13

Snip, klug genug, nicht stehenzubleiben und abzuwarten, bis der Karren das letzte Stück des Weges die Zufahrt hoch und durch das Gäßchen auf den Hof der Küche zurückgelegt hatte, sammelte rasch einen Arm voll Apfelholz zusammen und schleppte es nach drinnen. Vor lauter Eile, wieder nach draußen zu gelangen, schmiß er alles gedankenlos in die Kiste. Bei dem Lärm der sich unterhaltenden und durcheinanderrufenden Leute, den Geräuschen der zahllosen in Töpfen brutzelnden Speisen, dem Knistern der Feuer, dem Klirren von Löffeln in Schalen, dem Mahlen der Stößel in Mörsern, dem Schaben der Bürsten und dem allgemeinen Radau von Menschen bei der Arbeit bekam allerdings niemand mit, wie achtlos das Holz hingeworfen wurde. Ein Teil ging daneben, und er wollte es schon liegenlassen, doch dann erspähte er nicht weit entfernt Meister Drummond, fiel deshalb, ohne zu überlegen, auf die Knie und schichtete das Holz in die Kiste.

Als er klopfenden Herzens wieder nach draußen stürzte und sah, wer den Metzgerkarren hergebracht hatte, stockte ihm der Atem.

Sie war es.

Händeringend verfolgte er, wie sie Brownie in den Wendehammer führte. Durch das Händeringen drehte sich der Splitter unter seiner Haut, was ihn veranlaßte, das Gesicht zu verziehen. Er stieß einen leisen Fluch aus und klappte seinen Mund augenblicklich wieder zu, in der Hoffnung, sie hätte es nicht mitbekommen. Seine verletzte Hand schüttelnd, um den Schmerz zu vertreiben, schlenderte er zum Karren hinüber.

»Tag, Beata.«

Sie hob nur kurz den Kopf. »Snip.«

Er rang verzweifelt nach Worten, doch es fiel ihm nichts Sinnvolles ein. Stumm stand er daneben, während sie Brownie mit der Zunge schnalzend drängte, rückwärts zu gehen. Mit einer Hand die Zugkette haltend, strich sie dem Pferd mit der anderen über die Brust, um das rückwärts trappelnde Tier zu lenken und zu beruhigen. Was hätte Snip dafür gegeben, hätte diese Hand ihn auf so zärtliche Weise berührt.

Ihr kurzes rotes Haar, so weich und glänzend, so verlockend, dort, wo seine Fülle abnahm und sich nach innen drehte, um ihren Nacken zu umschmeicheln, wehte leicht in der warmen Frühlingsbrise.

Snip blieb wartend neben dem Karren stehen, denn er fürchtete, etwas Dummes zu sagen und in ihren Augen als Trottel dazustehen. Er dachte oft an sie, trotzdem nahm er an, daß er in ihren Gedanken wohl keine Rolle spielte. Das war eine Sache, aber erleben zu müssen, daß sie ihn für einen Trottel hielt, wäre unerträglich gewesen. Wie gerne hätte er eine interessante Neuigkeit gewußt, irgend etwas, das sie bewog, freundlich über ihn zu denken.

Als Beata zum Karren zurückkehrte, wo er wartete, deutete sie mit ausdrucksloser Miene auf seine Hand. »Was ist mit deiner Hand passiert?«

Ihr Anblick, ganz aus der Nähe, lähmte ihn. Das dunkelblaue Kleid lief von der Taille des langen, ausgestellten Rockes schwungvoll nach oben, umschmeichelte ihren Brustkorb und öffnete sich auf eine Weise über ihrem Busen, daß er schlucken mußte, wollte er je wieder Luft bekommen. Abgegriffene hölzerne Knöpfe zierten seine Vorderseite. Eine Anstecknadel mit einer schlichten Spirale hielt den Kragen am Hals zusammen.

Das Kleid war alt; schließlich war sie, wie er, hakenischer Abstammung und hatte nichts Besseres verdient. Hier und da war der blaue Stoff an den Rändern ausgefranst und an den Schultern leicht verblichen, Beata verlieh ihm jedoch eine gewisse Würde.

Ungeduldig seufzend ergriff sie seine Hand, um selber nachzusehen.

»Es ist nichts … nur ein Splitter«, stammelte er.

Sie drehte sie um, legte sie mit der Handfläche nach oben in ihre andere Hand und drückte die Haut zusammen, um festzustellen, wie tief der Splitter saß. Die unerwartete Wärme der Berührung ihrer Hand überwältigte ihn. Zu seinem Entsetzen bemerkte er, daß seine Hände vom heißen Seifenwasser für das Ausspülen der Töpfe und Kessel sauberer waren als ihre. Er hatte Angst, sie könnte glauben, er sei ein arbeitsscheuer Nichtsnutz.

»Ich war gerade dabei, Töpfe auszuwaschen«, erklärte er. »Anschließend mußte ich Eichenholz ins Haus schleppen. Jede Menge schwerer Eichenscheite. Deswegen schwitze ich auch so.«

Beata zog wortlos die Anstecknadel oben aus ihrem Kleid. Der Ausschnitt fiel um ein paar Zoll auseinander, so daß man die kleine Vertiefung an ihrem Halsansatz sehen konnte. Er starrte, als er so viel von ihr zu sehen bekam, vieles, das sie normalerweise verborgen hielt. Er war ihrer Hilfe nicht würdig, erst recht nicht der nackten Haut an ihrem Hals, die ihrer Ansicht nach verborgen bleiben sollte. Mühsam zwang er sich, den Blick abzuwenden.

Snip schrie auf, als er spürte, wie die spitze Anstecknadel forschend eindrang. Die Stirn vor Konzentration runzelnd, murmelte sie geistesabwesend eine Entschuldigung, während sie an dem Splitter herumdokterte. Er versuchte, das Gesicht nicht schmerzhaft zu verziehen, grub statt dessen seine Zehen in den Staub und wartete.

Er spürte ein tiefes, heftiges, schmerzhaftes Ziehen. Sie unterzog den langen, nadelähnlichen Eichensplitter, den sie herausgezogen hatte, einer kurzen Untersuchung und warf ihn dann fort. Anschließend schloß sie ihren Kragen wieder mit der Nadel.

»Erledigt«, sagte sie, sich zum Karren umdrehend.

»Danke, Beata.« Sie nickte. »Das war sehr nett.« Er lief ihr nach. »Ich soll übrigens helfen, die Ladung ins Haus zu tragen.«

Er zerrte ein riesiges Hinterviertel Rindfleisch ans hintere Karrenende und duckte sich darunter, um es auf seine Schultern zu hieven. Fast hätten seine Knie unter dem Gewicht nachgegeben. Als es ihm gelang, es herumzuwälzen, sah er Beata bereits mit einem schweren Netz voller Hühner in der einen Hand und einem Stück Lammrippe, das sie auf der anderen Schulter balancierte, den Pfad hinaufgehen, so daß sie seine gewaltige Kraftanstrengung gar nicht mitbekam.

Drinnen trug ihm Judith, die Brotbäckerin, auf, eine Liste mit allem, was der Metzger geschickt hatte, zusammenzustellen. Er verbeugte sich und versprach es, innerlich jedoch zuckte er zusammen.

Als sie zu dem Karren zurückkehrten, hakte Beata die Ladung für ihn ab, indem sie jedem Gegenstand, so wie sie ihn ausrief, mit der Hand einen Klaps versetzte. Sie wußte, daß er nicht lesen konnte und daher gezwungen war, sich die Liste einzuprägen. Sie achtete darauf, ihm jeden einzelnen Gegenstand eindeutig anzuzeigen. Es gab Schweinefleisch, Lamm, Ochsenfleisch, Biber, Rind, drei Steinguttöpfe mit Mark, acht dicke Schläuche mit frischem Blut, ein halbes Faß mit Schweinemägen zum Füllen, zwei Dutzend Gänse, einen Korb mit Tauben sowie drei Netze Junghühner, jenes eingeschlossen, das sie bereits ins Haus getragen hatte.

»Ich weiß ganz sicher, ich hatte…« Beata zog ein Netz mit Junghühnern zu sich heran und suchte etwas. »Hier ist es«, rief sie. »Einen Augenblick lang fürchtete ich, ich hätte sie nicht mitgebracht.« Sie zog ihn heraus. »Einen Sack Spatzen. Der Minister für Kultur bestellt immer Spatzen für seine Feste.«

Snip spürte, wie sein erhitztes Gesicht rot anlief. Jeder wußte, daß Spatzen und Spatzeneier verzehrt wurden, um der Lust nachzuhelfen – wenn er auch nicht zu ergründen vermochte, wieso; für ihn brauchte Lust kaum noch zusätzlich angestachelt zu werden. Als Beata ihm fragend in die Augen blickte, ob er sie der Liste in seinem Kopf hinzugefügt hatte, spürte er das überwältigende Verlangen, etwas zu sagen – ganz gleich, was –, nur um das Thema zu wechseln.

»Glaubst du, Beata, man wird uns je von unseren ererbten Verbrechen freisprechen, damit wir ebenso reinen Herzens werden wie das Volk der Anderier?«

Ihre glatte Stirn zuckte. »Wir sind Hakenier, wir können niemals so gut sein wie die Anderier. Unsere Seelen sind verdorben und nicht zu Reinheit fähig; ihre Seelen dagegen sind rein und nicht dafür geschaffen, verdorben zu sein. Wir können niemals vollkommen geläutert werden. Wir können lediglich darauf hoffen, unsere schändliche Natur zu beherrschen.«

Snip war diese Antwort ebenso bekannt wie ihr. Vermutlich hielt sie ihn wegen seiner Frage für hoffnungslos unwissend. Er war nie gut darin gewesen, seine Gedanken auf eine Weise zu erklären, die verriet, was er wirklich meinte.

Er hatte die Absicht, seine Schuld abzutragen – Absolution erteilt zu bekommen – und sich den Titel ›Sir‹ zu verdienen. Nicht vielen Hakeniern gelang es, dieses Vorrecht zu erlangen. Solange er das nicht schaffte, würde er nie tun können, was er wirklich wollte. Er ließ den Kopf hängen und überlegte, wie sich seine Frage besser formulieren ließe.

»Aber ich meine … kennen wir nach all dieser Zeit nicht die Fehler im Verhalten unserer Vorfahren? Möchtest du nicht auch mehr Entscheidungen über dein Leben treffen können?«

»Ich bin Hakenierin. Ich bin nicht würdig, über mein Schicksal zu entscheiden. Du solltest wissen, daß dieser Pfad in die Gottlosigkeit führt.«

Er zupfte an der aufgerissenen Haut herum, wo sie den Splitter entfernt hatte. »Aber manche Hakenier dienen doch auf eine Weise, die zur Absolution führt. Du hast selbst einmal erzählt, du willst vielleicht zur Armee. Da will ich auch hin.«

»Du bist ein hakenischer Mann. Es ist dir nicht gestattet, Waffen in die Hand zu nehmen. Auch das solltest du eigentlich wissen, Snip.«

»Ich wollte damit ja gar nicht sagen … ich weiß, ich darf das nicht. Ich meinte bloß – ich weiß nicht.« Er stopfte seine Hände in die Gesäßtaschen. »Ich meinte bloß, ich würde es gerne können, weiter nichts, damit ich Gutes tun und mich bewähren könnte. Und denen helfen könnte, denen wir Leid zugefügt haben.«

»Verstehe.« Sie deutete auf die Fenster im oberen Stockwerk. »Der Minister für Kultur höchstpersönlich hat das Gesetz erlassen, das den hakenischen Frauen erlaubt, gemeinsam mit anderischen Frauen in der Armee zu dienen. Dieses Gesetz besagt auch, daß alle Menschen diesen hakenischen Frauen gegenüber Respekt erweisen müssen. Das Mitgefühl des Ministers erstreckt sich auf alle Menschen. Die hakenischen Frauen stehen tief in seiner Schuld.«

Snip merkte, daß er nicht deutlich machen konnte, was er wirklich meinte. »Aber möchtest du nicht heiraten und…«

»Er hat auch das Gesetz erlassen, demzufolge man hakenischen Frauen Arbeit geben muß, damit wir in der Lage sind, uns eigenständig zu ernähren, ohne heiraten zu müssen und zu Sklaven der hakenischen Männer zu werden. Denn es liegt in ihrem Wesen, andere zu versklaven, und das würden sie, vorausgesetzt, sie erhalten durch die Ehe Gelegenheit dazu, sogar ihresgleichen antun. Minister Chanboor ist der Held aller hakenischen Frauen.

Er sollte auch der Held der hakenischen Männer sein, denn er bringt euch Kultur, damit ihr eurem kriegerischen Wesen abschwören und in die Gemeinschaft der friedvollen Völker eintreten könnt. Vielleicht entscheide ich mich, der Armee beizutreten, denn sie bietet hakenischen Frauen eine Möglichkeit, sich Respekt zu verschaffen. So lautet das Gesetz. Das Gesetz von Minister Chanboor.«

Snip kam sich vor wie bei einer Bußversammlung. »Ich respektiere dich doch, Beata, auch wenn du nicht in der Armee bist. Ich weiß, du wirst Gutes für die Menschen tun, ob du nun der Armee beitrittst oder nicht. Du bist ein guter Mensch.«

Beata stockte das Herz. Sie zog eine Schulter zu einem leichten Achselzucken hoch. Der scharfe Unterton in ihrer Stimme wurde milder. »Du hast recht, der eigentliche Grund, weshalb ich eines Tages der Armee beitreten könnte, ist, daß ich den Menschen helfen und Gutes tun will. Ich möchte eben auch Gutes tun.«

Snip beneidete sie. In der Armee würde sie Gemeinden helfen können, die mit Schwierigkeiten, angefangen von Flutkatastrophen bis hin zu Hungersnöten, zu kämpfen hatten. Die Armee half den Bedürftigen. Wer in der Armee war, wurde respektiert.

Außerdem war es nicht mehr so wie früher, als es gefährlich sein konnte, in der Armee zu sein. Nicht, seit es die Dominie Dirtch gab. Sollten die Dominie Dirtch je entfesselt werden, konnten sie jeden Gegner in die Knie zwingen, ohne daß die Armee kämpfen mußte. Zum Glück hatten die Anderier die Verantwortung über die Dominie Dirtch und würden sich einer solchen Waffe nur zur Wahrung des Friedens bedienen – und niemals, um absichtlich jemandem Schaden zuzufügen.

Die Dominie Dirtch waren das einzige, was die Anderier von den Hakeniern übernommen hatten. Das anderische Volk wäre niemals imstande gewesen, aus eigener Kraft etwas Derartiges zu ersinnen – sie waren einfach nicht zu jenen widerwärtigen Überlegungen fähig, die erforderlich gewesen sein mußten, sich eine solche Waffe auszudenken. Nur Hakenier hatten eine Waffe von derart vollkommener Bosheit entwickeln können.

»Vielleicht kann ich auch darauf hoffen, daß man mich zum Arbeiten hierherschickt, so wie dich«, fügte Beata hinzu.

Snip hob den Kopf. Sie starrte zu den Fenstern im dritten Stock hinauf. Fast wäre ihm eine Bemerkung herausgerutscht, doch stattdessen schloß er den Mund. Den Blick auf die Fenster gerichtet, fuhr sie fort: »Er kam einmal in Ingers Laden, dabei bin ich ihm leibhaftig begegnet. Bertrand – ich meine Minister Chanboor, ist ein sehr viel reizvollerer Anblick als Inger, der Metzger.«

Snip wußte nicht, wie man solche Dinge bei einem Mann beurteilte. Das Getue, das Frauen angesichts von Männern veranstalteten, die er unansehnlich fand, war ihm ein Rätsel. Minister Chanboor war groß und früher vielleicht einmal gutaussehend gewesen, bekam jedoch in seinem dunklen anderischen Haar die ersten grauen Strähnen. Sämtliche Frauen in der Küche tuschelten kichernd über diesen Mann. Sobald er den Raum betrat, wurden einige von ihnen rot und mußten sich seufzend das Gesicht fächern. Snip fand ihn abstoßend alt. »Alle sagen, der Minister sei ein überaus charmanter Mann. Siehst du ihn manchmal? Oder unterhältst du dich mit ihm? Ich habe gehört, er unterhält sich mit Hakeniern wie mit ganz normalen Menschen. Alle loben ihn in den höchsten Tönen. Ich habe Anderier sagen hören, er werde eines Tages Herrscher werden.«

Snip lehnte sich gegen den Karren. »Ich habe ihn ein paarmal gesehen.« Er gab sich nicht die Blöße, ihr zu erzählen, daß Minister Chanboor ihn einmal geohrfeigt hatte, weil er ein stumpfes Buttermesser genau neben den Fuß des Ministers hatte fallen lassen. Er hatte den Klaps verdient. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, sah sie noch immer hoch zu den Fenstern. Snip starrte auf die Spuren im feuchten Staub. »Jeder mag und respektiert den Minister für Kultur. Es erfüllt mich mit Freude, für einen so noblen Mann arbeiten zu können, auch wenn ich unwürdig bin. Es ist ein Beweis für sein edelmütiges Herz, daß er Hakeniern Arbeit gibt, damit wir nicht verhungern müssen.«

Plötzlich sah Beata sich befangen um und wischte sich die Hände an ihrem Rock ab. Er unternahm einen weiteren Versuch, sie von seinen ehrenvollen Absichten zu überzeugen.

»Eines Tags hoffe ich ebenfalls Gutes tun zu können. Etwas zur Gemeinschaft beizutragen. Den Menschen zu helfen.« Beata nickte anerkennend. Er fühlte sich durch diese Anerkennung ermutigt. Snip hob das Kinn.

»Eines Tages hoffe ich, daß meine Schuld abgetragen ist und ich mir ein ›Sir‹ vor dem Namen verdient habe. Dann möchte ich nach Aydindril reisen, zur Burg der Zauberer, und die Zauberer bitten, mich zum Sucher zu ernennen und mir das Schwert der Wahrheit zu überreichen, damit ich zurückkehren, das Volk der Anderier beschützen und Gutes tun kann.«

Beata sah ihn erstaunt an. Dann lachte sie.

»Du weißt ja nicht einmal, wo Aydindril liegt, geschweige denn, wie weit es bis dahin ist.« Sie schüttelte, unterbrochen von Lachanfällen, den Kopf.

Dabei wußte er ganz genau, wo Aydindril lag. »Im Norden und Osten«, meinte er kleinlaut.

»Es heißt, das Schwert der Wahrheit sei ein Gegenstand der Magie. Magie ist schlecht, schmutzig und böse. Was weißt du schon von Magie?«

»Na ja … wahrscheinlich gar nichts…«

»Du hast nicht die geringste Ahnung von Magie. Oder von Schwertern. Wahrscheinlich würdest du dir selbst den Fuß abschneiden.« Sie beugte sich über den Karren, hob den Korb mit Tauben und ein weiteres Netz mit Junghühnern heraus und begab sich zur Küche.

Snip wäre am liebsten im Boden versunken. Er hatte ihr seinen geheimsten Traum anvertraut, und sie hatte ihn ausgelacht. Betrübt ließ er das Kinn auf die Brust sinken. Sie hatte recht. Er war Hakenier, er konnte niemals darauf hoffen, sich als würdig zu erweisen.

Gesenkten Blickes lud er den Karren weiter ab und sagte kein einziges Wort mehr. Er kam sich vor wie ein Narr, bei jedem Schritt machte er sich insgeheim Vorwürfe. Hätte er doch nur seine Träume für sich behalten. Am liebsten hätte er die Worte zurückgenommen.

Bevor sie den letzten Rest aus dem Karren zogen, faßte Beata ihn am Arm und räusperte sich, als hätte sie die Absicht, noch etwas hinzuzufügen. Wieder senkte Snip den Blick zu Boden, bereit, sich anzuhören, was sie sonst noch über seine Torheit anzumerken hatte.

»Tut mir leid, Snip. Meine gewissenlose hakenische Art hat mich irren und grausam sein lassen. Es war falsch von mir, derart grausame Dinge zu sagen.«

Er schüttelte den Kopf. »War schon richtig, daß du gelacht hast.«

»Hör zu, Snip … wir alle haben unerfüllbare Träume. Auch das ist Teil unserer verdorbenen Natur. Wir müssen lernen, besser zu sein als unsere niederen Träume.«

Er wischte sich das Haar aus der Stirn und blickte in ihre graugrünen Augen. »Du hast auch Träume, Beata? Richtige Träume? Wünschst du dir etwas?«

»Du meinst, so etwas wie dein törichter Wunsch, der Sucher der Wahrheit zu sein?« Er nickte. Schließlich wandte sie den Blick von seinen Augen ab. »Vermutlich ist es nur gerecht, damit du zur Abwechslung auch einmal mich auslachen kannst.«

»Ich werde ganz bestimmt nicht lachen«, meinte er leise, sie dagegen blickte hinauf zu den kleinen, weißen Wölkchen, die über den strahlend blauen Himmel zogen, und schien ihn nicht zu hören.

»Ich würde gerne lesen lernen.«

Sie warf ihm verstohlen einen Blick zu, um zu sehen, ob er lachte. Er tat es nicht.

»Davon habe ich auch schon geträumt.« Er sah sich um, ob jemand sie beobachtete. In der Nähe war niemand, also beugte er sich über die Rückwand des Karrens und zeichnete mit dem Finger Zeichen in den Staub.

Ihre Neugier war stärker als ihr Argwohn. »Ist das Schrift?«

»Es ist ein einzelnes Wort, ich habe es auswendig gelernt. Das einzige, das ich kenne, aber es ist ein Wort, und ich kann es lesen. Bei einem Fest hörte ich, wie ein Mann sagte, es stehe auf dem Schwert der Wahrheit.« Snip unterstrich das Wort im Staub. »Der Mann hat es oben in die Butter geritzt, um es einer Frau auf diesem Fest zu zeigen. Es ist das Wort ›Wahrheit‹.

Er erzählte ihr, früher sei der, den man Sucher nannte, ein Mann von großem Ansehen gewesen, dessen Aufgabe es war, Gutes zu tun, jetzt jedoch seien Sucher im günstigsten Fall nichts weiter als gewöhnliche Verbrecher und schlimmstenfalls Meuchelmörder. So wie unsere Vorfahren.«

»Wie alle Hakenier«, verbesserte sie. »Wie wir.«

Er widersprach nicht, denn er wußte, sie hatte recht. »Das ist noch ein Grund, weshalb ich Sucher werden möchte. Ich würde dem Rang des Suchers seinen guten Namen zurückgeben, so wie es früher war, damit die Menschen der Wahrheit wieder vertrauen können. Ich würde den Menschen gerne beweisen, daß ein Hakenier imstande ist, ehrenhaft zu dienen. Damit würde ich doch Gutes tun, oder? Würde das nicht helfen, unsere Verbrechen wiedergutzumachen?«

Sie rieb sich energisch die Arme und sah sich flüchtig prüfend um. »Es ist kindisch und dumm, zu träumen, man sei der Sucher.« Sie senkte in Anbetracht der Bedeutung ihrer Worte die Stimme. »Lesen lernen wäre ein Verbrechen. Besser, du unternimmst gar nicht erst den Versuch, noch mehr zu lernen.«

Er seufzte. »Ich weiß, aber denkst du nie daran…«

»Außerdem ist Magie widerwärtig. Einen magischen Gegenstand zu berühren, das wäre doch genauso schlimm wie ein Verbrechen.«

Verstohlen blickte sie über ihre Schulter zur Ziegelfassade hinüber. Mit einer schnellen Handbewegung wischte sie das Wort im Staub des Karrenbodens aus. Er öffnete den Mund und wollte protestieren, doch sie kam ihm zuvor und schnitt ihm das Wort ab.

»Wir sollten jetzt besser fertig werden.«

Sie deutete mit einem Zucken ihrer Augen auf die oberen Fenster. Snip schaute hoch und spürte, wie ihm vor Entsetzen ein eisiges Kribbeln den Rücken hinunterlief. Der Minister für Kultur persönlich stand an einem der Fenster und beobachtete sie.

Snip lud eine Trage Schaffleisch auf und begab sich zur Küchenspeisekammer. Beata folgte mit einer Schlinge voller Gänse in der einen und einem Sack Spatzen in der anderen Hand. Beide luden schweigend fertig ab. Snip wünschte sich, er hätte nicht so viel ausgeplaudert und sie dafür mehr erzählt.

Als die Arbeit getan war, hatte er die Absicht, sie zum Karren zurückzubegleiten und so zu tun, als wollte er nachsehen, ob sie alles abgeladen hatten, doch als Meister Drummond sich danach erkundigte, erklärte Beata ihm, es sei alles ins Haus geschafft. Also stieß er Snip seinen steifen Finger in die Brust und trug ihm auf, mit dem Schrubben fortzufahren. Sich die brennende Stelle reibend, schlurfte Snip quer über den glatten, unbehandelten Holzfußboden zu den Kübeln mit Seifenwasser. Er warf einen Blick über die Schulter, sah Beata aufbrechen und hoffte, sie würde sich nach ihm umdrehen, damit er ihr wenigstens zum Abschied zulächeln konnte.

Minister Chanboors Adjutant, Dalton Campbell, stand in der Küche. Snip war Dalton Campbell noch nie begegnet – dazu hätte er gar keine Gelegenheit gehabt –, trotzdem hatte er eine gute Meinung von dem Mann, denn er schien nie jemandem Schwierigkeiten zu machen, zumindest nicht, soweit Snip gehört hatte.

Neu in der Stellung als Adjutant des Ministers, war Dalton Campbell mit seiner typischen geraden Anderiernase, den dunklen Haaren und Augen sowie seinem kräftigen Kinn ein Anderier von recht ansehnlichem Äußeren. Frauen, insbesondere hakenische Frauen, schienen an so etwas Gefallen zu finden. In seinem dunkelblauen gesteppten Koller über einem Wams von gleicher Farbe – beides mit Zinnknöpfen besetzt – machte Dalton Campbell einen noblen Eindruck.

An dem fein detaillierten, doppelt umschlungenen Gürtel hing ein aus Silber gearbeiteter Degen. Das Heft der stattlichen Waffe war mit dunklem, rotbraunem Leder überzogen. Snip wünschte sich von ganzem Herzen, ein so edles Schwert tragen zu können. Bestimmt fühlten Mädchen sich zu Männern hingezogen, die ein solches Schwert trugen.

Bevor Beata Gelegenheit hatte, sich nach Snip umzudrehen oder aufzubrechen, war Dalton Campbell bei ihr und faßte sie am Arm. Sie wurde blaß. Auch Snip spürte, wie ein entsetzliches Angstgefühl von seinen Eingeweiden Besitz ergriff. Instinktiv ahnte er, daß dies großen Ärger bedeuten konnte. Er fürchtete, den Grund zu kennen. Falls der Minister beim Hinuntersehen mitbekommen hatte, wie Snip das Wort in den Staub gemalt hatte…

Lächelnd machte Dalton Campbell ihr leise Beteuerungen. Als ihre Schultern sich langsam entkrampften, löste sich auch der Knoten in Snips Bauch. Das meiste konnte Snip nicht verstehen, er hörte jedoch, wie Dalton Campbell eine Bemerkung über Minister Chanboor fallenließ und dabei mit dem Kopf auf die Treppe am anderen Ende der Küche deutete. Ihre Augen weiteten sich, ein zartes Rosa überzog ihre Wangen.

Beata glühte strahlend auf.

Dalton Campbell seinerseits lächelte ihr auf dem gesamten Weg zur Treppe einladend zu und zog sie am Arm hinter sich her, dabei erweckte sie nicht gerade den Eindruck, als müßte sie aufgemuntert werden – sie schien geradezu auf einer Wolke zu schweben. Sie sah sich kein einziges Mal um, als sie erst durch die Tür und dann die Treppe hinauf verschwand.

Meister Drummond versetzte Snip einen Klaps auf den Hinterkopf.

»Was stehst du hier rum wie festgewachsen? Geh endlich die Pfannen holen.«

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