Das Humphries-Anwesen

Fuchs kauerte hinter der behelfsmäßigen Barrikade, die am oberen Treppenabsatz verkeilt war, und spähte ins Zwielicht. Es drang etwas Licht vom Garten durch die Blenden herein, mit denen die oberen Fenster versperrt waren. Er hörte unten Schritte, doch bei der ausgeschalteten Innenbeleuchtung war es unmöglich, etwas zu sehen. Er wusste, dass Nodon eine Taschenlampe hatte, doch wenn er sie einschaltete, würde er den Wächtern nur als Zielscheibe dienen.

»Nodon«, flüsterte er, »reiß ein paar Gardinen von den Fenstern herunter.«

Nodon verschwand, und Fuchs hörte ein Reißen und dann einen dumpfen Schlag.

»Wer auch immer Sie sind, Sie kommen hier nicht mehr raus. Sie sitzen fest«, ertönte eine kräftige Stimme im ersten Stock. »Sie sollten aufgeben und sich von uns der Polizei überstellen lassen.«

Fuchs unterdrückte die grobe Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Nodon kam angerannt und drückte ihm zerknüllten Stoff in die Hand. »Reicht das, Kapitän?«, fragte er.

»Wir werden sehen«, erwiderte Fuchs im Flüsterton.

Ein Licht blitzte in der Dunkelheit auf, und ein Mann jaulte schmerzlich auf. Die in der Mitte des Treppenabsatzes postierte Amarjagal hatte die Waffe auf jemanden abgefeuert, der sich leise die Treppe hochgeschlichen hatte. Aber nicht leise genug. Die Mongolenfrau hatte ihn gehört und mit ihrer Laserpistole beschossen. Der Strahl war unsichtbar, aber die Kleidung der Wache fing Feuer, als sie getroffen wurde. Fuchs hörte, wie der Mann die mit Teppich ausgelegte Treppe hinunterstürzte.

Wir brauchen mehr Licht, sagte Fuchs sich. Wenn ich diesen Vorhang anzünde, können wir ihn als Fackel verwenden.

Ein Lichtblitz zerplatzte am Tisch, direkt neben Fuchs' Ohr. Er roch brennendes Holz.

»Hinter uns!«, rief Sanja in seinem heimischen Mongolen-Dialekt.

Fuchs drehte sich um, als Sanja und Nodon blindlings durch die Halle schossen. Es gibt noch eine andere Treppe, wurde er sich bewusst. Du Idiot! Du Idiot! Du hättest daran denken müssen und …

Nodon schrie auf, als er getroffen wurde. Er packte seine Schulter. Fuchs entriss Nodon die Pistole und nahm die Halle blindlings unter Feuer. Aus dem Augenwinkel sah er Amarjagal auf zwei Gestalten schießen, die die Treppe heraufkrochen.

Fuchs ließ Nodons Pistole fallen, zerknüllte den Stoff in einer Hand und feuerte die Pistole darauf ab. Der Stoff schwelte. Er schoss wieder, und das Gewebe ging in Flammen auf. So viel zu flammhemmenden Materialien, sagte er sich. Man setze sie großer Hitze aus, und sie brennen lichterloh.

»Schieß auf sie!«, befahl er Sanja. »Zwing sie in Deckung!«

Sanja tat wie geheißen und nahm die Halle unter Beschuss; er schnappte sich Nodons Waffe wieder und schoss beidhändig.

Fuchs rappelte sich auf und rannte durch die Halle, wobei er wie ein wilder Stier brüllte, mit der einen Hand seine Pistole abfeuerte und mit der anderen den brennenden Vorhang überm Kopf schwenkte. Wer auch immer dort war, hielt sich bedeckt und schoss nicht zurück. Fuchs sah das rückwärtige Treppenhaus, blieb stehen und warf den brennenden Stoff die Treppe hinunter. Um die beste Wirkung zu erzielen, bestrich er das Treppenhaus noch mit der Pistole.

Er sah ein paar Leute die Treppe hinunterlaufen, als der Vorhang sich herabsenkte. Der Teppichboden auf den Stufen qualmte, und ein Alarm schrillte in den wabernden Schemen.


Humphries war mit angstgeweiteten Augen vom Büro ins angrenzende Schlafzimmer geflohen. Er spürte, wie das Herz unter den Rippen hämmerte, und hörte den Puls so laut in den Ohren rauschen, dass er Ferrer kaum hörte, die ihn anschrie.

Jemand ist in mein Haus eingebrochen, kreischte eine Stimme in seinem Kopf. Jemand ist in meinem Heim!

Die Notbeleuchtung hatte sich eingeschaltet, und die Cermet-Rollläden hatten das Schlafzimmer vom Büro und der Halle draußen isoliert. Niemand kann zu mir gelangen, sagte Humphries sich. Zwei feuerfeste Türen sind zwischen mir und ihnen. Ich bin sicher. Sie können mich nicht erreichen. Die Wachen werden sie erwischen. Ich bin hier sicher.

Ferrer hatte noch immer den weißen Frottee-Bademantel an. »Es ist Fuchs!«, schrie sie ihn an. »Schauen Sie auf den Bildschirm!«

Der Wandbildschirm zeigte einen Mann wie die Miniatur-Ausgabe eines Bären, der durch die Halle stürmte und einen brennenden Vorhang schwang.

»Fuchs?«, sagte Humphries atemlos. Das Gesicht des Mannes war in der Falschfarben-Darstellung der Infrarotkamera schwer zu erkennen. »Das kann nicht sein!«

Ferrer schaute ihn zornig und angewidert an. »Er ist es aber! Der Computer hat sein Bild und seine Stimme abgeglichen. Es sind Fuchs und drei seiner Leute.«

»Hier?«

»Er ist gekommen, um Sie zu töten!«, sagte sie schroff.

»Nein! Das kann er nicht! Sie …«

»FEUER!«, ertönte die Computer-Warnung. »FEUER IM HINTEREN TREPPENHAUS.«

Humphries erstarrte beim Blick auf den Wandbildschirm, der die brennende hintere Treppe zeigte.

»Wieso gehen die Sprinkler nicht an?«, wollte er wissen.

»Das Wasser ist abgestellt«, erinnerte sie ihn.

»Kein Wasser?«, blökte Humphries.

»Das Gebäude ist aus Beton«, sagte Ferrer. »Isolieren Sie den brennenden Bereich, bis das Feuer den ganzen Sauerstoff verbraucht und sich selbst verzehrt hat.«

Humphries spürte, dass die Panik etwas gelindert wurde. Sie hat Recht, sagte er sich. Soll das Feuer sich selbst verzehren. Er straffte sich und schaute auf die Anzeige des Wandbildschirms.

»Alle, die dort gefangen sind«, sagte er und wies zittrig auf den Bildschirm, »werden im Feuer umkommen. Fuchs wird gebraten werden wie in der Hölle.«


Fuchs rannte zur provisorischen Barrikade am oberen Absatz der Haupttreppe. Er roch den Rauch, der von der hinteren Treppe zu ihm herüberwaberte.

»FEUER!«, sagte eine synthetische Stimme. Sie klang ruhig und monoton, war aber stark verstärkt. »FEUER IM HINTEREN TREPPENHAUS.«

»Wir müssen hier raus«, zischte Sanja ihm ins Ohr.

»Nein!«, blaffte Fuchs. »Erst wenn wir Humphries erwischt haben.«

Amarjagal kam zu ihnen gekrochen. »Es sammeln sich immer mehr Wachen unten«, sagte sie. »Sie werden gleich die Treppe hochstürmen.«

Aus dem Augenwinkel sah Fuchs den flackernden Feuerschein im hinteren Treppenhaus. Aus dieser Richtung können sie uns nicht angreifen, sagte er sich. Wir können uns aber auch nicht auf diesem Weg zurückziehen.

Laserstrahlen zischten gegen den umgestürzten Tisch und versengten die Wand hinter ihnen.

»Sie kommen!«

Selbst im trüben Licht vermochte Fuchs einen Trupp Wachen zu sehen, die die Treppe stürmten. Sie feuerten ihre Waffen ab, und die anderen unten in der Eingangshalle schossen ebenfalls auf sie.

Fuchs rollte zu der Seite des Tisches, wo seine Leute eine schwere Marmorbüste von einer Anrichte in der Halle abgelegt hatten. Er bemerkte, dass einer der Laserschüsse ein Gemälde an der Wand hinter ihnen in Brand gesetzt hatte. Angestrengt grunzend hob er die Büste mit beiden Händen an, wuchtete sie über die Kante des umgestürzten Tisches und warf sie die Treppe hinunter. Sie polterte die Stufen hinab und trieb die sich nähernden Wachen auseinander wie eine Bowlingkugel. Sanja und Amarjagal eröffneten das Feuer auf sie. Fuchs hörte Schmerzensschreie.

»Wir müssen hier raus«, sagte Amarjagal nüchtern. Es lag keine Panik in ihrer Stimme, nicht einmal Furcht. Es war einfach eine Tatsachenfeststellung.

Und Fuchs wusste, dass sie Recht hatte. Aber sie waren von Feinden umzingelt und saßen in der Feuerfalle. Und Humphries war unversehrt.

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