Das Humphries-Anwesen

»Er ist wieder davongekommen?«, schimpfte Humphries.

Die vorm Schreibtisch stehende Victoria Ferrer nickte bedrückt. Sie trug ein schlichtes taubengraues Business-Kostüm: knielanger Rock, kragenlose, tief ausgeschnittene Jacke und keine Bluse darunter.

Humphries schaute sie finster an. »Und Harbin hat Pancho auch nicht erwischt?«

»Leider nein«, gestand Ferrer. »Ich habe das Gefecht von unserem besten Militärberater analysieren lassen. Fuchs hatte sein Schiff anscheinend als Asteroiden getarnt — zumindest oberflächlich.«

»Und dieser Psychopath Harbin ist darauf reingefallen.«

»Ja, soweit es aus den Berichten hervorgeht, hat es sich so ereignet. Er hat die Mathilda II zwar beschädigt, aber nicht außer Gefecht gesetzt. Das Schiff hat sich nach Ceres zurückgeschleppt. Und Pancho Lane blieb unverletzt.«

»Und Fuchs ist wieder entkommen«, murmelte Humphries düster.

Ferrer sagte nichts.

»Entlassen Sie diesen geisteskranken Harbin«, blaffte er. »Ich will ihn nicht mehr auf meiner Lohnliste haben.«

»Aber …«

»Feuern Sie ihn!«, schrie Humphries. »Werden Sie ihn los! Töten Sie ihn, wenn es sein muss, aber schaffen Sie ihn mir aus dem Weg!«

Ferrer seufzte geduldig. »Wenn Sie darauf bestehen.«

Humphries bemerkte, wie ihr Dekolleté sich hob und gestattete sich den Anflug eines Lächelns. »Ich bestehe darauf.«

»Sehr gut.« Doch anstatt sich umzudrehen und sein Büro zu verlassen, blieb sie vorm Schreibtisch stehen.

»Was denn noch?«, fragte Humphries skeptisch. Er wusste aus langer Erfahrung, dass nichts Erfreuliches dabei herauskam, wenn er einen Mitarbeiter fragen musste, was er auf dem Herzen hatte.

»Es betrifft Ihren Sohn …«

»Alex?«

»Nein. Das Baby. Van.«

»Der Kümmerling.«

»Er ist Ihr Sohn, Mr. Humphries, und er braucht medizinische Betreuung.«

»Kümmern Sie sich darum.«

»Wollen Sie denn nicht wissen …«

»Je weniger ich über diesen Kümmerling höre, desto besser. Belästigen Sie mich nicht wegen ihm. Tun Sie einfach, was getan werden muss.«

Sie seufzte wieder. Diesmal aber aus Enttäuschung, wie Humphries deutlich sah. »Ja, Sir«, sagte sie.

Humphries stemmte sich vom Schreibtischstuhl hoch und wies mit gekrümmtem Finger auf sie. »Kommen Sie mit, Victoria. Wir machen für heute Feierabend. Gönnen wir uns ein wenig Vergnügen.«

Sie sah ihn mit einem Blick an, der irgendetwas zwischen Erstaunen und Zurückhaltung ausdrückte. »Aber da wäre doch noch …«

Er ging um den Schreibtisch herum und streckte die Hand nach ihr aus. »Vickie, was soll ich machen, wenn Sie eine so aufreizende Kleidung tragen — ich bin schließlich auch nur ein Mann.«

Sie zuckte die Achseln, was sie nur noch reizvoller für ihn machte.


Pancho schäumte noch immer vor Wut, als sie zu ihrem Heim in Selene zurückkam. Das ist nun schon das zweite Mal, dass der Bastard versucht hat, mich zu töten, sagte sie sich, als sie durch ihre Suite zum Schlafzimmer ging. Ich darf ihm keine Gelegenheit zu einem dritten Mordversuch bieten.

Sie warf die Reisetasche aufs Bett und befahl dem Telefon, sie mit dem Chef der Sicherheitsabteilung zu verbinden. Doch dann stornierte sie den Anruf.

»Mach Nobuhiko Yamagata ausfindig«, sagte Pancho. Es wird Zeit, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, fügte sie stumm hinzu.

Es dauerte mehrere Minuten, bis Panchos computerisiertes Kommunikationssystem sich mit dem computerisierten Kommunikationssystem der Yamagata Corporation verständigt hatte, doch dann schien die Wand von Panchos Schlafzimmer sich aufzulösen, und sie schaute auf ein dreidimensionales Bild von Nobuhiko. Er stand in einem gesteppten Anorak da; die Kapuze hatte er vom Kopf gezogen. Im Hintergrund sah Pancho schneebedeckte Berge und einen strahlend blauen Himmel.

»O je«, sagte sie, »ich hoffe, dass ich nicht mitten in Ihren Urlaub hineingeplatzt bin.«

Nobuhiko schüttelte lächelnd den Kopf. »Nur ein kleiner Wochenendausflug, Ms. Lane. Ihr Anruf klang wichtig.«

»Es ist wichtig für mich«, sagte Pancho. »Martin Humphries hat schon wieder versucht, mich zu ermorden.«

»Schon wieder?« Nobus Brauen hoben sich.


Während er Panchos Geschichte lauschte, sagte Nobuhiko sich, dass die Strategie seines Vaters voll aufging. Sie glaubt, dass Humphries schon zweimal versucht hat, sie umzubringen. Das erste Mal war natürlich unser Werk. Aber Humphries spielt seine Rolle auch, genau wie Vater es vorhergesagt hat.

»… also sagte ich mir, dass eine strategische Verbindung zwischen unseren zwei Unternehmen durchaus sinnvoll wäre. Zusammen könnten wir Humphries ausmanövrieren und ihn aus dem Rennen werfen, wenn es sein muss.«

Nobu gab sich beeindruckt. »Das Problem ist nur«, sagte er, »dass die Yamagata Corporation ihre Aktivitäten auf die Erde beschränkt, seit Japan und so viele andere Nationen durch die Klimakatastrophe verwüstet wurden.«

»Ich weiß«, sagte Pancho nach der Verzögerung von fast drei Sekunden, die die Kommunikation zwischen der Erde und dem Mond beeinträchtigte. »Aber wenn unsere zwei Unternehmen zusammenarbeiten, kann Yamagata als Partner von Astro wieder ins Weltraumgeschäft einsteigen.«

Nobu strich sich nachdenklich übers Kinn und erwiderte: »Das ist natürlich eine Überlegung wert. Ich werde es in meinem Vorstand zur Sprache bringen und schnellstmöglich eine Sondersitzung einberufen.«

Fast drei Sekunden später nickte Pancho. »Okay … ich weiß das zu schätzen. In der Zwischenzeit brauche ich aber Rat. Militärischen Rat. Können Sie mir da jemanden empfehlen?«

Aha, sagte Nobuhiko sich, nun kommen wir zum eigentlichen Anlass ihres Anrufs. Sie führt mit Humphries Krieg, und sie braucht eine Streitmacht.

»Es gibt mehrere Söldner-Organisationen, die Ihnen von Nutzen sein könnten.«

»Ich will die beste«, stellte Pancho klar.

»Ich werde Ihnen vollständige Dossiers der besten drei Organisationen senden«, erwiderte Nobu und sagte sich, dass Vater sehr beeindruckt sein würde. Sein Plan entwickelte sich genau in die richtige Richtung. Sollen Astro und Humphries sich doch gegenseitig zerstören. Die Yamagata Corporation wird ihnen noch dabei helfen.


»Gekündigt?« Harbin starrte auf Grigors Nachricht auf dem Bildschirm. »Sie schmeißen mich einfach raus?«

Er hielt sich in seinem Quartier in Vesta auf, während die beschädigte Samarkand repariert wurde. Leeza Chaptal lag bei ihm im Bett, als die schlechte Nachricht von Grigor einging. Nur eine Zeile: Ihre Dienste für Humphries Space Systems werden nicht mehr benötigt. — Punkt.

Harbin wusste, dass es mindestens eine halbe Stunde dauern würde, um Grigor eine Antwort zu übermitteln. Aber was sollte er ihm sagen? Fragen, weshalb man ihn rausgeschmissen hatte? Das war wohl offensichtlich. Er war daran gescheitert, Fuchs in die Hände zu bekommen — und er war daran gescheitert, den Auftrag bezüglich Pancho Lane auszuführen. Sie waren fertig mit ihm.

Wie viele habe ich für sie getötet, fragte Harbin sich. Seit mehr als acht Jahren habe ich die Drecksarbeit für sie erledigt, und nun schmeißen sie mich raus. Weggejagt wie ein lästiges Insekt.

Leeza sah seinen versteinerten Gesichtsausdruck und wurde sich bewusst, dass Harbin unter der Maske der eiskalten Gleichgültigkeit vor Wut kochte.

»Es wird alles wieder gut«, sagte sie und schlang die Arme um seinen Hals. »Yamagata wird dich einstellen.«

»Wie kannst du dir da so sicher sein?«, murmelte er.

»Sie wollen dich schon seit Monaten einstellen. Nun hindert sie nichts mehr daran, dir ein Angebot zu machen.«

»Aber wieso sollten sie mich noch einstellen wollen, wenn ich gar nicht mehr bei HSS bin? Sie wollten doch, dass ich Humphries für sie ausspioniere.«

»Sie werden dich anstellen«, wiederholte sie. »Ich weiß, dass sie es tun werden.«

»Wieso?«

Leeza lächelte ihn an. »Weil es hier im Gürtel Krieg geben wird und du ein Krieger bist.«

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