SIEBEN MONATE SPÄTER Das Humphries-Anwesen

»Wie geht es ihr?«, fragte Martin Humphries mit belegter Stimme, in der Vorfreude und Besorgnis gleichermaßen mitschwangen.

Die Geburtshelferin, die in der holografischen Abbildung auf einem Stuhl vor Humphries' Schreibtisch saß, machte einen entspannten und gelassenen Eindruck.

»Es wird noch ungefähr eine Stunde dauern, Mr. Humphries«, sagte sie. »Vielleicht auch länger. Das Baby wird kommen, wenn es bereit ist, das Licht der Welt zu erblicken.«

Humphries trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Erst ist das Balg drei Wochen zu früh dran, und nun lässt es sich auch noch Zeit mit der Geburt.

»Sie können nichts anderes tun, als zu warten«, sagte die Ärztin. »Mrs. Humphries steht unter dem Einfluss ziemlich starker Beruhigungsmittel.«

»Beruhigungsmittel?«, platzte Humphries alarmiert heraus. »Wieso? Auf wessen Anordnung? Ich wollte eine natürliche Geburt. Ich habe Ihnen doch gesagt …«

»Sir, sie war bereits sediert, als Ihre Leute sie hier einlieferten.«

»Das ist unmöglich!«

Die Geburtshelferin zuckte die Achseln. »Ich war auch überrascht.«

»Ich komme sofort rüber«, sagte Humphries schroff.

Er unterbrach die Verbindung, ehe die Geburtshelferin noch etwas zu erwidern vermochte, und erhob sich vom Bürostuhl. Unten in der Halle hatte er einen Kreißraum für Amanda einrichten lassen. Er war zwar nicht darauf erpicht, einer so enervierenden, blutigen und schmerzhaften Angelegenheit wie einer Geburt beizuwohnen, doch die Behauptung der Geburtshelferin, dass Amanda sediert sei, alarmierte ihn. Sie sollte doch keine Drogen mehr nehmen. Sie hat es mir versprochen, erinnerte Humphries sich, und Zorn stieg in ihm auf. Sie hat mir versprochen, keine Medikamente zu nehmen, solange sie meinen Sohn austrägt.

Humphries rannte das kurze Stück von seinem Büro zum Kreißraum.

Sie hat wieder Drogen genommen, wurde er sich bewusst. Ich habe sie schon drei-, nein, viermal auf eine Entziehungskur geschickt, und sie hat schon wieder welche genommen, obwohl sie schwanger war. Sie schert sich einen Dreck um meinen Sohn oder um mich. Sie und ihre verdammte Sucht. Wenn sie meinem Sohn damit geschadet hat, werde ich sie töten.

In seiner Raserei vergaß er, dass Amanda die einzige Frau war, die er jemals geliebt hatte. Nach zwei Ehefrauen und weiß Gott wie vielen Mätressen hatte er Amanda aufrichtig geliebt. Aber sie liebte ihn nicht. Er wusste es. Sie hat immer nur diesen Bastard Fuchs geliebt und liebt ihn wahrscheinlich noch immer, sagte er sich. Sie bekommt dieses Baby nur, um mich zu besänftigen. Kochend vor Wut schwor er sich, dass, wenn sein Sohn nicht vollkommen war, er ihn töten lassen würde, ehe er den Geburtsraum noch verließ.

Und sie gleich mit, knurrte Humphries lautlos.

Er riss die Tür zur Geburtsstation auf und schreckte die Krankenschwester auf, die im Vorzimmer saß. Sie hatte die Maske abgenommen, in aller Gemütsruhe etwas von einem Palmtop-Monitor abgelesen und eine Kaffeetasse in der Hand gehalten.

Doch nun sprang sie auf und verschüttete Kaffee auf dem Teppichboden. »Mr. Humphries!«

Er stapfte an ihr vorbei.

»Ich würde nicht dort hineingehen, Sir. Es gibt nichts …«

Humphries ignorierte sie und ging durch die Tür zum Geburtsraum. Amanda lag im Bett, bewusstlos oder schlafend, schweißgebadet und bleich wie der Tod. Drei Frauen in grünen Kitteln und Masken standen an einer Seite des Bettes. Humphries sah, dass Amanda ungeschminkt war. Ihre Augen waren geschlossen, ihr blondes Haar war schweißverklebt. Und trotzdem sah sie so schön, so verletzlich aus wie Prinzessin Tausendschön aus dem Märchen. Seine Wut verrauchte.

Eine der Schwestern — eine stämmige, breitschultrige Person — kam auf ihn zu und verstellte ihm die Sicht auf seine Frau. »Sie tragen keinen Kittel!«, zischte sie hinter ihrer Maske hervor.

Zornig ging Humphries wieder ins Vorzimmer und ließ sich von der Krankenschwester einen Arztkittel und eine Maske geben. In weniger als fünf Minuten trug er Plastik-Überschuhe, eine Maske und Handschuhe und hatte sich eine alberne Kappe über die Ohren gezogen.

Er ging in den Geburtsraum zurück. Es war unheilverkündend still. Amanda hatte sich nicht bewegt. Das einzige Geräusch im Raum war das langsame Klicken eines der Monitoren, die ums Kopfende des Bettes angeordnet waren. Humphries starrte auf die Maschinen. Das Klicken schien vom Herzmonitor zu kommen, der Amandas Herzschläge zählte. Es klang quälend langsam.

»Also«, flüsterte er der Hebamme zu, »wie geht es ihr?« Die Frau sog die Luft ein und erwiderte: »Es hat ein paar Komplikationen gegeben.«

»Komplikationen?«

»Ihr Herz. Durch die Anstrengung bei der Geburt ist das Herz sehr stark belastet worden.«

»Ihr Herz?«, blaffte Humphries. Er richtete einen Finger wie eine Pistole auf die Kardiologin und fragte schroff: »Was ist mit der Hilfspumpe?«

»Sie verrichtet ihre Arbeit«, sagte die Kardiologin mit fester Stimme. »Aber es gibt Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.«

»Wird sie durchkommen? Wird sie das alles unbeschadet überstehen?«

Die Hebamme wandte den Blick ab.

Er packte sie an der Schulter. »Mein Sohn. Ist er in Ordnung?«

Sie schaute ihn wieder an, aber ihr Blick war unstet. »Dem Baby wird nichts fehlen, Mr. Humphries. Sobald wir es aus seiner Mutter herausgeholt haben.«

Plötzlich begriff Humphries. Sie wird sterben. Amanda wird sterben! Die einzige Frau, die ich in meinem Leben geliebt habe, wird bei der Geburt meines Sohns sterben.

Seine Knie gaben nach. Er wäre fast zusammengebrochen, aber dieselbe stämmige Krankenschwester, die ihn vorhin des Raums verwiesen hatte, ergriff nun mit starker Hand seinen Arm und hielt ihn auf den Füßen.

»Wir tun, was wir können«, sagte die Hebamme, während die Schwester Humphries durch die Tür führte und auf einen Stuhl im Vorzimmer setzte.

Humphries sackte auf den Stuhl und hörte kaum die Worte, die im Flüsterton zwischen den Krankenschwestern gewechselt wurden. Die Krankenschwester drückte ihm eine Tasse dampfenden Kaffees in die Hand. Er goss ihn demonstrativ auf den Teppich. Sie schaute überrascht, wich dann zurück und blieb an der Tür zum Geburtsraum stehen. Wie Humphries dort saß, wurden seine Gedanken mit jedem Moment düsterer.

Fuchs. Er ist der Quell allen Übels. Das ist alles nur seine Schuld. Sie liebt ihn noch immer. Sie bekommt dieses Baby nur, um mich zufrieden zu stellen und seinen stinkenden Arsch zu retten. Wenn sie nun stirbt, dann sind alle meine Versprechungen hinfällig. Ich werde diesen Hurensohn finden und ihn töten. Ich werde Harbin und jedes Schiff, das ich da draußen im Gürtel habe, auf ihn ansetzen. Und selbst wenn ich tausend Schiffe brauchte, ich werde ihn zu Tode hetzen. Ich werde ihm bei lebendigem Leib die Haut abziehen. Ich werde seine Eier auf kleiner Flamme rösten lassen.

Ich …

Der erste Schrei eines Babys, das das Licht der Welt erblickte, unterbrach seine Litanei der Wut.

Humphries sprang auf. Die Krankenschwester stand noch vor der Tür, die sich langsam öffnete. Die Hebamme kam heraus und zog sich die Maske vom Gesicht. Sie sah müde aus.

»Mein Sohn?«, wollte Humphries wissen.

»Der Junge ist wohlauf«, sagte die Frau ohne ein Lächeln. »Morgen oder übermorgen werden wir die üblichen Tests mit ihm machen, aber er scheint soweit normal entwickelt zu sein. Ein wenig mager, aber das ist nicht ungewöhnlich für ein Frühchen.«

Mager, sagte Humphries sich. Aber er ist in Ordnung. Er wird wachsen. Ich werde einen gesunden Sohn haben.

»Ihre Frau …«, murmelte die Hebamme.

»Ist sie in Ordnung?«

Die Ärztin schüttelte den Kopf.

»Amanda?«

»Sie hat es leider nicht geschafft, Sir. Ihr Herz blieb stehen, und wir vermochten sie nicht wiederzubeleben.«

Humphries starrte die Frau mit offenem Mund an. »Sie ist tot? Amanda ist tot?«

»Es tut mir sehr Leid, Mr. Humphries«, sagte die Hebamme und wich seinem Blick aus. »Wir haben alles Menschenmögliche getan.«

»Er hat sie umgebracht«, murmelte Humphries. »Der Bastard hat sie umgebracht.«

»Es ist aber nicht die Schuld des Babys«, sagte die Hebamme und blickte ihn erschrocken an.

»Er hat sie umgebracht«, schrie Humphries.

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