Fusionsschiff Elsinore

Ein normaler Passagier, der zum Feisenratten-Habitat in Ceres reiste, hätte sich in der Enge des Fusionsschiffs schnell gelangweilt. Die Elsinore beschleunigte mit einem Sechstel Ge, damit der einzige Passagier sich in der vertrauten Schwerkraft des Mondes wohl fühlte. Doch wie alle Schiffe, die zwischen dem Mond und dem Gürtel verkehrten, war die Elsinore für den schnellen, effizienten Flugverkehr und nicht für touristischen Luxus gebaut. Es gab keine Unterhaltung an Bord außer den Videos, die von Selene oder der Erde übertragen wurden. Die Mahlzeiten wurden in der kleinen Bordküche serviert.

Edith aß mit dem Kapitän des Schiffes und einem seiner Offiziere, einer jungen Asiatin, zu Abend. Die Frau sprach wenig, hörte dem Passagier des Schiffes und ihrem Kapitän aber aufmerksam zu.

»Wir werden die Strahlenwolke morgen verlassen«, gab der Kapitän über seinem Teller mit Sojabratlingen und Pilzen gut gelaunt bekannt. »Ceres liegt abseits des prognostizierten Pfads der Wolke.«

»Sie scheinen sich deshalb keine Sorgen zu machen«, sagte Edith.

Er zuckte leicht die Achseln. »Nein, Sorgen mache ich mir nicht. Aber ich bin vorsichtig. Unser Strahlenschutzschirm funktioniert, sodass wir ungefährdet sind. Und morgen um diese Zeit müssten wir die Wolke verlassen haben.«

»Wird die Wolke den Gürtel überhaupt erreichen?«, fragte sie.

»O ja, sie ist so groß und intensiv, dass sie sich erst jenseits des Jupiter-Orbits verflüchtigt haben wird. Ceres wird nicht von ihr betroffen, aber die Hälfte des Gürtels wird von tödlicher Strahlung gebadet werden.«

Edith lächelte ihn an und richtete die Aufmerksamkeit auf ihr Essen aus gentechnisch gezüchtetem Karpfenfilet.

Nach dem Abendessen ging Edith in ihre Kabine und sandte per Laser eine Nachricht an ihren Mann in Selene. Dann nahm sie den ersten Teil der Dokumentation in Angriff, die sie geplant hatte.

Wie sie auf der winzigen Couch der Kabine saß, die Video-Kamera auf dem beweglichen Stativ neben dem Bett platziert, beschloss sie, auf das übliche Cheerleader-Lächeln von Edie Elgin zu verzichten. Kriegsberichterstattung war eine ernste Angelegenheit.

»Hier ist Edie Elgin an Bord des Fusionsschiffs Elsinore«, hob sie an, »und zum Asteroiden-Gürtel unterwegs, wo ein tödlicher und grausamer Krieg zwischen Söldnerarmeen großer Konzerne stattfindet. Ein Krieg, der bestimmen könnte, wie viel Sie für elektrische Energie und alle Dinge bezahlen müssen, die aus Rohstoffen aus dem Gürtel hergestellt werden.«

Sie erhob sich und ging langsam in der kleinen Kabine umher, wobei die Kamera ihr automatisch folgte und sie im Blick behielt.

»Ich werde die nächsten sechs Tage in dieser Kabine verbringen, bis wir Ceres erreichen. Die meisten Männer und Frauen, die zum Gürtel gehen, um als Bergleute, Prospektoren oder was auch immer zu arbeiten, reisen unter wesentlich unbequemeren Bedingungen.«

Edith ging zur Tür und in den Gang. Die Kamera rollte auf dem Stativ automatisch hinter ihr her und folgte ihr, als sie den Zuschauern das Innere des Fusionsschiffs zeigte. Während des Vortrags hoffte sie, dass dieser Abschnitt nicht zu langweilig wurde. Wenn ja, kann ich ihn kürzen oder ganz weglassen, sagte sie sich. Ich will die Zuschauer schließlich nicht langweilen. Das heißt, falls überhaupt jemand die Sendung sieht, wenn sie fertig ist.

Die Cromwell nahm in einem gemächlicheren Tempo Kurs auf den Gürtel und ließ sich von der Strahlenwolke einhüllen. Die fünfköpfige Mannschaft des Schiffs vermochte die Strahlung, die das Schiff umfing, weder zu spüren noch zu sehen — außer an den Zahlen, die der Computer von den Sensoren des Schiffs bezog.

»Der Schirm funktioniert gut«, wiederholte der Kapitän alle paar Minuten. »Funktioniert wirklich gut.«

Die vier Besatzungsmitglieder wünschten sich, dass er mal das Thema wechseln würde.

Schließlich tat er es. »Neuer Kurs: Azimuts achtunddreißig Grad, Steigung beibehalten.«

Eingehüllt in die Strahlenwolke steuerte die Cromwell Vesta an.


Plötzlich geriet Pancho in Panik und hieb auf die Tafel mit den Knöpfen im Aufzug. Der Fahrstuhl hielt schlingernd an, und die Tür glitt auf. Das infernalische Hämmern, Kreischen und Sägen der Bauarbeiten dröhnte ihr sofort in den Ohren, doch sie ignorierte den Lärm und durchquerte schnell die Baustelle.

Sie sah, dass sie noch nicht auf der obersten Ebene war — in der Kuppel, von wo aus eine Luftschleuse zu den im Freien abgestellten Raumbooten führte. Es muss auch eine Rampe nach oben führen, sagte sie sich hoffnungsvoll. Von den Aufzügen hältst du dich besser fern.

Ein Bauarbeiter, der einen orangefarbenen Schlepper fuhr, brüllte sie auf Japanisch an. Pancho verstand die Worte zwar nicht, erfasste aber ihre Bedeutung: Was, zum Teufel, tun Sie hier draußen? Gehen Sie dorthin zurück, wo Sie hergekommen sind!

»Genau das habe ich vor, Kumpel«, brüllte sie grinsend zurück. »Wo geht's hier nach oben?«

Der Leiter der Stützpunkt-Sicherheit schwitzte sichtlich. Nobuhiko schaute den schwarzen Mann finster an. »Also, wo ist sie? Sie muss doch irgendwo sein!«, blaffte er ihn an.

Yamagata hatte den Verhörtrupp in den albernen grünen Kutten zurückgelassen und war zum Büro des Sicherheitschefs geeilt. Unterwegs hatte er sich den Chirurgenkittel heruntergerissen, den man ihm gegeben hatte, und ihn zornig auf den Boden geworfen. Seine vier Leibwächter hasteten hinter ihm her.

Der Sicherheitschef stand hinterm Schreibtisch. Er wurde von einer Reihe von Bildschirmen flankiert, von denen die meisten dunkel waren.

»Sie war hier«, sagte er und hieb auf eine Tastatur, »und zwar mit Mr. Tsavo.«

Einer der Schirme wurde hell und zeigte Pancho und Tsavo im Schlafzimmer. Nobu sah, wie Pancho den Champagner verschüttete, zur Toilette ging — und dann explodierte der Bildschirm in gleißender Helligkeit.

Yamagata blinzelte; ein rotes Nachbild brannte ihm in den Augen. »Ich will nicht wissen, wo sie war«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich will wissen, wo sie jetzt ist.«

Der Sicherheitschef wischte sich Tränen aus den Augen. »Sie muss nach oben auf die Baustelle gegangen sein. Auf diesen Ebenen sind die Überwachungskameras noch nicht aktiviert.«

Bevor der aufgebrachte Yamagata etwas zu sagen vermochte, ergänzte der Sicherheitschef: »Ich habe angeordnet, dass alle Luftschleusen verriegelt und Wachen an allen Raumanzug-Lagerorten postiert werden. Sie kann nicht nach draußen.«

Das ist immerhin etwas, sagte Nobu sich. Sie ist in der Basis gefangen. Dann werden wir sie auch finden. Das ist nur eine Frage der Zeit.


Wir sind vielleicht eine Invasionsstreitmacht, sagte Fuchs sich, als er und seine drei Besatzungsmitglieder zielstrebig durch den blühenden Garten zu Humphries' Herrenhaus marschierten.

Aber das könnte auch von Vorteil sein, wurde er sich bewusst. Je harmloser wir erscheinen, desto weniger ernst werden die Wachen uns nehmen. Wir haben noch immer das Überraschungsmoment auf unserer Seite.

Aber nicht mehr lang, wie er sah. Zwei Männer kamen auf dem gewundenen Pfad auf sie zu — beide groß, mit massigen Schultern und dem harten Blick professioneller Sicherheitsleute. Sie waren mit identischen schiefergrauen Gewändern und Hosen bekleidet: keine Uniformen, aber nahe dran. Fuchs fragte sich, welche Arten von Waffen sie trugen.

»Was tun Sie hier?«, rief der eine und gebot Fuchs und seinen Leuten mit erhobener Hand stehen zu bleiben.

»Störungsbeseitigung«, sagte Fuchs und verlangsamte das Tempo, blieb aber nicht stehen. »Die Wasserversorgung ist unterbrochen.«

»Wir haben keinen Notruf bekommen«, sagte der andere. Er war etwas kleiner und jünger.

»Er ist aber bei uns eingegangen«, log Fuchs. »Ihr könnt das Problem sogar von hier aus sehen, dort am Dach«, sagte er und wies mit ausgestrecktem Arm nach oben.

Der Kleinere drehte sich um. Der andere schaute über die Schulter. Fuchs stürzte sich auf den älteren und rammte ihm den Kopf in den Leib. Ein ›Uff!‹ sagte ihm, dass er voll getroffen hatte. Die beiden gingen zu Boden. Nodon trat dem einen Mann gegen den Kopf, und er erschlaffte. Fuchs kam wieder auf die Füße und sah, dass Amarjagal und Sanja den anderen auch ins Reich der Träume geschickt hatten.

Schnell fesselten sie die zwei Männer mit ihren Gürteln und zerrten sie ins Gebüsch, aber nicht ohne ihnen zuvor noch die Waffen und Funkgeräte abzunehmen.

Fuchs inspizierte die Waffen, während sie zum Herrenhaus rannten. Laserpistolen. Fuchs erinnerte sich, wie die Felsenratten vor Jahren ihre tragbaren Werkzeuge in behelfsmäßige Waffen verwandelt hatten. Diese hier waren spezifisch als Handfeuerwaffen konzipiert.

»BLEIBEN SIE DORT STEHEN, WO SIE SIND!«, dröhnte eine verstärkte Stimme.

»Das ist ein Notfall! Schnell!«, schrie Fuchs zurück. »Wir haben keine Zeit zu verlieren!«

Die Haustür des Herrenhauses öffnete sich, als sie darauf zuliefen, und ein weiteres Wachen-Duo in identischen schiefergrauen Monturen — einer von ihnen eine Frau — trat mit verwirrtem Blick heraus.

»Was geht …«

Fuchs erschoss den Mann, und bevor sie reagieren konnte, erschoss Nodon die Frau. Die Infrarot-Laserstrahlen waren zwar unsichtbar, doch sah Fuchs das kleine schwelende, runde Loch in der Stirn des Mannes, als er auf den Boden sackte.

»Kommt«, sagte Fuchs und bedeutete seinen Leuten mit einem Wink, ihm zu folgen. Amarjagal und Sanja hoben aber erst noch die Waffen der toten Wachen auf und traten dann über die reglosen Körper über die Schwelle des Herrenhauses.

Ich bin in seinem Haus! Fuchs fasste es kaum. Ich bin wirklich in Humphries' Heim! Er wurde sich bewusst, dass er nicht damit gerechnet hatte, überhaupt so weit zu kommen.

Eine Frau in einem schwarzen Hausmädchen-Dress kam aus einer Tür in der Halle; sie trug ein silbernes Tablett mit abgedeckten Speisen. Fuchs lief zu ihr hin. Als sie die Waffe in seiner Hand sah, stieß sie ein erschrecktes Quieken aus, ließ das Tablett fallen und floh zurück in die Küche.

»Vergesst sie«, knurrte Fuchs. »Sucht Humphries.«


Schließlich beendete Edith die Video-Führung durchs Schiff und kehrte zu ihrer Kabine zurück. Sie war müde, beschloss aber, das aufgenommene Bildmaterial zu sichten und die Szenen fürs Schneiden zu markieren.

Doch dann sah sie ihr Spiegelbild auf dem Wandbildschirm der Kabine, und sie untersuchte es minutenlang auf Zeichen der Alterung. Zu ihrer Erleichterung fand sie keine. Die Verjüngungstherapien hielten noch vor.

Dann fragte sie sich, ob man das auf der Erde nicht gegen sie verwenden würde. Man wird glauben, dass ich wie Doug mit Nanomaschinen voll gepumpt bin. Dadurch würden sie vielleicht voreingenommen sein gegen mich.

Sie zuckte die Achseln und schaltete den Bildschirm aus. Vor die Wahl zwischen Flachländer-Vorurteile und jugendliche Optik gestellt, entschied sie sich für die Jugend. Gähnend schaute sie aufs Bett. Zeit für einen Schönheitsschlaf, fand Edith und wünschte sich, dass Doug hier bei ihr wäre.

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