Raumhafen Armstrong

Als das Fahrzeug am Ende des nach Selene zurückführenden Tunnels zum Stehen kam, bemerkte Wanamaker, dass die untere Hälfte von Panchos rechtem Bein von einem Verband umwickelt war. Sie schaute finster, wie sie hinter dem Lenkrad des Fahrzeugs saß, das Bein auf den Kotflügel gestellt.

Fuchs stand neben Wanamaker und schien auch alles andere als glücklich. Seine drei Helfer waren bereits auf dem Weg zum kleinen Raumboot, das sie zum Schiff bringen würde, das im Orbit über der Mondoberfläche wartete.

»Humphries ist am Leben und unversehrt«, sagte Pancho, ohne vom Elektrokarren abzusteigen. »Aber das hat er nicht Ihnen zu verdanken, Lars.«

»Zu dumm«, erwiderte Fuchs mit hängenden Mundwinkeln. »Die Welt wäre besser dran, wenn er tot wäre.«

»Vielleicht, aber Sie haben ihn nicht erwischt. Nun hat er nämlich eine perfekte Entschuldigung, Ihnen nach dem Leben zu trachten, alter Freund.«

Fuchs setzte zu einer Antwort an, besann sich dann aber und schwieg.

»Was haben Sie für ihn?«, wandte Pancho sich an Wanamaker.

»Das einzige verfügbare bewaffnete Schiff ist ein neues Kampfschiff, die Halsey. Es ist nach einem amerikanischen Admiral im Zweiten Weltkrieg benannt.«

Pancho nickte knapp. »Okay, Lars. Es ist Ihr neues Schiff. Offiziell haben Sie es entführt, während es im Mondorbit auf eine Mannschaft wartete.«

»Sie geben es mir?«, fragte Fuchs verblüfft.

»Sie stehlen es. Wir werden es Ihrem langen Strafregister hinzufügen.«

Ein bitteres Lächeln erschien in seinem breiten, ansonsten verdrießlichen Gesicht. »Pancho … ich … weiß nicht, was ich sagen soll.«

Sie erwiderte das Lächeln nicht. »Bewegen Sie nur Ihren Hintern zum Schiff hinauf und hauen Sie, verdammt noch mal, schleunigst ab. Fliegen Sie in den Gürtel zurück und suchen Sie Unterschlupf bei den Felsenratten. Humphries wird Sie mit allem verfolgen, was er hat.«

Fuchs nickte verstehend. »Ich bedaure nur, dass ich ihn nicht getötet habe. Er hat den Tod verdient.«

»Das tun wir alle, alter Freund«, sagte Pancho. »Jetzt aber los! Bevor noch ein Trupp HSS-Sicherheitskräfte durch den Tunnel stürmt.«

Fuchs ergriff ihre Hand, verneigte sich und küsste sie. Pancho wurde rot.

»Gehen Sie schon. Bald ist hier die Hölle los. Ich muss mich darum kümmern.«

Fuchs musste fast lachen; er machte kehrt und trabte durch den Gang, der zum wartenden Raumboot führte, mutete an wie ein zu groß geratener Dachs. Die Arme des in Schwarz gekleideten untersetzten Mannes bewegten sich beim Laufen wie plumpe Flügel.

Pancho schaute ihm nach und fragte sich, ob sie ihm hätte sagen sollen, dass Amandas Baby sein Sohn war und nicht von Humphries. Sie hatte sich schon einmal entschieden, es ihm nicht zu sagen, und erneuerte diesen Entschluss nun. Lars würde nie Ruhe geben, wenn er es wusste. Er würde Humphries weiter nachstellen. Er würde den Stecher für Mandys Tod verantwortlich machen. Und er würde dann auch noch das Baby haben wollen. Er würde bei dem Versuch, es an sich zu bringen, umkommen. Es ist besser, wenn er es nicht weiß. Am besten erfährt er es nie.

Wanamaker schüttelte den Kopf. »Wenn Humphries erfährt, dass Sie Fuchs zur Flucht verholfen haben …«

Pancho grinste ihn an. »Teufel, Jake, Lars ist doch Ihnen entkommen. Sie sind derjenige, der ihn aus dem Krankenhaus rausgeholt hat. Er ist Ihnen entkommen und hat ein nagelneues Astro-Raumschiff gestohlen. Ich könnte Ihren Sold einbehalten oder sonst was.«

Wanamaker grinste schief. »Sie sind vielleicht eine Marke, Ms. Lane. Aber wirklich.«

»Kommen Sie«, sagte Pancho und klopfte auf den Plastiksitz neben sich. »Ich spendiere Ihnen eine Fahrt in die Stadt. Es wartet viel Arbeit auf uns.«


»Was soll das heißen, er ist weg?«, fragte Humphries unwirsch.

Grigor stand vor ihm wie ein dunkles Gespenst. »Fuchs ist verschwunden«, wiederholte er mit gesenktem Blick und einem Achselzucken.

Sie waren im Wohnzimmer von Humphries' Suite im Hotel Luna. Tatiana Oparin war diskret im Schlafzimmer geblieben, als Grigor eintraf — noch bevor der Zimmerservice das von Humphries bestellte Frühstück gebracht hatte.

»Er kann nicht weg sein!«, schrie Humphries und schlug auf die Kissen der Couch, auf der er saß. Er war nur mit einem seidenen Hotel-Morgenrock bekleidet; die dünnen, fast unbehaarten Beine erinnerten Grigor an die eines Huhns.

»Er war letzte Nacht in Selenes Gewahrsam im Krankenhaus«, meldete Grigor. Er stand vorm Sofa neben dem Kaffeetisch. »Und als wir ihn heute Morgen befragen wollten, waren er und seine Mannschaft verschwunden.«

»Verschwunden? Wie hätte er denn verschwinden sollen? Wie hätte er verschwinden sollen?«

»Sicherheitskräfte der Astro Corporation haben ihn kurz nach ein Uhr nachts aus dem Krankenhaus geholt«, erwiderte Grigor; seine Stimme war so monoton und leidenschaftslos wie eine Computerstimme. »Dann verliert sich seine Spur.«

Humphries sprang so abrupt auf, dass sich der kastanienbraune Morgenmantel öffnete und sein baumelndes Glied entblößte: »Finden Sie ihn!«, schrie er. »Suchen Sie jeden Zentimeter der Stadt ab und finden Sie ihn! Sofort! Setzen Sie jeden Mann ein, den Sie haben.«

»Jawohl, Sir.«

»Stehen Sie nicht hier herum! Finden Sie ihn!«

Als Grigor sich zur Tür umdrehte, läutete das Telefon. Mit finsterem Blick identifizierte Humphries den Anrufer auf dem Wandbildschirm: Pancho Lane.

»Anruf beantworten«, blaffte er.

Panchos eckiges, hellbraunes Gesicht wurde überlebensgroß auf dem Wandbildschirm abgebildet.

»Martin, ich habe eine unangenehme Nachricht für Sie.«

Er schaute ihr Bild finster an und hüllte sich in den Morgenmantel.

»Lars Fuchs ist es irgendwie gelungen, unser neuestes Schiff zu stehlen. Er hat vor ein paar Stunden den Mondorbit verlassen und ist wahrscheinlich schon auf dem Flug zum Asteroidengürtel.«

»Er hat Ihnen ein Schiff gestohlen?«, fragte Humphries mit vor Sarkasmus triefender Stimme.

»Ja«, sagte Pancho. »Er ist den Sicherheitskräften entwischt, die ihn letzte Nacht aus dem Krankenhaus geholt hatten.«

Humphries hatte das Gefühl, kurz vor einer Explosion zu stehen. »Er scheint viel Hilfe gehabt zu haben, stimmt's?«

»Ja nun, er hat ein paar Freunde unter meinen Astro-Leuten«, sagte Pancho mit unbewegter Miene. »Wir kümmern uns darum.«

»Ich bin sicher, dass Sie das tun.«

Sie lächelte fast. »Ich sagte mir nur, das würde Sie vielleicht interessieren.«

»Danke, Pancho.«

»Jederzeit, Martin.« Der Bildschirm wurde dunkel.

Humphries ging zu dem kleinen Tisch am Ende der Couch, nahm die darauf stehende Lampe und schleuderte sie gegen den Wandbildschirm. Die Lampe prallte ab und fiel mit einem dumpfen Schlag auf den Teppich.

»Verdammtes Biest! Sie hat ihm bei der Flucht geholfen. Nun fliegt er in den Gürtel zurück, um sich bei seinen Felsenratten-Kumpels zu verstecken.«

»Wir könnten ihn abfangen«, sagte Grigor.

Humphries schaute seinen Sicherheitschef finster an. »Er wird lautlos fliegen. Sie würden das ganze Gebiet zwischen hier und dem Gürtel absuchen müssen. Es gibt nicht genug Schiffe …«

»Er wird irgendwo Vorräte bunkern müssen«, sagte Grigor. »Das Habitat Chrysallis bei Ceres ist der einzige Platz dafür.«

»Die werden ihn nicht reinlassen«, sagte Humphries mit grimmiger Miene. »Sie haben ihn vor Jahren verbannt.«

»Vielleicht«, entgegnete Grigor mit einem knappen Nicken. »Aber er wird sich mit einem Versorgungsschiff in diesem Gebiet in Verbindung setzen.«

»Oder eins kapern, der verdammte Pirat.«

»Wie auch immer, Chrysallis ist der Schlüssel zu seinem Überleben. Wenn wir das Habitat bei Ceres kontrollieren, werden wir ihn früher oder später erwischen.«

Humphries musterte seinen Sicherheitschef für eine Weile schweigend. »Ganz recht«, sagte er dann. »Sagen Sie unseren Leuten auf Vesta, sie sollen eine Einsatzgruppe nach Ceres schicken und die Kontrolle über Chrysallis übernehmen.«

Ein unglücklicher Ausdruck schlich sich in Grigors verdrießliches Gesicht. »Wir haben den Kontakt mit Vesta verloren«, sagte er, wobei er die Worte in einem Schwall ausstieß.

»Was?«

»Ich bin sicher, dass das nur vorübergehend ist.«

»Kontakt verloren?« Humphries' Stimme hob sich um eine Oktave.

»Es könnte der Sonnensturm sein«, sagte Grigor fast zu sich selbst, »obwohl die Wolke schor wieder aus dem Gürtel abgezogen ist.«

»Der Kontakt zum Stützpunkt ist abgebrochen?«, schrie Humphries. »Abgebrochen?«

»Seit mehr als zwölf Stunden«, gestand Grigor fast im Flüsterton.

Humphries wollte schreien. Und er tat es auch — so laut und hysterisch, dass Tatiana Oparin nun doch ins Wohnzimmer eilte. Als sie ihn nicht zu beruhigen vermochte, rief sie die medizinische Abteilung von HSS an und verständigte Humphries' Leibarzt.

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