Harbin flog zur HSS-Basis auf Vesta zurück. Die Samarkand war aus dem einseitigen Kampf gegen den Astro-Frachter auch nicht unbeschadet hervorgegangen. Das gelöste Gestein und der Schutt des Schutzschildes hatten Teile des Rumpfs verbeult, sodass die Samarkand nun ungepanzert und eine leichte Beute für jedes Kampfschiff war, das ihr begegnete.
Er war auch wegen der Strahlenabschirmung des Schiffes besorgt. Die Diagnosesysteme zeigten zwar an, dass das System ordnungsgemäß funktionierte. Dennoch zog er es in Anbetracht des aufziehenden Sonnensturms vor, im sicheren Untergrund von Vesta zu sein, wenn er losbrach.
Trotzdem ließ er seine zwei anderen Schiffe die Jagd durch diese Region des Gürtels fortsetzen, während er zwecks Überholung nach Vesta zurückflog.
Ein paar Tage Instandsetzung und Wartung sind jetzt genau das Richtige, sagte Harbin sich. Außerdem geht mir der Stoff aus. Ich werde bei der Apotheke Nachschub anfordern müssen.
Er übergab das Kommando an seinen Ersten Offizier und verließ die Brücke, schlüpfte durch die Luke und ging den kurzen Gang zu seinem Privatquartier. Er öffnete den Arzneischrank und ließ den Blick über die Ampullen und Spritzen schweifen. Der Bestand geht zur Neige, sagte er sich. Aber er reicht noch, um mich über die nächsten Nächte zu retten. Genug, um mich schlafen zu lassen, wenn es sein muss.
Er griff nach einem Fläschchen, doch bevor er es zu fassen bekam, summte das Interkom.
»Sir, wir haben ein Ziel«, sagte die Stimme des Ersten Offiziers. »Glaube ich zumindest«, fügte sie hinzu.
Harbin schlug die Tür des Medizinschranks zu. »Glauben Sie?«, schrie er ins Mikrofon, das in die Decke integriert war.
»Es hat eine seltsame Signatur, Sir.«
Blöde Gans, sagte Harbin sich. »Ich komme sofort«, sagte er laut.
Kochend vor Wut ging er zur Brücke. Ich kann mich nicht auf diese Mannschaft verlassen. Ohne mich kriegen die nichts geregelt. Sie sind sogar zu blöd, allein aufs Klo zu gehen.
Als er jedoch auf den Kommandantensitz glitt, sah er, dass die Abbildung auf dem Hauptschirm tatsächlich verschwommen und undeutlich war.
»Maximale Vergrößerung«, befahl er.
»Ist schon maximale Vergrößerung«, erwiderte die Funk-Technikerin. Sie starrte ebenfalls auf den Bildschirm, wobei ein verwirrtes Stirnrunzeln ihren blassen nordischen Teint zerfurchte.
Harbin schaute flüchtig auf die Datenleiste, die am unteren Bildschirmrand durchlief. Etwas über zwölfhundert Kilometer entfernt. Das Objekt rotierte langsam und drehte sich alle paar Sekunden um die Längsachse.
»Größenschätzung«, blaffte er.
Zwei blinkende Cursors erschienen an beiden Enden des rotierenden Objekts. Eine blinkende alphanumerische Zeichenkette meldete 1,9 METER.
»Es ist zu klein für ein Schiff«, sagte der Pilot.
»Ein robotisches Fluggerät?«, fragte die Waffenmeisterin. »Vielleicht eine Art Mine?«
Harbin schüttelte den Kopf. Er wusste, worum es sich handelte. »Schalten Sie das Bild aus.«
»Aber was ist es?«, fragte die Nachrichtentechnikerin.
»Ausschalten!«
Der Bildschirm wurde dunkel. Alle vier Offiziere drehten sich mit fragenden Blicken zu ihm um.
»Es ist ein Mann«, sagte Harbin. »Oder eine Frau. Eine Person in einem Raumanzug. Eine Leiche. Im Kampf gefallen, wahrscheinlich schon vor Monaten.«
»Sollen wir …«
»Ignorieren Sie es«, blaffte er. »Es stellt keine Gefahr für uns dar, und es gibt auch nichts, was wir tun könnten. Ignorieren Sie es einfach.«
Die Offiziere schauten sich flüchtig an.
»Ein Opfer des Krieges«, sagte Harbin grimmig und erhob sich vom Kommandantensitz. »Vergessen Sie es. Ich werde wieder in mein Quartier gehen. Belästigen Sie mich nicht noch einmal mit Gespenstern.«
Er ging zu seiner Kabine zurück, entledigte sich der verschwitzten Uniform und streckte sich auf der Koje aus. Ich freue mich schon auf die Rückkehr nach Vesta, sagte er sich. Das Schiff braucht eine Überholung. Ich auch.
Der Krieg kann nicht mehr lang dauern, sagte er sich. Wir haben die meisten Astro-Schiffe aus dem Gürtel vertrieben. Sie werden wohl mit mehr zurückkommen, oder wir werden sie zerstören. Wir werden immer mehr von ihnen zerstören, bis sie schließlich aufgeben. Und was dann? Soll ich mich auf die Erde zurückziehen? Oder soll ich weiterarbeiten? Für einen Söldner gibt es immer Verdienstmöglichkeiten. Es gibt immer jemanden, der für den Tod von irgendjemand anders zu zahlen bereit ist.
Er schloss die Augen, um zu schlafen, doch stattdessen sah er eine Gestalt im Raumanzug langsam durch die mit Sternen gesprenkelte Leere taumeln, unablässig sich drehen, für alle Ewigkeit allein in der kalten, dunklen Leere — für immer allein.
Er riss die Augen auf. Harbin spielte mit dem Gedanken, sich einen Schuss zu setzen, der ihn würde schlafen lassen, aber er wollte nicht träumen. Also lag er stundenlang in der Koje wach und starrte auf das kahle Metall der Decke.
»Ich wünschte, ich könnte meine Leute anrufen und ihnen sagen, dass ich die Nacht hier verbringe«, sagte Pancho. »Wann steht diese Laserverbindung endlich?«
Daniel Tsavo — mit der Flasche in der Hand — schien sich plötzlich unbehaglich zu fühlen.
»Man wird schon wissen, dass Sie hier unten sicher sind«, sagte er mit einem etwas gezwungenen Lächeln. »Trinken wir ein Glas und hören wir auf, uns Sorgen zu machen.«
Pancho erwiderte sein Lächeln genauso gezwungen. »Sicher, wieso nicht? Sie machen die Flasche auf, während ich mich ein wenig frisch mache.«
Sie ging zur Toilette und schloss die Tür ab. Beim Blick auf die Armbanduhr sah sie, dass die Verbindung mit den Satelliten, die sie überwachen sollten, tot war. Sie versuchte die Telefonfunktion. Die funktionierte auch nicht.
Pancho lehnte sich gegen das Waschbecken. Ihre Gedanken jagten sich. Ich bin von der Außenwelt abgeschnitten. Er will, dass ich hier übernachte. Spaß und Spiele? Vielleicht, aber es steckt noch mehr dahinter als lustige Bettspiele. Diese Anlage ist riesig. Nairobi gibt mehr Geld für ihren Bau aus, als sie in den Büchern haben. Viel mehr. Sie haben einen potenten Sponsor.
Und dann kam ihr die Erleuchtung. Die Basis am Leuchtenden Berg! So bezeichnen die Japaner doch diesen Gebirgszug: die Leuchtenden Berge. Und dieses Zubringerschiff draußen trägt das Blau der Yamagata Corporation.
Yamagata steht hinter all dem, wurde Pancho schlagartig bewusst. Sie finanzieren Nairobi. Und nun haben sie mich hier; ich bin hier reinspaziert, und sie werden mich nicht einfach wieder gehen lassen.
Sie hörte den Knall eines Korken durch die dünne Tür der Toilette. Der gute alte Danny arbeitet also für Yamagata, sagte Pancho sich. Und ich wette, dass genug Zeug in diesem Champagner ist, dass es mir so richtig die Zunge löst.
Ich muss hier raus, sagte sie sich. Und zwar schnell.
Nobuhiko Yamagata schenkte den Verneigungen und gezischten Huldigungen seiner Untergebenen kaum Aufmerksamkeit. Er ging von der Zubringerrakete, mit der er auf dem Stützpunkt am Leuchtenden Berg gelandet war, direkt zu dem Raum, wo Pancho Lane befragt werden sollte. Es handelte sich um ein kleines Zimmer in der Krankenstation der Basis, wo sein Verhörtrupp um eine leere Rolltrage herumstand.
Vater hat Recht, sagte Nobu sich. Ich kann viel mehr von Pancho in Erfahrung bringen als diese Söldner.
Die Mannschaft war mit Kitteln und Masken bekleidet, als ob sie Ärzte darstellten. Zwei junge Frauen halfen Nobu in einen lindgrünen Chirurgenkittel. Nach ein paar Minuten war er mit einer Maske, Handschuhen und einer dieser albernen formlosen Kappen ausstaffiert, die ihm über die Ohren fiel.
Dann stellte er sich neben die Trage und wartete. Die Mitglieder des Verhörtrupps flankierten ihn stumm.
Es ist alles vorbereitet, sagte Nobuhiko sich. Alle sind hier außer Pancho.