Asteroid 73-241

Levinson fühlte sich ausgesprochen unwohl im Raumanzug. Es war schon schlimm genug, mit dem schwer gepanzerten Behälter mit Nanomaschinen, die er im HSS-Labor in Selene fabriziert hatte, zu diesem einsamen Felsen mitten im Nichts fliegen zu müssen. Und nun musste er auch noch wie ein Profi-Astronaut das Schiff verlassen und die Mannschaft beaufsichtigen, die ihn begleitete.

»Ich?«, hatte er alarmiert gefragt, als Vickie Ferrer ihm eröffnet hatte, dass Martin Humphries das selbst so angeordnet hätte: Lev sollte das Experiment persönlich beaufsichtigen.

»Sie«, hatte sie mit seidenweicher Stimme geantwortet. »Es ist zu Ihrem Vorteil, den Auftrag selbst auszuführen. Wieso sollte jemand anders die Lorbeeren dafür ernten?«

Während er an der Halteleine, die an der Luftschleuse des Schiffes befestigt war, schwerelos zwischen dem langsam rotierenden Fusionsschiff und dem plumpen dunklen Asteroiden hing, wurde Lev sich bewusst, dass Vickie mit ihm wie mit einer Marionette gespielt hatte. Das verführerische Lächeln, das tiefe Dekolleté, die rauchige Stimme und die vagen Hinweise, was alles möglich wäre, wenn er mit den Nanomaschinen Erfolg haben würde, hatten ihn hierher geführt — in diese dunkle und kalte Leere, von Angesicht zu Angesicht mit einem hässlichen, pockennarbigen Felsbrocken von der Größe eines Fußballfelds.

Wenn ich zurückkomme, wird sie auf mich warten. Das hat sie jedenfalls versichert. Ich werde einen großen Erfolg vermelden, und sie wird dann so beeindruckt sein, dass sie alles tut, was ich will.

Durch Ferrers vage Verheißungen motiviert, hatte Levinson die Laborarbeiten zügig abgeschlossen. Die Produktion von Nanomaschinen, denen ultraviolettes Licht nichts anzuhaben vermochte, war keine große Leistung; man musste sie nur sicher aufbewahren, damit sie sich nicht selbständig machten und alles auffraßen, was ihnen in den Weg kam. Und nachdem er das vollbracht hatte, hatte Ferrer ihm gesagt, dass er in den Gürtel fliegen und das Experiment persönlich überwachen müsse.

Da bin ich nun, sagte er sich und schauderte im Raumanzug. Es ist so völlig leer hier draußen! Obwohl sein Verstand und Wissen ihm sagten, dass der Asteroidengürtel größtenteils leerer Raum war, empfand er die Dunkelheit und Stille als beunruhigend. Als ob man in einem Fußballstadion der einzige Zuschauer wäre, sagte er sich. Als ob man allein in einer leeren Stadt wäre.

Da waren natürlich noch die Sterne, aber durch sie mutete die Szenerie Levinson umso gespenstischer an. Der Himmel war von Myriaden Sternen übersät, sodass die alten, vertrauten Sternbilder, die er von der Erde kannte, in der schieren Menge untergingen. Und sie blinkten nicht einmal. Sie hingen nur dort oben wie stumme Beobachter — wie Augen, die ernst auf ihn herabschauten.

»Wir sind bereit, die Wanzen freizusetzen«, ertönte die krächzende Stimme eines seiner Techniker im Kopfhörer und riss Levinson aus seinen Gedanken.

»Das sind keine Wanzen«, erwiderte er automatisch. »Das sind Nanomaschinen.«

»Ja, richtig. Wir sind bereit, den Geist aus der Flasche zu lassen.«

Levinson hangelte sich langsam zum anderen Ende der Halteleine, die im festen Gestein des kleinen Asteroiden verankert war. Die zwei Techniker schwebten über dem Felsen; sie hatten mit den Mini-Düsentriebwerken im Rückentornister volle Bewegungsfreiheit. Levinson, ein Greenhorn im All, achtete darauf, dass er sicher an der Leine vertäut war. Den Behälter, eine versiegelte Flasche aus reinem Diamant, hatte er am Werkzeuggürtel um die Taille des Raumanzugs befestigt.

Er wollte die Füße auf den Asteroiden stellen und stieß sich zu seiner Verwunderung sofort wieder von ihm ab. Im Kopfhörer hörte er einen der Techniker leise kichern.

»Die Newtonschen Gesetze wirken sogar hier draußen«, sagte er, um seine Verlegenheit zu überspielen.

Er näherte sich dem Felsen nun langsamer, und nach zwei weiteren Versuchen fanden die Stiefel schließlich Halt an der Oberfläche. Er sah, dass über der Stelle, wo er zuerst aufgekommen war, noch die Staubwolken hingen — so minimal war die Schwerkraft des Asteroiden.

Die Techniker hatten die Oberfläche des Felsens mit konzentrischen fluoreszierenden Kreisen markiert, die an eine glühende Zielscheibe erinnerten. Kameras an Bord des Schiffs würden registrieren, wie schnell die Nanomaschinen sich vom Ausgangspunkt ausbreiteten und den Felsbrocken auffraßen. Levinson ging zum Mittelpunkt der Kreise, wobei er sich an der Sicherheitsleine festhielt und bei jedem Schritt, den er machte, von der Oberfläche des Asteroiden abstieß. Diesmal hörte er kein Kichern von den Technikern. Wahrscheinlich haben sie die Funkgeräte ausgeschaltet, sagte er sich.

Die Handschuhe des Raumanzugs erschwerten ihm die Arbeit — trotz der kleinen Servomotoren am Rücken der Handschuhe, die ihm beim Krümmen der Finger helfen sollten. Schließlich öffnete Levinson die Flasche und stellte sie mit der Öffnung nach unten exakt auf den Mittelpunkt der Zielscheibe. Und wieder arbeitete die geringe Gravitation gegen ihn. Die Flasche hob von der Oberfläche ab, sobald er sie losließ. Mit gerunzelter Stirn drückte er sie herunter und hielt sie für einen Moment fest; dann nahm er die Hand vorsichtig weg. Die Flasche blieb stehen.

Er schaute auf und sah, dass beide Techniker in deutlichem Abstand über dem Felsen schwebten. Sie fürchten sich vor den Nanomaschinen, sagte sich Levinson. Na ja, sollen sie sich lieber in Sicherheit bringen, als Ängste auszustehen. Er packte die Halteleine mit beiden Händen, stieß sich vom Asteroiden ab und wollte sich eben zum Schiff zurückhangeln — da erschlaffte die Halteleine plötzlich, und im ersten Moment befürchtete Levinson, es sei etwas schief gegangen. Dann sah er aber, dass sie noch immer an der Luftschleuse des Schiffes befestigt war, und erinnerte sich, dass die Techniker einen Sprengsatz zünden sollten, der das am Asteroiden befestigte Ende der Leine freigab. Im Vakuum des Raums vermochte er den Knall des Sprengbolzens nur nicht zu hören. Es kostete ihn erstaunlich viel Kraft, sich umzudrehen, doch als er es geschafft hatte, sah er das andere Ende der Halteleine schlaff im leeren Raum hängen.

Und der Asteroid verschwand! Levinson machte große Augen und staunte, wie schnell die Nanomaschinen den Asteroiden auffraßen. Eine Staubwolke entstand und blähte sich so schnell auf, dass das feste Gestein darin verschwand. Als ob Piranhas sich über eine Beute hermachten, sagte er sich. Er erinnerte sich an Videos, auf denen er gesehen hatte, wie die gefräßigen Fische einen südamerikanischen Fluss förmlich zum Kochen brachten, wenn sie ihre Beute angriffen.

»Schalten Sie das Spektrometer ein!«, rief Levinson aufgeregt und hangelte sich weiter zum Schiff zurück.

In weniger als einer Minute vermochte er das gleißende Funkeln eines Laserstrahls zu sehen, der über die sich ausdehnende Staubwolke spielte.

Angestrengt schnaufend näherte er sich der Luftschleuse. Dann sah er, dass die Luke geschlossen war, und wurde sich bewusst, dass seine beiden Helfer schon vor ihm zum Schiff zurückgekehrt waren.

»Was habt ihr denn?«, fragte er ins Helmmikrofon.

»Eisen, Blei, Platin, Silber …«, erwiderte der Techniker, der das Spektrometer an Bord des Schiffs bediente.

»Reine Elemente oder Verbindungen?«, fragte Levinson und sah den Asteroiden sich auflösen wie ein Stück Holz, das von Termiten zerfressen ist.

»Größtenteils in atomarer Form. Ein paar Verbindungen, die ziemlich seltsam aussehen, aber hauptsächlich handelt es sich um Atome.«

Das seltsame Zeug müssen die Nanos sein, sagte Levinson sich. Er hatte sie darauf programmiert, nach achtundvierzig Stunden zu zerfallen. Bei dieser Geschwindigkeit wäre vom Asteroiden in achtundvierzig Stunden nichts mehr übrig außer einer Wolke aus einzelnen Atomen.

Wow, sagte er sich. Es funktioniert sogar noch besser, als ich erwartet hatte. Vickie wird sehr beeindruckt sein.

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