Fuchs ging den trübe erleuchteten Gang zwischen Lagerregalen und summender, vibrierender Ausrüstung entlang. Er versuchte dabei, die vereinzelten Renegaten und Parias zu meiden, die im Zwielicht lebten, und machte einen Umweg, sobald er das rote Blinklicht eines sich nähernden Wartungsroboters sah. Er rieb sich abwesend den verspannten Nacken und massierte sich die Nasenwurzel. Er hatte Kopfweh und verspürte Frustration, Zorn, Schmerzen und — am allerschlimmsten — Ungewissheit.
Was sollte er tun? Was sollte er nur tun? Humphries muss Panchos Entführung veranlasst haben. Wer sonst würde das tun? In diesem Moment bringen sie Pancho wahrscheinlich hierher zurück zu seinem Herrenhaus. Wenn sie sie nicht schon getötet haben. Was kann ich tun? Wie kann ich ihr helfen?
Er wusste die Antwort. Geh zu Humphries und töte ihn. Töte den mörderischen Bastard, bevor er Pancho tötet. Töte ihn wegen Amanda. Wegen aller Felsenratten, die er draußen im Gürtel schon getötet hat. Exekutiere ihn im Namen der Gerechtigkeit.
Ach was, so hoch ist dein moralischer Anspruch nun auch wieder nicht, sagte er sich. Von wegen Gerechtigkeit. Nein, was du willst, ist Rache. Sprich nicht von Gerechtigkeit — du willst Rache, nichts weniger.
Er ging allein den Gang entlang und nickte heftig. Rache. Ja. Ich werde Rache üben an dem Mann, der mein Leben zerstört hat. Der alles zerstört hat, was mir lieb war.
Und welche Risiken bist du bereit, für deine Rache auf dich zu nehmen, fragte er sich. Du hast drei Menschen bei dir; Humphries hat eine Armee von Sicherheitsleuten da unten in seinem Herrenhaus. Wie kannst du auch nur daran denken, zu ihm zu gelangen? Es gibt niemanden in Selene, der dir helfen würde. Niemand im ganzen Sonnensystem würde einen Finger für dich rühren, außer Pancho — und die ist seine Gefangene oder vielleicht schon tot.
Fuchs unterbrach plötzlich seinen Marsch. Er stand einem großen Wandbildschirm gegenüber, der an der Seite einer großen tuckernden Wasserpumpe aufgestellt war. Der Monitor war auf Gummistoßdämpfern gelagert, um ihn von der unablässig vibrierenden Pumpe zu entkoppeln. Im schwachen Schein einer entfernten Deckenlampe sah Fuchs sein Spiegelbild auf dem dunklen Bildschirm: ein kurzer, stämmiger Mann mit einer Tonnenbrust, kurzen Armen und Beinen, einem schwarzen Zottelbart und tiefliegenden Augen, die wie Zwillings-Laser glühten. Er war mit einer formlosen schwarzen Hose und einem Pullover bekleidet, beide schwarz wie der Tod.
Genug der Überlegungen, sagte er sich. Genug der Planung. Hol Sanja und die anderen und schlag zu. Heute Abend. Entweder stirbt Humphries heute Abend oder ich. Er lächelte fast. Möglicherweise wir beide.
Die Kopfschmerzen verschwanden mit der Ungewissheit.
»Es war wirklich ein ausgezeichnetes Essen«, sagte Pancho, während Tsavo sie den Gang entlangführte. »Sie haben auch hervorragende Mitarbeiter. Es war mir ein großes Vergnügen, mich mit ihnen zu unterhalten.«
Tsavo strahlte bei ihrem Kompliment. »Ich freue mich, dass es Ihnen gefallen hat.«
Beim Essen hatte er schließlich erfahren, dass Nobuhiko Yamagata in letzter Minute vorm Einsetzen des Sonnensturms gelandet war und sofort zu seinem Verhörtrupp gestoßen war. Nun sagte die elektronische Stimme, die in seinem linken Ohr wisperte, dass er Pancho zu ihrer Unterkunft bringen und sie einschlafen lassen solle. Um ihr beim Einschlafen zu helfen, hatten Yamagatas Leute ein starkes Beruhigungsmittel in die Champagnerflasche gespritzt, die auf Panchos Nachttisch stand.
»Es ist wirklich ein erfreulicher Besuch«, sagte Pancho. »Ich bin froh, dass ich gekommen bin.«
»Sie werden natürlich über Nacht bleiben«, sagte Tsavo mit einem gekünstelten Lächeln.
Pancho grinste ihn auch an. Er war etwa einen Zentimeter größer als sie mit ihrer schlaksigen Statur, und sie mochte große Männer.
»Ich würde liebend gern über Nacht bleiben, Dan, aber ich muss zu meinen Leuten zurück, Sie erwarten mich.«
»Aber der Sturm«, sagte er eindringlich. »Die Oberflächen-Aktivitäten sind alle ausgesetzt, bis die Strahlung wieder auf den Normalwert zurückgegangen ist.«
»Sollte das Essen etwa diesen Zweck gehabt haben?«, fragte Pancho launig. »Mich so lang hier zu behalten, bis der Sturm losbricht?«
Er schien betroffen. »Aber nein! Überhaupt nicht. Doch wo er nun losbricht, werden Sie die Nacht über hier bleiben müssen.«
Sie sagte nichts, als er sie noch ein paar Schritte durch den mit Teppichboden ausgelegten Gang führte und an einer nicht markierten Tür anhielt. Er schob sie auf und geleitete sie in ein kleines, aber behagliches Schlafzimmer; in der Ecke stand ein kleiner Schreibtisch, darüber war ein Wandbildschirm, der die Außenansicht der Basis zeigte. Pancho sah ein paar Raumboote, einschließlich des grünen Geräts, mit dem sie eingeflogen war. Und ein Zubringerschiff des Typs, der Personen von Schiffen im Orbit auf Planeten brachte; das war allerdings noch nicht da gewesen, als sie gelandet war. Im hellen Sonnenlicht sah sie, dass das Schiff von himmelblauer Farbe war.
Dann sah sie, dass ihre Reisetasche ungeöffnet auf dem Bett lag. Und da stand eine Flasche in einem Kühler auf dem niedrigen Tisch vorm Sofa.
»Champagner«, bemerkte sie. »Und zwei Gläser.«
Tsavo setzte einen verschämten Blick auf. »Schon bevor der Sturm aufzog, hatte ich gehofft, dass Sie die Nacht bleiben würden.«
»Mir scheint nichts anderes übrig zu bleiben. Ich sollte aber meine Leute in Malapert anrufen und ihnen Bescheid sagen, dass alles in Ordnung ist.«
Er zögerte, als würde er innerlich mit sich ringen. Pancho vermochte die gewisperten Instruktionen nicht zu hören, die er bekam.
»In Ordnung«, sagte er und ließ wieder dieses hinreißende Lächeln aufblitzen. »Ich muss nur das Nachrichtenzentrum anrufen.«
»Bitte.«
Er ging zum Telefon auf dem Schreibtisch, und auf dem Wandbildschirm erschien plötzlich das Bild eines Mannes, der an einer Konsole saß und ein Kopfbügelmikrofon im dichten dunklen Haar hatte.
»Leider stört der Sonnensturm zurzeit den Funkverkehr, Sir.«
Tsavo wirkte ungehalten. »Können Sie denn keine Laser-Verbindung herstellen?«
»Unsere Laserausrüstung funktioniert zurzeit nicht, Sir«, sagte der Kommunikationstechniker ungerührt.
»Dann stellen Sie die Funktionsfähigkeit wieder her«, sagte Tsavo heftig. »Und geben Sie mir sofort Bescheid, wenn sie wieder funktioniert.«
»Ja, Sir.« Der Wandbildschirm wurde dunkel.
Pancho schürzte die Lippen und zuckte die Achseln. »Dann werden meine Leute in Malapert ohne mich auskommen müssen, bis der Sturm abflaut.«
Tsavo wirkte zufrieden. »Möchten Sie ein Glas Champagner?«, fragte er lächelnd.