Das Humphries-Anwesen

Fuchs erkannte, dass das Haus riesig und in zwei Sektionen unterteilt war. Auf einer Seite des Korridors, der vom Eingang wegführte, schien es einen Trakt mit Büros und Laboratorien zu geben. Fuchs und seine Leute warfen einen kurzen Blick in ein paar Räume; sie waren leer, still und dunkel. Büros für sein Personal, vermutete Fuchs, die zu dieser nächtlichen Stunde unbesetzt waren.

Ungeduldig dirigierte er seine drei Helfer auf den Korridor zurück.

»Sanja«, sagte er und wies in die Halle, »du musst diese Frau suchen. Sie muss wissen, wo Humphries ist. Wir werden die andere Seite des Hauses durchsuchen.«

Humphries war oben und saß im herrschaftlichen Schlafzimmer am Computerschreibtisch. Der Krieg läuft gut, sagte er sich, als er die aktuellen Verlustmeldungen studierte. Noch ein paar Monate, und wir werden Astro aus dem Gürtel ver jagt haben.

Dennoch verzog er das Gesicht, als er sich mit den neusten Lageberichten seines Nachrichtendiensts befasste. Astro baut immer mehr Schiffe und rüstet sich für einen Gegenangriff. Dieser verdammte Schraubfix weiß nicht, wann sie verloren hat.

Er hörte ein leises Klirren von unten. Einer der Diener musste etwas fallen gelassen haben. Er lehnte sich auf dem gepolsterten Schreibtischstuhl zurück und erinnerte sich, dass er schon vor über einer halben Stunde einen Imbiss bestellt hatte. Wo, zum Teufel, bleibt er, fragte er sich zornig.

Mit einem Kopfschütteln widmete er sich wieder den Betrachtungen über den Krieg. Man sagt, Pancho sei verschwunden. Wahrscheinlich ist sie unten in dieser Nairobi-Basis und versucht, um Unterstützung zu werben. Und bei mir steht eine Vorstandssitzung an. Sie werden wegen der Zahlen für Kapital und Zinsen Zeter und Mordio schreien. Dieser Krieg blutet uns aus. Doch wenn wir ihn erst gewonnen haben, werden sie das Maul halten. Klarer Fall.

Seine Gedanken kehrten zu Pancho zurück. Dieses kleine Biest aus der Gosse. Wenn sie hier in Selene eine neue Flotte von Kriegsschiffen bauen lässt, wäre es sinnvoll, die Fabriken anzugreifen, in denen sie gebaut werden. Doch dann würde Stavenger auf ihrer Seite in den Krieg eintreten. Ich will nicht, dass Selene gegen …

»Das Wasser ist abgestellt.«

Verärgert drehte Humphries sich um und sah Victoria Ferrer in der Tür stehen. Sie war in einen bodenlangen Bademantel gehüllt, dessen Gürtel sie um die Hüfte zusammengeknotet hatte. Ihr Haar glänzte feucht.

»Was?«, blaffte er.

»Das Wasser versiegte, als ich gerade unter der Dusche stand«, wiederholte sie.

In dem Moment verschwand der überm Schreibtisch schwebende Bericht und wich dem angespannten Gesicht seines Sicherheitschefs.

»Sir, wir haben Einbrecher auf dem Grundstück.«

»Im Haus?«

»Ja, Sir. Unten. Ich schlage vor, dass Sie sofort auf die höchste Sicherheitsstufe gehen.«

»Verdammt richtig! Und Sie schnappen sie sich! Melden Sie jeden, den Sie erwischt haben. Los!«


Unten in seinem Kellerbüro legte der Sicherheitschef den Telefonhörer auf und dachte angestrengt nach. Er wusste, dass nur zwölf Wachen in der Nachtschicht waren. Dennoch warf er einen Blick auf den Bildschirm mit dem Dienstplan. Vier Leute hatten sie schon ausgeschaltet. Er wies das Telefon an, das gesamte Wachpersonal — noch einmal zwei Dutzend Leute — anzurufen und sie zum Anwesen zu beordern.

Humphries hat seine Suite dichtgemacht, sagte der Sicherheitschef sich, sodass sie nicht zu ihm vordringen können — es sei denn, sie sind imstande, sich durch drei Zentimeter verstärkten Cermet zu bohren. Doch selbst mit Laserwaffen würde das eine Weile dauern. Der Chef ist jedenfalls in Sicherheit. Er rief eine Ansicht der herrschaftlichen Suite auf und sah, dass Ferrer mit Humphries dort zusammen war. Er grinste. Teufel, vielleicht genießt er es sogar, dass sie mit ihm im Schlafzimmer eingesperrt ist.

Dann richtete er die Aufmerksamkeit wieder auf den Monitor mit den vier Einbrechern, die gerade über die Haupttreppe den ersten Stock stürmten.


Fuchs führte Nodon und Amarjagal vorsichtig die Haupttreppe hinauf und hielt am oberen Treppenabsatz erst einmal nach weiteren Wachen Ausschau. Plötzlich hörte er, wie schwere Türen zuschlugen. Eine Stimme plärrte aus in der Decke verborgenen Lautsprechern:

»SIE WERDEN VON DEN KAMERAS ERFASST. WIR SIND ERMÄCHTIGT, VON DER SCHUSSWAFFE GEBRAUCH ZU MACHEN. DAS HAUS IST IM VERSCHLUSSZUSTAND. ES GIBT KEINEN FLUCHTWEG FÜR SIE. LASSEN SIE DIE WAFFEN FALLEN UND ERHEBEN SIE DIE HÄNDE ÜBER DEN KOPF.«

Fuchs zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann lief er die Treppe hinauf, gefolgt von den beiden anderen. Als sie den ersten Stock erreicht hatten, kam Sanja hinter ihnen die Treppe herauf.

»Die Vordertür ist mit einer Metallplatte blockiert worden!«, rief er.

Fuchs peilte im Obergeschoss die Lage und sah, dass auch die Fenster mit massiven Metallblenden versperrt waren. Die Halle war mit Echtholzmöbeln eingerichtet: Tische, Truhen und Anrichten. Alte Meister hingen an den Wänden.

Sie halten uns für Einbrecher oder Diebe, sagte Fuchs sich, und versuchen uns an der Flucht zu hindern. Dabei will ich doch gar nicht fliehen — ich will Humphries finden.

»Wo bist du, Humphries?«, schrie er die Decke an. »Zeig dich, du Feigling!«

»Sie werden noch mehr Wachen schicken. Wir sitzen in der Falle«, sagte Nodon. Seine Augen waren so geweitet, dass Fuchs das Weiße um die Pupillen sah.

Plötzlich gingen alle Lichter aus, und sie vermochten kaum noch die Hand vor Augen zu sehen. Doch im nächsten Moment zog Nodon schon eine Taschenlampe aus dem Overall. Im trüben Licht wirkte der Gang unheimlich und geheimnisvoll.

Fuchs lief zu einem schweren Walnussholztisch an der Wand. Mit dem Arm wischte er die Blumenvase und Nippes vom Tisch. Die Gegenstände zersplitterten auf dem Fußboden.

»Helft mir, das Ding umzudrehen und es zur Treppe zu schaffen. Damit verhindern wir, dass sie hier raufkommen.«

Sanja und Amarjagal kippten den Tisch um, dann schoben die vier ihn zum Treppenabsatz und verkeilten ihn zwischen Wand und Treppengeländer. Von unten hörten sie trappelnde Schritte und sahen die schemenhaften Konturen von Wachen, die durch die Halle im Erdgeschoss liefen. Sie müssen im Keller stationiert gewesen sein, sagte Fuchs sich und versuchte abzuschätzen, wie viele es wohl waren. Nicht mehr als sechs, sagte er sich.

»Holt die Statuen, die Stühle — alles, was ihr tragen könnt — und bringt es her«, flüsterte er den beiden Männern zu. »Amarjagal, du gehst ein paar Meter den Gang entlang, damit du freies Schussfeld auf sie hast, wenn sie die Treppe hochkommen.«

Wenn sie glauben, dass wir uns ergeben, dann werden sie ihr blaues Wunder erleben, sagte Fuchs sich grimmig. Ich verlasse dieses Haus nicht eher, bis ich Humphries tot zu meinen Füßen liegen sehe.

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