Basis Leuchtender Berg

»Möchten Sie ein Glas Champagner?«, fragte Tsavo glatt und reichte Pancho eine der Kristallflöten, die er gefüllt hatte.

»Gern«, sagte Pancho und setzte ihr lieblichstes Lächeln für ihn auf.

Als er ihr das Glas reichte, ließ Pancho es aus den Fingern gleiten. Sie schaute mit Belustigung zu, wie das Glas in der sanften Mondschwerkraft langsam fiel und der Inhalt wie in Zeitlupe aus dem Glas schwappte. Pancho hätte das Glas noch zu ergreifen vermocht, ehe es sich entleerte, doch schaute sie stattdessen zu, wie der Champagner auf ihren Overall spritzte — und Tsavo stand mit einem Ausdruck des Entsetzens da.

»Ach, du lieber Gott«, sagte sie, als das Glas auf dem dicken Teppichboden landete. »Wie ungeschickt von mir.«

Tsavo hatte sich wieder soweit gefasst, um »Mein Fehler« zu sagen.

Pancho schaute an der mit Champagner benetzten Vorderseite des Overalls hinab und sagte: »Ich sollte das mal trocknen.« Sie ging zur Toilette zurück und hielt kurz inne, um einen ihrer Ohrringe abzunehmen und ihn auf den Nachttisch neben dem Bett zu legen.

Es gibt viele Möglichkeiten, einen Gegner unschädlich zu machen, der größer und stärker ist als man selbst, erinnerte Pancho sich, als sie die Toilettentür abschloss. Eine ist die Blendung des Hundesohns.

Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und kniff die Augen zusammen, sah aber dennoch den Blitz hinter den geschlossenen Augenlidern. Tsavo schrie auf. Als Pancho die Toilettentür wieder geöffnet hatte, taumelte er durchs Schlafzimmer.

»Ich kann nichts mehr sehen!«, schrie er. »Ich bin blind!«

Er stieß gegen den Serviertisch, sodass die Flasche und der Kühler zu Boden fielen; dann sackte er mit einem schmerzlichen Stöhnen neben der Couch zusammen und rieb sich heftig die Augen.

»Ich bin blind! Ich bin blind!«

»'tschuldigung, Danny Boy«, sagte Pancho und schnappte sich die Reisetasche auf dem Bett. »Sie werden das Sehvermögen in ein paar Stunden oder so zurückerlangen.«

Sie verließ ihn — ein schluchzendes Häufchen Elend neben dem Sofa — und lief in den Gang hinaus.

Nun wollen wir mal sehen, wie es hier um die Sicherheit bestellt ist, sagte Pancho sich grinsend und rannte wie eine Gazelle durch den mit Teppichboden ausgelegten Korridor.


Fuchs hatte schon in Erwägung gezogen, im Hauptquartier der Astro Corporation anzurufen und mit einem von Panchos Assistenten zu sprechen, sich dann aber dagegen entschieden. Sie hätten weder die Befugnis, ihm die nötige Unterstützung zu gewähren, noch genug Verstand, um diese Notwendigkeit überhaupt zu erkennen. Fuchs wurde sich bewusst, dass er auf sich allein gestellt war, wo Pancho von der Bildfläche verschwunden war.

Ist auch egal, sagte er sich, als er auf der Rolltreppe zu Selenes unterster Ebene fuhr. Es ist besser, weder Pancho noch sonst jemanden darin zu verwickeln. Was ich tun muss, werde ich allein tun.

Nodon, Sanja und Amarjagal warteten am unteren Absatz der letzten Treppenflucht auf ihn. Der Korridor auf dieser Ebene war leer, wie Fuchs schon vermutet hatte. Nur die Reichsten lebten hier unten in der Umkehrung von Dachterrassen-Wohnungen auf der Erde. Keine Menschenmengen, sagte er sich, als die vier durch den breiten, leeren und stillen Gang gingen. Fuchs sah, dass die Wände mit Flachreliefs verziert waren und der Boden mit einem weichen Belag ausgelegt war. Er wusste auch, dass sie von Überwachungskameras beobachtet wurden, aber sie sahen nur aus wie vier Wartungsarbeiter — nichts, was Alarm ausgelöst hätte.

Bisher.

»Hast du den Wartungscomputer programmiert?«, fragte Fuchs Nodon.

Der nickte mit einem leicht ängstlichen Ausdruck in den großen wässrigen Augen. »Ja, Sir. Das Wasser wird auf dieser Ebene in …« — er schaute auf die Armbanduhr — »drei Minuten abgestellt.«

»Gut«, sagte Fuchs. Er hatte keine Ahnung, wie lang das Wartungspersonal brauchen würde, um zu entdecken, dass das Wasser für Ebene Sieben abgestellt worden war. Hoffentlich lang genug, dass wir vier in Humphries' Felsenhöhle kommen, sagte er sich.

Der Gang endete an einer kahlen Felswand, in die ein schweres Metallschott eingelassen war. Neben dem Schott war ein Tastenfeld.

»Hast du den Zugangscode?«, fragte Fuchs Nodon.

»Ich war noch nicht lang genug in der Wartungsabteilung beschäftigt, um hier unten eingesetzt zu werden«, flüsterte Nodon um Entschuldigung heischend. »Aber ich kenne die Notfall-Codes für die oberen Ebenen.«

»Probier sie aus.«

Nodon bückte sich vor der Tastatur und gab Zahlen ein. Fuchs schaute mit wachsender Ungeduld zu. Eine Überrang-Kombination muss es auf jeden Fall geben, sagte er sich. Humphries muss schließlich den Rettungskräften von Selene Zugang zu seinem privaten Reservat gewähren. Nicht einmal er vermag Notfall-Helfern den Zutritt zu seinem Grundstück zu verweigern. Das ist in Selenes Sicherheitsbestimmungen so festgelegt.

Die Luke öffnete sich plötzlich mit einem metallischen Klicken. In der Stille des leeren Gangs glich es einem Gewehrschuss.

»Na bitte!«, zischte Fuchs. Er legte die Pranke auf den kalten Stahl der Luke und drückte. Sie öffnete sich langsam und lautlos. Ein Hauch milder, warmer Luft strich an ihm vorbei, als die Luke sich ganz öffnete.

Fuchs verschlug es bei diesem Anblick fast den Atem. Ein weites Feld mit leuchtend bunten Blumen, warmes künstliches Sonnenlicht, das von den Lampen hoch oben herabstrahlte, die Luft mit Gerüchen geschwängert, die er seit seinem letzten Sommer auf der Erde vor so vielen Jahren nicht mehr wahrgenommen hatte.

Und Bäume! Hoch, stattlich, die belaubten Äste wie zu seiner Begrüßung ausgebreitet.

»Es ist ein Paradies«, wisperte Amarjagal mit ehrfürchtig geweiteten Augen. Nodon und Sanja standen mit offenem Mund neben ihr. Fuchs war den Tränen nahe.

»Kommt«, knurrte er mit einem ärgerlichen Kopfschütteln. »Es muss Alarm ausgelöst worden sein. Die Kameras haben uns im Blick.«

Er betrat den Pfad aus Ziegeln, der sich durch Rabatten mit farbenprächtigen Blumen schlängelte und zum Herrenhaus führte, das sie zwischen den Bäumen sahen.

Ein Paradies, sagte Fuchs sich. Aber dieses Paradies wird von bewaffneten Männern bewacht, und sie werden in ein paar Minuten auftauchen, um uns aufzuhalten.


Nobuhiko schob den Ärmel des grünen Chirurgenkittels hoch und schaute auf die Uhr. Er wandte sich an den Leiter des Verhörtrupps. »Wo bleibt sie denn?«, fragte er unwirsch. »Ich warte nun schon seit fast einer halben Stunde.«

Die Maske des Mannes saß etwas schief. Er schob die Kappe zurück und enthüllte eine Linie, die der Gummizug auf der Stirn hinterlassen hatte.

»Tsavo sollte sie hierher bringen«, sagte er.

»Sie müssten längst hier sein«, sagte Nobuhiko.

»Vielleicht sind sie …« Der Mann zögerte.

»Sie sind was?«

»Sie haben nach ihrer ersten Begegnung in Selene eine Nacht zusammen verbracht. Vielleicht sind sie gerade … miteinander im Bett.«

Eine der maskierten Frauen kicherte.

Nobuhiko war nicht amüsiert. »Schicken Sie jemanden los, um sie zu suchen. Sofort!«


Pancho hatte sich die Reisetasche unter den Arm geklemmt und marschierte zügig den Gang entlang. Sie versuchte sich an den Weg zu erinnern, den sie genommen hatte, als Tsavo sie auf diese Ebene herunterbrachte. Teufel, sagte sie sich, es ist erst ein paar Stunden her, aber ich bin mir nicht mehr sicher, aus welcher Richtung wir kamen. Mein Gedächtnis ist futsch.

Sie erinnerte sich an den Tarnanzug, in dem sie sich vor so vielen Jahren in Humphries' Herrenhaus geschlichen hatte. Einen Tarnmantel könnte ich nun gut gebrauchen, sagte sie sich, als sie auf der Suche nach Überwachungskameras den Blick über die Decke schweifen ließ. Sie sah zwar keine, aber sie wusste, dass das nichts heißen wollte. Die Kameras konnten auch versteckt sein.

Sie machte zwei Metalltüren am Ende des Ganges aus. Der Aufzug! Pancho eilte hin und lehnte sich gegen den in der Wand eingelassenen Knopf.

Nun wird sich zeigen, ob sie mich beobachten. Wenn der Aufzug funktioniert, heißt das, dass sie von meiner Flucht noch nichts wissen.

Die Aufzugtüren glitten auf, und Pancho betrat den Fahrstuhl. Erst als die Türen sich wieder schlossen und der Aufzug nach oben beschleunigte, wurde ihr bewusst, dass es sich vielleicht um eine Falle handelte. Teufel! Vielleicht wartet eine Armee von Wachen oben am Eingang auf mich.

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