Raumboote — oder Shuttles — werden für Kurzstreckenflüge auf dem Mond eingesetzt. Es sind plumpe Fahrzeuge, kaum mehr als mit Aluminiumpulver und Flüssigsauerstoff — beides aus dem Mond-Regolith gewonnen — angetriebene Raketenmotoren. An der Oberseite der bauchigen Treibstofftanks und Raketendüse sitzt ein rechteckiger Gitterrost mit einer Länge von nicht mehr als drei Metern, der von einer hüfthohen Konsole gekrönt wird, in der sich die Steuerung des Raumboots befindet. Das ganze Ensemble sitzt auf drei dünnen Beinen, die nicht stark genug wären, um das eigene Gewicht in der normalen Erdenschwere zu tragen.
Pancho war hundemüde, als sie mühsam die Leiter zur Plattform des Raumboots erklomm. Sie war dankbar, dass dieser kleine Vogel eine Glasstahl-Kanzel hatte, die die Plattform überwölbte. Sie bietet etwas Schutz gegen die Strahlung, sagte sie sich. Sie kam oben an, zog sich auf den Aluminiumrost und ließ die Luke zufallen. Alles in der absoluten Stille des Mondes.
Es gab natürlich keine Sitze im Raumboot. Man flog die kleinen Kisten im Stehen und steckte die Stiefel in die an der Plattform befestigten Schlaufen.
Die Strahlenanzeige an der Seite des Helms hatte sich zu einem blässlichen Gallengrün zurückentwickelt, und die automatisierte Stimme hielt endlich das Maul. Pancho war dankbar dafür. Entweder ist die Strahlung abgeklungen, sodass das Warnsystem sich abgeschaltet hat, oder ich habe eine solche Dosis abbekommen, dass die Warnung mittlerweile überflüssig ist, sagte sie sich.
Sie fühlte sich selbst gallengrün; verspürte Brechreiz und eine solche Müdigkeit, dass sie — falls ein Liegesitz im Raumboot gewesen wäre — diesen zurückgeklappt und sich zum Schlafen hingelegt hätte.
Noch nicht, rief sie sich zur Ordnung. Wenn du jetzt einpennst, Mädchen, wirst du wahrscheinlich nie mehr aufwachen.
In der Hoffnung, dass die Strahlung nicht die Elektronik des Raumboots beschädigt hatte, betätigte Pancho den Hauptschalter und stellte zufrieden fest, dass die Lampen auf der Steuerkonsole aufleuchteten. Ein bisschen trübe, sagte sie sich. Die Brennstoffzellen sind schlapp. Oder vielleicht hat mein Sehvermögen gelitten.
Der Brennstoff war knapp. Nairobi hatte den Vogel nicht wieder aufgetankt, nachdem er sie zum Stützpunkt gebracht hatte. Würde der Sprit noch für den Rückflug zur Astro-Basis reichen? Trotz der Schmerzen und des Brechreizes musste Pancho grinsen. Schaun wir mal, wie weit wir damit kommen.
Nobuhiko war einem der Ingenieure zum Flugkontrollzentrum der Basis gefolgt: eine kleine Kammer, mit Konsolen und Bildschirmen angefüllt, von denen die meisten dunkel waren. Und die meisten Schreibtische waren auch unbesetzt. Dennoch war es stickig warm im Raum, obwohl Yamagatas Leibwächter draußen im Gang postiert waren.
Eine Konsole war aktiv, und ein Monitor glühte im Zwielicht des Kontrollzentrums. Nobu beugte sich über den Nairobi-Flugcontroller, der an dieser Konsole saß. Er sah, wie Panchos schlaksige Gestalt die Leiter des grünen Raumboots erklomm.
»Sie trägt überhaupt keinen Raumanzug!«, sagte der neben ihm stehende Yamagata-Ingenieur atemlos.
»Doch, sie trägt einen«, erwiderte Nobu. »Einen neuen Typ, von Nanomaschinen gefertigt.«
»Sind Sie in der Lage, sie am Start zu hindern?«, wandte er sich an den Flugcontroller.
»Nein, Sir«, sagte der Controller und schüttelte den Kopf. »Sie kann das Fahrzeug autonom steuern. Natürlich wird sie ohne einen Flugplan und Navigationsdaten nicht imstande sein, ihr Ziel zu finden. Und die Brennstoffreserven reichen nur noch für einen sehr kurzen Flug.«
»Wir könnten ein Team rausschicken, um sie aufzuhalten«, schlug der Yamagata-Ingenieur vor.
Nobuhiko holte Luft und sagte: »Nein. Wozu gute Männer in diesem Strahlensturm verheizen?«
»Der Sturm flaut bereits ab, Sir.«
»Nein«, wiederholte er. »Soll sie doch starten. Wenn sie dabei umkommt, wird es ein Unfall sein. Ich werde die Public-Relations-Leute von Nairobi anweisen, sich eine plausible Geschichte auszudenken, bei der die Yamagata Corporation außen vor bleibt.«
Nobuhiko straffte sich und sah das kleine Raumboot in einer Wolke aus leuchtend weißem Gas und körnigem Staub abheben — alles in völliger Lautlosigkeit.
Er wünschte Pancho beinahe Glück. Eine außergewöhnliche Frau, sagte er sich. Eine würdige Gegnerin. Zu dumm, dass sie es nicht überleben wird.
Sofort nach dem Start des Raumboots schaltete Pancho das Funkgerät ein und führte einen Frequenzsuchlauf durch, um das Funkfeuer von Malapert zu finden. Sie kannte die grobe Richtung, in der der Astro-Stützpunkt lag. Aber das Raumboot hatte nur eine eingeschränkte Manövrierfähigkeit; es flog auf einer ballistischen Flugbahn wie ein bizarres Katapult-Geschoss.
»Hier ist Pancho Lane«, sprach sie ins Helm-Mikrofon. Sie wollte schreien und brüllen, aber sie hatte nicht die Kraft dazu. »Ich bin in einem Raumboot von der Nairobi-Industries-Basis am Shackleton-Krater unterwegs. Ich brauche dringend eine Peilung.«
Keine Antwort.
Sie ließ den Blick über die öde Mondlandschaft schweifen, die unter ihr vorbeiglitt, und versuchte sich an markante Stellen vom Hinflug nach Shackleton zu erinnern. Aber nichts dergleichen. Überall das gleiche Bild: kahler Felsboden, mit unzähligen Kratern übersät, die von kleinen Grübchen bis zu Löchern reichten, in denen eine ganze Stadt Platz gehabt hätte. Zerklüftete Hügel, kahl und abgerundet durch Äonen von Meteoren, die sie wie Sandpapier abgeschmirgelt hatten. Und überall waren Geröll und Felsbrocken verstreut.
Pancho fühlte sich auch verschlissen und erschöpft. Sie vermochte kaum noch klar zu denken. Sie sehnte sich danach, sich hinzuschmeißen und einzuschlafen. Sogar das harte metallene Deck des Raumboots wirkte einladend.
Bloß nicht!, sagte sie sich. Du musst wach bleiben. Such das Funkfeuer der Basis. Lass dich von ihm ins Ziel führen.
Sie ging die Frequenzen des Funkgeräts rauf und runter und suchte das automatische Leuchtfeuer der Malapert-Basis. Nichts. Vielleicht fliege ich in die falsche Richtung, sagte Pancho sich mit einem Anfall von Panik. Vielleicht bin ich so weit vom Kurs abgekommen, dass …
Ein stetiger warmer Ton drang plötzlich aus den Ohrhörern im Helm. Pancho hätte nicht wacher sein können, als wenn der begnadetste Tenor der Welt ihr ein Ständchen gebracht hätte.
»Hier ist Pancho Lane«, sagte sie mit rauer Stimme und trockenem Hals. »Ich brauche schleunigst eine Peilung.«
Ein Zögern von der Dauer eines Herzschlags. Dann sagte eine ruhige Tenor-Stimme: »Hier ist die Malapert-Basis, Ms. Lane. Wir haben Sie auf dem Radar. Sie fliegen mit einer Abweichung von siebzehn Grad westlich. Ich werde Korrektur-Daten in Ihren Navigationscomputer überspielen.«
Pancho spürte, wie das kleine Steuertriebwerk eine leichte Kursänderung des plumpen Vogels verursachte. Sie hatte weiche Knie. Der Vogel fliegt nun auf Automatik, sagte sie sich. Ich kann mich entspannen. Ich kann mich hinlegen und …
Eine rote Lampe auf der Steuerkonsole funkelte sie wie ein Teufelsauge an, und der Computer des Raumboots meldete: ›Der Treibstoff ist verbraucht. Haupttriebwerksabschaltung.‹
Panchos Reaktion war ein von Herzen kommendes »Scheiße!«.