Yanni Ritsos war der Letzte in einer langen Linie von Rebellen und Dichtern. Der nach einem berühmten griechischen Vorfahren benannte Yanni war in Zypern geboren und erlebte den tödlichen Biokrieg mit, der die ohnehin geschundene Insel heimsuchte, überlebte den radioaktiven Niederschlag durch die nukleare Verwüstung Israels und reiste übers Mittelmeer nach Spanien, wo er wie ein anderer griechischer Künstler seinen Lebensunterhalt verdiente. Anders als El Greco befasste Yanni sich jedoch mit Computersystemen, die Sprachen übersetzten. Er gab sogar etwas von seiner eigenen Dichtkunst in den Computer ein und ließ sie aus dem Griechischen ins Spanische, Deutsche und Englische übersetzen. Aber er war mit den Ergebnissen nicht zufrieden.
Schließlich kam er nach Ceres — nicht als ein Dichter, sondern als eine Felsenratte. Yanni war entschlossen, ein Vermögen im Asteroidengürtel zu machen. Also überredete er einen ihm bekannten griechischen Geschäftsmann, ihm den Flug zum Gürtel zu finanzieren, damit er sein Glück im Bergbau versuchen konnte. Er kam aber nie weiter als bis zum Habitat Chrysallis in der Umlaufbahn um Ceres. Dort lernte er die schöne Ilona Mikvicius kennen und heiratete sie. Anstatt nun in einem Bergwerksschiff ins All hinauszufliegen, blieb er bei Ceres und trat eine Stelle im Nachrichtenzentrum des Habitats an.
Obwohl Yanni seit der Exposition gegenüber dem Fallout unfruchtbar — und kahl — war, wünschte er sich doch einen Sohn, um die Familienlinie fortzusetzen. Er und Ilona sparten jeden Penny, den sie erübrigen konnten, um ein Klon-Verfahren zu bezahlen. Ilona wusste, dass das Austragen eines geklonten Fötus gefährlich war; ihre Liebe zu Yanni überwog aber alle Bedenken.
Also hatte Yanni Ritsos eigentlich alles, wofür es sich zu leben lohnte, als Dorik Harbins Schiff am Habitat Chrysallis eintraf. Er hatte vieles erlitten, vieles überlebt und überstanden. Er fand, dass die Zukunft, wenn schon nicht strahlend hell, zumindest rosig aussah. Aber er irrte sich. Und es war sein eigener rebellischer Geist, der seine Träume zunichte machte.
»Sir«, rief der Nachrichtentechniker, »jemand an Bord der Elsinore sendet eine Nachricht an Selene.«
Harbin, der sich gerade wieder ein Stimulans injiziert hatte, drehte sich zum Waffenmeister um. »Zerstören Sie die Antennen«, befahl er. »Alle.«
Der Techniker nickte und beugte sich über seine Konsole.
In ihrer Kabine an Bord der Elsinore brach Edith Elgin mitten im Satz ab, als auf dem Wandbildschirm plötzlich bunte Schlieren erschienen, die von einem Zischen untermalt wurden.
»Da stimmt etwas nicht«, sagte sie zu Big George. »Die Verbindung ist plötzlich tot.«
George runzelte die Stirn. »Er will verhindern, dass wir mit jemandem sprechen. Er hat wahrscheinlich die Antennen zerstört.«
»Sie meinen, er hat das Schiff angegriffen?« Edith war erschüttert.
»Und er wird in fünfzehn Minuter noch härter zuschlagen«, sagte George mit einem Nicken, »wenn wir ihm Lars nicht ausliefern.«
»Aber Fuchs ist doch gar nicht hier!«
»Das müssen Sie ihm sagen.«
Yanni Ritsos tat allein im Nachrichtenzentrum von Chrysallis Dienst, als Harbin das Ultimatum stellte.
Es war eine öde Nachtschicht; nichts als langweiliges Alltagsgeschwätz von den weit verstreuten Schiffen der Bergarbeiter und Prospektoren sowie die codierte Telemetrie, die routinemäßig von ihren Schiffen abgestrahlt wurde. Wo alle Vorgänge automatisch abliefen und zu dieser späten Stunde niemand sonst im Nachrichtenzentrum war, öffnete Yanni die Computer-Subroutine, mit der er Poesie verfasste.
Er hatte kaum eine Zeile geschrieben, als der Hauptschirm plötzlich aufleuchtete und einen dunkelbärtigen Mann zeigte, dessen Augen wie polierter Obsidian glitzerten.
»Achtung, Chrysallis«, sagte der Fremde in gutturalem Englisch. »Hier ist das Kampfschiff Samarkand. Sie gewähren dem Flüchtling Lars Fuchs Unterschlupf. Sie werden ihn in zehn Minuten an mich überstellen oder die Konsequenzen für eine Zuwiderhandlung tragen.«
Yanni war wegen der Störung seiner kreativen Tätigkeit verärgert. Er glaubte, dass irgendjemand im Habitat sich einen Scherz erlaubte.
»Wer spricht da?«, fragte er unwirsch. »Gehen Sie von dieser Frequenz. Sie ist für eingehende Nachrichten reserviert.«
Das dunkelbärtige Gesicht wurde sichtlich böse. »Hier spricht der Tod, wenn Sie Fuchs nicht an mich überstellen.«
»Lars Fuchs?«, erwiderte Yanni ungläubig. »Gott weiß, wo der ist.«
»Ich weiß, wo er ist«, blaffte der Aggressor. »Und wenn Sie ihn mir nicht übergeben, werde ich Sie vernichten.«
»Fuchs ist seit Jahren nicht mehr hier gewesen und ist auch jetzt nicht hier. Verschwinden Sie und hören Sie auf, mich zu belästigen.«
Harbin starrte auf den Kommunikationsmonitor auf der Brücke der Samarkand. Sie wollen Zeit schinden, sagte er sich. Sie versuchen Fuchs vor mir zu verbergen.
Er atmete tief durch und sagte mit tödlicher Gelassenheit: »Anscheinend glauben Sie mir nicht. Nun gut. Ich will Ihnen zeigen, wie ernst es mir ist.«
»Wirkungsschießen auf eins der Habitatmodule«, wandte Harbin sich an den Waffenmeister.
Der Mann schluckte schwer, und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. »Sir, es sind Zivilisten in den Modulen. Unschuldige Männer und Frauen …«
»Das ist ein Befehl!«, blaffte Harbin.
»Aber …«
»Verlassen Sie die Brücke! Ich werde mich selbst darum kümmern.«
Der Waffenmeister schaute nach Unterstützung heischend in die Runde.
»Chrysallis ist unbewaffnet, Sir«, sagte der Pilot mit leiser, fast flüsternder Stimme.
Kalte Wut ergriff Harbin. »Verschwinden Sie! Sie alle!«, sagte er mit eiskalter Stimme. »Ich werde das selbst in die Hand nehmen.«
Die komplette Brückenbesatzung stand auf und ging zur Luke. Harbin blieb allein auf dem Kommandantensitz zurück. Er hackte zornig auf den Armlehnen-Tastaturen herum und übernahm die Kontrolle über alle Systeme des Schiffs.
Narren und Schwächlinge, schimpfte er stumm. Sie nennen sich Söldner, sind aber zu nichts nütze, außer ihren Sold einzustreichen. Ansonsten machen sie sich vor Angst in die Hose. Chrysallis ist unbewaffnet? Ich glaube das erst, wenn ich fliegende Schweine sehe. Sie verstecken Fuchs, wollen Zeit schinden und mich veranlassen, meine Besatzung dort rüberzuschicken, um sie ans dem Hinterhalt abzuschlachten. Ich habe Hinterhalte erlebt, und ich habe Gemetzel erlebt. Das werden sie mir und meiner Mannschaft nicht antun.
Er rief den Waffenstatus auf dem Hauptbildschirm auf, nahm das Modul der Chrysallis ins Visier, das seinem Schiff am nächsten war, und drückte mit dem Daumen auf die Taste, die die Laser aktivierte. Drei gezackte Linien durchsägten die dünne Haut des Moduls. Die ausströmende Luft glitzerte kurz wie der Atem, den ein Mensch an einem Wintertag ausstieß.
»Gib mir Fuchs«, sagte er zum Kommunikations-Monitor.
Yanni hörte Schreie.
»Was ist los?«, fragte er ins leere Nachrichtenzentrum.
Das Gesicht auf dem Bildschirm lächelte kalt. »Geben Sie mir Fuchs«, sagte er.
Bevor Yanni etwas zu erwidern vermochte, wurde die Tür des Nachrichtenzentrums aufgestoßen, und eine Frau in einem korallenroten Overall stürzte herein. »Modul Achtzehn ist zerstört worden! Alle Insassen sind tot!«
Yanni starrte sie mit offenem Mund an. Sie war von der Lebenserhaltungs-Mannschaft, wie er an der Farbe ihres Overalls sah. Und sie redete so laut und schnell, dass er kaum verstand, was sagte sie.
»Wir werden angegriffen!«, schrie sie. »Rufen Sie um Hilfe!«
»Wen soll ich anrufen?«, fragte Yanni.
Der Erste Offizier ging durch die Luke auf die Brücke.
»Sir«, sagte sie knapp. Ihr Gesicht war eine versteinerte, ausdruckslose Maske. »Ich habe einen Trupp von zwanzig Leuten zusammengestellt. Wir sind bereit, Chrysallis zu entern und nach Fuchs zu suchen. Sie sind mit Pistolen und Minigranaten bewaffnet. Damit werden sie jeden Widerstand brechen, den Felsenratten vielleicht leisten werden.«
Harbin starrte sie an. Wieso wollen diese Dummköpfe immerzu meine Autorität in Frage stellen? Ich weiß schon, was zu tun ist. Man tötet seine Feinde. Tötet sie alle. Männer, Frauen, Kinder, Hunde, Vieh, alles und jeden. Brenne ihr Dorf nieder. Verbrenne ihr Getreide. Sprenge die Bäume ihrer Obstgärten mit Handgranaten. Lasse nichts als verbrannte Erde zurück.
»Sir, hören Sie mich?«, fragte der Erste Offizier und trat näher an ihn heran.
Harbin drehte den Stuhl halb zu ihr um. »Ich habe sehr gute Ohren«, sagte er ruhig. »Sagen Sie Ihren Leuten, der Einsatz findet nicht statt. Ich werde sie nicht brauchen.«
»Sie können das Habitat doch durchsuchen …«
»Nein«, sagte Harbin leise, beinahe sanft. »Das wird nicht nötig sein. Wozu ihr Leben aufs Spiel setzen, wenn wir das Habitat von hier aus zerstören können?«
»Aber Fuchs …«
»Fuchs wird mit dem Rest der Felsenratten sterben«, sagte Harbin. Ihm war zum Lachen zumute. Es war alles so einfach. Man tötet seine Feinde, damit sie nie wieder imstande sein werden, einen zu verletzen. Wieso begreift sie das nur nicht? Es ist so logisch, so wundervoll klar.
Er ließ den Ersten Offizier wegtreten und vernichtete ruhig, methodisch und gründlich sämtliche Module von Chrysallis und jeden, der darin war.