Selene: Restaurant Erdblick

Levi Levinson hatte solch ein luxuriöses Restaurant bisher nur auf Videos gesehen. Der größte Restaurationsbetrieb des Hotels Luna, das Erdblick, lag drei Ebenen tief unter dem Boden des Kraters Alphonsus — groß genug für hundert Tische mit schweren Damasttischdecken, auf denen Silberbesteck lag und kristallene Weingläser standen und die wirklich von echten, flackernden Kerzen erhellt wurden. Der weitläufige Saal hallte wider von gedämpften Gesprächen und dezenter klassischer Musik, die aus den Deckenlautsprechern perlte. Echte, lebendige Kellner in formeller Abendkleidung bewegten sich zwischen den Tischen. Levinson verschwendete keinen Gedanken daran, dass er den üblichen Overall trug; er hatte nichts Besseres in seiner spärlichen Garderobe. Ebenso wenig sah er, dass die meisten Tische des Restaurants nicht besetzt waren. Sein Blick wanderte zu den breiten Holo-Bildschirmen an den Wänden, von denen jeder eine Echtzeit-Abbildung der Erde zeigte: Sie hing blau-weiß glühend am Himmel über den Ringwallbergen von Alphonsus und bildete einen Kontrast zu der Schwärze des Alls.

Er war mehr als eine Viertelstunde zu früh dran für seine Verabredung mit Victoria Ferrer, sodass der maitre d' ihn zu einem leeren Tisch führte. Er nahm Platz und musterte die gut gekleideten Touristen und Manager an den wenigen anderen besetzten Tischen, während ein Kellner Wasser einschenkte und eine Weinkarte auf dem Tisch zurückließ. Levinson gab sich mit dem Wasser zufrieden. Ein Bier wäre ihm eigentlich lieber gewesen, aber er hatte Hemmungen, eins zu bestellen.

Nachdem er so viele Wochen in Selene in einem Apartment gelebt hatte, das von der Astro Corporation zur Verfügung gestellt worden war, fühlte Levinson sich leicht schuldig, weil er von einem Manager des Konkurrenten Humphries Space Systems eine Einladung zum Abendessen angenommen hatte. Aber was soll's, zum Teufel, sagte er sich; ich bin schließlich kein Astro-Angestellter, und Pancho Lane hat mich ignoriert, seit sie mich hierher gebracht hat. Als ob sie mich aus dem Weg haben und verstecken müsste wie einen Zeugen, der auf der Erde gegen ein Verbrechersyndikat aussagen soll. Ich habe nichts Besseres zu tun, bis das Journal of Nanotechnology meine Arbeit veröffentlicht. Und selbst dort verschleppt man die Sache, als ob man es überhaupt nicht veröffentlichen wollte.

Das waren die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, als Victoria Ferrer an seinen Tisch kam und sagte:

»Sie sind Dr. Levinson? Ich bin Vicki Ferrer.«

Irgendetwas im Hinterkopf sagte Levinson, dass er hätte aufstehen sollen, dass das ein Gebot der Höflichkeit war. Aber er vermochte diese wunderschöne Frau nur mit offenem Mund anzustarren, die da vor ihm stand. Ferrer trug ein Goldmetallisé-Kleid, das im Kerzenlicht glänzte und ihre Figur verführerisch zur Geltung brachte.

Der Kellner rückte ihr den Stuhl zurecht, als sie sich setzte und Levinson dabei anlächelte. Er fühlte sich wie im siebten Himmel.

Das Abendessen war wie ein romantischer Traum. Vicki übernahm die Bestellung, während Levinson sie einfach nur verzückt anstarrte. Während sie die verschiedenen Gänge abarbeiteten, die jeweils von einem passenden Wein begleitet wurden, erzählte Levinson ihr seine Lebensgeschichte. Ihm selbst erschien sie banal und langweilig, doch sie schien überaus interessiert.

»Und Sie haben wirklich Nanos programmiert, um das Erz der Asteroiden zu verarbeiten?«, fragte sie, wobei ihre großen braunen Augen vor Respekt, vielleicht sogar vor Faszination glänzten — das glaubte er jedenfalls.

Er erging sich in Details darüber, endete jedoch zwangsläufig mit der enttäuschenden Information, dass die Felsenratten sich weigerten, sein Verfahren anzuwenden, weil sie es für zu gefährlich hielten.

»Im Grunde ist es aber nicht gefährlich«, sagte Levinson. »Ich meine, es wäre möglich, aber ich könnte Prozeduren für sie ausarbeiten, die das Risiko auf ein handhabbares Niveau reduzieren würden.«

»Ich bin sicher, dass Sie das könnten«, sagte Vicki und griff nach dem Sauterneswein, der zusammen mit dem Nachtisch gereicht worden war.

»Aber sie interessieren sich nicht dafür«, sagte Levinson betrübt.

»Tun sie nicht?«

»Nein.«

Sie neigte sich etwas zu ihm hin. »Wieso hat Pancho Lane ihren Leuten in Ceres dann befohlen, mit Nanoverarbeitung weiterzumachen?«

Levinson schaute sie blinzelnd an. »Sie hat was?«

»Die Astro Corporation bereitet sich darauf vor, Nanomaschinen zum Ausbeuten der Asteroiden einzusetzen.«

»Aber es ist meine Arbeit! Ich habe sie veröffentlicht! Ich meine, ich habe sie ans Journal geschickt und …«

»Ich bin sicher, dass Astro Ihnen ein Honorar zahlen wird«, sagte Ferrer. »Wahrscheinlich einen Hungerlohn, gerade genug, um einen Rechtsstreit zu vermeiden.«

Levinson hatte das Gefühl, einen Stich ins Herz bekommen zu haben.

Ferrer griff über den Tisch und berührte seine Hand. »Lev, was würden Sie dazu sagen, für Humphries Space Systems zu arbeiten? Wie würde es Ihnen gefallen, eine ganze Operation im Gürtel zu leiten?«

»Ich?«

»Sie. Sie sind der Mann, den wir brauchen, Lev. Sie werden für Nanoverarbeitungs-Operationen verantwortlich sein, und zwar mit dem Gehalt eines Top-Managers.«

Er machte sich nicht einmal die Mühe zu fragen, wie viel Geld das wäre. Er wusste, dass es eine astronomische Summe war im Vergleich zum Salär eines Laborwissenschaftlers.

»Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ›ja‹ sagten, Lev«, sagte Victoria Ferrer mit flüsternder Stimme und schüchtern gesenktem Blick.

Er nickte stumm. Sie lächelte ihn allerliebst an. Als Levinson mit Vicki an seiner Seite zu seiner Unterkunft zurückging, schwebte er wie auf Wolken. Sie gestattete ihm sogar, ihr einen linkischen Kuss auf den Mund zu geben, und ließ ihn dann im Gang stehen — beschwipst vom Wein und volltrunken von der Vorstellung, für eine große Konzern-Operation verantwortlich zu sein und vielleicht sogar mit der Aussicht, die Gunst dieser schönen Frau zu erringen.

Er sah ihr nach, wie sie den Gang entlangging, drehte sich dann zu seiner Tür um und fummelte an der elektronischen Kombinationsverriegelung herum. Als er schließlich in sein Zimmer wankte, sagte er sich, dafür, dass das unsere erste Verabredung war, ist es verdammt gut gelaufen. Ich glaube, dass sie mich wirklich mag.

Victoria Ferrer nahm die Rolltreppe nach unten zu ihrem Quartier. Ein stilles, zufriedenes Lächeln spielte um ihre Lippen. Wir haben ihn, sagte sie sich. Martin wird zufrieden sein.

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