager. »Allerdings muß er um jeden Preis beschützt werden. Er lenkt die Geschicke D’Haras und vereint die Länder unter dessen Banner, um der Geißel der Imperialen Ordnung die Stirn zu bieten. Abgesehen davon, daß er in Aydindril sicher ist, kann er sich dort weiter der Aufgabe widmen, die Einheit zu gestalten. Seine Führungsqualitäten hat er bereits unter Beweis gestellt. Die Prophezeiungen warnen, nur er habe die Möglichkeit, uns mit Erfolg in diesem Kampf anzuführen. Ohne ihn sind wir mit Sicherheit verloren.«

Nissel betrat schlurfend den Raum, in der Hand ein Tablett mit Tavabrot, bestrichen mit Honig und Minze. Zedd anlächelnd, ließ sie sich von Ann die drei dampfenden Becher mit Tee abnehmen, die sie in der anderen Hand hielt. Nissel stellte das Tablett mit Tava vor den Strohlagern auf den Boden und setzte sich auf die Stelle, wo Zedd gelegen hatte. Ann reichte ihr einen der Becher und ließ sich auf der zusammengefalteten Decke am Kopfende des anderen Strohlagers nieder.

Nissel klopfte neben sich leicht auf die Schlafstelle. »Komm, setz dich und nimm etwas Tava mit Tee, bevor du auf die Reise gehst.«

Zedd, dem wichtige Dinge im Kopf herumgingen, bedachte sie mit einem matten Lächeln, als er sich neben ihr niederließ. Sie spürte seine düstere Stimmung, ergriff schweigend den Servierteller und bot ihm Tava an. Zedd, der sah, daß sie seine Besorgnis verstand, wenn auch nicht deren Ursache, legte ihr dankbar einen Arm um die Schultern. Mit seiner anderen Hand nahm er sich ein klebriges Stück Tava.

Zedd leckte den Honig von dessen knusprigem Rand. »Ich wünschte, wir wüßten etwas über dieses Buch, das Richard erwähnt hat, Des Berges Zwilling. Ob er Einzelheiten darüber weiß?«

»Es sah nicht danach aus. Verna erklärte mir damals bloß, Des Berges Zwilling sei vernichtet worden.«

Das hatte Ann bereits gewußt, als Richard danach fragte. Um das wachsende Ausmaß der Probleme vor Richard geheimhalten zu können, hatte sie angeboten, sich mit Hilfe ihres Reisebuches zu erkundigen, obwohl dessen Magie bereits schwächer geworden war.

»Ich hätte zu gerne einen Blick darauf geworfen, bevor es zerstört wurde.«

Ann aß ein paar Bissen ihres Tavabrotes, dann fragte sie: »Was ist, wenn wir sie nicht aufhalten können, Zedd? Unsere Magie läßt bereits nach. Nicht mehr lange, und sie versiegt ganz. Wie sollen wir den Chimären ohne Magie Einhalt gebieten?«

Zedd leckte sich Honig von den Lippen. »Ich hoffe noch immer, daß sich dort, wo sie bestattet wurden, Antworten finden lassen. Irgendwo in diesem Land Toscia oder wie immer es jetzt genannt wird. Vielleicht gelingt es mir, dort Bücher aufzutreiben, Bücher über die Kultur und Geschichte des Landes. Vielleicht finde ich dort den Hinweis, den ich dringend brauche.«

Zedd wurde zunehmend schwächer, seine nachlassende Kraft raubte ihm seine gesamte Vitalität. Die Reise würde langsam und beschwerlich werden, denn Ann hatte mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Nissel schmiegte sich eng an ihn. Sie war froh, einfach bei jemandem sein zu können, der sie als Frau mochte und sich nicht bloß von ihr heilen lassen wollte. Ihre Heilkunst konnte ihm nicht helfen, er mochte sie dennoch sehr. Darüber hinaus empfand er auch Mitgefühl für sie, für eine Frau, die niemand sonst verstand. Es war nicht leicht, anders zu sein als die Menschen in seiner Umgebung.

»Hast du schon irgendeine Idee, wie die Chimären aus dieser Welt verjagt werden könnten?« fragte Ann zwischen zwei Bissen.

Zedd riß sein Tavabrot in zwei Hälften. »Nur das, worüber wir bereits gesprochen haben. Bleibt Richard in der Burg, könnte es sehr gut sein, daß die Chimären auch ohne unser Zutun in die Unterwelt zurückgeholt werden. Ich weiß, es ist eine vage Hoffnung, aber wenn es nicht anders geht, werden wir einfach einen Weg finden müssen, sie in die Unterwelt zurückzudrängen. Und du? Irgendwelche Ideen?«

»Nicht die geringste.«

»Bist du immer noch fest entschlossen, deine Schwestern des Lichts vor Jagang zu retten?«

Sie scheuchte eine Mücke fort. »Jagangs Magie wird ebenso ermatten wie alle andere Magie. Der Traumwandler wird seine Gewalt über meine Schwestern verlieren. Jede Gefahr beinhaltet auch eine Chance, und diese Chance muß ich nutzen, solange sie besteht.«

»Jagang verfügt nach wie vor über eine riesige Armee. Für jemanden, der ständig meine Pläne kritisiert, erweist du dich beim Pläneschmieden als auch nicht gerade einfallsreich.«

»Der Gewinn ist das Risiko durchaus wert.« Ann ließ die Hand mit dem Tava sinken. »Ich sollte es eigentlich nicht zugeben … aber da sich unsere Wege trennen, werde ich es trotzdem sagen. Du bist ein kluger Mann, Zeddicus Z’ul Zorander. Ich werde deine lästige Gesellschaft missen. Mit deinen Gaunereien hast du mehr als einmal unsere Haut gerettet. Ich bewundere deine Beharrlichkeit – jetzt wird mir klar, woher Richard das hat.«

»Tatsächlich? Nun, dein Plan gefällt mir noch immer nicht. Schmeicheleien ändern daran gar nichts.«

Ann lächelte einfach in sich hinein.

Ihr Plan war zu durchsichtig, trotzdem verstand er, warum sie sich darauf festgelegt hatte. Die Rettung der Schwestern des Lichts war dringend geboten, und das nicht nur, weil sie als Gefangene brutal behandelt wurden. Wenn es gelang, die Chimären aus den Grußformeln zu vertreiben, hätte Jagang wieder die Kontrolle über diese Hexenmeisterinnen, und damit über ihre Macht.

»Angst kann ein mächtiger Lehrmeister sein, Ann. Sollten einige der Schwestern dir nicht abnehmen, daß sie fliehen können, darfst du auf keinen Fall zulassen, daß sie unsere Sache weiterhin gefährden, und sei es gegen ihren Willen.«

Ann sah ihn aus den Augenwinkeln an. »Verstehe.«

Er bat sie, sie entweder zu retten oder umzubringen.

»Zedd«, meinte sie, erfüllt von sanftem Mitgefühl. »Ich sage das nur ungern, aber was ist, wenn das, was Kahlan getan hat…«

Kahlan hatte die in den Grußformeln genannten Chimären herbeigerufen, um ihre Hilfe bei Richards Rettung zu erflehen. Das hatte seinen Preis.

Als Gegenleistung dafür, daß Richard bis zu seiner Genesung in der Welt des Lebendigen bleiben durfte, hatte sie den Chimären genau das versprechen müssen, was sie unbedingt benötigten, um in der Welt des Lebendigen verweilen zu können.

Eine Seele. Richards Seele.

In der Burg der Zauberer jedoch wäre er sicher. Der Ort, von dem aus sie herbeigerufen worden waren, stellte eine sichere Zuflucht dar für den, in dessen Namen dies geschehen war.

Zedd hielt Nissel die Hälfte seines Tavabrotes an die Lippen. Sie lächelte und biß ein großes Stück ab. Sie fütterte ihn mit einem Bissen ihres Brotes, nachdem sie zuvor seine Nase damit angestupst hatte. Die Albernheit dieser alten Heilerin, die ihm wie ein schelmisches kleines Mädchen einen Klecks Honig auf die Nase setzte, amüsierte ihn.

Schließlich fragte Ann: »Was wurde eigentlich aus deiner Katze – Lauer?«

Zedd legte nachdenklich die Stirn in Falten und versuchte sich zu erinnern. »Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß es nicht mehr. Damals ging alles drunter und drüber. Der Krieg mit D’Hara – geführt von Richards anderem Großvater, Panis Rahl – stand kurz vor dem Ausbruch, das Leben Tausender von Menschen war in Gefahr. Ich war noch nicht zum Obersten Zauberer ernannt worden, und Erilyn war mit unserer Tochter schwanger. Vermutlich haben wir die Katze in all dem Durcheinander einfach aus den Augen verloren. Es gab in der Burg der Zauberer unzählige Orte, an denen Mäuse hausten. Wahrscheinlich war das Auflauern für sie reizvoller, als sich mit zwei aufdringlichen Menschen abzugeben.«

Zedd mußte schlucken, als diese schmerzlichen Erinnerungen hochkamen. »Als ich dann nach Westland übersiedelte und Richard geboren wurde, hielt ich mir als Erinnerung an Erilyn und an Zuhause stets eine Katze.«

Ann lächelte wohlwollend. Ihr Mitgefühl war echt. »Hoffentlich hast du nie eine ›Lauer‹ genannt, damit Richard nicht plötzlich einen Grund hat, sich an den Namen zu erinnern.«

»Nein«, meinte Zedd leise. »Das hab ich nie getan.«

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