Selene: Ebene Sieben

Es wird wärmer hier drin, sagte sich Humphries. Nein, das ist nur Einbildung, korrigierte er sich. Dieser Raum hat eine Brandschutz-Isolierung. Er schob ein paar Anzüge beiseite, die ordentlich im Wandschrank hingen, und legte die Hand auf die nächste der drei grünen Sauerstoffflaschen, die an der Rückwand aufgereiht waren. Ich habe alles, was ich brauche. Sie können mich nicht ausräuchern.

Langsam ging er an den Anzügen, Hosen, Jacken und Hemden vorbei, die alle akkurat geordnet waren, alle bündig an den Kleiderbügeln hingen und nur darauf warteten, dass er sich für einen von ihnen entschied. Er streifte sie mit der Schulter und war versucht, ihnen über die Ärmel zu streichen — ja sogar sie beruhigend an der Wange zu reiben. Wie ein Baby mit seiner Kuscheldecke, sagte er sich. Tröstlich.

Stattdessen ging er zur Tür, die noch immer mit der Cermet-Platte gesichert war. Zögernd berührte er sie mit den Fingerspitzen. Sie war nicht heiß. Nicht einmal sonderlich warm. Vielleicht ist das Feuer schon aus, sagte er sich. Und Ferrer hämmert auch nicht mehr gegen die Tür. Sie hat es aufgegeben. Ich frage mich, ob sie aus dem Haus entkommen ist? Sie ist zäh und klug; ob sie das Feuer überlebt hat? Er verspürte plötzlich Besorgnis. Wenn sie es überlebt, wird sie jedem erzählen, dass ich in Panik geraten bin! Sie wird überall herumerzählen, dass ich mich im Bunker verkrochen und sie draußen dem Tod überantwortet habe!

Humphries ballte die Fäuste so fest, dass die Fingernägel schmerzlich in die Handflächen schnitten. Nein, die kleine Schlampe wird mir damit drohen, alles auszuplaudern und dieses Damoklesschwert für den Rest ihres Lebens über mir schweben lassen. Ich werde sie loswerden müssen. Für immer.

Ich gehe zum Schein auf ihre Forderungen ein und lasse sie dann von Harbin oder sonst einem erledigen.

Nachdem er diesen Entschluss gefasst hatte, durchschritt Humphries den Kleiderschrank noch einmal auf ganzer Länge und fragte sich, woher er wissen sollte, wann er sich wieder aus dem luftdichten Schutzraum herauswagen durfte.


Wenigstens breitet sich das Feuer nicht mehr so schnell aus, sagte sich Fuchs. Er lag flach auf dem Ziegelpfad vor der Luftschleuse. Die Felsenhöhle war ein Inferno aus Flammen und Rauch, der mit jeder Sekunde dichter zu werden schien. Die Hitze verbrannte ihm schier das Gesicht. Nodon hatte wieder das Bewusstsein verloren; Amarjagal und Sanja lagen reglos neben ihm im Gras und starrten auf das langsam sich nähernde Feuer. Die schwarz gekleideten Wachen lagen überall verstreut und husteten. Die Pistolen hatten sie weggeworfen und ihre Verpflichtungen gegenüber Humphries vergessen.

»Wie lang …?«, fragte eine der weiblichen Wachen und brach in ein würgendes Husten aus.

Wie eine Antwort auf die nicht beendete Frage dröhnte die Stimme auf der anderen Seite der Luke: »Wir haben die Luftschleuse aufgestellt. In einer halben Minute öffnen wir die Luke. Wir können zwei Personen gleichzeitig aufnehmen. Die ersten beiden sollen sich fertig machen.«

Fuchs rieb sich die brennenden Augen und sagte: »Amarjagal und Nodon.«

Die Frau schlang sich Nodons unverletzten Arm um die breiten Schultern und kam mit Sanjas Hilfe auf die Füße. Ein paar Sicherheitsleute rührten sich, und Fuchs griff nach der Laserpistole, die neben ihm auf dem Boden lag.

»Wir werden alle rauskommen«, sagte er streng. »Zwei auf einmal.«

Die Wachen erwiderten den Blick mürrisch.

»Wer von euch hat das Sagen?«, fragte Fuchs.

Ein breitschultriger Mann mit kurzem grauem Haar rollte sich herum und setzte sich auf. Fuchs bemerkte, dass sein Bauch über den Hosenbund hing.

»Ich«, sagte er und hustete.

»Sie werden die Reihenfolge festlegen, in der Ihre Leute durch die Luke gehen«, sagte Fuchs in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Sie und ich werden zuletzt gehen.«

Der Mann nickte. Die schwere Stahlluke schwang mit einem Klicken auf.


Stavenger stand im Gang hinter der Notfall-Luftschleuse und sah, wie die Überlebenden des Feuers in Zweiergruppen zum Vorschein kamen.

Wie die Arche Noah, sagte er sich.

Bei den Geretteten handelte es sich hauptsächlich um Humphries' Sicherheitsleute, deren Gesichter durch den Ruß ebenso geschwärzt waren wie ihre Uniformen. Dann kamen noch drei Asiaten, von denen einer den grauen Overall von Selenes Wartungs- und Instandhaltungsabteilung trug.

»Die letzten zwei kommen durch«, sagte jemand von der Rettungsmannschaft.

Ein sonderbares Paar, sagte Stavenger sich. Der eine groß und breitschultrig, der andere klein und stämmig. Beide in schwarzen Monturen. Dann erkannte er das mürrische Gesicht des kleineren Mannes. Lars Fuchs, sagte Stavenger sich. Es ist Lars Fuchs!

»Ist sonst noch jemand dort drin?«, fragte der Chef der Rettungskräfte.

»Keine Überlebenden«, sagte Fuchs.

»Okay«, rief der Einsatzleiter seiner Mannschaft zu. »Die Luke verriegeln und das Feuer herunterbrennen lassen.«

Stavenger sprach bereits in sein Handy und forderte einen Sicherheitstrupp an, um Lars Fuchs zu verhaften. Es gibt nur einen Grund, weshalb er sich hier auf Martin Humphries' Privatgrundstück aufgehalten hat. Er hat Martin Humphries getötet.


Wenn es nicht so ärgerlich wäre, könnte man beinahe darüber lachen, sagte Humphries sich, während er zusammengekauert im Wandschrank saß.

Der Idiot von Architekt, der den Bunker für mich entwarf, hat nicht mal daran gedacht, ein Telefon zu installieren, weil jeder ein Handy hat oder Implantate. Ich habe aber kein Implantat, und ich hasse auch diese verdammten Handys. Da sitze ich nun hier und bin nicht imstande, der Außenwelt ein Lebenszeichen zu geben. Und ich traue mich auch nicht, nach draußen zu gehen, weil das Feuer noch brennen könnte. Selbst wenn es erloschen ist, hat es wahrscheinlich den ganzen Sauerstoff verbraucht, und ich würde ersticken.

Verdammt! Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu warten.

Humphries hasste es zu warten. Auf alles — sogar auf seine eigene Rettung.

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